Wiener Gesundheits- und Sozialsurvey Vienna Health and Social ...
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I. THEORIE, STICHPROBE, METHODEN Theoretisches Konzept<br />
1.1.2.4 Das soziologische <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>verständnis<br />
<strong>und</strong> erklärende Konzepte<br />
In einer Untersuchung zur Lebensqualität der Bevölkerung<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik (GLATZER & ZAPF, 1984)<br />
nennen Erwachsene Ges<strong>und</strong>heit als das wichtigste<br />
menschliche Anliegen.<br />
In der soziologischen Theorie steht vor allem der Zusammenhang<br />
zwischen sozialen Strukturen <strong>und</strong> der<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Befindlichkeit bzw. den Krankheitszuständen<br />
von Gesellschaftsmitgliedern im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Die generelle These, dass die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse krank machen können, wurde spätestens<br />
mit der Klassentheorie von Karl Marx populär (vgl.<br />
HRADIL, 1987).<br />
In der aus heutiger Sicht klassischen Studie von HERZ-<br />
LICH (1973) wurden drei allgemeine <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>vorstellungen<br />
herausgearbeitet: Abwesenheit von Krankheit<br />
(„health in a vacuum“); <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>reserve („the<br />
substructure of the other types of health“); Gleichgewicht<br />
(„physical well-being“ <strong>und</strong> „psychological wellbeing“).<br />
Positive Ges<strong>und</strong>heit wird häufig mit ges<strong>und</strong>en<br />
Lebensbedingungen (Leben in der Natur, auf dem L<strong>and</strong>e)<br />
erklärt.<br />
In der Folgezeit haben Forschergruppen um<br />
d’Houtaud (z. B. D’HOUTAUD & GUÈGUEN, 1989)<br />
an sehr großen Stichproben systematisch <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>vorstellungen<br />
in Abhängigkeit von soziostrukturellen<br />
Merkmalen untersucht. Hauptergebnis sind<br />
Häufigkeitsverteilungen folgender <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>kategorien:<br />
hedonistische Lebenseinstellung, Gleichgewicht,<br />
positives Körpergefühl, Vitalität, psychisches<br />
Wohlbefinden, (ges<strong>und</strong>e) Lebensweisen, Hygiene,<br />
Ges<strong>und</strong>heit als Wert, Prävention, körperliche Fähigkeiten,<br />
Nicht-Krankheit. Die Häufigkeitsmuster<br />
sind sozialschichtabhängig: Die Antworten der Angestellten<br />
<strong>und</strong> jüngeren Befragten reflektierten häufiger<br />
individuelle Normen, die Antworten der Arbeiter <strong>und</strong><br />
älteren Befragten häufiger kollektive Normen. Das<br />
heißt, <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>konzepte stehen im Einklang mit<br />
sozialen Rollen <strong>und</strong> Leistungsanforderungen. Voraussetzungen<br />
für positive Ges<strong>und</strong>heit sind, insbesondere<br />
aus der Sicht der Befragten mit höherer Bildung,<br />
entsprechende Lebensbedingungen, körperliche Widerst<strong>and</strong>skraft<br />
<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsgerechte Lebensweisen.<br />
WIENER GESUNDHEITS- UND SOZIALSURVEY<br />
Die soziologische <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>forschung zeigt somit,<br />
dass die in der Bevölkerung vorherrschenden <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>konzepte<br />
vom sozialen Kontext abhängen <strong>und</strong><br />
Teilelemente so genannter Alltagstheorien sind.<br />
Blaxter (1990) findet vier Hauptkategorien der Ges<strong>und</strong>heit:<br />
(1) Nicht-Fitsein – Fitness, (2) Krankheit/<br />
Behinderung – Freisein von Krankheit, (3) Krankheitserfahrung<br />
– keine Krankheitserfahrung, (4) psychosoziale<br />
Probleme – Wohlbefinden. Diese Dimensionen<br />
korrelieren sowohl unterein<strong>and</strong>er, wobei sich altersspezifische<br />
Unterschiede zeigen, als auch mit eindimensional<br />
erfasstem ges<strong>und</strong>heitlichem Befinden. Erwartungsgemäß<br />
hängen die mit Hilfe dieser Dimensionen<br />
erfassten <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>niveaus vom Einkommen<br />
der Befragten, von ihrem Alter <strong>und</strong> auf differenzierte<br />
Weise vom Geschlecht ab. Aus ges<strong>und</strong>heitstheoretischer<br />
Sicht besonders relevant erscheinen die Schlussfolgerungen,<br />
die die Autorin aus der Literatur <strong>und</strong> ihrer<br />
Studie zieht. Danach ist Ges<strong>und</strong>heit für die meisten<br />
Menschen kein dichotomes, sondern ein multidimensionales<br />
Konzept. Weiterhin schließen sich gutes ges<strong>und</strong>heitliches<br />
Befinden <strong>und</strong> moderate Beschwerden<br />
nicht aus, sondern sind durchaus mitein<strong>and</strong>er vereinbar.<br />
Außerdem schließen Laienkonzepte von Ges<strong>und</strong>heit<br />
im allgemeinen professionelle Konzepte ein; Ges<strong>und</strong>heit<br />
umfasst somit sowohl eine subjektive als<br />
auch eine objektive Dimension.<br />
1.1.2.4.1 Soziale Netzwerke <strong>und</strong> soziale<br />
Unterstützung<br />
Durch das umfassende bio-psycho-soziale Verständnis<br />
von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit hat sich die Erkenntnis<br />
durchgesetzt, dass es sich dabei um multikausal <strong>und</strong><br />
interaktiv bedingte, dynamische, nur systematisch zu<br />
verstehende Phänomene h<strong>and</strong>elt. In der Literatur kann<br />
mittlerweile als gesichert gelten, dass soziale Unterstützung<br />
(social support) in diesem Geflecht von Faktoren<br />
einen wichtigen unabhängigen Einfluss auf die<br />
physische <strong>und</strong> psychische Ges<strong>und</strong>heit der Menschen<br />
hat. Ein Individuum, das über eine ausreichende Zahl<br />
sozialer Beziehungen von entsprechender Intensität<br />
<strong>und</strong> Qualität verfügt, scheint gegen Krankheit, vorzeitigen<br />
Tod <strong>und</strong> negative Auswirkungen von belastenden<br />
Lebensereignissen besser geschützt zu sein <strong>und</strong> chronische<br />
Erkrankungen besser bewältigen zu können als<br />
ein Individuum ohne ausreichende Zahl <strong>und</strong> Qualität<br />
solcher Bindungen.<br />
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