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Wiener Gesundheits- und Sozialsurvey Vienna Health and Social ...

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I. THEORIE, STICHPROBE, METHODEN Theoretisches Konzept<br />

1.1.2.4.5 Armut <strong>und</strong> soziale Ungleichheit<br />

In den modernen Gesellschaften, deren Struktur überwiegend<br />

<strong>und</strong> zunehmend von einer monetären Dynamik<br />

geprägt wird, kann der (absolute oder relative)<br />

Mangel an Einkommen als die wichtigste Dimension<br />

von Armut gesehen werden. Dennoch besteht Armut<br />

nicht nur aus Einkommensdefiziten, sondern sie ist<br />

wesentlich mit einem Mangel an Zugang zu weiteren<br />

begehrten Ressourcen der Gesellschaft verb<strong>und</strong>en (vgl.<br />

GLATZER & HÜBINGER, 1990). Sie ist somit eine<br />

Form extremer sozialer Benachteiligung, angesiedelt<br />

am unteren Ende einer Skala der sozialen Ungleichheit.<br />

Wie die soziale Ungleichheit in den gegenwärtigen Gesellschaften<br />

zu charakterisieren sei, ist eine Frage, worüber<br />

noch kein befriedigender Konsens besteht. Von<br />

den die soziale Position am wesentlichsten determinierenden<br />

Gütern wie Einkommen, Besitz, Bildung (Wissen<br />

<strong>und</strong> Können), Ansehen, Macht <strong>und</strong> Absicherung<br />

gegenüber Existenzrisiken (vgl. z. B. SIEGRIST, 1995)<br />

kommen in der ges<strong>und</strong>heitsbezogenen Ungleichheitsforschung<br />

vor allem das Einkommen, der höchste Bildungsabschluss<br />

<strong>und</strong> die berufliche Stellung (oft als<br />

„Sozioökonomischer Status“ bezeichnet) als Indikatoren<br />

des sozialen Status zur Anwendung. Diese Indikatoren<br />

sind im allgemeinen positiv korreliert <strong>und</strong> eignen<br />

sich dadurch zur Bildung von Schichtindizes. Es<br />

gibt aber zunehmend Gruppen, für welche dieser Zusammenhang<br />

nicht mehr gültig ist, wie z. B. junge AkademikerInnen<br />

mit sehr geringem Einkommen (RAS-<br />

KY, STRONEGGER & FREIDL, 1996).<br />

Das Postulat der Chancengleichheit ist im Zusammenhang<br />

mit der Prävention <strong>und</strong> speziell in der <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>förderung<br />

besonders schwer zu erfüllen. Bereits<br />

die Voraussetzungen sind in mancher Beziehung ungünstig,<br />

weil die wirtschaftlich Benachteiligten, seien<br />

es Individuen, Minderheitengruppen oder Regionen<br />

bereits in ihren Lebensumständen (Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen,<br />

Möglichkeit zum Einkauf ausgewählter<br />

Nahrungsmittel, etc.) ges<strong>und</strong>heitlich ungünstigere<br />

Voraussetzungen vorfinden. Dazu kommen<br />

WIENER GESUNDHEITS- UND SOZIALSURVEY<br />

schlechtere Ausbildungsmöglichkeiten <strong>und</strong> damit<br />

schlechtere Voraussetzungen für ein interessiertes<br />

Mitverfolgen ges<strong>und</strong>heitsbezogener Empfehlungen.<br />

Unmittelbare existentielle Sorgen können schließlich<br />

dazu führen, dass das Bedürfnis nach Ablenkung <strong>und</strong><br />

kurzfristiger Befriedigung längerfristige Erwägungen<br />

im Sinne der Prävention in den Hintergr<strong>und</strong> drängen.<br />

Doch auch im Zusammenhang mit der Prävention<br />

können soziale Unterschiede im <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>zust<strong>and</strong><br />

entstehen oder noch vergrößert werden. Die vielfach<br />

ausgesprochene Forderung, die ges<strong>und</strong>heitliche Vorsorge<br />

der Selbstverantwortung des Individuums <strong>und</strong><br />

der Familie zu überlassen, berücksichtigt nicht, dass<br />

die Rahmenbedingungen zur Übernahme dieser Verantwortung<br />

in sozial benachteiligten Kreisen nicht erfüllt<br />

sind. Zudem sind Programme der ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Aufklärung <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>erziehung oft so gestaltet,<br />

dass sozial Benachteiligte durch sie nicht erreicht<br />

werden, sie nicht verstehen oder sich im Lichte<br />

ihrer Alltagssorgen nicht prioritär angesprochen fühlen.<br />

Die oft sowohl für den einzelnen als auch für die<br />

Familie heraufbeschworene Selbstverantwortung für<br />

die Ges<strong>und</strong>heit kann hier gar nicht zum Tragen kommen.<br />

Als Ergebnis wird nicht nur die Schere der Sozialschichtunterschiede<br />

weiter geöffnet, sondern die<br />

Schuld dafür wird zusätzlich noch den benachteiligten<br />

Menschen zugeschoben (MARTIN, 1991).<br />

Mögliche Interventionsstrategien zur Verringerung der<br />

Unterschiede liegen vor allem in der Politik. MÜLLER<br />

(1995) fordert dazu: „Ges<strong>und</strong>heit ist ein Individualrecht,<br />

was Politik stärker als eine Herausforderung aufzunehmen<br />

hat. Wenn Ges<strong>und</strong>heit von Risiken bzw. Gefährdungen<br />

<strong>und</strong> den Ressourcen abhängig ist <strong>und</strong> Risiken<br />

wie Ressourcen sozial ungleich verteilt sind, dann<br />

hat eine auf Ges<strong>und</strong>heit bezogene Politik schichtspezifisch<br />

an den Risiken <strong>und</strong> Gefährdungen anzusetzen,<br />

um sie zu reduzieren <strong>und</strong> zu minimieren <strong>und</strong> Prozesse<br />

zu organisieren, die den Individuen die Ressourcen zur<br />

Verfügung stellen, um adäquat mit den belastenden<br />

Herausforderungen umgehen zu können.“<br />

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