Jahresbericht 2006 - Kinder-Umwelt-Gesundheit
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Angeborene Fehlbildungen:<br />
Gesicherte Präventionsstrategien müssen dringend umgesetzt werden<br />
Der vorliegende <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2006</strong> des Fehlbildungsmonitoring<br />
Sachsen-Anhalt fasst ein weiteres Jahr hervorragender<br />
und sehr wichtiger Arbeit zusammen, für die den<br />
beteiligten Mitarbeitern großer Dank gebührt.<br />
Ein wichtiges Ergebnis dieser Arbeiten ist, dass die Häufigkeit<br />
des Auftretens von schweren angeborenen Neuralrohrdefekten<br />
wie Spina bifida und Meningomyelozele im<br />
Laufe des letzten Jahrzehntes leider nicht erkennbar<br />
gesunken ist. Dies ist höchst enttäuschend, denn zahlreichen<br />
Studien haben belegt, dass durch eine konsequente<br />
Supplementierung mit dem B-Vitamin Folsäure, beginnend<br />
bereits vor der Konzeption und mit Dauer für mindestens<br />
die ersten 8 Wochen der Schwangerschaft, etwa 50<br />
bis 70 % der angeborenen Neuralrohrdefekte verhindert<br />
werden können.<br />
Auch in Deutschland haben seit Mitte der 1990er Jahre<br />
viele wissenschaftliche Fachgesellschaften die Vorbeugung<br />
durch eine erhöhte Zufuhr des B-Vitamins Folsäure<br />
in Tablettenform und durch Anreicherung von Grundnahrungsmitteln<br />
empfohlen. Angesichts der großen Häufigkeit<br />
dieser Fehlbildungen und der meist entstehenden<br />
schweren und lebenslangen Mehrfachbehinderung sowie<br />
der entstehenden hohen Folgekosten kommt der effektiven<br />
Umsetzung dieser wirksamen und preiswerten Präventionsmaßnahme<br />
höchste Priorität zu. Tatsächlich aber<br />
unterstreicht der auch in Deutschland nicht eingetretene<br />
Rückgang der Fehlbildungshäufigkeit, dass nur ein sehr<br />
kleiner Teil der Schwangeren eine effektive individuelle<br />
Prophylaxe mit Folsäuretabletten mit Beginn schon vor<br />
der Befruchtung erreicht, so wie es auch die Erfahrungen<br />
aus vielen anderen Ländern zeigen.<br />
Vor allem deshalb haben inzwischen etwa 40 Staaten die<br />
Anreicherung von Grundnahrungsmitteln wie Mehl und<br />
Backwaren mit Folsäure umgesetzt, mit der die Folsäureversorgung<br />
der gesamten Bevölkerung verbessert wird.<br />
Erfahrungen aus den USA, Kanada und vielen anderen<br />
Ländern der Welt zeigen, dass die Anreicherung trotz der<br />
damit im Vergleich zur Tablettenprophylaxe niedrigeren<br />
Folsäurezulage zu einer Senkung der Zahl der angeborenen<br />
Neuralrohrdefekte - je nach Ausgangsbedingungen -<br />
um 30 bis mehr als 50 % führt. Zudem liegen Hinweise<br />
auf eine deutliche Senkung der Todesfälle durch Herz-<br />
Kreislauferkrankungen und Schlaganfälle sowie auf einen<br />
möglichen Rückgang der Neuentstehung von bösartigen<br />
Erkrankungen vor.<br />
In Deutschland sind bisher aber nur einzelne folsäureangereicherte<br />
Grundnahrungsmittel wie Speisesalz und<br />
Mehlbackmischungen auf dem Markt, die nur einen<br />
kleineren Teil der Bevölkerung erreichen. Dagegen wurde<br />
im Jahr 2007 in Irland eine allgemeine Folsäureanreicherung<br />
von Mehl eingeführt und in Großbritannien die Zugabe<br />
von Folsäure zu Lebensmitteln durch die Lebensmittelbehörde<br />
FSA empfohlen. In Österreich haben die beiden<br />
großen Fraktionen des Bundesparlaments gemeinsam<br />
ihre Regierung aufgefordert, die Mehlanreicherung mit<br />
Folsäure umzusetzen.<br />
In Deutschland schlug der Verband der Mehlhersteller<br />
(Verband deutscher Mühlen) dem Bundesverbraucherminister<br />
Seehofer vor, die generelle Anreicherung des an<br />
Bäckereibetriebe gelieferten Weißmehls vorzusehen.<br />
Damit würde auf einen Schlag die derzeit zu niedrige Folsäurezufuhr<br />
in unserer Bevölkerung verbessert. Verbraucher,<br />
die nicht angereicherte Backwaren wünschen,<br />
könnten aber weiterhin Produkte aus anderen Mehlsorten<br />
auswählen. Verbraucherminister Seehofer hat sich seit<br />
vielen Jahren für die <strong>Gesundheit</strong>sförderung und die Prävention<br />
eingesetzt. Nachdem die Folsäureanreicherung<br />
von Grundnahrungsmitteln eine der wirksamsten und hinsichtlich<br />
des Kosten-Nutzen-Verhältnisses günstigsten<br />
Präventionsmaßnahmen überhaupt ist, ist sehr zu hoffen,<br />
dass der Minister eine Folsäureanreicherung mit Mehl<br />
engagiert unterstützt.<br />
Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko<br />
Dr. von Haunersches <strong>Kinder</strong>spital, Klinikum der Universität<br />
München<br />
Vorsitzender des Arbeitskreises Folsäure und <strong>Gesundheit</strong><br />
(www.ak-folsaeure.de)