Derivative Finanzprodukte mit Kreditrisiko
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70 KAPITEL 5. KREDITRISIKO AM EINZELGESCHÄFT<br />
<strong>Derivative</strong> <strong>Finanzprodukte</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kreditrisiko</strong><br />
Neben den primären <strong>Finanzprodukte</strong>n, gibt es inbesondere am Sekundärmarkt, al-<br />
so bei den derivativen Produkten die Problematik des <strong>Kreditrisiko</strong>s. So gibt es z.<br />
B. Kreditderivative wie die Kreditversicherung. Hier geht es um die Versicherung<br />
von Kreditportfolien. Dafür müssen wir zunächst wieder ein Modell für die Aus-<br />
fallanzahl unterstellen. Es handelt sich hierbei wieder um einen nicht-stetigen sto-<br />
chastischen Prozess, der aber strukturell einfacher als der Zählprozess ist, den wir<br />
in Abschnitt 5.1 kennen lernen werden. Der Grund ist zum einen, dass es sich um<br />
ein altes versicherungs-mathematisches Modell handelt, aber auch der, dass die Pa-<br />
rametrisierung einfacher ist.<br />
Seien E1,E2,... unabh. exp(h)-verteilte Zufallsvariablen und definiere<br />
Sn :=<br />
n<br />
Ei.<br />
i=1<br />
Mit der Interpretation der Ei als Wartezeiten zwischen dem i-ten und (i − 1)-ten<br />
Ereignis, und E1 als Wartezeit bis zum ersten Ereignis, ist Sn die Zeit des n-ten<br />
Ereignisses.<br />
Nt := sup{n : Sn ≤ t} (5.9)<br />
zählt die Ereignisse, die bis zum Zeitpunkt t eingetreten sind. Nt wird Erneuerungs-<br />
prozess (auch Punkt- oder Zählprozess) genannt und z. B. in Sheldon (1996) oder<br />
Kingman (1993) untersucht.<br />
Ein potenzieller Verlauf von Nt ist in der Abbildung 5.3 dargestellt.<br />
Es gilt<br />
(i) N0 = 0.<br />
(ii) Nt,t ≥ 0 besitzt unabh. Zuwächse.<br />
Beweis: Die Ei sind unabhängig und das in t aktuelle Ei gehorcht der gedächt-<br />
nislosen Exponentialverteilung.
5.2. BEWERTUNG VON FINANZINSTRUMENTEN 71<br />
NH(t)<br />
✻<br />
2<br />
1<br />
0<br />
τ1<br />
<br />
E1<br />
τ2<br />
<br />
E2<br />
✲<br />
t<br />
Abbildung 5.3: Verlauf eines Erneuerungsprozesses<br />
(iii) Nt+u − Nt ∼ Poisson(hu). D. h. Nt ist stationär, hängt also nicht von t ab.<br />
Insbesondere gilt Nu ∼ Poisson(hu).<br />
Beweis: hier nicht<br />
(iv) E(Nt+u − Nt) = hu = V ar(Nt+u − Nt).<br />
(v) Nt < ∞ und Nt<br />
t<br />
Beweis: E Nt<br />
t<br />
→ h für t → ∞.<br />
= h,V ar Nt<br />
t<br />
(vi) Nt − ht ist ein Martingal.<br />
= h<br />
t<br />
t→∞<br />
⇒ 0<br />
Beweis: E(Nt+u − Nt) = hu ⇒ EdNt = hdt da<strong>mit</strong> ist der Kompensator<br />
t<br />
0 EdNs = ht und ⇒ Nt − ht ein Martingal.<br />
Beweis: Nt+u − Nt ∼ Poisson(hu).<br />
(vii) Nt ist ein Markoff-Prozess.<br />
Beweis: hier nicht<br />
Die zu erwartende Anzahl der Ereignisse in einem Interval [t,t + u] ist proportional<br />
zur Länge (vi) <strong>mit</strong> Faktor h, der Intensitätsrate heißt. Da h konstant ist, heißt Nt<br />
homogener Poisson-Prozess.<br />
Hängt h von t ab, so definiere H(t) = t<br />
0 h(s)ds und Nt, so dass
72 KAPITEL 5. KREDITRISIKO AM EINZELGESCHÄFT<br />
(i) N0 = 0<br />
(ii) Nt,t ≥ 0 besitzt unabhängige Zuwächse.<br />
(iii) Nt+u − Nt ∼ Poisson(H(t + u) − H(t)), h(s) > 0 ∀s ≥ 0.<br />
(iv) (iii) ist gleichbedeutend <strong>mit</strong> P(Nt+u−Nt = n) = 1<br />
(siehe Formel (6.1)).<br />
Interessant und nützlich ist<br />
n! ( t+u<br />
t<br />
h(s)) n exp{− t+u<br />
h(s)ds}<br />
t<br />
Theorem 5.2.4 Wenn Nt die kum. Intensität H(t) besitzt, so hat N H −1 (t) die In-<br />
tensität h ≡ 1.<br />
Beweis: Übung<br />
Eine weitere Verallgemeinerung stellt der Cox-Prozess dar, bei dem h zusätzlich zu<br />
t auch noch von einem Prozess Zt abhängt.<br />
Definition: Sei h(t), 0 ≤ t < ∞ ein potenziell zufälliger nicht-negativer Inten-<br />
sitätsprozess. Ein Punktprozess Nt, 0 ≤ t < ∞ <strong>mit</strong> N0 = 0 heißt Cox-Prozess, falls<br />
für 0 ≤ t1 < t2 < . ..tk < ∞ gilt<br />
P(Nt1 − N0 = n1,...,Ntk − Ntk−1 = nk)<br />
<br />
k<br />
ni ti<br />
tk<br />
1<br />
= E<br />
h(s)ds exp − h(s)ds<br />
n1!...nk!<br />
<br />
i=1<br />
ti−1<br />
Bemerke, dass analog zu Satz 5.2.4 gilt:<br />
Theorem 5.2.5 Sei h(t, Zt) = h(t) 0 ≤ t ≤ ∞ ein zufälliger Intensitätsprozess und<br />
N ein homogener Poissonprozess <strong>mit</strong> Parameter 1, welcher unabhängig von h sei.<br />
Setze Ht = t<br />
h(s)ds. Dann ist<br />
0<br />
Ñt = NHt<br />
ein Cox-Prozess <strong>mit</strong> Intensität h(t).<br />
0
5.2. BEWERTUNG VON FINANZINSTRUMENTEN 73<br />
Nun wollen wir das Ereignis ” Ausfall des Kontrahenten vor Laufzeitende des Geschäfts-<br />
verhältnisses“ modellieren. Sei T das Laufzeitende und τ der Konkurszeitpunkt. Es<br />
geht also um {τ ≤ T }. Wir betrachten einen Cox-Prozess<br />
Standard Poissonprozess N in Ht.<br />
Setze<br />
τ = τ1 = ˜ E1 Zeitpunkt des ersten Ausfalls<br />
τn =<br />
n<br />
˜Ei für n > 1.<br />
i=1<br />
Ñ (in t), bzw. einen<br />
Betrachte ein (einmalige) Zahlung XT. Besteht Erfüllungsrisiko, so ist der Zahlungs-<br />
strom<br />
I{τ>T }XT,<br />
wobei XT zufällig oder fest sein kann.<br />
Nun ist<br />
{τ > T } = { ÑT = 0} <strong>mit</strong> Ñ als betrachtetem Cox-Prozess<br />
= {NHT<br />
= 0} wegen Satz 5.2.5<br />
= {HT < E1} d. h. Konkurs nach Laufzeitende<br />
=<br />
(auf der transformierten Skala)<br />
T<br />
<br />
h(s,Zs)ds < E1<br />
0<br />
Die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses hängt von der gemeinsamen Verteilung<br />
von Zs und E1 ab, da P(X > Y ) = ∞<br />
0<br />
x<br />
f(x, y)dxdy. Wir müssen also Annahmen<br />
0<br />
über die gemeinsame Verteilung der beiden Seiten machen. Bedingt gilt jedoch unter<br />
Unabhängigkeit<br />
P(τ > T | Zs, 0 ≤ s ≤ T) = e − T<br />
0 h(s,Zs)ds , (5.10)<br />
da die kumulative Verteilungsfunktion von E1 P(E1 ≤ t) = 1 − e −t ist. Zur Plau-<br />
sibilisierung sei bemerkt, dass bei einem Pfad von Zt <strong>mit</strong> großer Intensität h(t,Zt)<br />
die rechte Seite klein, also die frühe Ausfallwahrscheinlichkeit groß ist.
74 KAPITEL 5. KREDITRISIKO AM EINZELGESCHÄFT<br />
Sei weiter einschränkend H(∞) = ∞, d. h. es gibt unendlich viele Sprünge τi. Des<br />
Weiteren betrachten wir das Modell ohne Wiedereinbringung (engl. ” zero recovery“).<br />
Der Wert der Auszahlung I{τ>T }XT beträgt in t:<br />
E{e − T<br />
t rf udu XTI{τ>T } | Ft}.<br />
Hier stellt e − T<br />
t rf udu den Abdiskontierungsfaktor bei Terminzinskurve r f u (siehe For-<br />
mel (2.3)) dar. Zu kann von r f u abhängen. Hingegen nehmen wir an, dass E1 (kon-<br />
ditional) unabhängig von den anderen stochastischen Größen ist.<br />
E(e − T<br />
t rf udu XTI{τ>T } | Ft)<br />
= E[e − T<br />
t rf udu XTE[I{τ>T } | Ft,XT,Zu,r f u, 0 ≤ u ≤ T] | Ft)]<br />
wegen E(X) = E(E(X|Y )) und E(E(X|Y )|Z) = E(E(X|Z)|Y ).<br />
Die innere Erwartung ist<br />
T<br />
P E1 > h(s,Zs)ds | E1 ><br />
0<br />
u<br />
0<br />
<br />
h(s,Zs)ds, 0 ≤ u ≤ t .<br />
Da 1{E1>t} einen Markoff-Prozess darstellt, ist dieses gleich<br />
<br />
P<br />
<br />
h(s,Zs)ds<br />
T<br />
t<br />
E1 > h(s,Zs)ds | E1 ><br />
0<br />
0<br />
P(E1 ><br />
= 1{τ>t}<br />
T<br />
0 h(s,Zs)ds)<br />
P(E1 > t<br />
0 h(s,Zs)ds) = 1{τ>t}e − T<br />
t h(s,Zs)ds .<br />
So<strong>mit</strong> erhalten wir die Fundamentalformel:<br />
E<br />
<br />
e − T<br />
t rf <br />
udu<br />
XT1{τ>T } | Ft = 1{τ>t}E e − T<br />
t (rf <br />
u+hu)du<br />
XT | Ft<br />
Die Größe ht ist bisher die allgemeinste Definition des <strong>Kreditrisiko</strong>aufschlags (engl.<br />
” credit spread“). Es gibt zu dem Thema eine extensive Literatur, z. B. betrachten<br />
Bielecki and Rutkowski (2002) diesen Fall (Seite 221ff). Duffie and Singleton (1999)<br />
geben die Formel für zufällige (positive) Wiedereinbringungsquoten an. Außerdem<br />
werden aktuell die Annahmen der Modelle weiter verringert (siehe Collin-Dufresne<br />
et al. (2004)).<br />
Bemerke
5.2. BEWERTUNG VON FINANZINSTRUMENTEN 75<br />
(i) Falls der Konkurs schon eingetreten ist, verbleibt nur der Wert 0.<br />
(ii) Falls τ > t ist, kann man wie gewöhnlich ohne <strong>Kreditrisiko</strong> vorgehen und muss<br />
nur die Zinsen erhöhen. ht. Je höher ht dieser ist desto geringer ist die Bonität<br />
des Kontrahent.<br />
Es ergibt sich, dass die Theorie eine direkte Verallgemeinerung zur Überlebenszeit-<br />
analyse bei deterministischen Ausfallwahrscheinlichkeiten darstellt. Kommen wir auf<br />
das Bespiel der zero-coupon Anleihe <strong>mit</strong> Nominal 1 (ohne risikofreien Zins) zurück.<br />
Sei<br />
Es gilt<br />
P(t,T) = E<br />
<br />
e − T<br />
t h(s,Zs)ds <br />
| Ft<br />
1{τ>t}P(t,T) = E(1{τ>T } | Ft) (5.11)<br />
Beweis: Fundamentalformel <strong>mit</strong> r f<br />
t ≡ 0 und XT = 1. <br />
Also ist P(t,T) die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass der Kontrahent nicht vor<br />
T ausfällt. Formel (5.1) impliziert eine Überlebenswahrscheinlichkeit von P(τ ><br />
T |τ > t) = e − T<br />
t h(s)ds für deterministisches h(s). h(s) ist hierbei die Hazardrate des<br />
Ausfallzeitpunkts.<br />
Bemerkung: Bewertung von Anleihen (engl. ” bond pricing“)<br />
Aus den angestellten Überlegungen - insbesondere aus Formel (5.11) - ergibt sich<br />
direkt die Preisbildung einer ausfallgefährdeten - aber noch nicht ausgefallenen An-<br />
leihe (Bond) <strong>mit</strong> Nominal 1.<br />
¯B0(t,T) = E(e − T<br />
t rf udu 1{τ>T } | Ft) = 1{τ>t}P(t,T)B(t, T)<br />
wobei r f<br />
t deterministisch ist. Die Bewertung einer nicht-ausfallgefährdeten Anleihe<br />
- <strong>mit</strong> Nominal 1 - B(t,T) haben wir in Formel (5.28) hergeleitet. Dort allerdings<br />
noch <strong>mit</strong> konstantem Zins.
76 KAPITEL 5. KREDITRISIKO AM EINZELGESCHÄFT<br />
B(T, T) − ¯ B0(T,T) Summe DDP<br />
Ohne Konkurs +1 −1 0<br />
Mit Konkurs +1 0 1<br />
Tabelle 5.1: Hedgingstrategie für DDP<br />
Um einen Bogen zu den anfänglichen Überlegungen zur Bewertung derivativer Pro-<br />
dukte (ohne <strong>Kreditrisiko</strong>) zu schlagen, soll hier ein derivatives Produkt <strong>mit</strong> Ausfall-<br />
risiko betrachtet werden.<br />
Die digitale Konkursversicheurng. (engl. ” digital default put“).<br />
Ein DDP hat im Zeitpunkt des Ausfalls eine Auszahlung von 1, sonst eine von 0.<br />
Betrachte zunächst den Fall, dass die Zahlung ggf. erst in T erfolgt. Dann beträgt<br />
der Barwert und da<strong>mit</strong> der Preis in t<br />
D(t,T) = E(e − T<br />
t rf udu 1{τ≤T } | Ft)<br />
= E(e − T<br />
t rf udu (1 − 1{τ>T }) | Ft)<br />
= B(t,T) − ¯ B0(t,T)<br />
<strong>mit</strong> ¯ B0 als endfälliger ausfallgefährdeter Anleihe (engl. ” zero coupon defaultable<br />
bond“).<br />
Denselben Preis erhält man durch Replikation <strong>mit</strong> zwei Anleihen <strong>mit</strong> Nominal 1.<br />
Betrachte das Portoflio aus einer gekauften nicht-ausfallgefährdeten Anleihe und<br />
einer verkauften ausfallgefährdeten Anleihe. Die Auszahlungen im Zeitpunkt T sind<br />
in der Tabelle 5.1 dargestellt.<br />
Für den realistischen Fall, dass der Ausfallzeitpunkt gleich dem Zahlungszeitpunkt<br />
ist, folgt (siehe Formel (5.10), wobei 0 <strong>mit</strong> t wegen der Gedächnislosigkeit der Exp-<br />
Verteilung ausgetauscht werden kann):<br />
D(t, T) = 1{t x | r f u,u ≤ T, Zs, s ≤ T, {τ ≤ s},s ≤ t<br />
<br />
:=GT<br />
) = e − x<br />
t h(s)ds 1{τ>t}<br />
So<strong>mit</strong> hat τ auf x > t die bedingte Dichte h(x)e − x<br />
t h(s)ds 1{τ>t}.
5.2. BEWERTUNG VON FINANZINSTRUMENTEN 77<br />
Also:<br />
D(t,T) = E{1{t