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pik - Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und ...

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patientInnenorientierte integrierte krankenbetreuung (in wien 14.–17. bezirk)<br />

Newsletter08spezial<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

Juli 2004<br />

Inhalt<br />

2 Editorial<br />

3 Vorwort<br />

Das Projekt<br />

5 Die Arbeit der Fokusgruppe PatientInnen/Angehörige im Modellprojekt PIK<br />

11 Autonomie <strong>und</strong> Aufklärung<br />

Gastbeiträge<br />

14 Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

20 Die Bedeutung der Selbsthilfegruppen <strong>für</strong> das Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

23 Die neue PatientInnenbeteiligung in Deutschland<br />

Partner<br />

28 Die Wiener Patientenanwaltschaft<br />

29 Das Martha Frühwirt Zentrum <strong>für</strong> medizinische Selbsthilfegruppen<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

30 PatientInnenbeteiligung in Holland <strong>und</strong> England<br />

31 Wussten Sie schon?<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber<br />

Auftraggeber<br />

Wiener Gebietskrankenkasse – WGKK<br />

Bereichsleitung <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heitsplanung<br />

<strong>und</strong> Finanzmanagement – BGF<br />

Wiener Krankenanstaltenverb<strong>und</strong> – KAV<br />

Projektbegleitung<br />

<strong>Ludwig</strong> <strong>Boltzmann</strong> <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Medizin</strong>-<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssoziologie<br />

Österreichische Gesellschaft <strong>für</strong> Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />

der Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

Redaktionsteam<br />

Seitens der Auftraggeber<br />

Dr. Werner Schröder - WGKK<br />

Dir. Rudolf Jank – WGKK<br />

Dr. Susanne Herbek – BGF<br />

GO Charlotte Staudinger – KAV<br />

Seitens der Projektbegleitung<br />

Mag. Peter Nowak, Mag. Christa Peinhaupt,<br />

Univ.Prof. Dr. Jürgen M. Pelikan<br />

Redaktionelle Koordination<br />

Dr. Beate Greiner, Mag. Andreas Keclik<br />

email <strong>pik</strong>.soziologie@univie.ac.at<br />

<strong>pik</strong><br />

ludwig boltzmann institut <strong>für</strong><br />

medizin- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitssoziologie<br />

rooseveltplatz 2/4, 1090 wien<br />

telefon (01) 4277/48255<br />

fax (01) 4277/48290<br />

email <strong>pik</strong>.soziologie@univie.ac.at<br />

net www.<strong>pik</strong>-wien.at<br />

wissenschaftlich begleitet<br />

<strong>und</strong> unterstützt von<br />

<strong>Ludwig</strong> <strong>Boltzmann</strong> <strong>Institut</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Medizin</strong>- <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitssoziologie<br />

Österreichische Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Theorie <strong>und</strong> Praxis<br />

der Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

beauftragt von


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Editorial<br />

PatientInnenbeteiligung, als Chance <strong>für</strong> ein an<br />

den Bedürfnissen der PatientInnen orientiertes,<br />

qualitativ hochwertiges <strong>und</strong> effizientes Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

wird in Ges<strong>und</strong>heitspolitik <strong>und</strong><br />

Wissenschaft vielfach diskutiert.<br />

Als Innovation in Österreich wird PatientInnenbeteiligung<br />

im Modellprojekt PIK exemplarisch<br />

erprobt. Darüber hinaus hat sich das Team der<br />

Projektbegleitung mit unterschiedlichen Modellen<br />

der PatientInnenbeteiligung, <strong>und</strong> wie sie in anderen<br />

Ländern umgesetzt sind, beschäftigt.<br />

Dieser PIK Newsletter widmet sich als Sondernummer<br />

ganz dem Thema PatientInnenbeteiligung.<br />

Das Modellprojekt steht unter dem Leitprinzip der<br />

PatientInnenorientierung.<br />

Das bedeutet, dass alle Maßnahmen, die im<br />

Modellprojekt entwickelt <strong>und</strong> umgesetzt werden,<br />

den Bedürfnissen <strong>und</strong> Anliegen der PatientInnen<br />

dienen sollen.<br />

Um diese Anliegen <strong>und</strong> Sichtweisen von Patient-<br />

Innen (<strong>und</strong> Angehörigen) in alle Projektschritte<br />

direkt einfließen zu lassen, wurde die „Fokusgruppe<br />

PatientInnen/Angehörige“ eingerichtet. Die<br />

PatientInnen <strong>und</strong> Angehörigen haben in allen<br />

Projektphasen mitgewirkt <strong>und</strong> einen wichtigen<br />

Beitrag <strong>für</strong> die Projektarbeit geleistet.<br />

Da<strong>für</strong> einen herzlichen Dank an die Mitglieder<br />

der Fokusgruppe.<br />

Über Erfolge <strong>und</strong> Erfahrungen der PatientInnenbeteiligung<br />

in PIK lesen Sie einen Beitrag in<br />

diesem Newsletter.<br />

Eine aus Sicht der PatientInnen überaus wichtige<br />

Maßnahme im Modellprojekt, die im Wilhelminenspital,<br />

Abteilung 1. Med. (Schwerpunkt<br />

Onkologie) entwickelt wurde, ist das „Patient-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 2<br />

Innenorientierte Aufklärungsgespräch“. Lesen Sie<br />

dazu ein Beitrag von OA Dr. Leitgeb.<br />

Über diese Erfahrungen hinaus, hat sich das<br />

Modellprojekt PIK mit verschiedenen Modellen<br />

der PatientInnenbeteiligung beschäftigt. Einen<br />

Artikel über PatientInnenbeteiligung in England<br />

<strong>und</strong> Holland finden Sie ebenfalls in diesem<br />

Newsletter.<br />

Über den Beitrag von Selbsthilfegruppen<br />

zum Ges<strong>und</strong>heitswesen schreibt Frau Prof. Susanne<br />

Kircher (Martha Frühwirt Zentrum).<br />

Der Österreichsprecher der Patientenanwaltschaften,<br />

Dr. Gerald Bachinger erörtert, wie<br />

PatientInnenbeteiligung aus Sicht der PatientInnenvertretung<br />

in Österreich aussehen könnte.<br />

Weiters finden Sie einen Gastbeitrag aus<br />

Deutschland von Mag. Kranich (Verbraucherzentrale<br />

Hamburg).<br />

An dieser Stelle herzlichen Dank an alle Autor-<br />

Innen, die <strong>für</strong> diesen Newsletter geschrieben haben.<br />

Zum Thema passend, stellen sich als Partner<br />

im Modellprojekt diesmal die Wiener Patientenanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> das Martha Frühwirt<br />

Zentrum vor.<br />

Abger<strong>und</strong>et wird der Newsletter mit einem<br />

Hinweis auf eine Präsentation, die von Mag. Peter<br />

Nowak (LBI) <strong>und</strong> Dr. Susanne Herbek (BGF) zum<br />

Thema „Patient participation and empowerment<br />

in integrated care. Concepts, experiences and<br />

challenges in an Viennese model project“<br />

in Moskau gehalten wurde.<br />

Wir wünschen wieder viel Spaß beim Lesen <strong>und</strong><br />

hoffen auf Ihre Reaktionen zu diesem spannenden<br />

Thema auf der PIK-Homepage: www.<strong>pik</strong>-wien.at<br />

Rudolf Brenner, Eugen Hauke, Hannes Schmidl


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Vorwort<br />

„Die Organisations- <strong>und</strong><br />

Behandlungsabläufe in der<br />

Krankenanstalt sind nach<br />

den Bedürfnissen der<br />

Patienten auszurichten“,<br />

normiert das Wr. KAG <strong>und</strong><br />

rückt damit zumindest <strong>für</strong><br />

den intramuralen Bereich die Bedürfnisse der<br />

PatientInnen in den Mittelpunkt. Die gesetzliche<br />

Norm geht also von einem hohen Grad an Patientenorientierung<br />

aus, die Praxis ist bemüht aber<br />

nicht immer erfolgreich. Deshalb ist ja ein Projekt<br />

wie das PIK, das die Patientenorientierung schon<br />

im Titel trägt, dringend notwendig. Die oben zitierte<br />

Sollensnorm mit Leben auszufüllen, sie also in<br />

die Seinswelt hereinzuholen, ist eine Aufgabe,<br />

die je nach Wissensstand <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Bewusstsein mit unterschiedlichen Methoden<br />

erfüllt wird.<br />

In der Zeit der paternalistischen <strong>Medizin</strong>, als<br />

noch die „Götter in Weiß“ regierten, waren es diese,<br />

die über die Bedürfnisse der Patienten bescheid<br />

wussten <strong>und</strong> wie daher die Abläufe in der<br />

Krankenanstalt zu organisieren seien. Mit dem<br />

Paradigmenwechsel zur partnerschaftlichen<br />

<strong>Medizin</strong>, die den mündigen Patienten fokussiert,<br />

war es notwendig, diesen Patienten auch artikulationsfähig<br />

zu machen. Eine Hilfestellung hier<strong>für</strong><br />

war in den 90 Jahren die Schaffung der Patientenanwaltschaften,<br />

die in Wirklichkeit Ges<strong>und</strong>heitsombudspersonen<br />

sind, also soft-law-Einrichtungen<br />

ohne Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt. Der<br />

Patientenanwalt hilft im Einzelfall dem betroffenen<br />

Bürger, der sich im System nicht zurecht findet oder<br />

nicht Willens ist einen zeit-, geld- <strong>und</strong> nerven-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 3<br />

kostenden <strong>Medizin</strong>prozess zu führen, trotzdem zu<br />

seinem Recht zu kommen. Patientenorientierung<br />

geht aber über Durchsetzung von Rechten hinaus,<br />

da nicht alle Bedürfnisse von PatientInnen in<br />

Rechtsnormen gefasst werden können. Dies sei<br />

an einem Beispiel demonstriert: Man kann, wie es<br />

auch das Krankenanstaltengesetz in Wien versucht,<br />

ein Recht auf eine Mutter-Kind-Zimmer in Krankenanstalten<br />

festschreiben. Abgesehen von dem<br />

Totschlagargument, dass dieses Recht nicht im ausreichenden<br />

Maße umgesetzt werden könne, weil die<br />

finanziellen Ressourcen knapp seien, stellt sich<br />

bald heraus, dass mit Mutter-Kind-Zimmern allein<br />

es nicht getan ist. Die Bedürfnisse von Mutter <strong>und</strong><br />

Kind verlangen nach einer Spielecke <strong>und</strong> Spielzeug,<br />

nach Trennung von großen Kindern von kleinen<br />

Babys, größere Kinder, die von ihrer Fre<strong>und</strong>esschar<br />

besucht werden, wollen eine Geburtstagsparty<br />

feiern, Kleinkinder (<strong>und</strong> deren Mütter) fühlen sich<br />

dadurch vielleicht gestört usw. Die Liste der denkbaren<br />

<strong>und</strong> wohl auch legitimen Bedürfnisse ließe<br />

sich noch lange fortsetzten. Der Gesetzgeber, stoßt<br />

aber sehr bald an seine regulative Kraft, wenn er<br />

diese Vielzahl von Bedürfnissen normieren wollte.<br />

Er kann nicht jeden individuell konkreten Einzelfall<br />

gerecht normieren, sondern muss im Generell –<br />

abstrakten verhaftet bleiben. Dennoch existieren<br />

diese nicht normierten Bedürfnisse in der realen<br />

Welt <strong>und</strong> in der Regel wird ihnen Legitimität nicht<br />

abgesprochen werden. Um sie zu kennen <strong>und</strong> damit<br />

befriedigen zu können gilt es, die mündigen PatientInnen<br />

selbst <strong>und</strong> nicht mediatisiert durch<br />

einen Verein oder eine Anwaltschaft an Abläufen<br />

im Krankenhaus zu beteiligen. Ein gutes Beispiel<br />

der Einbindung von Patienten ist ja die im Rahmen


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Vorwort<br />

des PIK gebildete Fokusgruppe.<br />

Ein weiteres wichtiges Instrument, um diesen<br />

Bedürfnissen näher zu kommen, sind Patientenbefragungen,<br />

die heute auf einer doch elaborierteren<br />

Methodik aufbauen als noch vor 6 oder<br />

8 Jahren. Methodisch abgesicherte Befragungen<br />

sind eine wertvolle Hilfe <strong>für</strong> die Akteure im Ges<strong>und</strong>heitssystem,<br />

dieses zu optimieren.<br />

Bei aller Orientierung an den Bedürfnissen<br />

der PatientInnen darf aber die Kernaufgabe des<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystems nicht vergessen werden <strong>und</strong><br />

die besteht natürlich nicht darin, kindergerechtes<br />

Spielzeug zur Verfügung zu stellen sondern sie<br />

besteht im Heilen <strong>und</strong> dort wo dies nicht möglich<br />

ist, im Lindern des Leides.<br />

Ich bin überzeugt, dass dies auch das Hauptbedürfnis<br />

der mündigen PatientInnen ist.<br />

Patientenorientierung <strong>und</strong> Einbindung der Patient-<br />

Innen bei der Erfüllung dieser Kernaufgabe des<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystems setzt einen relative hohen<br />

Informationsstand voraus. Ein Instrument hie<strong>für</strong><br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 4<br />

ist das Aufklärungsgespräch, auf das dieser<br />

Newsletter ebenfalls näher eingeht. Eine andere<br />

<strong>und</strong> wichtige Voraussetzung, um von mündigen<br />

<strong>und</strong> wohlinformierten PatientInnen sprechen zu<br />

können ist eine transparente Datenlage. Zu fordern<br />

ist <strong>für</strong> PatientInnen Kenntnis nicht nur des outputs<br />

von Krankenanstalten, sondern auch das outcome.<br />

Den Output, also wie viel Blinddarmoperationen,<br />

Hüftgelenksimplantationen etc. wurden in diesem<br />

oder jenen Spital gemacht, dieser Output ist im<br />

Großen <strong>und</strong> Ganzen bekannt, interessanter aber<br />

(daher?) intransparent ist jedoch die Erfolgsquote<br />

bzw. die Komplikationsquote. Wenn die mündigen<br />

PatientInnen schon im Mittelpunkt stehen, <strong>und</strong> sich<br />

das Ges<strong>und</strong>heitssystem an ihnen orientieren soll,<br />

um wirklich patientenorientierte Krankenbetreuung<br />

anbieten zu können, dann muss sich<br />

auch die mündige PatientIn an Krankenanstalten<br />

orientieren können, <strong>und</strong> bedarf dazu einer transparenten<br />

Datenlage, die derzeit in Österreich leider<br />

den Patienten nicht zur Verfügung steht.<br />

Walter Dohr, Wiener Patientenanwalt


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

Das Projektziel<br />

Vorrangiges Ziel des Projekts „PIK“ ist die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen<br />

in der Krankenbetreuung unter dem Gesichtspunkt<br />

der PatientInnenorientierung, das heißt<br />

unter besonderer Bedachtnahme auf die Anliegen<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse der PatientInnen.<br />

Um das zu gewährleisten, werden PatientInnen<br />

<strong>und</strong> Angehörige unmittelbar in die Projektarbeit<br />

einbezogen.<br />

Bisher einmalig in einem österreichischen<br />

Projekt, arbeiten PatientInnen <strong>und</strong> Angehörige<br />

– mit Unterstützung der Projektbegleitung<br />

– in allen Projektschritten mit <strong>und</strong> bringen ihre<br />

Sichtweisen <strong>und</strong> Anliegen ein.<br />

Im Folgenden werden die Aufgaben der Patient-<br />

Innen <strong>und</strong> Angehörigen in den einzelnen Projektphasen<br />

beschrieben:<br />

Die Konstituierung der Fokusgruppe<br />

Interessierte PatientInnen <strong>und</strong> Angehörige<br />

wurden über die Wiener Selbsthilfegruppen, über<br />

die ProjektpartnerInnen <strong>und</strong> über die Projekthomepage<br />

zur Mitarbeit im Projekt eingeladen.<br />

Bedingungen zur Teilnahme an der Projektarbeit<br />

waren: Erfahrungen mit Spitalsaufenthalten <strong>und</strong>/<br />

oder professioneller Krankenbetreuung zu Hause<br />

<strong>und</strong> Wohnort in einem der Projektbezirke.<br />

Im Laufe der ersten Arbeitstreffen hat sich<br />

eine stabile Gruppe von zwölf PatientInnen <strong>und</strong><br />

Angehörigen gebildet, die bereit sind über die Projektlaufzeit<br />

von zweieinhalb Jahren unentgeltlich<br />

im Projekt mitzuarbeiten.<br />

Während des gesamten Projektverlaufes finden<br />

14 mehrstündige Arbeitstreffen (Treffen aller<br />

Mitglieder der Fokusgruppe mit Moderation der<br />

Projektbegleitung) statt. Je zwei Delegierte der<br />

Fokusgruppe sind in jedes Teilprojekt entsandt.<br />

Der Beitrag der Fokusgruppe<br />

in den einzelnen Projektphasen<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 5<br />

Maßnahmenauswahl<br />

Im ersten Arbeitstreffen ist es gelungen,<br />

die Delegierten der Fokusgruppe mit einer Reihung<br />

der Maßnahmen in die Teilprojektgruppen zu<br />

entsenden.<br />

Im Großen <strong>und</strong> Ganzen stimmte die Sicht der<br />

PatientInnen <strong>und</strong> der Profis hinsichtlich der<br />

Priorisierung der Maßnahmen überein.<br />

Besonders erfreulich ist, dass eine Maßnahme,<br />

die von den PatientInnen eingebracht wurde<br />

– das patientInnenorientierte Aufklärungsgespräch<br />

– zusätzlich in die Maßnahmenauswahl<br />

aufgenommen wurde.<br />

Nicht zur detaillierten Planung gelangte<br />

– obwohl von PatientInnen mehrmals eingefordert<br />

– der Einbezug von Ehrenamtlichen in die<br />

Krankenbetreuung zu Hause.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

Maßnahmenplanung<br />

Die Fokusgruppe hat zu jenen Maßnahmen, zu<br />

denen sie ihre Sichtweise einbringen wollte,<br />

schriftlich Punktationen erarbeitet <strong>und</strong> den<br />

Planungsgruppen zur Verfügung gestellt.<br />

Zu ausgewählten Maßnahmen haben Mitglieder der<br />

Fokusgruppe in den Planungsgruppen mitgearbeitet.<br />

Darüber hinaus hat die Fokusgruppe die Planung<br />

von drei „eigenen“ Maßnahmen übernommen.<br />

Zur Maßnahme „Informationsstelle“ hat die<br />

Fokusgruppe mit Unterstützung der Projektbegleitung<br />

ein detailliertes Konzept erarbeitet.<br />

Die Maßnahme „Beschwerdebriefkasten“ kam<br />

aufgr<strong>und</strong> der Initiative eines Fokusgruppenmitgliedes<br />

zustande.<br />

Die Planung der Maßnahme „Selbsthilfegruppen<br />

greifbar im Spital“ wurde mit Mitgliedern der<br />

Fokusgruppe begonnen, die weitere Koordination<br />

von der Projektbegleitung übernommen.<br />

Baseline-Erhebung<br />

Um Anmerkungen <strong>und</strong> Anregungen seitens der<br />

Projektpartner zu den Instrumenten der Baseline-<br />

Erhebung zu gewinnen, wurde ein so<strong>und</strong>ing-board<br />

eingerichtet. Ein Mitglied der Fokusgruppe war<br />

in diesem so<strong>und</strong>ing-board vertreten <strong>und</strong> hat<br />

die PatientInnen-Fragebögen kommentiert.<br />

Die Interpretation der Daten durch die<br />

Fokusgruppen-Mitglieder erfolgte mit Unterstützung<br />

der Projektbegleitung.<br />

Maßnahmenumsetzung<br />

Im November 2003 wurde in den Partnerinstitutionen<br />

mit der Umsetzung der Maßnahmen<br />

begonnen. In zwei Arbeitstreffen der Teil-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 6<br />

projektgruppen wurden die Leistungserbringer bei<br />

der Maßnahmenumsetzung supervisorisch beraten.<br />

Die Delegierten der Fokusgruppe nahmen<br />

daran teil.<br />

Die Umsetzung der drei „Fokusgruppen-Maßnahmen“<br />

stellt sich folgendermaßen dar:<br />

Hinsichtlich der Umsetzung der „Informationsstelle“,<br />

einer Website mit allen Informationen zu<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit, war bald klar, dass es<br />

dabei vorrangig um die Entscheidung <strong>für</strong> die Übernahme<br />

der Trägerschaft ging. Die Mitglieder der<br />

Fokusgruppe konnten diese insoweit „vorantreiben“,<br />

als sie in Besprechungen mit Auftraggebern<br />

<strong>und</strong> potentiellen Trägern immer wieder<br />

auf die Wichtigkeit der Realisierung hinwiesen.<br />

Die Maßnahme „Beschwerdebriefkasten“ wurde<br />

in einer Partnerinstitution erfolgreich umgesetzt.<br />

Die Maßnahme „Selbsthilfegruppen greifbar im<br />

Spital“ wurde in drei Modellabteilungen umgesetzt<br />

– in einer besonders engagiert. (siehe dazu auch<br />

den Bericht im vorigen Newsletter). Mitglieder der<br />

Fokusgruppen haben geholfen, den Kontakt zu den<br />

Selbsthilfegruppen herzustellen.<br />

Evaluation<br />

Von Mitte März bis Mitte Juni 2004 wurde<br />

die Evaluationserhebung durchgeführt. Die<br />

Ergebnisse werden im September vorliegen<br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Projektpartner aufbereitet.<br />

Die Mitglieder der Fokusgruppe erwarten die<br />

Ergebnisse mit Spannung; da daraus abzulesen<br />

sein wird, was einzelne Maßnahmen aus Patient-<br />

Innensicht gebracht haben.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

Stabilitätsprüfung der Maßnahmen-Umsetzung<br />

Im September/Oktober 2004 werden zur Prüfung<br />

der Stabilität der Maßnahmen-Umsetzung<br />

Gruppeninterviews zu jeder Maßnahme in den<br />

Partnerinstitutionen durchgeführt. Mitglieder der<br />

Fokusgruppe werden zu ausgewählten Maßnahmen<br />

an diesen Interviews teilnehmen.<br />

Transferempfehlungen<br />

Die Ergebnisse des Projekts werden in Transferempfehlungen<br />

münden. Diese werden sich einerrseits<br />

auf die Implementation der einzelnen Maßnahmen<br />

beziehen, andererseits Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Anleitungen <strong>für</strong> das Gelingen von Veränderungsprozessen<br />

bereit stellen <strong>und</strong> darüber hinaus<br />

einen Blick auf notwendige Veränderungen in den<br />

Rahmenbedingungen des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

werfen. Ein Teil der Transferempfehlungen wird<br />

sich auf Strukturen von PatientInnenbeteiligung<br />

<strong>und</strong> PatientInnenvertretung in Wien/Österreich<br />

beziehen. Erste konzeptionelle Überlegungen<br />

dazu wurden auch in Zusammenarbeit mit der<br />

Fokusgruppe bereits begonnen.<br />

Reflexion der Arbeit<br />

Die Konstituierung der Fokusgruppe im ersten<br />

Arbeitstreffen ist überraschend gut gelungen. Die<br />

TeilnehmerInnen waren hoch motiviert <strong>und</strong> haben<br />

klar ihre Erwartungen an die Mitarbeit im Projekt<br />

zum Ausdruck gebracht: Sie wollten übereinstimmend<br />

ernst genommen werden <strong>und</strong> keinesfalls als<br />

Feigenblatt <strong>für</strong> die PatientInnenorientierung im<br />

Projekt dienen. Und sie wollten, dass sich wirklich<br />

etwas verändert.<br />

Im Laufe der Zusammenarbeit in der Fokus-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 7<br />

gruppe wurde deutlich, dass es großen Bedarf an<br />

Auseinandersetzung unter den Gruppenmitglieder,<br />

z.B. hinsichtlich notwendiger Reformen im Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />

gab. Aus Zeitmangel konnte der<br />

Diskussion innerhalb der Gruppe zu wenig Raum<br />

gegeben werden.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Fülle <strong>und</strong> der Komplexität musste<br />

auch die inhaltliche Vorbereitung zu jeder einzelnen<br />

Maßnahme teilweise zu kurz kommen.<br />

Es war von vornherein klar, dass die Mitglieder<br />

der Fokusgruppe aus Zeitgründen nicht in allen<br />

Planungsgruppen vertreten sein konnten. Wie<br />

weit die schriftlichen Beiträge der Fokusgruppenmitglieder<br />

in die Detailplanung der Maßnahmen<br />

Eingang gef<strong>und</strong>en haben, ist nicht nachvollziehbar.<br />

Das Angebot der Mitglieder der Fokusgruppe,<br />

in Planungsgruppen mitzuarbeiten, wurde nicht<br />

von allen aufgegriffen. Zusammenfassend muss<br />

gesagt werden, dass die Einbeziehung der Patient-<br />

Innen <strong>und</strong> Angehörigen in die Detailplanung der<br />

einzelnen Maßnahmen nur teilweise gelungen ist.<br />

In dieser Phase der Projektarbeit hat sich gezeigt,<br />

dass die Zusammenarbeit von PatientInnen/<br />

Angehörigen <strong>und</strong> Profis auf gleicher Ebene nicht<br />

ohne weiteres funktioniert. Das Einbringen von<br />

Anliegen <strong>und</strong> Vorschlägen ist <strong>für</strong> die Betroffenen<br />

leichter, je konkreter die Maßnahmen sind.<br />

Die Interpretation der Baselineerhebung durch<br />

die Fokusgruppe ist gelungen. Die Mitglieder der<br />

Fokusgruppe wurden durch einige Ergebnisse in<br />

eigenen Wahrnehmungen bestätigt, waren von<br />

anderen aber auch überrascht.<br />

Durch die Teilnahme der Delegierten in den<br />

Supervisions-Arbeitstreffen zur Unterstützung bei<br />

der Maßnahmenumsetzung, gewannen diese ein


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

größeres Verständnis <strong>für</strong> die oft schwierigen<br />

Bedingungen der Leistungserbringer. In der<br />

Fokusgruppe entstand der Eindruck, dass die<br />

MitarbeiterInnen der Ges<strong>und</strong>heitsorganisationen<br />

(Krankenhaus-Abteilungen, Pflegevereine) oftmals<br />

keine Unterstützung seitens ihrer Leitungen bei der<br />

Implementation der Maßnahmen hatten <strong>und</strong> dass<br />

viele Anforderungen aus PatientInnensicht an<br />

strukturelle Rahmenbedingungen stoßen.<br />

Die Mitarbeit an den Transferempfehlungen ist<br />

<strong>für</strong> die Mitglieder der Fokusgruppe schwierig.<br />

Einerseits ist der Umfang des Berichts in den<br />

Arbeitstreffen kaum zu bearbeiten, aber auch die<br />

wissenschaftliche Sprache des Transferberichts<br />

stellt <strong>für</strong> die PatientInnen eine Hürde dar. Hier<br />

wird es Aufgabe der Projektbegleitung sein, mit<br />

den Mitgliedern der Fokusgruppe die aus Patient-<br />

Innensicht wesentlichsten Passagen des Berichts<br />

herauszufiltern <strong>und</strong> die Meinung der Fokusgruppenmitglieder<br />

einfließen zu lassen.<br />

Die Zusammenarbeit mit den „Profis“<br />

in den Teilprojektgruppen<br />

Die gemeinsame Arbeit im Projekt ist sowohl <strong>für</strong><br />

die PatientInnen/Angehörigen als auch <strong>für</strong> die<br />

Profis eine neue Erfahrung.<br />

Seitens der Delegierten der Fokusgruppe, die in<br />

den Teilprojektgruppen – <strong>und</strong> teilweise in den<br />

Planungsgruppen – unmittelbar mit den Profis<br />

zusammengearbeitet haben, wurden folgende<br />

Eindrücke geäußert:<br />

Die Bereitschaft zu direkter, offener Kommunikation<br />

ist sehr stark von der Persönlichkeit des<br />

Einzelnen abhängig. Das aus Behandlungssituationen<br />

bekannte Gefälle zwischen ÄrztInnen als Ex-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 8<br />

pertInnen <strong>und</strong> „Wissenden“ gegenüber den Patient-<br />

Innen als „Unwissenden“ wurde auch in der Projektarbeit<br />

erlebt. Zudem fühlten sich die PatientInnen/<br />

Angehörigen oftmals sprachlich <strong>und</strong> argumentativ<br />

unterlegen. Aus Sicht vieler Gruppenmitglieder<br />

haben sie aber viele neue Gesichtspunkte im Zusammenhang<br />

mit den Problemen des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

kennen gelernt.<br />

Im Treffen aller ProjektteilnehmerInnen am<br />

1.7.2004 wurde die Zusammenarbeit von Patient-<br />

Innen/ Angehörigen <strong>und</strong> Professionellen gemeinsam<br />

reflektiert.<br />

Das erfreuliche Ergebnis dieser Reflexion ist,<br />

dass alle Beteiligten die Zusammenarbeit<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich sehr positiv beurteilen.<br />

Seitens der Professionellen wurde das Erleben<br />

der direkten Sichtweise der PatientInnen als sehr<br />

bereichernd empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hat das Einnehmen<br />

der PatientInnenperspektive erleichtert. Die direkte<br />

Beteiligung der PatientInnen hat geholfen,<br />

an den Punkten „dran zu bleiben“, die <strong>für</strong> Patient-<br />

Innen am Wichtigsten sind. Das Feedback der<br />

PatientInnen <strong>und</strong> Angehörigen an die professionellen<br />

Partner wurde auch als Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Motivation erlebt.<br />

Es wurden aber auch die Kommunikationsschwierigkeiten<br />

erkannt <strong>und</strong> die Grenzen, an die<br />

die Profis stoßen, sichtbar. Eine Beobachtung war,<br />

dass das Verhältnis von zwei PatientInnen/<br />

Angehörigen zu zehn bis fünfzehn professionellen<br />

Mitgliedern der Projektgruppen eine Unterrepräsentation<br />

der PatientInnen bedeutet, die<br />

möglicherweise auch zum teilweise vorhandenen<br />

Gefühl der Unterlegenheit beigetragen hat.<br />

Einige Profis hätten sich noch mehr Input <strong>und</strong>


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

klarere Forderungen von den PatientInnen<br />

gewünscht.<br />

Resumee<br />

Das Projekt PIK ist in seiner gesamten Komplexität<br />

ein ehrgeiziges Projekt.<br />

Die Herausforderung, die Interessen <strong>und</strong><br />

Unterschiedlichkeiten der einzelnen Projektpartner<br />

„unter einen Hut zu bringen“, die Anforderung<br />

30 in sich komplexe Maßnahmen umzusetzen <strong>und</strong><br />

zusätzlich eine breit angelegte, patientInnenbezogene<br />

Evaluation durchzuführen, haben<br />

einiges an Konzentration <strong>und</strong> Aufwand erfordert.<br />

Darüber hinaus PatientInnen/Angehörige so<br />

einzubeziehen, dass sie aktiv an allen Projektschritten<br />

mitarbeiten können, ist ein hoher<br />

Anspruch.<br />

Die kontinuierliche, engagierte Arbeit der<br />

Fokusgruppe zeigt jedoch, dass PatientInnen<br />

<strong>und</strong> Angehörige den Wunsch <strong>und</strong> den Willen zur<br />

Mitgestaltung des Ges<strong>und</strong>heitswesens haben.<br />

Sie sind diejenigen, die das Ges<strong>und</strong>heitssystem am<br />

eigenen Körper erfahren <strong>und</strong> durch das Einbringen<br />

dieser Erfahrungen einen unverzichtbaren Beitrag<br />

zur Entwicklung von Verbesserungen leisten<br />

können (auch hinsichtlich Einsparungsmöglichkeiten).<br />

Die neue Rolle, als Partner in der Mitgestaltung<br />

des Ges<strong>und</strong>heitssystems gefragt zu sein,<br />

muss auch von PatientInnen/Angehörigen erst gelernt<br />

werden. Sie brauchen dazu Rahmenbedingungen<br />

zur Unterstützung, wie z.B. Coaching<br />

oder Supervision.<br />

Auch wenn der Beitrag der PatientInnen zur<br />

Planung <strong>und</strong> Umsetzung einzelner Maßnahmen nie<br />

messbar sein wird, hat es einen Unterschied<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 9<br />

gemacht, dass Betroffene Seite an Seite mit den<br />

Profis an Verbesserungsmaßnahmen gearbeitet<br />

haben.<br />

Die Beteiligung der PatientInnen <strong>und</strong> Angehörigen<br />

hätte noch stärker sein können.<br />

Das hätte eine größere Anzahl von PatientInnen<br />

<strong>und</strong> Angehörigen <strong>und</strong> eine noch intensivere Vorbereitung<br />

in der Fokusgruppe gebraucht. Der<br />

dazu notwendige Zeitaufwand ist allerdings ohne<br />

Aufwandsentschädigung oder einen Anerkennungsbeitrag<br />

von ehrenamtlich engagierten<br />

Personen nicht zu verlangen.<br />

Die Mitarbeit der PatientInnen <strong>und</strong> Angehörigen<br />

hat klar gemacht, dass bei Verbesserungen im<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem die individuellen Bedürfnisse<br />

des Menschen, in der schwierigen Situation von<br />

Krankheit, im Mittelpunkt stehen sollen.<br />

Auch das sichtbar gewordene Autoritätsgefälle<br />

zwischen Professionellen <strong>und</strong> PatientInnen – das<br />

sich auch im Team der Projektbegleitung wiedergespiegelt<br />

hat – birgt große Lernchancen. Vor allem<br />

die Fragen: Wessen Position hat im Prozess mehr<br />

Gewicht – die rationale, fachliche Position des<br />

Managements <strong>und</strong> der VertreterInnen der Ges<strong>und</strong>heitsberufe<br />

oder die subjektiv <strong>und</strong> emotional<br />

geprägte Betroffenenposition? Und: Wie sind<br />

diese zwei Positionen – vom ärztlichen Anamnesegespräch<br />

bis zur Gesamtplanung der Strukturen<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens – miteinander vereinbar?<br />

Fragen, die unter Berücksichtigung aller Interessen<br />

der im Ges<strong>und</strong>heitssystem Beteiligten beantwortet<br />

werden müssen.<br />

Die Erfahrung aus dem Modellprojekt zeigt, dass<br />

ein direkter Austausch zwischen PatientInnen/Angehörigen<br />

<strong>und</strong> Professionellen zu gegenseitigem Verste-


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Arbeit der Fokusgruppe Patientinnen/Angehörige<br />

im Modellprojekt „PatientInnenorietierte integrierte<br />

Krankenbetreuung (in Wien 14.-17. Bezirk)“<br />

(aus Sicht der Projektbegleitung <strong>und</strong> der Fokusgruppen-Mitglieder)<br />

Das Projekt<br />

hen, Problemlösungen, <strong>und</strong> Verbesserungen beiträgt.<br />

Ernst gemeinte PatientInnenbeteiligung<br />

bedarf aber gezielter Investitionen.<br />

Investitionen die zum Nutzen aller im Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

Beteiligten beitragen.<br />

Gabi Absenger, Horst Achatz,<br />

Hans Peter Berger, Walter Doerfler,<br />

Beate Greiner, Peter Herold, Elfriede Houschka,<br />

Elisabeth Kahnert, Andreas Keclik,<br />

Johann Rotter, Franz Schiener,<br />

Christine Schnaubelt, Erich Wolfrum<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 10


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Autonomie <strong>und</strong> Aufklärung<br />

Das Projekt<br />

Das Recht der Patienten auf Autonomie <strong>und</strong><br />

auf Mitbestimmung im medizinischen Betreuungsprozess<br />

<strong>und</strong> deren Bedeutung <strong>für</strong> eine moderne<br />

<strong>Medizin</strong> wird immer zu Zeiten von Projekten hervorgehoben<br />

<strong>und</strong> betont.<br />

Wie aber sieht es in der Realität aus? Wie<br />

kann die Patientenautonomie gestärkt werden?<br />

Und welche strukturellen Veränderungen sind<br />

notwendig? Der vorliegende Artikel wird versuchen<br />

aus den Projekterfahrungen heraus auf diese<br />

Fragen Antworten zu geben.<br />

Das Thema Patientenbeteiligung in der <strong>Medizin</strong><br />

entsteht vor dem Hintergr<strong>und</strong> von Emanzipation<br />

<strong>und</strong> Demokratisierung der Gesellschaft. Es entsteht<br />

aus einem Unbehagen der Patienten, aus einem<br />

Gefühl des Ausgeliefertseins <strong>und</strong> der mangelnden<br />

Kontrolle über zutiefst einschneidende Vorgänge<br />

im Leben der Patienten. Nach wie vor, <strong>und</strong> allen<br />

Beteuerungen zum Trotz, besteht bei den Professionellen<br />

in der <strong>Medizin</strong> eine paternalistische Sicht<br />

wie Therapie <strong>und</strong> Betreuung zu gestalten sind. Aus<br />

dieser Gr<strong>und</strong>haltung erwächst ein Unvermögen<br />

geplante Vorgänge klar <strong>und</strong> verständlich darzustellen<br />

oder auch die Bedeutung von Krankheit,<br />

Behinderung <strong>und</strong> Therapie <strong>für</strong> den Patienten<br />

zu verstehen.<br />

Mehr als bei anderen Erkrankungen sind Patienten<br />

mit Krebs sowohl durch die Diagnose, wie<br />

durch die Therapie in ihrer Lebensplanung <strong>und</strong><br />

Lebensführung beeinträchtigt. Die Notwendigkeit,<br />

Therapien in geplanten zeitlichen Abläufen <strong>und</strong><br />

nach fixen standardisierten Schemata durchzuführen,<br />

erfordert ein hohes Maß an Akzeptanz<br />

<strong>und</strong> Mitarbeit durch die Patienten.<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 11<br />

Ziel der Patientenbeteiligung am Betreuungsprozess<br />

soll die aktive Teilnahme von Patienten an<br />

den ärztlichen <strong>und</strong> pflegerischen Maßnahmen <strong>und</strong><br />

die bewusste <strong>und</strong> informierte Zustimmungen oder<br />

Ablehnung von therapeutischen Handlungen sein.<br />

Diese aktive Rolle im Ges<strong>und</strong>heitsprozess setzt<br />

schon wesentlich früher an, nämlich im verantwortungsvollen<br />

Umgang mit der eigenen Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> betrifft daher die Bereiche der Prävention,<br />

der Früherkennung <strong>und</strong> der Lebensstilführung.<br />

Auf diese Aspekte der Beteiligung an<br />

Ges<strong>und</strong>heitsprozessen im Rahmen der primären<br />

Prävention kann hier nicht eingegangen werden.<br />

Information über Prävention <strong>und</strong> Lebensstilführung<br />

sind jedoch von besonderer Bedeutung<br />

im Zusammenhang mit Selbsthilfegruppen <strong>und</strong><br />

Patientenvertretungen, die eine wesentliche Rolle<br />

in der Patientenbeteiligung an Behandlungsprozessen<br />

spielen.<br />

Moderne medizinische Betreuung ist ohne<br />

die Einbeziehung von Selbsthilfegruppen <strong>und</strong><br />

Ehrenamtlichen Mitarbeitern, die spezifische<br />

Betreuungsaufgaben übernehmen, nicht denkbar.<br />

Das vielfältige Wissen <strong>und</strong> die Erfahrungen, die in<br />

Selbsthilfegruppen vorhanden sind, können, wenn<br />

sie den <strong>Institut</strong>ionen zur Verfügung gestellt<br />

werden, zur Entwicklung patientenorientierter<br />

Behandlungs- <strong>und</strong> Betreuungspfade beitragen.<br />

Professionelle werden daher, wie es in Teilen dieses<br />

Projektes versucht wurde, in zunehmendem Maße<br />

Wege suchen müssen, um in der Zusammenarbeit<br />

mit Selbsthilfegruppen, dieses Wissen zu erschließen<br />

<strong>und</strong> verfügbar zu machen.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Autonomie <strong>und</strong> Aufklärung<br />

Das Projekt<br />

Patientenorientierte Betreuung bedeutet zu<br />

allererst Wahrnehmen der Ängste <strong>und</strong> Bedürfnisse<br />

der Patienten <strong>und</strong> Aufklärung über Diagnose,<br />

Therapie <strong>und</strong> erwarteten Verlauf. Aus den Besonderheiten<br />

bei onkologischen Erkrankungen heraus<br />

wurde im Rahmen des Teilprojektes<br />

„Diagnosespezifische Krankenbetreuung“ der<br />

patientenorientierten Aufklärung besonderes<br />

Augenmerk geschenkt.<br />

Aus juridischer Sicht bedarf selbst der medizinisch<br />

indizierte Heileingriff in die körperliche<br />

Integrität des Patienten der Einwilligung. Dies folgt<br />

aus dem Persönlichkeits- <strong>und</strong> Selbstbestimmungsrecht<br />

des Patienten. Wenn der Heileingriff<br />

nicht von einer wirksamen Einwilligung gedeckt ist,<br />

so ist er rechtswidrig. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist eine solche<br />

Einwilligung nur dann rechtskräftig, wenn der<br />

Patient darüber, worin er einwilligt vollständig <strong>und</strong><br />

umfassend aufgeklärt ist. Denn der Patient kann<br />

nur dann wirksam einwilligen, wenn er die ärztliche<br />

Maßnahme kennt <strong>und</strong> gegebenenfalls die Gefahren,<br />

die sich mit ihr verbinden. Außerdem müssen die<br />

Alternativen bekannt sein <strong>und</strong> im Falle von Unheilbarkeit,<br />

wie sie bei onkologischen Erkrankungen<br />

häufig ist, auch der Verlauf bei Therapieunterlassung.<br />

Über diesen juridischen Aspekt hinaus zeigt<br />

die Praxis, dass umfassendes Wissen Angst <strong>und</strong><br />

Hilflosigkeit <strong>und</strong> das Gefühl der Abhängigkeit<br />

reduzieren. Gleichzeitig verbessert eine umfassende<br />

Information die Akzeptanz <strong>und</strong> die<br />

Mitarbeit am Betreuungsprozess. Nicht zuletzt<br />

haben klare Informationen <strong>für</strong> alle an der<br />

Betreuung beteiligten Personen, also Patienten,<br />

Pflegepersonen <strong>und</strong> Ärzte, eine Verbesserung der<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 12<br />

Kommunikation <strong>und</strong> damit einen optimierten<br />

Ablauf des Behandlungsprozesses zur Folge.<br />

Das fehlende Wissen um die Krankheitssituation,<br />

um das weitere diagnostische <strong>und</strong> therapeutische<br />

Vorgehen <strong>und</strong> um die Auswirkungen<br />

auf das tägliche Leben wurde von Patienten in den<br />

ersten Befragungen als besonders belastend<br />

angegeben. Daher wurde im vorliegenden Projekt<br />

<strong>für</strong> Patienten mit onkologischer Diagnose eine<br />

verbesserte <strong>und</strong> dokumentierte Aufklärung etabliert.<br />

Als Eckpunkte dieser patientenorientierten<br />

Aufklärung wurden unter anderem die Nominierung<br />

eines verantwortlichen Arztes, die Information<br />

über wesentliche diagnostische <strong>und</strong> therapeutische<br />

Aspekte außerhalb der Routinevisite<br />

<strong>und</strong> eine schriftliche Protokollierung des Gesprächsinhaltes<br />

<strong>für</strong> den Patienten umgesetzt.<br />

Erste Erfahrungen zeigen, dass diese Maßnahmen<br />

von den Patienten sehr gut angenommen<br />

werden. Patienten sind oftmals nicht in der Lage die<br />

Fülle an Information, die im Zusammenhang mit<br />

Aufklärung über Diagnose, Therapie <strong>und</strong> Prognose<br />

gegeben wird zu fassen. Die Gesprächsprotokollierung,<br />

bei der die wesentlichen Aspekte nochmals<br />

schriftlich ausgehändigt werden, erlaubt es dem<br />

Patienten das Gespräch auch zu einem späteren<br />

Zeitpunkt nochmals nachzuvollziehen.<br />

Die Aufklärung außerhalb der Visite unterstreicht<br />

die Individualisierung der Zuwendung<br />

<strong>und</strong> gibt Raum, um auf persönliche Aspekte des<br />

Patienten besonders einzugehen. Auf diese Weise<br />

können auch Angehörige <strong>und</strong> bei Wunsch auch<br />

Pflegepersonen in das Gespräch eingeb<strong>und</strong>en<br />

werden.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Autonomie <strong>und</strong> Aufklärung<br />

Das Projekt<br />

Gerade an dieser, von Patienten besonders geschätzten<br />

Maßnahme, werden jedoch auch die<br />

Limitationen der Umsetzung im Routinebetrieb<br />

deutlich, die in neu zu schaffenden räumlichen<br />

Strukturen <strong>und</strong> vor allem in fehlenden zeitlichen<br />

<strong>und</strong> personellen Ressourcen bestehen.<br />

Dies wird die Herausforderung <strong>für</strong> die tägliche<br />

Umsetzung der Maßnahmen sein. Die Bearbeitung<br />

des Komplexes „Patientenorientierten Aufklärung“<br />

im Rahmen des Projektes hat den Umgang mit<br />

diesem Thema an der 1. <strong>Medizin</strong>ischen Abteilung<br />

bereits verändert.<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 13<br />

Wir sind davon überzeugt, dass erfolgreiche<br />

medizinische Behandlung <strong>und</strong> qualitätvolle<br />

pflegerische Betreuung ohne Kooperation von<br />

Patienten nicht möglich ist. Diese Kooperation<br />

kann jedoch nur von informierten <strong>und</strong> vollständig<br />

in den Behandlungsprozess integrierten Patienten<br />

erbracht werden.<br />

Die Umsetzung der Erfahrungen aus dem<br />

Projekt wird unsere Aufgabe in den nächsten<br />

Monaten sein.<br />

Dr. Clemens Leitgeb<br />

1. <strong>Medizin</strong>ische Abteilung<br />

Wilhelminenspital


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

Patienten an die Macht!<br />

Die Abwandlung eines Liedtitels von Herbert<br />

Grönemeyer kommt mir öfter in den Sinn, wenn<br />

über PatientInnenbeteiligung <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

diskutiert wird. Nun ist es so, dass die<br />

Forderung, Patienten an die Macht kommen zu<br />

lassen derzeit noch nicht durchsetzbar ist. So eine<br />

Forderung ist visionär, revolutionär, naiv <strong>und</strong><br />

blauäugig, aber sie könnte zum Ausgangspunkt von<br />

Überlegungen über eine neue Rolle von Patienten in<br />

den vorhandenen oder auch zukünftigen Ges<strong>und</strong>heitsstrukturen<br />

sein. Das Einbringen eines neuen<br />

potenten Mitspielers im Ges<strong>und</strong>heitsbereich bringt<br />

zusätzliche Unruhe in die laufende Diskussion <strong>und</strong><br />

wird bei manchen (im bestehenden System gut verankerten<br />

Interessengruppen) auch Widerstand hervorrufen.<br />

Wenn aber nunmehr die Chance <strong>für</strong> eine<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche (<strong>und</strong> ich hoffe eine bessere als die<br />

bisherige) Neuordnung des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

besteht, sollte auch die Patientenposition in diesen<br />

neuen Strukturen überdacht <strong>und</strong> verstärkt werden.<br />

Patientenorientierung als Auftrag!<br />

Jede Ges<strong>und</strong>heitsreform stellt den Patienten in den<br />

Mittelpunkt <strong>und</strong> postuliert ein Orientieren an den<br />

Bedürfnissen dieser Patienten. Es ist ja wohl auch<br />

logisch, dass die Einrichtungen des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

<strong>und</strong> die geplante Reformen <strong>für</strong> den Patienten<br />

gemacht werden <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Die<br />

Strukturen <strong>und</strong> Dienstleistungen müssen sich vor<br />

allem an den Bedürfnissen der Patienten orientieren<br />

<strong>und</strong> nicht an den Bedürfnissen der <strong>Institut</strong>ionen.<br />

Das ist zwar leicht gesagt – in der Praxis<br />

zeigt sich aber manchmal, dass andere Interessen<br />

als die der Patienten gewichtiger sind, daher als<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 14<br />

Priorität gesehen werden, viel eher berücksichtigt<br />

werden <strong>und</strong> sich dann auch durchsetzen; seien es<br />

Interessen anderer Berufsgruppen im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

oder strukturpolitische Interessen oder<br />

einfach die Arbeitsmarkt oder Regionalpolitik.<br />

Ein moderner Staat muss selbstverständlich verschiedene<br />

Interessen wahrnehmen, berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> ausgleichen. Um ein ausgewogenes<br />

Verhältnis vorzufinden <strong>und</strong> damit Chancengleichheit<br />

innerhalb der verschiedenen Interessengruppen<br />

zu ermöglichen, muss aber den<br />

Betroffenen selbst die Möglichkeit gegeben werden,<br />

ihre eigenen Interessen vertreten zu können.<br />

Die Vorgabe von Patientenorientierung als wichtigem<br />

Ziel ist vollkommen richtig <strong>und</strong> absolut<br />

notwendig. Wie kann dieses Ziel aber erreicht<br />

werden? Genügt es wohlgesonnenes Personal zu<br />

haben <strong>und</strong> dann wird schon das „Beste“ <strong>für</strong> die<br />

Patienten gemacht? Woher wissen die, die guten<br />

Willens sind (<strong>und</strong> das ist die überwiegende Mehrheit<br />

des Personals <strong>und</strong> der Akteure im Ges<strong>und</strong>heitswesen),<br />

was das „Beste“ ist? Der einfachste Weg<br />

dazu ist wohl die Einbeziehung des Patienten.<br />

Denn wer kann schon sagen was <strong>für</strong> einen Patienten<br />

richtig ist, wenn nicht der Patient selbst.<br />

Diese Einbeziehung darf sich aber nicht darauf<br />

beschränken, den Patienten zuzuhören, sondern<br />

es müssen Möglichkeiten gef<strong>und</strong>en werden Patienten(-vertreter)<br />

aktiv in Entscheidungsprozesse<br />

einzubeziehen <strong>und</strong> sie dort auch mitentscheiden<br />

zu lassen.<br />

Alter Wein in neuen Schläuchen?<br />

Der Begriff „Paternalismus“ ist heute ein Unwort<br />

<strong>und</strong> es gibt niemanden der ein paternalistisches


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

Konzept ernsthaft <strong>und</strong> vor allem offen vertreten<br />

würde.<br />

Das Konzept des Paternalismus, also der Fremdbestimmung<br />

aus der einzigen Legitimation, dass<br />

man es als Experte ja gelernt (studiert) hat <strong>und</strong><br />

daher besser weiß, was <strong>für</strong> den Patienten gut ist,<br />

ist gefährlich. Es führt konsequent dazu, Patienten<br />

erst gar nicht einzubeziehen <strong>und</strong> schon gar nicht<br />

mitentscheiden zu lassen. Die Motivation ist allerdings<br />

durchaus ehrenhaft, denn der Therapeut will<br />

dem Patienten helfen <strong>und</strong> das beste <strong>für</strong> die Patienten<br />

erreichen. Eine solche Geisteshaltung ist<br />

nach wie vor in vielen Köpfen unbewusst fest<br />

verankert.<br />

Der moderne Paternalismus (mit neuem Antlitz)<br />

feiert fröhliche Urstände. So war kürzlich in einem<br />

Interview in der Ärztewoche 1 zur Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

von einem hohen Vertreter der Ärztekammer<br />

als Kernaussage zu lesen:<br />

„Wir Ärzte sind die besten Anwälte unserer jetzigen<br />

<strong>und</strong> künftigen Patienten“.<br />

Dies <strong>und</strong> ähnliches ist immer wieder zu lesen<br />

<strong>und</strong> zu hören. Das Durchsetzen von eigenen Interessen<br />

ist zwar legitim, aber leider oft schwer, weil<br />

dann sofort Widerstand entsteht. Um wie vieles ist<br />

es da leichter <strong>und</strong> weniger angreifbar, wenn es<br />

gelingt, Patienteninteressen als Begründung vorzuhalten,<br />

um eigene Interessenpolitik hinter<br />

Patienteninteressen zu verbergen. Wer kann sich<br />

schon gegen Vorschläge wehren, die ja nur im<br />

Interesse <strong>und</strong> zum Wohl der Patienten erfolgen.<br />

Für mich ist dieses Vorschieben von Patienteninteressen<br />

vor eigene Interessen einer<br />

Berufsgruppe <strong>und</strong> damit das „Tarnen <strong>und</strong><br />

Vernebeln“ der eigentlichen Ziele nur eine neue,<br />

2 Ärztewoche vom 16.Juni 2004, Seite 2<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 15<br />

zeitgerechte Form des „Paternalismus pur“.<br />

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es ist<br />

nicht mein Ziel ausgestreckte Hände <strong>und</strong> Unterstützungsangebote<br />

zur Zusammenarbeit auszuschlagen.<br />

Patienten brauchen selbstverständlich<br />

Unterstützung von allen Seiten. Patienten brauchen<br />

aber keine selbsternannten Vertreter, deren Hauptaufgabe<br />

(durch Gesetz auch so definiert) die eigene<br />

Interessendurchsetzung ist.<br />

In diesem Zusammenhang noch ein Exkurs:<br />

Salus versus voluntas!<br />

Der klare Trend der letzten Jahre geht daher<br />

– zumindest auf der untersten strukturellen Ebene<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens, nämlich dem Verhältnis<br />

Patient/Therapeut – den Weg von der Fremdbestimmung<br />

zur Selbstbestimmung. Wenn also<br />

die Frage gestellt wird: was wiegt mehr, das (von<br />

anderen beurteilte <strong>und</strong> bestimmte) Wohl oder der<br />

Wille des Patienten, dann ist die eindeutige<br />

Antwort: der Wille des Patienten geht vor!<br />

Was der konkrete Patient im Behandlungsprozess<br />

will (bei vorausgesetzter Einsichts- <strong>und</strong> Urteilsfähigkeit)<br />

kann nur er selbst entscheiden <strong>und</strong><br />

niemand sonst.<br />

Dieses Konzept bedeutet natürlich nicht unbeschränkte<br />

Willkür <strong>und</strong> damit die „Versklavung“ der<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufe, sondern dies muss im Sinne<br />

eines partnerschaftlichen <strong>und</strong> gleichberechtigten<br />

Miteinander verstanden werden. Beide Partner<br />

haben Rechte <strong>und</strong> Pflichten, beide haben das Recht<br />

auf respektvollen Umgang, beide haben das Recht<br />

auf Würde.<br />

Patientenorientierung <strong>und</strong> die Einbeziehung<br />

der Patienten bedeutet <strong>für</strong> mich: das Wissen des<br />

„Experten“ soll dem Patienten in einer verständ-


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

lichen <strong>und</strong> aufbereiteten Form zur Verfügung<br />

gestellt werden, bei gleichzeitiger Aufnahme <strong>und</strong><br />

Berücksichtigung der Bedürfnisse der Patienten.<br />

Letzendlich hat der Patient die Entscheidung zu<br />

treffen, was mit seinem Körper zu geschehen hat.<br />

Diese Entscheidung ist auch zuzulassen <strong>und</strong> zu<br />

respektieren.<br />

Für Menschen, die in Ges<strong>und</strong>heitsberufen tätig<br />

sind, bedeutet dies nicht ein Weniger an Verantwortung,<br />

sondern – im Gegenteil – ein Mehr an<br />

Verantwortung, vor allem aber: eine andere Art der<br />

Übernahme <strong>und</strong> des Umganges mit Verantwortung:<br />

den Patienten zur eigenen Entscheidung zu unterstützen<br />

bzw. zu befähigen.<br />

Der Weg der Zukunft: Partizipation<br />

„Participare“ 2 bedeutet „teilnehmen lassen“, „teilen“<br />

<strong>und</strong> „teilhaben“. Das Wort ist daher gut geeignet,<br />

die Richtung einer qualitätvollen Weiterentwicklung<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens zu definieren.<br />

Dieses Wort zeigt, dass es nicht darum geht,<br />

die andere Akteure des Ges<strong>und</strong>heitswesens aus den<br />

Machtstrukturen zu verdrängen oder diese zu beschneiden,<br />

sondern eine Einbeziehung – also zumindest<br />

eine Teilnahme von Patienten- erfolgen soll.<br />

Es geht also nicht um „Machtspielchen“ oder<br />

Machtkämpfe sondern darum, ein strukturiertes<br />

<strong>und</strong> ausgewogenes Miteinander auf gleichberechtigter<br />

Ebene zu schaffen.<br />

Bestandsaufnahme<br />

Die derzeitige Situation zeigt bereits erste Ansätze<br />

von einem „Teilnehmen lassen“. Die Patienten<br />

finden auch jetzt durchaus schon Möglichkeiten<br />

2 Zitat aus: „Der kleine Stowasser“<br />

3 Die Arbeitsgemeinschaft der Patientenanwälte (ARGE PA) ist eine freiwillige<br />

Zusammenarbeit aller Patientenanwaltschaften in Österreich, mit<br />

einem gewählten Sprecher <strong>für</strong> eine Periode von zwei Jahren. Ziele der<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 16<br />

<strong>und</strong> Wege vor, ihre Anliegen in die Ges<strong>und</strong>heitsstruktur<br />

einzubringen.<br />

Solche Ansätze sehe ich vor allem in folgenden<br />

Bereichen:<br />

1. Die Existenz von Selbsthilfegruppen <strong>und</strong><br />

vor allem von Dachverbänden der Selbsthilfeorganisationen.<br />

2. Die gesetzliche Einrichtung von Patientenanwaltschaften<br />

<strong>und</strong> vor allem die b<strong>und</strong>esweite<br />

Zusammenarbeit im Rahmen der ARGE PA 3 .<br />

3. Die derzeit vorhandene Mitarbeit in verschiedenen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsstrukturen, zB:<br />

1 Strukturkommission des B<strong>und</strong>es (Vertreter<br />

ARGE PA)<br />

1 Transplantationsbeirat (Vertreter SHG<br />

<strong>und</strong> ARGE PA)<br />

1 Landesfonds (Vertreter PA)<br />

1 Landessanitätsrat (Vertreter PA)<br />

1 Qualitätssicherungskommissionen<br />

auf Landesebene (Vertreter PA)<br />

1 Ethikkommissionen (Vertreter SHG <strong>und</strong> PA)<br />

1 Entschädigungskommissionen (Vertreter PA<br />

<strong>und</strong> teilweise SHG)<br />

Diese Beteiligungen sind aber (vor allem) auf<br />

Landesebene von B<strong>und</strong>esland zu B<strong>und</strong>esland sehr<br />

unterschiedlich <strong>und</strong> nur schwer zu vergleichen.<br />

Intensität der Partizipation<br />

Die Partizipation kann in verschieden<br />

starker Intensität eingerichtet sein.<br />

Durch das Recht auf:<br />

1 (passive) Teilnahme<br />

1 Beratung<br />

1 Mitentscheidung<br />

ARGE PA sind ua eine b<strong>und</strong>esweite Vertretung der Patienteninteressen<br />

<strong>und</strong> eine Koordination <strong>und</strong> Zusammenarbeit der Patientenanwaltschaften<br />

um gemeinsame Anliegen effektiver durchsetzen können.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

Teilnahme: Die schwächste Beteiligungsform ist<br />

wohl das Recht auf bloße Teilnahme, also bloße<br />

Anwesenheit bei der Diskussion bzw. der Abstimmung<br />

in den verschiedenen Entscheidungsgremien.<br />

Freilich ist dieses Beteiligungsrecht nicht als gering<br />

oder unnötig einzuschätzen, denn es verschafft den<br />

Teilnehmern wichtige Informationen, zu denen sie<br />

sonst gar keinen Zugang hätten. Weiters zeigt sich<br />

immer wieder in den Diskussionsprozessen, dass<br />

die bloße Anwesenheit eines Patientenvertreters<br />

oftmals genügt Sensibilität entstehen zu lassen,<br />

damit die Interessen der Patienten besser wahrgenommen<br />

<strong>und</strong> berücksichtigt werden.<br />

Beratung: Zu dem Recht auf Teilnahme kommt das<br />

Recht, aktiv an der Diskussion teilzuhaben. Damit<br />

ist es möglich, das Wissen <strong>und</strong> die Erfahrungen als<br />

Patientenvertreter <strong>und</strong> das spezielle „know how“<br />

einzubringen. Spätere Entscheidungen können<br />

daher wesentlich beeinflusst werden, weil Aspekte,<br />

die früher nicht einfließen <strong>und</strong> daher auch nicht<br />

berücksichtigt werden konnten, nunmehr zu einer<br />

umfassenderen Betrachtung führen. Das Feedback<br />

der Patientenvertreter bewirkt, dass die Betroffenen<br />

über ihre Vertreter selbst artikulieren<br />

können, was ihrer Meinung nach das „Beste“<br />

<strong>und</strong> das „Wohl“ ist.<br />

Diese Form der Partizipation ist derzeit b<strong>und</strong>es<strong>und</strong><br />

landesweit am häufigsten vorgesehen.<br />

Mitentscheidung: Das ist wohl die stärkste Form<br />

der Beteilung. Sie bewirkt den größten Einfluss,<br />

bedeutet aber auch eine sehr hohe Verantwortung.<br />

In diesem Zusammenhang ergibt sich die noch<br />

ungeklärte Frage , in welcher Form <strong>und</strong> wem<br />

4 Das Leitbild der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft lautet:<br />

„Von den Patienten lernen“.<br />

gegenüber sich die Patientenvertreter zu<br />

verantworten haben.<br />

Hier ist derzeit die geringste Einbeziehung<br />

festzustellen. Ich denke aber, dass dies der Weg<br />

der Zukunft sein wird <strong>und</strong> sein muss.<br />

Partizipation auf den verschiedenen Ebenen<br />

Die Partizipation ist auf verschiedenen Ebenen<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens denkbar <strong>und</strong> möglich:<br />

1 Patient- Therapeut<br />

1 Patient- Krankenhaus<br />

1 Patient- Rechtsträger des Krankenhauses<br />

1 Patient-Landesebene<br />

1 Patient- B<strong>und</strong>esebene<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 17<br />

Patient - Therapeut<br />

Auf der untersten strukturellen Ebene (Patient -<br />

Therapeut) ist die Einbeziehung <strong>und</strong> Mitentscheidung<br />

wohl am intensivsten rechtlich verwirklicht<br />

<strong>und</strong> gesetzlich bereits umgesetzt.<br />

Das Selbstbestimmungsrecht hat sowohl in der<br />

Patientencharta als auch in den einzelnen B<strong>und</strong>es<strong>und</strong><br />

Landesgesetzen einen zentralen Stellenwert.<br />

Im Behandlungsprozess ist auch keine eigentliche<br />

Vertretung (Beratung <strong>und</strong> Information natürlich<br />

schon) durch Patientenvertretungen notwendig,<br />

da der Patient selbst zu entscheiden hat.<br />

Aus dieser Ebene erhalten die Patientenvertreter<br />

die meisten Informationen von den Patienten.<br />

Aus diesem Bereich stammt das Wissen<br />

darum 4 , was die Patienten wahrnehmen, was ihnen<br />

wirklich ein Anliegen ist <strong>und</strong> was sie brauchen.<br />

So können die Vertreter dann in den höheren<br />

Ebenen der Ges<strong>und</strong>heitsstrukturen effektiv <strong>und</strong><br />

im Sinne <strong>und</strong> Auftrag der Patienten tätig werden.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

Patient-Krankenhaus<br />

Auf dieser Ebene ist noch wenig Aktivität festzustellen.<br />

Ein möglicher Ansatzpunkt könnte sein,<br />

dass – ausgehend <strong>und</strong> unterstützt von Ombudsstellen<br />

des Krankenhauses 5 – Patientenvertretungen<br />

eingerichtet werden, die von Selbsthilfegruppen<br />

beschickt werden.<br />

Patient-Rechtsträger (KH Holding)<br />

Patientenvertretungen könnten hier bei gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Entscheidungen, die ein oder mehrere<br />

Krankenhäuser betreffen, einbezogen werden.<br />

Patient-Landesebene<br />

Auf dieser Ebene könnten typischerweise landesweite<br />

Dachverbände von Selbsthilfegruppen oder<br />

auch Patientenanwälte in die verschiedenen Strukturen<br />

aufgenommen werden (in einigen B<strong>und</strong>esländern<br />

ist dies bereits auf Beratungsebene gegeben).<br />

Patient-B<strong>und</strong>esebene<br />

Auf der höchsten strukturellen Ebene des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

kann ein b<strong>und</strong>esweiter Dachverband<br />

der Selbsthilfegruppen oder auch die ARGE PA<br />

einbezogen werden (ist auf Beratungsebene bereits<br />

in einigen Bereichen gegeben).<br />

Damit nun zur eigentlichen Kardinalfrage:<br />

Wer soll die Patienten vertreten?<br />

Patient sein ist meist (ausgenommen chronisch<br />

Kranke) ein Zustand von zeitlich begrenzter Dauer.<br />

Was heute <strong>für</strong> einen Menschen als Patient noch von<br />

existentieller Bedeutung ist, kann morgen <strong>für</strong> den<br />

gleichen Menschen, der nunmehr ges<strong>und</strong> ist, mehr<br />

5 Siehe das Projekt „Netzwerk Ombudsstellen“ der NÖ Patienten-<br />

<strong>und</strong> Pflege-anwaltschaft, nachzulesen auf www.patientenanwalt.com<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 18<br />

oder weniger unwichtig sein. Der ehemalige Patient<br />

wird sich dann auch meist nicht mehr engagieren<br />

wollen oder können.<br />

Es müssen also Strukturen vorhanden sein,<br />

die unabhängig von der Betroffenheit im jeweiligen<br />

Lebensabschnitt solche Patientenanliegen aufnehmen<br />

<strong>und</strong> kontinuierlich <strong>und</strong> beständig<br />

vertreten.<br />

Solche Strukturen können vollkommen neu aufgebaut<br />

werden (dies ist nicht realistisch) zB unter<br />

dem Gesichtspunkt einer demokratisch legitimierten<br />

<strong>und</strong> damit gewählten Patientenvertretung oder<br />

man kann auf Vorhandenem <strong>und</strong> bereits Entstandenem<br />

aufbauen, was mir persönlich realistischer<br />

erscheint.<br />

Zwei bereits vorhandene Interessenvertretungen<br />

<strong>für</strong> Patienten bieten sich an:<br />

1 Selbsthilfegruppen<br />

1 Patientenanwälte<br />

Patientenanwälte<br />

als Interessenvertreter von allen Patienten sind<br />

indirekt demokratisch legitimiert, nämlich durch<br />

die Einrichtung aufgr<strong>und</strong> von Gesetzen (Landesgesetze<br />

<strong>und</strong> der Patientencharta 6 ).<br />

Selbsthilfegruppen<br />

(als Vereine eingerichtet) beziehen die Berechtigung<br />

zur Vertretung von Patienten von ihren Vereinsmitgliedern.<br />

Streng genommen haben sie nur die<br />

Berechtigung <strong>für</strong> ihre Mitglieder zu sprechen, nicht<br />

aber <strong>für</strong> alle anderen Patienten, die keine Vereinsmitglieder<br />

sind.<br />

Hier zeigt sich auch manchmal ein Spannungsverhältnis<br />

<strong>und</strong> Konfliktpotential, denn es sind oft<br />

6 Ich weiß, dass die Patientencharta kein Gesetz, sondern ein Staatsvertrag<br />

ist; dies erscheint mir aber im gegenständlichen Kontext unbedeutend.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Visionen von PatientInnenbeteiligung<br />

aus der Sicht der NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwaltschaft<br />

Gastbeiträge<br />

<strong>für</strong> ein <strong>und</strong> diesselbe Krankheit mehrere Selbsthilfegruppen<br />

tätig. Wer soll dann in die Entscheidungsstrukturen<br />

einbezogen werden? Alle,<br />

oder etwa die SHG mit den meisten Mitgliedern?<br />

Die größte Stärke von SHG ist die Mitarbeit von<br />

engagierten Menschen, die unmittelbar betroffen<br />

sind <strong>und</strong> großes Wissen <strong>und</strong> Erfahrung mit einer<br />

Krankheit <strong>und</strong> damit auch den Ges<strong>und</strong>heitseinrichtungen<br />

einbringen können.<br />

Dieses Wissen bezieht sich auf eine bestimmte<br />

Krankheit oder Krankheitsgruppe, aber je höher<br />

die Beteiligungsebene, desto mehr wird von einer<br />

einzelnen Krankheit zu abstrahieren sein. Darüberhinaus<br />

bringt ein dauernder Wechsel der<br />

spezialisierten Vertreter nicht die <strong>für</strong> eine<br />

erfolgreiche Arbeit in den Ges<strong>und</strong>heitsstrukturen<br />

erforderliche Kontinuität <strong>und</strong> Professionalität.<br />

Ein Ausweg ist die Einrichtung von Dachverbänden<br />

auf Landes- <strong>und</strong> eines Dachverbandes auf<br />

B<strong>und</strong>esebene. Diese beziehen ihre Berechtigung<br />

zur Vertretung von Patienten aus der demokratischen<br />

Wahl durch die einzelnen SHG auf<br />

Landesebene bzw. auf B<strong>und</strong>esebene aus den<br />

Wahlen durch die Landesdachverbände. Freilich<br />

wird hier ein Weniger an Betroffenheit durch ein<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 19<br />

absolut notwendiges Mehr an Kontinuität <strong>und</strong><br />

Professionalität ersetzt.<br />

Mein Resumee lautet dahingehend, dass beide<br />

bestehenden Interessenvertretungen<br />

(Selbsthilfgruppen <strong>und</strong> Patientenanwälte) parallel<br />

zueinander, aber mit verschiedenen Aufgaben,<br />

einbezogen werden sollen:<br />

Die einzelnen Selbsthilfegruppen als Vertreter<br />

<strong>und</strong> Profis „in der Krankheit“ jeweils auf den unteren<br />

Ebenen des Ges<strong>und</strong>heitswesens, die Dachverbände<br />

auf der Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esebene.<br />

Die Patientenanwälte bzw. die ARGE PA als Vertreter<br />

<strong>und</strong> Profis <strong>für</strong> den rechtlichen Bereich, das<br />

Beschwerdemanagement <strong>und</strong> ihrem Wissen <strong>und</strong><br />

ihren Erfahrungen in Hinblick auf die Ges<strong>und</strong>heitsinstitutionen<br />

auf Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esebene.<br />

Schlussbemerkung<br />

Dieser schriftliche Beitrag ist als erste gedankliche<br />

Reflexion der Praxis zu dem Thema PatientInnenbeteiligung<br />

gedacht. Ich verbinde damit die<br />

Hoffnung, einen wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten <strong>und</strong><br />

regen Auseinandersetzungsprozess zu beginnen.<br />

Dr. Gerald Bachinger<br />

NÖ Patienten- <strong>und</strong> Pflegeanwalt


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Bedeutung der Selbsthilfegruppen<br />

<strong>für</strong> das Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Gastbeiträge<br />

<strong>Medizin</strong>ische Selbsthilfegruppen sind Zusammenschlüsse<br />

von Betroffenen mit einem spezifischen<br />

Krankheitsbild, wie z.B. Brustkrebs, Morbus<br />

Bechterew, Diabetes mellitus, Migräne oder<br />

Menschen mit künstlichem Darmausgang, Halsatmer<br />

<strong>und</strong> viele andere mehr. Gelegentlich handelt<br />

es sich um Krankheitsbilder, die so schwerwiegend<br />

sind oder so früh auftreten, dass nicht die Betroffenen<br />

selbst eine Gruppe bilden können,<br />

sondern die Angehörigen die Initiative ergreifen:<br />

bei kindlichen Erkrankungen, wie zum Beispiel<br />

angeborenen Stoffwechselstörungen oder<br />

schweren angeborenen Herzerkrankungen, sind<br />

es die Eltern, bei Erkrankungen, die das gesamte<br />

soziale Gefüge innerhalb von Familien oder Partnerschaften<br />

massiv beeinflussen, sind es auch die<br />

Angehörigen, man denke an die Angehörigen von<br />

Alzheimererkrankten, von Alkoholkranken oder<br />

von Schlaganfallpatienten.<br />

Immer handelt es sich um definierte Krankheitsbilder,<br />

die <strong>für</strong> den Betroffenen eine lange<br />

andauernde Beeinträchtigung durch chronische<br />

Krankheit oder Behinderung bedeuten, eine Beeinträchtigung<br />

allerdings, die medizinisch-therapeutisch<br />

nicht ausgeheilt werden kann <strong>und</strong> <strong>für</strong> den<br />

Patienten eine Änderung seiner Lebensplanung,<br />

seiner Zukunft, seines persönlichen Schicksals<br />

bedeutet. Diese veränderte Situation bedeutet <strong>für</strong><br />

den Betroffenen aber auch, dass sein Alltag anders<br />

abläuft als jener von Nichtbetroffenen, dass er in<br />

vielerlei Hinsicht Nachteile erlebt, eingeschränkt<br />

ist <strong>und</strong> besondere Bedürfnisse entwickelt, dass er<br />

<strong>für</strong> die Umgebung „anders“ ist.<br />

Dieses Anderssein kann unterschiedlich ausgelebt<br />

werden: Manche Patienten ziehen sich<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 20<br />

zurück <strong>und</strong> leben sehr einsam <strong>und</strong> zurückgezogen,<br />

mit geringer Lebensqualität, sozialer Isolation <strong>und</strong><br />

passivem Erleben ihrer Krankheit. Manche werden<br />

durch ihre Erkrankung <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Erlebnisse ungeheuer stark <strong>und</strong> sagen der neuen<br />

Lebenssituation den Kampf an. Sie gründen eine<br />

Selbsthilfegruppe oder arbeiten aktiv darin mit.<br />

Eine dritte Gruppe wiederum versucht, zu Gleichbetroffenen<br />

Kontakte zu knüpfen, um zu sehen,<br />

wie andere mit der Erkrankung oder Behinderung<br />

umgehen <strong>und</strong> möglichst unauffällig <strong>und</strong> mit<br />

einigermaßen akzeptabler Lebensqualität leben.<br />

Primäres Ziel einer Selbsthilfegruppe ist es,<br />

Kontakte von Betroffenen mit Gleichbetroffenen<br />

zu fördern. Der Umgang mit Menschen, die gleiche<br />

Schicksale haben, vor denselben Problemen stehen<br />

<strong>und</strong> dieselben Gefühle empfinden, schafft große<br />

Verb<strong>und</strong>enheit, Vertrautheit, Verständnis <strong>und</strong><br />

erleichtert die Kommunikation ungemein. In der<br />

aktiven Auseinandersetzung um die Information<br />

über die Erkrankung, die Therapie, die Heilbehelfe<br />

oder die sozialen Probleme <strong>und</strong> Strukturen, die es<br />

gibt, wird der Wissensstand angehoben. Nicht<br />

umsonst heißt es, dass das Wissen des Einzelnen<br />

dem Wissen der gesamten Gruppe entspricht.<br />

Gerade bei seltenen Erkrankungen übertrifft das<br />

Wissen der Selbsthilfegruppe jenes der behandelnden<br />

<strong>Medizin</strong>er, Therapeuten <strong>und</strong> Pflegepersonen,<br />

weshalb man vom Patienten spricht, der zum „Experten<br />

<strong>für</strong> die eigene Erkrankung“ wird. Dieses<br />

Wissen wird durch die Gruppe erarbeitet <strong>und</strong><br />

weitergegeben, denn medizinische Selbsthilfegruppe<br />

pflegen enge nationale <strong>und</strong> internationale<br />

Kontakte zu Ärzten, Therapeuten, Pflegepersonen<br />

<strong>und</strong> Forschern, die sich eingehend mit dem spezi-


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Bedeutung der Selbsthilfegruppen<br />

<strong>für</strong> das Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Gastbeiträge<br />

fischen Krankheitsbild beschäftigen. Einem einzelnen<br />

Patienten würde dieses Wissen im medizinischen<br />

Routinebetrieb nicht zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Die Möglichkeiten im Bereich der sozialen Hilfen,<br />

Pflegegeld, Invaliditätspension, Selbstbehalte,<br />

Ansuchen, Förderungen, arbeitsrechtliche Faktoren,<br />

Befreiungen <strong>und</strong> vieles andere mehr, mit denen<br />

ein Patient konfrontiert wird, sind unübersichtlich<br />

<strong>und</strong> kaum durchschaubar. Erschwert durch organisatorische<br />

Hürden, bürokratische Strukturen, örtliche<br />

Hindernisse, Unzuständigkeiten, wenig<br />

Flexibilität, kapitulieren viele Patienten <strong>und</strong><br />

bleiben auf der Strecke. Noch gibt es kaum eine<br />

individuelle Betreuung eines chronisch kranken<br />

oder behinderten Patienten, bei welcher alle<br />

notwendigen Informationen konkret <strong>und</strong> umfassend<br />

<strong>für</strong> den betreffenden Fall vermittelt<br />

werden. Viele Patienten erleiden Nachteile, weil sie<br />

dieses Wissen nicht haben, denn – paradoxerweise<br />

– wird doch gerade von jenen, die körperlich,<br />

psychisch oder sozial geschwächt sind, verlangt,<br />

dass sie aktiv werden <strong>und</strong> sich selbst um die relevanten<br />

Informationen kümmern. In diesem Fall<br />

sind Selbsthilfegruppen eine unverzichtbare<br />

Informationsquelle, denn sie geben dieses Wissen<br />

an neu hinzukommende Patienten weiter.<br />

Unzählige Patienten berichten, dass sie die <strong>für</strong> sie<br />

notwendigen Informationen in der gesamten Breite<br />

erst in der Selbsthilfegruppe erfahren hätten. Hier<br />

füllen medizinische Selbsthilfegruppen ein Manko<br />

aus, welches durch andere <strong>Institut</strong>ionen des Ges<strong>und</strong>heits-<br />

<strong>und</strong> Sozialsystems in diesem Umfang<br />

nicht angeboten wird.<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 21<br />

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Selbsthilfegruppen<br />

ist jener der Prävention, <strong>und</strong> zwar<br />

sowohl der Sek<strong>und</strong>är-, als auch Tertiärprävention.<br />

Die Sensibilisierung <strong>für</strong> bestimmte Erkrankungen<br />

<strong>und</strong> Begleiterkrankungen führt zu einer Reduktion<br />

von Folgesymptomen, zu deren früherem<br />

Erkennen, zu einem abgeschwächtem Verlauf der<br />

Erkrankung. Dies sei an mehreren Beispielen<br />

erläutert: Die Gruppe der Morbus Bechterew-<br />

Patienten bietet ein regelmäßiges gemeinsames<br />

Turnen über das ganze Jahr hindurch an. Der Herzverband<br />

animiert zum Koronarturnen <strong>und</strong> gemeinsamen<br />

Wanderungen. Die Gruppe der Lymphödemerkrankten<br />

organisiert Lymphdrainagen mit<br />

mindestens 45-minütiger Therapie. Die Diabetiker-<br />

Selbsthilfegruppe schult z.B. ältere Leute noch<br />

gesondert im Umgang mit dem Insulin <strong>und</strong> der<br />

Handhabung mit dem Pen nach, usw. In allen Fällen<br />

wird den Patienten klar gemacht, dass Therapien<br />

konsequent eingehalten werden müssen, will man<br />

das Fortschreiten der Erkrankungen verringern<br />

oder stoppen. Die aktiven Mitglieder sehen es als<br />

ihre Aufgabe an, durch Vorbildwirkung <strong>und</strong> vorgelebter<br />

Disziplin den anderen Betroffenen zu<br />

zeigen, wie wichtig es ist, die medizinisch-therapeutischen<br />

Vorgaben einzuhalten. Mit dem Ergebnis,<br />

dass die Eigenverantwortung des Patienten<br />

steigt, dass die Selbstbestimmung über das Einhalten<br />

von Therapien zunimmt, dass die Lebensqualität<br />

zunimmt.<br />

Sehr oft werden notwendige Therapien nur beschränkt<br />

von den (leistbaren) <strong>Institut</strong>ionen des<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesens angeboten, bewilligt oder die<br />

angebotenen Therapiekapazitäten reichen gar nicht<br />

aus. Oder Maßnahmen werden empfohlen, ohne


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die Bedeutung der Selbsthilfegruppen<br />

<strong>für</strong> das Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Gastbeiträge<br />

eine konkrete Möglichkeit der Umsetzung anzubieten.<br />

Hier sorgen medizinische Selbsthilfegruppen<br />

<strong>für</strong> ein verbessertes Angebot. Es macht<br />

wenig Sinn, einem stressgeplagten, übergewichtigen<br />

Herzinfarktpatienten zu sagen, dass er in Zukunft<br />

gesünder leben soll, ohne ihm die konkrete<br />

Hilfestellung <strong>und</strong> Umsetzung dazu anzubieten, wie<br />

er das persönlich in seinem Leben auch umsetzen<br />

kann. Das aber tun Selbsthilfegruppen. Mit großer<br />

Geduld <strong>und</strong> viel Zeit, Einfühlungsvermögen <strong>und</strong><br />

Verständnis, in einem Umfang, der in einem Routinebetrieb<br />

niemals möglich ist. Mit dem zusätzlich<br />

vorgelebten Beispiel, dass man mit einem chronischen<br />

Leiden oder einer Behinderung gut umgehen<br />

kann.<br />

Im Rahmen des PIK-Projektes wird der Kontakt<br />

zwischen einzelnen Selbsthilfegruppen, Betroffenen<br />

<strong>und</strong> Patienten gefördert, auf Wunsch bereits<br />

im Krankenhaus. Kein ärztliches Aufklärungs-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 22<br />

gespräch vor einer schweren Operation kann<br />

wirklich vermitteln, wie es ist, z.B. ohne Kehlkopf<br />

zu leben. Keine Zuversicht <strong>und</strong> Hoffnung kann aber<br />

besser gefördert werden, als Patienten kennen zu<br />

lernen, die bereits alles überstanden haben, die<br />

durchaus kommunizieren können <strong>und</strong> Lebensmut<br />

vermitteln.<br />

Selbsthilfegruppen sind heute ein unverzichtbarer<br />

<strong>und</strong> notwendiger Bereich des Ges<strong>und</strong>heits<strong>und</strong><br />

Sozialwesens, was dann besonders deutlich<br />

werden würde, würde es sie nicht mehr geben.<br />

Es ist umso verw<strong>und</strong>erlicher, dass sie unter großen<br />

Mühen, Spenden <strong>und</strong> vielen selbst aufgebrachten<br />

Mitteln arbeiten müssen, ohne die notwendige<br />

finanzielle Absicherung <strong>und</strong> Anerkennung durch<br />

die Politik <strong>und</strong> Gesellschaft zu erfahren<br />

ao.Univ.Prof.Dr.Susanne G. Kircher<br />

Vorsitzende des <strong>Medizin</strong>ischen<br />

Selbsthilfezentrums Wien „Martha Frühwirt“


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die neue Patientenbeteiligung<br />

in Deutschland<br />

Gastbeiträge<br />

Die Beteiligung von Patientinnen <strong>und</strong> Patienten<br />

an der Gestaltung des Ges<strong>und</strong>heitswesens ist in<br />

Deutschland etwas ganz Neues. Sie wird zwar seit<br />

vielen Jahren gefordert, die Politik hat sich jedoch<br />

bisher sehr zögerlich verhalten. Jetzt hat sie plötzlich<br />

einen Sprung gewagt: Seit Anfang 2004 sitzen<br />

Patientenvertreter in etlichen wichtigen Ausschüssen<br />

– mit Rede- <strong>und</strong> Antragsrecht, aber ohne<br />

Stimmrecht. Ich werde kurz die bisherige Entwicklung<br />

der Patientenbeteiligung in Deutschland beschreiben<br />

<strong>und</strong> das Ergebnis kritisch bewerten.<br />

Theorie <strong>und</strong> Entwicklung<br />

An der individuellen Behandlung, also auf der<br />

Mikro-Ebene des Arzt-Patient-Kontaktes, sind<br />

Patienten schon relativ weitgehend beteiligt, jedenfalls<br />

theoretisch: Ohne wirksame Einwilligung des<br />

Patienten ist jeder Eingriff, also jede Therapie in<br />

Deutschland eine strafbare Körperverletzung. Die<br />

umfassende, verständliche Aufklärung <strong>und</strong> Einbeziehung<br />

des Patienten in die Behandlungsplanung<br />

ist also – theoretisch – eine notwendige Voraussetzung<br />

jeder Therapie. Dass Ärzte sich in der Praxis<br />

noch häufig schwer damit tun, Patienten als<br />

Partner anzuerkennen, dürfte niemanden verw<strong>und</strong>ern.<br />

Zu neu ist in Deutschland das Paradigma<br />

des shared decision making, der partnerschaftlichen<br />

Entscheidungsfindung. Erst seit wenigen<br />

Jahren wird damit systematisch experimentiert<br />

(Scheibler/Pfaff 2003). Die theoretische Gr<strong>und</strong>lage<br />

kommt aus Großbritannien, wo sie schon wesentlich<br />

weiter entwickelt <strong>und</strong> besser verankert ist<br />

(Literatur bei Scheibler/Pfaff 2003).<br />

In Organisationen <strong>und</strong> Körperschaften, also auf der<br />

Meso-Ebene, findet sich Patientenbeteiligung in<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 23<br />

Deutschland auch konzeptionell sehr viel seltener.<br />

Nur bei den Krankenkassen bilden die Versicherten<br />

einen Teil (bei den Ersatzkassen sogar die Gesamtheit)<br />

der demokratischen Basis – nicht jedoch die<br />

Patienten. Und bei den Leistungserbringern, etwa<br />

Krankenhäusern, ist Patientenbeteiligung noch<br />

gänzlich unbekannt.<br />

Die kollektive Einbeziehung von Patientenvertretern<br />

in politische Entscheidungen der ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Versorgung, also auf der Makro-Ebene,<br />

wird seit vielen Jahren auf nationaler, europäischer<br />

<strong>und</strong> internationaler Ebene von Politikern, Patientenorganisationen,<br />

Juristen <strong>und</strong> Wissenschaftlern<br />

gefordert (z.B. 1992 vom Sachverständigenrat in<br />

Deutschland; 1994 von der WHO; 1996 von der<br />

Ges<strong>und</strong>heitsministerkonferenz des Europarates;<br />

1996 <strong>und</strong> 1999 von der Ges<strong>und</strong>heitsministerkonferenz<br />

in Deutschland… Literatur siehe bei<br />

Francke/Hart 2001).<br />

Aber erst 1999, nach Ablösung der konservativen<br />

CDU/FDP-Regierung durch eine SPD/Grüne-<br />

Koalition, gab die deutsche B<strong>und</strong>esregierung ein<br />

Gutachten in Auftrag, das die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

aufarbeiten <strong>und</strong> Vorschläge <strong>für</strong> sinnvolle <strong>und</strong><br />

durchsetzbare Formen der Bürgerbeteiligung im<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen machen sollte (Francke/Hart<br />

2001). Im Rahmen dieses Werkes finden sich auch<br />

viele Hinweise auf Beispiele im nicht nur europäischen<br />

Ausland, die zeigen, dass Bürgerbeteiligung<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen schon funktioniert <strong>und</strong> dass<br />

wir in Deutschland das Rad nicht völlig neu erfinden<br />

müssen.<br />

Das Gutachten unterscheidet drei Stufen der<br />

Beteiligung von Bürgern an politischen Entscheidungsprozessen:<br />

die Verfahrensbeteiligung, bei der


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die neue Patientenbeteiligung<br />

in Deutschland<br />

Gastbeiträge<br />

die Bürger durch Information <strong>und</strong> Anhörung eher<br />

passiv beteiligt sind; die Beratungsbeteiligung, bei<br />

der sie die Möglichkeit haben, Diskussionsprozesse<br />

durch ihre Anträge <strong>und</strong> Argumente zu beeinflussen;<br />

<strong>und</strong> als dritte Stufe die Entscheidungsbeteiligung,<br />

bei der sie in den entsprechenden Gremien vollwertige<br />

Mitglieder mit Stimmrecht sind.<br />

Verfahrens- <strong>und</strong> Beratungsbeteiligung bleiben<br />

ohne Entscheidungskompetenz <strong>für</strong> die beteiligten<br />

Bürger, daher ist es auf diesen Stufen nicht allzu<br />

bedeutsam, wie deren Vertreter legitimiert sind.<br />

Wichtig wird dies erst auf der dritten Stufe, der<br />

Entscheidungsbeteiligung. Nur sie wird vom<br />

hauptsächlichen Argument gegen die Patientenbeteiligung<br />

getroffen: den Patienten mangele es<br />

an Legitimation. Denn es gibt weder ein Patientenparlament<br />

noch eine Patientenkammer, also keine<br />

Basis, die ihre Vertreter repräsentativ wählen<br />

könnte. Das wäre auch recht schwer vorstellbar,<br />

denn Patienten sind keine abgegrenzte Gruppe<br />

– Jede <strong>und</strong> Jeder ist irgendwann einmal Patient.<br />

Nur die chronisch Kranken, die ein Leben lang mit<br />

ihrer Krankheit leben müssen, sind ausreichend<br />

motiviert, sich zu organisieren <strong>und</strong> in Selbsthilfegruppen<br />

<strong>und</strong> -verbänden auch <strong>für</strong> ihre Anliegen<br />

zu kämpfen. Diese meist vereinsrechtlich verfassten<br />

Organisationen kennen auch die demokratische<br />

Legitimierung ihrer Vertreter – die dem Ausmaß an<br />

Demokratie, das beispielsweise Gewerkschaften<br />

oder Ärztekammern aufweisen, nicht nachsteht! Bei<br />

ihnen ist das Hindernis eher, dass ihre Vertreter<br />

meist nur <strong>für</strong> ihre eigene Gruppe sprechen können<br />

<strong>und</strong> nicht gleichzeitig <strong>für</strong> alle Patienten.<br />

Aus diesem – zum Teil nur scheinbaren – Legitimations-Dilemma<br />

half der Politik die Beschrän-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 24<br />

kung auf eine Beteiligungsform ohne Stimmrecht.<br />

Die seit Januar 2004 gültige Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

(Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

vom 27.12.2003) hat die Beteiligung<br />

von Patientenvertretern mit Rede- <strong>und</strong> Antragsrecht<br />

an einigen wichtigen Gremien eingeführt: im<br />

Gemeinsamen B<strong>und</strong>esausschuss, der eine Fülle von<br />

Fragen unterhalb der Ebene von Gesetz <strong>und</strong> Verordnung<br />

zu regeln hat, vom Leistungskatalog der Krankenkassen<br />

über die Qualitätssicherung in ambulanten<br />

<strong>und</strong> stationären Einrichtungen bis hin zu<br />

Festzuschüssen <strong>für</strong> Zahnersatz; in der noch zu<br />

schaffenden Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Aufgaben der<br />

Datentransparenz; <strong>und</strong> schließlich in einigen Ausschüssen<br />

auf Ebene der 23 Kassenärztlichen <strong>und</strong><br />

Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, die sich mit<br />

Fragen der Versorgung <strong>und</strong> deren Sicherstellung<br />

durch Kassenärzte beschäftigen (Landesausschüsse,<br />

Zulassungs- <strong>und</strong> Berufungsausschüsse).<br />

Durch die Beschränkung auf die Stufe der Beratungsbeteiligung<br />

war das Problem der Legitimierung<br />

der Patientenvertreter zwar gemildert,<br />

jedoch nicht aus der Welt geschafft. Denn auch<br />

Rede- <strong>und</strong> Antragsrecht in mehr oder weniger<br />

wichtigen Gremien sind Beteiligungsformen, bei<br />

denen die Frage aufkommt, wer dazu berechtigt<br />

sein soll. Das Gesetz ermächtigt die Regierung,<br />

dies in einer Rechtsverordnung zu regeln (Patientenbeteiligungsverordnung<br />

vom 19.12.2003). Diese<br />

zählt zunächst sieben Kriterien auf, denen Patientenorganisationen<br />

genügen müssen, wenn sie<br />

beteiligt werden wollen: Beispielsweise müssen<br />

diese Organisationen demokratisch verfasst <strong>und</strong><br />

gemeinnützig sein sowie ihre finanzielle Unabhängigkeit<br />

nachweisen. Anschließend nennt die


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die neue Patientenbeteiligung<br />

in Deutschland<br />

Gastbeiträge<br />

Verordnung einige Organisationen, die sozusagen<br />

„geborene“ Beteiligte sind: alle Verbände <strong>und</strong> Gruppen<br />

aus dem Bereich der von Krankheit <strong>und</strong> Behinderung<br />

Betroffenen, die im Deutschen Behindertenrat<br />

zusammengeschlossen sind, sowie drei Organisationen<br />

der professionellen Patientenunterstützung<br />

(die B<strong>und</strong>esverbände der Verbraucherzentralen,<br />

Patientenstellen <strong>und</strong> Selbsthilfe-Kontaktstellen).<br />

Fühlen sich andere Organisationen ebenfalls zur<br />

Beteiligung berufen, müssen sie dies bei der B<strong>und</strong>esregierung<br />

beantragen <strong>und</strong> die Erfüllung der<br />

Kriterien nachweisen.<br />

Bewertung<br />

Mir scheint die neue Regelung der Patientenbeteiligung<br />

ein guter Einstieg zu sein. Im Kreis der<br />

Patientenorganisationen bedauern Manche, dass<br />

sie nicht mit Stimme <strong>und</strong> Einfluss an den Entscheidungen<br />

mitwirken dürfen. Ich habe damit<br />

– zunächst jedenfalls – keine Probleme. Erstens<br />

müssen wir uns an die Beteiligung erst gewöhnen,<br />

sie ist <strong>für</strong> alle Seiten neu. Zweitens fehlen uns bisher<br />

die nötigen Ressourcen, die eine kompetente<br />

Entscheidungsbeteiligung erst möglich machen<br />

würden. Uns werden nur die Reisekosten erstattet,<br />

die Arbeit müssen die meisten Patientenvertreter<br />

in ihrer Freizeit erledigen – anders als die Vertreter<br />

der Leistungserbringer <strong>und</strong> Kostenträger, die da<strong>für</strong><br />

selbstverständlich Arbeitszeit verwenden können.<br />

Und drittens werden die Patientenvertreter auch<br />

jetzt schon in der Öffentlichkeit mit den Entscheidungen,<br />

bei denen sie beteiligt waren, in Verbindung<br />

gebracht – <strong>und</strong> wenn wir tatsächlich mitbestimmen<br />

könnten, wären wir wirklich mitverantwortlich.<br />

Ohne Entscheidungsbeteiligung können<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 25<br />

<strong>und</strong> müssen wir stets korrigierend entgegnen,<br />

dass wir ja gar kein Stimmrecht haben.<br />

Die Auswertung der praktischen Erfahrung<br />

des ersten halben Jahres Patientenbeteiligung in<br />

Deutschland fällt gemischt aus. Weder Leistungserbringer<br />

noch Kostenträger schienen zunächst von<br />

der neuen Patientenbeteiligung begeistert zu sein.<br />

Manche <strong>für</strong>chteten vielleicht, die Patientenvertreter<br />

würden nichts von der komplizierten Materie<br />

verstehen, würden völlig unpassend ihre individuelle<br />

Krankengeschichte in die Gremien hineintragen<br />

oder einfach nur dumm <strong>und</strong> überflüssig<br />

dasitzen. Auch wenn das eine oder andere vorgekommen<br />

sein mag <strong>und</strong> einige Startschwierigkeiten<br />

zu überwinden waren, wurden wir doch meist<br />

fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> zuvorkommend aufgenommen<br />

<strong>und</strong> unsere Beiträge in den Diskussionen berücksichtigt.<br />

In einzelnen Fällen hält sich allerdings auch die<br />

Unwilligkeit der „Großen“, die bisher unter sich<br />

waren, gegenüber allzuviel Patientenbeteiligung.<br />

So wird uns beispielsweise in Hamburg die Teilnahme<br />

an den Entscheidungen der Zulassungs- <strong>und</strong><br />

Berufungsausschüsse verweigert – wir dürfen an<br />

der Darstellung <strong>und</strong> Diskussion der Sachverhalte<br />

teilnehmen <strong>und</strong> am Ende wieder an der Verkündung<br />

der Entscheidung, während der Abstimmung jedoch<br />

müssen wir den Raum verlassen, damit wir<br />

nicht erfahren, wie die stimmberechtigten Beteiligten<br />

abgestimmt haben. Manche Ausschüsse<br />

meinen sogar, wir dürften nicht einmal das Ergebnis<br />

erfahren, andere wieder verweigern uns das<br />

Material zur Vorbereitung, das den stimmberechtigten<br />

Beteiligten vor der Sitzung zugesandt wird…<br />

Diese Unsicherheiten über die Auslegung des neuen


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die neue Patientenbeteiligung<br />

in Deutschland<br />

Gastbeiträge<br />

Gesetzes (vielleicht sind es auch Widerstände gegen<br />

eine unbequeme Neuerung) werden sich jedoch<br />

hoffentlich im Laufe dieses Jahres gelegt haben.<br />

Gefahren<br />

Als Vertreter von Patienteninteressen habe ich<br />

mich seit Jahren <strong>für</strong> Patientenbeteiligung eingesetzt<br />

(z.B. Kranich/Böcken 1997). Daher mag es<br />

erstaunen, dass ich jetzt vor deren Gefahren warne.<br />

Vielleicht sollte ich lieber von notwendigen Voraussetzungen<br />

sprechen, die <strong>für</strong> eine funktionierende<br />

Patientenbeteiligung unabdingbar sind.<br />

Das Wichtigste: Wir brauchen Ressourcen!<br />

Damit meine ich nicht nur Geld (davon war weiter<br />

oben schon die Rede), sondern vor allem auch Unterstützung<br />

in Form von Schulung, Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> f<strong>und</strong>ierter Meinungsbildung. Wenn ich irgendwo<br />

die Position der Patienten vertreten <strong>und</strong> gegenüber<br />

Leistungserbringern <strong>und</strong> Kostenträgern zur<br />

Geltung bringen soll, muss ich etwas von der Sache<br />

verstehen, muss argumentieren können, muss die<br />

Meinung der Patienten genau kennen. Damit haben<br />

es ganz besonders die selbst Betroffenen schwer,<br />

die das Verständnis <strong>für</strong> die Bedürfnisse von Menschen,<br />

die an anderen Krankheiten leiden als sie<br />

selbst, naturgemäß nicht immer mitbringen.<br />

Beteiligte Patientenvertreter brauchen einen<br />

umfangreichen Strauß von Kompetenzen, die in<br />

der Regel nur durch Schulung erworben werden<br />

können – niemand ist auf allen Gebieten ausgebildet<br />

oder gar Naturtalent. Das Wissen <strong>und</strong> die<br />

Fähigkeiten, die zur Beteiligung an ges<strong>und</strong>heitspolitischen<br />

Entscheidungen erforderlich sind,<br />

stellen die höchste Stufe der Patientenkompetenz<br />

dar (Kranich 2004).<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 26<br />

Und natürlich brauchen Patientenvertreter auch<br />

ein funktionierendes System der Meinungsbildung<br />

sowie der Rückkopplung an ihre „Basis“. Angesichts<br />

der Verschwiegenheitspflichten, die den Mitgliedern<br />

von B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesausschüssen auferlegt<br />

werden, ist das nicht nur eine Frage von Infrastruktur<br />

<strong>und</strong> Ressourcen, sondern auch eine des<br />

Datenschutzes <strong>und</strong> der gewünschten (In-)Transparenz.<br />

Warum sollen Patienten kein Recht haben, zu<br />

erfahren, wie diese Gremien arbeiten, wie deren<br />

Entscheidungen zustande kommen, wer welche<br />

Position vertreten hat? Das mag bei Ausschüssen<br />

zur Landesverteidigung nachvollziehbar sein, aber<br />

hier geht es nur um die ges<strong>und</strong>heitliche Versorgung<br />

der Bevölkerung.<br />

Wirksame, nicht nur symbolische Patientenbeteiligung<br />

kostet leider Geld. Solange sich die Regierenden<br />

mit Patientenbeteiligung schmücken,<br />

ohne sie auch zu ermöglichen – nämlich durch infrastrukturelle<br />

Förderung, Schulung <strong>und</strong> Selbstorganisation<br />

–, hat diese Beteiligung in meinen<br />

Augen mehr Gefahren als Nutzen. Patientenbeteiligung<br />

wird schon heute von den Regierenden<br />

genutzt, um ihre unbequemen Entscheidungen<br />

gegenüber verärgerten <strong>und</strong> aufgebrachten Bürgern<br />

zu legitimieren – obwohl die beteiligten Patienten<br />

ja gerade nicht als legitimiert angesehen werden<br />

<strong>und</strong> genau deswegen nicht stimmberechtigt sind!<br />

Dieser Missbrauch ist bereits in der Begründung zu<br />

§ 140 f des Ges<strong>und</strong>heitsreformgesetzes formuliert:<br />

„Die Versicherten 1 sollen künftig stärker in die Entscheidungsprozesse<br />

der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(GKV), die die Versorgung betreffen,<br />

eingeb<strong>und</strong>en werden. Sie müssen von Betroffenen<br />

zu Beteiligten werden. Nur dann ist ihnen mehr<br />

1 Sollte wohl eigentlich heißen Die Patienten, denn die Versicherten sind ja<br />

bereits durch die Sozialwahlen in den Verwaltungsräten der Krankenkassen<br />

vertreten <strong>und</strong> hier soll ja gerade die oftmals andere Interessenlage der<br />

Patienten Berücksichtigung finden.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Die neue Patientenbeteiligung<br />

in Deutschland<br />

Gastbeiträge<br />

Eigenverantwortung zuzumuten.“ Mit dem Terminus<br />

Eigenverantwortung dürfte wenigstens schwerpunktmäßig<br />

die Verlagerung von immer mehr finanziellen<br />

Lasten auf die Kranken gemeint sein.<br />

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin <strong>für</strong><br />

Patientenbeteiligung! Aber wenn sie ausgerechnet<br />

zu einem Zeitpunkt eingeführt wird, an dem<br />

Patienten immer mehr zur Kasse gebeten werden,<br />

liegt der Verdacht der Instrumentalisierung besonders<br />

nahe. Er könnte durch Bereitstellung<br />

der angesprochenen infrastrukturellen <strong>und</strong> natürlich<br />

finanziellen Voraussetzungen <strong>für</strong> wirksame,<br />

unabhängige <strong>und</strong> sachgemäße Patientenbeteiligung<br />

ausgeräumt werden.<br />

Christoph Kranich<br />

Verbraucherzentrale Hamburg,<br />

Fachabteilung Ges<strong>und</strong>heitsdienstleistungen<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 27<br />

Literatur<br />

1 Francke, Robert/Hart, Dieter:<br />

Bürgerbeteiligung im Ges<strong>und</strong>heitswesen.<br />

Baden-Baden 2001 (Nomos)<br />

1 Kranich, Christoph / Böcken, Jan (Hrsg):<br />

Patientenrechte <strong>und</strong> Patientenunterstützung in<br />

Europa. Ideen <strong>und</strong> Anregungen <strong>für</strong> Deutschland.<br />

Baden-Baden 1997 (Nomos)<br />

1 Kranich, Christoph:<br />

Patientenkompetenz – Was müssen Patienten<br />

wissen <strong>und</strong> können?<br />

In: B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsblatt 47/10, Oktober 2004<br />

1 Scheibler, Fülöp / Pfaff, Holger (Hrsg):<br />

Shared Decision-Making. Der Patient als Partner<br />

im medizinischen Entscheidungsprozess.<br />

Weinheim / München 2003 (Juventa)


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Wiener Patientenanwaltschaft<br />

Partner<br />

Die Wiener Patientenanwaltschaft ist eine Einrichtung<br />

des Landes Wien, welche auf Gr<strong>und</strong> eines<br />

Wiener Landesgesetzes zur Wahrung <strong>und</strong> Sicherung<br />

der Rechte <strong>und</strong> Interessen der Patienten in allen<br />

Bereichen des Ges<strong>und</strong>heitswesens in Wien geschaffen<br />

wurde <strong>und</strong> seit 1. Juli 1992 besteht. Sie<br />

wird vom unabhängigen Wiener Patientenanwalt<br />

geleitet.<br />

Sie ist eine unabhängige <strong>und</strong> weisungsfreie<br />

Anlaufstelle im Wiener Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Spitalsbereich<br />

<strong>und</strong> wird nicht nur von Patienten, sondern<br />

auch von Ärzten <strong>und</strong> anderen im Ges<strong>und</strong>heitsbereich<br />

tätigen Personen in Anspruch genommen.<br />

Die Tätigkeit der Wiener Patientenanwaltschaft<br />

dient der Stärkung der Position der Patienten im<br />

Ges<strong>und</strong>heitsbereich, der weiteren Verbesserung<br />

des Verhältnisses zwischen Patienten <strong>und</strong> allen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsdiensten, sowie der notwendigen<br />

allgemeinen Bewusstseinsbildung am Wege zu<br />

einem integrierten Ges<strong>und</strong>heitssystem in Wien.<br />

Die Zuständigkeit umfasst das gesamte Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

von Wien, also Krankenanstalten,<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 28<br />

Pflegeheime, Rettung <strong>und</strong> Krankenbeförderung,<br />

freipraktizierende Ärzte, Apotheken, Dentisten,<br />

Hebammen <strong>und</strong> andere Dienste im Ges<strong>und</strong>heitsbereich,<br />

wie z.B. Hauskrankenpflege oder soziale<br />

Dienste.<br />

Die Hilfestellung durch die Wiener Patientenanwaltschaft<br />

erfolgt durch die Prüfung von Beschwerden<br />

<strong>und</strong> die außergerichtliche Schadensregulierung<br />

bei Patientenschäden, die Aufklärung<br />

von Mängeln oder Missständen sowie die Abgabe<br />

von Empfehlungen zu deren Abstellung. Die Beratung<br />

<strong>und</strong> Erteilung von Auskünften im Zusammenhang<br />

mit Patientenrechten zählt ebenfalls<br />

zum Aufgabenbereich. Weiters wird die Wiener<br />

Patientenanwaltschaft im Sinne von Vermittlung<br />

bei Konflikten im Ges<strong>und</strong>heitsbereich tätig.<br />

Hilfestellung erfolgt auch bei der Bewältigung<br />

organisatorischer Probleme. Die Handhabung<br />

eines patientenorientierten Entlassungsmanagements<br />

in Spitälern ist dabei ein wesentliches<br />

Anliegen.<br />

Walter Dohr, Wiener Patientenanwalt


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

Das Martha Frühwirt Zentrum<br />

<strong>für</strong> medizinische Selbsthilfegruppen Wien<br />

Partner<br />

Das Martha Frühwirt Zentrum <strong>für</strong> medizinische<br />

Selbsthilfegruppen, Obere Augartenstrasse 26-28,<br />

1020 Wien wurde auf Initiative des damaligen<br />

amtsführenden Stadtrates Prof. Dr. Alois Stacher<br />

gegründet <strong>und</strong> am 28. März 1987 durch Bürgermeister<br />

Helmut Zilk eröffnet.<br />

Es war der Zusammenschluss von 13 medizinischen<br />

Selbsthilfegruppen.<br />

Die notwendigen Räumlichkeiten wurden von<br />

der Gemeinde Wien zur Verfügung gestellt.<br />

Im Jänner1987 wurde das Kuratorium ins Leben<br />

gerufen. Ein Verein, der sich aus Vertretern aller im<br />

Zentrum ansässigen Gruppen zusammensetzt. Die<br />

Aufgabe dieses Kuratoriums ist, das Zentrum zu<br />

verwalten, zu leiten <strong>und</strong> den einzelnen Gruppen<br />

ein ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen.<br />

Mit der Entstehung <strong>und</strong> dem Aufbau des Zentrums<br />

eng verknüpft, war das Wirken von Frau<br />

Regierungsrat Martha Frühwirt, die als Vorsitzende<br />

des Kuratoriums über viele Jahre hindurch in<br />

unnachahmlicher Art <strong>und</strong> Weise dazu beigetragen<br />

hat, die medizinischen Selbsthilfegruppen zu einen,<br />

zu fördern <strong>und</strong> ihnen zur gesellschaftlicher Akzeptanz<br />

zu verhelfen. Mittlerweile besteht unser<br />

Zentrum bereits aus 25 medizinischen Selbsthilfegruppen<br />

<strong>und</strong> 4 sozialen Selbsthilfegruppen.<br />

Wir sind auch eine kooperative Vernetzung mit<br />

dem Wiener Hilfswerk eingegangen, wo ebenfalls<br />

r<strong>und</strong> 30 Selbsthilfegruppen im sozialen <strong>und</strong> medizinischen<br />

Bereich tätig sind. Dadurch können wir<br />

uns noch wirkungsvoller <strong>für</strong> die Selbsthilfebewegung<br />

einsetzen.<br />

Unser Zentrum versteht sich nicht nur als eine<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 29<br />

Einrichtung <strong>für</strong> <strong>und</strong> von schwerer Krankheit Betroffener<br />

<strong>und</strong> deren Angehörigen, sondern auch als<br />

Anlaufstelle <strong>für</strong> Auskunft <strong>und</strong> Vermittlung von<br />

Ratsuchenden untereinander <strong>und</strong> zu anderen<br />

bestehenden Selbsthilfegruppen. Das Zentrum<br />

will auch die Kommunikation zu öffentlichen<br />

Einrichtungen des Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesens<br />

fördern. Neue Initiativen werden bei der Gründung<br />

neuer Selbsthilfegruppen unterstützt.<br />

Auch wenn die Miete der Räumlichkeiten<br />

weitgehend durch die Gemeinde Wien subventioniert<br />

wird, müssen die laufenden Kosten von<br />

den Gruppen selbst aufgebracht werden.<br />

Deshalb ist unser Zentrum zum großen Teil<br />

auf Spenden angewiesen.<br />

In unserem Zentrum gibt es auch einen Bewegungsraum,<br />

einen Massageraum, einen Clubraum<br />

<strong>für</strong> 30 Personen, einen Festsaal <strong>für</strong> 80 Personen<br />

<strong>und</strong> einen w<strong>und</strong>erschönen Ges<strong>und</strong>heitsgarten.<br />

Alle diese Räumlichkeiten können von den Selbsthilfegruppen<br />

des Marthe Frühwirt Zentrums verwendet<br />

werden; von Gruppen außerhalb des Zentrums,<br />

wenn es freie Termine gibt.<br />

Wir würden uns freuen wenn Sie uns einmal<br />

besuchen kommen <strong>und</strong> wir Ihnen unser Zentrum<br />

persönlich vorstellen können.<br />

Unsere Sekretärin <strong>und</strong> guter Geist des Hauses<br />

Frau Elfi Ahmadian zeigt ihnen sehr gerne unsere<br />

Räumlichkeiten <strong>und</strong> gibt auch gerne Tips <strong>und</strong><br />

Ratschläge.<br />

Auf ein baldiges Wiedersehen mit Ihnen in<br />

unserem Zentrum freuen sich<br />

Univ.Prof.Dr. Susanne Kircher (1. Vorsitzende)<br />

Johann Rotter (2. Vorsitzender)


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

PatientInnenbeteiligung 1 ist in der europäischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitspolitik als Thema gut etabliert, wenn<br />

auch in unterschiedlichem Ausmaß implementiert.<br />

Sowohl die WHO 2 als auch der Europarat 3 haben<br />

diesbezügliche Empfehlungen erlassen, Regierungen<br />

(vgl. die in diesem Newsletter vorgestellten Länder)<br />

sprechen sich <strong>für</strong> eine stärkere Beteiligung der<br />

PatientInnen aus <strong>und</strong> auf Konferenzen zur Qualität<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen hat das Thema mittlerweile<br />

einen festen Platz (z.B. am Kongress der Europäischen<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> <strong>Medizin</strong>soziologie 2004 4<br />

mit einem Schwerpunkt „Patient Empowerment:<br />

Towards a New Role For Patients in Health Care?“).<br />

Mit diesem Beitrag soll ein Einblick in unterschiedliche<br />

Formen der PatientInnenbeteiligung<br />

gegeben werden. Exemplarisch werden Beteiligungsstrukturen<br />

von Holland <strong>und</strong> England vorgestellt.<br />

Da sich diese weitgehend voneinander<br />

unterscheiden, ist es möglich anhand der beiden<br />

Länder ein relativ breites Spektrum an unterschiedlichen<br />

Ansätzen von PatientInnenbeteiligung<br />

zu beschreiben.<br />

Eckdaten des englischen Ges<strong>und</strong>heitssystems<br />

„National Health Service“ (NHS)<br />

Staatliches Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

1 Mitgliedschaft beim NHS ist obligatorisch<br />

1 Privatversicherungen können nur zusätzlich<br />

abgeschlossen werden<br />

Finanzierung<br />

1 erfolgt größtenteils über Steuern<br />

1 intra- <strong>und</strong> extramuraler Bereich werden aus<br />

einer Hand finanziert<br />

1 In diesem Artikel wird PatientInnenbeteiligung synonym mit NutzerInnenbeteiligung<br />

<strong>und</strong> BürgerInnenbeteiligung im Ges<strong>und</strong>heitswesen verwendet<br />

<strong>und</strong> umfasst die direkte Beteiligung von PatientInnen, Angehörigen <strong>und</strong><br />

BürgerInnen ebenso wie die Beteiligung durch VertreterInnen.<br />

2 WHO 1994: Iliev D, Vienonen M. Patients’ Rights in Europe as at June 1997.<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 30<br />

1 Ges<strong>und</strong>heitsausgaben lagen bis in die späten<br />

90er Jahre unter dem europäischen Durchschnitt,<br />

werden allerdings gegenwärtig stark<br />

angehoben<br />

Gate Keeping System<br />

1 Ngl. ÄrztInnen (General Practitioners GPs)<br />

haben aufgr<strong>und</strong> ihrer Stellung als Gatekeeper<br />

einen großen Einfluss auf den fachärztlichen<br />

<strong>und</strong> stationären Behandlungsverlauf ihrer<br />

PatientInnen<br />

Sehr starke Regionalisierung<br />

1 Öffnung der Krankenhäuser <strong>für</strong> ambulante<br />

fachärztliche Behandlungen<br />

1 großer Anteil von Ges<strong>und</strong>heitszentren, in denen<br />

ca. 75% der General Practitioners (GPs) mit<br />

anderen Allgemein-, Zahn- <strong>und</strong> Augenärzten,<br />

Pflegeeinrichtungen oder Apothekern zusammenarbeiten<br />

1 regionale Aushandlungen der Primary Care<br />

Trusts (PCTs) mit den lokalen, ambulanten <strong>und</strong><br />

stationären Einrichtungen über Art <strong>und</strong> Preis<br />

der zu erbringenden Leistungen <strong>und</strong> sektorübergreifende<br />

Behandlungsstandards<br />

Letzte größere Reformen<br />

1 in den 80er Jahren intensive Stärkung <strong>und</strong><br />

Ausbau der Managementstrukturen im NHS<br />

1 seit den 90er Jahren regulierter Wettbewerb<br />

durch Einführung eines internen Marktes: PCTs<br />

sind mittlerweile fast die alleinigen Einkäufer<br />

von Krankenhaus <strong>und</strong> Community-Services<br />

(Verfügen über 75% des <strong>für</strong> diesen Bereich<br />

aufgewendeten Budgets)<br />

WHO regional Office for Europe.<br />

3 Council of Europe (2000): The development of structures for citizen and<br />

patient participation in the decision-making process affecting health care.<br />

Recommendation Rec(2000)5 and explanatory memorandum. Strasbourg.<br />

4 http://www.bolognacongress.org


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

1 Einführung der PCT beendete die getrennte<br />

Finanzierung von Primary Care, Krankenhäusern<br />

<strong>und</strong> Community Services<br />

Eckdaten des holländischen Ges<strong>und</strong>heitssystems<br />

Sozialversicherungsmodell<br />

1 baut auf dem Prinzip der Sozialversicherung auf<br />

1 eine beitragsfinanzierte Krankenversicherung<br />

<strong>für</strong> die Basisversorgung ist <strong>für</strong> die gesamte<br />

Bevölkerung obligatorisch<br />

1 r<strong>und</strong> 90 Prozent der Versicherten nehmen die<br />

Möglichkeit einer Zusatzversicherung wahr<br />

Finanzierung<br />

Der Anteil der nationalen Ges<strong>und</strong>heitsausgaben<br />

am BIP rangiert mit ca. 8,5 Prozent im europäischen<br />

Durchschnitt<br />

Gate Keeping System<br />

1 selbständig tätige HausärztInnen nehmen<br />

eine zentrale Stellung ein<br />

1 in mehr als 90 Prozent der Fälle werden die<br />

PatientInnen vom Hausarzt behandelt<br />

1 HausärztInnen fungieren als Gatekeeper zur<br />

Facharzt- oder Krankenhausbehandlung<br />

Letzte Reformen<br />

1 seit Ende der 80er Jahre umfassende Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

(so genannter Dekker-Simons-Plan)<br />

1 angestrebt wird ein „regulierter Wettbewerb“<br />

auf der Ebene der Krankenversicherungen<br />

<strong>und</strong> Leistungserbringer<br />

1 Ziele sind Effizienzsteigerung <strong>und</strong> Kostenregulierung<br />

durch Einführung von Markt-<br />

<strong>und</strong> Wettbewerbselementen, ohne die<br />

Versorgungssicherheit <strong>für</strong> die Gesamtbevölkerung<br />

zu gefährden<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 31<br />

PatientInnenbeteiligung in England<br />

PatientInnenbeteiligung hat in England eine lange<br />

Tradition. Skandale in psychiatrischen Anstalten<br />

machten in den 1960er Jahren deutlich, zu welchen<br />

Problemen die mangelnde Einbeziehung der Öffentlichkeit<br />

führt.<br />

Als Konsequenz wurden 1974 die Community<br />

Health Councils (CHCs) eingeführt. Diese hatten die<br />

Aufgabe, die Vertretung der Interessen der lokalen<br />

Bevölkerung wahrzunehmen, die Qualität in den<br />

Ges<strong>und</strong>heitseinrichtungen zu kontrollieren <strong>und</strong><br />

unterrepräsentierte Personengruppen zu unterstützen.<br />

1997 übernahm die Labourparty die Regierung.<br />

Der Staatssekretär <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit nannte in seinem<br />

Reformplan 5 neben dem Problem der zu starken<br />

Zentralisierung des Ges<strong>und</strong>heitswesens nicht<br />

empowerte PatientInnen als eine der zentralen<br />

Herausforderungen <strong>für</strong> kommende Reformen. In<br />

diesem Reformplan wurde PatientInnen stärkeres<br />

Mitspracherecht, mehr Macht <strong>und</strong> Einflussmöglichkeiten<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen in Aussicht gestellt.<br />

Ein wesentlicher Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die hohe Priorität der<br />

PatientInnenbeteiligung innerhalb der Ges<strong>und</strong>heitsreform<br />

waren Skandale im NHS, welche eine<br />

Welle öffentlicher Diskussionen auslösten. Ausführlich<br />

dokumentiert sind die Vorfälle im Zusammenhang<br />

mit der fehlerhaften Versorgung von<br />

Kindern im Bereich der kardiologischen Chirurgie<br />

5 The NHS Plan: A Plan for Investment. A Plan for Reform.<br />

http://www.nhs.uk/nationalplan/


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

des Bristol Royal NHS. Im entsprechenden Untersuchungsbericht<br />

6 wurde explizit empfohlen, dass<br />

PatientInnen im Zentrum des NHS stehen müssen,<br />

<strong>und</strong> deren Perspektive in der Planung <strong>und</strong> Leistungserbringung<br />

auf allen Ebenen berücksichtigt<br />

werden muss.<br />

2001 wurden im Abschnitt 11 des Health and<br />

Social Care Acts die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die<br />

gegenwärtig bestehenden Strukturen der Patient-<br />

Innenbeteiligung geschaffen:<br />

Alle Personen, welche Leistungen von Primary<br />

Care Trusts (PCTs) 7 oder NHS Trusts 8 in Anspruch<br />

nehmen sind entweder direkt, oder durch VertreterInnen<br />

in die Planung <strong>und</strong> in Entscheidungen<br />

über die Leistungserbringung der Einrichtungen<br />

einzubeziehen.<br />

Durch die National Health Service Reform and<br />

Health Care Professions Act 2002 waren die letzten<br />

gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die Abschaffung<br />

der CHCs einerseits <strong>und</strong> die Implementation<br />

der vorläufig letzten Strukturen <strong>für</strong> Patient-<br />

Innenbeteiligung andererseits geschaffen.<br />

Zentrale <strong>Institut</strong>ionen <strong>für</strong> PatientInnenbeteiligung<br />

in England<br />

Neben der Reformierung des Beschwerderechts<br />

<strong>und</strong> der Ausstattung der regionalen Ges<strong>und</strong>heitsbehörden<br />

mit stärkeren Kontrollfunktionen wurden<br />

über einen Zeitraum von fünf Jahren folgende<br />

Einrichtungen zur Information <strong>und</strong> Beteiligung von<br />

PatientInnen <strong>und</strong> BürgerInnen im NHS geschaffen:<br />

1 Healthcare Commission<br />

Zu den Aufgaben dieses unabhängigen <strong>Institut</strong>s<br />

zählen sowohl landesweite standardisierte<br />

6 Kennedy, I. (2001): Learning from Bristol: the report of the public inquiry<br />

into children's heart surgery at the Bristol Royal Infirmary 1984 –1995.<br />

http://www.bristol-inquiry.org.uk<br />

7 Primary Care Trusts sind Zusammenschlüsse von ca. 50 GPs. Geleitet werden<br />

diese von einem Gremium, dass GPs, Community Nurses, die lokale<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 32<br />

PatientInnen- <strong>und</strong> MitarbeiterInnenbefragungen,<br />

als auch die jährliche Überprüfung<br />

der Versorgungsqualität aller PCTs <strong>und</strong> NHS<br />

Trusts an der auch PatientenvertreterInnen<br />

beteiligt sind. Die Ergebnisse der Untersuchungen<br />

sind öffentlich, erlauben einen systematischen<br />

Vergleich der Betreuungseinrichtungen<br />

<strong>und</strong> eine langfristige Kontrolle der stattgef<strong>und</strong>enen<br />

Veränderungen. Außerdem bilden sie die<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> das neue englische Zertifizierungssystem<br />

„Star Rating“, welches z.T. weitreichenden<br />

Einfluss auf die Managementebene<br />

der betroffenen Einrichtungen hat.<br />

1 Patient Advice and Liaison Services (PALS)<br />

PALS sind ein zentraler Bestandteil der Patient-<br />

Innenbeteiligungsstrukturen in England.<br />

Eingerichtet als kleine Büros erfüllen sie in allen<br />

PCTs <strong>und</strong> NHS Trusts vielfältige Funktionen:<br />

1 Ombudsstelle <strong>für</strong> PatientInnen/Angehörige:<br />

PALS unterstützen PatientInnen/ Angehörige<br />

bei ihren Anliegen, egal ob es sich dabei um<br />

Fragen zur Krankenbetreuung, Probleme<br />

während des KH-Aufenthalts oder den<br />

Wunsch nach einer offiziellen Beschwerde<br />

handelt.<br />

1 Feedback- <strong>und</strong> Qualitätssicherungssystem:<br />

aufgr<strong>und</strong> des unmittelbaren Kontakts mit<br />

der Bevölkerung sind PALS in der Lage,<br />

Probleme rechtzeitig zu erkennen <strong>und</strong> Fehlentwicklungen<br />

entgegenzusteuern. Dazu<br />

nutzen die PALS die von den PatientInnen<br />

vorgebrachten Anliegen <strong>und</strong> Fragen <strong>und</strong><br />

nehmen auch proaktiv den Kontakt mit<br />

PatientInnen/Angehörigen auf, um deren<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> Gebietskörperschaft/Verwaltung repräsentiert.<br />

PCTs sind Einkäufer von Krankenhaus- <strong>und</strong> Community Services<br />

8 NHS Trusts sind öffentlich rechtlich geführte Krankenhausorganisationen,<br />

die mit einem autonomen Management ausgestattet sind.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

Meinung über die Qualität der Betreuung<br />

einzuholen. Durch eine möglichst enge Zusammenarbeit<br />

mit den MitarbeiterInnen der<br />

Trusts <strong>und</strong> deren Leitungen wird versucht,<br />

Probleme möglichst rasch zu beheben.<br />

1 Katalysator <strong>für</strong> Kulturänderung innerhalb<br />

der Trusts in Richtung partnerschaftlicher<br />

Zusammenarbeit zwischen LeistungserbringerInnen<br />

<strong>und</strong> PatientInnen/Angehörigen:<br />

PALS vermitteln den MitarbeiterInnen<br />

der Trusts Zugänge, wie sie ihre Arbeit patientInnenorientierter<br />

gestalten können.<br />

1 Durch Zusammenarbeit von regionalen PALS<br />

ist Qualitätssicherung über die Grenzen der<br />

Betreuungseinrichtungen hinaus möglich.<br />

1 Patient’s and Public Involvement Forums (PPIs)<br />

Die PPIs sind Einrichtungen, die die unmittelbarste<br />

Beteiligung der Öffentlichkeit am Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

ermöglichen. Per Gesetz ist in<br />

jedem Trust ein Forum einzurichten. Mittlerweile<br />

haben ca. 575 Foren mit insgesamt r<strong>und</strong><br />

4.000 Mitgliedern ihre Arbeit aufgenommen.<br />

Neben der Kontrolle der Betreuungseinrichtungen<br />

<strong>und</strong> den dort arbeitenden PALs haben die<br />

Foren die Aufgabe, die Anliegen der Bevölkerung<br />

in Bezug auf das regionale Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

einzubringen.<br />

Wie die Foren diese Aufgabe wahrnehmen <strong>und</strong><br />

welchen Themen sie sich konkret widmen ist<br />

ihnen größtenteils freigestellt. (z.B. Initiierung<br />

von PatientInnenbefragungen, Beauftragung<br />

eines Gutachtens, Fragen zu bestimmten Diagnosen<br />

oder Bevölkerungsgruppen aber auch<br />

Untersuchungen über Zusammenhänge zwi-<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 33<br />

schen Arbeits- oder Verkehrsbedingungen <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit).<br />

Die Trusts sind zur Zusammenarbeit verpflichtet,<br />

d.h. Forumsmitglieder haben direkten<br />

Zugang zu vielen Daten <strong>und</strong> angeforderte<br />

Informationen müssen binnen 20 Tagen<br />

bereitgestellt werden.<br />

Die Foren der PCTs haben zudem das Recht,<br />

einen Delegierten in den Vorstand ihres PCTs zu<br />

entsenden um dort die Perspektive der Patient-<br />

Innen einzubringen.<br />

Unterstützt werden die Foren in ihrer Arbeit<br />

durch „Forum Support Groups“. Dabei handelt<br />

es sich um ausgewählte Non-Profit Organisationen,<br />

welche einen Großteil der administrativen<br />

Forum-Arbeit übernehmen <strong>und</strong> die Forenmitglieder<br />

bei ihrer Arbeit unterstützen.<br />

Durch die Arbeit der Foren <strong>und</strong> die starke<br />

Regionalisierung des englischen Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

bestehen zudem gute Vorraussetzungen,<br />

PatientInnenbeteiligung auch im Rahmen der<br />

integrierten Versorgung zu realisieren. Die Zusammenarbeit<br />

zwischen den Foren wird von der<br />

Commission for Patient and Public Involvement<br />

in Health (CPPIH) geleitet.<br />

1 Commission for Patient and Public Involvement<br />

in Health (CPPIH)<br />

Diese unabhängige, nicht weisungsgeb<strong>und</strong>ene<br />

<strong>Institut</strong>ion ist die zentrale Instanz <strong>für</strong> die Umsetzung<br />

von PatientInnenbeteiligung auf nationaler,<br />

regionaler <strong>und</strong> lokaler Ebene. Bei ihr<br />

laufen die Ergebnisse der PPIs <strong>und</strong> des neuen<br />

Beschwerdesystems zusammen, außerdem<br />

evaluiert sie das Gelingen von PatientInnen-


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

beteiligung im NHS. Ihre Berichte übermittelt<br />

die CPPHI je nach Zuständigkeit an die Healthcare<br />

Commission, an das Ges<strong>und</strong>heitsministerium<br />

<strong>und</strong> im Bedarfsfall sogar an die Justiz.<br />

PatientInnenbeteiligung in Holland<br />

Das wohl charakteristischste Merkmal von Patient-<br />

Innenbeteiligung im holländischen Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

ist der starke Einfluss von PatientInnenorganisationen.<br />

In Holland gibt es ca. 400 Selbsthilfegruppen<br />

die teils in Dachverbänden zusammengeschlossen,<br />

teils lokal organisiert sind. Diese 400 Gruppen sind<br />

auf nationaler Ebene in ungefähr 40 Verbänden<br />

zusammengeschlossen. Seit Anfang der 80er Jahre<br />

vernetzten sich diese Gruppen, um den Einfluss der<br />

PatientInnen im Ges<strong>und</strong>heitswesen zu stärken.<br />

Wichtige andere Organisationen haben sich in Folge<br />

diesen Netzwerken angeschlossen: Verbände der<br />

Versicherten, Organisationen <strong>für</strong> PatientInnenrechte,<br />

VerbraucherInnengruppen <strong>und</strong> Konsument-<br />

Innenenvereine. 1992 schließlich wurde der Nationale<br />

PatientInnen- <strong>und</strong> KonsumentInnenverband<br />

(NP/CF) gegründet, um die vielfältigen Interessen<br />

der Verbände <strong>und</strong> Organisationen zu bündeln. Mit<br />

einer Mitgliedschaft von 15 – 20% der erwachsenen<br />

Bevölkerung (= r<strong>und</strong> 2 Millionen Menschen) besitzt<br />

der NP/CF ein entsprechendes politisches Gewicht,<br />

um die Interessen ihrer Mitglieder durchsetzen zu<br />

können. Mittlerweile vereinigt der NP/CF 18 Mitgliederorganisationen,<br />

die wiederum aus landesweiten<br />

Netzwerken bestehen <strong>und</strong> beherbergt<br />

ca. 70% aller PatientInnenorganisationen.<br />

Das Ziel des NP/CF ist die Realisierung eines an<br />

den Vorstellungen der PatientInnen ausgerichteten<br />

<strong>pik</strong><br />

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juli 2004<br />

SEITE 34<br />

bedürfnisorientierten Ges<strong>und</strong>heitssystems. Dazu<br />

arbeitet der NP/CF an drei Schwerpunkten:<br />

1. Wahlfreiheit <strong>und</strong> Transparenz (z.B. Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Ausbau von Informationssystemen <strong>für</strong><br />

PatientInnen)<br />

2. Förderung der Qualität in der Krankenbetreuung<br />

(z.B.: ausreichende Berücksichtigung<br />

der Perspektive der PatientInnen)<br />

3. Struktur <strong>und</strong> Finanzierungssystem des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

(z.B.: Zugang zum Ges<strong>und</strong>heitwesen,<br />

solidarische Versicherungsmodelle,<br />

Stärkung der PatientInnenposition innerhalb<br />

des Ges<strong>und</strong>heitssystems)<br />

Insgesamt wurden im Jahr 2000 vom Ges<strong>und</strong>heitsministerium<br />

ca. 50 Mio. ¤ <strong>für</strong> Selbsthilfe- <strong>und</strong><br />

Konsumentengruppen ausgegeben. 2,5 – 3 Mio. ¤<br />

davon erhielt der NP/CF, der ca. 45 (größtenteils<br />

Teilzeit-) MitarbeiterInnen beschäftigt.<br />

Im Zuge der Ges<strong>und</strong>heitsreformen Ende der<br />

80er Jahre (Eckdaten des holländischen Ges<strong>und</strong>heitssystems)<br />

wurden auch die PatientInnenrechte<br />

reformiert <strong>und</strong> ausgeweitet. Zwei der Änderungen<br />

sind in diesem Kontext besonders hervorzuheben:<br />

Gesetz über die Mitbestimmung der KlientInnen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieses Gesetzes haben alle <strong>Institut</strong>ionen<br />

des Ges<strong>und</strong>heitswesens – egal ob ngl. ÄrztInnen,<br />

Pflege- <strong>und</strong> Sozialdienste, Pflegeheime oder Krankenhäuser<br />

– KlientInnenenräte einzurichten, die<br />

verbindliche Beratungen bezüglich der Patient-<br />

Innenbelange durchführen sollen. Die Klient-<br />

Innenräte verfügen über weitgehende Rechte.<br />

So können bestimmte Entscheidungen der Einrichtungen<br />

nur mit Zustimmung des KlientInnen-


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

rats getroffen werden. Darunter fallen beispielsweise<br />

alle Veränderungen bezüglich Ernährung,<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Wohlbefinden der PatientInnen,<br />

aber auch Veränderungen mit Auswirkngen auf<br />

die Qualität der Betreuung <strong>und</strong> das Beschwerdemanagement.<br />

Zudem können Manager <strong>für</strong> gewisse<br />

Bereiche nur mit Zustimmung des KlientInnenrats<br />

bestellt werden.<br />

Reformierung des Beschwerdemanagements<br />

Durch die gesetzliche Neuregelung des Beschwerdemanagements<br />

wurden die holländischen Krankenhäuser<br />

verpflichtet, Beschwerdekommissionen<br />

einzurichten.<br />

Um zu verhindern, dass bei jeder Beschwerde<br />

gleich eine Kommission aus 3-5 Mitgliedern tagen<br />

muss, verfügen die meisten holländischen Krankenhäuser<br />

mittlerweile über Beschwerdebeauftragte.<br />

Diese stellen eine sehr niederschwellige<br />

Ebene der Annahme <strong>und</strong> Bearbeitung von Beschwerden<br />

dar <strong>und</strong> unterstützen PatientInnen<br />

bei ihren Belangen im Krankenhaus.<br />

Vergleich der Strukturen <strong>für</strong> PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Bei einem Vergleich der beiden Länder hinsichtlich<br />

PatientInnenbeteiligung ist es wichtig, die unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen nochmals zu verdeutlichen.<br />

Während Holland schon über eine lange<br />

Tradition auf diesem Gebiet verfügt, wurde in<br />

England erst in der jüngeren Vergangenheit mit<br />

dem Aufbau eines PatientInnenbeteiligungssystems<br />

begonnen. Einige Strukturen (z.B. die PPIs)<br />

haben erst seit kurzem ihre Tätigkeit aufgenommen,<br />

andere befinden sich noch im Aufbau (z.B. die<br />

<strong>pik</strong><br />

newsletter 08<br />

juli 2004<br />

SEITE 35<br />

<strong>Institut</strong>ion <strong>für</strong> Beschwerdeberatung: Independent<br />

Complaints Advocacy Services).<br />

Für den Ländervergleich werden drei verschiedenen<br />

Formen von PatientInnenbeteiligung auf<br />

der Ebene von Betreuungsorganisationen (Meso)<br />

<strong>und</strong> auf der politischen bzw. Makroebene<br />

unterschieden:<br />

1 PatientInneninformation<br />

1 Beratung durch PatientInnen, Angehörige<br />

oder deren Vertretungen <strong>und</strong><br />

1 (Mit-)Entscheidung<br />

Information ist eine Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> jede Form aktiver<br />

Beteiligung. PatientInneninformation meint<br />

in diesem Zusammenhang ges<strong>und</strong>heitspolitische<br />

Information im weitesten Sinn über Einrichtungen<br />

auf der Meso- <strong>und</strong> Makroebene <strong>für</strong> PatientInnen,<br />

Angehörige oder PatientenvertreterInnen<br />

(z.B. transparente Leistungsdaten).<br />

Der Bereich Beratung umfasst all jene Formen<br />

von PatientInnenbeteiligung, im Rahmen derer<br />

Stellungnahmen von PatientInnen oder deren<br />

VertreterInnen von Entscheidungsträgern im<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen gehört werden. Diese Form<br />

der Beteiligung kann z.B. durch PatientInnenbefragungen,<br />

oder durch die Anhörung von<br />

Patienten(-vertreterInnen) umgesetzt werden<br />

(„Beratung durch Patienten(-vertreterInnen)“).<br />

(Mit-)Entscheidung umfasst jenen Bereich, in dem<br />

PatientInnen(-vertreter) stimmberechtigt Entscheidungen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen beeinflussen<br />

können.


p a t i e n t e n o r i e n t i e r t e i n t e g r i e r t e k r a n k e n b e t r e u u n g i n w i e n 1 4 . – 1 7 .<br />

PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

PatientInneninformation<br />

Bezüglich der Information <strong>für</strong> PatientInnen sind in<br />

England sehr gute Voraussetzungen geschaffen:<br />

systematische Untersuchungen über die Qualität<br />

der Betreuungseinrichtungen werden jährlich von<br />

einem unabhängigem wissenschaftlichem <strong>Institut</strong><br />

durchgeführt <strong>und</strong> im Internet veröffentlicht. Außerdem<br />

werden Berichte über alle Leitungs- <strong>und</strong><br />

Managementstrukturen der Trusts veröffentlich,<br />

welche die organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> die Qualität der Betreuungsleistungen bilden.<br />

Regelmäßig systematisch erhobene Daten über die<br />

Betreuungsqualität der Betreuungseinrichtungen<br />

wie sie in England der Bevölkerung zur Verfügung<br />

stehen existieren in Holland nicht. In holländischen<br />

Krankenhäusern wird zwar auf PatientInneninformation<br />

großer Wert gelegt, dabei handelt sich<br />

aber um Informationen über den Behandlungsverlauf<br />

der einzelnen PatientInnen <strong>und</strong> nicht um<br />

Angaben über die Qualität der Betreuungseinrichtung<br />

als solche.<br />

Beratung durch Patienten (-vertreterInnen)<br />

Im Bereich der PatientInnenbefragung wurden<br />

in England sehr gute Voraussetzungen geschaffen,<br />

um die Meinung der PatientInnen über die Betreuungseinrichtung<br />

zu erheben. Durch jährliche<br />

landesweit stattfindende PatientInnenbefragungen<br />

ist es möglich, ein regional <strong>und</strong> zeitlich differenziertes<br />

Bild über den Bedarf <strong>und</strong> die Bedürfnisse<br />

der PatientInnen zu zeichnen, welches eine solide<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> Entscheidungen auf der Meso- <strong>und</strong><br />

Makroebene im Ges<strong>und</strong>heitswesen bildet.<br />

Für Holland gilt wiederum, dass so umfangreiches<br />

<strong>und</strong> systematisch erhobenes Datenmaterial nicht<br />

<strong>pik</strong><br />

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juli 2004<br />

SEITE 36<br />

vorhanden ist. Allerdings wurden in Holland im<br />

Rahmen mehrjähriger Projekte des NP/CF Erhebungsinstrumente<br />

entwickelt, welche speziell an<br />

den Bedürfnissen der PatientInnen orientiert sind.<br />

Mittlerweile wurden diese von einem wissenschaftlichen<br />

<strong>Institut</strong> weiterentwickelt <strong>und</strong> gelten als<br />

„models of good parctice“.<br />

Hinsichtlich der Beratung von Entscheidungsträgern<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen auf der Ebene der<br />

Betreuungseinrichtungen existieren in Holland<br />

<strong>und</strong> England zum Teil ähnliche Strukturen.<br />

Die Aufgaben der KlientInnenräte <strong>und</strong> Beschwerdebeauftragten<br />

in Holland decken sich weitgehend<br />

mit jenen der PALS. In beiden Fällen werden die<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Leitungen der Einrichtungen<br />

von PatientenvertreterInnen über den Bedarf <strong>und</strong><br />

die Bedürfnisse der PatientInnen informiert. Der<br />

Vorteil der KlientInnenräte liegt darin, dass sie in<br />

deutlich mehr Betreuungseinrichtungen installiert<br />

sind während lediglich ein PALS pro Trust besteht.<br />

Da<strong>für</strong> fehlen den KlientInnenräten finanzielle Mittel,<br />

notwendige Infrastruktur <strong>und</strong> Unterstützung<br />

der ehrenamtlichen Mitglieder. Weiters haben sehr<br />

viele KlientInnenräte Schwierigkeiten überhaupt<br />

Mitglieder zu finden. PALS hingegen werden von<br />

Professionellen geleitet, verfügen über die nötige<br />

Infrastruktur <strong>und</strong> das Management der einzelnen<br />

PALS erhält Beratung <strong>und</strong> Arbeitshilfen zur<br />

Vereinfachung der administrativen Arbeit.<br />

Auch die PPIS können auf weitreichende Unterstützung<br />

zurückgreifen. Die CPPIH stellt beispielsweise<br />

umfangreiches Werbe- <strong>und</strong> Informationsmaterial<br />

<strong>für</strong> potentielle Forenmitglieder zur Verfügung,<br />

leitet niederschwellige Selektionsverfahren<br />

<strong>für</strong> Bewerber, bietet Ausbildungsseminare <strong>für</strong> Teil-


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PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

nehmerInnen der Foren an <strong>und</strong> hat eine eigene<br />

Informations- <strong>und</strong> Kommunikationsplattform<br />

zur Vernetzung der Foren entwickelt. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> arbeiten die Forenmitglieder an<br />

weitestgehend selbstgewählten Aufgaben <strong>und</strong><br />

präsentieren ihre Ergebnisse den Leitungen der<br />

PCT <strong>und</strong> NHS Trusts.<br />

Auf der politischen Ebene (Makro) sind in<br />

Holland die großen PatientInnenorganisationen<br />

die einzigen Einrichtungen, welche durch Ihre<br />

Lobbyarbeit <strong>und</strong> Interessensvertretung Einfluss<br />

auf die jeweiligen Stakeholder ausüben.<br />

In England hingegen existieren zwei <strong>Institut</strong>ionen,<br />

deren Aufgaben genau dieses Segment<br />

abdecken: die Healthcare Commission, welche<br />

systematische PatientInnenbefragungen durchführt<br />

(siehe oben), <strong>und</strong> die Commission for Patient<br />

and Public Involvement in Health. In den Berichten<br />

der Commission werden Erfolge aber auch Verbesserungsbedarf<br />

im Bereich der PatientInnenbeteiligung<br />

zusammengefasst <strong>und</strong> an <strong>Institut</strong>ionen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitswesen weitergeleitet, um deren<br />

Arbeit in Richtung verstärkter PatientInnenorientierung<br />

zu lenken.<br />

(Mit-)Entscheidung der Patienten(-vertreter-<br />

Innen) im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

Auf Ebene der Betreuungseinrichtungen kann man<br />

das „Vetorecht“ der KlientInnenräte in Holland als<br />

ersten Schritt in Richtung Mitentscheidung interpretieren.<br />

Auf nationaler Ebene (Makro) gelingt es den<br />

holländischen PatientInnenorganisationen bei<br />

ges<strong>und</strong>heitspolitischen Entscheidungen Einfluss zu<br />

nehmen. Beispielsweise wurde vom NP/CF <strong>und</strong> dem<br />

<strong>pik</strong><br />

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SEITE 37<br />

Dachverband der Krankenversicherungen ein Abkommen<br />

getroffen, wonach mehrere Projekte zur<br />

stärkeren Orientierung des Ges<strong>und</strong>heitswesens an<br />

den Bedürfnissen <strong>und</strong> dem Bedarf der PatientInnen<br />

durchgeführt werden.<br />

Verbriefte Rechte sind allerdings in beiden<br />

Ländern zur Zeit (noch) nicht vorhanden.<br />

Fazit<br />

Zusammengefasst zeigt sich, dass das englische<br />

Modell der PatientInnenbeteiligung stärker von<br />

Top-Down Prozessen bestimmt ist. Dies hat generell<br />

den Vorteil, dass Strukturen <strong>und</strong> Aufgaben<br />

besser geplant <strong>und</strong> rechtlich verankert werden<br />

können. Mit dem Aufkommen der neuen Aufgaben<br />

müssen aber sowohl PatientInnen als auch Leistungserbringer<br />

erst lernen ihre neuen Rollen<br />

auszufüllen.<br />

Außerdem zeigt sich, dass PatientInnenbeteiligung<br />

in England im Bereich PatientInneninformation<br />

sehr gut entwickelt ist. Auf der Ebene<br />

Beratung sind ebenfalls Strukturen geschaffen.<br />

Allerdings existiert bis jetzt kaum Evidence über<br />

tatsächliche Veränderungen in Richtung Demokratisierung,<br />

Verbesserung der Betreuung oder<br />

gesteigerter Zufriedenheit der PatientInnen.<br />

PatientInnenbeteiligung im Bereich (Mit-)Entscheidung<br />

besteht nicht.<br />

In Holland hingegen lassen sich sowohl Top-<br />

Down als auch Bottom-Up Prozesse nachweisen,<br />

wobei letztere bereits auf beachtliche Erfolge<br />

verweisen können.<br />

Als Erfolgsbedingungen der holländischen<br />

PatientInnenorganisationen können einerseits die<br />

Mitgliedschaft von 15-20% der wahlberechtigten


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PatientInnenbeteiligung<br />

in England <strong>und</strong> Holland<br />

Über den Projektrand geschaut<br />

Bevölkerung gesehen werden. Andererseits wird<br />

häufig das Konsensmodell 9 als Charakteristikum<br />

der holländischen Kultur beschrieben, <strong>und</strong> gerne<br />

als gute Voraussetzung <strong>für</strong> gelungene Patient-<br />

Innenbeteiligung herangezogen. Egal wie stark<br />

die holländische Kultur tatsächlich von dem<br />

Konsensmodell geprägt ist – fest steht, dass<br />

eine stärkere Beteiligung von PatientInnen/<br />

Angehörigen in jedem Fall einer Kulturänderung<br />

bedarf, die von allen Beteiligten getragen werden<br />

muss.<br />

Keclik A., Greiner B., Peinhaupt C.<br />

9 Dieses Modell beschreibt die auf gesellschaftlichen Konsens orientierten<br />

Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen<br />

mit geringer Einflussnahme durch den Staat.<br />

<strong>pik</strong><br />

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SEITE 38


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Wußten Sie schon?<br />

Am 28. Mai 2004 präsentierten Mag. Peter Nowak<br />

<strong>und</strong> Dr. Susanne Herbek das Modellprojekt PIK auf<br />

der 12th International Conference of Health<br />

Promoting Hospitals in Moskau. Schwerpunkt der<br />

Präsentation waren die bisherigen Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> Ergebnisse der Projektarbeit zu Empowerment<br />

<strong>und</strong> zur Beteiligung von PatientInnen im Wiener<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen. 14 Empfehlungen zur verstärkten<br />

Unterstützung von PatientInnen im Wienner<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem bilden den Abschluss der<br />

Präsentation, die Sie unter Ergebnisse/Publikationen<br />

& Präsentastionen auf der Projekt-Homepage<br />

www.<strong>pik</strong>-wien.at downloaden können.<br />

<strong>pik</strong><br />

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