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Öko-Stadt Bandl - Kennedy Bibliothek

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<strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Prinzipien<br />

einer <strong>Stadt</strong>ökologie.<br />

Materialien<br />

zur Internationalen<br />

Bauausstellung<br />

Berlin (IBA).<br />

Herausgegeben<br />

von Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

<strong>Bandl</strong>


BRENNPUNKTE<br />

<strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Prinzipien einer <strong>Stadt</strong>ökologie<br />

Materialien zur Internationalen<br />

Bauausstellung Berlin (IBA)<br />

Band 1<br />

Herausgegeben<br />

von Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Fischer<br />

Taschenbuch<br />

Verlag


fischer alternativ<br />

Eine Reihe des Fischer Taschenbuch Verlages<br />

Herausgegeben von Rudolf Brun<br />

7.-8. Tausend: Januar 1986<br />

Originalausgabe<br />

Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,<br />

Frankfurt am Main, Oktober 1984<br />

Umschlagentwurf: Peter Hajnoczky, Zürich<br />

© Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984<br />

Satz: Fotosatz Otto Gutfreund, Darmstadt<br />

Druck und Bindung: Glausen & Bosse, Leck<br />

Printed in Germany<br />

880-ISBN-3-596-24096-4


Inhalt<br />

Frederic Vester<br />

Bernd Lötsch<br />

Friedensreich<br />

Hundertwasser<br />

Helmut Creutz<br />

Gustav Hämer<br />

Per Krusche<br />

Florentin Krause<br />

Willi Mauer<br />

Werner Schenkel<br />

Gabriele Güterbock<br />

Bensu Hubert<br />

Franz Rottkord<br />

Günter Axt<br />

Peter Thomas<br />

Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Erster Band: <strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Prinzipien einer <strong>Stadt</strong>ökologie<br />

Vorwort<br />

Grundlagen<br />

Vernetzte Systeme<br />

Was ist <strong>Stadt</strong>ökologie?<br />

Humanisierung der städtischen Umwelt -<br />

die Kehrtwendung<br />

<strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie<br />

Zum Beispiel Berlin-Kreuzberg<br />

Energie-, Material- und Wasserhaushalt<br />

Maßnahmen zur ökologischen <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

Die bundesdeutsche Bausubstanz - ein Energiefaß<br />

ohne Boden<br />

Energiekonzept im Rahmen der behutsamen<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

Materialhaushalt und Abfallrecycling<br />

Recycling von Haushaltsabfällen in Berlin-<br />

Kreuzberg - ein Versuch<br />

Wassersparende Maßnahmen im Haushaltsbereich<br />

Neue Sanitär- und Wasserrecyclingtechniken<br />

in IBA-Projekten<br />

Zwischenbilanz<br />

<strong>Öko</strong>logisch Planen und Bauen im Rahmen<br />

der Internationalen Bauausstellung<br />

Die Autoren<br />

5<br />

9<br />

23<br />

56<br />

61<br />

75<br />

83<br />

98<br />

103<br />

131<br />

138<br />

142<br />

147<br />

161<br />

169


Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Ger Londo<br />

Inge Maass<br />

Hermann Barges<br />

Martin Küenzlen<br />

Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Bengt Warne<br />

Jo Glässel/Bengt Warne<br />

Frei Otto<br />

Frei Otto<br />

EkhartHahn<br />

Zweiter Band: <strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Mit der Natur die <strong>Stadt</strong> planen<br />

(Siehe Band 2, Nr. 4097)<br />

<strong>Öko</strong>logisches Bauen - Planungskriterien<br />

Planungskriterien für ökologisches Bauen und<br />

Strategie zur Umsetzung ökologischer Projekte<br />

Grün- und Freiraumplanung<br />

Naturgärten in der(<strong>Stadt</strong><br />

<strong>Öko</strong>logie und Geschichte in der Südlichen<br />

Friedrichstadt<br />

Erfahrungen und Ideen zur Begrünung in<br />

Kreuzberg<br />

Vernetzte Projekte<br />

Was hat Oekotop nr Kreuzberg vor?<br />

<strong>Öko</strong>logische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum<br />

in Berlin-Kreuzberg<br />

Das Naturhuset<br />

Ein Naturhaus für Berlin<br />

Das Baumhaus am Tiergarten<br />

Ergebnisse und Konflikte<br />

Zusammenfassung und Ausblick<br />

<strong>Öko</strong>logischer <strong>Stadt</strong>umbau: Idealistischer<br />

Zukunftstraum oder Notwendigkeit?<br />

Die Autoren<br />

7<br />

19<br />

26<br />

39<br />

61<br />

79<br />

91<br />

103<br />

111<br />

119<br />

129<br />

144


Vorwort<br />

Diese beiden Bände entstanden im Rahmen der Vorbereitungen zur<br />

Internationalen Bauausstellung (IBA) Berlin 1987 im Forschungsbereich<br />

<strong>Öko</strong>logie/Energie. Sie dokumentieren eine Entwicklung vom umfassenden<br />

theoretischen Ansatz, wie er beim ersten <strong>Öko</strong>logiesymposium<br />

der IBA in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt 1980 z.B. von<br />

Frederic Vester, Bernd Lötsch, Friedensreich Hundertwasser, Per Krusche<br />

u.a. dargestellt wurde, zur teilweisen Realisierung in der Praxis,<br />

wie sie sich in Projekten und übergreifenden Ansätzen z.B. zur Heizenergieversorgung<br />

und zum Abfallrecycling 1984 darstellt.<br />

Als die Bauausstellung GmbH 1979 ihre Arbeit aufnahm, war der<br />

Begriff »<strong>Öko</strong>logie« im Bewußtsein von Planern und Architekten noch<br />

weitgehend identisch mit dem, was wir heute als Grün- und Freiraumplanung<br />

bezeichnen. Inzwischen zeichnet sich durch Krisen in allen<br />

Bereichen, die unsere biologischen Grundbedürfnisse betreffen, ein<br />

Wandel ab, und dieser spiegelt sich auch in der Arbeit der IBA wider.<br />

Zur <strong>Öko</strong>logie als »Haushaltslehre« gehört heute ebenso der behutsame<br />

Umgang mit gewachsenen Sozialstrukturen und mit bestehendem<br />

Wohnraum, wie mit Trinkwasser und Energie, mit Grund, Boden und<br />

Luft - Ressourcen, die nicht beliebig vermehrbar sind und von allen<br />

benötigt werden.<br />

In einer Art Zwischenbilanz wird versucht aufzuzeigen, wo die<br />

Schwierigkeiten bei der Umsetzung ökologischer Ansätze in hochverdichteten<br />

Innenstadtgebieten liegen, aber auch, welche Möglichkeiten<br />

heute schon bestehen, einen schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen<br />

in die Wege zu leiten.<br />

(Siehe auch Zwischenbilanz S. 159ff.)<br />

Das Hauptanliegen der <strong>Stadt</strong>ökologie ist die Frage, wie eine dichte<br />

<strong>Stadt</strong>struktur mit wahrhaft menschlichen Lebensbedingungen zu vereinbaren<br />

ist. Zur Klärung dieser Frage will die IBA 1987 in Theorie und<br />

Praxis einen Beitrag leisten.<br />

Außer den hier vertretenen Autoren haben natürlich viele andere<br />

Fachleute, Betroffene und Kollegen Beiträge geleistet zu dem, was<br />

heute an ökologischen Grundlagen und Ideen in der IBA existiert.


Ihnen allen möchte ich hiermit meinen herzlichen Dank für ihr Engagement<br />

und ihre Hilfestellung aussprechen. Ein besonderer Dank aber<br />

gebührt den Organisatorinnen der zwei Fachtagungen der IBA, deren<br />

Dokumentationen die Grundlage für dieses Buch bilden: Yvonne Hörn<br />

für ihren Einsatz beim ersten <strong>Öko</strong>logiesymposium der IBÄ im Herbst<br />

1980 und Gabi Morr und Monika Zimmermann vom Institut für <strong>Stadt</strong>forschung<br />

beim zweiten <strong>Öko</strong>logieworkshop der IBA 1983. Ohne ihre<br />

Hilfe hätte dieses Buch nicht entstehen können. ,<br />

Berlin, im April 1984 Margrit <strong>Kennedy</strong>


Grundlagen


Frederic Vester<br />

Vernetzte Systeme<br />

Wenn man sich mit Systemen beschäftigt, dann muß man zwangsweise<br />

die Orientierung in seinem eigenen Fachgebiet radikal ändern. Man darf<br />

nicht mehr in dieses Fach hineinschauen - mit dem Rücken zur Welt,<br />

sondern man muß aus ihm hinausschauen. Das erklärt auch, wieso ich<br />

mich als Biochemiker auf der einen Seite mit Systemforschung, Umweltfragen<br />

und Landesplanung beschäftige, und dann wieder mit Zellvorgängen,<br />

Lernbiologie und psychosomatischen Vorgängen, wie etwa dem<br />

Streßmechanismus; ganz im Sinne meiner nun seit 5 Jahren laufenden<br />

Wanderausstellung: »Unsere Welt - ein vernetztes System«. Es ist dann<br />

weniger ein Gebiet, auf das man sich spezialisiert, als vielmehr ein<br />

bestimmter Ansatz, mit dem im Grunde jedes Gebiet bearbeitet werden<br />

kann.<br />

Im Falle meiner Studien ist es der Ansatz der Systembetrachtung<br />

selbst, der vor allem auf das Wechselspiel zwischen den Dingen achtet<br />

und der mit Hilfe der Biokybernetik Systemvorgänge zu analysieren<br />

versucht und dabei zwangsweise Fachbereiche überschreitet. Dabei<br />

haben wir sehr bald eine eigenartige Feststellung gemacht, nämlich, daß<br />

es offenbar nicht nur Naturgesetze gibt, die die Dinge selbst betreffen,<br />

wie die Physik und Chemie von Werkstoffen oder wie die Statik eines<br />

Gebäudes oder die Funktionsweise eines Kraftwerkes, sondern, daß es<br />

auch Gesetzmäßigkeiten geben muß - sozusagen Systemgesetze -, die<br />

sich immer wieder der wissenschaftlichen Betrachtung entzogen haben,<br />

weil sie ausschließlich das Geschehen zwischen den Dingen betreffen.<br />

Damit liegen sie automatisch auch zwischen den Fakultäten, sprengen,<br />

die Fachbereiche und werden kaum erforscht. Man kann sie nicht<br />

zuordnen! Das Geschehen ist ja relativ unabhängig von der Art der<br />

Dinge selbst, dafür um so abhängiger von ihren Wechselwirkungen.<br />

Sobald verschiedene, bisher getrennte Elemente zusammenkommen<br />

und eine organisierte Struktur, also ein System bilden, kommen zu den<br />

wohlbekannten Gesetzen der Einzelelemente auf einmal jene Systemgesetze<br />

hinzu und fangen an zu arbeiten. Sie sind es, die dann auf einmal<br />

weit mehr als die bekannten Kausalgesetze die zukünftige Entwicklung<br />

des Systems bestimmen: zum Beispiel seine Wachstumstendenz, seine


Innen- und Außenabhängigkeit oder seine Störanfälligkeit, kurz sein<br />

Verhalten,<br />

Von diesem biokybernetischen Ansatz ausgehend untersucht meine<br />

Studiengruppe daher sowohl das Verhalten von Systemen auf bestimmte<br />

Eingriffe hin, als auch das Verhalten einzelner Technologien und Organisationsformen<br />

in Systemen. Wir orientieren uns dabei an den zunächst<br />

phänomenologisch erfaßten Gesetzmäßigkeiten des einzigen lebensfähigen<br />

Systems, das es auf diesem Planeten gibt, also des biologischen, von<br />

dem wir auch ein Teil sind. Und weil dieses System mit uns eine<br />

lebensfähige Einheit bildet und deshalb entsprechend auf uns zurückwirkt,<br />

ist es für die Gestaltung unserer Umwelt unumgänglich, dieses<br />

System tiefer zu verstehen. Gerade im Hinblick auf eine solche Rückwirkung<br />

hat sich ja in letzter Zeit einiges getan.<br />

Zunächst will ich unser bisheriges Tun einmal im Lichte dieser biokybernetischen<br />

Gesetzmäßigkeiten charakterisieren, wie sie in jedem<br />

Stück Natur beobachtet werden können. So haben wir im Laufe der<br />

Menschheitsgeschichte in einem vordergründigen Glauben an die Unbegrenztheit<br />

des technisch Machbaren ziemlich unbekümmert in das große,<br />

bis dahin gut funktionierende Globalsystem unserer Biosphäre<br />

dadurch eingegriffen, daß wir nach und nach eine immer größere Zahl<br />

künstlicher Einzelsysteme in diese Biosphäre hineingesetzt haben: Fabriken,<br />

Kraftwerke und landwirtschaftliche Großbetriebe, Siedlungen,<br />

Stauseen, Verkehrsnetze, Brücken, Häfen. Aus ehemaligen Urlandschaften<br />

wurden oft in wenigen Jahrzehnten riesige Ballungsgebiete.<br />

Alle diese Teilsysteme haben wir in die Biosphäre hineingepflanzt in<br />

der Annahme, daß sich ihr Zusammenspiel von allein regeln würde, und<br />

wenn nicht, daß entstehende Mängel sich durch weiteren technischen<br />

Einsatz und einen entsprechenden Energieinput reparieren ließen; etwa<br />

Mängel in der Luftreinhaltung, in der Bodenfruchtbarkeit, in der Energieversorgung,<br />

im Wasserhaushalt oder auch im gesundheitlichen Bereich.<br />

Im Vertrauen auf diese Reparaturmöglichkeiten haben wir uns<br />

weder darum gekümmert, ob diese künstlichen Systeme selber überlebensfähig<br />

sind, noch, ob sie mit den übrigen zu einer funktionierenden<br />

Einheit verbunden werden können.<br />

Tag für Tag starten wir weitere Entwicklungsprojekte und setzen sie in<br />

bestehende Systeme hinein, ohne überhaupt zu wissen, daß wir es mit<br />

einem System zu tun haben, geschweige denn, daß es so etwas wie<br />

Gesetzmäßigkeiten für das Verhalten und damit für das Überleben von<br />

Systemen gibt. So kommt es, daß viele, auf Kurzzeitprofit angelegte<br />

Eingriffe zunächst für die Umwelt, dann für unsere eigene Lebensqualität<br />

und im Endeffekt auch wirtschaftlich höchst problematisch wurden.<br />

Als eine der wesentlichen Ursachen für dieses Dilemma können wir<br />

die mangelnde Kenntnis der Zusammenhänge verantwortlich machen,<br />

10


wie sie in der Art unserer Ausbildung begründet ist. Die Realität, in der<br />

sich alles Leben und Wirtschaften abspielt, ist gewiß nicht das, was die<br />

Schulen und Universitäten uns gelehrt haben: ein Sammelsurium von<br />

getrennten Einzeldingen wie Agrarwirtschaft, Verkehrswesen, Chemie,<br />

Geographie und Kernphysik, Hüttenwesen, Betriebswirtschaft, Energieerzeugung<br />

und Abfallbeseitigung, geordnet nach Ressorts und Fachbereichen<br />

- und somit zu Bruchstücken auseinandergerissen -, sondern<br />

diese Realität ist in der Tat ein großes vernetztes System, das sich nach<br />

kybernetischen Gesetzmäßigkeiten verhält. Doch gerade dieses Netz ist<br />

bei unserer bisherigen Betrachtungsweise zerstört, der Systemcharakter<br />

entschlüpft unserer Betrachtung (Abb. 1). .<br />

Das Ergebnis ist entsprechend: Es treten Probleme auf, die wir nie<br />

erwartet haben (zum Beispiel steigende Krankenzahlen, trotz immer<br />

besserer medizinischer Versorgung); wir suchen nach Lösungen, die<br />

keine sein können (etwa Monostrukturen und Stützungsaktionen des<br />

Staates, die nur überholte Wirtschaftsformen zementieren, und die<br />

dann - wie etwa die Montanunion im Saarland - ganze Regionen praktisch<br />

kollabieren lassen); wir setzen Technologien ein, die sich selbst ad<br />

Abb. 1: Durch die Trennung in Fachgebiete, Ressorts und Branchen erfahren<br />

wir die Wirklichkeit als zerrissenes Netz<br />

11


absurdum führen (ich denke an die »Concorde«, an die Kernenergie<br />

oder an die Supertanker), und entwickeln Organisationsformen (wie<br />

eine wuchernde Bürokratie oder eine zunehmende Zentralisierung in<br />

der Versorgung), die an der Realität scheitern müssen.<br />

Warum? Weil diese Realität nicht ein unzusammenhängender Themenkatalog<br />

ist, sondern immer ein Netz von Rückkoppelungen und<br />

verschachtelten Regelkreisen. Ein Wirkungsgefüge, in dem Ursachen<br />

und Wirkungen verschmelzen, in dem es weit mehr auf Konstellationen<br />

und Gesamtdynamik ankommt als auf sichtbare Einzelwirkungen. Dennoch<br />

glauben wir aus simplen Hochrechnungen heraus, Prognosen stellen<br />

zu können, und wundern uns, daß sie trotz allen verwendeten<br />

Datenmaterials nicht zutreffen.<br />

Eingriffe in ein offenes dynamisches System, mit dem wir es überall zu<br />

tun haben, zeigen eben immer eine komplexe Wirkung, die sich in den<br />

wenigsten Fällen in einer direkten Ursache-Wirkung-Beziehung benachbarter<br />

Elemente äußert. Gerade Beziehungen, die auf den ersten Blick<br />

einen linearen Verlauf zeigen, ein proportionales Anwachsen, haben<br />

durch ihre Verflechtungen im Gesamtsystem oft unbemerkte Schwellwerte<br />

und Grenzwerte, durch die sich eine zunächst gleichförmige<br />

Entwicklung schlagartig, ändern kann. Viele Entwicklungen erinnern<br />

daher.an das Schießen mit Pfeil und Bogen. Wir sehen hier drei Phasen.<br />

(Abb. 2)<br />

Abb. 2: Die meisten Beziehungen zwischen den Komponenten eines Systems<br />

sind nicht-linear, haben Schwellen- und Grenzwerte - wie in diesem Beispiel von<br />

Pfeil und Bogen.<br />

12


Wenn man einen Bogen nicht spannt, kann man daher auch keinen<br />

Pfeil abschießen. Man kann den Pfeil hin und her schieben, vor einem<br />

bestimmten Schwellwert passiert nichts. Das ist die erste Phase. Sobald<br />

die Spannung diesen Schwellwert überschritten hat, fliegt der Pfeil los.<br />

Je stärker die Spannung, desto weiter fliegt er. In dieser Phase haben wir<br />

eine beinahe proportionale Beziehung. Überschreitet die Spannung<br />

einen kritischen Wert, den Grenzwert, so tritt unser System in die dritte<br />

Phase ein: Der Bogen bricht, und der Pfeil fliegt nun überhaupt nicht<br />

mehr. Fazit: wenn wir in einer ursprünglich sinnvollen Richtung ohne<br />

Beachtung des Systemzusammenhanges weitermarschieren, werden<br />

häufig die Grenzwerte überschritten, und die Entwicklung kann ins<br />

Gegenteil dessen umschlagen, was wir wollen.<br />

In der Natur reguliert sich ein stabiles System normalerweise selbst,<br />

bevor es solche Grenzwerte erreicht. Diese Selbstregulation kann man<br />

jedoch durch künstliche Energiezufuhr oder künstliche Nahrungszufuhr<br />

leicht aufheben - zum Beispiel bei einseitig geschützten Tierherden. In<br />

einem Naturschutzgebiet kann sich daher eine Elefantenherde lange<br />

Zeit ungehemmt vermehren. Das Angebot an Pflanzen reicht zunächst<br />

für alle Tiere aus. Je größer die Herde wird - in manchen Naturschutzparks<br />

gab es schon regelrechte Bevölkerungsexplosionen -, desto stärker<br />

werden die Pflanzen abgeweidet; die Vegetation nimmt exponentiell<br />

ab. Wenn einmal eine kritische Elefantenzahl überschritten ist, so ist<br />

sehr schnell der Punkt erreicht, an dem auch das letzte Akazienbäumchen<br />

abgefressen ist. Abrupt ändern sich die Verhältnisse. Die Vermehrung<br />

stoppt nicht nur, sondern die ganze Herde stirbt auf einen Schlag<br />

aus. Hätte man die Herde retten wollen, so hätte man sie vor jenem<br />

Grenzwert auf eine vernünftige Anzahl dezimieren müssen. Oder nehmen<br />

wir den menschlichen Körper: Erhöht sich seine Temperatur von 37<br />

Grad Celsius auf 40 Grad, also um 3 Grad Celsius, so ist das ein<br />

Zeichen, daß der Mensch Fieber hat und krank ist. Erhöhen wir die<br />

Temperatur um weitere drei Grad, dann ist der Mensch jedoch nicht,<br />

wie nun mancher Wirtschaftswissenschaftler haarscharf extrapolieren<br />

würde, doppelt krank, sondern er ist längst tot.<br />

In einem System kommen wir ab einem bestimmten Zeithorizont mit<br />

den gängigen Hochrechnungen niemals aus. Wir finden immer wieder<br />

Fernwirkungen, Langzeitwirkungen, Irreversibilitäten, Grenz- und<br />

Schwellübergänge, Resonanzphänomene, Paradoxien und andere nichtlineare<br />

Wirkungen höherer Ordnung. Weil es auf das Muster dieses<br />

Zusammenspiels aller Lebensbereiche ankommt und nicht nur auf das<br />

betrachtete Problem, werden die üblichen Prognosemodelle nie funktionieren.<br />

Da diese immer wieder unvollständig bleiben müssen - denn<br />

sonst müßten wir in der Detaillierung bis hinunter zum einzelnen Atom<br />

gehen -, sind Modelle der herkömmlichen Art grundsätzlich überfragt.<br />

13


So wie bei der extrapolierten Wettervorhersage, die trotz der in den<br />

letzten Jahren vorgenommenen Anreicherung des Datenmaterials durch<br />

eine Vertausendfachung der automatischen Meßstationen bei einer über<br />

24 Stunden hinausgehenden Prognose nach wie vor über statistische<br />

Zufallstreffer nicht hinauskommt.<br />

Die Art, wie wir die Wirklichkeit betrachten, benötigt also eine neue<br />

Dimension. Neben dem simplen Ursache-Wirkungs-Denken der Vergangenheit,<br />

das sich an Einzelproblemen orientiert, brauchen wir eine<br />

Hinwendung zu einem Denken in größeren Zusammenhängen - zu<br />

einem Verständnis jener komplexen Systeme, aus denen unsere Welt<br />

besteht.<br />

Wenn es um ein Erkennen des Systems geht, dann helfen uns die<br />

vordergründigen Details - so nützlich diese etwa für die Wahl der<br />

späteren Operatoren einer Strategie sind - überhaupt nicht. Im Gegenteil,<br />

je unschärfer sie werden, um so deutlicher sagt uns das Bild, was es<br />

als Ganzheit darstellt. Denn das ist durch die Vernetzung zwischen den<br />

Dingen repräsentiert. Für das Erkennen eines Systems ist also das<br />

Studium der Einzelheiten die falsche wissenschaftliche Methode. Und<br />

die wird auch dadurch nicht richtiger, daß man sie nun mit ganz<br />

besonderer Akribie betreibt. Auch die Dinge, mit denen wir uns in<br />

unserer Umwelt beschäftigen, mit denen wir unseren Lebensraum planen<br />

und unsere Technik entwickeln, müssen wir erst miteinander verbinden!<br />

Sonst wird unsere Strategie falsch, wir erfahren dazu zwar sehr viel<br />

über diese Details, aber nichts über das System und sein Verhalten.<br />

Um einige Aspekte der Bauökologie anzusprechen, soll zuerst die<br />

biologische Ebene des Baustoffes, dann die energetische Ebene und<br />

schließlich die Ebene des Materials selbst und seiner Herstellung betrachtet<br />

werden. Zunächst zur Biologie. Ob wir Häuser bauen, Papier<br />

oder Stoffe herstellen, Boden urbar machen, Verkehrswege einrichten<br />

oder Handel treiben; die verwendeten Techniken dienen immer dazu,<br />

uns von dem Zwang einer bestimmten Umwelt zu befreien. In meinem<br />

Buch »Phänomen Streß« habe ich schon einmal deutlich gemacht, daß<br />

dieses Benutzen von Technologie ja keineswegs gegen diese Umwelt<br />

oder gar gegen die Natur geschehen muß, im Gegenteil.Technik kann<br />

durchaus mit der Natur vereinbar sein. Die Natur ist eigentlich derjenige<br />

Bereich auf der Welt, in dem Technik ursprünglich zu Hause ist.<br />

Druckverteilung und Bogenärchitektur bei den Knochen, Hohlraumstatik<br />

und Dachkonstruktionen bei Diatomen oder Radiolarien, chemische<br />

Fabriken in Bakteriengröße wie die Mitochondrien im Innern<br />

unserer Zellen oder winzige Sonnenkraftwerke wie bei den Choroplasten,<br />

kodifizierte Regel techniken in den Nervenzellen des menschlichen<br />

Kleinhirns, das die motorischen Bewegungen kontrolliert, oder akustische<br />

Peilantennen bei der Stechmücke, all das funktionierte natürlich<br />

14


Abb. 3: Statik biologischer<br />

Formen als ergiebiges Vorbild<br />

alter und neuer Bauweisen.<br />

schon lange vor unserem Auftauchen in der Welt des Lebendigen und ist<br />

echte Technik.<br />

Biologische und technische Strukturen sind direkt vergleichbar<br />

(Abb. 3). Daraus ist übrigens der Forschungszweig der Bionik entstanden,<br />

die mit großem Erfolg begonnen hat, die Natur systematisch nach übertragbaren<br />

Techniken zu durchforsten - auch im Bauwesen. So erkennen<br />

z.B. unsere Gehirnzellen in allen biologischen Formen die vertrauten<br />

Prinzipien wieder, die ihnen selbst innewohnen. Denn diese Prinzipien<br />

sprechen sozusagen den gleichen universellen Code. Es entsteht Resonanz<br />

mit den eigenen Mustern, mit den Archetypen der uns innewohnenden<br />

biologischen Struktur. Und diese Resonanz erzeugt Vertrautheit,<br />

Sicherheit, Geborgensein. Ein typisches Gestalt-Phänomen der<br />

Biologie ist hier zum Beispiel eine leichte Unregelmäßigkeit in der<br />

Regelmäßigkeit, wie wir sie schon bei jedem gezahnten Blättchen finden<br />

(Abb. 4).<br />

Aufgrund dieser Resonanz, die sich mit unserer eigenen Struktur<br />

15


Abb. 4: Unregelmäßigkeit in der Regelmäßigkeit: biologisches Grundprinzip in<br />

. jedem Blatt.<br />

abspielt, empfinden wir einen Stoff wohliger als eine glatte Fläche, und<br />

einen handgeknüpften Teppich mit seinen Unregelmäßigkeiten wiederum<br />

heimeliger als einen maschinengewebten. Auch manche organischen<br />

Dinge, wie Ziegel, zeigen das gleiche Prinzip. Obgleich der Ziegel gar<br />

nicht biologischen Ursprungs ist, zeigt er diese Unregelmäßigkeit in<br />

Poren, Farbe und in Form des einzelnen Bausteins. Wenn dieses Prinzip<br />

bereits im Baustoff sitzt, überträgt sich das oft auch automatisch auf<br />

größere Dimensionen. Sei es das Dächerspiel von Rothenburg, oder sei<br />

es die Struktur einer ganzen Siedlung, zum Beispiel gewisser Eingeborenendörfer<br />

in Mali. Es ist die gleiche Unregelmäßigkeit in der Regelmäßigkeit,<br />

wie sie auch menschliche Zellgewebe zeigen. Ein anderes<br />

Beispiel ist die leicht unterschiedliche Neigung der Häuser in den<br />

Amsterdamer Grachten oder die Fassadenkulissen von St. Tropez.<br />

Überall registriert unser Gehirn eine gewisse biologische Geborgenheit.<br />

Das nur zur Illustration eines einzigen von einer ganzen Reihe von<br />

Bioprinzipien, wo wir eine kreatürliche Verwandtschaft spüren, wie sie<br />

in Betonsilos keineswegs gefunden wird.<br />

In diesem Zusammenhang ist es gar nicht merkwürdig, daß die<br />

Steinwüste von Manhattan oft weniger schlimm wirkt als etwa das<br />

Kaufhofgebäude am Münchner Marienplatz: Nun, die Straßen von<br />

Manhattan haben ein interessantes Merkmal. Beton ist hier fast fremd.<br />

16


Abb. 5: Beton ist hier<br />

fremd. Durch Ornamentik<br />

sind die Gebäude in Manhattan<br />

oft weniger bedrükkend<br />

als manchmal nur<br />

vierstöckige Kaufhausneubauten<br />

in unseren<br />

Kleinstädten.<br />

Abb. 6: Verfrachtet man<br />

die Bewohner von Slums,<br />

wo das Glück im Kleinen,<br />

im biologisch Vertrauten<br />

liegt, in die Monostruktur<br />

von Wohnsilos, so zerbricht<br />

oft irreversibel die eingespielte<br />

Sozialstruktur und<br />

muß durch Reglementierung<br />

ersetzt werden.<br />

17


Das ermöglicht zumindest bei den Fassaden ein wenig von jenem<br />

ornamentalen, unregelmäßigen biologischen Rhythmus in der Struktur,<br />

und zwar selbst an den Wänden von Industriegebäuden oder auch schon<br />

bei einfachen gemauerten Dachgeschossen (Abb. 5 und 6).<br />

Hiermit wird die Umweltpsychologie angesprochen, ein Gebiet, das<br />

mithelfen kann, manchen Tiefpunkt unseres Siedlungsbaues zu überwinden.<br />

Das Institut für Grundlagen der modernen Architektur in Stuttgart,<br />

das Institut für Baubiologie in Rosenheim, das Institut für Umwelthygiene<br />

der Universität Wien und andere befassen sich seit einiger Zeit<br />

mit der Tatsache, daß die gebaute Umwelt Psyche und Verhalten des<br />

Menschen konkret beeinflußt und daß es sich daher lohnt, nicht einfach<br />

die vordergründig kostengünstigere Lösung, sondern eben die sinnvollere<br />

zu wählen. Auf diesem Gebiet wird aber immer noch von den meisten<br />

Planern weder die Streßwirkung der Isolation noch die Streßwirkung<br />

bei zu großer Dichte berücksichtigt. Wir alle wissen jedoch, daß der<br />

Stand unseres Wissens längst ausreichen würde, die Bauqualität grundlegend<br />

zu verbessern, wenn solche Planungen eben nicht nur von<br />

Architekten, nicht nur von Städtebauern oder Verkehrsplanern, sondern<br />

immer auch gemeinsam mit Biologen und <strong>Öko</strong>logen durchgeführt<br />

würden, durch ein interdisziplinäres Vorgehen, das sich am Standort<br />

selbst orientiert.<br />

Was die Einwirkung der Bauweise auf den menschlichen Organismus<br />

betrifft, so war es wohl vor allem die Unkenntnis der biologischen<br />

Wechselwirkungen zwischen Mensch und Baustoff, die es zu mancher<br />

Pervertierung unserer heutigen Bauweise kommen ließ, sowohl in der<br />

Architektur als auch in der Wahl des Materials. Weder die Wirkung des<br />

irdischen Gleichfeldes auf die körpereigene Abwehrkraft, auf Schlaf<br />

und Ermüdung, noch die statischen Effekte auf die Leitfähigkeit der<br />

Haut, auf Pulsfrequenz und Atmung, noch die Erkrankungen durch<br />

Kunststoff-Lösungsmittel und Weichmacher, noch die Wirkung auf den<br />

körperlichen Wärmehaushalt werden beachtet. Priorität hat das Design.<br />

Die Architekturausbildung fabrizierte vielfach Modezeichner mit etwas<br />

aufgesetzter Sozialtheorie und Fertigungskalkulation, statt wirkliche<br />

Baumeister. Jahrelang war z.B. der Ziegel in den Architekturwettbewerben<br />

unter den Designern und in der Baufachpresse verschwunden.<br />

Wer sich nicht dem Vorwurf mangelnden Fortschrittglaubens aussetzen<br />

wollte, so hieß es in der Presse, der experimentierte mit neuen Baustoffen:<br />

Beton, Kunststoffen, Aluminium, Glas, Fertigbausystemen. Wer<br />

wußte auch schon, daß atmende Ziegelmauern und rohe Holzdecken<br />

ganz erheblich die unerfreuliche elektrostatische Aufladung herabsetzen<br />

können, die heute in den Stahlbetonbauten mit Kunststoffbelägen an<br />

der Tagesordnung ist bzw. nur durch eine aufwendige Klimaanlage<br />

verhindert werden kann.<br />

18


Das Stichwort Klimaanlage führt uns auf ein besonders klägliches<br />

Gebiet der Bauwirtschaft, das der Energie. Nach den Berechnungen von<br />

Klima-Architekten werden in unseren Behausungen jährlich 20 bis 30<br />

Milliarden Mark sinnlos verheizt. Sie alle kennen diese Infrarotaufnahmen,<br />

wo die hellen Farben die Wärmelecks zeigen. Alle Versuche, durch<br />

hermetische Innenisolierung das Problem in den Griff zu bekommen,<br />

gehen, trotz der dadurch bereits gesparten Heizkosten, an der eigentlichen<br />

Lösung immer noch vorbei. Nämlich an einer von vorneherein<br />

kybernetischen, also sich selbst steuernden Klimatisierung durch die<br />

entsprechende Bauweise.<br />

Eine kybernetische Klimatisierung steuert nämlich die Sonneneinstrahlung,<br />

den Wärmeaustausch, die Lüftung und das Tageslicht lediglich<br />

durch eine abgestimmte Kombination der verschiedenen Wirkungen.<br />

Und zwar wird die Ausstrahlung und der nächtliche Temperaturabfall<br />

zur Abkühlung, die Sonneneinstrahlung zur Erwärmung benutzt,<br />

der Temperaturunterschied der einzelnen Gebäudeteile und die damit<br />

zusammenhängenden Luftdruckunterschiede, und damit Luftbewegungen,<br />

werden zur Lüftung benutzt. Ohne Motor, ohne Apparat. Sonnenstand,<br />

Jahreszeit, Wind und Himmelsrichtung, Veränderung der Luftfeuchtigkeit,<br />

Außenanstrich, Flächenneigung, all das zusammen wird<br />

also in ein gemeinsames Regelsystem integriert. Dabei stellt sich dann<br />

heraus, daß die Speicherkapazität von Wänden mindestens ebenso<br />

wichtig ist wie ihre heute schon fast ausschließlich herangezogenen<br />

K-Werte für die Wärmedämmung. Auf diese Weise lassen sich, selbst<br />

unter tropischer Sonne, Häuser aus Blechen bauen. Häuser, die, statt zu<br />

einem Brutofen zu werden, ohne jegliche Klimaanlage angenehmer<br />

klimatisieren als klassische Hauskonstruktionen mit noch so gut isolierten<br />

Baustoffen. Hier läuft kein Apparat und trotzdem weht immer ein<br />

Wind, selbst bei völliger Windstille - lediglich durch die intelligente<br />

Anordnung der Bauelemente (Abb, 7).<br />

All dies sind kybernetische Konstruktionswege, die Sonnenenergie<br />

und ihre Folgeenergien beträchtlich nutzen, anstatt unter zusätzlichem<br />

Energieaufwand ständig gegen sie zu kämpfen. Sie zeigen einen Umschwung<br />

in unserem Denken: von der Boxermentalität, die vorhandene<br />

Kräfte auf Null bringt und dann erst mit weiterer eigener Kraft das<br />

erreicht, was sie will, auf das Prinzip des Jiu-Jitsu, das letzten Endes von<br />

den Buddhisten erfunden wurde. Das geschah zu einer Zeit, wo sie der<br />

Gewalt entsagt hatten, aber ständig von Räuberhorden überfallen wurden.<br />

Die Frage war, wie sie sich wehren könnten, ohne Gewalt anzuwenden.<br />

Da kamen sie auf die grandiose Idee, auf die die Natur schon<br />

immer gekommen war, die ohnehin vorhandene Kraft des Gegners zu<br />

nutzen. Die haben sie leicht umgelenkt, durch minimale Steuerenergie -<br />

und er fiel mit seinem eigenen Schwung auf die Nase. Dieses Prinzip<br />

19


Abb. 7: Dieser Bungalow aus Stahlblech im tropischen Konakry wurde nach<br />

kybernetischen Berechnungen des Ingenieurs R. Ayoub gebaut. Statt zum Brutofen<br />

zu werden, ist er - ohne jede Klimaanlage - angenehmer klimatisiert als<br />

klassische Hauskonstruktionen mit noch so guter Isolierung.<br />

können wir auch in der Architektur verwirklichen, indem wir vorhandene<br />

Energien nutzen, statt gegen sie zu kämpfen. Ein kybernetisches<br />

Prinzip der Natur. Die Abbildung zeigt ein Spielmodell aus meiner<br />

Ausstellung, noch ein bißchen futuristisch, in dem solche Möglichkeiten<br />

angedeutet sind. Ein kybernetisches Haus, dessen Einzelelemente jedoch<br />

alle irgendwo existieren und funktionieren, nur vielleicht noch<br />

nicht in diesem Zusammenhang (Abb. 8).<br />

Aber auch der Baustoff selbst kann bekanntlich schon energiesparend<br />

sein, und damit komme ich zum dritten Aspekt. Vor einiger Zeit hat die<br />

amerikanische Zeitschrift Science über einen interessanten Versuch<br />

berichtet: von zwei sonst identischen Häusern, von denen das eine 10%<br />

mehr Energie im aufwendigen Baumaterial stecken hatte. Bei diesem<br />

Haus mit seinem einmaligen Energiebedarf von 17 Millionen Einheiten<br />

stand eine Einsparung an Heizkosten von Jahr zu Jahr 25 Millionen<br />

Einheiten gegenüber. Ein ganz wesentliches, kritisches Experiment, was<br />

lange gefehlt hat, weil die Tatsache einer so günstigen Energiebilanz<br />

immer angezweifelt wurde - allerdings nur, wenn das richtige Baumaterial<br />

verwendet würde.<br />

Die Unterschiede in den Energiekosten der Herstellung sind in der<br />

Tat gewaltig (Tab. 1). Das untere Ende dieser Skala kann jedoch<br />

20


Abb. 8: Spielmodell eines<br />

kybernetischen Hauses mit<br />

einer schon heute möglichenEnergieverbundlösung<br />

(aus der Wanderausstellung<br />

»Unsere Welt - ein<br />

vernetztes System«, Katalog<br />

erschienen bei Klett-<br />

Cotta).<br />

Tab. 1. Energieverbrauch zur Herstellung einiger Baustoffe<br />

Durchschnittswerte in KWh/kg<br />

Aluminium<br />

Plastik<br />

Stahlblech<br />

Glas<br />

Beton<br />

Ziegel<br />

Holz<br />

50<br />

30<br />

15<br />

5<br />

3<br />

1<br />

0,1<br />

beliebig erweitert werden. Durch Recyclingglas und Bergbauraum,<br />

durch Flugasche, Müllschlacke, Hochofenschlacke, Rotschlammschwefel<br />

usw., ja selbst durch Altpapier, kompostierte Exkremente, Rückstände<br />

aus Biogasanlagen, um nur einige Typen von Material zu nennen,<br />

21


das reichhaltig vorhanden ist und sonst nicht verwertet wird, z.B. Inert-<br />

Material, für welches bereits kommerziell erprobte Verfahren zur<br />

Bausteinherstellung existieren. Wir haben diese reichhaltige Skala energiearmer<br />

Baustoffe noch nicht annähernd ausgeschöpft, obwohl damit<br />

sogar gleichzeitig Abfallprobleme gelöst würden. In den hier kurz<br />

angedeuteten und gar nicht einmal besonders futurologischen Wegen<br />

liegen außerdem eine Reihe ungeahnter Möglichkeiten, um auch zu<br />

gesunden, menschengerechten, ökologischen und energiesparenden<br />

Baustoffen zu kommen. Baustoffe, die der Eintönigkeit entgegenwirken<br />

und der Architektur keine Zwänge auferlegen. Und wenn solche Funktionen<br />

erfüllt sind, sollte es gleich sein, mit welchen Ausgangsmaterialien<br />

das bewerkstelligt wird.<br />

Aus Platzgründen kann ich nur ein sehr gerafftes Streiflicht geben und<br />

ein wenig andeuten, wie gerade in der Baubranche die Zukunft erst<br />

begonnen hat. An den wenigen Beispielen erkennt man aber vielleicht<br />

schon, wie wichtig es nicht nur in der <strong>Stadt</strong>entwicklung, sondern auch<br />

beim Bauen selbst ist, in die Kybernetik eines solchen Zusammenspieles<br />

einzudringen. Wie wichtig es ist, den daraus entspringenden Möglichkeiten<br />

aufgeschlossen gegenüberzustehen und sie auch rechtzeitig mit der<br />

richtigen Argumentation bei den Baubehörden durchzusetzen. Daß das<br />

heute nur noch auf der Basis eines vernetzten Denkens geht, also mit<br />

einem Denken, das Mensch, Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen<br />

heranzieht, und nicht mehr mit branchengebundenen absatzwirtschaftlichen<br />

Scheuklappen, das dürfte selbstverständlich sein. Frei Otto sagte<br />

daher einmal mit Recht:<br />

»Das vordringliche Problem unserer Zeit betrifft den Menschen und<br />

seine bestmögliche Umwelt. Die Grundaufgabe jedes Bauens ist daher<br />

humanbiologisch. Erst sekundär wird die Aufgabe technisch« - und ich<br />

darf hinzufügen: Wenn sie humanbiologisch, technisch und energetisch<br />

im Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten überlebensfähiger Systeme und<br />

damit ökologisch angegangen ist - dazu sind nur eine Handvoll Regeln<br />

nötig, dann ist das zudem noch automatisch die beste Garantie, daß sie<br />

auch wirtschaftliche Früchte trägt.<br />

22


Bernd Lötsch<br />

Was ist <strong>Stadt</strong>ökologie?<br />

Die Großstadtkrise wird immer offensichtlicher: Umwelthygienisch ist<br />

sie objektiv feststellbar, etwa an der Zunahme chronischer Atemwegerkrankungen<br />

bei Großstadtkindern (selbst in der warmen Jahreszeit).<br />

Seit der Jahrhundertwende verdoppelte sich die Lungenkrebsrate alle<br />

20 Jahre und hat nun einen Höchststand erreicht. Schlafstörungen durch<br />

Verkehrslärm sind eine Volksseuche geworden - selbst hinter den geschlossenen<br />

Fenstern der nur mehr schlecht gelüfteten Wohnungen.<br />

51,6% aller Wiener sind tagsüber und 40% nachts in ihrer Wohnung<br />

durch Lärm beeinträchtigt. Bei zwei Drittel der Bevölkerung sind die<br />

wichtigsten Räume straßenseitig orientiert - im Kernbereich von Wien<br />

leben über 50% der Menschen an verkehrsreichen Fahrbahnen. Von<br />

diesen Wohnungsmietern bezeichnen sich 90,4% bei Tag von Lärm<br />

belästigt, 84,4% können nachts nicht mehr ungestört schlafen (Umwelterhebung<br />

1973).<br />

Die Krise zeigt sich auch ästhetisch an der Verhäßlichung der <strong>Stadt</strong>szenerie<br />

und - nicht minder besorgniserregend - soziologisch, charakterisierbar<br />

etwa durch das Phänomen des »Masseneremiten«, des alten<br />

Menschen, der sich kaum mehr auf die Straße wagt.<br />

Hier mündet die Umweltkrise in soziales Unrecht, wenn man Kinder,<br />

Frauen und alte Leute zum Strandgut einer Autogesellschaft macht,<br />

ihnen Spielwelt, Lebens- und Erlebnisraum zerstört, das kostenlose<br />

Vergnügen eines Spazierganges in guter Luft und beglückender <strong>Stadt</strong>landschaft<br />

unmöglich macht und dann auf die fünfzig Mark pocht, die<br />

man dem Rentner monatlich mehr zahlen kann. Sozialen Ausgleich<br />

ausschließlich materiell verwirklichen zu wollen, nach der einfältigen<br />

Formel: »Kaufkraft ist gleich Lebensglück«, gehört zu den gefährlichsten<br />

Verirrungen moderner Sozialpolitik: »Konsum als Opium des Volkes.«<br />

Das Erwachen im zerstörten Lebensraum wird fürchterlich werden,<br />

sobald die Betäubung durch wachsenden Konsum nicht mehr möglich<br />

sein wird - vor allem aber dann, wenn selbst das privilegierte Drittel<br />

nicht mehr bei jeder Gelegenheit unter enormem Energie- und Umweltverbrauch<br />

per Auto aus der <strong>Stadt</strong> flüchten kann.<br />

23


Ein Teufelskreis<br />

Je unwirtlicher die Innenstädte, um so stärker wird der Baudruck auf<br />

den Grüngürtel, wo dann die Zweitwohnungs- und Cottageviertel finanzkräftiger<br />

Schichten entstehen. Die ungesunden Kernbereiche werden zu<br />

Wohnghettos sozial Unterprivilegierter (Rentner, Gastarbeiter - in den<br />

USA Farbige) - Zeigerorganismen (»Bioindikatoren«) für verfallende<br />

<strong>Stadt</strong>strukturen. Da ihnen die Begüteten das Umland zersiedeln, werden<br />

sie überdies auch noch vom Naherholungsgebiet abgeschnitten.<br />

»Die Reichen wohnen, wo sie wollen,<br />

die Armen wohnen, wo sie müssen.«<br />

(A. Hoyt)<br />

Diese Sehnsucht nach dem Grünen, diese <strong>Stadt</strong>kernflucht ist eine Realität.<br />

Während die Einwohnerzahlen der Wiener Innenstadt sinken,<br />

verzeichneten Außenbezirke und niederösterreichische Randgemeinden<br />

zwischen 1961 und 1971 Bevölkerungszunahmen um 54 bis 122%. Das<br />

bedingt den täglichen Radialverkehr zwischen randlichen Wohnbezirken<br />

und dem Zentrum - die langen täglichen Berufsanfahrten in ungesunden<br />

Kolonnen, die der! Menschen die Freizeit stehlen und mühsam<br />

erkämpfte soziale Fortschritte zunichte machen. Im <strong>Stadt</strong>kern stehen<br />

Tausende Wohnungen leer. Wer es sich nicht leisten kann, zwischen<br />

Grün und Grau zu pendeln, leidet still am Rande dieser Heerstraßen aus<br />

Blech, Benzin und Beton.<br />

Die <strong>Stadt</strong> frißt ihr Umland wie ein deletäres Karzinom<br />

Das Beunruhigendste an modernen <strong>Stadt</strong>entwicklungen ist das amorphe<br />

Zerfließen der Städte - ein enormer Flächenfraß -, oft sogar bei<br />

sinkender Einwohnerdichte. Die verbaute und zersiedelte Fläche der<br />

<strong>Stadt</strong> Wien beispielsweise hat sich von 1900 bis 1965 verelffacht -<br />

obwohl die <strong>Stadt</strong>bevölkerung im gleichen Zeitraum um drei Prozent<br />

abnahm (siehe Graphik la und lb).<br />

Mehr Wohnraum für den einzelnen - schuld am Flächenfraß?<br />

Natürlich gibt es in diesem Zeitraum eine Zunahme des Pro-Kopf-<br />

Wohnflächenanteils und des Wohnkomforts. Die Familiengrößen sanken,<br />

und durch Überalterung stieg die Zahl der Einpersonenhaushalte.<br />

Aber Wohnfläche ist keineswegs gleich <strong>Stadt</strong>fläche!<br />

Nur 10-20 % der <strong>Stadt</strong>fläche entfallen auf die eigentlichen Netto-<br />

Wohnflächen. Daher könnte selbst eine Verdreifachung der Pro-Kopf-<br />

24


Abb. 1: Links - Wien um 1900 mit 1,675 Millionen Menschen - rechts - Wien um 1965 mit 1,630 Millionen Einwohnern. Der Metastasierungsprozeß<br />

des Tumors ins grüne Umland ist dramatisch fortgeschritten. Die verbaute, zersiedelte Fläche hat sich von 1900 bis 1965 verelffacht (n. Planimetrie<br />

durch Prof. Woess, Inst. f. Grünraumgestaltung d. Univ. f. Bodenkultur) (Graphik Magistrat der <strong>Stadt</strong> Wien).


Wohnflächen (die zudem ja meist auf einige Geschosse gestapelt sind)<br />

niemals jenen dramatischen Flächenfraß mit Verelffachung des Baulandes<br />

rechtfertigen - schon gar nicht bei sinkender Einwohnerzahl.<br />

Es ist sehr viel wesentlicher, welche Flächenopfer wir für andere<br />

urbane Funktionen als die des Wohnens bringen, vom Straßenbau bis zu<br />

Industrieansiedlungen, von Autostellplätzen, Abstandsgrün und Restflächen<br />

bis zu Gartenparzellen.<br />

Die bahnbrechende Studie der Deutschen Bauakademie über »Die'<br />

gegliederte und aufgelockerte <strong>Stadt</strong>« (1957) kommt zum Schluß:<br />

»Die nicht dem Wohnen dienenden Flächen sind in einer modernen<br />

<strong>Stadt</strong> viel größer (zus. rund 78 bis 350 qm je Einwohner) als die<br />

Wohnfläche (rund 15 qm je Einwohner) und als die Ersparnisse, die man<br />

durch Geschoßhäufung im Wohnungsbau erzielen kann. Daher ist es<br />

sinnlos, durch hohe Wohnhäuser die Flächenausdehnung der Städte<br />

beeinflussen zu wollen...<br />

Selbst wenn man durch unendlich hohe Häuser die ganze Wohnfläche<br />

einsparen könnte, würde man dadurch die ganze <strong>Stadt</strong>fläche nur um etwa<br />

10% verkleinern!« '<br />

Diese Aussage ist - tendenziell - zeitlos gültig, selbst wenn heute<br />

durchschnittlich bereits 30 qm Netto-Wohnfläche auf jeden Städter<br />

kommen. Dabei ist wesentlich: der Zuwachs der Automobilbevölkerung.<br />

1970 hatte Wien um fast 400000 Menschen wehiger als 1910, dafür<br />

aber um 400000 Personenkraftwagen mehr.<br />

Im krebsartigen Wuchern der <strong>Stadt</strong>fläche wird vor allem die flächenerschließende<br />

Wirkung des Automobils sichtbar - während <strong>Stadt</strong>erweiterungen<br />

sich früher entlang leistungsfähiger öffentlicher Verkehrsmittelachsen<br />

kristallisieren mußten. Ein einziger Autostellplatz ist übrigens<br />

so groß wie ein durchschnittlicher Arbeitsplatz und nicht viel kleiner als<br />

die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner.<br />

Ganz wesentlich sind auch die überall durchgeführten oder projektierten<br />

Straßen Verbreiterungen, so daß laut Bebauungsplänen vieler Gemeinden<br />

der Neubau nach Abriß eines Althauses bereits einige Meter<br />

nach hinten rückt. Dies bedeutete aber eine weitere Opferung menschlicher<br />

Wohn- und Gartennutzung zugunsten des Straßenraumes, natürlich<br />

auch eine Zerstörung gewachsener Ortsbilder.<br />

Wir fliehen Dichte. Wir suchen Dichte. - Man legt uns <strong>Stadt</strong>ökologen<br />

häufig in den Mund, wir hielten Menschenballung an sich - also hohe<br />

Dichten - für eine Hauptursache der Unwirtlichkeit unserer Städte.<br />

Natürlich beschäftigen wir uns auch mit Dichtestreß - aber zu seiner<br />

Bewältigung könnte die Planung von der vergleichenden Verhaltensforschung<br />

sehr viel lernen: Denn die vergleichende Verhaltensforschung<br />

weiß aus der Beobachtung verschiedenster Tierarten, wie dichtes Zu;<br />

sammenleben durch Raumstrukturen erträglich wird - durch Verstecke,<br />

26


Nischen und Sichtbarrieren zwischen den Individuen, die ihnen erleichtern,<br />

ihre »Territorien« abzugrenzen. Gerade gesellige Tiere - und der<br />

Mensch gehört dazu - leiden unter Dichte erst in der anonymen Masse<br />

von Fremden, während persönliche Bekanntschaft auch bei hoher<br />

Dichte die Aggressionen hemmt. 1 Der Mensch braucht deshalb überschaubare<br />

Kleingruppen, in denen er die anderen kennt und selbst einen<br />

angestammten Platz hat (Identität). Und schließlich ist bei Tier und<br />

Mensch auch Streß durch Vereinsamung nachgewiesen. Er braucht ein<br />

bestimmtes Maß an Kontakten (Stimulation).<br />

Man braucht nur geglückte Wohnbeispiele gewachsener <strong>Stadt</strong>kulturen<br />

zu studieren und zu fragen, warum sie so gut funktionieren. Alte Städte<br />

mußten - im eisernen Ring ihrer Befestigungsmauern - auf engstem<br />

Raum hohe Dichten erzielen - und dies mit starker Gründurchsetzung,<br />

die eine wichtige Rolle für einen bescheidenen Selbstversorgungsgrad<br />

der Bürger spielte. Dabei sind <strong>Stadt</strong>gebilde entstanden, die wir noch<br />

heute zur Erholung aufsuchen und in denen man - nach Abdrängung des<br />

Autoverkehrs - auch wieder sehr gern lebt. Als Dozent an der Universität<br />

Salzburg weiß ich um die hohen Qualitäten einer historisch gewachsenen<br />

Altstadt.<br />

Dichte und Urbanität: Auch der neue Städtebau muß - etwa bei<br />

Planung eines <strong>Stadt</strong>erweiterungsgebietes - relativ hohe Dichten anstreben<br />

- schon um die Aufschließungskosten zu verringern und eine<br />

wirtschaftlich tragbare Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu<br />

ermöglichen.<br />

Eine hohe Einwohnerdichte ist auch Voraussetzung für eine gute<br />

Nahversorgung mit wohlsortierten Geschäften in reicher Auswahl und<br />

gesunder Konkurrenz (für den reizvollen Auslagenbummel der großen<br />

<strong>Stadt</strong>) - wie ja überhaupt kommunale Einrichtungen von Postämtern<br />

über verschiedene Schultypen, von Krankenhäusern über Schwimmbäder<br />

bis hin zu Restaurants, Kinos, Vergnügungs-, Sport- und Kulturstätten<br />

- erst ab einer bestimmten Dichte in hinreichender Qualität<br />

angeboten werden können.<br />

Wollte man den »Reiz der Urbanität« auf einen einfachen Nenner<br />

bringen, so würde er in erster Linie »Wahlmöglichkeit« bedeuten - im<br />

Geschäfts-, Bildungs-, Berufs-, Kultur- und Vergnügungsangebot, der<br />

Chance »etwas zu erleben« - das gilt besonders für das Angebot an<br />

möglichen Partnern. Die Partnerwahl ist ein ungeheures Anziehungsmoment<br />

der großen <strong>Stadt</strong> für junge Menschen aus dem ländlichen Raum.<br />

Eben darum war die glitzernde Faszination, die seit jeher vom Zauber<br />

der Urbanität ausging, eine direkte Funktion der Dichte, vor allem aber<br />

der Vielfalt innerhalb der Dichte.<br />

Nun läßt es sich zeigen, daß unser Zeitalter trotz vertikaler Verdichtung<br />

in Wohnsilos und eines Vernichtungskampfes gegen innerstädti-<br />

27


sches Grün insgesamt keine höheren Bewohnerdichten pro qkm <strong>Stadt</strong>boden<br />

erzielt hat, sondern im Gegenteil viel zu verschwenderisch mit<br />

den kostbaren Flächen umgegangen ist. Man denke nur an die breiten<br />

Straßen neuer Städte, mit Breiten wie zwei bis drei Tennisplätze (besonders<br />

auch im neuen Berlin).<br />

Nicht die Dichte selbst ist das Problem des Nachkriegsstädtebaus in<br />

Mitteleuropa, sondern die Unfähigkeit zur menschengerechten Bewältigung<br />

der Dichte.<br />

Landschaftsschonung durch Verdichtung - aber wie?<br />

Der Menschensilo hat versagt. Das wissen wir spätestens seit den<br />

sechziger Jahren. Doch nun stehen sie herum, die Techno-Saurier aus<br />

Stahlbeton und Glas. Wer glaubte, sie würden uns auch nur einen<br />

Quadratmeter Landschaft retten, hat sich geirrt:<br />

• »Menschensilo oder Schrebergärten« sind keine Alternativen - vielmehr<br />

bedingen sie einander<br />

Die Landschaft wird eben deshalb mit Hütten und Kleingärten<br />

zersiedelt, weil wir uns in der städtischen Lebensraumgestaltung über<br />

die primitivsten Grundbedürfnisse des Menschen hinweggesetzt haben.<br />

Menschensilo und Zinskaserne werden immer neue Schrebergärten<br />

gebären.<br />

Die »Batterieställe für den Nutzmenschen« (K. Lorenz) führten zur<br />

permanenten Halbflucht.<br />

• Je höher der Baukörper, desto größer die Abstände<br />

Zur Sicherung des Lichteinfalls verlangen (ausnahmsweise wohlbegründete)<br />

Bauvorschriften Mindestabstände von ein bis zweieinhalb<br />

Gebäudehöhen zwischen den emporragenden Wohnscheiben. Die<br />

dazwischen ausgebreiteten Flächen sind ebensowenig »Naturlandschaft«<br />

geblieben wie in irgendeiner anderen Siedlungsform.<br />

Der <strong>Stadt</strong>raum wird zum Zwischenraum, zur »Abstandsfläche«<br />

zwischen Hochhausklötzen - bestenfalls sterilgrüne Gemeinderasen,<br />

vergeudetes Niemandsland, kaum angenommen. Die mögliche Restfunktion<br />

als Hundeklosett rechtfertigt nicht den Flächenaufwand.<br />

• Urbanität?<br />

Das gab's einmal. Während jährlich Hunderttausende in die alten<br />

Städte wie Bamberg, Rothenburg oder Salzburg pilgern, um in den<br />

schmalen Gassen mit ihren Erkern und Höfen, Arkaden, intimen<br />

Plätzen und plätschernden Brunnen noch den Zauber pulsierenden<br />

Lebens in reizvollen Außenräumen zu erleben, klotzt das offizielle<br />

Bauen ein »Märkisches Viertel« und eine »Großfeldsiedlung« nach<br />

der anderen auf die grüne Wiese deutscher <strong>Stadt</strong>erweiterungsge-<br />

28


Abb. 2: »Wohnscheibe« am <strong>Stadt</strong>rand von Linz. Enormer optischer Landschaftsverbrauch,<br />

Abstandsgrün und Baukörper ungeschützt gegenüber dem Verkehrslärm,<br />

Verlust von Urbanität; weder familiengerecht noch flächenökonomisch<br />

(kein nutzbares Grün, trotz großen Flächenaufwandes) (Quelle: Naturschutzbund<br />

Oberösterreich).<br />

Abb. 3: Nicht das Hochhaus inmitten der Grünfläche<br />

... sondern das Grün im Schutze des Hauses bietet lebensgerechte <strong>Stadt</strong>strukturen.<br />

In den Höfen herrscht weniger als ein Fünftel des straßenseitigen Lärmpegels<br />

(Stiftshof in Salzburg).<br />

F<br />

29


30<br />

biete, brutal und geistlos - wie der Schienenkran die Fertigteile fallen<br />

läßt.<br />

Privatheit, Selbstverwirklichung?<br />

Die gibt's vielleicht noch im Innersten der Wohnzelle. Sobald man<br />

den Fuß ins Freie setzt, ist man anonym und heimatlos - kein Garten<br />

für sinnvolle Bewegung, keine Hausbank für den Plausch mit den<br />

Nachbarn.<br />

Im Blickfeld hundertfenstriger Betontürme fühlt man sich nicht<br />

geborgen, eher wie ständigen Blicken ausgesetzt, obwohl sich längst<br />

keiner mehr um den Nächsten schert. Die Grünanlagen werden<br />

vielerorts bei Dunkelheit so unsicher, daß sie am Abend jeder<br />

meidet.<br />

Optischer Landschaftsverbrauch<br />

Die weithin sichtbare Fernwirkung von Hochhäusern bedeutet einen<br />

brutalen optischen Landschaftsverbrauch - Klötze, welche in ihrer<br />

Aufdringlichkeit die <strong>Stadt</strong>bilder in aller Welt ununterscheidbar werden<br />

lassen, lebensfeindliche »Kosmopoliten der Häßlichkeit«.<br />

Flächenökonomie von Wohnhochhäusern - der tragische Irrtum<br />

Ein <strong>Stadt</strong>viertel aus dreigeschossigen Wohnhöfen mit Innengärten<br />

erzielt auf humane Weise dieselbe Einwohnerdichte pro Hektar wie<br />

zehnstöckige Wohnscheiben (siehe Abb. 5).<br />

Beispiele introvertierter Hofarchitektur reichen von Theodor Fischers<br />

Hofhäusern in München, Neu-Westend, bis zu den grünen<br />

Wöhnhöfen der Gemeinde Wien in den 20er und 30er Jahren (zum<br />

Teil sogar in wirtschaftlichen Krisenjahren verwirklicht!) als wahrhaft<br />

soziale menschengerechte Bebauungsformen, ebenso wie die Linzer<br />

Wohnhöfe der vierziger Jahre. Betritt man sie heute, verebbt der<br />

Verkehrslärm, im grünen Hof garten sind die Bewohner nur mehr<br />

einem Fünftel (und weniger) des straßenseitigen Lärmpegels ausgesetzt.<br />

Es gibt - rückblickend - keinen vernünftigen Grund, der erklären<br />

könnte, warum derart humane Bautraditionen nach dem 2. Weltkrieg<br />

zugunsten kontaktfeindlicher »Türme« und »Scheiben« aufgegeben<br />

wurden, wie fast überall auf der Welt.<br />

Hochhäuser - auch baubiologisch fragwürdig?<br />

»Aus den heute vorliegenden praktischen Erfahrungen und Experimenten<br />

wissen wir, daß das Hochhaus eine Reihe von gesundheitlichen<br />

Nachteilen aufweist. Die Frage, ob das Hochhaus menschengerecht<br />

sei, müssen wir deshalb aus guten Gründen verneinen. Werden die<br />

Baubehörden die Konsequenzen daraus ziehen?« (Dr. Oeter, Hamburger<br />

Hygiene Institut) 2<br />

Die Ursachen werden im »gestörten Milieu und der veränderten<br />

Einwirkung geoatmosphärischer Reize« gesehen. Als Nachteil der


Abb. 4:<br />

Scheibe contra<br />

Wohnhof:<br />

a) Ein häufiger<br />

Typ: lOgeschossigeWohnscheiben<br />

in den für<br />

Hochhäuser<br />

üblichen Abständen.<br />

b) Errichtet<br />

man auf demselben<br />

Areal einen<br />

nur 3geschossigen<br />

Wohnhof -<br />

weniger Wohnraum?<br />

Im Gegenteil:<br />

der<br />

Wohnhof bringt<br />

um 20% mehr.<br />

c) Grün für alle<br />

Mieter: Eine Innenlandschaft,<br />

die vor den Türen<br />

der ebenerdig<br />

Wohnenden<br />

beginnt. Der erste<br />

Stock erhält<br />

Terrassen - der<br />

zweite Stock private<br />

Freiräume<br />

auf dem Dach<br />

(Graphik: H.<br />

Katzmann und<br />

B. Lötsch).<br />

31


1. Ordnet man das gesamte Bauvolumen ebenerdig an, frißt das enorm viel Fläche.<br />

2. Baut man denselben Wohnraum zweigeschossig, gewinnt man die Hälfte der Geschoßfläche als Grünland.<br />

3. Stockt man dasselbe Bauvorhaben auf drei Etagen, gewinnt man zusätzlich ein Sechstel der Geschoßfläche.<br />

4. Baut man viergeschossig, wird nur mehr ein Zwölftel hinzugewonnen ... und ...<br />

5. beim Übergang von vier auf fünf Etagen gar nur mehr ein Zwanzigstel zusätzlich erspart.<br />

Das heißt: Der durch Stockwerkshäufung erzielbare Grünflächengewinn sinkt nach einer 2——<br />

Kurve steil ab und wird bereits ab dem 4. Stockwerk vernachlässigbar klein. n V n ><br />

Aus dieser Überlegung folgt als Optimum für neue <strong>Stadt</strong>gebiete, wenn es darumgeht, eine gegebene Fläche mi<br />

hoher Wohndichte und bester Grünflächenzuordnung zu bebauen, das zwei- bis dreigeschossige Haus.<br />

Abb. 5: Der Mythos vom Grüngewinn durch Geschoßhäufung.<br />

32


Hochhäuser wird ferner die Vereinsamung der Bewohner, die Verführung<br />

zur Trägheit und zum Stubenhockertum betrachtet.<br />

Solche Aussagen stimmen - wie fast alles in Biologie und Psychologie<br />

- statistisch, d.h. es kann ohne weiteres sein, daß sich einzelne<br />

Personen auch in Hochhäusern sehr wohl fühlen. Auch sind wir von<br />

der Kenntnis genauerer Ursachen weit entfernt.<br />

In einem Punkt aber sind sich fast alle Untersucher einig:<br />

Wohntürme sind kinderfeindlich<br />

Vom 6. Stockwerk an auf den Lift angewiesen, um rasch ins Freie<br />

und zurück zu gelangen, dürfen Kinder ihn ohne Erwachsene nicht<br />

benützen (»können es auch nicht, weil sie die Rufknöpfe nicht erreichen,<br />

können auch nicht zu Fuß gehen, weil sie sich im kahlen Einerlei<br />

der Etagen verirren. Statt Spiel und Sport im Freien genießen sie das<br />

Flimmern der Mattscheibe. Die Folgen merken die Kinderärzte«).<br />

Hochhauskinder hätten, so der Berliner Kinderarzt Karl Härtung,<br />

oft eine unterentwickelte Muskulatur und seien auffallend blaß und<br />

aggressiv.<br />

Junge Mütter und ihre Kinder leiden unter den Schwierigkeiten,<br />

die es zu überwinden gilt, damit das Kleine zum Spiel ins Freie<br />

kommt - wo es dann ohne Sicht- und Rufkontakt zur Mutter ist.<br />

Die bewegungshungrigen Kinder bleiben deshalb meist Gefangene<br />

der Wohnungen, und dort sorgen immer neue Berührungstabus für<br />

zwangsweise räumliche Beschränkung: Elektrogeräte, neue Möbel<br />

usw. Die Kinder können sich nicht wehren. Aber es ist denkbar, daß<br />

die zurückgestaute natürliche Aggressivität während und nach der<br />

Pubertät in Form von Motorraserei, Gewalt und Vandalismus hervorbricht<br />

oder doch - neben Langeweile - zu diesen Erscheinungen<br />

wesentlich beiträgt, meint Wohnbauforscher Architekt E. Bramhas.<br />

Gestörte Sozialstrukturen, Anonymität und Unüberschaubarkeit fördern<br />

Kriminalität<br />

»Die Wohnungsprojekte mit hoher Verbrechensrate sind gewöhnlich<br />

sehr groß, und in ihnen wohnen über 1000 Familien. Sie bestehen aus<br />

turmartigen Hochhäusern mit über sieben Stockwerken. In solchen<br />

Wohnhochhäusern kommen siebeneinhalbmal soviel Kriminalität und<br />

Vandalismus vor als in kleinstädtischen Mehrfamilienhäusern.« (Prof.<br />

Dr. H. J. Schneider, Kriminologe, Münster/Westfalen)<br />

Warum also Hochhäuser in neuen <strong>Stadt</strong>vierteln?<br />

Die Frage ist berechtigt und führt rasch ins Irrationale. Baugrundersparnis<br />

kann schon deshalb keine Erklärung für viele Wohntürme<br />

bieten, da in Österreich und Deutschlands Provinzen oft die allerhöchsten<br />

Hochhäuser auf den allerbilligsten Gründen errichtet<br />

wurden.<br />

»Sie bauten einen Turm, denn sie wollten sich einen Namen machen,<br />

33


34<br />

gilt nicht nur für den Turmbau zu Babel, sondern auch für manche<br />

Bürgermeister und Architekten.« (R. Rainer, 1972)<br />

Was könnte hier eine deutlichere Sprache reden als die fortschrittstrunkenen<br />

Manhattan-Visionen mancher Provinzbürgermeister.<br />

»Provinz« verrät sich am verläßlichsten an der Art, wie sie versucht,<br />

die Provinz zu verleugnen.<br />

Das Versagen der Architektur<br />

Sicherlich mögen Bauherren und Fertigteil-Sachzwänge viel zur Verzerrung<br />

architektonischer »Human«-Programme beigetragen haben.<br />

Aber - das Wirtschaftssystem allein scheint nicht entscheidend: In<br />

den Vorstädten Budapests, Ost-Berlins und anderer Ostmetropolen<br />

finden sich dieselben unmenschlichen »Profitquader«, dieselben Entartungen<br />

des »sozialen Wohnbaues« wie im sogenannten kapitalistischen<br />

Westen. Es ist schon so, wie Konrad Lorenz und Hans Sedlmayr<br />

seit Jahren betonen: die Technokratie herrscht unabhängig von<br />

politischen Ideologien. Denn sie ist eine Ideologie für sich.<br />

Dort wo man führenden Architekten aus aller Welt die Chance zur<br />

totalen Selbstverwirklichung geboten hat - etwa in Brasilien oder<br />

beim Aufbau des total zerstörten Rotterdam, wo man gleichsam bei<br />

Null anfangen konnte, nicht eingeschränkt durch kleinliche Eigentumsrücksichten<br />

oder Geldknappheit -, sind Städte entstanden, in<br />

denen sich die Menschen nicht wohl fühlen, in denen sie nicht<br />

bleiben mögen, aus denen sie bei jeder Gelegenheit fliehen - wie<br />

etwa die brasilianischen Regierungsbeamten, die jedes Wochenende<br />

per Flugzeug eilig zurückfliegen in die alten Städte, ein totes Utopia<br />

hinterlassend, dessen <strong>Stadt</strong>zentrum aus einer riesigen Autobahnkreuzung<br />

(!) besteht, flankiert von technokratischen Monstern.<br />

Bei Null beginnen mit dem Städtebau - das war auch die Idealvorstellung<br />

des französischen Architekturprogrammatikers Le Gorbusier:<br />

»Unsere alten Stahlrohre mit ihren Domen und Munstern müssen<br />

zerschlagen und durch Wolkenkratzer ersetzt werden«, proklamierte<br />

er um 1923, als er mit seinem Plan Voisin demonstrierte, wie er sich<br />

eine radikale Operation des <strong>Stadt</strong>körpers von Paris vorstellte.<br />

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß diese riesenhaften Vertikalarchitekturen<br />

und monoton gerasterten Betonfassaden ausschließlich<br />

ökonomisch erzwungen worden seien. Als Ideen sind sie viel älter als<br />

die sie bedingenden Sachzwänge:<br />

In Le Corbusiers Buch »Kommende Baukunst« (1926) finden sich<br />

bereits Skizzen jener Betonmonster - als ersehnte ästhetische Visionen<br />

-, lange bevor es eine machtvolle Fertigteilbauindustrie gab. Die<br />

architektonischen Wunschbilder eilten der Bauindustrie voraus - voll<br />

Begeisterung erhoben sie die Technologie zum neuen Gott des


Bauens, Sachzwänge mitbegründend, die heute zum Verhängnis<br />

werden.<br />

Der Glaube an die technische Machbarkeit aller Lebensbereiche<br />

muß damals in der Architektenschaft unvorstellbar stark gewesen<br />

sein:<br />

»Architektur bedient sich rückhaltlos der stärksten Mittel; Maschinen<br />

haben von ihr Besitz ergriffen, und die Menschen sind nur noch<br />

geduldet in ihrem Bereich«, heißt es noch in einem bekannten Manifest<br />

zweier junger Architekten der sechziger Jahre (der eine hat sich<br />

später davon distanziert, der andere ist heute Hochschulprofessor).<br />

Die Flucht ins Grüne<br />

Nach Umfrageergebnissen und Aussagen zahlreicher <strong>Stadt</strong>planer kauft<br />

ein Großteil der Städter das Auto nicht in erster Linie zur Berufsausübung,<br />

sondern für den Sonntag - als Freiheits- und Kraftsymbol, als<br />

Urlaubsinstrument. Man braucht das Auto, um der Unwirtlichkeit, dem<br />

Lärm und der Luftverschmutzung moderner Großstädte zu entfliehen.<br />

Das Auto ermöglicht diese Flucht - es hat sie aber auch erst notwendig<br />

gemacht.<br />

• Einfamilienhaus und Privatgrün - nur für wenige erfüllbar?<br />

Noch nie zuvor sehnten sich so viele Städter nach dem Einfamilienhaus<br />

im Grünen. Der Trend ist steigend: Hatten 1972 immerhin 74%<br />

der Deutschen diese Sehnsucht, so ergaben gleiche Umfragen 1979<br />

bereits 81 % der Wohnwünsche.<br />

Ergebnis: Verheerender Landschaftsverbrauch, wildwuchernde<br />

Bungalowrudel statt Dorfgemeinschaft und <strong>Stadt</strong>kultur, zwanghafte<br />

Abhängigkeit vom Automobil bis hin zur Prügelei an den Tankstellen,<br />

sobald das kostbare Benzin auch nur vorübergehend langsam<br />

fließt. Jede dritte Wiener Familie verfügt bereits über einen Wochenendwohnsitz<br />

im Grünen.<br />

Man opfert vielerorts die ackerbaulich wertvollen Talsohlen der<br />

Bauwut und überzieht landschaftlich ehemals reizvolle Abhänge mit<br />

einem »Gitternetz« umzäunter Parzellen, jede besetzt mit einem<br />

freistehenden Siedlungshäuschen. In dieser städtebaulich und wirtschaftlich<br />

verhängnisvollen Form (z.B. auch enorme Erschließungskosten<br />

für Fahrwege, Kanalisation, Wasserversorgung) entstehen<br />

Einfamilienhäuser massenweise aber erst seit etwa 60 Jahren.<br />

• Von alten <strong>Stadt</strong>kulturen lernen<br />

In alten Dorf- und <strong>Stadt</strong>strukturen wußte man sehr wohl hohe<br />

Wohndichten mit reizvoller Urbanität und der Intimität privaten<br />

Grüns zu vereinen - das Geheimnis war die Hofkultur: Haus und<br />

35


36<br />

Hofmauer umschließen schützend den privaten Freiraum, für welchen<br />

hier ein Bruchteil der Fläche genügt, um wesentlich mehr<br />

Intimität, Sicht-, Lärm- und Staubschutz und private Nutzbarkeit zu<br />

bieten als die offenen 600-1200 qm Gärten isolierter Einzelhäuser,<br />

welche den 5- bis 7fachen Landschaftsverbrauch bedingen und hauptsächlich<br />

Kulissen- und Pufferfunktion erfüllen (um Nachbarn und<br />

Neugierige »auf Distanz zu halten«) - denn intensiv benützt wird<br />

meist nur ein kleiner Bereich beim Haus.<br />

»Der Garten im Haus« lautet das Rezept - und nicht (wie bisher)<br />

»der Garten ums Haus«.<br />

Dies zwingt zur Revision sinnloser behördlicher Vorschriften, welche<br />

durchsichtig eingezäunte Vorgärten und streng reglementierte<br />

Mindestabstände zwischen Haus und Zaun fordern (z.B. 3 m)- und<br />

solcherart kleine Gärten zu wertlosen Streifchen rund ums Haus<br />

degradieren.<br />

Gartenmauern sparen. Fläche<br />

Oberstes Gebot für das private Grün sollte Sichtschutz, also Intimität<br />

sein. Ist dies erfüllt, genügen private Grünräume in einer<br />

Größe von VA bis 3 Zimmern.<br />

a) Intimität: Sonnenbäder (UV-Konsum für Vitamin-D-Haushalt),<br />

Lesen, Handarbeiten im Freien. Gesicherter Spielraum für das<br />

Kleinkind. Bioklimatische und psychologische Pufferzone vor der<br />

eigenen offenen Tür und dem Fenster. Gesunde körperliche Arbeit<br />

unter freiem Himmel (statt des Fahrradsimulators im Schlafzimmer).<br />

b) Eigengestaltung: Möglichkeit zur selbständigen Gartengestaltung<br />

auf kleinstem Raum, Auswahl der Pflanzen (auch Anbau von<br />

Gemüse), ständige Beobachtung von sich wandelnden Naturobjekten,<br />

Verwirklichung persönlicher Vorstellungen, damit verbunden.<br />

c) Heimatgefühl: maximale Identifikation mit der Wohnstätte.<br />

Man staunt, wie viele geschützte Hofgärtchen es selbst in den gedrängten<br />

mittelalterlichen Städten gab - etwa heute noch in Rothenburg<br />

zu sehen -, wo ja einst jeder verfügbare Quadratmeter für Obst,<br />

Beeren, Gemüse und Heilkräuter genutzt wurde. Selbst die Vertikale<br />

an den Hausfronten wurde genutzt - für Wein und Spalierobst.<br />

Damals mußte das <strong>Stadt</strong>grün seine Daseinsberechtigung und Nützlichkeit<br />

nicht durch klimatologische und psychologische Argumente<br />

rechtfertigen - wie »Luftverbesserung« oder »Naturerinnerung«.<br />

Selbstversorger in der <strong>Stadt</strong><br />

An seinen Nutzpflanzen konnte der Bewohner den Wandel der<br />

Jahreszeiten viel intensiver erleben als an irgendwelchen xerohyti-


sehen »Architektenpflanzen«, die heute zur Kaschierung von Bausünden<br />

über die Sichtbeton-Fertigteile gestreut werden, wie Petersilie<br />

über den Schweinskopf (liefern etwa manche Betonwerke die<br />

pflegeleichten Zwergkoniferen und den ruppigen Cotoneaster gleich<br />

mit?).<br />

Der bescheidene Selbstversorgungsgrad war ganz wichtig. Die<br />

größte Demütigung, die ein fremder Eroberer einer mittelalterlichen<br />

<strong>Stadt</strong> zufügen konnte, war es, die Obstbäume niederzumachen, denn<br />

diese Wunde brauchte Jahrzehnte, um zu heilen.<br />

Alte Hofsysteme in deutschen Städten könnten gerade heute unsere<br />

Phantasie wieder anregen. Jedem jungen Architekten kann man<br />

empfehlen zu studieren, wie unsere Vorfahren es fertigbrachten, bei<br />

hoher Dichte zugleich jene erstaunlich intensive Grünflächenversorgung<br />

zu verwirklichen.<br />

Städtische Wohnformen, welche dies ermöglichen, gibt es - wie<br />

erwähnt - seit langem, sie haben »... nämlich als durchwegs aneinandergebaute<br />

Häuser auf sehr kleinen Parzellen mehrere tausend Jahre<br />

lang den Städtebau fast aller großen Kulturen beherrscht - sei es als<br />

Atriumhäuser des Mittelmeerkreises oder der mohammedanischen<br />

Großstädte West- und Zentralasiens, sei es ab chinesische Hofhäuser,<br />

sei es als Reihenhäuser der west-, nord- und mitteleuropäischen Städte;<br />

Einfamilienhäuser prägen auch heute das Wohnungswesen der sehr gut<br />

funktionierenden holländischen und englischen Städte aller Größen,<br />

einschließlich Londons.« (Zit. n. Rainer)<br />

Daß dies - etwa bei Planung neuer Siedlungsgebiete - flächenmäßig<br />

verkraftbar wäre, stützt R. Rainer mit folgender Argumentation.<br />

So haben z.B. die Parzellen:<br />

»... der holländischen und englischen Reihenhäuser nur 150-250<br />

qm, das sind etwa 40 bis 60 Häuser mit rund 200-250 Einwohnern je<br />

Hektar Wohnbauland - etwa halb so viel wie bei normalen Mehrfamilienhäusern.<br />

Denkt man sich diese Mehrfamilienhäuser durch Einfamilien-Reihenhäuser<br />

ersetzt, so würden die jetzigen Baugebiete der Miethäuser<br />

solcherart zwar verdoppelt; denkt man sich aber gleichzeitig Reihenhäuser<br />

anstelle der freistehenden Einfamilienhäuser der Außenbezirke,<br />

so wären deren ausgedehnte Flächen auf ein Fünftel reduziert. Das<br />

bedeutet, daß die Wohngebiete der meisten Städte insgesamt nicht<br />

größer, sondern kleiner wären, wenn sie durchwegs aus Atriumhäusern<br />

oder Reihenhäusern bestünden, und erklärt, warum das in der<br />

Vergangenheit so war und in vielen Städten noch weitgehend so ist.«<br />

»Verdichteter Flachbau« - eine Planungsweisheit mit mehrtausendjähriger<br />

Bewährung<br />

Das moderne Ergebnis solcher Einsichten eröffnet faszinierende<br />

37


38<br />

städtebauliche Perspektiven, ohne Gefahr zu laufen, zur tragisch<br />

irrenden Heilslehre ä la Corbusier zu werden - denn sie nutzt die<br />

Weisheit gewachsener <strong>Stadt</strong>kulturen, den akkumulierten Erfahrungsschatz<br />

Hunderter Generationen.<br />

Nach diesen Prinzipien neu konzipierte »Gartenstädte« - etwa die<br />

überaus sozialen Reihenhaussiedlungen eines Tessenow, Savisberg<br />

oder Ehn, die Atriumhäuser Rainers oder das romantische Wohndorf<br />

»Seldwyla« von Rolf Keller in Zumikon bei Zürich -, sie alle geben<br />

den Planern in punkto Wirtschaftlichkeit und Wohnzufriedenheit<br />

vollkommen recht. Eine vom österreichischen Bautenministerium<br />

veranlaßte Untersuchung hat ergeben, daß die Bewohner von<br />

Atriumhäusern drei Viertel ihrer Sonntage zu Hause in ihren Gartenhöfen<br />

verbringen, während andererseits z.B. Hochhausbewohner<br />

drei Viertel dieser Freizeit außerhalb sind, und daß die Bewohner der<br />

Atriumhäuser sich besonders guter Sozialkontakte und besonders<br />

guten Wohlbefindens erfreuen.<br />

Ähnliches könnte auch für alte romantische und orientalische<br />

<strong>Stadt</strong>kulturen gesagt werden. Ob wir uns auch in Europa wieder<br />

sozio-biologisch richtige Wohnformen leisten können, hängt davon<br />

ab, welche Flächenopfer wir weiterhin für andere städtische Funktionen<br />

bringen - vor allem für den Verkehr!<br />

Auch die oben erwähnten erfolgreichen Neuplanungen im verdichteten<br />

Flächenbau'sind vielfach dadurch besonders flächenökonomisch,<br />

daß sie als »fußläufige Gartenstädte« ausgelegt sind. Wo man<br />

Autos nicht zwischen die Wohnhäuser hineinfahren läßt, entfällt die<br />

Notwendigkeit breiter Straßenflächen in der Siedlung. An Randpunkten<br />

finden sich Sammelgaragen, von denen es in der Regel nicht<br />

weiter als 100 m zum Wohnhaus ist.<br />

Dadurch wären wieder prinzipiell reizvolle Gäßchen, kleine Plätzchen<br />

und Winkel derselben Intimität möglich wie in den alten<br />

Städten, die wir zur Erholung aufsuchen.<br />

Dieses Planungsprinzip lautet also - statt landschaftszerstörender<br />

Punkthäuser und chaotischer Bungalowrudel wieder dörflich-kleinstädtisch<br />

verdichtete Strukturen - aber unter Wahrung des privaten<br />

Freiraumes, etwa als geschützter Grünhof. <strong>Stadt</strong>viertel dieser Wohndichte<br />

sind dann auch (im Unterschied zu den zu lockeren Cottagevierteln)<br />

durch öffentliche Nahverkehrsmittel wieder wirtschaftlich<br />

zu bedienen.<br />

Für das Bauen in Entwicklungsländern sind diese Erkenntnisse<br />

von allergrößter Bedeutung - um so mehr, als »fußläufige« Städte<br />

aus ein- bis zweigeschossigen Einfamilien-Atriumhäusern für viele<br />

heiße Regionen der Dritten Welt typisch sind - angepaßte Bautraditionen,<br />

an die behutsam anzuknüpfen wäre (s. Lötsch, 1979/81).


Einzelhäuser in offener Bauweise: »Das Haus im Garten«. Gegenseitige Einblicke von<br />

Straßen und Fenstern in Fenster, Vorgärten, Seitenabstände und rückwärtige Gärten.<br />

Störung aller Außenräume durch Lärm und Abgase der Autos. Weder Privatsphäre noch<br />

öffentliche Sphäre!<br />

Aneinandergebaute Hofhäuser: »Der Garten im Haus«. Keine gegenseitigen Einblicke von<br />

einer Privatsphäre in die andere - jeder Garten nur vom eigenen Haus einsehbar, keine<br />

Störung der Häuser, Höfe und Gärten durch Verkehr, Lärm und Abgase.<br />

Vollkommen geschützte Privatsphäre, klar gestaltete öffentliche Sphäre!<br />

Aus: »Lebensgerechte Außenräume«, Roland Rainer, Verlag für Architektur Artemis,<br />

Zürich 1972, S. 48<br />

Abb. 6a: Prinzipskizzen: Sichtverhältnisse in Punkthaus-und in Hofhaussiedlungen<br />

(aus R. Rainer, 1978).<br />

39


40<br />

Abb. 6b und c: Einfamilien-Reihenhäuser<br />

für Arbeiter<br />

von H. Tessenow um<br />

1907. Obwohl an viele traditionelle<br />

Elemente anknüpfend<br />

(was seinen<br />

Schöpfungen anheimelnde<br />

Wärme verleiht), war Tessenow<br />

einer der fortschrittlichsten<br />

Architekten. Gartenstadtidee<br />

,»<strong>Stadt</strong>haus«<br />

und »Verdichteten Flachbau«<br />

mit zutiefst sozialen<br />

Überlegungen verbindend,<br />

ermöglichte er sinnvolle<br />

Tätigkeit in frischer Luft<br />

für einen bescheidenen<br />

Selbstversorgungsgrad, gesicherten<br />

Spielraum für<br />

Kinder, Wäschetrocknen,<br />

Kartenspielen, Sozialkontakte<br />

- alles vor der eigenen<br />

Haustür.


Abb. 7: Seldwyla - Beispiel für Verdichteten Flachbau und Planungsdemokratie für Individualisten. Ein Exempel des Anfanges<br />

setzte der Architekt Rolf Keller (bekannt durch sein Buch »Bauen als Umweltzerstörung«) in Zumikon bei Zürich. Die<br />

Bebauungsdichte ist viel höher als die der Villensiedlungen der Umgebung, der Planungsprozeß mit den rund 40 Familien des<br />

gehobenen Mittelstandes wurde zum erfolgreichen Partizipationsmodell und schuf eine »Dorfgemeinschaft« (Strichzeichnung R.<br />

Keller).


Abb. 8: Wohndorf für Romantiker - Ferienarchitektur ganzjährig (a, b, c, d).<br />

Rolf Kellers stark handwerklich bestimmte Siedlung knüpft erkennbar an Formen<br />

des anonymen Bauens an. Mitgebrachte Türen und liebgewonnene Details aus<br />

abgebrochenen Althäusern wurden auf Wunsch eingefügt. Fläche gespart wurde<br />

bei den Gäßchen (fußläufige Gartenstadt) - die Hausgärten gewähren weiten<br />

Ausblick, werden hingegen von den Wegen kaum eingesehen.<br />

42


Die engen und daher selbstbeschattenden Gäßchen der Altstädte<br />

sind nicht nur kühler als die breiten Autostraßen (aus denen einem<br />

ein Gluthauch entgegenschlägt, als würde man ein Backrohr öffnen) -<br />

sie geben, weil Autos darin chancenlos sind, Mensch und Tier noch<br />

Raum für Aufenthalt und Kommunikation. All dies und vieles mehr<br />

ließ klimagerechte Lösungen ohne teures Airconditioning entstehen<br />

und schuf menschengerechte Urbanstrukturen ohne Computerplanung.<br />

Es repräsentiert den akkumulierten Erfahrungsschatz Hunderter<br />

Generationen - und damit ungleich mehr Weisheit als eine<br />

Generation westlichen Fertigteilbauens - mit dem man heute die<br />

Städte des Orients ruiniert (nicht nur die Städte ruiniert, sondern<br />

auch das bodenständige Bauhandwerk, die Energiebilanz und die<br />

Familienstrukturen, den angepaßten Lebensstil: In den Wohnzellen<br />

der Menschensilos kann man nicht in der Großfamilie leben, kann<br />

man nicht auf dem Dach schlafen und kann man keine Tiere halten -<br />

obwohl ein bescheidener Selbstversorgungsgrad mit Protein für die<br />

bettelarmen Volksmassen Ägyptens und anderer heißer Länder lebensentscheidend<br />

ist). Ganz wesentlich ist die Erkenntnis, daß man<br />

den Menschen nicht ungestraft die Erdbasis, ein eigenes Fleckchen<br />

bebaubaren Erdbodens rauben darf, oder wie der Inder Satish Kumar<br />

es sagt:<br />

»Erdreich und Seele gehören zusammen.«<br />

Und in einem für Orientalen typisch bildhaften Gleichnis kritisiert<br />

der weltberühmte ägyptische Architekt Hassan Fathy den Hochhausbau<br />

in Ländern der Dritten Welt:<br />

Wenn ich ein Wasserglas mit 100 ccm Inhalt vor mir habe, kann ich<br />

nicht 110 ccm einfüllen - es würde überlaufen. Wenn aber ein<br />

Politiker daherkommt und sagt: »Sie haben 1000 ccm hineinzubringen«<br />

dann würde ich entgegnen: »Gut, mein Verehrter, das kann ich -<br />

aber dann muß ich das Wasser zuerst einfrieren und die Eisstange in<br />

das Glas stellen!«<br />

Und das gleiche passiert, wenn Sie zu viele Leute übereinanderstapeln,<br />

dann müssen Sie auch etwas einfrieren, und zwar im Menschen<br />

...<br />

Zwischenbilanz - Konsequenzen für bestehende <strong>Stadt</strong>strukturen<br />

Mietergärten, statt Abstandsgrün<br />

Was fehlt dem heutigen Städter besonders? Ein privater, sichtgeschützter<br />

Freiraum unter offenem Himmel, Intimgrün, nicht nur Sozialgrün!<br />

Wahrscheinlich wird man die sterilgrünen Gemeinderasen zwischen<br />

44


den Wohnscheiben hingeklotzter Neustadtviertel dereinst als Mietergärten<br />

parzellieren, denn dies wäre die sicherste Art, ohne öffentliche<br />

Mittel ein menschlich intensivst genutztes Gartenparadies entstehen zu<br />

lassen - auf bisher anonymen Freiräumen zunehmender Kriminalitätsbelastung<br />

könnten plötzlich liebevoll betreute Selbstversorgergärtchen<br />

wuchern, eine neue Gartenlaubenromantik sprießen - aus Pachtgärten<br />

würden Prachtgärten.<br />

Hofschutz<br />

Doch was tun im Häusermeer dichtbebauter <strong>Stadt</strong>bezirke? Gewiß - man<br />

beginnt die grünen Höfe wieder zu entdecken - soweit sie nicht längst zu<br />

ölbefleckten Autostellflächen verödet sind. Ein wirksames Hofschutzgesetz<br />

wäre heute zehnmal wichtiger als die seit Adolf Hitler in verhängnisvoller<br />

Weise immer wieder novellierte (Reichs-)Garagenordnung, die<br />

den Hauseigentümer verpflichtet, bei Neu- und Umbauten auf seinem<br />

Grund eine der Wohnungszahl gemäße Zahl von Stellplätzen zu errichten.<br />

Flucht aufs Dach - Grünes Glück über Großstadtgiebeln<br />

Wie die Überlebenden großer Flutkatastrophen oft nur mehr einen<br />

Fluchtweg offen haben - den nach oben, auf ihr Dach -, beginnen sich<br />

gequälte Städter der unermeßlichen Dachflächen zu erinnern, um sich<br />

auf ihnen vor der allgemeinen Sintflut aus Blech, Benzin, Beton, Lärm<br />

und Gestank zu retten. In keinem Jahrhundert zuvor wurden in unseren<br />

Klimazonen so viele Flachdächer gebaut wie in den letzten 70 Jahren -<br />

sattsam bekanntes Ziel berechtigter Kritik.<br />

Doch warum nicht die Not zur Tugend machen - wie Architekt Erich<br />

Bramhas schon 1973 schrieb:<br />

»Man muß sich in Erinnerung rufen, wozu ein Flachdach gut sein<br />

kann, um diese Phantasielosigkeit zu begreifen: Tischtennis spielen,<br />

baden, sonnenbaden, Wäsche aufhängen, turnen, malen, Blumen züchten,<br />

Hühner halten, schlafen, Sternschnuppen zählen, Gitarre spielen,<br />

lieben. Das Ausmaß an dazugewonnener Freude ist nicht meßbar. Die<br />

Mehrkosten gegenüber einer Dachnormausführung sind es schon. Das<br />

fällt kaum ins Gewicht? aber immerhin. Also spricht der kaufmännische<br />

Leiter: > Unwirtschaftlich.<br />

Der Schrumpfmensch im Fertigteilbau wird noch oft nach Italien auf<br />

Urlaub fahren müssen, um zu begreifen, daß >Wirtschaftlichkeit< mitunter<br />

die Narkose ist, in der man ihn kastriert.«<br />

45


46<br />

Abb. 9a, b: Improvisiertes<br />

Grünparadies des Kleingewerberentners<br />

E. R; Finsches<br />

auf dem geteerten<br />

Kiesdach des Althauses<br />

Gerlgasse 16, 3. Bezirk in<br />

Wien.


Verglichen mit dem, was unsere Bautechnik heute alles fertigbringt,<br />

ist ein begehbares Flachdach mit Pflanzenkübeln und üppigen Containerbäumen<br />

ein geradezu bescheidener Aufwand, um den Menschen<br />

oben ein wenig von dem zurückzugeben, was man ihnen unten nimmt.<br />

Die Welt der Kinder in der <strong>Stadt</strong> - ein Indikator für soziale Politik<br />

Die Menschlichkeit einer <strong>Stadt</strong>politik erkennt man daran, wie sie mit<br />

den Schwachen verfährt, mit den Randgruppen unserer »Benzingesellschaft«,<br />

mit den Alten und mit den Kindern. Die Kinder der »Motornomaden«:<br />

wie Astronauten unbeweglich festgeschnallt am Rücksitz der<br />

Autos ihrer ruhelosen Eltern, hilflose Opfer rhythmischer »Völkerwanderungen<br />

aus Blech« (in Österreich nennen wir sie »Benzinhunnen«).<br />

Die empfindlichen Kleinen bekommen hier Kohlenmonoxydstöße und<br />

Abgaskonzentrationen in das Wageninnere, die zu den höchsten gehö-<br />

Abb. 10: Stundenlang niedergeschnallt wie Astronauten - die Kinder der Motornomaden<br />

(Photo Lötsch).<br />

47


en, die im Verkehrsgeschehen überhaupt gemessen werden, weil ja die<br />

Feiertagsspitzen oft höher als der Werktagsstau sind, und das Kind hat<br />

gar nichts von dieser hektischen Zwangsmobilität. Es ist nur außerordentlich<br />

gehemmt, beengt. Das Kind braucht keine großen Landschaften<br />

und Ferienziele, es braucht die »G'stetten« (d.h. unreglementierte,<br />

allmählich verwildernde Freiräume).<br />

Kinder brauchen »halbwilde Zustände«<br />

Ich bin als Fünf- bis Zehnjähriger außerordentlich glücklich auf den<br />

Ruinenfeldern von Wien aufgewachsen. Hundertwasser wird mißverstanden:<br />

Keiner von uns will deshalb Bomben schmeißen, obwohl ich mir bei<br />

manchen dieser riesigen Betonklötze schon eine Feldhaubitze wünschen<br />

würde (was nichts an meiner pazifistischen Grundeinstellung ändert), aber<br />

wir haben es noch in Erinnerung, wie sich solche G'stetten zum Erlebnisraum<br />

, zum artenreichen, stimulierenden Abenteuerspielplatz entwickeln,<br />

wo innerhalb von zwei Jahren eine reiche Ruderalflora wuchert, wo Kinder<br />

vom Marienkäfer bis zum Tagpfauenauge, vom Ailanthusspinner bis zum<br />

Laufkäfer alles finden. Kinder erleben Umwelt im Nahbereich, wie ein<br />

Naturfotograf mit der Makrolinse. Sie sind explorativ, sie wollen auch<br />

verändern, graben. Mitscherlich hat schon gesagt:<br />

»Der junge Mensch ist noch arm an höherer geistiger Leistungsfähigkeit,<br />

er ist weitgehend ein triebbestimmtes Spielwesen, er braucht deshalb<br />

seinesgleichen, nämlich Tiere, überhaupt Elementares - Wasser, Dreck,<br />

Erde, Gebüsch, Spielraum. Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen<br />

lassen - er überlebt es. Doch man soll sich dann nicht wundern, wenn<br />

er später bestimmte soziale Grundleistungen nie mehr lernt -z.B. Zugehörigkeitsgefühl<br />

zu einem Ort und Initiative.«<br />

Ein Landjunge kann sich eine Haselrute schneiden und damit Disteln<br />

köpfen - aber was soll denn so ein Kümmerkind auf Asphalt und Beton<br />

köpfen? Es zerlegt dann, wenn es älter wird, Telefonzellen, Parkbänke,<br />

es sieht Ersatzabenteuer auf der Straße und Ersatzerlebnisse im Rausch.<br />

Das ästhetische Gefühl und die Phantasie eines Menschen - sie<br />

werden nachhaltig von den Formerfahrungen seiner frühen Kindheit<br />

geprägt. Diese Grünanlagen, die aus der Nähe erforscht werden können,<br />

sind die ersten Erlebnisräume des Kindes. Sie sind Biotop für<br />

Blumen, Schmetterlinge, Käfer, Schnecken, Frösche, Eidechsen und<br />

Vögel. Und beobachten Sie Ihre Kinder, verfolgen Sie sie mit dem<br />

Teleobjektiv. Sie können hier wesentliche Aussagen machen über das,<br />

was unsere wertvollsten Geschöpfe, in denen alle unsere Hoffnungen<br />

liegen, wirklich brauchen - einen Auwaldtümpel, eine Schlammlache,<br />

Formbares, Veränderbares, Lebendiges. Ja, und das stellt man ihnen<br />

dann hin und sagt, man belebe die kindliche Phantasie, weil man den<br />

48


Abb. 11: Kinder brauchen »halbwilde Zustände«. Vergessene Baulücken, Unkraut<br />

und summende Sommerwiesen - Kinder wollen graben, abreißen, erhaschen<br />

- sie erleben die Natur im Nahbereich.<br />

49


Chlorkautschuklack des Betonbeckens eingefärbelt hat (Kinderplanschbecken<br />

aus der Olympiastadt bei München). Das ist ja fürchterlich! Sie<br />

werden jetzt verstehen, warum der Wildbiologe Antal Festetics, Konrad<br />

Lorenz und ich einen »Verein zur Herstellung und Erhaltung halbwilder<br />

Zustände« gegründet haben, wobei wir Louis Le Roy aus Holland,<br />

Friedensreich Hundertwasser aus Österreich und Bengt Warne aus<br />

Schweden als Ehrenmitglieder kooptieren. Und Rudolf Doernach ist<br />

ebenfalls in höchstem Maße verdächtig.<br />

Das ist das Entscheidende: Schaffung und Revitalisierung von Feuchtbiotopen.<br />

Wir haben jetzt seit Jahrzehnten Feuchtbiotope aus unserem<br />

Gesichtskreis verbannt: begradigt, verrohrt, zugeschüttet, planiert. Dafür<br />

taucht dann in Spielwarengeschäften eine zunehmende Zahl trauriger<br />

Ersatzobjekte - Plastikfrösche, Blechschildkröten, Kautschuksalamander<br />

- auf. Der lebende Frosch läßt keine Kasse klingeln. Der Kauf<br />

von Blechattrappen hebt das Bruttosozialprodukt. Sind diese kleinen<br />

Lebensräume - Gartenteiche, Tümpel, Naturgärten - auch oft nur Ersatznatur,<br />

so geben sie dem weltoffenen Neugierwesen Mensch doch vielfältige<br />

Stimulation und Experimentiermöglichkeiten. Sie vermögen zur<br />

Entwicklung von Naturliebe und Natursehnsucht beizutragen. Kinder<br />

zwischen monotonen Betonfassaden großzuziehen und ihnen dann noch<br />

ihre Spielwelt zu verbetonieren und sich mit kinderpsychologischen<br />

Stahlrohrgestellen auf Plastikrasen ein Alibi verschaffen zu wollen,<br />

bedeutet eine erschütternde Wohlstandsverarmung, eine Fehlprägung<br />

heranwachsender Kinder mit gefährlichen seelischen Langzeitfolgen. In<br />

manchen Gegenden der großen Städte - auch Wiens - gibt es die<br />

Schmetterlinge fast nur mehr auf den schönfärbenden Plakaten der<br />

Informationszentren der Gemeinde - »Freizeitstadt Wien«. Und sagen<br />

Sie mir nicht, daß Kinder diese Versteinerung und Verarmung nicht<br />

empfänden!<br />

Es ist uns ein herausgeschmuggelter Brief aus einem deutschen Konzentrationslager<br />

bekanntgeworden. Da hat ein kleines Mädchen nur<br />

diesen einen Satz daraufgeschrieben:<br />

»Hier gibt es keine Schmetterlinge.«<br />

City-farming - ein gelungenes Experiment in der großen <strong>Stadt</strong><br />

Es gibt überall aufgelassene Betriebsgelände, überwucherte Bahnkörper<br />

und dergleichen, so wie etwa hier in englischen Städten. Während sich<br />

die Spekulanten um diese Gelände noch stritten, haben Initiativgruppen<br />

einen Fonds gebildet, um sie für gemeinnützige Zwecke aufzukaufen.<br />

Man hat den Leuten Visionen vermittelt, bunte Bildtafeln aufgestellt<br />

wie »This could be a nature-reserve« oder »77z« could be a duckpond«<br />

(da könnte ein Ententeich sein). Man hat mit Enthusiasmus das Land an<br />

50


Pensionisten und Kinder verteilt - die einzige Auflage war, sich aktiv<br />

darum zu kümmern. Man hat sie selbst gestalten lassen, man hat<br />

parzelliert, man hat die Flächen den Benutzern persönlich zugeordnet,<br />

zur Betreuung anvertraut. Auch ich glaube, daß die persönliche Zuordnung,<br />

selbst von wenigen Quadratmetern Grün, wesentlich wichtiger ist<br />

als große, repräsentative, sterilgrüne Kommunalflächen, die nicht angenommen<br />

werden. So hat man die Aktion »City-farming« gestartet. Das<br />

Architektenehepaar Knights 3 in England ist hier führend. Und während<br />

sonst überall, wo Großstadtkinder hinkommen können, Schilder hängen<br />

»Nicht füttern« und »Nicht berühren«, »Nicht betreten«, heißt es hier<br />

»Phase touch the animals« oder »Come in and help us«. Aus leeren<br />

Magazinen hat man Pferdeställe und Schweineställe gemacht, die Kinder<br />

haben den Kontakt mit dem Elementaren, und für eine bestimmte<br />

Stundenzahl von Pferdepflege dürfen sie dann auch selbst reiten. Steigende<br />

Erlöse erzielen die City Farms alleine schon aus den Besuchen<br />

zahlreicher Schulklassen der näheren und weiteren Umgebung. Ein<br />

beispielhaftes Konzept zur Schaffung von mehr Selbständigkeit und<br />

Naturnähe in den großen Millionenstädten des angelsächsischen Raumes.<br />

Für unheilbare Autofetischisten bietet man sogar einige Reparaturplätze<br />

mit Schlauchanschluß für die rituellen Waschungen des Blechlieblings<br />

an. Interessanterweise - und dies bestätigte die Erwartungen<br />

der Planer - zieht es auch diese Typen alsbald in das pulsierende Farmund<br />

Gartenleben, denn auch dort werden Bastler benötigt - für sinnvollere<br />

Aufgaben als den Schwachsinn sonntäglicher Autowäsche.<br />

<strong>Stadt</strong>ökologie als Beschäftigungspolitik<br />

Ich möchte zum Schluß meiner verbalen Ausführungen noch einen ganz<br />

wichtigen Punkt anschneiden. Wir haben echte Arbeitslosenprobleme.<br />

Eine verlogene Propaganda in Österreich und Deutschland redet den<br />

Leuten ein, die Arbeitslosigkeit sei eine Folge der Energieverknappung<br />

und werde noch schlimmer werden, weil böse Umweltschützer gegen<br />

Kernkraftwerke demonstrieren.<br />

Kein einziger der 17 Millionen Arbeitslosen der OECD ist wegen<br />

Energiemangels arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit ist eine Folge der Überproduktion,<br />

weiters internationaler Marktsättigungen - etwa auf dem<br />

Grundstoffsektor - und schließlich eine Folge des Hinausrationalisierens<br />

von Arbeitskräften unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs.<br />

Daher benötigen wir nun neue Strategien zur Arbeitsplatzsicherung,<br />

indem man etwa beschäftigungsintensive, aber ressourcenschonende<br />

Aktivitäten öffentlich fördert. Hier ist die Altstadtsanierung, die Altstadtrevitalisierung<br />

die beste Möglichkeit, um öffentliche Förderungsmilliarden<br />

für die Bauwirtschaft von umweltzerstörenden Projekten auf<br />

51


umweltschonende Qualitätsverbesserungen umzulegen. Auf derselben<br />

Ebene läge verstärkte städtische Grünraumpflege, die Schaffung von<br />

Radwegsystemen und - ebenfalls beschäftigungssichernde - Investitionen<br />

in den öffentlichen Verkehr. Hier von »Defizit« zu reden ist<br />

irreführend - er ist eine kommunale Dienstleistung, die zum Überleben<br />

des <strong>Stadt</strong>organismus nötig ist - ebenso wie Kanalisation, Müllabfuhr<br />

oder Wasserversorgung. Wie diese kann und muß er kein »Geschäft«<br />

sein. Profite machen die Gemeinden anderswo und »Defizite« erst recht.<br />

»Qualitatives Wachstum« am Beispiel Bauwirtschaft<br />

Das Wirtschaftswachstum seit den fünfziger Jahren hat nach Aussage<br />

kompetenter Denkmalpfleger mehr historische Bausubstanz und urbane<br />

Kulturgüter zerstört als die Bomben des Zweiten Weltkrieges. Anläßlich<br />

der Verleihung der Europa-Goldmedaille für Denkmalpflege an die<br />

<strong>Stadt</strong> Bamberg erklärte ihr Bürgermeister Mathieu (2. September 1977):<br />

»Sicherlich haben wir Bamberger unseren Weg nicht aufgrund unserer<br />

besseren Einsicht oder besonders ausgeprägter Liebe zu unserer <strong>Stadt</strong><br />

eingeschlagen. Wir hatten nicht genügend Geld, um mit reicheren Städten<br />

zum Beispiel beim Bau von Hochhäusern mitzuhalten... und Bamberg<br />

bekam anfangs nur wenige staatliche Finanzmittel für den Wohnungsbau.<br />

.. Wie oft wurden wir ah rückständig geschmäht, weil wir nicht auch<br />

so >modern< bauten wie andernorts. Heute sind wir aber alle - Kritiker<br />

und Kritisierte - froh, daß uns so manche Bausünde erspart blieb.«<br />

Trotz des katastrophalen Zusammenwirkens zwischen dem industrialisierten<br />

Fertigteilbauen hochmechanisierter Riesenunternehmen und<br />

einer Architektenmentalität, die seit den 20er Jahren mit traditionsfeindlichen<br />

Thesen jenen gerasterten Brutalismus auch ästhetisch zu rechtfertigen<br />

suchte, indem sie Gewaltakte aus Sichtbeton, Aluminium Und Glas<br />

mit dem Dogma in Altstadtensembles knallte: »gute Architektur paßt<br />

überall hin« - trotz alldem diesen Typus von Bauwirtschaft weiter zu<br />

fördern (weil Großunternehmen mehr politischen Einfluß haben als die<br />

kleinen) - das wäre nicht »konservativ«, sondern schlichtweg überholt<br />

und auch beschäftigungspolitisch dumm: denn diese hochrationalisierte<br />

Bauweise ist weniger Arbeitsplatzsicherung als vielmehr Maschinenamortisation<br />

(ähnlich dem heutigen Straßenbau, bei dem drei Gastarbeiter<br />

hinter einem landschaftsfressenden Riesenroboter einherschreiten -<br />

wenn etwa an einer einzigen Autobahnbaustelle 60 Mann 220 Millionen<br />

Schilling aus öffentlichen Geldern »ver«-bauen). Diese Großstrukturen<br />

verlangen ständig mit Aufträgen für riesige Bauvolumina gefüttert zu<br />

werden - mit einer kleinen Baulücke vermögen sie nichts anzufangen -,<br />

ihr unerschwinglicher Maschinenpark wird zum Mittel der Ausschließung<br />

gegenüber finanzschwachen Kleinunternehmern.<br />

52


Für die ökonomische Praxis muß die Konsequenz heißen:<br />

• Qualitätsorientierte, umweltkonforme Förderungsimpulse für die<br />

Bauwirtschaft in Form von Altstadtsanierung und -revitalisierung<br />

anstelle grünraumzerstörender Fertigteilkasernen und Profitquader<br />

am <strong>Stadt</strong>rand.<br />

Altstadtsanierung benötigt kaum technische Energie und wenig Rohstoffe,<br />

ist nicht mechanisierbar, sondern braucht hochqualifizierte<br />

Handwerker und Bauleute (die dafür neu geschult werden müssen -<br />

siehe Kurse in Krems als »Arche Noah für das Handwerk«), gibt<br />

vielen kleinen Baumeistern wieder eine Chance, schafft menschlich<br />

befriedigende Tätigkeiten, macht <strong>Stadt</strong>viertel wieder lebenswert und<br />

attraktiv, erhält kulturelle Werte...<br />

• »Beschäftigungspolitik ohne Marktsättigung«<br />

Dieser wirtschaftlichen Aktivität droht keine Sättigung; denn hat<br />

man eine <strong>Stadt</strong> wie Salzburg oder Krems von vorne nach hinten<br />

durchrenoviert, kann man wieder von vorne anfangen: ständiger<br />

Einsatz von Arbeit zur Erhaltung hochgeordneter kultivierter Strukturen<br />

(beinahe ein »biologisches Prinzip«, da es bei der Erhaltung<br />

von Organismen längst in analoger Weise verwirklicht ist).<br />

• Volkswirtschaftlich betrachtet: abgesehen von der Bauwirtschaft, hat<br />

ganz allgemein das Gewerbe in vielen Branchen echten Bedarf an<br />

Arbeitskräften, während die Industrie ihrem Wesen nach dazu geschaffen<br />

ist, menschlichen Arbeitseinsatz zu minimieren.<br />

Die Einrichtung eines gewerblichen Arbeitsplatzes erfordert im allgemeinen<br />

weniger Kapital und viel weniger Energie als die Schaffung eines<br />

industriellen Arbeitsplatzes (so hatte 1977 das österreichische Gewerbe<br />

mehr Beschäftigte als die Industrie).<br />

Können wir uns das überhaupt leisten?<br />

Wer glaubt, daß sich unsere moderne Gesellschaft handwerkliche<br />

Qualität nicht mehr leisten könne, sei daran erinnert: Die Nachfrage<br />

nach bestimmten Gütern und Leistungen ist wandelbar und Ausdruck<br />

herrschender Wertempfindungen. Galt Denkmalpflege und Altstadtsanierung<br />

gerade zur Zeit des Wirtschaftswunders als unerschwinglich, ist<br />

sie heute florierender Zweig des Baugewerbes.<br />

Was sich unsere Gesellschaft hingegen wirklich nicht mehr leisten<br />

dürfte - sich aber infolge überholter Wertvorstellungen noch immer<br />

leistet -, ist der hypertrophierende <strong>Stadt</strong>- und Landzerstörer Straßenbau<br />

- eine ausschließliche Frage staatlicher Förderungsmilliarden und<br />

nicht echter Nachfrage im Marktgeschehen. Man kann ohnehin keine<br />

Meßlatte mehr ins Erdreich treiben, ohne daß sich alsbald protestierende<br />

Bürger darum versammeln.<br />

Die einseitige Zweckbindung der Mineralölsteuer für die Förderung<br />

53


des rollenden Mineralölverbrauchs ist ähnlich unsinnig, als würde man<br />

die Alkoholsteuer ausschließlich zur Förderung des Saufens verwenden.<br />

Eine weitere, nicht mehr zeitgemäße Privilegierung des Straßenbauens<br />

ist das preislimitierte Vorkaufsrecht - eine Art staatlichen Enteignungsrechtes<br />

für Wohnhäuser und Gärten, um jede beliebige Trassenführung<br />

durchzusetzen. Wenn hingegen ein Bürgermeister Privatgründe<br />

ankaufen möchte, um daraus öffentlichen Erholungsraum und Kinderspielplätze<br />

zu machen oder darauf ein Pensionistenheim zu errichten,<br />

kann er auf dem freien Markt von Grundstücksspekulanten erpreßt<br />

werden. Was ich damit sagen will, ist dieses: Vieles in unserer Gesellschaft,<br />

das so furchtbar rational und ökonomisch wirkt, hat eigentlich<br />

irrationale Wurzeln. Auch das große, überlebenswichtige grüne Umdenken<br />

der kommenden Jahrzehnte wird streng rational nicht zu bewältigen<br />

sein. Jede geistige Revolution, jeder humanitäre Durchbruch und jede<br />

große kulturelle Leistung bekommt ihre starken Antriebskräfte aus dem<br />

Irrationalen, wird aus dem Emotionalen gespeist, dort wo auch unsere<br />

Wertempfindungen sitzen. Genau dies ist auch die große Aufgabe der<br />

künstlerischen Menschen auf diesem Simposium. Und an künstlerischen<br />

Impulsen für eine Trendwende hatte es hier in den letzten zwei<br />

Tagen wahrlich nicht gefehlt. Das gibt mir Hoffnung. Und die Farbe der<br />

Hoffnung ist seit jeher »Grün«.<br />

Anmerkungen<br />

1 Deshalb sind Sozietäten, in denen das Zusammenleben in Großfamilien und<br />

Sippen vorherrscht, dichte toleranter als solche, die aus Kleinfamilien bestehen<br />

(vgl.: Cairo, Hongkong u.a. Entwicklungsländer).<br />

2 Siehe dazu auch: Wohnmedizin 11. Jg. H. 5-6, S. 47, 1973, 10. Jg. H. 1, S. 4,<br />

1972, 12. Jg. H. 1-2, 1974.<br />

3 City Farms, 15 Wilkin Street, London NW 5, 3 NG, England, GB.<br />

Literatur<br />

Fathy Hassan 1973, Architecture for the poor - An Experiment in Rural Egypt.<br />

The University of Chicago Press, Chicago and London, (Zweite Auflage) 1976,<br />

232 Seiten und Bildanhang. 132 Illustrationen. Erstveröffentlichung: Gourna:<br />

A tale of two villages, Ministry of Culture, Cairo 1969<br />

Guttmann, G., Kühberger, F. 1974, Wohnerfahrung und Wirtschaftlichkeit einer<br />

fußläufigen Gartenstadt. (Ein- und Mehrfamilienhäuser aus der Sicht ihrer<br />

Bewohner) Studie der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen,<br />

Wien 1974, 48 Seiten<br />

Keller, Rolf 1978, Am Leben vorbei normiert. Beobachtungen zum unterdrückten<br />

Identifikationsbedürfnis; Separatdruck aus Werk Antithese Nr. 21-22/1978<br />

Keller, Th. 1974, Über die Filterwirkung von Hecken für verkehrsbedingte<br />

54


staubförmige Luftverunreinigungen, insbesondere Bleiverbindungen; Schweizerische<br />

Zeitschrift für Forstwesen, 125. Jahrgang, Nr. 10, S. 719-735<br />

Könnecke, K.-R. 1979, Wenn Häuser aus der Reihe tanzen. Seldwyla (Schweizer<br />

Ausbruch aus genormter Wohn-Langeweile) und Klostermuren (Schwedisches<br />

Planspiel für mündige Bauherren). In: Hauser Schöner Wohnen, Nr. 2, 1979,<br />

S. 75-90<br />

Le Corbusier 1926, Kommende Baukunst; Berlin, Leipzig, 253 Seiten.<br />

Le Roy, Louis 1978, Natur ausschalten - Natur einschalten; Stuttgart.<br />

Lötsch, Bernd 1974, Die Pflanze im menschlichen Lebensraum - Sauerstoff-<br />

Frage und Klimawirkung. In: Natur und Land, Heft 4/5, 60. Jahrgang, 1974,<br />

S. 87-106. Herausgeber: Österreichischer Naturschutzbund<br />

Lötsch, Bernd 1979, Städtebau heute - Krise der Technokratie. In: Scheideweg<br />

(Klett-Cotta, Stuttgart) 9. Jahrgang, Heft 1, 1. Quartal 1979, S. 79-88<br />

Lötsch, Bernd 1981, Zwischen Häusle und Horror. In: Natur (Horst Sterns<br />

Umweltmagazin), Nr. 6, Juni 1981, S. 33-40, Zürich, München<br />

Newman 1972, Defensible Space - Crime Prevention through Urban Design;<br />

New York<br />

Rainer, R. 1978, Kriterien der wohnlichen <strong>Stadt</strong>. Trendwende in Wohnungswesen<br />

und Städtebau; Graz<br />

Rebsamen, Hanspeter 1978, Siedlung »Seldwyla« alias Rockwil. Ein Modellfall;<br />

Separatdruck aus Werk Antithese, Nr. 21-22/1978<br />

Schäfer, Ueli 1979, Herausgefordert - Bewohner und Architekten diskutieren<br />

mit Journalisten. Siedlung »Seldwyla« Zumikon. In: Bauen und Wohnen, 1/2,<br />

1979, S. 6-11<br />

Schneider, Hans Joachim 1978, <strong>Stadt</strong>planung und Verkehrsbekämpfung; Manuskript<br />

des Rundfunkvortrages Süddeutscher Rundfunk, Studio Heidelberg,<br />

»Lebendige Wissenschaft« (Red. Johannes Schlemmer) 20. August 1978,<br />

10.30-11.00, SF 2<br />

Weichinger, R., Schulz, W., Graefe, G. 1973, Kriterien der Wohnungsgestaltung;<br />

Forschungsbericht - Wohnbauforschung. Bundesministerium für Bauten und<br />

Technik-Wien, Juni 1973<br />

55


Friedensreich Hundertwasser<br />

Humanisierung der städtischen<br />

Umwelt - die Kehrtwendung<br />

Nur wenn Architekt, Maurer und Bewohner eine Einheit, eine Dreieinigkeit<br />

sind, d.h. ein und dieselbe Person, kann man von Architektur sprechen.<br />

Alles andere ist keine Architektur, sondern eine verbrecherische<br />

gestaltgewordene Tat. Die kaputte Dreieinigkeit der Architektur ist:<br />

• Der Architekt hat keine Beziehung zum Haus. Er kann die Bedürfnisse<br />

des Bewohners nicht voraussehen.<br />

• Der Maurer hat keine Beziehung zum Haus. Es ist ihm ganz egal. Er<br />

tut es nur fürs Geld.<br />

• Der Bewohner hat keine Beziehung zum Haus. Er hat es ja nicht<br />

gebaut. Sein menschlicher Raum wäre ganz anders.<br />

Schon das Bei-sich-Tragen einer geraden Linie müßte, zumindest moralisch,<br />

verboten werden. Das Lineal ist das Symbol des neuen Analphabetentums.<br />

Das Lineal ist das Symptom der neuen Krankheit des<br />

Zerfalls.<br />

Wir leben heute in einem Chaos der geraden Linien. Wer dies nicht<br />

glaubt, der gebe sich einmal die Mühe uiid zähle die geraden Linien, die<br />

ihn umgeben, und er wird es begreifen, weil er niemals ans Ende<br />

gelangen wird.<br />

Vor nicht allzu langer Zeit war der Besitz der geraden Linien ein<br />

Privileg der Könige, der Begüterten und der Gescheiten. Heute besitzt<br />

jeder Trottel Millionen von geraden Linien.<br />

Dieser Urwald der geraden Linien, der uns immer mehr wie Gefangene<br />

in einem Gefängnis umstrickt, muß gerodet werden. Jede moderne<br />

Architektur, bei der das Lineal oder der Zirkel auch nur eine Sekunde<br />

lang - und wenn auch nur in Gedanken - eine Rolle gespielt hat, ist zu<br />

verwerfen. Gar nicht zu reden von der Entwurf-, Reißbrett- und Modellarbeit,<br />

die nicht nur krankhaft steril, sondern wahrhaft widersinnig<br />

geworden ist.<br />

Die gerade Linie ist gottlos und unmoralisch. Die gerade Linie ist<br />

keine schöpferische, sondern eine reproduktive Linie. In ihr wohnt nicht<br />

Gott und menschlicher Geist, sondern nur die bequemheitslüsterne<br />

gehirnlose Massenameise.<br />

56


Aus dem Verschiinmelungsmanifest<br />

Wefln sich an einer Rasierklinge der Rost festsetzt, wenn eine Wand zu<br />

schimmeln beginnt, wenn in einer Zimmerdecke das Moos wächst und<br />

die geometrischen Winkel abrundet, so sollman sich doch freuen, daß<br />

mit den Mikroben und Schwämmen das Leben in das Haus einzieht und<br />

wir so bewußter als jemals zuvor Zeugen von architektonischen Veränderungen<br />

werden, von denen wir viel zu lernen haben.<br />

Um die funktionelle Architektur vor dem moralischen Ruin zu retten,<br />

soll man auf die sauberen Glaswände und Betonglätten ein Zersetzungsprodukt<br />

gießen, damit sich dort der Schimmelpilz festsetzen kann.<br />

Die materielle Unbewohnbarkeit der Elendsviertel ist der moralischen<br />

Unbewohnbarkeit der funktionellen, nützlichen Architektur vorzuziehen.<br />

In den sogenannten Elendsvierteln kann nur der Körper des<br />

Menschen zugrunde gehen, doch in der angeblich für den Menschen<br />

geplanten Architektur geht seine Seele zugrunde. Daher ist das Prinzip<br />

der Elendsviertel, d. h. der wild wuchernden Architektur, zu verbessern<br />

und als Ausgangsbasis zu nehmen und nicht die funktionelle Architektur<br />

(Hervorhebung des Herausgebers).<br />

Falls das Haus dazu bestimmt ist, Menschen in seinem Inneren zu<br />

beherbergen, so ist der Abbruch der Bautätigkeit vor Einzug des<br />

Menschen als widernatürliche Sterilisierung des Wachstums und somit<br />

als kriminelles Vergehen zu betrachten und zu ahnden.<br />

Berlin - die zusammengefallene Kongreßhalle<br />

Berlin hat eine große Chance.<br />

Das teilweise • Zusammenfallen der Kongreßhalle und die dadurch<br />

entstandene gottgewollte Formenwelt ist ein Geschenk, das wir mit<br />

Dankbarkeit entgegennehmen.<br />

Bombentrichter sind schön. Wenn die Natur die Kongreßhalle formal<br />

verbessert hat, so hat das einen tiefen Sinn, den wir nicht zerstören und<br />

nicht eliminieren dürfen. Die Kongreßhalle wird so die erste mit viel<br />

Liebe konservierte Ruine der bankrotten rationellen Architektur. Nur<br />

ist das dann keine Ruine mehr, sondern ein echt funktionierendes Haus,<br />

das man benutzt, das man liebt, weil es sich wandelt und erneuert so wie<br />

eine alte Eiche. So beginnt von Berlin aus eine neue Ära der wahren,<br />

lebenden, sich stets wandelnden Architektur, die nicht mehr auf zerstörter<br />

Natur aufgebaut ist, sondern im Einklang mit der Natur ist, die die<br />

Entfaltung der Natur ermöglicht und selbst Natur ist.<br />

Es gibt keinen besseren Baumeister als das Schicksal, als die Natur,<br />

als den Zufall oder wie man es immer nennen mag. Daher ist der jetzige<br />

57


Ruinenstand sorgfältig und gewissenhaft zu konservieren, zu akzentuieren<br />

und bautechnisch zu stabilisieren. Die Konstruktion muß verstärkt<br />

werden durch schöne Säulen usw., damit sie stark genug ist, um oben<br />

auf dem Dach einen wild gewachsenen Wald zu tragen, so wie in der<br />

freien Natur. Das wäre eine mutige Konzeption unter Einbeziehung der<br />

vorhandenen Bausubstanz, die neue Maßstäbe setzt.<br />

Wir leben am Beginn einer neuen Evolution, bei der die uns von der<br />

Natur geschenkten Unregelmäßigkeiten zu ehren und zu achten sind.<br />

Die uns von Architekten und Bauherren oktroyierte Sterilität, die sich<br />

herzlos des Lineals und Reißbretts bedienen, hat sich international als<br />

eine groteske Pleite erwiesen, die den modernen Menschen schädigt.<br />

Die sterile symmetrische vorfabrizierte Architektur führt den Menschen<br />

nicht in eine bessere, schönere Welt, sondern ganz im Gegenteil, in<br />

Versklavung, Unglück und Verlust der Menschenwürde.<br />

Deswegen wäre es von größter Bedeutung, daß an einem »beispielhaften«<br />

Bau wie die Berliner Kongreßhalle einer breiten Weltöffentlichkeit<br />

demonstriert wird, wie der Tyrann Architektur auf ganz natürliche,<br />

selbstverständliche Art mit Hilfe eines natürlichen Kreislaufes wieder zu<br />

einem beispielhaften Bauwerk wird. Das heißt ein beispielhaftes Bauwerk<br />

unter anderem Vorzeichen. Ein Bauwerk, das sozusagen die<br />

Fronten wechselt.<br />

Mit einem beispielhaften Bauwerk der rationellen Architektur wird<br />

ein zukunftsweisendes Bauwerk der ökologischen Architektur. Die<br />

Kongreßhalle soll als Mahnmal und Symbol dafür stehen, daß der<br />

Mensch mit seinem giftigen sterilen Intellekt die Natur vergewaltigen<br />

kann und darf. Die Kosten, um das Bestehende zu erhalten und noch zu<br />

verbessern, sind ein Bruchteil einer totalen Wiederherstellung oder<br />

eines Neubaues. Die nationale und internationale Wirkung eines solchen<br />

Vorgehens ist immens, da sie Pioniercharakter hat.<br />

<strong>Öko</strong>logie und Architektur<br />

Um glücklich zu sein, braucht der Mensch keinen äußeren Reichtum,<br />

sondern einen inneren Reichtum der Seele. Um glücklich zu sein,<br />

braucht der Mensch keine mechanische Energie, sondern eine innere<br />

schöpferische Energie. Der heutige Mensch ist das gefährlichste Ungeziefer,<br />

das die Erde je bevölkert hat. Der Mensch ist ein ökosystemfremder<br />

Schädling geworden. Perfekte <strong>Öko</strong>logie muß den Menschen in seine<br />

ökologischen Schranken verweisen, damit sich die Erde regenerieren<br />

kann. Der wahnsinnige unbegründete Verbrauch des Menschen muß<br />

einer verantwortungsbewußten, schöpferischen Intelligenz entsprechen.<br />

Der Mensch ist ein dummes Herdentier geblieben, das plötzlich<br />

58


irrsinnige Mengen von Energie, Giften und anderen Mordmitteln zur<br />

Verfügung hat, die er wild verpulvert oder rücksichtslos zur Vernichtung<br />

der Umwelt und der eigenen Brüder einsetzt. Und gierig verlangt dieser<br />

Mensch, dieses dumme Herdentier, nach noch mehr Energie, noch<br />

mehr Giften und noch mehr Mordmitteln. Atomenergie ist eine wirtschaftliche<br />

und eine ökologische Katastrophe. Atomenergie kommt uns<br />

teuer zu stehen, sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch. Der Mensch,<br />

besonders die sogenannten Experten, haben die Kontrolle über die<br />

Energiehebel verloren. Sie wissen nicht mehr, was sie tun.<br />

Es gibt kein sicheres Versteck oder Depot für nuklearen Abfall, auch<br />

nicht in scheinbar vorläufig erdbebenfreien Gebieten. Wissen wir, wo<br />

die Inkas; wo die Karthager Dinge vergraben haben? Und das ist erst<br />

2000 Jahre her. Wissen wir, wo unsere Großmutter ihre Goldmünzen<br />

versteckt hat? Und das ist erst 50 Jahre her. Nuklearer Abfall aber bleibt<br />

500000 Jahre todesgefährlich für alles Leben. Atommüll läßt sich nicht<br />

vergraben wie eine schöne Leiche. Atommüll wird nicht zu Humus.<br />

Einstein hat gesagt: Wenn die Formel nicht schön ist, kann sie auch<br />

nicht richtig sein. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die<br />

Funktionalisten, Rationalisten und Technokraten predigen.<br />

Nicht ohne Grund waren die ersten technischen Einrichtungen vor<br />

hundert Jahren noch schamhaft verkleidet - die Autos als Pferdekutschen,<br />

die Maschinen, Aufzüge, Telefone, Gaslaternen, elektrischen<br />

Luster, Metro- und <strong>Stadt</strong>bahnaufgänge als Kunstwerke, die jetzt im<br />

Museum stehen. Man wußte damals sehr genau, daß technische Rationalität<br />

eine Sünde ist, und hat sie hinter Kunst versteckt.<br />

Heute erleben wir den Triumph der rationellen Technik, stehen<br />

jedoch gleichzeitig vor dem Nichts. Ästhetische Leere, uniforme Wüste,<br />

mörderische Sterilität, schöpferische Impotenz.<br />

Den Architekten entgleitet die Verantwortung ihres Tuns. Die Architekten<br />

bauen verbrecherisch und menschenunwürdig oder zu Beton<br />

gewordene Schnapsideen. Sie bauen Gefängniszellen, in denen die Seele<br />

des Menschen zugrunde geht. Der Architekt handelt wie ein Kriegsverbrecher.<br />

Der befolgt gehorsam Befehle auch gegen sein Gewissen.<br />

Auch den Malern entgleitet die Verantwortung ihres Tuns. Der moderne<br />

Künstler hat sich zu einem Möchte-gern-Diktator entwickelt.<br />

Entfremdet von den Gesetzen der Natur und von dem, was der Mensch<br />

braucht und wonach der Mensch sich sehnt. Moderne Kunst ist eine<br />

intellektuelle Onanie geworden, erzwungen als kurzlebiges Statussymbol,<br />

häßlich, kalt, gottlos, herzlos. Die Künstler und Architekten hätten<br />

aber gerade jetzt eine Pflicht zu erfüllen als Warnende und Auswegsuchende.<br />

Nur wer nach den Gesetzen der Natur und Vegetation und im Einklang<br />

mit dem kosmischen Kreislauf lebt, kann nicht fehlgehen. Wer<br />

59


sich gegen diese Gesetze stellt, sei es aus Überheblichkeit, sei es aus<br />

Unterwürfigkeit, wird mitverantwortlich am Zusammenbruch und geht<br />

zugrunde.<br />

Es geht nicht an, daß Industrien Kläranlagen verhindern, die aufgrund<br />

natürlicher Prozesse funktionieren, weil sie dann ihre hochtechnisierten,<br />

komplizierten, häßlichen und teuren Kläranlagen nicht verkaufen<br />

können. Eine natürliche Kläranlage ist schön wie ein Paradiesgarten<br />

und kostet nichts. Das ist nur ein Beispiel, wie <strong>Öko</strong>logie schöpferisch<br />

und im Einklang mit der Natur gehandhabt werden muß.<br />

Sonnenkollektoren, Windmühlen, Gasometer, Segelschiffe können<br />

nur funktionieren, wenn sie schön sind. Wenn sie häßlich sind, funktionieren<br />

sie falsch.<br />

Die neue Revolution wird von der Basis her, vom Volk ausgehend,<br />

den diktatorisch aufgezwungenen, präfabrizierten Wohnbau hinwegfegen.<br />

Die neue Revolte wird schöpferisch und schön sein. Die herzlose<br />

Rationalität der Wohnsilos wird von außen nach innen zerfressen<br />

werden.<br />

Das Fensterrecht garantiert das.<br />

Das Anrecht des Menschen auf seine dritte Haut, seine Innen- und<br />

Außenwände. Wir sind Gast der Natur und müssen die freie Natur auf<br />

unsere Dächer zurückbringen.<br />

Wir brauchen Schönheitshindernisse. Diese Schönheitsbarrieren bestehen<br />

aus nicht reglementierten Unregelmäßigkeiten. Nur mit ihrer<br />

Hilfe können wir den Kampf gegen die gerade Linie gewinnen und zu<br />

einem natur- und menschengerechten Leben zurückkehren. Wir brauchen<br />

Schönheitsbarrieren, damit die Welt größer wird. Wenn du und der<br />

Nachbar schöpferisch tätig sind, braucht man nicht weit zu reisen, nicht<br />

weit zu gehen, denn das Paradies ist um die Ecke.<br />

60


Helmut Creutz<br />

<strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie<br />

Wenn die von uns gebauten Häuser nach 20-30 Jahren immer wieder<br />

rissig würden und einzustürzen drohten, dann würden wir ganz gewiß<br />

mit allen Kräften nach den Ursachen forschen. Wären sie im Fundament<br />

zu finden, würden wir dasselbe verstärken und bei allen Folgebauten die<br />

Berechnung korrigieren.<br />

Wenn die von uns geschaffenen »Wirtschaftsgebäude« nach 20-30<br />

Jahren immer wieder »rissig« werden (Inflation, Arbeitslosigkeit,<br />

Staatsverschuldung usw.) und die Einsturzgefahr bedrohlich wächst<br />

(Pleiten, Staatsbankrott und Kriegsbedrohung), kurieren wir jedoch nur<br />

an den Symptomen herum. Das »Fundament« von Wirtschaft und<br />

Gesellschaft, die Geld- und Währungsordnung, bleibt von der Überprüfung<br />

ausgeschlossen. Einigen der »Risse« im »Wirtschaftsgebäude« wollen<br />

wir deshalb einmal konkreter nachgehen. Dabei sollen sowohl die<br />

ökologischen wie die ökonomischen Auswirkungen der »Fehlkonstruktion<br />

im Fundament« verdeutlicht werden.<br />

1. <strong>Öko</strong>nomische Aspekte<br />

a) Warum sind die Neubaumieten häufig unbezahlbar?<br />

Selbst in Fachveröffentlichungen wird als Grund der überhöhten Neubaumieten<br />

immer wieder der Anstieg der Baukosten genannt. Diese<br />

aber sind, wie auch die allgemeinen Marktmieten, bedeutend langsamer<br />

gestiegen als die Löhne - wie die erste Abbildung zeigt -. Nur die<br />

kalkulatorischen Kostenmieten schießen unregelmäßig immer wieder<br />

über die Lohnentwicklung hinaus.<br />

b) Woraus setzt sich ein Preis zusammen?<br />

Alle Preise bestehen aus sach- und kapitalbezogenen Kosten. Nur für<br />

die erstgenannten erhalten wir bei Kauf und Nutzung eine Gegenleistung,<br />

die zweiten verteuern lediglich den Preis.<br />

61


Die absolute Größe des kapitalbezogenen Preisanteils resultiert aus<br />

Kapitaleinsatz mal Zins. Die relative Größe im Gesamtpreis hängt vom<br />

Umfang der sachbezogenen Kosten ab, also Löhnen, Material, Abschreibungshöhe<br />

usw. In Abb. 2 ist das an einigen Beispielen aufgezeigt.<br />

c) Warum ist der Zinsanteil in Mieten so besonders hoch?<br />

Dies ist darum der Fall, weil in der Wohnungsmiete dem kapitalbezogenen<br />

Anteil nur relativ geringe sachbezogene Kosten gegenüberstehen,<br />

einschließlich einer extrem geringen Abschreibung. Je nach Zinssatzhöhe<br />

schwankt der Kapitalanteil zwischen 50 und, 80 % der Miete (siehe<br />

Abb. 3), und eine Zinserhöhung um einen Punkt wirkt sich als Mieterhöhung<br />

von etwa 10-14% aus. Damit werden auch die »Ausreißer« in<br />

Abb. 1 verständlich, die jeweils aus Hochzinsphasen resultieren. Die<br />

letzte Hochzinsphase, mit einem Zinsanstieg von rund 5%, hat die<br />

Neubau-Kostenmiete um etwa 60% verteuert.<br />

d) Was bewirkt der Zinsanteil in allen Preisen?<br />

Der Zinsanteil bewirkt nicht nur eine Verteuerung der Güter und<br />

Leistungen ohne Erhöhung des Gegenwertes, sondern auch eine Einkommensumverteilung<br />

von den Leistenden zu den Besitzenden.<br />

Die Höhe der Verluste für den Verbraucher hängt von der Summe<br />

seiner Ausgaben ab (Preise, Steuern und Gebühren). Sie liegen im<br />

Mittel etwa zwischen 20 und 30 Prozent derselben.<br />

Die Höhe der Gewinne aus dem Zinstransfer hängt von der Größenordnung<br />

des eingesetzten Kapitalbesitzes ab, über den ein Haushalt<br />

verfügt. Dieser steigt von Null auf mehrere Mrd. an.<br />

Beide Größen - Gewinne wie Verluste - wachsen mit dem ständig<br />

zunehmenden Kapitaleinsatz und werden durch jeden Zinssatzanstieg<br />

zusätzlich verstärkt. Da Ausgaben und Kapitalbesitz der Haushalte<br />

nicht gleichmäßig verteilt sind, klaffen auch die Vor- und Nachteile des<br />

Zinssystems entsprechend auseinander. Verteilt man alle Haushalte<br />

nach Einkommen und Vermögen auf 10 gleich große Gruppen, dann<br />

ergibt sich das in Schaubild 4 gezeigte Ertrags- und Lastenbild (siehe<br />

Abb. 4).<br />

62


Abb. 1: Entwicklung der Mieten, Einkommen und Preise (1962 = 100)<br />

63


Abb. 2: Konkrete<br />

Beispiele<br />

für Zinsanteile<br />

in Preisen und<br />

Gebühren<br />

Erläuterungen<br />

Die absolute Größe des in die Preise eingehenden Zinsanteils<br />

wird einmal von der Kapitalgröße bestimmt und zum -anderen von<br />

der jeweilig zum Ansatz kommenden Zinshöhe. Ein Anstieg der<br />

2insen von z.B. 5 auf 7,5# lassen also den absoluten Zinsanteil<br />

um die Hälfte ansteigen.<br />

Die relative Größe des Zinsanteils im Gesamtpreis wird von der<br />

Größe der anderen in den Preis eingehenden Kosten bestimmt, in<br />

oft entscheidendem Umfang z. B. von den jeweiligen Personaikosten<br />

oder der Abschreibung.<br />

Investiert beispielsweise jemand loo.ooo DM in Mietwagen, die<br />

in fünf Jahren abgeschrieben werden müssen, dann beträgt die<br />

Abschreibung jährlich 1/5 des Kapitals = 2o.ooo DM.<br />

Bei einer gleichhohen Investition in Mietwohnungen, bei denen<br />

von einer hundertjährigen Nutzungsdauer ausgegangen wird, beträgt<br />

die Abschreibung jährlich nur 1/1OO des Kapitals = 1.000<br />

DM.<br />

Da der Zinsanteil, bei angenommenen 6?S, in beiden Fallen jedoch<br />

mit 6.000 gleich ist, wird der relative Zinsanteil in den<br />

Preisen also von der AbschreibungshÖhe stark beeinflußt.


Angenommene Werte:<br />

Bau- und Nebenkosten je qm Wohnfläche DM 2.25o<br />

Bodenkosten je qm Wohnfläche DM 25o<br />

Gesamtkosten je qm Wohnfläche: DM 2.5oo<br />

Mietausfallwagnis<br />

2% der Gesamtmiete<br />

Verzinsung des eingesetzten<br />

Kapitals<br />

(darin Zinsanteil<br />

für Boden)<br />

Verwalfungsko st en<br />

Instandhaltung<br />

Betriebskosten<br />

Abschreibung<br />

1,25$S der Bauk.<br />

Abb. 3: Zusammensetzung der Kostenmiete je Quadratmeter Wohnfläche und<br />

ihre Veränderung bei unterschiedlicher Kapitalverzinsung von 4 bis 10 %<br />

65


Angesetzter Habenzins im Durchschnitt 5,3<br />

Alle Werte in Tsd DM je Haushalt<br />

Zinslasten in<br />

Tsd DM de HH :<br />

Zinserträge in<br />

Tsd DM je HH :<br />

Zinssalden :<br />

2,3<br />

o,5<br />

1,7<br />

4,1<br />

o,7<br />

5,9<br />

1,1<br />

6,5<br />

1,5<br />

7,6<br />

2,3<br />

9,1<br />

3,2<br />

3,* 4,8 5,o 5,3 5,9<br />

1oß 13,5 16,5 32,3<br />

5,5<br />

5,o<br />

8,8 18,o 66,5<br />

+<br />

*,7 1,7 34,2<br />

Abb. 4: Gegenüberstellung der Zinsbelastungen und -ertrage der Haushalte<br />

aufgeteilt auf zehn Gruppen mit je 2,5 Mio. Haushalten<br />

66


e) Was ist die Folge dieser Einkommensumschichtung?<br />

Wie wir aus der Abbildung erkennen, ist der Saldo zwischen Lasten und<br />

Erträgen nur bei den zwei reichsten Haushaltsgruppen positiv. Im<br />

gleichen Maße, wie etwa 15% der Haushalte gewinnen, müssen 85%<br />

verlieren. Die sowieso schon Überreichen werden also durch den Zinstransfer<br />

noch reicher. Geht das Wirtschaftswachstum gegenüber dem<br />

des Kapitals zurück, wird der Umschichtungsprozeß beschleunigt, und<br />

damit die Zunahme der Sozialprobleme.<br />

2. <strong>Öko</strong>logische Aspekte<br />

a) Was hat die Geldordnung mit Wachstum zu tun?<br />

Jedes gesunde und natürliche Wachstum kennt optimale Grenzen und<br />

Größen. Anfangs sehr rasch zunehmend, geht es mit meist kleiner<br />

werdenden Wachstumsschritten in eine stabile Phase und aus quantitativem<br />

in qualitatives Wachstum über.<br />

Exponentielles Wachstum zeigt - wie aus Abb. 5 ersichtlich - genau den<br />

gegenteiligen Verlauf. Dieses Wachstum kann darum als krankhaft und<br />

widernatürlich bezeichnet werden, mit Wucherungen vergleichbar.<br />

Gleichbleibend prozentuales Wachstum ist mit exponentiellem identisch.<br />

Durch den Zinseszinseffekt wächst also jedes Kapital auf exponentielle<br />

Weise mit Verdoppelungsraten. Wachsendes Kapital verlangt<br />

jedoch nach zusätzlichen Kapitalanlagen und erzeugt damit einen ansteigenden<br />

Wachstumsdruck auf Produktion und Verbrauch, notfalls über<br />

kontramenschliche Investitionen wie Ramsch und Wegwerfgüter, unnötige<br />

Atomspaltwerke, Startbahnen und Kanäle, Raumfahrt, Rohstoffverbrauch<br />

und Rüstung, ohne Rücksicht auf Umwelt, Erde und Zukunft.<br />

b) Wohin führt exponentielles Wachstum?<br />

Eine Krebsgeschwulst, die schneller als der Gastorganismus wächst, in<br />

dem sie lebt, oder die bei einem nicht mehr wachsenden Gastorganismus<br />

weiterwächst, führt zunehmend zu Komplikationen und Krisen und<br />

schließlich zum Kollaps desselben.<br />

Das gilt auch für ein Wirtschaftswachstum, das keine Rücksicht auf<br />

unseren »Gastorganismus« Erde nimmt. Ein Ausstieg aus dem langgepflegten<br />

Wachstumswahn ist darum dringend erforderlich. Selbst ein<br />

Wachstum von »nur« 2,7 Prozent würde den Verbrauchszuwachs der<br />

67


1i Grundsätzliche Arten von<br />

Wachstumsabläufen<br />

Zunahme<br />

2. Prozentual gleichbleibende<br />

Wachstumsablaufe<br />

Vervielfachung<br />

Abb. 5: Verschiedenartige Wachstums- und prozentuale Vermehrungsabläufe<br />

68


DARSTELLUNG NR. 1<br />

aus: "Überwindung der Wirtschaftskrise durch Verzicht<br />

auf Wachstum" Er. ing. Friedrich Feldmann<br />

eigene Ergänzung:<br />

. . . . a) wahrscheinlicher Verlauf ohne Weltkriege<br />

ooo b) wünschenswerter Auslauf des realen Wachstums<br />

Abb. 6: Die Entwicklung des Bruttosozialproduktes seit 1700 in realen<br />

Preisen von 1970<br />

69


letzten drei Jahrzehnte in kaum 20 Jahren nochmals verdoppeln (siehe<br />

Abb. 6). .<br />

Anstelle des schon lange überzogenen quantitativen Wachstums muß<br />

darum ein qualitatives treten (Kultur, Bildung, Freizeit, Verbesserung<br />

der Umwelt-, Zukunfts- und Gesundheitsbedingungen). Diesem notwendigen<br />

und not-wendenden Umschwanken aber stehen heute noch<br />

die Kapitalinteressen entgegen.<br />

c) Welche Probleme gibt es noch durch Kapitalwachstum?<br />

Wenn ein wachsender Organismus sich vergrößert, können dies im<br />

gleichen Maß auch seine Teile tun. Das Wachstum unserer wirtschaftlichen<br />

Organismusteile aber driftet zunehmend auseinander.<br />

Wie Abb. 7 zeigt, sind Leistung, Löhne und Staatseinnahmen in den<br />

letzten 14' Jahren etwa auf das Dreifache gestiegen. Die kapital- und<br />

zinsbezogenen Größen sind jedoch in der gleichen Zeit auf ein Mehrund<br />

Vielfaches hochgeschossen. Mit diesen Diskrepanzen müssen<br />

zwangsläufig auch die Probleme in unserem Wirtschaftsorganismus größer<br />

werden.<br />

d) Gibt es auch im Wohnungsbau Wachstumsprobleme?<br />

Da die Bevölkerung nicht mehr zunimmt, kann auch das Tempo des<br />

Wohnungsbaues der letzten 30 Jahre unmöglich weitergehen. Außerdem<br />

liegen wir in der Wohnungsversorgung weltweit in der Spitzengruppe (s.<br />

Abbildung 8 und 9). Was bei uns allenfalls vonnöten ist, das ist eine<br />

gerechtere Verteilung der Wohnflächen und der Wohnungskosten.<br />

Jede zusätzliche Ausweitung des Wohnungsbestandes verbietet sich<br />

allein aus Umwelt- und Ressourcengründen. Statt Weiterbauen und<br />

Totalsanierung ist darum eine pflegliche Bestandserhaltung gefordert.<br />

Doch auch hier gibt es den Widerstreit zwischen Vernunft und Kapitalinteressen.<br />

3. Zinsfunktion und Wege zur Problemlösung<br />

Der Zins sorgt heute (wie z. T. die Inflation) für den Umlauf des<br />

Geldes. Der Zinsen wegen bringt man überschüssiges Geld zur Bank,<br />

und diese schleust es über Kredite wieder in den Geld- und Wirtschaftskreislauf<br />

ein. Das ist erforderlich, um Störungen im Marktgeschehen zu<br />

vermeiden.<br />

70


Abb. 7: Anstieg verschiedener Wirtschaftsindikatoren von 1968-1982<br />

Der Zins erfüllt die Rolle des »Umlaufsicherers« jedoch nur bis zu<br />

einem gewissen Grade und nicht gleichmäßig genug. Außerdem sind -<br />

wie wir gesehen haben - mit ihm negative Nebenwirkungen verbunden,<br />

die mit der Zeit zumeist noch größer werden:<br />

• Er bewirkt eine ständige und ständig zunehmende Einkommensumschichtung<br />

von den Leistenden zu den Besitzenden.<br />

• Er erzwingt über die Kapitalakkumulation einen ständigen und zunehmend<br />

problematischer werdenden Wachstumsdruck.<br />

71


Abb. 8: Wohnungs- und Wohnflächenentwicklung in der Bundesrepublik<br />

1950-1980<br />

72


Zusätzliche Verp;leichszahlen im nationalen Bereich<br />

Stand 195o<br />

1o qm<br />

Soz. Whg.bau<br />

2 5 qm<br />

1982<br />

Westberlin<br />

38 qm<br />

1982<br />

Abb. 9: Pro-Kopf-Wohnflächen im internationalen Vergleich<br />

(Stand: 1980-1982)<br />

73


• Er führt aus mathematischen Gründen und der Unhaltbarkeit des<br />

Zinseszinsversprechens zu immer größeren Wirtschaftskrisen und<br />

schließlich zum Zusammenbruch.<br />

Ausgehend von diesen Fakten zwingt sich die Lösung auf: Der destruktive<br />

Umlaufsicherer Zins muß durch einen konstruktiven ersetzt werden.<br />

Geld und Wirtschaft müssen dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.<br />

Das öffentliche Tauschhilfsmittel Geld kann und darf nicht gleichzeitig<br />

privates Besitz- und Spekulationsmittel sein, so wenig wie jedes<br />

andere öffentliche Gut. Anstelle der Zinsbelohnung bei der Rückgabe<br />

des Geldes in den Wirtschaftskreislauf muß eine Belastung für die<br />

Rückhaltung treten. So wie bei der Bahn ein »Standgeld« dafür sorgt,<br />

daß Waggons nicht länger als erforderlich zurückgehalten werden.<br />

Die Lösung ist also im Prinzip sehr einfach. Sie wird jedoch nicht nur<br />

von Minderheitsinteressen blockiert, sondern noch mehr vom Unwissen<br />

über die Zusammenhänge und von jahrtausendealten Gewohnheiten.<br />

Doch wie wir die Goldbindung und -deckung des Geldes überwunden<br />

haben (die einen Strom von Blut und Tränen in der menschlichen<br />

Geschichte verursacht hat) und beinahe auch die festen Wechselkurse<br />

(die immer eine Seite auf Kosten der anderen bevorzugt), so müssen wir<br />

auch den letzten grundlegenden Fehler im Fundament unseres Zusammenlebens<br />

überwinden. Ohne eine Änderung dieser Fehlkonstruktion<br />

sind alle anderen Bemühungen, die Sozial-, Umwelt- und Friedensfragen<br />

zu lösen, zum Scheitern verurteilt. Die Geschichte beweist das<br />

ebenso wie die Geschehnisse und Entwicklungen in unseren Tagen.<br />

74


Gustav Hämer<br />

Zum Beispiel Berlin-Kreuzberg*<br />

^»Später in diesem Jahrhundert, dort, wo die Städte noch bewohnbar<br />

waren, dort, wo es sie überhaupt noch gab, sah man immer mehr Pack<br />

auf den Straßen... manche hatten Bretter, Wellblech, Kunststoffbahnen<br />

hergeschleppt, andere schliefen in zerfetzten Zelten... Das Pack behinderte<br />

die Fußgänger, aber die Fußgänger waren zugleich das Pack...<br />

Niemand blickte zu den Häuserfronten empor; der Anblick war gespenstisch,<br />

deprimierend... Die meisten Wohnungen waren leer, die neu<br />

erbauten merkwürdigerweise schon am längsten. Die Polizei war nicht<br />

immer fähig, vor jenen Tobsüchtigen zu schützen, die sich... beim<br />

Monopol}'-Spiel aufgeputscht hatten, um nun... als sengender Mordhaufen<br />

durch die Straßen zu ziehen...<br />

Dies war der Grund, warum das Pack auf den Straßen hordete: Seit die<br />

Löhne stagnierten, die Mietpreise aber im bisherigen Maße weiterstiegen,<br />

also seit den achtziger Jahren, waren immer mehr und zuletzt alle Mieter<br />

gezwungen gewesen, ihre Wohnungen zu verlassen. Die Vermieter machten,<br />

vom Gesetz gedeckt, weiterhin Investitionen, Renovationen, Quartiersüblichkeit,<br />

Verzinsung, Abschreibung, Teuerung, steigende Grundstückspreise<br />

und allgemeine Kosten geltend - die Wohnungen wurden,<br />

auch wenn man nicht mehr aß, trank, rauchte, Auto fuhr, sich kleidete<br />

und überhaupt auf alles verzichtete, außer auf das Wohnen selbst, ganz<br />

unbezahlbar. Noch später, vielleicht zu spät, hieß es, das Pack sei so<br />

gefährlich geworden, daß die Situation nicht mehr zu halten sei. Die<br />

Regierung, zu jener Zeit endlich 100 % FDP, erwog - und griff damit<br />

zum letzten Mittel, zur fürchterlichsten aller Maßnähmen - die Verteilung<br />

von Boden und Wohnungen unter das Pack. Enteignung - so endete das<br />

Jahrhundert mit einer makabren Pointe.«<br />

So Dieter Bachmann im Tagesanzeigermagazin Nr. 19 vom 14. Mai<br />

1983 mit dem PS: »Papier sei geduldig, denkt nun vielleicht der geneigte<br />

Leser. Gefehlt, lieber Geneigter! Denn Obiges ist nur, mit verbalen<br />

Mitteln, Fortschreibung dessen, was Hans Haldiman mit Zahlen belegt<br />

* Erschien zuerst in »Der Architekt« 11/83, S. 33-35<br />

75


hat unter dem Titel >Der Luxus des Wohnens, der nun freilich schon für<br />

die Gegenwart gilu.«*<br />

Das Problem ist international, in Berlin aber von besonderer Dimension.<br />

Es gibt keine Großstadt, in der so viele Mietskasernen so heruntergekommen<br />

sind wie in Berlin. Schon 1974 hieß es in einer Schrift des<br />

zuständigen Senators: »Sollte das erste und zweite <strong>Stadt</strong>erneuerungsprogramm<br />

mit zusammen etwa 110000 sanierungsbedürftigen Wohnungen im<br />

Jahre 2000 abgeschlossen sein, würden im Jahre 2000, statt der heute 200 000<br />

Wohnungen, die älter als 75 Jahre sind, 340000 sanierungsbedürftig sein.«<br />

(siehe oben) <strong>Stadt</strong>erneuerung ist also kein kurzfristiges Tagesproblem.<br />

In Berlin beschloß man, nach dem Motto »Die Innenstadt als Wohnort«<br />

in einem groß angelegten Experiment »kaputte <strong>Stadt</strong> zu retten«,<br />

jedenfalls hierzu einen Lösungs- und Diskussionsbeitrag zur Rettung der<br />

Städte zu entwickeln. Weil es den Politikern, der Verwaltung, den<br />

Wohnungsbaugesellschaften bisher auch mit Hilfe aller beteiligten Architekten<br />

nicht gelungen war, wurde eigens eine Gesellschaft gegründet,<br />

die Bauausstellung Berlin GmbH (IBA) mit zwei, von der Aufgabe und<br />

vom Thema sehr unterschiedlichen Geschäftsbereichen: <strong>Stadt</strong>neubau<br />

(Kleihues) und <strong>Stadt</strong>erneuerung - auch IBA-arm genannt, mit dem<br />

»Demonstrationsgebiet« Kreuzberg - SO 36, einem dichtbebauten und<br />

genutzten Gebiet mit ca. 30000 Wohnungen und 620000 qm Gewerbeflächen,<br />

der »Kreuzberger Mischung«, geschunden von wechselnden<br />

Planungen, weiträumigen »Freimachungen«, hochragenden Neubauten<br />

und flächendeckender Unterlassung von Instandhaltung. Der 1979 erreichte<br />

Zustand ließ den Zuständigen und den Betroffenen keine Hoffnung:<br />

am liebsten vergessen, gar nicht hinsehen, solche Probleme überträgt<br />

man anderen..., geht's gut, verbucht man es für sich, voraussichtlich<br />

geht es aber schief, dann haben die versagt, denen man diese<br />

hoffnungslose Aufgabe übertragen hatte.<br />

Um es vorwegzunehmen: Schritt für Schritt konnten die politischen<br />

Entscheidungsträger zunächst überzeugt werden von einem Modell, das<br />

wir »behutsame <strong>Stadt</strong>erneuerung« nennen. Das läuft jetzt seit etwa zwei<br />

Jahren. Kreuzberg - SO 36 ist zur Zeit »die größte Baustelle Berlins«.<br />

Eine Baustelle, die fast voll bewohnt ist und wo noch während dieses<br />

Prozesses immer mehr Bewohner zuziehen und seit der Verkündung der<br />

»72 Grundsätze zur behutsamen <strong>Stadt</strong>erneuerung« die Zahl der Betriebe<br />

zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder leicht ansteigt.<br />

Die 12 Grundsätze sorgen dafür, daß Maßnahmen der Erneuerung an<br />

den Bedürfnissen der im Kiez Lebenden orientiert werden und der<br />

Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen dienen. Darüber hinaus ist sie<br />

ein Sparprogramm für die öffentliche Hand: Im Vergleich mit dem 1979<br />

* ebenda, S. 32<br />

76


ursprünglich vorgegebenen Konzept werden z. B. im Teilgebiet Kottbusser<br />

Tor allein 290 Millionen DM an Baukosten »gespart«, d.h. für die<br />

Laufzeit unserer Arbeit in diesem Gebiet geminderte Aufwendungen<br />

von jährlich ca. 36 Millionen DM.<br />

Zur »Rettung der kaputten <strong>Stadt</strong>« ist dies ein Beschleunigungsprogramm:<br />

Obwohl die Grundsatzentscheidung des Senators erst im April<br />

1982 fiel, werden die Erneuerungsmaßnahmen bis 1984 die ursprünglich<br />

bis dahin verlangte Zahl von Wohnungen überschreiten.<br />

Die »behutsame Erneuerung« schafft Arbeitsplätze im Gebiet: kleinteilige<br />

Instandsetzungsmaßnahmen sind arbeitsintensiv. Und die Altbauerneuerung<br />

bietet langfristig Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche<br />

(auf dieser Grundlage bildeten sich Einrichtungen gegen Arbeitslosigkeit<br />

wie »Jugendwohnen im Kiez«, »Kreuzwerk«, »Kiezbündnis<br />

gegen Jugendarbeitslosigkeit«, »Arbeitslosenladen«, »Zukunft im Beruf«).<br />

Für viele Handwerksbetriebe bietet die bauliche Erneuerung<br />

Betätigungsmöglichkeiten in der Nähe. Und die weitgehende Erhaltung<br />

der Gewerbegebäude ermöglicht niedrige Gewerbemieten, eine Voraussetzung<br />

für die Erhaltung der Gewerbebetriebe. Zu diesem Konzept<br />

gehört auch die behutsame Einfügung von Infrastrukturmaßnahmen.<br />

Bearbeitet werden 34 Projekte, darunter 1209 Kindertagesplätze und<br />

1500 Schulplätze, die zur Zeit mit Nachdruck bearbeitet werden (60%<br />

sind ausführungsreif abgestimmt).<br />

Die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen ist enorm, sie wird<br />

insbesondere getragen von der Notwendigkeit und dem Wunsch zu<br />

bleiben! Das Konzept blieb nicht Papier, die Verwirklichung ist voll im<br />

Gange. Aber:<br />

Dieser unerwartete Durchbruch ging vielen - sehr bestimmten Interessen<br />

- nun doch zu weit! Die dabei ins Feld geführten Gegenargumente<br />

sind leicht zu durchschauen:<br />

1. Die für die behutsame <strong>Stadt</strong>erneuerung investierten Mittel seien eine<br />

Verschwendung öffentlicher Gelder, weil die ganz deutlich geringeren<br />

Aufwendungen - gegenüber der durchgreifenden Modernisierung<br />

zuvor - die Häuser höchstens 10-15 Jahre erhalten könnten. -<br />

Dabei wird übersehen, daß im anderen Fall die Mittel nur für 10%<br />

der Wohnungen ausgereicht hätten und 90 % dem Verfall preisgegeben<br />

wären, ohne Instandsetzung. Und es wird verkannt, daß die<br />

wesentlichen Mißstände der unterlassenen Instandhaltung und fehlenden<br />

Ausstattung, insbesondere haustechnische Anlagen, im Zuge<br />

der behutsamen Maßnahmen grundsätzlich aufgearbeitet werden.<br />

Verkannt wird auch, daß die hier lebenden Menschen sich mit der<br />

Verbesserung ihrer Wohnungen und Häuser bei geringst möglicher<br />

Mietsteigerung mit ihrem Ort identifizieren und aktiv dafür sorgen -<br />

z.B. durch Selbsthilfe -, daß sie hier bleiben können.<br />

77


2. Die Beteiligung der betroffenen Bewohner mit Hilfe von trägerunabhängigen<br />

Mieterberatungseinrichtungen und die Abstimmung der<br />

Grundsätze oder Konfliktfälle in <strong>Stadt</strong>teilkommissionen mit den<br />

Betroffenen sei für die Eigentümer unzumutbar, weil ihre Verfügungsrechte<br />

damit eingeengt werden, für die Verwaltung eine unzulässige<br />

Einengung ihrer Kompetenz und für die, auf der Grundlage<br />

demokratischer Wahlen, bestehenden Entscheidungsgremien des Bezirkes<br />

oder des Landes Berlin konkurrierende Entscheidungsebenen<br />

ohne Mandat. Im übrigen verzögere die Mitwirkung der Betroffenen<br />

am Entscheidungsprozeß den Fortschritt der Erneuerung erheblich.<br />

Vergessen wird dabei, daß ohne Beteiligung der Betroffenen vorher<br />

20 Jahre lang die immer kürzer gesteckten Sanierungsziele niemals<br />

erreicht werden konnten, daß es vielmehr immer unmöglicher<br />

wurde, die aus der Ferne dem Gebiet zugedachten Sollvorstellungen<br />

durchzusetzen. Träger und Eigentümer vergessen, daß die Verwendung<br />

staatlicher Mittel für die Erneuerung gebunden ist an die<br />

Verwirklichung eines Heilungsprozesses (Sanieren heißt Heilen) im<br />

wohlverstandenen Interesse des Gemeinwohles, dem nicht gedient<br />

werden kann mit einer Verlagerung und Verschärfung der sozialen<br />

Probleme. Verwaltung und Entscheidungsgremien sind am Abstimmungsprozeß<br />

in den <strong>Stadt</strong>teilkommissionen beteiligt. Soweit sie sich<br />

in ihrer Kompetenz beengt fühlen oder die für den Abstimmungsprozeß<br />

vor Ort notwendige Zeit meinen nicht aufbringen zu können,<br />

muß in Erinnerung gerufen werden, wie lange und wie vergeblich<br />

Arbeitszeit der Verwaltung und Behandlung von Vorlagen in Ausschüssen<br />

und Gremien ergebnislos blieben, wenn nicht gar negative<br />

Nebenerscheinungen der früher praktizierten Entscheidungsverfahren<br />

zu den allseits beklagten und erschreckenden Verschlechterungen<br />

der Lebensverhältnisse und Vernichtung von Arbeitsplätzen beigetragen<br />

haben.<br />

Das Beispiel IBA-alt (arm) in Berlin-Kreuzberg zeigt, daß dem von<br />

Dieter Bachmann projizierten Ende der Städte als Wohnraum auch da<br />

ein Kraut gewachsen sein könnte, wo keine Hoffnung mehr zu sein<br />

schien. Aber man muß das Kraut suchen, und das fällt den Augen<br />

schwer, die, durch eigene Interessen geblendet, den eigenen Vorteil<br />

allein als Ziel ihres Handelns sehen und den Staat in die Pflicht nehmen,<br />

vor allem diese, ihre Interessen zu schützen.<br />

Wie sagte Bruno Taut: »Architektur ist die Kunst der Proportion...<br />

Was ist aber die Proportion?... Sie zeigt sich eben in den Beziehungen<br />

zwischen den Menschen..., dem Staat und bei den Staaten, wo die<br />

Verhältnisse, d. h. Proportionen nicht immer schön sind...«<br />

Wir Architekten, gewohnt, die Proportion im engeren Sinne als<br />

78


harmonische Ordnung und Gliederung der Architektur zu sehen und<br />

dies beim Entwerfen als unsere Aufgabe zu betrachten, müssen zunehmend<br />

erkennen, in welches Mißverhältnis, als Unproportion, die Rahmenbedingungen<br />

geraten, die für das Leben bestimmend sind, und<br />

damit auch für die Arbeit der Planer und Architekten. Die Arbeit in<br />

Kreuzberg macht diesen Zusammenhang ganz deutlich. Wir hoffen darüber<br />

hinaus, für die Leute im Kiez möglichst viel zu bessern. »Kaputte<br />

<strong>Stadt</strong> retten« ist heute ein sehr hohes und dringendes Ziel, auch für<br />

Architekten. Soll das gelingen, dann geht das nur mit den Bewohnern,<br />

und das haben wir in Kreuzberg wirklich erfahren.<br />

79


Energie-, Material- und<br />

Wasserhaushalt


Per Krusche<br />

Maßnahmen zur ökologischen<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

Städtische Kultursysteme sind maßgeblich an der Verschwendung von<br />

Energie und Rohstoffen sowie an der Umweltzerstörung direkt und<br />

indirekt beteiligt. Jede einzelne Planungs-, Organisations- oder Baumaßnahme<br />

kann ein Beitrag zur weiteren Verschärfung oder zur Lösung<br />

der Umweltprobleme sein. Eine vereinzelte Maßnahme zeigt zwar kaum<br />

Wirkung, im Verbund mit anderen jedoch führt sie mit zunehmender<br />

Anwendung auch in Städten zu ausgeglichenen Materie- und Energiehaushalten,<br />

die in Harmonie mit den Natursystemen stehen, so daß<br />

Städte wieder Orte mit hoher Lebensqualität werden können.<br />

Für die Internationale Bauausstellung in Berlin (IBA) wurde 1982<br />

eine Zusammenstellung ökologischer Einzelmaßnahmen zur <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

und für Neubaumaßnahmen erarbeitet. Die folgende Kurzfassung<br />

des umfassenden Katalogs behandelt sowohl stadtökologische als<br />

auch bauökologische Maßnahmen auf Wohnungs- und Gebäudeebene,<br />

die ursächliche Verbesserungen, weniger Schutzmaßnahmen und Symptombekämpfung<br />

darstellen.<br />

Grundgedanken<br />

Menschliche Lebensbereiche können in Harmonie mit der Natur organisiert<br />

werden, wenn die Grundregeln und Mechanismen des Naturhaushaltes,<br />

wie sie in der <strong>Öko</strong>logie erforscht werden, auch auf künstliche<br />

Kultursysteme übertragen werden.<br />

Siedlungen und Städte können sich danach zu »<strong>Öko</strong>systemen besonderer<br />

Art« entwickeln, die ähnlich »natürlichen <strong>Öko</strong>systemen« in stetiger<br />

Entwicklung (Sukzession) immer vernetztere Ver- und Entsorgungsstrukturen<br />

aufweisen. Mit fortschreitender Entwicklung nimmt die Vielfalt<br />

der Lebenspartner und Lebensbeziehungen, die Effizienz der Energie-<br />

und Stoffnutzung, die Stabilität und Eigenständigkeit zu.<br />

Die »qualitativen Wachstumsschritte« verändern stetig die Umweltbedingungen,<br />

so daß sich allmählich ein »anthropogenes <strong>Öko</strong>system« entwickelt,<br />

welches optimal an die örtlichen klimatischen und geologischen<br />

83


Bedingungen angepaßt ist. Voraussetzung dazu sind menschliche Wohnund<br />

Lebensformen, die sich in die ökologischen Systeme integrieren,<br />

Lebensformen, die keinesfalls Verzicht auf Komfort und Lebensqualität<br />

bedeuten.<br />

Eine Anleitung zur Gestaltung von städtischen <strong>Öko</strong>systemen können<br />

die Prinzipien der natürlichen <strong>Öko</strong>systeme sein. Nach heutigen Kenntnissen<br />

sind dies im wesentlichen:<br />

• Anpassung an die Faktoren des Standortes;<br />

• Optimale Nutzung des örtlichen Naturpotentials an Energie und<br />

Materie;<br />

• Vernetzung der Stoff- und Energieflüsse, Einbindung in die globalen<br />

Kreisläufe;<br />

• Selbststeuerung in Regelkreisen;<br />

• Angemessene Populationsdichte;<br />

• Relative Eigenständigkeit und Vernetzung mit benachbarten Systemen;<br />

• Sukzession als offener Entwicklungsprozeß mit zunehmender Vielfalt<br />

und Stabilität;<br />

• Prinzip der Symbiose.<br />

Funktionsmischung und Vernetzung<br />

Das größte Hindernis einer ökologischen <strong>Stadt</strong>erneuerung ist die monofunktionale<br />

Zergliederung der Städte mit zentralisierter Ver- und Entsorgungsstruktur<br />

und dem dadurch hervorgerufenen Versorgungsverkehr<br />

und Verwaltungsaufwand mit seinen Folge Wirkungen.<br />

Anzustreben sind multifunktionale städtische Einheiten mit einer<br />

ausgewogenen Mischung von Wohnen und Arbeiten. Die Einrichtungen<br />

der Ver- und Entsorgung, der Dienstleistungen und Freizeit sind unmittelbar<br />

den Nutzern zuzuordnen. Je komplexer die Einheiten aufgebaut<br />

sind, desto weniger Verkehr und Transport ist notwendig und desto<br />

günstiger lassen sich die Energie- und Stoffhaushalte mit Verbund- und<br />

Kaskadensystemen koppeln. Das hat sowohl eine Minimierung der<br />

Energie- und Stoffmengen als auch geringeren Flächenbedarf zur Folge,<br />

so daß eine schadfreie Einbindung in die Natursysteme ermöglicht wird.<br />

Langfristig bedeutet das eine Umstrukturierung der Städte in multifunktionale,<br />

zum Teil selbstversorgende und selbstregelnde <strong>Stadt</strong>teileinheiten.<br />

Verdichtete <strong>Stadt</strong>teile müßten gegliedert und zum Teil aufgelockert<br />

und weniger dichte zu »kompakten städtischen Inseln« zusammengefaßt<br />

werden. Das so entstehende »grüne Netz« umschließt eine Vielzahl<br />

selbständiger <strong>Stadt</strong>teile, die kulturell spezielle Einheiten entsprechend<br />

84


Abb. 1: Schema der vernetzten Beziehungen eines <strong>Öko</strong>systems unter Einbeziehung<br />

des Menschen. Alles hängt mit allem zusammen und beeinflußt sich<br />

gegenseitig. Die Sonne bestimmt den Rhythmus und liefert die Energie. (Abb.<br />

aus »<strong>Öko</strong>logisches Bauen«, Wiesbaden/Berlin, 1982)<br />

ihrer historischen, sozialen, ethnischen und naturräumlichen Gegebenheiten<br />

sind.<br />

Der Verkehr zwischen diesen <strong>Stadt</strong>einheiten könnte sich weitgehend<br />

auf den sozialen und kulturellen Austausch beschränken und leicht<br />

durch emissionsfreie Verkehrsmittel bewältigt werden.<br />

Solche <strong>Stadt</strong>teile bauen sich analog zu natürlichen Systemen aus<br />

Teilsystemen auf, die in sich bereits eine hohe Autonomie erreichen.<br />

Die Wohnung als kleinster Baustein sollte bereits in der Wärmeversorgung<br />

teilautonom, in anderen Ver- und Entsorgungsbeieichen einen<br />

Baustein für das nächstgrößere System des Hauses darstellen.<br />

Ein Gebäude kann mit Garten und Gewächshaus zusammen mit<br />

seinen Bewohnern bereits die meisten elementaren Lebensfunktionen<br />

85


86<br />

NETZWERK DER ABHÄN^IßJ^ElTEN -VON NATUR UND KULTUR


DEN BALLUN6S6EBIETEN<br />

Abb. 2: Netzwerk der Abhängigkeiten von<br />

der Natur und Kultur in den Ballungsgebieten.<br />

Unsere städtischen Ballungsgebiete sind<br />

gekennzeichnet durch eine immer weiter zunehmende<br />

Funktionstrennung, die zu einer<br />

monofunktional zergliederten <strong>Stadt</strong> führt, in<br />

der alle Lebensbereiche getrennt an verschiedenen<br />

Orten zentralisiert sind.<br />

Dies bedeutet für den einzelnen Bewohner<br />

eine zeitliche und räumliche Zergliederung<br />

aller Lebensvorgänge, die außerdem zu einem<br />

Maximum an Verkehr und Bauwerken führt<br />

mit allen daraus entstehenden negativen Folgewirkungen.<br />

Die Ver- und Entsorgungsrichtlinien sind<br />

ebenfalls monofunktional zentralisiert und<br />

müssen mit Verteiler- und Sammlersystemen<br />

immer größer werdenden Maßstabs die Lebensgrundlagen<br />

sicherstellen. Solche Großsysteme<br />

wirken naturzerstörend, da sie nicht in<br />

das kleinteilige Netz natürlicher <strong>Öko</strong>systeme<br />

zu integrieren sind.<br />

Eine grundlegende Änderung der Leitlinien<br />

für eine <strong>Stadt</strong>- und Regionalentwicklung ist<br />

dringend geboten. Anzustreben sind multifunktionale<br />

Einheiten mit einer ausgewogenen<br />

Mischung von Wohnen und Arbeiten.<br />

Ver- und Entsorgungsrichtlinien, Dienstleistungen<br />

und Erholung sind unmittelbar den<br />

Nutzern zuzuordnen und einer Nutzverantwortung<br />

zugänglich zu machen.<br />

87


selbständig aufrechterhalten. Seine volle Eigenständigkeit erhält es in<br />

der Vernetzung und Einbindung in die nächstgrößeren Systeme.<br />

Die Siedlung, der Block bis hin zum <strong>Stadt</strong>teil als Summe von Einzelsystemen<br />

verschiedener Art ergibt dann eine neue Einheit auf höherer<br />

Ebene hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Qualität.<br />

<strong>Öko</strong>logische <strong>Stadt</strong>erneuerung bedeutet die Bestandsaufnahme und<br />

Einbeziehung vorhandener Systeme und Aufbau neuer, weitgehend<br />

eigenständiger Kleinsysteme technischer, biologischer, organisatorischer<br />

und sozialer Art, wie beispielsweise Abfallrecyclingstationen,<br />

Werkstätten- und Betriebseinheiten, Nahrungserzeugungseinheiten,<br />

Energie- und Wassergewinnungseinheiten oder Bildungs- und Sozialeinheiten<br />

formeller wie informeller Art, Die Erarbeitung von Vernetzungsund<br />

Kombinationsschemata auf Blockebene, Einordnung der Teilsysteme<br />

auf <strong>Stadt</strong>teilebene und Vernetzungen mit den angrenzenden <strong>Stadt</strong>teilen<br />

und dem Umland setzten Planungsmethoden und -maßnahmen<br />

voraus, die in vernetzten Denkprozessen jeweils die Folge-, Neben- und<br />

Rückwirkungen erfassen und einbeziehen.<br />

Dieses Ziel kann durch eine neue interdisziplinäre <strong>Stadt</strong>planung<br />

angestrebt werden, in der ökologisch orientierte Fachleute der Ver- und<br />

Entsorgung, Betriebs- und Volkswirtschaft, <strong>Öko</strong>logie, Soziologie u. a.<br />

gemeinsam mit <strong>Stadt</strong>- und Bauplanern neue dezentrale Konzepte und<br />

ihre schrittweise Durchsetzung erarbeiten. Erste Schritte zur Realisierung<br />

bieten sich immer, wenn zentrale Ver- und Entsorgungssysteme<br />

ersetzt oder erweitert werden sollen; die Mittel können dann für die<br />

Installation von dezentralen Einrichtungen eingesetzt werden.<br />

<strong>Öko</strong>logische Entwicklungsschritte können nur »Initialzündungen«<br />

sein, die von den Bewohnern und Betrieben aufgenommen und weiterentwickelt<br />

werden müssen. Ausgehend vom heutigen Erkenntnisstand<br />

müssen die ersten Schritte eingeleitet werden, und erst nach Rückkoppelung<br />

der Erfahrungen dürfen weitere Schritte folgen.<br />

Eine solche Entwicklungsstrategie mit stetiger Rückkoppelung muß<br />

langsam genug sein, damit genügend Zeit für Bewußtseins- und Verhaltensänderungen<br />

der Bewohner bleibt und damit spätere wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse einfließen können.<br />

<strong>Öko</strong>logische Planung ist daher eine sukzessive Planung, die keinen<br />

Stillstand und keine fixierte Zukunft kennt, die in einen offenen Selbststeuerungsprozeß<br />

überleitet.<br />

Rückkoppelung und Selbststeuerung der Bewohner<br />

Durch Rückkoppelung in Regelkreisen halten sich natürliche <strong>Öko</strong>systeme<br />

im Gleichgewicht.<br />

Für menschliche Wohn- und Lebensformen können Rückkoppelungs-


mechanismen entwickelt werden, die anders als in natürlichen <strong>Öko</strong>systemen<br />

über das Bewußtsein die aktive Selbststeuerung nutzen. So ist<br />

Einsicht und Wiedererleben der Abhängigkeit vom Naturhaushalt der<br />

erste Schritt zur ökologischen Selbststeuerung.<br />

Die Ver- und Entsorgungseinrichtungen im Gebäude, Block- und<br />

<strong>Stadt</strong>teil müssen dann so gestaltet werden, daß jeder Bewohner selbständig<br />

sein Verhalten bestimmen kann, ohne übergeordnete Kontrollinstanzen<br />

zu benötigen. Voraussetzung dazu ist die Überschaubarkeit und das<br />

Verständnis der Systemzüsammenhänge und Einrichtungen sowie der<br />

eigenen Rolle im System, um direkte Verantwortung übernehmen zu<br />

können. So sollte eigenes Fehlverhalten unmittelbar den Verursacher<br />

treffen, ökologisches angemessenes Verhalten unmittelbaren Gewinn<br />

bringen (z.B. geringe Heizkosten bei richtiger Wärmehaushaltung).<br />

Mit zunehmender Entwicklung werden sich immer komplexere, vernetztere<br />

Strukturen und Systeme herausbilden, die nur scheinbar die<br />

Nutzer und Bewohner überfordern. Die Komplexität ökologischer Konzepte<br />

setzt einerseits Vorkenntnisse biologisch-natürlicher Vorgänge<br />

voraus, die meist heute nicht mehr vorhanden sind. Sie ist aber andererseits<br />

mit relativ einfachen, zum Teil vertrauten Maßnahmen durch<br />

Modelle für jeden sichtbar, erlebbar und er-faß-bar. Da das »Ganze<br />

einfacher als die Summe seiner Teile ist«, kann bei frühzeitiger Einbeziehung<br />

der Bewohner, bei Verantwortungsübernahme und Selbstorganisation<br />

sowie eigener kreativer Weiterentwicklung sehr wohl mit wachsendem<br />

Verständnis und Identifikation der Bewohner gerechnet werden.<br />

Der Gewinn an Lebensqualität besteht außer in der wiedergewonnenen<br />

Überschaubarkeit und Verantwortlichkeit der eigenen Lebensvorgänge<br />

und einer unmittelbaren sozialen Einbindung in einer Einsparung<br />

an Arbeits- und Zirkulationszeit, an Energie-, Ver- und Entsorgungskosten<br />

sowie in den Vorzügen einer unbelasteten Umwelt.<br />

Großzügige ökologische Modellbauten sind das beste Mittel, um die<br />

Funktionsfähigkeit und ihre Vorteile zu beweisen, damit ökologische<br />

Konzepte von Nutzern und Planern akzeptiert und übernommen<br />

werden.<br />

Das' Erleben von ökologisch integrierten Systemen verschiedener<br />

Größenordnungen ist die wichtigste Voraussetzung zur Durchsetzung<br />

ökologischer <strong>Stadt</strong>erneuerung.<br />

Die folgenden Einzelmaßnahmen sind geordnet nach:<br />

• Lufthaushalt und <strong>Stadt</strong>klima<br />

• Energiehaushalt<br />

• Wasserhaushalt<br />

• Materialhaushalt<br />

• Natureinbindung und Regeneration<br />

• Soziale Einbindung und Vernetzung<br />

89


Zwischen den einzelnen Themenbereichen bestehen vielfache Wechselbeziehungen,<br />

so daß einzelne Maßnahmen für mehrere Bereiche gelten.<br />

Die dadurch entstehenden Überschneidungen verdeutlichen die Komplexität.<br />

Lufthaushalt und <strong>Stadt</strong>kiima<br />

Das wichtigste Ziel ist, in Städten wieder sauerstoffreiche und schadstofffreie<br />

Luft als notwendiges »Lebensmittel« zu schaffen. Um dieses<br />

Ziel zu erreichen, sind die wichtigsten Prinzipien:<br />

• die Reduzierung bzw. Vermeidung von Emissionen durch Produktion,<br />

Verkehr und Hausbrand;<br />

• die Schaffung von Luftregenerationsbereichen im Außenraum durch<br />

Vegetation, Wasserflächen und aktives Bodenleben.<br />

Die Schaffung von großräumigen <strong>Stadt</strong>durchlüftungssystemen zum Abtransport<br />

der Schadstoffe sind ebenso wie der Immissionsschutz von<br />

bewohnten Außen- und Innenräumen aufwendige Lösungen, welche die<br />

Ursachen unverändert lassen. In Verbindung mit einer verbesserten<br />

Versorgung mit Erholungsflächen, Schaffung von störungsfreien Fußund<br />

Radwegen sowie einer Reaktivierung von Naturbereichen und<br />

deren netzartigen Verbindungen können Durchlüftungsschneisen sinnvoll<br />

sein.<br />

Wichtiger ist der Austausch der Luftmassen an windstillen Tagen<br />

durch thermische Zirkulation und zur eigenständigen Lufterneuerung<br />

durch Grünanlagen im unmittelbaren Wohnumfeld. Nur Maßnahmen<br />

mit gegenseitiger Ergänzung haben spürbare Auswirkungen.<br />

Ein weiteres Ziel ist die Schaffung von klimatischen Vorzugsbedingungen<br />

im Innenraum und Außenbereich des Hauses mit natürlichen<br />

Mitteln.<br />

Dieses Ziel wird erreicht durch die Prinzipien:<br />

• der passiven Solarnutzung (außen/innen);<br />

• der Materialeigenschaften, wie Wärme, Feuchte- und Dampfdruckausgleich,<br />

Feinfaser- und Staubminimierung, keine luftelektrische<br />

Beeinflussung usw.;<br />

• der einfachen, jahreszeitlich anpaßbaren Lüftung mit Zuluft-/Abluft-<br />

Wärmetausch im Winter;<br />

• des Klimaausgleichs und der Luftregeneration durch Pflanzen und<br />

Wasser.<br />

90


Energiehaushalt<br />

Langfristiges Ziel ist es, den Energieverbrauch auf das örtlich verfügbare<br />

natürliche und regenerierbare Energiepotential abzustimmen. Kurzfristiges<br />

Ziel ist es, die derzeitige Energienutzung zu optimieren und den<br />

Verbrauch der Leistungsverluste erheblich zu reduzieren.<br />

Die wichtigsten Prinzipien sind die Minimierung der Energieverluste,<br />

die Erhöhung des Wirkungsgrades technischer Einrichtungen sowie die<br />

Energienutzung in Koppelungs- und Kaskadensystemen. Darüber hinaus<br />

sollte die Energiegewinnung, -Umwandlung und -Verteilung dezentral,<br />

d.h. überschaubar und möglichst in direkter Rückkoppelung durch<br />

den Verbraucher erfolgen.<br />

Das Angebot regenerativer Energiequellen (Sonne, Wind, Biomasse)<br />

ist dabei in allen Formen auszuschöpfen und mit möglichst einfachen,<br />

wartungsarmen Systemen an die spezifische Nutzung anzupassen.<br />

Da der Heizenergiebedarf den größten Teil der bundesdeutschen<br />

Energiebilanz und über M des Gebäudeenergiebedarfs ausmacht, stellen<br />

die Maßnahmen zur Gebäudeheizung den wichtigsten Teil dar. In der<br />

Reihenfolge des Vorgehens sind die wichtigsten Prinzipien:<br />

• die Wärmebewahrung durch Dämmen, Dichten und Puffern;<br />

• die Wärmerückgewinnung aus Abluft, Abgas und Abwasser;<br />

• die Prinzipien der passiven Solarnutzung;<br />

• die aktive Solarnutzung (Warmwasserbereitung);<br />

• die Prinzipien der optimalen Wärmeverteilung (hoher Anteil an<br />

Strahlung und warme Wandoberflächen etc.).<br />

Wasserhaushalt<br />

Langfristige Ziele sind der Aufbau eines eigenständigen, vielfach vernetzten<br />

Wasserver- und -entsorgungssystems auf Haus-, Block- und<br />

<strong>Stadt</strong>teilebene, das sich in den natürlichen Wasserhaushalt einbindet.<br />

Hierzu sind die wichtigsten Prinzipien:<br />

• die Reduzierung der Wassermengen mit Trinkwasserqualität;<br />

• die Entwicklung von Brauchwassersystemen mit Doppel- oder Kaskadennutzungen;<br />

• die Entwicklung von geschlossenen Wassernutzungssystemen für gewerblichen<br />

und industriellen Gebrauch;<br />

• eine ausgewogene Nutzung der örtlich vorhandenen Wasserquellen<br />

(Niederschläge, Grundwasser, Oberflächenwasser) mit einer auf die<br />

Art der Nutzung gezielt abgestimmten Aufbereitung (geringe Entnahmemengen,<br />

kurze Verteilerwege);<br />

• Erfassung und Spezialbehandlung für Sonderabwässer;<br />

91


• direkt den Nutzern zugeordnete Kontrollmöglichkeiten gegen biologisch<br />

schädliche Abwassereinrichtungen mit negativer Rückkoppelung<br />

für den Nutzer;<br />

• Entwicklung von Abwassernutzungssystemen (biologische Weiternutzung),<br />

die speziell auf die Art der örtlichen Belastung abgestimmt<br />

sind;<br />

• Wiedereinbindung nach Nutzung und Reinigung in den Oberflächenund<br />

Grundwasserhaushalt; Abstimmung der Menge auf die Aufnahmekapazität.<br />

Ein zweites wichtiges Ziel ist die Sanierung des Grundwassers und der<br />

Oberflächengewässer. Hierzu sind die wichtigsten Prinzipien:<br />

• die Minimierung der versiegelten Oberflächen (in Städten bis zu<br />

90%) und die Reaktivierung des Bodenlebens sowie die Versickerungsmöglichkeit<br />

zum Grundwasser;<br />

• die Minimierung der Luftverschmutzung (siehe Lufthaushalt) und<br />

somit die Reduzierung der Niederschlagsbelastung;<br />

• die Vermeidung von Streusalzen, Überdüngungen, Pestiziden, Tropföl<br />

und anderen Verunreinigungen des Bodens;<br />

• die Vermeidung der Einleitung belasteten Abwassers, Einleitung erst<br />

nach Aufbereitung in biologisch reinem Zustand;<br />

• die Erhöhung der natürlichen Selbstreinigungskraft der Oberflächengewässer<br />

durch gezielte Biotopverbesserungen, besonders der Uferzonen;<br />

• Wiederfreilegung verrohrter oder zugeschütteter Gewässer;<br />

• Anlegen von neuen naturnahen Gewässern und Feuchtbiotopen,<br />

integriert in die Grünanlagen;<br />

• möglichst lange Rückhaltung der Niederschläge.<br />

Der Ausbau eines ökologisch ausgeglichenen Wasserhaushaltes kann<br />

schrittweise erfolgen im Zuge der sowieso notwendigen Erneuerungsmaßnahmen<br />

und Verbesserungen des Wohnumfeldes.<br />

Bei größeren Neubauprojekten besteht die Möglichkeit, von vornherein<br />

ein fein abgestimmtes Wassernutzungssystem zu installieren, das den<br />

oben genannten Prinzipien entspricht.<br />

Materialhaushalt<br />

Langfristiges Ziel ist es, eine vollständige Versorgung für Lebensmittelund<br />

Verbrauchsgüter im kleinräumigen Verbund mit Weiternutzung der<br />

Abfälle ohne Umweltschädigung zu erreichen.<br />

Das gleiche gilt im großräumigen Verbund für langlebige Gebrauchs-<br />

92


guter, die geeignet sind, dezentral handwerklich gewartet und repariert<br />

zu werden.<br />

Orientiert am Stoffhaushalt der Natur, wo die »Reststoffe« eines<br />

biologischen Prozesses immer »Rohstoffe« des nächsten Prozesses sind,<br />

kann für Haushalts- und Produktionsabfälle jeweils eine geeignete<br />

Weiternutzung gefunden werden (»Abfälle sind Rohstoffe am falschen<br />

Ort«).<br />

Müll als Konglomerat verschiedener Abfallstoffe erschwert eine Weiternutzung<br />

ganz erheblich und macht sie trotz aufwendiger Mülltrennanlagen<br />

zum Teil ganz unmöglich. <strong>Öko</strong>logisch sinnvoller ist es, Müll gar<br />

nicht erst entstehen zu lassen, d.h.:<br />

O die Abfallstoffe haushalts- und betriebsweise zu trennen, zu.sammeln<br />

und einer Weiternutzung zuzuführen (Stoffe aus Abgas, Abwasser<br />

und festen Abfällen);<br />

• Aufbau von vernetzten Betriebs- und Haushaltssystemen zur unmittelbaren<br />

Weiternutzung der Abfälle in Materialkaskaden (zugleich<br />

Koppelung der Energieflüsse möglich);<br />

• Aufbau von Reparatur- und Umnutzungsbetrieben für gebrauchte<br />

Geräte und Güter;<br />

• Materialsammellager auf <strong>Stadt</strong>teilebene für Baustoffe und Ausbauteile;<br />

• Mengenreduzierung der Abfallstoffe durch bewußtes Kauf- und<br />

Konsumverhalten (wie langlebige reparaturfreundliche Gebrauchsgüter,<br />

Verbrauchsgüter ohne Verpackungsanteile);<br />

• Aufbau von Verbundsystemen der Nahrungsversorgung und der<br />

organischen Abfälle wie: selbständige <strong>Stadt</strong>-Land-Betriebe, direkt<br />

gekoppelte Verarbeitungs- und Versorgungsbetriebe bis hin zur Nutzbarmachung<br />

von Haus und Umfeld für eine hochproduktive, städtische<br />

Nahrungsmittelproduktion.<br />

Eine besondere Bedeutung haben die Baustoffe. Hier sollten für Neubauten<br />

die physiologischen (biologischen) Eigenschaften neben der<br />

Nutzung von Recyclingstoffen Beachtung finden.<br />

Natureinbindung und Regeneration<br />

Städte sind biologisch verarmte Gebiete mit nahezu vollständig zerstörter<br />

Regenerationskraft bei gleichzeitig höchster Emissionsbelastung.<br />

Ein Ziel ökologischer <strong>Stadt</strong>erneuerung ist eine biologische Aufwertung<br />

des Standortes (<strong>Stadt</strong>) durch angepaßte Lebensgemeinschaften mit<br />

hoher Eigenständigkeit und Stabilität, die bei reduzierter Immission<br />

eine vollständige Regeneration garantieren.<br />

93


Städte bieten eine große morphologische und elementare Diversität,<br />

die richtig genutzt zu einer größeren Artenvielfalt führen könnte, als sie<br />

natürliche Landschaften aufweisen.<br />

Gebäude, technische Einrichtungen und Außenräume werden als<br />

Bestandteile eines »Biotops besonderer Art« gesehen, das durch gezielte<br />

Gestaltung die Lebensbedingungen aller Bewohner fördert und besonders<br />

den symbiotischen Nutzen für den Menschen optimiert. (Alle<br />

Bewohner sind: Menschen, Haustiere, Nutzpflanzen sowie Wildtiere,<br />

Wildpflanzen und Mikroorganismen.)<br />

Die wichtigsten Prinzipien zur städtischen Naturregeneration sind:<br />

• die Vermeidung von Emissionen und der daraus folgenden Luft-,<br />

Boden- und Gewässerverseuchung;<br />

• die Reduzierung der befahrenen Flächen;<br />

• die Beseitigung aller unnötig versiegelten Bodenflächen und Belebung<br />

aller freien, nicht intensiv genutzten Flächen für natürliche<br />

Vegetation, einschließlich Dach und Fassadenflächen;<br />

• die Erhaltung von vorhandenen selbstangepaßten Vegetationsflächen<br />

und Förderung von Vegetation, die sich an die speziellen Freiflächennutzungen<br />

selbsttätig anpaßt;<br />

• die Schaffung von natürlichen Vegetationsbereichen, die für Menschen<br />

unerreichbar bleiben (für wertvolle ungestörte Naturbiotope),<br />

z.B. Dächer, unzugängliche Bereiche in Grünanlagen usw. mit sporadischer<br />

Pflege, um einen bestimmten Sukzessionsgrad zu stabilisieren;<br />

• die netzartige Verbindung der Vegetationsflächen mit Anschluß an<br />

die großen Grünbereiche und das Umland;<br />

• die Integration von Wasser- und Feuchtbiotopen in die Grün- und<br />

Erholungsflächen mit zum Teil intensivem Schutz der wertvollen<br />

Uferbereiche;<br />

• die Integration von Nutz- und Ziergärten, von Spiel- und Freizeiteinrichtungen<br />

in die standortangepaßten Naturgrünflächen,<br />

Wichtigste Voraussetzung für solche Maßnahmen ist die Entwicklung<br />

des Bewußtseins der Bewohner, die gegebenenfalls die Verantwortung<br />

für die Pflege und den Schutz dieser Flächen übernehmen müssen.<br />

Soziale Einbindung und Vernetzung<br />

Ziel einer ökologischen <strong>Stadt</strong>erneuerung ist die Harmonisierung<br />

menschlichen Lebens mit der Natur. Alle Maßnahmen, die dies ermöglichen,<br />

können zugleich zu einer Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen<br />

führen, wie:<br />

94


• Schaffung von Lebensbedingungen, die der menschlichen Natur angemessen<br />

sind;<br />

• Förderung und Ausschöpfung der vollen sinnlichen Erlebnisfähigkeit;<br />

• Schaffung von physischen und psychischen Vorzugsbedingungen,<br />

gleichberechtigt für alle Lebensphasen (vom Kleinkind bis zu alten<br />

Menschen);<br />

• Förderung der Selbständigkeit und des Zusammenlebens der Generationen,<br />

der Frauen und Männer;<br />

• Schaffung der Voraussetzungen, den Lebenszyklus wieder als Einheit<br />

erkennbar und erlebbar zu machen.<br />

Da die Bewohner eine aktive Rolle im »städtischen <strong>Öko</strong>system« übernehmen<br />

müssen, sind organisatorische Modelle zu entwickeln, die frühzeitig<br />

die Bewohner und Gewerbetreibende mit den ökologischen Systemen<br />

vertraut machen, die Eigeninitiative fördern und die Verantwortlichkeit<br />

für den unmittelbaren Lebensbereich wieder entstehen lassen.<br />

Folgende Funktionen müssen übernommen bzw. neu entwickelt werden:<br />

• »Zusatzfunktionen« zur Mehrfachnutzung der Gebäude- und Freiflächen<br />

sowie der technischen Anlagen (ggf. Differenzierung monofunktionaler<br />

Einrichtungen);<br />

• »Ergänzungsfunktionen« zur Bildung von Kaskaden und Vernetzungen<br />

des Material- und des Energie- und Wasserhaushaltes;<br />

• »Grundversorgungsfunktionen« zur eigenständigen, gebietsinternen<br />

Versorgung mit den täglichen Bedarfsgütern, insb. Nahrungsmitteln;<br />

• »Regelungsfunktionen« und Überwachung der ökologischen Systeme<br />

und ihre natürliche Einbindung;<br />

• »Selbstverwaltungsfunktionen«, Entwicklung entsprechender Gremien<br />

zur Regelung der internen Beziehungen sowie zu benachbarten<br />

und übergeordneten Systemen.<br />

Kernpunkt der sozialen Vernetzung ist die Integration von Wohnen und<br />

Arbeiten, von Freizeit und Erholung in überschaubaren Einheiten. Im<br />

Zusammenhang mit den ökologisch sinnvollen Koppelungen ergeben<br />

sich daraus eine Reihe von neuen Arbeitsplätzen und Gewerbeansiedlungen,<br />

die sich gegenseitig fördern können:<br />

• ökologisch integrierende, blockeigene Ver- und Entsorgungssysteme<br />

(Planung, Aufbau, Wartung, Verbesserung etc.);<br />

• Nahrungsmittelanbau, <strong>Stadt</strong>-Land-Verbund, Lagerung, Verarbeitung,<br />

Verteilung etc.;<br />

• Ergänzungsbetriebe, die für die Betriebskoppelungen zu Energieund<br />

Materialkaskaden notwendig werden;<br />

• Werkstätten, Läden, Reparatur- und Veredelungsbetriebe etc.;<br />

95


• Reintegration der sozialen Einrichtungen wie der Gesundheitsversorgung,<br />

Kinderpflege, Sozialpflege und^des Bildungswesens unmittelbar<br />

in die einzelnen Wohngebiete und Nachbarschaftseinheiten;<br />

• weitere Einrichtungen im sozialen und kulturellen Bereich zur Erhöhung<br />

der Eigenständigkeit des Gebiets.<br />

Langfristig gilt es, eine ökologisch angemessene Bewohnerdichte und<br />

Grüppenstruktur zu entwickeln, welche zugleich den sozialen Anforderungen<br />

gerecht wird. Die Dichte muß sich aus den Abhängigkeiten der<br />

»sozialen Distanz« zur Sicherung des individuellen Freiraums, der<br />

»kommunikativen Nähe« zum kulturellen und sozialen Lernen, der<br />

notwendigen Dichte, um optimale Funktionsmischungen für Energieund<br />

Materialkaskaden zu erhalten, und aus der Belastbarkeit der natürlichen<br />

Umweltsysteme definieren.<br />

Die meisten innerstädtischen Wohngebiete sind eindeutig zu dicht<br />

besiedelt. Neuplanungen sollten daher auch der Entlastung der zu<br />

dichten Wohngebiete dienen (z.B. Südliche Friedrichstadt zur Entlastung<br />

von Kreuzberg SO 36).<br />

Die frei werdenden Räume könnten dann für »ökologische Wohnfolgeeinrichtungen<br />

und Betriebe« genutzt werden, die zur weiteren Entlastung<br />

der Wohngebiete führen. Entsprechende Umstrukturierungsmodelle<br />

müßten der jeweiligen Situation angepaßt werden.<br />

Wege zur Durchsetzung<br />

Neben der grundsätzlichen Frage, ob es überhaupt eine rechtzeitige<br />

Umkehr vor Katastrophen gibt, müssen wir uns fragen, welches eine<br />

richtige und mögliche Strategie zur Durchsetzung für eine bessere<br />

Zukunft ist. Was kann der einzelne tun? Was kann z.B. die IBA tun?<br />

Was kann eine <strong>Stadt</strong> wie Berlin leisten, um wichtige Weichen (noch)<br />

richtig zu stellen?<br />

Zunächst ist zu untersuchen, welche Faktoren in einer <strong>Stadt</strong> auf den<br />

Menschen einwirken, wie das System <strong>Stadt</strong> vernetzt ist. Man wird<br />

schnell feststellen, daß eine grundsätzliche organisatorische Umstrukturierung<br />

notwendig ist. Eine Umstrukturierung<br />

• hin zu dezentralen Versorgungssystemen,<br />

• zum Zusammenfügen bisher (künstlich) getrennter Funktionen.<br />

Solche wesentlichen und grundsätzlichen Prozesse sind nicht durch<br />

architektonische oder planerische Modelle auslösbar, sondern nur durch<br />

politische Entscheidungen.<br />

Wie aber werden politische Entscheidungen beeinflußt und gesteuert?<br />

96


Ein erstaunlich wirkungsvoller Weg ist nicht, gegen jemanden (Politiker<br />

oder Behörden) zu kämpfen, weil hierfür viel zu viel Energie notwendig<br />

wäre, sondern statt dessen mit den vorhandenen Kräften (Wirtschaftsstruktur,<br />

Finanzströme etc.) zu arbeiten, sie für die ökologische Sache<br />

zu gewinnen und selbst wirken zu lassen. Überall sind mittlerweile<br />

Verbündete zu finden, deren Einfluß durch qualifizierte Mitarbeit gestärkt<br />

werden kann. Darüber hinaus bieten umweltorientierte Technologien,<br />

Produktionen, Planungs-, Sozial- und Dienstleistungen schon<br />

heute eine Möglichkeit, eine selbständige Existenz aufzubauen, die<br />

gleichzeitig ein zukunftsorientiertes Modell darstellen kann.<br />

Es müssen politische Ziele, Programme und Handlungsweisen entwikkelt<br />

werden. Architekten und Planer können zu politischen Strategien<br />

ihren Beitrag leisten, indem sie mögliche und sinnvolle Ziele durch die<br />

Gestaltung einer »schönen, heilen Welt« verdeutlichen. Solche Beiträge<br />

sind in vielfältigen Varianten so häufig wie möglich als Zukunftsmodelle<br />

zu realisieren.<br />

Zukunftsmodellen liegt bisher die Fragestellung zugrunde: »Was muß<br />

sich ändern, damit es so bleibt wie bisher?« D.h. unsere Lebensart und<br />

unser Lebensstandard sollen unangetastet bleiben. Eine solche Problemlösung<br />

erfordert einen enormen Planungszeit- und Kostenaufwand, die<br />

dann ökonomisch nicht mit traditionellen Lösungen konkurrieren können.<br />

Werden jedoch Lebensart und Lebensstandard sowie bestehendes<br />

Recht (z.B. Baurecht, DIN, Ver- und Entsorgungsbestimmungen etc.)<br />

mit zur Disposition gestellt, so könnte ein breites Spektrum von Modellen<br />

entstehen, die ökologisch besser, ökonomisch günstiger sind als<br />

herkömmliche Lösungen und zusätzlich eine andere und höhere Lebensqualität<br />

bieten.<br />

Eine ökologische <strong>Stadt</strong>entwicklung benötigt, außer politischen und<br />

planerischen Entscheidungen, einen Umdenkungsprozeß bei der Bevölkerung.<br />

<strong>Öko</strong>logische <strong>Stadt</strong>erneuerung ist daher letztlich ein sozialer<br />

Prozeß, der sich über Generationen erstreckt. Da mit den Kräften der<br />

Natur gearbeitet wird, kann er nicht schneller sein, als Bäume wachsen.<br />

97


Florentin Krause<br />

Die bundesdeutsche Bausubstanz -<br />

ein Energiefaß ohne Boden<br />

Nach dem herkömmlichen Verständnis haben Ehergiepolitik und <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

wenig miteinander zu tun.<br />

Dies beruht einerseits darauf, daß die <strong>Stadt</strong> als Energieverbraucher<br />

scheinbar mehr oder weniger unveränderlich vorgegeben ist und die<br />

konventionelle Energiepolitik sich darin erschöpft, die <strong>Stadt</strong> von außen<br />

mit Brennstoffen und Strom zu versorgen.<br />

Andererseits war in der Vergangenheit die Belastung städtischer<br />

Einwohner mit Heizungskosten im Vergleich zur Mietpreisbelastung<br />

gering, und die sozialpolitisch motivierte Städtebaupolitik hatte wenig<br />

Anlaß, sich mit der Energieproblematik auseinanderzusetzen.<br />

Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Die Heizkostenbelastung<br />

der Mieter in Altbauten übersteigt heute häufig die Mietkosten,<br />

und es ist absehbar, daß diese Tendenz sich in den nächsten Jahren<br />

fortsetzen wird. Die Städte wieder wohnlicher zu machen heißt deshalb<br />

heute nicht nur, die Natur in sie zurückzuholen und sie wieder zu<br />

begrünen und Lärm und Emissionen zu beseitigen, sondern die Mieter<br />

davor zu schützen, daß ihre Heizkostenrechnung ihnen das Hemd vom<br />

Leib reißt.<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung ist heute Kernstück der Energiepolitik, und das<br />

erfordert eine grundlegende Neuorientierung all derer, die sich in der<br />

kommunalen Politik und Verwaltung engagieren.<br />

Ich habe bereits in dem Buch »Energiewende« 1 begründet, warum die<br />

herrschende Energiestrategie, Öl durch die großtechnische Kohleumwandlung<br />

und Kernenergienutzung zu ersetzen, zum Schiffbruch führen<br />

muß. Jeder Monat in der weltpolitischen Entwicklung macht deutlich,<br />

daß die Bundesrepublik nur dann Versorgungssicherheit haben wird,<br />

wenn es ihr gelingt, rasch ihren Ölverbrauch und Energieeinsatz zu<br />

senken. Die bisherige Strategie des großtechnischen Zubaus von Anlagen<br />

draußen auf der Wiese ist nicht rasch und auch nicht kostengünstig.<br />

Statt unseren Erdball auf der Suche nach neuen Ölfeldern zu einem<br />

Schweizerkäse zu machen, gilt es heute, eine große, heimische Energiequelle<br />

anzubohren: den Raumheizungsbedarf unserer Gebäude drastisch<br />

zu senken.<br />

98


Die Bedeutung von Effizienzverbesserungen bei Gebäuden und Heizungen<br />

wird in der Energiepolitik immer noch verkannt. Der Anteil der<br />

Raumheizung am Endenergiebedarf der Bundesrepublik beträgt ca.<br />

40%. Für diese Heizenergie geben wir bei derzeitigen Energiepreisen<br />

jährlich 50 Milliarden DM aus, oder knapp tausend DM pro Kopf.<br />

Dabei befindet sich der Gebäudebestand der Bundesrepublik in einem<br />

hoffnungslos rückständigen Zustand, wenn man ihn mit den heutigen<br />

Möglichkeiten der baulichen Wärmeschutztechnik und der Heiztechnik<br />

vergleicht.<br />

Mit heute verfügbaren und längst erprobten einfachsten Techniken<br />

läßt sich der Raumwärmebedarf von Gebäuden gegenüber dem typischen<br />

mangelnden Wärmeschutz des westdeutschen Bestandes auf ein<br />

Zwanzigstel vermindern; bei Maßnahmen im Außenwand- und -deckenbereich<br />

auf ein Zehntel, bei Fensterisolierung auf ein Viertel, Belüftung<br />

auf ein Sechstel.<br />

Gebäude dieser Konstruktion sind in mehreren Ländern über Jahre<br />

hinweg getestet worden, in der Bundesrepublik z.B. das Phillips-Haus<br />

in Aachen. Bedenken, daß eine solche Superisolierung zu einem unerträglichen<br />

Innenklima (zu heiß im Sommer, Ersticken im Winter) führen<br />

würde, sind durch diese Tests ausgeräumt worden. Im Gegenteil, sie<br />

waren der üblichen Bauweise überlegen.<br />

Alle Maßnahmen, die in solchen superisolierten Gebäuden angewandt<br />

werden, sind prinzipiell auch auf Altbauten anwendbar. So lassen<br />

sich Fenster mit Mehrfachverglasung und Isolierböden einbauen, Dächer,<br />

Keilerdecken und Außenwände mit Isolierschichten und Wärmeaustauscher<br />

zur kontrollierten Belüftung vorsehen.<br />

Ziel der Wärmesanierung von Altbauten sollte es sein, den Raumwärmebedarf<br />

im Mittel um mindestens 75% zu senken, was etwa einer<br />

Umrüstung auf schwedische Standards entspricht.<br />

Bei Neubauten muß das Ziel sein, den Raumwärmebedarf auf mindestens<br />

ein Zehntel des durchschnittlichen Bedarfs zu senken.<br />

Wärmeschutzmaßnahmen dieser Art lassen sich gut mit anderen<br />

Sanierungsmaßnahmen verbinden, deren Ziele in erster Linie sozialpolitisch<br />

bestimmt sind.<br />

Schon heute werden - wenn auch in völlig unzureichendem Ausmaß -<br />

Fenster- und Außenwandisolierungen bei der Fassadenrenovierung mit<br />

angebracht.<br />

Die modernen mehrfachverglasten Fenster mit guter Fugendichte<br />

tragen ganz erheblich zum Schallschutz bei.<br />

Klappfensterläden, die zu Zwecken der Isolierung mit Styropor beschichtet<br />

angebracht werden, etwa bei Nachkriegsbauten, können eine<br />

ausgesprochen wohltuende auflockernde optische Wirkung auf die Fassaden<br />

haben.<br />

99


Umfangreiche Fassadenbegrünungen sind nicht nur attraktiv und<br />

staubbindend, sondern auch isolierend, indem sie ein stagnierendes<br />

Luftkissen unter ihren Blättern halten. Dieser Nebeneffekt kann dazu<br />

verwendet werden, die effektive Dämmschicht ohne zusätzliches<br />

Dämmaterial an der Außenwand zu vergrößern.<br />

Ebenso kann ein Dach mit Erdreich isolieren, etwa mit dem Erdreich,<br />

das in einem Dachgewächshaus zum Pflanzenanbau benötigt wird.<br />

Schließlich läßt sich eine effektive Wärmedämmung am Fenster auch<br />

durch Vorsatz eines Wintergartens oder Balkongewächshauses erreichen,<br />

was zusätzlich noch zu einer besseren Nutzung der Sonnenstrahlung<br />

führt (passiv-solare Maßnahme).<br />

Erst nachdem die Wärmesanierung weitestmöglich vorangetrieben ist,<br />

kann man über neue Heizsysteme nachdenken. Die gegenwärtige Praxis,<br />

den Wärmeschutz geringzuschätzen und einfach von einem Energieträger<br />

auf den nächsten umzurüsten, ist kurzsichtig. Überdies gibt es nur<br />

zwei Umrüstungsmaßnahmen in der Heiztechnik, die Unterstützung<br />

verdienen: die Umrüstung auf Sonnenwärme und die Umrüstung auf<br />

gekoppelte Produktion von Strom und Wärme.<br />

Es herrscht die weitverbreitete Illusion, daß unsere Heizungen einen<br />

Wirkungsgrad von 50 bis 80 % hätten. Tatsächlich ist dieser Wirkungsgrad<br />

zur Beurteilung der Heiztechnik völlig untauglich. Das einzig<br />

verläßliche Maß für die Umwandlung von Brennstoffen in Nutzenergie<br />

ist der sogenannte exergetische 2 Wirkungsgrad, in dem berücksichtigt<br />

ist, daß man einen großen Teil der Qualität des Brennstoffs Heizöl, Gas,<br />

etc. wegwirft, wenn man nur Wärme niederer Temperatur erzeugt,<br />

nämlich letztendlich eine Raumtemperatur von 20° C.<br />

Dieser exergetische Wirkungsgrad beträgt nur ca. 5% für eine herkömmliche<br />

Heizung, etwa 10% für eine Wärmepumpe, aber ca. 30%<br />

für die Heizung in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Aus dem Gebot der<br />

Stunde, fossile Brennstoffe so sparsam wie möglich zu verwenden,<br />

ergibt sich ein absolutes Primat für den Ausbau der KWK überall da, wo<br />

sich fossile Brennstoffe noch nicht durch Sonnenenergie ersetzen lassen.<br />

Gegenwärtig liegt der Anteil der KWK an der Raumheizung in der<br />

Bundesrepublik weit unter 5%.<br />

Berücksichtigt man die besseren Wirkungsgrade der KWK sowohl im<br />

Bereich der Brennstoffumwandlung in Endenergie als auch im Bereich<br />

der Nutzung der Endenergie im Haus, so ergibt sich eine Verminderung<br />

des fossilen Primär-Brennstoffverbrauchs auf ein Fünftel bis ein Zehntel,<br />

je nach vorhandener Heizung.<br />

Niemand kann es sich heute leisten, an einem solchen Einsparpotential<br />

vorbeizugehen. Dies gilt auch aus der Sicht der <strong>Stadt</strong>ökologie, wenn man<br />

bedenkt, welche drastischen Emissionsminderungen durch eine solche<br />

Umrüstung erreicht würden .Bisher boykottierten die Stromunternehmen<br />

100


den Ausbau der KWK, indem sie potentiellen kleinen Stromerzeugern in<br />

Industrie und im Wohnbereich lächerlich geringe Strompreise anboten.<br />

Diese reaktionäre Haltung von Monopolisten hat in einer zukunftsweisenden<br />

Energie- und <strong>Stadt</strong>politik keinen Platz.<br />

Es bleibt die Frage, mit welchen Techniken die KWK ausgebaut<br />

werden soll. Zur Wahl stehen Fernwärmeschienen von großen Kraftwerken<br />

aus 300 MW, kleinere örtliche Netze von 10-MW-Anlagen mit der<br />

Wirbelschichttechnik sowie noch kleinere Anlagen, wie Dieselmotoraggregate,<br />

für jeweils ein gut isoliertes Mehrfamilienhaus.<br />

Ich möchte hier für den Ausbau der kleinen Systeme plädieren, denn<br />

diese lassen sich wesentlich besser an den Wärmebedarf lokal anpassen,<br />

nachdem dieser stark durch Wärmedämmung reduziert wurde. Die<br />

Tendenz großer Fernwärmepläne wird hingegen sein, zum Schutze der<br />

Investitionen in die teuren Verteilungsnetze konkurrierende Investitionen<br />

in die Wärmesanierung zu behindern.<br />

Es herrscht immer noch der Mythos vor, die Wärmesanierung von<br />

Altbauten, wie ich sie vorschlage, sei unwirtschaftlich. Dieser Aberglaube<br />

rührt her von einer Zeit, als man glaubte, der Heizölpreis werde die<br />

Höhe von 60 Pf pro 1 erst um die Jahrhundertwende erreichen. Er hat<br />

diesen Wert aber schon letztes Jahr erreicht, und eine weitere Verdoppelung<br />

ist noch in diesem Jahrzehnt absehbar. Diese Preissteigerungen<br />

werden auch nicht auf Öl beschränkt bleiben, sondern Kohle und Gas<br />

befinden sich schon heute im gleichen Preissog.<br />

Praktische Erfahrungen haben gezeigt, daß die nachträgliche Isolierung<br />

typischerweise doppelt so teuer ist wie die beim Neubau, wenn man<br />

es gleich richtig macht. Man darf aber nicht vergessen, daß gerade die<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerungsinvestitionen sich mit diesen Maßnahmen koppeln.<br />

Die höheren Kosten pro Quadratmeter Wärmesanierung werden durch<br />

die nebenbei bewirkte Fassadenerneuerung bzw. Schallschutz aufgehoben.<br />

In konkreten Zahlen ausgedrückt: eine nachträgliche Wärmedämmung,<br />

wie beschrieben, kostet 10000 bis 20000 DM pro Wohnung; sie<br />

rentiert sich, wenn man konstante Energiepreise unterstellt, in 10 bis 20<br />

Jahren (Einsparung pro Jahr ca. 1000 DM). In KWh-Preisen ausgedrückt:<br />

eine KWh Wärme aus Heizöl kostet heute 10 bis 14 Pfennig.<br />

Eine weggedämmte KWh kostet beim Übergang auf schwedische Standards<br />

etwa 5 bis 10 Pfennig.<br />

Wenn man diese Maßnahmen zum Wärmeschutz vernachlässigt, dann<br />

soll man nicht von arbeitnehmerfreundlicher Wohnungs- oder Energiepolitik<br />

reden.<br />

Wenn unser Ziel ist, in den nächsten drei bis fünf Jahrzehnten den<br />

Gebäudebestand zukunftssicher zu machen, so müssen wir jährlich etwa<br />

2 bis 4% unseres Gebäudebestandes umrüsten.<br />

101


Dies entspricht in Berlin einem Jahresvolumen von etwa 10000 bis<br />

20000 Wohnungen und einem jährlichen Kostenaufwand in der Größenordnung<br />

von 100 Mio. bis 200 Mio. DM.<br />

Die Herausforderung an die kommunale Politik ist, die Investitionstätigkeit<br />

in Gang zu bringen. Wenn man sich jedoch um die Wärmesanierung<br />

und Umrüstung des Heizungsbereichs drückt, kommen nur<br />

wesentlich teurere Lösungen in Frage, die sich nicht mit den Aufgaben<br />

des Städtebaus koppeln lassen. Solche Strategien mögen dem Konsortium<br />

von Banken und Unternehmen der Energiewirtschaft, die heute<br />

die Energiepolitik bestimmen, gelegener sein. Sie sind jedoch weder<br />

sozial noch verantwortlich.<br />

Anmerkungen<br />

1 H. Boßel, F. Krause, K. F. Müller, Reißmann: Energiewende - Wachstum und<br />

Wohlstand ohne Erdöl und Uran, Frankfurt/M. 1980<br />

2 Exergie -= der Anteil der Energie, der in die gewünschte, wirtschaftlich<br />

verwertbare Form umgewandelt wird.<br />

102


Willi Mauer<br />

Energiekonzept im Rahmen der<br />

behutsamen <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

Ein Teil der Probleme in den IBA-Altbaugebieten in Berlin-Kreuzberg<br />

hängt eng mit der bestehenden Art der Wärmeversorgung zusammen.<br />

Dies sind vor allem:<br />

• Mietkostenprobleme (auf das Zwei- bis Dreifache ansteigende<br />

Warmmieten nach der Modernisierung sind für den größten Teil der<br />

Bewohner nicht tragbar);<br />

• Umweltprobleme (höchste Luftbelastung in Berlin bzw. Deutschland)<br />

;<br />

• Probleme des Wohnstandards (überwiegend keine Bäder vorhanden,<br />

Beheizung mit Kohle-Einzelöfen).<br />

Im Rahmen der von der IBA verfolgten behutsamen <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

mußte daher ein besonderes Augenmerk auf örtlich angepaßte Maßnahmen<br />

zur Weiterentwicklung der Wärmeversorgung gerichtet werden.<br />

Aufgrund des schlechten Zustandes der überwiegenden Zahl der<br />

Gebäude (großer Instandsetzungsnachholbedarf, mangelhafte Ausstattung)<br />

und der nur begrenzt vorhandenen Fördermittel der öffentlichen<br />

Hand ergab sich die Forderung, den Einsatz der vorhandenen Mittel auf<br />

eine größere Gebäudezahl auszudehnen. Wesentliche Merkmale des behutsamen<br />

Erneuerungsansatzes sind dabei der Einsatz kostensparender<br />

Technologien sowie die Anwendung ressourceschonender Methoden im<br />

Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz. Dabei kommt dem Erkennen<br />

und Bewahren vorhandener Qualitäten besondere Bedeutung zu.<br />

Bezüglich der Wärmeversorgung sind dies:<br />

• Die energetisch günstigen Berliner Altbauten. Aufgrund der massiven<br />

und kompakten Bauweise zeichnen sich diese Gebäude gegenüber<br />

anderen Haustypen durch die geringsten spezifischen Wärme-<br />

~ bedarfswerte aus. (Abb. 1-3)<br />

• Die Beheizung mit Kachelöfen. Durch die Beheizung mit Kachelöfen<br />

wird zum einen ein behagliches Strahlungsklima sowie ein physiologisch<br />

günstiges Heizklima erzeugt, zum anderen bewirkt die Einzelofenheizung<br />

durch die geringere Benutzungsstundenzahl und den<br />

103


(1) 'Wärmeleistungsbedarf nach DIN 4701<br />

(2) Eigene Berechnungen nach Daten aus: Ueli Roth,Wechselwirkungen zwischen<br />

der Siedlungsstruktur und WärmeVersorgungssystemen (Zwischenbericht),<br />

Forschungsprojekt BMBau RS II 4 - 704102 - 77.10, 1980.<br />

(3) vgl. Forschungsauftrag:"Fernwärmeverbund Kreuzberg-Neukölln,Verfasser<br />

Energie-Anlagen Berlin GmbH,Auftraqgeber SenWl , Berlin 1975,S. 149 ff.<br />

Abb. 1: Beispielhafter Vergleich des spezifischen Primärenergieverbrauchs ausgewählter<br />

Gebäudetypen<br />

104


Abb. 2: Der Energieverbrauch pro m 2 Nutzfläche kann in freistehenden Einund<br />

Zweifamilienhäusern im Vergleich zu ofenbeheizten Berliner Altbauten um<br />

das Sechsfache höher liegen.<br />

Abb. 3: Bei Geschoßwohnungsneubauten der 50er und 60er Jahre liegt der<br />

Heizenergieverbrauch häufig viermal so hoch wie in ofenbeheizten Berliner<br />

Altbauten.<br />

105


geringeren spezifischen Wärmebedarf der Gebäude sehr niedrige<br />

Heizkosten (in über 80 % des Wohnungsbestandes der Bundesrepublik<br />

liegt der Energieverbrauch dreimal höher).<br />

• Etwa 2 A des Heizenergieverbrauchs der Bundesrepublik entfallen auf<br />

1- bis 2geschossige Gebäude. Ihr Anteil an der gesamten beheizten<br />

Nutzfläche beträgt ca 40%.<br />

• Nahezu sämtliche Altbauten sind an das Gasnetz angeschlossen.<br />

Neuere Untersuchungen der IBA belegen, daß eine weitgehende<br />

Nutzung der vorhandenen Gasnetze auch bei erheblicher Kapazitätsausweitung<br />

möglich wäre.<br />

Auch die in den Gebäuden vorhandenen Verteilungsleitungen<br />

bedürfen keiner oder nur geringer Verstärkung, insbesondere, wenn<br />

man die Einführung des Erdgases voraussetzt.<br />

Durch die wohnungspolitische Zielsetzung der IBA ergab sich eine<br />

praktische Eingrenzung des Lösungspotentials für die Konzeptentwicklung.<br />

Die folgenden Ergebnisse stammen aus der Bestandsanalyse der<br />

IBA-Arbeitsgruppe <strong>Stadt</strong>erneuerung »Energie- und Umweltprobleme im<br />

Berliner Altbaubestand«.<br />

Gebäude und Heiztechnik im Bestand<br />

Die Berliner Blockbebauung aus dem 19. Jahrhundert gehört zu den<br />

Gebäudetypen mit dem geringsten spezifischen Wärmebedarf. Der<br />

durchschnittliche Wärmeleistungsbedarf liegt in instand gehaltenen Gebäuden<br />

bei ca. 90 W/qm Wohnfläche.<br />

Typische energetische Schwachpunkte der Berliner Altbauten sind<br />

• die Einfachfenster (überwiegend auf der Hofseite)<br />

• die Fensternischen (25 cm Mauerwerk)<br />

• die Fugen an Fenstern und Türen<br />

• die freistehenden Brandgiebel (25 cm Mauerwerk in den obersten<br />

drei Geschossen)<br />

• Wände und Decken (zum Treppenhaus, Durchfahrt, Dachboden,<br />

Keller) (Abb. 4-13)<br />

Je nach Lage im Gebäude weisen die einzelnen Wohnungen große<br />

Unterschiede bezüglich ihrer Wärmebedarfswerte auf: Die exponiert<br />

gelegenen Wohnungen benötigen das Drei- bis Vierfache an Wärmeenergie,<br />

gemessen an den günstig gelegenen eingebauten Wohnungen,<br />

was zu erheblichen finanziellen und raumklimatischen Benachteiligungen<br />

der betreffenden Mietparteien führt. (Abb. 14-15)<br />

106


Die unterlassene Instandsetzung/Instandhaltung der Gebäudeaußenhaut,<br />

der Schornsteine und Öfen in Sanierungsgebieten erhöht den<br />

Brennstoffbedarf der ofenbeheizten Wohnungen in vielen Fällen um<br />

mehr als 100%. (Abb. 16-20)<br />

Als Folge von Schäden an Schornsteinen und Öfen sind eine Vielzahl<br />

von Räumen trotz einer Brennstoffbeschickung nicht mehr oder nur<br />

unzureichend beheizbar. (Abb. 21)<br />

Instand gehalten und regelmäßig gewartet kann der Berliner Kachelofen<br />

in Konkurrenz zu anderen Heizsystemen treten. Den Nachteilen<br />

der Kohle-Ofenheizung wie Schmutz durch Asche und der, besonders<br />

für ältere Menschen beschwerliche, Kohlentransport in die oberen<br />

Geschosse stehen die Vorteile hoher Wirkungsgrad, behagliches Raumklima<br />

und geringe Heizkosten gegenüber. (Abb. 22)<br />

Auswirkung bisheriger Sanierungspraxis<br />

Die bisherige Sanierungspraxis war vor allem auf die Umstellung von<br />

Ofenheizung auf Sammelheizung ausgerichtet. Die damit verbundene<br />

Komfortsteigerung bewirkte eine Erhöhung der Benutzungsstundenzahl,<br />

die ihrerseits einen erheblichen Anstieg des Energieverbrauches<br />

und somit der Heizkosten nach sich zog.<br />

Da gleichzeitig auch die Kaltmieten steigen, ergaben sich nach der<br />

Modernisierung für viele Bewohner untragbar hohe Warmmieten.<br />

Die bisherige durchgreifende Modernisierung führte zu einer weiteren<br />

Verknappung an preisgünstigem Wohnraum auf dem Berliner Wohnungsmarkt.<br />

Ein weiteres Merkmal der bisherigen Sanierungspraxis ist eine nur<br />

sehr mangelhafte Verbesserung des baulichen Wärmeschutzes. Insbesondere<br />

durch kostengünstige Maßnahmen, die gezielt an den energetischen<br />

Schwachstellen ansetzen, könnte der Energiebedarf deutlich unter<br />

die heutigen Werte gesenkt werden.<br />

Extreme Immissionsbelastung<br />

Das Problem der extrem hohen Immissionsbelastung der Kreuzberger<br />

Luft kann nicht allein auf die vorhandenen Ofenheizungen zurückgeführt<br />

werden. Weitere Verursacher sind: die Kraftwerke, die Sammelheizungen<br />

und der Verkehr. Hinzu kommt die mangelnde Durchlüftung<br />

des Innenstadtbezirkes.<br />

Wohnungen mit Sammelheizung (Gasheizungen ausgenommen) ver-<br />

107


Ursachen nur unwesentlich geringere Emission als Wohnungen mit Ofenheizung.<br />

Auch in Kreuzberg werden fast zwei Drittel der beheizten Nutzfläche<br />

mit Sammelheizungen versorgt. Die zum größten Teil veralteten Anlagen<br />

haben einen schlechten Wirkungsgrad und einen entsprechend<br />

hohen Schadstoffausstoß.<br />

Nicht instand gehaltene Öfen und Schornsteine verschlechtern den<br />

Wirkungsgrad der Ofenheizung und erhöhen entsprechend den Schadstoffausstoß.<br />

Schwelbrand sowie undichte Schornsteine und Öfen führen in Sanierungsgebieten<br />

nicht selten zu Emissionswerten, die bis über 200%<br />

gegenüber den Werten in Wohnungen mit instand gehaltenen Öfen<br />

liegen.<br />

Ziele der Energieplanung innerhalb einer behutsamen<br />

Erneuerungsstrategie<br />

Die energetischen Fragen in Berliner Sanierungsgebieten können nur im<br />

Zusammenhang mit den übrigen vielfältigen Problemen sozialer, ökologischer,<br />

baulicher und stadträumlicher Natur gelöst werden. Die enge<br />

Verflechtung der genannten Bereiche erfordert ein schrittweises Vorgehen<br />

bei der Entwicklung eines differenzierten Lösungsangebotes. Im<br />

Bereich der Wärmeversorgung beschreitet die offizielle Planung häufig<br />

einen anderen Weg. Bei der Orientierung an einem »idealen« Versorgungssystem<br />

wurden örtlich angepaßte angemessene Lösungen bisher<br />

kaum verwirklicht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Planung<br />

der zentralen leitungsgebundenen Versorgungssysteme Fernwärme und<br />

Gas besteht die Gefahr, daß aus Anforderungen der Kapazitätsausnutzung<br />

Sachzwänge geschaffen werden, die eine Durchsetzung örtlich<br />

angepaßter Wärmeversorgungskonzepte erschweren.<br />

Für die Energieplanung in den <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebieten Kreuzbergs<br />

ergeben sich aus der vorhandenen Problemlage folgende Ziele:<br />

1. Begrenzung des Heizkostenanstieges auf ein für die ansässige Bevölkerung<br />

tragbares Maß. Die monatlichen Heizungsbetriebskosten<br />

sollten 1,20 DM/qm Wohnfläche nicht übersteigen.<br />

2. Senkung der Immissionsbelastung der Gebäude.<br />

3. Verbesserung der wohnhygienischen Situation: Beseitigung der gesundheitsbeeinträchtigenden<br />

baulichen Mängel (Feuchtigkeitsschäden,<br />

zugige Fenster und Türen etc.). Herstellung eines Mindestmaßes<br />

an raumklimatischer Behaglichkeit im Rahmen einer zeitgemäßen<br />

Instandsetzung (Mindestwärmeschutz im Bereich der energetischen<br />

Schwachstellen).<br />

108


Wichtige Schwachstellen:<br />

• Decke zum Dachbodea<br />

• lußbodea im Erdgeschoß<br />

• Fensternische»<br />

• Fenster<br />

• Außentüren<br />

Abb. 4: Energetische Schwachstellen (Manteuffelstraße 42-39 Systemschnitt,<br />

M 1:200).<br />

109


Schwachstellen Wände<br />

und Türen<br />

• vertikal offene Verbindung,<br />

zwischen Durchfahrt und<br />

Treppenhaus<br />

Abb. 5: Energetische Schwachstellen (Manteuffelstraße 42-39 Erdgeschoß,<br />

M 1:200).<br />

110


Abb. 6: Schwachpunkt Fensternische.<br />

Abb. 7: Schwachpunkt Einfachfenster, überwiegend an Hoffassaden vorzufinden,<br />

in einer wärmetechnisch ausreichenden 64-cm-Ziegelwand.<br />

111


Abb. 8: Schemaskizze der Dichtungsebenen am Fenster.<br />

Abb. 9: Zugerscheinungen sind häufig auf offene Fugen am unteren Fensteranschluß<br />

zurückzuführen.<br />

112


Abb. 10: Die Berliner Altbaufenster sind durch besonders große Fugenlängen<br />

gekennzeichnet und weisen bei Einfachfenstern ohne Abdichtung hohe Lüftungswärmeverluste<br />

auf.<br />

113


Abb. 11: Abgetretene Türschwellen<br />

und schlecht<br />

schließende Außentüren<br />

verursachen hohe Lüftungswärmeverluste<br />

.<br />

Abb. 12: Treppenhäuser kühlen sehr stark aus, wenn sie eine offene Verbindung<br />

zu Durchfahrten haben.<br />

114


Abb. 13 und 14: Wohnungen<br />

in freistehenden Seitenflügeln<br />

haben häufig<br />

den dreifachen Wärmebedarf<br />

gegenüber eingebauten<br />

Wohnungen im<br />

Vorderhaus.<br />

115


Re Ö enrinMn UChtiSkeitSSChäden Wege " fehlender In standsetzung schadhafter<br />

116


Abb. 16: Feuchtigkeitsschäden im Erdgeschoß/Keller-Bereich durch aufsteigende<br />

Feuchtigkeit. Horizontale Feuchtigkeitssperre fehlt.<br />

Abb. 17: Feuchtigkeitsschaden in der Fensternische: Schwitzwasser von innen<br />

wegen zu geringem Wärmeschutz und Durchfeuchtung von außen wegen beschädigter<br />

und teilweise fehlender Zinkabdeckung.<br />

117


118<br />

Abb. 18: Schäden an den<br />

Fugen von Fenstern und<br />

Türen führen zu den höchsten<br />

Wärmeverlusten aus<br />

unterlassener Instandhaltung.<br />

Einbaufugen mit breitem<br />

Luftspalt und große<br />

Fugen im Fensterfalz<br />

machen Räume im Winter<br />

fast unbewohnbar.<br />

Abb. 19: Fehlende Verkittung<br />

ermöglicht den Eintritt<br />

von Wasser und kalter<br />

Außenluft.


Abb. 20a: Feuchte Dekken<br />

im 4. OG wegen unterlassener<br />

Ausbesserung der<br />

Dachhaut. Folge: Verrottung<br />

der Decke (Pilzbefall<br />

u. a.); ungesundes und unbehagliches<br />

Raumklima;<br />

höhere Heizkosten.<br />

Abb. 20b: Pilzbefall auf<br />

Dachbodendielung<br />

119


Abb. 21: Durchgängig vorzufindende Schäden an Schornsteinen: versottete<br />

Schornsteinköpfe; undichte Schornsteinzüge. Folgen sind: höherer Brennstoffbedarf;<br />

fehlende Leistungskraft; schlechter Schornsteinzug führt zu Schwelbrand;<br />

einzelne Räume sind kaum noch beheizbar; erhöhte Schadgasabgabe; gesundheitliche<br />

Gefährdung der Bewohner durch möglichen Rückstau der Abgase.<br />

120<br />

Abb. 22: Mängel an den<br />

vorhandenen Kachelöfen<br />

resultieren überwiegend<br />

aus vernachlässigter Wartung:<br />

Undichtigkeiten (Kachelfugen<br />

und Ofentüren);<br />

langjährig unterlassene<br />

Entrußung. Folgen:<br />

»Falschluft« verhindert den<br />

notwendigen Zug, so daß<br />

es zu Schwelbrand kommt;<br />

schlechte Verbrennung<br />

führt zu hohem Brennstoffverbrauch;<br />

erhöhter Schadgasabgabe;<br />

die Schornsteinzüge<br />

verrußen stärker;<br />

die unverbrannt abziehenden<br />

Teerdämpfe bewirken<br />

eine Versottung der<br />

Schornsteine; die dicke<br />

Rußschicht in den Öfen<br />

wirkt als Isolierschicht, so<br />

daß die Wärmeabgabe verringert<br />

wird.


4. Verbesserung des vorhandenen Ausstattungsstandards:<br />

• Einbau einer energiesparenden und umweltfreundlichen Warmwasserzubereitung<br />

im Rahmen des Badeinbaues.<br />

• Verbesserung der vorhandenen Ofenheizung durch ein differenziertes<br />

Lösungsangebot. Hierzu gehört auch die Entwicklung<br />

von Konzepten einer mittleren Komfortstufe, die zwischen der<br />

Ofenheizung und zentralen Heizsystemen angesiedelt ist.<br />

5. Vorrang energiesparender vor komfortsteigernden Maßnahmen,<br />

wie z.B. Umstellung von Einzelöfen auf Sammelheizung.<br />

Der durch die Heizungsumstellung bedingte Brennstoffmehrbedarf<br />

sollte durch energiesparende Maßnahmen mindestens ausgeglichen<br />

werden. Die vollflächige und undifferenzierte Beheizung sämtlicher<br />

Räume mittels Sammelheizung (»Wohlstandsheizen«), ohne<br />

Berücksichtigung der erforderlichen Raumtemperaturen und Nutzungszyklen<br />

sollte bereits durch die Planung (z.B. Heizkörperanordnung)<br />

vermieden werden.<br />

6. Baukosteneinsparung durch Koppelung der Maßnahmen zur energetischen<br />

Verbesserung an solche zur Instandsetzung (stufenweise<br />

Erneuerungs- und Verbesserungsmaßnahmen analog dem Instandsetzungszyklus<br />

der Bauteile).<br />

7. Gezielte Verbesserung des baulichen Wärmeschutzes im Bereich der<br />

energetischen Schwachstellen, vor allem auch zur Verbesserung<br />

benachteiligter Wohnungen.<br />

8. Einsatz dezentraler Heizsysteme, die die direkte Regulierbarkeit<br />

des Energieverbrauches durch die Mieter ermöglichen.<br />

9. Information der Bewohner über »richtiges« sprich: energie- und<br />

umweltbewußtes Heizen im Rahmen des Erneuerungsprozesses.<br />

10. Anleitung und Förderung der Selbsthilfe im Bereich der energetischen<br />

Verbesserungen.<br />

Maßnahmenkonzepte einer koordinierten Wärmeversorgungsund<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerungsplanung<br />

Städtebauliche Maßnahmen:<br />

Auch in Altbauquartieren sind die städtebaulichen Maßnahmen der<br />

erste Ansatzpunkt zur Verringerung des Wärmeleistungsbedarfs.<br />

Die wichtigsten Maßnahmen auf dieser Planungsebene liegen im<br />

Bereich der energetischen Baukörperoptimierung, deren wesentlichstes<br />

Merkmal eine kompakte Bauweise mit relativ großen Nutzflächen ist,<br />

d. h. die äußere Oberfläche (Abkühlfläche) ist im Verhältnis zum Volumen<br />

der Innenräume relativ klein.<br />

121


Für Berliner Altbauquartiere bedeutet dies konkret:<br />

1. Erhaltung der energetisch günstigen Altbauten, vor allem in geschlossener<br />

Blockrandbebauung;<br />

2. energiegerechte Dachgeschoßausbauten, wodurch bei Kreuzberger<br />

Altbauten der spezifische Wärmeleistungsbedarf eines Gebäudes um<br />

bis zu 18% gesenkt werden kann;.<br />

3. Neubebauungen als Baulückenschließung;<br />

4. Neubauten als Brandwandanbauten (auch zur Reduktion des Wärmeleistungsbedarfs<br />

der vorhandenen Gebäude);<br />

5. Beschränkung der Gebäudeabrisse auf freistehende Seitenflügel und<br />

hierbei nur auf Fälle, in denen weitere Kriterien, wie schlechter<br />

Zustand der Bausubstanz, ungenügende Ausstattung, schlechte Belüftung<br />

und mangelnde Besonnung der Wohnhöfe dafür sprechen.<br />

Werden energetisch ungünstige Baukörper aus städtebaulichen<br />

Gründen erhalten, müssen zusätzlich wärmedämmende Maßnahmen<br />

durchgeführt werden.<br />

Bei Verwirklichung der genannten Maßnahmen zur energetischen<br />

Baukörperoptimierung bei städtebaulichen Konzepten können 3-8 %<br />

des Energiebedarfs eines Berliner Altbauquartiers der Innenstadt<br />

und Innenstadtrandgebiete eingespart werden.<br />

Einige weitere, hier nicht ausgeführte Maßnahmen auf städtebaulicher<br />

Ebene seien noch zu erwähnen:<br />

6. Energiegerechte Nutzungskonzepte (wärmebedarfsorientierte Zonierung,<br />

Nutzungsüberlagerungen etc.);<br />

7. Klimaanpassung der Gebäude (Südorientierung der Gebäudeöffnungen,<br />

Windschutzmaßnahmen etc.);<br />

8. Koordinierte Wärmeversorgungs- und <strong>Stadt</strong>erneuerungsplanung<br />

(Koordination der wärmebedarfssenkenden Maßnahmen mit den<br />

örtlich optimal angepaßten Wärmeversorgungssystemen, d.h. im<br />

Planungsbereich Kreuzberg insbesondere Berücksichtigung der sozialen<br />

Bedingungen und der Umweltsituation).<br />

Maßnahmen des baulichen Wärmeschutzes<br />

Die Dämmung der Gebäudeaußenhaut gehört zu den effektivsten Maßnahmen<br />

zur Reduktion des Wärmeleistungsbedarfs. Je nach Gebäudetyp<br />

(z.B. Mehrfamilienhäuser unterschiedlicher Baualtersstufen, Gewerbebauten<br />

etc.) ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten einer<br />

nachträglichen dämmtechnischen Verbesserung.<br />

Bei der Auswahl und Dimensionierung der Maßnahmen müssen je<br />

nach Gebäudetyp die unterschiedlichen baukonstruktiven und bauphysi-<br />

122


kaiischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Die ausschließliche<br />

Festlegung der Dämmstärken nach wirtschaftlichen Kriterien ist insofern<br />

problematisch, als in kurzen Zeitabständen, je nach Energiepreisentwicklung,<br />

größere Dämmstärken in den wirtschaftlichen Bereich<br />

kommen können. Am kostengünstigsten ist die Durchführung der Maßnahmen<br />

des baulichen Wärmeschutzes im Zusammenhang mit Instandsetzungs-<br />

und Modernisierungsmaßnahmen.<br />

Ein großer Teil der Maßnahmen des baulichen Wärmeschutzes eignet<br />

sich besonders gut für die Durchführung in Selbsthilfe durch die Bewohner.<br />

Viele Arbeiten können auch von handwerklich wenig geübten<br />

Laien ausgeführt werden. Im Rahmen einiger IBA-Projekte wurde die<br />

Durchführung dieser Arbeiten modellhaft erprobt. Für eine breitere<br />

Anwendung dieses nicht unerheblichen Selbsthilfepotentials fehlen jedoch<br />

noch die organisatorischen und technischen Voraussetzungen (z. B.<br />

Koordination mit den übrigen Instandsetzungsmaßnahmen, Anleitung<br />

und Überwachung der Arbeiten, Verbesserung der öffentlichen Förderung<br />

u.a.), auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. (Abb.<br />

23)<br />

Die Ausführungsarten der Maßnahmen, die für eine Durchführung in<br />

Abb. 23: Wärmedämmung einer 25-cm-Giebelwand als Selbsthilfemaßnahme<br />

der Bewohner - nicht komplizierter als Tapezierarbeiten.<br />

123


Selbsthilfe geeignet sind, unterscheiden sich von einer professionellen<br />

Handwerkerausführung 1 zum Teil erheblich. Wir unterscheiden zwei<br />

Maßnahmengruppen:<br />

a) Selbsthilfe Wärmeschutz - Basisvariante<br />

Hierzu gehören folgende Maßnahmen:<br />

• Dämmung des Fußbodens im Dachgeschoß<br />

• Dämmung der Fensternischen<br />

• Falzabdichtung an Fenstern und Türen<br />

• Doppelverglasung der Einfachfenster (Vorsatzflügel oder Folie)<br />

b) Selbsthilfe Wärmeschutz - Maximalvariante<br />

Zusätzlich zu den unter a) genannten Maßnahmen<br />

• Dämmung des Fußbodens über Durchfahrten<br />

• Dämmung der Kellerdecke<br />

• Dämmung der Giebelwände (von innen)<br />

• Dämmung der Innenwände zu unbeheizten Räumen (z.B. zu<br />

Treppenhäusern und Durchfahrten)<br />

Bei Anwendung der unter a) aufgeführten Maßnahmen können in<br />

Berliner Altbauten Senkungen des Wärmeleistungsbedarfs von 19 bis<br />

25% erzielt werden. Werden zusätzlich die Maßnahmen der Gruppe<br />

b) Maximalvariante durchgeführt, die ein erheblich höheres handwerkliches<br />

Geschick erfordern, so steigt die mögliche Senkungsquote auf<br />

durchschnittlich 25-35%.<br />

Dämmtechnische Maßnahmen zur maximalen Senkung<br />

des Wärmeleistungsbedarfs<br />

Die folgenden Maßnahmen zum baulichen Wärmeschutz im Rahmen<br />

der Altbauerneuerung gehören unter energetischen Gesichtspunkten in<br />

der Regel heute nicht zu den wirtschaftlichen Maßnahmen. Bei einem<br />

Teil der Maßnahmen scheitert eine breite Einführung darüber hinaus derzeit<br />

an weiteren Ursachen, wie Denkmalsschutz oder Nutzerverhalten.<br />

Da diese Maßnahmen auch eine Reihe weiterer qualitativer Verbesserungen<br />

bewirken, wie z.B. behagliches Raumklima, Schallschutz, Nutzungsverbesserungen<br />

etc., sollte die Anwendung dieser Maßnahmen in<br />

jedem Einzelfall geprüft werden. Hierzu gehören u.a.:<br />

• Die Anbringung von Dreifachfenstern (insbesondere an Nordfassaden)<br />

• Wintergärten, z.B. als Loggien- oder Balkonverglasungen<br />

• Maßnahmen des temporären Wärmeschutzes, z.B. in Form von<br />

Klappläden<br />

• Dämmung der Fensterfassaden (insbesondere an Nordfassaden)<br />

• Dach- und Fassadenbegrünung (Abb. 24-26)<br />

124


Abb. 24: Verglaste Loggien und angelehntes Glashaus als Wintergärten - bei<br />

bestehenden Gebäuden leicht nachträglich anzubringen.<br />

125


Abb. 25: Temporärer Wärmeschutz an Fenstern. Hier in Form von historischen<br />

Klappläden.<br />

126


Abb. 26: Klimaanpassung der Gebäude. Hier Fassadenbegrünung.<br />

127


Zusammen mit Maßnahmen zur Verbesserung der energetischen<br />

Schwachpunkte kann die Anwendung der hier aufgeführten erweiterten<br />

Maßnahmen an Einzelgebäuden zu Einsparungsquoten von 50 bis 60 %<br />

führen.<br />

Umstellungen von Heizsystemen<br />

Ein wesentlicher Anlaß für die Umstellung von Heizsystemen im Rahmen<br />

der Altbauerneuerung ist die Anhebung des Bedienungskomforts.<br />

Anderen wichtigen Kriterien, wie Energieeinsparung, Austausch von<br />

Energieträgern, Kostensenkung und Umweltverbesserung wurde bisher<br />

noch zu wenig Bedeutung beigemessen.<br />

Die bisher üblichen Arten der Heizanlagenumstellung von der Einzelofenheizung<br />

zur Etagen- bzw. Sammelheizung führen zwar zu einem<br />

Anstieg des Komforts, bringen jedoch gleichzeitig das Problem hoher<br />

Kosten mit sich. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen der kleinen<br />

Modernisierung innerhalb der IBA-Gebiete dem Wunsch der meisten<br />

Mieter, die Ofenheizung beizubehalten, Rechnung getragen. Die Forderung,<br />

ein Heizsystem zu entwickeln, welches im Rahmen begrenzter<br />

Heizkostensteigerungen eine gewisse Komfortanhebung ermöglichte,<br />

bleibt dabei jedoch bestehen.<br />

Innerhalb mehrerer Forschungsprojekte wurde eine Reihe von Kombinationsmöglichkeiten<br />

der vorhandenen Kohleeinzelofenheizung mit<br />

Sammelheizungssystemen erprobt.<br />

Das Konzept Gas-Kernbeheizung<br />

Mit Systemen der Gas-Kernbeheizung fand sich eine Verbesserungsmöglichkeit,<br />

die z. Z. in einigen Modellhäusern der IBA erfolgreich<br />

erprobt und geprüft wird. Als Energieträger wird Gas (<strong>Stadt</strong>- bzw.<br />

später Erdgas) verwendet.<br />

Die vorhandene Kohle-Einzelheizung wird durch ein Gas-Heizsystem<br />

ergänzt. In jeder Wohnung wird an einer zentralen Stelle (Innenwand)<br />

in einem Wohnraum bzw. der Wohnküche eine zusätzliche Heizfläche<br />

installiert (Heizkörper oder Gas-Raumheizer). Mit dieser Heizfläche<br />

wird der Wohnraum (Kernbereich) die gesamte Heizperiode hindurch<br />

kontinuierlich beheizt. Die übrigen Wohnräume erhalten dadurch ebenfalls<br />

eine gewisse Grund wärme, die durch Öffnen und Schließen der<br />

Türen - wie heute mit der Kohleofenheizung praktiziert - reguliert wird.<br />

Eine zusätzliche Beheizung (Nachheizen mittels Kohleöfen) wird an<br />

kälteren Tagen erforderlich. Die Nutzung der Kohle-Einzelöfen wird<br />

dadurch auf etwa drei Monate begrenzt.<br />

128


Bei gleicher Lage in allen Geschossen kann der Kernbereich der<br />

Wohnungen mit einer Gas-Sammelheizung ausgestattet werden.<br />

Eine andere flexiblere Form der Gas-Kernbeheizung erlaubt auch<br />

eine wohnungsweise Einführung. Die vorhandenen Kohle-Einzelöfen<br />

im Kernbereich werden anstelle der Heizkörper durch Gas-Raumheizer<br />

mit Schornstein- oder Außenwandanschluß ersetzt. Diese Geräte sind<br />

heute mit einer sogenannten modulierenden Regelung ausgestattet,<br />

wodurch sie Wirkungsgrade von über 80% erreichen können. Die<br />

meisten der installierten Zentralheizungssysteme werden damit übertroffen<br />

(Leitungs- und Stillstandsverluste entfallen).<br />

Anhebung auf eine mittlere Heizkomfortstufe<br />

Die Komfortverbesserung durch die Gas-Kernbeheizung ist offensichtlich:<br />

Die Benutzung der Ofenheizung wird auf die kalten Tage begrenzt<br />

' (Heizperiode ca. 3 Monate), morgens ist mindestens ein Raum warm<br />

(kein Frösteln beim Frühstück), weniger Schmutz durch selteneren<br />

Kontakt mit Brennmaterialien, geringere Belastung durch Brennstofftransport<br />

in die oberen Geschosse. Die Substitution des Brennstoffs<br />

Kohle durch Gas liegt, je nach Heizgewohnheit und Anordnung der<br />

Heizkörper, bei 50-70%, wodurch eine deutliche Reduktion der örtlichen<br />

Emission bewirkt wird.<br />

Die Heizkosten bleiben in Grenzen, zum einen, weil ein sparsamer<br />

Gasverbrauch durch die individuelle Regulierbarkeit gegeben ist, zum<br />

anderen kann, sobald ein Wohnraum mit Heizgas versorgt ist, ein<br />

günstigerer Gastarif in Anspruch genommen werden.<br />

Die Baukosten sind, insbesondere im Rahmen der Instandsetzung,<br />

sehr gering. Es kann davon ausgegangen werden, daß im Sanierungsgebiet<br />

in jeder Wohnung durchschnittlich mindestens ein Kohleofen erneuert<br />

werden muß (z.B. Ersetzen funktionsuntüchtig gewordener Kochmaschinen<br />

durch einen Kohle-Beistellherd). Wird nun anstelle des<br />

Kohleofens gleich ein Gas-Raumheizer installiert, ergeben sich lediglich<br />

Mehrkosten von ca. 300,- bis 500- DM pro Wohneinheit.<br />

Die angeführten Verbesserungen/Wirkungen verdeutlichen, daß das<br />

System der »Gas-Kernbeheizung« für ofenbeheizte Altbaugebäude mit<br />

überwiegend einkommensschwacher Bevölkerung ein optimal angepaßtes<br />

Heizsystem darstellt. Die Anhebung auf eine mittlere Komfortstufe<br />

bei gleichzeitig deutlicher Reduktion des Schadstoffauswurfs der Ofenheizung<br />

ist mit minimalem Mittelaufwand möglich. Das Konzept ist für<br />

eine breite Anwendung geeignet.<br />

Wird eine weitere Komfortverbesserung, d.h. konkret der Einbau<br />

einer Sammelheizung gewünscht, so sollte, zur Eingrenzung der ört-<br />

129


liehen Schadstoffbelastung in Kreuzberg, ausschließlich der Energieträger<br />

Gas verwendet werden. Darüber hinaus sollte der durch die<br />

Komfortsteigerung steigende Energieverbrauch gleichzeitig durch einen<br />

umfangreichen Einsatz der Maßnahmen des baulichen Wärmeschutzes<br />

kompensiert werden.<br />

130


Werner Schenkel<br />

Materialhaushalt<br />

und Abfallrecycling<br />

Im Rahmen dieses ökologischen Seminars zur Internationalen Bauausstellung<br />

grenze ich das Thema auf die Komplexe Bauwesen, Haus- und<br />

Gewerbemüll ein. Ich werde mir außerdem versagen, Ihnen die Philosophie<br />

und Theorie des Recyclings vorzutragen. Vielmehr will ich einige<br />

Elemente herausarbeiten, die mir wichtig erscheinen, und Fragen des<br />

Materialeinsatzes, der Baukonstruktion, der Grundrißgestaltung und<br />

der Infrastruktur unter den Gesichtspunkten zentraler und dezentraler<br />

Entsorgung beantworten. Ich will mich äußern zu den Themen:<br />

• Verwendung von Sekundärmaterialien im Bauwesen;<br />

• Baukonstruktion und Abfallentstehung;<br />

• Ansätze zu alternativen Formen der Sammlung und Verwertung<br />

häuslicher Abfälle.<br />

Sekundärrohstoffe im Bauwesen<br />

Für die zukünftige Bau- und Sanierungstätigkeit werden Baustoffe<br />

benötigt. Nach den mir zugänglichen Quellen unterstelle ich für eine<br />

4köpfige Familie und ca. 350 m 3 umbauten Raum folgende Mengen<br />

(Dreizimmerwohnung, 72 qm, 1972 gebaut, 4geschossiger Mauerwerksbau,<br />

Fundamente, Geschoßdecken und Balkone in Stahlbeton, Schwimmender<br />

Estrich):<br />

• Beton 31,5 m 3<br />

• Mauerwerk 38,5 m 3<br />

• Betonstahl 1,8 t<br />

• Gips und Estriche 5,0 m<br />

• NE-Metalle 50,0 kg<br />

• Kunststoffe, Beläge 1,5 m 3<br />

• Holz einschließlich Innenausbau 3,5 m 3 .<br />

Stellt man nun die Abfallmengen des Landes Berlin gegenüber, dann<br />

fallen laut Mitteilung des Senators für Bau- und Wohnungswesen bis<br />

. 131


1990 bei einer jährlichen Abrißquote von 6000 Wohnungen im Jahr, ca.<br />

70-100 Jahre alt, 400 m 3 Bruttoinhalt, folgende Mengen an:<br />

• Bauschutt " 50000 m 3<br />

• Gipse aus der Rauchgasentschwefelung ab 1983 25000 t<br />

• Granulat aus der Kohleverstromung 120000 t<br />

• Müllschlacken 80000 t<br />

Für den außenstehenden Betrachter stellt sich die Frage: Warum wird<br />

hier Bedarf und Vorkommen nicht oder nur unzureichend verknüpft?<br />

Gibt es Gründe, die dagegen sprechen? z.B.:<br />

• die Wirtschaftlichkeit (800001 aufbereitete Müllschlacke je 50 DM in<br />

die DDR? Ziegelsplitt und Altholzaufarbeitung sind o.k.);<br />

• die etablierten Rohstofflieferanten (Naturgipse, Zementhersteller);<br />

• die bestehenden Normen (Beispiel der österreichischen Norm für<br />

Zementzusätze aus Braunkohlenflugaschen);<br />

• die humanökologischen Aspekte (Strahlungen, Schwermetallkontamination).<br />

Andererseits hätte eine solche Verknüpfung Vorteile:<br />

• die Schonung der Ressourcen (z.B. könnten aus Kohlefeuerungsflugasche<br />

ca. 20% des Zementbedarfs und aus Entschwefelungsgips<br />

ca. 60% des Baugipsbedarfs gedeckt werden);<br />

• die Bewahrung von Landschaften (in Gutachten der BGR werden als<br />

begrenzender Faktor für die Gewinnung von Sand, Kies, Gips und<br />

Ton die scharfen Bestimmungen für Landschafts- und Naturschutz<br />

sowie Grundwasserschutz angegeben);<br />

• die Einsparung von Deponieflächen (Abfallmengen Schutt in der<br />

Bundesrepublik Deutschland jährlich ca. 70 Mio. Tonnen pro Jahr<br />

(t/a), Flugaschen 15 Mio. t/a, Gipse 2 Mio. t/a);<br />

• Einsparungen von Transportleistungen für den Antransport des Primäranteils<br />

und den Abtransport des Abfalls.<br />

Die IBA ist ein hervorragendes Medium, um die Nutzung von Sekundärrohstoffen<br />

im Bauwesen zu demonstrieren. Sie wäre sehr geeignet,<br />

den unterbrochenen Nutzungskreislauf von Baustoffen wenigstens teilweise<br />

zu schließen und damit Ressourcen zu schonen und die Abfallbeseitigung<br />

zu entlasten. Und sie wäre drittens phantastisch dazu geeignet,<br />

die kommunale Verantwortung für die Rohstoffwirtschaft am Beispiel<br />

des Bauwesens zu demonstrieren.<br />

132


Baukonstruktion und Abfallentstehung<br />

Bei aller Hochachtung vor der guten Arbeit der Architekten und<br />

Bauingenieure gehe ich davon aus, daß ihre Bauten in überschaubaren<br />

Zeiträumen auch wieder abgerissen werden. Sieht man heute solche<br />

Unternehmungen bei Gebäuden aus der Zeit zwischen 1880 und 1910,<br />

dann ist diese Arbeit charakterisiert durch:<br />

• Lärm<br />

• Staub<br />

• Zerstörung von Bauteilen<br />

• Mögliche Nutzung von Ziegeln, Steinen und Holz.<br />

Bei unseren heutigen Gebäuden mit gespannten Decken, betonstahlmonierten<br />

Trägern, betonierten Wänden ist dies nahezu unmöglich. Die<br />

Abbruchtechnik bzw. die Destruktionsüberlegungen sind völlig unzureichend<br />

entwickelt, um die wertvollen Teile wie Rohre, Leitungen u.a.<br />

vorab zu entnehmen und die Massengüter so weit aufzubereiten, daß sie<br />

als Zuschlagstoffe, Hilfsstoffe und Ersatzstoffe wieder Verwendung<br />

finden.<br />

Die IBA ist ein hervorragendes Medium, um auch diesen Gedanken<br />

der geplanten Destruktion in die Diskussion einzuführen, ihn an Beispielen<br />

durchzuarbeiten und damit internationale Maßstäbe zu setzen<br />

für ein Problem, das zwischenzeitlich in mehreren Ländern, besonders<br />

den Niederlanden, aufgegriffen wird.<br />

Ansätze zu alternativen Formen der Sammlung und Verwertung<br />

häuslicher Abfälle<br />

Die heute übliche Form der Abfallbeseitigung ist charakterisiert durch:<br />

• gemischte Sammlung in normierten Gefäßen;<br />

• Transport zu zentralen Behandlungsanlagen;<br />

9 Verbrennung 30%, Kompost 2%, Deponie 68%.<br />

Sie ist nicht rohstoff- und energiesparend. Sie ist nicht umweltentlastend.<br />

Sie ist charakterisiert durch eine zentrale, spezialisierte und<br />

unflexible Technologie. Diese Form ist aber betriebssicher, unabhängig<br />

von der Mitwirkung des einzelnen Einwohners, hygienisch und von den<br />

Betriebskosten her optimierbar. Trotz dieser Zentralisierung werden an<br />

den Sammelpunkten vergleichsweise kleine Abfallmengen mit starker<br />

Schwankung der Zusammensetzung zusammengetragen. Für die Bearbeitung<br />

dieser Mengen sind flexible Verarbeitungsverfahren erforderlich,<br />

wie sie großtechnisch meist nicht erreichbar sind.<br />

133


Welche Alternativen stehen zur Diskussion?<br />

• Wertstoff- und Energiegewinnung statt Beseitigung;<br />

• getrennte Sammlung an den Quellen und Änderung der Standgefäße;<br />

• Auslese und Verarbeitung in dezentralen Höfen;<br />

• Überprüfen der Verbrauchs- und Käufergewohnheiten.<br />

Beim Rückgewinnen von Wertstoffen aus kommunalen Abfällen gibt es<br />

3 Probleme:<br />

• Wie gewinnt man die Wertstoffe?<br />

• Zu welchen Produkten lassen sie sich verarbeiten?<br />

• Welche Gehalte sind im Hausmüll enthalten?<br />

Nach unseren Kenntnissen sind im Hausmüll üblicherweise enthalten:<br />

• 20-25 % Papier und Pappe,<br />

• 8-10% Kunststoff,<br />

• 4- 6% Metalle,<br />

• 8-10% Glas,<br />

• 50-60% Rest.<br />

Dazu kommen die teilweise sehr reichen Abfälle aus dem verpackenden<br />

Gewerbe, dem Handel und der Verwaltung sowie die teilweise sehr<br />

wertstoffreichen Sperrmüllmengen. Bei einem Beispiel von 4000 Einwohnern<br />

wären dies etwa 1000 t/a Hausmüll, 200 t/a Geschäftsmüll und<br />

120 t/a Sperrmüll.<br />

Vom Hausmüll sind 500 t/a kompostierfähig, 250 t/a als Papier, Glas<br />

und Metall und Kunststoff auslesbar, und 250 t/a verbleiben als abzufahrender<br />

Rest. Die Wertstoffe lassen sich gewinnen durch:<br />

• gemischte Sammlung und zentrale mechanische Trennung;<br />

• getrennte Sammlung a. d. Quelle und getrennte Weiterverarbeitung.<br />

Betrachten wir in unserem Falle die getrennte Sammlung für die einzelnen<br />

Werkstoffgruppen näher.<br />

Für Glas und mit Einschränkung auch für Papier haben sich zentral<br />

aufgestellte große Container bewährt. Nachteilig ist der geringe Erfassungsgrad<br />

(ca. 25% der vorhandenen Wertstoffe) und die ständige<br />

Nacharbeit bei den Standorten. Bei Dosen hat sich dieses Verfahren<br />

bisher nicht bewährt. Sie lassen sich besser magnetisch aus dem gemischten<br />

Strom auslesen.<br />

Die systemlose Sammlung von Altpapier und Alttextilien durch karitative<br />

und private Organisationen sei hier nur deshalb erwähnt, weil<br />

deutlich wird, daß die Entsorgungssicherheit nur dann gegeben ist, wenn<br />

der Markt auch die aufgenommenen Altstoffe abnimmt und die Entsorgung<br />

regelmäßig erfolgt.<br />

134


Die getrennte Sammlung von Abfällen im Haushalt stößt einerseits<br />

auf die Schwierigkeit, daß in den Wohnungen nicht ausreichend Lagerund<br />

Stapelflächen zur Verfügung stehen und die üblicherweise benutzten<br />

Gefäße dafür ungeeignet sind. Hier haben nun in den letzten Jahren<br />

eine Reihe von Versuchen angesetzt, um im Rahmen der etablierten<br />

Müllabfuhr die getrennte Sammlung zu realisieren:<br />

• Zweikammermüllsystem (60-80% Erfassungsquote [EQ]);<br />

• Sack im Behälter (30% EQ);<br />

• Getrennte Sammlung von Papier, Glas und Restmüll anstelle der<br />

üblichen Abfuhr (20-80% EQ);<br />

• Auslese von Schadstoffen (z.B. Quecksilber-Batterien).<br />

Der Erfassungsgrad der Wertstoffe liegt bei diesen Verfahren zwischen<br />

20 und 60%, bei einer jüngst in Berlin für Müllabwurfschächte untersuchten<br />

Variante sogar bei 80%. Diese getrennte Sammlung zeichnet<br />

sich durch geringe Investitionskosten, geringe Risiken, gute schrittweise<br />

und flexible Anpassung an den Markt aus. Auch die Reinheit der<br />

gewonnenen Produkte ist gut. Schwierig sind dagegen Kooperationsbereitschaft,<br />

Ausdauer und Sorgfalt der beteiligten Bevölkerung zu erhalten.<br />

Bei den soziologischen Begleituntersuchungen waren zwei Ergebnisse<br />

zu verzeichnen:<br />

• eine engagierte, informierte, wirtschaftlich gut ausgestattete neue<br />

Mittelschicht ist motiviert, aus Umweltschutzgründen getrennt zu<br />

sammeln;<br />

• das Engagement läßt zeitabhängig stark nach.<br />

Diese Ergebnisse haben für die konventionelle Abfuhr Folgen:<br />

• Neben der getrennten Sammlung muß die konventionelle Sammlung<br />

(Gefäßgestaltung, Kfz. und Müllwerker) für die nicht auslesbaren<br />

Restmengen erhalten bleiben und wird relativ teuer;<br />

• die hygienische Entsorgung erfordert in derart geballten Bevölkerungsräumen<br />

Notsysteme;<br />

• die persönliche Motivation entscheidet über den Erfolg der Abfuhr<br />

und nicht mehr der nach der Arbeitsteilung Zuständige.<br />

An Untersuchungen in Konstanz und Schalksmühle sind soziologische<br />

Motivationsuntersuchungen vorgenommen worden. So waren z.B. in<br />

Schalksmühle zwar 45 % der Bevölkerung bereit, sich freiwillig an der<br />

getrennten Papiersammlung zu beteiligen. Tatsächlich waren es dann<br />

nur noch 17%, wobei mit zunehmender Versuchsdauer die Beteiligung<br />

stetig abnahm. Bei dieser Beteiligung gab es keine Bevölkerungsgruppe,<br />

die besonders motiviert war. Es gibt keine Alternative zur Strategie,<br />

über den Umweltschutzgedanken und die mit ihm verbundenen Proble-<br />

135


me die Bevölkerung zur Teilnahme an der Wertstoffsammlung zu motivieren.<br />

»<br />

Würde man noch einen Schritt weitergehen und auch die kompostierbaren<br />

Stoffe lokal verarbeiten wollen, so müßte man, um bei unserem<br />

Beispiel zu bleiben, mit ca. 400 t Kompost pro Jahr rechnen. Bei<br />

zweimal jährlicher Ausbringung benötigt man ca. 900 qm Zwischenlagerflächen<br />

und ca. 4 ha Nutzungsfläche in Form von bepflanzten Dächern,<br />

Gärten, Parks u.a. Allerdings hätte diese direkte Form der<br />

Wiederverwertung eigener Abfälle vielleicht den erzieherischen Wert,<br />

daß Fremdstoffe, die dem Kompost und den Pflanzen schaden, durch<br />

separate Sammlung auch dem Abfall und Abwasser ferngehalten werden.<br />

Alternativ zu dieser Komposttechnik wären Biogasanlagen einzusetzen.<br />

Über Erfahrungen mit Biogasanlagen, die mit Hausmüll betrieben<br />

werden, ist mir nichts bekannt.<br />

Je stärker der Gedanke der Verwertung in der Abfallbehandlung<br />

aufgegriffen wird, desto mehr muß man bei der Planung die Eigenschaften,<br />

insbesondere die Zusammensetzung des Rohmülls berücksichtigen.<br />

Z.B. scheint ein Papiergehalt von 15 Gewichtsprozenten die kritische<br />

Untergrenze zu sein. Die getrennte Sammlung setzt voraus, daß in den<br />

Wohnungen oder im Wohnblock Platz zum Stapeln von Wertstoffen<br />

vorhanden ist, daß diese regelmäßig entsorgt werden bzw. daß zentrale<br />

Sammelcontainer in angemessener Entfernung stehen. Die Einflüsse<br />

von Sammlung und Transport kommen um so stärker zur Geltung, je<br />

komplizierter die nachgeschalteten Verfahren sind und je intensiver die<br />

Abfallverwertung betrieben wird. Berücksichtigt man neben technologischen<br />

und ökonomischen Kriterien der Sammlung und des Transports<br />

auch die systemimmanenten Bedingungen bei der Verwertung und<br />

Vermarktung, so führt dies zu einem sehr komplexen Gesamtsystem.<br />

Noch ein Wort zu den Müllsammelbehältern. Größe und Formgebung<br />

der Sammelbehälter begrenzen die Stückgröße der aufzunehmenden<br />

Abfälle nach oben. Bei den Großbehältern mit bis zu 5 m 3 wird auch ein<br />

erheblicher Anteil der Abfälle wie z.B. Verpackungsmittel miterfaßt,<br />

die früher überwiegend in den Sperrmüll gelangten. Da Sperr- und<br />

Gewerbeabfälle oft den größten Werkstoffanteil aufweisen, ist diese<br />

Verfahrensweise unter dem Aspekt der Verwertung nachteilig. Wichtig<br />

ist in diesem Zusammenhang auch, daß sich durch Umstellung von 35und\50-l-Gefäßen<br />

auf 240-1-Müllgroßbehälter die Müllmengen etwa<br />

verdoppeln, d. h. die Müllmenge hängt vom Behältervolumen ab.<br />

Es deutet einiges darauf hin, daß nach einer Umstellung auf größere<br />

Sammelbehälter die Haushalte nicht mehr in gleichem Maße wie zuvor<br />

bereit sind, an der getrennten Sammlung von Wertstoffen teilzunehmen.<br />

Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Alternative aussprechen:<br />

Überprüfung des Verbrauchs- und Käuferverhaltens. Die bisher vorge-<br />

136


tragenen Lösungen setzen voraus, daß der Hausmüll, bestimmt durch<br />

Produktions- und Verbraucherverhalten, anfällt. Es sind auch Maßnahmen<br />

denkbar, die schon bei der Entstehung des Hausmülls, z.B. beim<br />

Einkauf (Milch wieder in Mehrwegflaschen) das Abfallaufkommen beeinflussen.<br />

Diese Alternative setzt aber ein noch intensiveres Mitarbeiten<br />

der Bevölkerung voraus.<br />

Ich habe es in, Ihrem Kreis vermieden, über Aspekte von Abfall und<br />

Subkultur, wie sie Jona Friedmann formuliert hat oder wie sie auf dem<br />

Workshop des Deutschen Werkbundes in Darmstadt abgehandelt wurden,<br />

zu sprechen. Ich habe den Einsatz mittlerer Technologie bei der<br />

Verwertung der Abfälle nicht vertieft. Auch die ökologische Folge<br />

dieses »small is beautiful«-trips habe ich nicht ausgeführt. Auch die<br />

Grenzen des Recyclings, Nutzungskaskaden, Mehr- und Einwegverwendung<br />

habe ich nicht vertieft. Ich will zum Abschluß nur nochmals den<br />

Gedanken aufgreifen, daß die Möglichkeit, Recycling zu realisieren, am<br />

leichtesten dort geht, wo gleichzeitig ein Bedarf an Produkten besteht,<br />

die aus Sekundärmaterial hergestellt werden. In diesem Zusammenhang<br />

hat die IBA eine einmalige Chance.<br />

137


Gabriele Güterbock /Bensu Hubert/Franz Rottkord<br />

Recycling von Haushaltsabfällen<br />

in Berlin-Kreuzberg - ein Versuch<br />

Seit Ende 1983 arbeiten wir drei - eine freie türkische Mitarbeiterin der<br />

IBA-Abteilung <strong>Öko</strong>logie und zwei Absolventen des Fachgebietes Abfallwirtschaft<br />

der TU Berlin - an der Aufgabe, die getrennte Sammlung<br />

von »Wert- und Kompostrohstoffen«, wie das in der Fachsprache heißt,<br />

im IBA-<strong>Stadt</strong>erneuerungsgebiet, d.h. in Berlin-Kreuzberg, einzuführen.<br />

In West-Berlin werden bereits über 130000 Haushalte getrennt<br />

entsorgt. Dies ließ uns hoffen, daß unsere Aufgabe nicht allzu schwierig<br />

sein würde. Die Einführung dieser ökologischen Maßnahmen in Kreuzberg<br />

trifft jedoch auf verschiedene Schwierigkeiten.<br />

Zuerst einmal bestand eine große Hürde in der Absprache mit den<br />

beiden großen Entsorgungsunternehmen, einer privaten Firma und<br />

einem Eigenbetrieb der <strong>Stadt</strong> Berlin. Beide konkurrieren auf dem seit<br />

kurzem »freien« Recyclingmarkt in Berlin um Marktanteile mit ganz<br />

unterschiedlichen Vorzügen und Nachteilen, sowohl für den privaten<br />

Nutzer wie auch für die Volkswirtschaft insgesamt. Es war nicht einfach,<br />

sie zu einer Mitarbeit mit uns an diesem Modellversuch zu bewegen,<br />

denn Kooperation für ein gemeinsames Ziel und Konkurrenz untereinander<br />

schließen sich weitgehend aus.<br />

Die zweite Hürde ist der Erneuerungsprozeß selbst, d.h. die noch<br />

nicht abgeschlossenen Baumaßnahmen. Dort, wo Häuser instand gesetzt<br />

werden, kommen auf die Mieter große Belastungen physischer und<br />

psychischer Art zu. Wir können nicht erwarten, daß sie zu all dem auch<br />

noch neue Verhaltensweisen in bezug auf die Trennung ihrer Müllbestandteile<br />

erlernen wollen.<br />

Nach vielen Gesprächen mit Blockplanern der IBA und Mieterberatern<br />

fanden wir geeignete Blöcke, in denen die Erneuerungsarbeiten<br />

abgeschlossen sind, oder wo bereits Selbsthilfegruppen existieren. Dort<br />

fangen wir mit unserem Versuch an.<br />

Die dritte Hürde ist der große Anteil ausländischer, zumeist türkischer<br />

Bewohner in dem Gebiet. Die Notwendigkeit, diesem Teil der<br />

Bevölkerung umweltschonende Maßnahmen plausibel zu machen, stößt<br />

auf andere Probleme. Warum sollten Menschen, die nicht einmal das<br />

Kommunal Wahlrecht, also politisches Mitspracherecht, haben, Verant-<br />

138


wortung für ihre Umwelt übernehmen und sie aktiv gestalten? Trotzdem<br />

versuchen wir, sie miteinzubeziehen. Wir können unsere Vermittlung<br />

jedoch nicht allein auf die Trennung von Abfällen beschränken, denn<br />

über Recycling sprechen, heißt für die Bewohner auch, über <strong>Öko</strong>logie<br />

und Kultur sprechen. Wenn das nicht möglich ist, dann bleibt alles<br />

weiterhin verfangen in Symptom-Bekämpfung und wird zunehmend<br />

administrativ, bürokratisch und leer. Wir stellen immer wieder fest -<br />

besonders bei Jüngeren -, daß im Aufwachsen und Leben zwischen den<br />

Kulturen eine Chance besteht, zusammen eine kulturelle Identität zu<br />

entwickeln. Dazu müssen wir autonome und dezentrale Aktivitäten in<br />

Kreuzberg unterstützen.<br />

Ein Versuch in diese Richtung ist die Arbeitsgruppe »Müll und<br />

Recycling«, in der verschiedene Selbsthilfegruppen zusammen mit dem<br />

Verein SO 36 und anderen Initiativen Anregungen zur getrennten<br />

Sammlung und Kompostierung von organischen Müllbestandteilen erarbeiten<br />

und ins Gebiet tragen wollen. Wenn genügend Mieter bereit sind<br />

mitzumachen, kann mit der getrennten Sammlung begonnen werden.<br />

Das wichtigste erste Problem, bevor überhaupt mit der getrennten<br />

Sammlung im <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebiet begonnen werden kann, ist eine<br />

gut funktionierende Straßenreinigung und Sperrmüllabfuhr. Das von<br />

der Berliner <strong>Stadt</strong>reinigung betriebene System der Sperrmüllabfuhr auf<br />

Anruf mit 2- bis 3wöchigen Wartezeiten klappt in diesem Gebiet noch<br />

nicht. Durch unser Informationsblatt »Wohin mit dem Müll?« auf<br />

deutsch und türkisch teilen wir den Bewohnern mit, welche Möglichkeiten<br />

bestehen, verschiedene Altstoffe umweltschonend zu beseitigen.<br />

Das Informationsblatt wird gerade verteilt, über die Resonanz können<br />

wir z. Z. noch keine Aussagen machen (Abb. 1).<br />

Über die getrennte Sammlung von Altglas und Altpapier hinaus<br />

wollen wir in Zusammenarbeit mit der Privatfirma an einem zentralen<br />

Punkt einen Recyclingladen einrichten, in dem der Bevölkerung bestimmte<br />

Abfallstoffe abgekauft werden. Die Altstoffe sind zum Beispiel<br />

ganze Flaschen, EDV-Papier, Aluminium und sonstige Metalle, Kunststoffe<br />

und Textilien. Damit können wir auch untersuchen, ob durch die<br />

Vergütung der Altstoffabgabe die Motivation der Bevölkerung, Abfälle<br />

getrennt zu sammeln, erhöht werden kann.<br />

Ein weiterer Einsatz in der Richtung dezentrale Erfassung von Wertstoffen<br />

ist der von der Berliner <strong>Stadt</strong>reinigung (BSR) betriebene Recyclinghof<br />

am Paul-Lincke-Ufer, wo die Bevölkerung unentgeltlich Glas,<br />

Papier, Batterien, Holz, Kunststoffe, Metalle und Altöl abgeben kann.<br />

Kleinchemikalien wie Lacke, Lösungsmittel, Farben, Altchemikalien<br />

und Altmedikamente können auf dem Recyclinghof der BSR an bestimmten<br />

Tagen abgegeben werden. Altmedikamente werden in Apotheken<br />

zurückgenommen.<br />

139


Abb. 1: Wohin mit dem Müll?<br />

140


Um die Kompostierung und die Verwendung des Komposts für die<br />

Hofbegrünung wollen wir uns besonders intensiv kümmern. Die Kompostierung<br />

erfolgt in dreiteiligen Kästen, die von uns in Zusammenarbeit<br />

mit den Mietern gebaut wurden.<br />

Die wissenschaftliche Auswertung des Versuchs umfaßt:<br />

• die Sortierung mehrerer Stichproben der Werkstoff-Fraktionen und<br />

des Restmülls zur Überprüfung von Akzeptanz, Reinheitsgrad und<br />

Erfassungsgrad;<br />

• Kleinanalyse des Kompostes, wie Bestimmung von Wassergehalt *<br />

Glühverlust, Temperatur, pH-Wert und Reifegrad;<br />

• und die Auswertung der Daten über die erfaßten Wertstoff- und<br />

Restmüllmengen sowie Kleinchemikalien und Altmedikamente.<br />

(Die Daten der Restmüllmengen müssen sich aus Kostengründen auf<br />

Stichprobenverwiegungen beschränken.)<br />

Die einjährige Untersuchung, mit dem Ziel der flächendeckenden getrennten<br />

Sammlung, wird zeigen, inwieweit eine Strategie der »behutsamen«<br />

Einführung von Recyclingmaßnahmen in einem dichtbesiedelten<br />

<strong>Stadt</strong>gebiet überhaupt möglich ist.<br />

141


Günter Axt<br />

Wassersparende Maßnahmen im<br />

Haushaltsbereich<br />

Wasser ist eigentlich kein knappes Gut, jedenfalls nicht in Deutschland,<br />

auch nicht in Berlin. Wir beziehen es aus dem Wasserkreislauf der Natur<br />

und geben es in diesen Kreislauf zurück. Das könnte so weitergehen,<br />

solange die Sonne die Erde bescheint, wenn der zivilisierte Mensch es<br />

nicht verstanden hätte, diesen Kreislauf zu stören. Wir tun dies u.a.<br />

dadurch, daß wir große Mengen Grundwasser entnehmen und es - mehr<br />

oder weniger verunreinigt - den Flüssen zuschlagen. Dies geschieht<br />

mitunter, gerade in Berlin, in so großem Ausmaß, daß die Oberfläche<br />

des Grundwassers noch unter die Oberfläche der Flüsse und Seen<br />

absinkt. Dadurch sickert das Grundwasser nicht, wie die Natur es<br />

vorgesehen hat, zu diesen Flüssen und Seen, sondern es gelangt, umgekehrt,<br />

Fluß- und Seewasser in das Grundwasser. Daß dies in Anbetracht<br />

des Zustandes unserer Flüsse und Seen auf die Dauer nicht gut sein<br />

kann, liegt auf der Hand.<br />

Es gibt also gute Gründe, mit Grundwasser sparsam umzugehen.<br />

Abgesehen von der Änderung unserer zum Teil verschwenderischen<br />

Verbrauchsgewohnheiten liegt es nahe, das kostbare Wasser mehrfach<br />

zu nutzen, bevor es zu Abwasser wird. So ist vor allem zur Toilettenspülung<br />

kein Frischwasser notwendig, sondern es kann bereits benutztes<br />

Wasser, z.B. Waschwasser, dazu verwendet werden. Dies bedeutet<br />

keinen Nachteil für den Benutzer.!<br />

Auch die Mitverwendung von Regenwasser ist in diesem Sinne eine<br />

wassersparende Maßnahme, zumal Regenwasser, sofern es auf die<br />

Hausdächer fällt, in der Regel (mit Ausnahmen) nicht dem Grundwasser,<br />

sondern dem Flußwasser zugeführt wird. Dabei ist Regenwasser<br />

trotz seiner erheblichen Verunreinigungen noch immer gut zum Wäschewaschen<br />

geeignet, da es sehr.weich ist und keine härtebindenden<br />

Chemikalien benötigt. Auch der Waschmittelverbrauch ist geringer als<br />

bei kostbarem Trinkwasser.<br />

Die Abb. 1 und 2 veranschaulichen den Einspareffekt, der auf diese<br />

Art erzielbar ist. Die Zahlen bedeuten den durchschnittlichen Tagesverbrauch<br />

eines städtischen Einwohners, aufgeschlüsselt in die wichtigsten<br />

Verwendungszwecke, wie sie durch Kennbilder dargestellt sind.<br />

142


T\ Das Rohwasser wird in der Regel dem Grundwasser entnommen<br />

Folge: ökologisch nachteilige Grundwasserabsenkungen<br />

(§) Aufbereitung in zentralen Wasserwerken auf Trinkwasserqualität<br />

© Leitungssystem, ausgelegt für alle Verbrauche nebeneinander<br />

/•», fü> die meisten Verwendungszwecke wäre Trinkwasserqualität<br />

^ eigentlich nicht notwendig<br />

© Kanalisationssystem, für alle Verbrauche nebeneinander ausgelegt<br />

(£) entsprechend ausgelegtes Klärwerk<br />

© Belastung der Flüsse durch Abwasser und Regenwasser<br />

Abb. 1: Übliche Wasserversorgung von Haushaltungen (Zahlenangaben in Liter<br />

pro Einwohner und Tag).<br />

Ein Vergleich dieser beiden Fließbilder zeigt, daß trotz gleichbleibender<br />

Verbrauchsgewohnheiten mehr als die Hälfte Grundwasser eingespart<br />

werden kann (67 1 statt 150 1). Damit sind eine ganze Reihe von<br />

anderen Einsparungen verbunden, von kleineren Wasserwerken und<br />

kleineren Leitungen bis zu wirkungsvollerer Abwasserreinigung.<br />

Für Einfamilienhäuser gibt es bereits Einrichtungen zur praktischen<br />

Durchführung der genannten Maßnahmen, die relativ einfach und preiswert<br />

zu installieren sind. Abb. 3 zeigt schematisch den Aufbau. Die<br />

wesentlichsten Bestandteile sind die im Bild unten gezeichneten Speicherbehälter<br />

für Regenwasser und für »Grauwasser«.<br />

143


T\ trotz Zugrundelegung gleicher Verbrauchsmengen wird dem Qrund-<br />

^ wasser weniger als die Hälfte entnommen<br />

(§) entsprechend kleinere Wasserwerke<br />

(£) entsprechend kleinere Rohrleitungen<br />

/»' Sammlung und Nutzung des Uach-Regenwassers, datjei Ausgleich<br />

^ des schwankenden Anteils<br />

/P* zum Wäschewaschen eignet sieh (weiches) Regenwasser besser<br />

^ als Trinkwasser<br />

/ä zur Toilettenspülung genügt die Qualität des gebrauchten Wasch-,<br />

^ Dusch- und Badewassers<br />

(G) kleinerer Abwasseranfall ermöglicht kleinere Abwasserkanalisation<br />

@ entsprechend kleinere Klärwerke bzw. intensivere Abwasserreinigung<br />

entsprechend geringere Belastung der Flüsse, besser* Chance zu<br />

Q) dezentraler Verwendung des gereinigten Abwassers, (evtl. Rückgabe<br />

ins Grundwasser)<br />

Abb. 2: Wassereinsparung durch Nutzung des aufgefangenen Regenwassers und<br />

Mehrfachnutzung von Brauchwässern (Zahlenangaben in Liter pro Einwohner<br />

und Tag).<br />

144


Abb. 3: Wasser-Spar-Anlage nach H. Schäfer.<br />

Das vom Dach abfließende Regenwasser wird bei (1) vom Fallrohr<br />

abgezweigt und dabei gleichzeitig von groben Beimengungen (z.B.<br />

Blättern) befreit. Dies geschieht einfach dadurch, daß ein Ringspalt nur<br />

das ganz außen am Fallrohr ablaufende Wasser erfaßt, während Grobteile<br />

innen vorbeigleiten. Bei dieser sehr einfachen Maßnahme wird in<br />

Kauf genommen, daß bei (nur selten vorkommenden) sehr heftigen<br />

Regenfällen auch ein Teil des Wassers nicht durch den Ringspalt gelangt<br />

und somit verlorengeht.<br />

Durch einen kleinen Filter (2) gelangt das abgezweigte Wasser in den<br />

Speicherbehälter. Er ist zweckmäßig so bemessen, daß er auch bei<br />

starken Regenfällen nicht gleich überläuft, und daß er eine Reserve für<br />

regenfreie Tage und Wochen darstellt. Mit einem Volumen von etwa<br />

1 m 3 pro Person sind diese Bedingungen schon recht gut erfüllt. Notfalls<br />

genügt auch die Hälfte.<br />

Aus dem Regenwasserbehälter wird vorwiegend Wasser zum Wäschewaschen,<br />

aber auch (sofern es die hygienischen Bedingungen erlauben)<br />

zum Baden und Duschen und evtl. Hausreinigungen verwendet, nicht<br />

jedoch zum Trinken, Kochen, Geschirrspülen usw., wofür weiterhin<br />

zentral geliefertes Leitungswasser notwendig ist. Sofern der Speicherbehälter<br />

tiefer steht als die Waschmaschine (z.B. im Keller eines Einfamilienhauses)<br />

, wird der Wassertransport durch eine kleine Tauchpumpe (4)<br />

besorgt, die sich durch einen Druckschalter (5) immer dann selbständig<br />

einschaltet, wenn Wasser entnommen wird. Der Energiebedarf dieser<br />

145


Pumpe ist mit etwa 0,02-0,05 kWh/m 3 etwa fünf- bis zehnmal kleiner als<br />

der Anteil an der Pumpenergie der Wasserwerke, wenn die gleiche<br />

Wassermenge aus dem Leitungsnetz entnommen würde.<br />

Das aus der Waschmaschine (und evtl. Badewanne usw.) abfließende<br />

Wasser ist noch kein Abwasser, sondern verwertbares »Grauwasser«, da<br />

es nur wenig Schmutz, dafür aber eine ganze Menge Wärme enthält. Es<br />

wird in einem weiteren Speicherbehälter gesammelt, um schließlich zum<br />

Spülen der Toilette benutzt zu werden. Dabei geht die Wärme des<br />

Grauwassers auf jeden Fall nicht ganz verloren, da sie an den Aufstellungsraum<br />

des Behälters abgegeben wird. Sie kann aber auch noch<br />

besser genutzt werden, wenn durch geeignete Einlaufvorrichtungen das<br />

warme (bzw. heiße) Wasser oben gehalten wird, wo es über eine<br />

Rohrschlange (3) das zum Gebrauch durchlaufende Regenwasser vorwärmt.<br />

Das Toilettenspülwasser wird unten im Behälter entnommen (evtl.<br />

wieder mit Hilfe einer selbstschaltenden Tauchpumpe) und ist daher auf<br />

jeden Fall nicht mehr heiß. Bei der Verwendung von Grauwasser für<br />

diesen »letzten Zweck« haben sich bisher keinerlei Nachteile gegenüber<br />

reinem Leitungswasser gezeigt. Die im Grauwasser vorhandenen<br />

Waschmittel verstärken offenbar sogar den Reinigungseffekt im Toilettenbecken.<br />

Bei der Benutzung solcher Anlagen muß natürlich gewährleistet sein,<br />

daß das Wasser nicht getrunken wird. Schon das Regenwasser enthält<br />

viele Keime (vor allem Bakterien) verschiedener Art, und das Grauwasser<br />

ist erst recht alles andere als hygienisch einwandfrei. Zum Toilettenspülen<br />

ist dies aber auch nicht notwendig. Es muß nur durch geeignete<br />

Installationsmaßnahmen gewährleistet sein, daß dieses Wasser nicht<br />

anderweitig (vor allem eben nicht zum Trinken) entnommen werden<br />

kann.<br />

Auch beim Regenwasser läßt sich eine solche Sicherung durch Installationsmaßnahmen<br />

erreichen, indem z.B. eine feste Verbindungsleitung<br />

vom Sammelbehälter zur Waschmaschine gelegt wird. Auf die Nutzung<br />

des Regenwassers zum Baden und Duschen müßte bei hygienischen<br />

Bedenken u.U. verzichtet werden. Die ganze Anlage ist ja ohnehin als<br />

Zusatzeinrichtung gedacht, die die normale Trinkwasserleitung zwar<br />

erheblich entlasten, aber nicht ersetzen soll.<br />

146


Peter Thomas<br />

Neue Sanitärund<br />

Wasserrecyclingtechniken<br />

in IBA-Projekten<br />

Nach Auskunft der Berliner Wasserwerke beträgt der durchschnittliche<br />

tägliche Wasserverbrauch z. Z. 150 bis 200 Liter pro Person. In Altbauten<br />

liegt er bei der Hälfte bis zu einem Drittel der Verbrauchswerte von<br />

Neubauten bzw. modernisierten Altbauten. Dies bedeutet für ein Sanierungsgebiet,<br />

wie beispielsweise das Gebiet um das Kottbusser Tor, daß<br />

eine konventionelle Sanierung der Sanitäranlagen, insbesondere der<br />

Einbau von Innentoiletten, Bädern und die Modernisierung der Küchen<br />

zu einer Steigerung des Trinkwasserverbrauchs um das Zwei- bis Dreifache<br />

führt. Gleichzeitig erhöht sich aber auch die Menge des Abwassers<br />

um den gleichen Anteil.<br />

Längerfristig wird durch eine konventionelle Sanierung der Sanitäranlagen<br />

in den Berliner Altbaugebieten und die Erweiterung der Neubautätigkeit<br />

im Rahmen der IBA die Erschließung neuer Grundwasserreservoire,<br />

der Bau zusätzlicher Kläranlagen und, damit einhergehend,<br />

der Verlust weiterer Erholungsflächen unausweichlich sein.<br />

Ein zweiter Grund zum Wasser- und Energiesparen ist nicht minder<br />

wichtig. Es geht darum, die von den Mietern zu tragenden Bewirtschaftungskosten<br />

niedrig zu halten.<br />

Moderne Sanitärtechniken bieten eine Reihe von Möglichkeiten, in<br />

beträchtlichem Umfang Trinkwasser, Abwasser und letztlich auch Energie<br />

zu sparen. Durch die konsequente Auswahl von Waschtisch-, Spültisch-<br />

und Brausearmaturen, aber auch durch den Einbau spezieller<br />

WC-Einrichtungen läßt sich der Wasserverbrauch auf unter 100 Liter<br />

pro Person beschränken, ohne daß die Hygiene zu kurz kommt bzw. die<br />

Nutzer ihr Verhalten ändern müßten. Die im folgenden vorgeschlagenen<br />

Standardmaßnahmen lassen sich unmittelbar in fast allen Bauvorhaben<br />

(zum Teil sogar nachträglich) realisieren. Die Experimentalprojekte hingegen<br />

hängen im wesentlichen von den örtlichen Gegebenheiten und der<br />

Bereitschaft der Planer und Nutzer ab, sich auf gewisse Risiken oder<br />

Mehrarbeit einzulassen.<br />

147


Standardmaßnahmen*<br />

Trinkwassereinsparung bei Wasserentnahmearmaturen<br />

Niemand kann sich waschen oder duschen, ohne sich naß zu machen.<br />

Aber ob der Trinkwasserverbrauch dabei hoch oder niedrig ist, das steht<br />

auf einem anderen Blatt. Die Auswahl der Sanitärausstattung, das sind<br />

primär Objekte und Wasserentnahmearmäturen, wird leider immer<br />

noch in der Mehrzahl der Fälle durch den Anschaffungspreis vorgegeben.<br />

In zweiter Linie ist dann das Design ausschlaggebend, während die<br />

hydraulische Funktion einer Entnahmearmatur meist nicht gesondert<br />

berücksichtigt wird.<br />

Die Beurteilung der hydraulischen Eigenschaften von Wasserentnahmearmaturen<br />

können aber auch selbst Experten nur schwer vornehmen,<br />

wenn sie sich ausschließlich auf die Herstellerangaben verlassen. Einige<br />

Armaturenhersteller sind auch wenig mitteilsam, wenn es um die exakten<br />

hydraulischen Eigenschaften der Entnahmearmaturen geht.<br />

Allen unterschiedlichen Darstellungen ist jedoch ein druckabhängiges<br />

Ausflußverhalten gemeinsam. Unter den spezifischen Druckverhältnissen<br />

in einem Altberliner Wohnhaus fließen aus der gleichen Armatur im<br />

Erdgeschoß 16,2 Liter pro Minute, während im 4. Obergeschoß nur 10,9<br />

Liter pro Minute ausfließen. Unter der Voraussetzung, daß die ausfließende<br />

Wassermenge der im 4. Obergeschoß installierten Armatur zufriedenstellend<br />

ihren Zweck erfüllt, kann die Differenz der Volumenströme<br />

aufgrund der unterschiedlichen geodätischen Höhen als Wasserverlust<br />

bezeichnet werden.<br />

Ein nicht unerhebliches Potential zum Wassersparen ergibt sich daher<br />

bereits bei der Auswahl der Entnahmearmaturen. Unter hydraulischen<br />

Gesichtspunkten sollten dabei jene Armaturen ausgewählt werden, die<br />

einerseits bei einem geringen Armaturenausfluß ihren Zweck erfüllen<br />

und andererseits durch ihre möglichst steile Kennlinie charakterisiert<br />

sind. In der Mehrzahl der Fälle wird dies nicht immer gelingen. Einen<br />

Ausweg bieten jedoch Zusatzeinrichtungen wie beispielsweise der<br />

Durchflußbegrenzer.<br />

• Durchflußbegrenzer<br />

Die einfachste und zugleich billigste Möglichkeit der Einsparung von<br />

Die als »Standardmaßnahmen« bezeichneten Techniken wurden für das Bauvorhaben<br />

Oranienstraße 4 geplant und berechnet. Die Sanitärinstallation innerhalb des Gebäudes ist<br />

noch nicht ganz abgeschlossen. Meine Angaben über spezifische Einsparungen an Wasser<br />

und Energie beruhen daher auf rechnerischen Werten. Es ist geplant, im Frühjahr 1984 mit<br />

einem umfangreichen Meßprogramm zu beginnen, das den tatsächlichen Wasser- und<br />

Energieverbrauch dokumentiert und einen Vergleich mit den rechnerischen Werten ermöglicht.<br />

148


Wasser (Trink- und Schmutzwasser) und Energie ist der Durchflußbegrenzer,<br />

der, beispielsweise bei einer Waschtischarmatur, zwischen<br />

Auslauf und Luftsprudler geschraubt wird.<br />

Mit Hilfe dieses Durchflußbegrenzers wird, wie die Bezeichnung<br />

schon vermuten läßt, der Durchfluß der jeweiligen Armatur ab<br />

einem bestimmten Mindestfließdruck druckunabhängig. Dadurch<br />

hat man ohne individuelle Verregelung und unabhängig von der<br />

geodätischen Höhe einen konstanten Durchfluß an der Entnahmestelle.<br />

Konstruktiv wird dies mittels einer vom Fließdruck betätigten<br />

Drossel verwirklicht, die den freien Querschnitt mit zunehmendem<br />

Druck verringert. Ab ca. 1,5 bar Fließdruck ist der Durchfluß nahezu<br />

konstant. Unterhalb dieses Druckes kommt das normale Strömungsverhalten<br />

der Armatur zum Tragen.<br />

Bezogen auf die hydraulischen Verhältnisse in dem Haus Oranienstraße<br />

4, beträgt die Einsparung gegenüber einer serienmäßigen<br />

Zweigriff-Waschbeckenarmatur bei Verwendung eines Durchflußbegrenzers<br />

- eingestellt auf 8 Liter pro Minute - im Erdgeschoß 8,2<br />

Liter pro Minute.<br />

Bei täglich viermaligem Waschen von jeweils einer Minute Dauer<br />

führt die Installation des Durchflußbegrenzers zu einer Einsparung<br />

allein an Wasser und Abwasser von 32,8 Liter pro Person und Tag.<br />

Bei einer Wassergebühr in Berlin von derzeit DM 0,71 und einer<br />

Abwassergebühr von DM 1,27 ergibt sich im Monat eine Einsparung<br />

der Bewirtschaftungskosten bezogen auf eine einzelne Person um<br />

DM 1,94 alleine durch den reduzierten Verbrauch am Waschbecken.<br />

Hinzu kommen noch die Energiekosten für die Warmwasserbereitung<br />

in Höhe von DM 2,80 je Kubikmeter erwärmten Trinkwassers.<br />

Im Monat werden, bedingt durch den geringeren Wasserverbrauch,<br />

zusätzlich Energiekosten in Höhe von DM 2,74 eingespart.<br />

Zusammen ergibt das eine monatliche Einsparung der Bewirtschaftungskosten<br />

von DM 4,68 pro Person.<br />

Auch an der Spüle ist ein überhöhter und daher nicht ausreichend<br />

zu nutzender Armaturenausfluß ebenfalls als Wasser- und Energieverlust<br />

zu deklarieren. Jedoch muß hier berücksichtigt werden, daß<br />

das Spülbecken (Nutzinhalt 8 bis 10 Liter) in einer »angemessenen«<br />

Zeit gefüllt wird. Eine Füllzeit von etwa einer Minute gilt allgemein<br />

als zumutbar. Der Durchflußbegrenzer an der Spüle sollte daher auf<br />

keinen geringeren Durchfluß als 8 Liter pro Minute eingestellt sein.<br />

Die Einsparungsberechnungen sind daher für die Spültischarmatur<br />

auch relativ ungenau. Sie hängen insbesondere von dem individuellen<br />

Benutzungsverhalten der Bewohner ab. Da die verwendeten<br />

Spültischarmaturen baugleich mit den Waschbeckenarmaturen sind<br />

und auch der gleiche Durchflußbegrenzer installiert wurde, reduziert<br />

149


150<br />

sich die Einsparung an der Spüle auf etwa 50 % der für die Waschbekkenarmatur<br />

ermittelten Werte. In Geldeinheiten ausgedrückt, sind<br />

das Einsparungen an Wasser und Energie in Höhe von DM 2,34 pro<br />

Person und Monat.<br />

Das Duschen und Brausen erfolgt unter einem fließenden Wasserstrahl.<br />

Die durchschnittliche Duschdauer beträgt 6 Minuten. Die<br />

Diskussion in der Hausgemeinschaft, ob eventuell Selbstschlußarmaturen<br />

als Brausearmaturen eingebaut werden sollen, die während des<br />

Einseifens den Wasserstrahl jeweils unterbrechen, wurde mit dem<br />

Hinweis auf deutliche Komforteinbußen abschlägig entschieden.<br />

Letztlich wurden normale Brausebatterien mit Handbrausen installiert,<br />

die zusätzlich mit einem Durchflußbegrenzer - eingestellt auf 9<br />

Liter pro Minute -. ausgestattet wurden. Die Brausebatterie hat<br />

zusammen mit der Handbrause bei einem Vordruck von 3,8 bar einen<br />

Armaturenausfluß von 27,5 Liter pro Minute. Pro Person werden<br />

folglich bei jedem Duschgang insgesamt 18,5 mal 6 = 111 Liter<br />

Wasser eingespart. Unter der Voraussetzung, daß jeder Bewohner<br />

täglich einmal duscht, reduzieren sich die Bewirtschaftungskosten für<br />

einen einzelnen Bewohner um weitere DM 15,77 monatlich.<br />

Rechnet man die Ersparnis durch die Installation von 3 Durchflußbegrenzern<br />

je Wohneinheit zusammen, so ergibt sich eine Summe<br />

von DM 22,79 monatlich, die das Budget jedes einzelnen Bewohners<br />

Monat für Monat entlasten. Diesen monatlichen Sparbeträgen stehen<br />

einmalige Investitionskosten für die 3 Durchflußbegrenzer von<br />

zusammen DM 30 (inkl. MwSt.) gegenüber, so daß sich die Kosten<br />

bereits in 40 Tagen amortisieren.<br />

Tiefspülkästen mit Spül- und Stopp-Taste<br />

Geradezu als Wasserverschwender par excellence sind die Tiefspülkästen<br />

in den bundesrepublikanischen Haushalten seit gut 3<br />

Jahren ins Gerede gekommen.<br />

Nach der DIN 19542 fließen bei jedem Spülvorgang mindestens<br />

neun Liter Wasser in den Abfluß, auch wenn nur eine Zigarettenkippe<br />

in die Kloschüssel geworfen wurde. Es ist daher verständlich,<br />

daß sich immer mehr Menschen Gedanken gemacht haben, wie man<br />

beim Spülkasten Wasser sparen kann. Der älteste und einfachste<br />

Vorschlag ist der Trick mit dem Ziegelstein, wobei die verdrängte<br />

Wassermenge der Einsparung entspricht. Weitergehende »Innovationen«,<br />

wie z. B. die Ideen mit demDraht oder Splint, zielen darauf ab,<br />

einen bereits eingeleiteten Spülvorgang bei Bedarf wieder zu unterbrechen,<br />

beispielsweise beim »kleinen Geschäft«.<br />

Auch wenn dadurch noch so viel Wasser gespart wird und diese<br />

sowie auch diverse andere Konstruktionen weit verbreitet sind, so<br />

waren bis Ende vergangenen Jahres derartige Manipulationen am


Spülkasten grundsätzlich nicht statthaft, und man riskierte - allen<br />

Ernstes - ein Bußgeld, im Extremfall bis zu DM 50000. Im November<br />

1982 hat das baden-württembergische Innenministerium die Unterbrechbarkeit<br />

bei Tiefspülkästen erlaubt, wenn auch zunächst befristet<br />

bis zum Erscheinen der Neuausgabe der DIN 19542. Alle<br />

führenden Hersteller von Tiefspülkästen bieten mittlerweile ihre<br />

Spülkästen mit Unterbrechungsmöglichkeit bundesweit an.<br />

So berechtigt die Forderung nach einer Reduzierung der Spülwassermenge<br />

auch sein mag, so ist jedoch bei der Auswahl eines Klosettkörpers<br />

die Kenntnis über dessen hydraulische Eigenschaften unerläßlich.<br />

Es kann sonst vorkommen, daß mit einer Spülwassermenge von nur 2<br />

bis 3 Litern die gesamte Klosettschüssel nicht ausreichend gespült und<br />

das Sperrwasser im Geruch Verschluß nicht erneuert wird.<br />

Zur Zeit ist aber auch selbst bei der Auswahl der Spülkästen, die<br />

mittlerweile mit »Unterbrecher«, »Spül- und Stopp-Taste«, »Aquastopp-Spartaste«<br />

oder welchen werbewirksamen Namen sich die<br />

Experten auch immer ausgedacht haben mögen, ausgestattet sind,<br />

eine gewisse Vorsicht angebracht. Es gibt darunter einige Modelle,<br />

bei denen der Spülkasten, beispielsweise nach einer Sparspülung von<br />

nur 2 Litern, nicht wieder aufgefüllt wird. Die für das Aus- und<br />

Fortspülen der Fäkalien erforderliche Wassermenge reicht dann oftmals<br />

nicht aus...<br />

Pro Person wird die Toilette im Durchschnitt fünf- bis sechsmal<br />

täglich aufgesucht. Da aber meist nur bei einer Spülung eine Gesamtspülwassermenge<br />

von 9 Litern erforderlich ist, sind täglich vier sog.<br />

Sparspülungen mit jeweils 3 bis 4 Liter (statt 9 Liter) Wasser möglich.<br />

Pro Spülvorgang werden mindestens 5 Liter Wasser gespart; täglich<br />

also 20 Liter pro Person. An Wasser und Abwassergebühren werden<br />

somit weitere DM 1,19 pro Person und Monat gespart.<br />

Der Einbau von Spülkästen mit Spül- und Stopp-Taste ist bei einer<br />

Neuinstallation nicht kostenwirksam, lediglich das nachträgliche<br />

Umrüsten von bestehenden Tiefspülkästen ist mit Kosten in Höhe<br />

von DM 10 (incl. MwSt.) verbunden.<br />

Wassersparende Klosettkombinationen<br />

Neben der Unterbrechbarkeit werden im Ausland schon seit Jahren<br />

Klosettkombinationen (Klosettkörper mit aufgesetztem Spülkasten)<br />

installiert, die weniger als 9 Liter Wasser verbrauchen. Bei diesen<br />

Konstruktionen treten die oben dargestellten Nachteile einer Unterbrechung<br />

des Spülstromes nicht auf.<br />

Die Firma SPHINX bietet seit über drei Jahren Klosettkombinationen<br />

in Deutschland an, die mit nur 6 Liter Gesamtspülwassermenge<br />

auskommen.<br />

Mit nur 3 Liter spült das WC von GUSTAVSBERGS, einem<br />

151


schwedischen Hersteller. Das baugleiche Modell hat jedoch in der<br />

Bundesrepublik nur eine Zulassung für 4 Liter. Zudem darf dieses<br />

Klosett nur über einen Saugheber an die kommunale Kanalisation<br />

angeschlossen werden. Dadurch wird sichergestellt, daß die Fäkalien<br />

immer mit 20 Liter durch den Kanal gespült werden.<br />

Installation von getrennten Falleitungen für Fäkal- und Grauwasser zur<br />

Wärmerückgewinnung<br />

Die Energiekosten für die zentrale Warmwasserbereitung schlagen trotz<br />

der Realisierung der weiter oben beschriebenen Wassersparmaßnahmen<br />

immer noch erheblich zu Buche. Daneben ist es nur schwer einzusehen,<br />

daß beispielsweise das Duschwasser mit fast derselben Temperatur, mit<br />

der es aus der Brausebatterie kommt, aus dem Haus heraus in die<br />

städtische Kanalisation fließt. Unter energetischen Gesichtspunkten ist<br />

es sicher sinnvoll, einen Teil dieser im Abwasser enthaltenen Energie<br />

wieder zurückzugewinnen.<br />

Die erste Voraussetzung zur direkten Wärmerückgewinnung aus dem<br />

Abwasser ist die getrennte Ableitung des Fäkalwassers einerseits und<br />

des sog. Grauwassers andererseits. An die Grauwasser-Falleitung sind<br />

angeschlossen: Badewannen, Brausewannen, Waschbecken, Waschmaschinen<br />

und Spülmaschinen. Die Spülbecken selbst sind wegen des<br />

hohen Fett- und Feststoffanteils zusammen mit den Toiletten an die<br />

Fäkal-Falleitung angeschlossen.<br />

Insgesamt wurden in den Bauvorhaben 3 Grauwasser-Falleitungen<br />

mit der Nennweite 70 mm installiert. Als Werkstoff wurde PE-Rohr<br />

verwendet und zusätzlich mit 30 mm Mineralwolle gedämmt. Die Grauwasser-Falleitungen<br />

wurden im Keller zusammengeführt und enden in<br />

einem 1000 Liter großen Kunststoffe-Wärmespeicher. Bei der Ermittlung<br />

des Speichervolumens sind wir von einer Aufenthaltszeit des Grauwassers<br />

von ca. einem dreiviertel bis ganzen Tag ausgegangen. Das<br />

nachfließende Grauwasser verdrängt eine entsprechende Menge Abwasser<br />

aus dem Speicher, das in die städtische Kanalisation fließt.<br />

In dem Speichef befindet sich eine relativ große Heizspirale, durch die<br />

zunächst kaltes' (ca. 10 Grad) Trinkwasser fließt, das sich aber langsam<br />

auf ca. 25 Grad erwärmt. Dieses vorgewärmte Wasser wird anschließend<br />

in konventionellen gasbefeuerten Standspeichern auf ca. 55 Grad erhitzt.<br />

Die Energieersparnis liegt rein rechnerisch bei rund 30 Prozent. Der<br />

exakte Nachweis über die tatsächliche Energieeinsparung dokumentiert<br />

ein im Frühjahr 1984 von der IBA finanzierten Meßprogramm.<br />

152


Installation des Rohr-in-Rohr-Systems<br />

Die Grundüberlegung, die uns zu diesem, wenn auch nicht mehr ganz<br />

neuen Installationssystem geführt hat, war der Gedanke: wenn man<br />

schon einmal das Grauwasser gespeichert hat, dann sollte es doch<br />

möglich sein, dieses Wasser direkt - oder auch gereinigt - zumindest für<br />

die Toilettenspülung wieder zu verwenden.<br />

Neben der Forderung nach einem korrosionsbeständigen Rohrsystem<br />

stellt sich dabei aber auch die Frage der Installationstechnik an sich.<br />

Bisher werden die Trinkwasserleitungen in der Regel mit verzinktem<br />

Eisenrohr oder in Kupferrohr verlegt. Bei diesen metallischen Werkstoffen<br />

werden die einzelnen Rohrstücke mit Fittings miteinander verbunden<br />

und auch verzweigt.<br />

Kernstück des Rohr-in-Rohr-Systems ist dagegen ein wasserführendes<br />

Polyäthylenrohr, das ähnlich einem Elektrokabel in einem Schutzrohr<br />

verlegt wird. Das Rohr ist außerordentlich flexibel, völlig korrosionsfest<br />

und verrottungssicher. Aber auch bei der Leitungsführung hat man neue<br />

Prinzipien gewählt: wie bei einer Elektroinstallation wird das Rohr von<br />

einer zentralen Stelle (Verteiler) aus, jeweils als einzelne Leitung, ohne<br />

Abzweigung, bis hin zur Zapfstelle geführt. Dadurch ist es möglich,<br />

beispielsweise bei einer mechanischen Beschädigung, das Innenrohr<br />

einfach auszutauschen, ohne daß Fliesen aufgestemmt oder andere<br />

Eingriffe in den Baukörper erfolgen müßten.<br />

Ebenso kann aber auch eine Umstellung der Versorgung einer einzelnen<br />

Zapfstelle - in unserem Fall: der Toilettenspülkasten - mit einer<br />

anderen Wasserqualität ohne zusätzlichen Installationsaufwand nachträglich<br />

realisiert werden. Bisher wurde in den Bauvorhaben zusätzlich<br />

ein Leerrohr von Stockwerksverteiler zu Stockwerks Verteiler verlegt,<br />

durch das später ein Kunststoffrohr für speziell aufbereitetes Toilettenspülwasser<br />

gezogen wird.<br />

Wenn auch gegenwärtig in der Bundesrepublik noch keine Vorschriften,<br />

Richtlinien oder Empfehlungen über Qualitätsanforderungen an<br />

Toilettenspülwasser bestehen, so werden wir dennoch die Versorgung<br />

der Toiletten mit aufbereitetem Grauwasser erst dann vornehmen, wenn<br />

die Reinigungsleistung der noch zu bauenden »Binsenkläranlage« zufriedenstellende<br />

Meßwerte ergibt.<br />

Bei der Erneuerung der Trinkwasserinstallation haben wir uns durch<br />

die Verwendung des Rohr-in-Rohr-Systems die Option offengehalten<br />

für eine Versorgung mit Wasser unterschiedlicher Qualitäten.<br />

153


Experimentelle Projekte<br />

Die bisher im IBA-Gebiet geplanten und bereits realisierten Wasserprojekte<br />

verdanken ihre Existenz weniger den Experten als den Nutzern.<br />

Meist sind es die Bewohner, die bei der Instandsetzung der Sanitäranlagen<br />

bestimmte (ökologische) Standards fordern, wie z.B. wassersparende<br />

und energiesparende Einrichtungen zur Reduzierung der<br />

Bewirtschaftungskosten; manchmal ergibt sich aus der Bausubstanz<br />

ein bestimmtes Anforderungsprofil, wie beispielsweise in der »Backsteinfabrik«,<br />

wo der ehemalige Speisewasserbehälter als Brauchwasserspeicher<br />

oder evtl. sogar als Fischzuchtbecken umfunktioniert werden<br />

soll.<br />

Hier wird die Aufbereitung und Speicherung von Regen- und Grauwasser<br />

in einem bestehenden Hochbehälter zur Versorgung eines Wohnund<br />

Gewerbekomplexes mit Brauchwasser genutzt. Der genietete<br />

Stahltank-mit über 40 m 3 Inhalt (der früher als Speisewasserbehälter für<br />

den Dampfkessel gedient hat) befindet sich im 4. Obergeschoß, 17 m<br />

über dem Hofniveau. In den Geschossen unterhalb des Tanks werden 3<br />

Sanitäreinheiten installiert.<br />

Geplant ist, das Grauwasser in einer separaten Falleitung abzuleiten<br />

und einer Pflanzenkläranlage zuzuführen. Dort wird auch gleichzeitig<br />

das Oberflächenwasser von den Hofflächen und das überschüssige Regenwasser<br />

gereinigt. Eine Pumpe fördert das aufbereitete Wasser in den<br />

Hochbehälter.<br />

Der überwiegende Teil des Brauchwassers, beispielsweise für die<br />

Toilettenspülkästen, fließt den jeweiligen Sanitärobjekten direkt zu; nur<br />

ein geringer Teil soll für das Bewässern des Grasdaches im Sommer<br />

dienen und muß dazu auf dessen Niveau gepumpt werden.<br />

Mittlerweile existiert ein Vorentwurf, der davon ausgeht, das Dach<br />

über den Tank zu öffnen, einen Teil des Behälters für die Kläranlage<br />

abzuteilen und nur das restliche Volumen als Zwischenspeicher zu<br />

verwenden. Sollte dieses Konzept realisiert werden, bestünde die Möglichkeit,<br />

zusätzlich Fische einzusetzen.<br />

Ein weiteres interessantes Projekt zur Reinigung und Sammlung des<br />

Oberflächenwassers zur Grundwasseranreicherung ist für die Oranienstraße<br />

196-204 bzw. den Block 104 geplant.<br />

Heute wird fast das gesamte Niederschlagswasser von den befestigten<br />

Flächen (Dach-, Hof- und Straßenflächen) eines <strong>Stadt</strong>gebietes über das<br />

Kanalisationssystem mehr oder weniger direkt dem Vorfluter zugeleitet.<br />

Dadurch wird aus dem Regenwasser unmittelbar Vorflutwasser. Die<br />

Versiegelung der <strong>Stadt</strong>gebiete hat aber dazu geführt, daß sich heutzutage<br />

selbst nach einem mittleren Regen eine bisher nicht gekannte Hochwasserwelle<br />

am Unterlauf der Flüsse kumuliert. Weiter hat die Versiege-<br />

154


lung der Innenstadtbereiche bewirkt, daß der Grundwasserspiegel immer<br />

tiefer absank, mit all den negativen ökologischen Folgen. Die<br />

globale Grundwasserbilanz für Berlin weist auch weiterhin ein Grundwasserdefizit<br />

von mehreren Millionen Kubikmetern auf.<br />

In dem geplanten Projekt Oranienstraße 196-204 soll der Problemstellung<br />

nun dadurch Rechnung getragen werden, daß diejenigen Dachund<br />

Hof flächen, die nicht der Oranienstraße, sondern dem Park im<br />

Blockinneren zugewandt sind, von der Kanalisation abgekoppelt werden<br />

und das Niederschlagswasser in eine im Blockinneren verlegte<br />

Regenwasserleitung eingeleitet wird.<br />

Da die Luftverschmutzung in Berlin einen Grad erreicht hat, der es<br />

erforderlich macht, das Regenwasser vor Einleitung in einen Grundwasserteich<br />

zu reinigen, soll auf einer erheblich geringeren Fläche, gegenüber<br />

der traditionellen Landbehandlung, ein Verfahren zur Abwasserreinigung<br />

in einem aktivierten Bodenkörper, einer sogenannten »Schilf-<br />

Binsen-Kläranlage«, angewandt werden. Die erfolgreiche Verwendung<br />

höherer Pflanzen zur mechanischen, chemischen und bakteriologischen<br />

Reinigung, selbst industrieller Abwässer, ist in jahrelangen Versuchen<br />

wissenschaftlich nachgewiesen worden, so daß neben der Reinigung des<br />

Regenwassers auch die Reinigung von Grauwasser möglich ist. Das<br />

Abwasser sollte nach Durchlaufen des durchwurzelten Filterkörpers<br />

zusätzlich über eine Virbela-Flowform-Wasserkaskade qualitativ aufgewertet,<br />

in einen tieferliegenden ca. 10 bis 20 qm großen Grundwasserteich<br />

gelangen. (Abb.,1)<br />

Ein Teil des gereinigten, dem Teich zufließenden Wassers kann für<br />

Gieß- und Bewässerungszwecke in den Mietergärten und dem Parkbereich<br />

verwendet werden. Auch kann in den Fällen, bei denen die<br />

Sanitärinstallation innerhalb der Wohnungen mit dem Rohr-in-Rohr-<br />

System realisiert wurde, das gereinigte Abwasser für die Toilettenspülung<br />

wiederverwendet werden.<br />

Ein derartiges Kreislaufsystem, das auf der Mehrfachnutzung von<br />

Regen- und Grauwasser basiert, ist<br />

• sparsam, da keine Rohstoffe und Fremdenergie verwendet werden,<br />

• ökologisch, da die Umwelt nicht mit Abfallstoffen belastet wird,<br />

• human, da die Mieter sich in den wohnungsnahen Gärten und im<br />

Park erholen können.<br />

Zum Schluß sei noch ein Vorhaben erwähnt, welches die Installation<br />

einer Grauwasserkaskade an einer Brandwand, die mit Limnophyten<br />

(Binsen, Schwertlilien usw.) bepflanzt wird, und Rückführung des teilgereiriigten<br />

Wassers in das Wohnhaus zur Wiederverwendung als Spülwasser<br />

für Toiletten vorsieht.<br />

Die oben beschriebene Anlage zur direkten Wärmerückgewinnung<br />

155


Abb. I: Experimentalprojekt zur Reinigung und Sammlung des Oberflachenwassers<br />

im Block 104 zur Anreicherung von Grundwasser.<br />

aus Grauwasser (- mäßig verschmutztes Abwasser aus Bade-, Brausewannen,<br />

Waschbecken, Waschmaschinen und Spülmaschinen), die rund<br />

ein Drittel der Energie für die Warmwasserbereitung zurückgewinnt,<br />

entläßt das abgekühlte Grauwasser aus dem Abwasserspeicher entweder<br />

in die städtische Kanalisation oder durch die Installation einer kleinen<br />

Abwasserpumpe in einen »aktivierten Bodenkörper«.<br />

Nachdem das Grauwasser mehrere bepflanzte Bodenkörper durchlaufen<br />

hat, kann das Wasser wieder in das Haus - Oranienstraße 204 -<br />

zurückgeführt werden.<br />

Für eine Wiederverwendung des Wassers bei der Toilettenspülung<br />

wurde bereits die Installation zweier Toiletten so weit vorbereitet, daß<br />

156


durch die Verwendung des SNIPEX-Rohr-in-Rohr-Systems eine Umstellung<br />

auf eine andere Wasserqualität ohne zusätzlichen Installationsaufwand<br />

zu realisieren ist. Die zu installierende Pumpe müßte lediglich<br />

den Druckverlust in den Rohrleitungen und den Spülkästen überwinden.<br />

157


Zwischenbilanz


Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

<strong>Öko</strong>logisch Planen und Bauen<br />

im Rahmen der Internationalen<br />

Bauausstellung<br />

Als Ende der siebziger Jahre die 4. Bauausstellung in Berlin mit dem<br />

Schwerpunkt »die Innenstadt als Wohnort« geplant wurde, tauchte<br />

gleichzeitig mit diesem Hauptthema der Begriff »<strong>Stadt</strong>reparatur« auf.<br />

Nach einer Wiederaufbauphase, in der Planer die Innenstädte zu monofunktionalen<br />

Einkaufsghettos umfunktionierten und damit mehr zerstört<br />

hatten als der 2. Weltkrieg, sollte nun behutsam und integriert<br />

gerettet werden-, was zu retten war. <strong>Stadt</strong>repafatur bedeutet Erhaltung<br />

anstatt Vernichtung von bestehenden Ressourcen, von physisch materiellem<br />

Baubestand wie auch sozialen Strukturen. Es sollte, interpretiert<br />

man die erste Senatsvorlage richtig, im weitesten und auch im engeren<br />

Sinne »ökologisch« richtig geplant und auch gebaut werden. Man wies<br />

nicht nur auf die Bedeutung der Spontanvegetation auf den Freiflächen<br />

der ehemaligen Bahnhofsgelände in und am Rand von Gebieten der<br />

Bauausstellung hin, sondern verlangte auch eine Synthese widersprüchlicher,<br />

technischer und sozialer, öffentlicher und privater, geschichtlicher<br />

und zukünftiger Planungsanforderungen sowie ein neues Umweltbewußtsein,<br />

welches bau-technologische Entwurfsmethoden entscheidend<br />

verändern sollte.<br />

Wie diese richtigen allgemeinen Forderungen im Detail in die Praxis<br />

umgesetzt werden sollen, blieb den Planern und Architekten überlassen,<br />

die angestellt wurden, die Internationale Bauausstellung (IBA) 1984/87<br />

in die Wege zu leiten. Dabei standen die einen vor der Aufgabe, sich in<br />

die komplexen Probleme geographisch begrenzter Bereiche einzuarbeiten,<br />

die anderen, Arbeitsgrundlagen für bestimmte übergreifende Probleme,<br />

die für alle Gebiete von Bedeutung sind, zu erstellen. Zur<br />

letzteren Gruppe zählt in der Forschungsabteilung auch der Bereich<br />

<strong>Öko</strong>logie/Energie. Hier, wie auch in anderen Bereichen, stellte es sich<br />

bald heraus, daß es zwar eine große Anzahl von guten Ideen und<br />

theoretischen Forderungen gab, aber noch wenig realisierte Beispiele, an<br />

denen überprüft werden konnte, inwieweit solche Ansätze für größere<br />

Gebiete - die IBA umfaßt einen <strong>Stadt</strong>bereich mit 150000 Einwohnern -<br />

anwendbar sein würden. Wo es bauökologische Beispiele gab, waren sie<br />

161


entweder in ländlichen Gebieten oder Vorstädten angesiedelt und damit<br />

kaum auf innerstädtische Problembereiche übertragbar.<br />

Was für Einzelthemen wie <strong>Stadt</strong>klima, Grünplanung, Immissionsschutz<br />

und Abfall- und Abwasser-Recycling galt, traf natürlich für eine<br />

ökologische Synthese all dieser Einzelthemen, etwa in einem ökologischen<br />

Siedlungskonzept, erst recht zu. Die erste Aufgabe des Forschungsbereiches<br />

<strong>Öko</strong>logie/Energie war es deshalb, eine möglichst umfassende<br />

Informationsbasis und einen kontinuierlichen Dialog zwischen<br />

<strong>Öko</strong>logiefachleuten, Planern, Architekten und Betroffenen herzustellen.<br />

Das erste <strong>Öko</strong>logiesymposium im Herbst 1980, welches in Zusammenarbeit<br />

mit verschiedenen Experten aus Berlin und Westdeutschland<br />

organisiert wurde, war als Einstieg in die Problematik, als erster Überblick<br />

und Anregung gedacht. Das Hauptkriterium für die Auswahl von<br />

Themen und Referenten war, <strong>Öko</strong>logie möglichst umfassend und anwendungsbezogen<br />

darzustellen. Der Andrang zu dieser Veranstaltung,<br />

die insgesamt knapp 1000 Besucher zählte, zeigte das große Interesse<br />

der Öffentlichkeit an dem Thema und der Möglichkeit, ökologische<br />

Beispiele und Planungen in Berlin realisiert zu sehen. Viele der Beiträge<br />

in diesem Buch sind in diesem Zusammenhang entstanden oder haben<br />

wesentlich zur Erstellung von Grundlagen für ökologische Ansätze und<br />

Projekte in der IBA beigetragen.<br />

Eine einmalige Informations- und Diskussionsveranstaltung dieser<br />

Art, das zeigte sich bald immer deutlicher, reicht jedoch nicht aus, um<br />

ein Umdenken im Kreis der Planenden und der Betroffenen zu schaffen.<br />

Deshalb fanden 1980 und 1981 in der IBA monatliche »<strong>Öko</strong>lloquien«<br />

statt, in denen Fachleute, Projektbearbeiter und Betroffene, sowohl<br />

über den Fortschritt der Arbeit an einzelnen Projekten wie auch über<br />

spezielle Themen diskutierten. Diese Treffen waren für alle Interessenten<br />

offen und wurden von wechselnden Gruppierungen benutzt, um sich<br />

zu informieren oder auch bestimmte Anliegen in die Arbeit der IBA<br />

einzubringen.<br />

Die »<strong>Öko</strong>lloquien« sollten weiterhin den einzelnen Fachleuten zur<br />

Vernetzung ihres Bereiches mit den Interessen anderer Bereiche dienen.<br />

Diese Arbeit war oft schwierig, weil fachliche Konzepte und Fachsprache<br />

dem Verständnis und der interdisziplinären Zusammenarbeit im<br />

Wege stehen. Es war deshalb für das Einbringen ökologischer Gesichtspunkte<br />

in die konkrete Planung auch Übersetzungsarbeit und ein ständiges<br />

Bemühen um Zusammenarbeit erforderlich. Ein Beispiel, wo dies<br />

glückte, ist das Grünkonzept für die Südliche Friedrichstadt, welches<br />

von einem <strong>Stadt</strong>planer, einem Klimatologen und einer Grünplanerin<br />

zusammen erarbeitet wurde. Dieses Gutachten wurde im Verlauf der<br />

Planung zur Hilfestellung für die Betroffenen, die sich damit auch gegen<br />

162


eine zu einseitige Betonung von ästhetischen und geschichtlichen Prioritäten<br />

im Neubaubereich der IBA wandten (siehe Band 2).<br />

Der Stellenwert des ersten Symposiums für die Arbeit der Bäuausstellung<br />

wäre aber zweifelsohne unvollständig wiedergegeben, wenn nur die<br />

Schaffung einer breiten Informationsbasis und Arbeitsgrundlage erwähnt<br />

würde. Das wichtigste Ziel war es, konkrete Experimente anzuregen und<br />

in die Wege zu leiten, um endlich den Schritt zur Überprüfbarkeit in der<br />

Praxis zu vollziehen. Anhand verschiedener Demonstrationsprojekte soll<br />

aufgezeigt werden, wie eine ökologisch sinnvolle Belebung und Verbesserung<br />

von Berliner <strong>Stadt</strong>quartieren geschehen kann.<br />

Als ein solches Pro j ekt sei an erster Stelle die weitgehende Erhaltung der<br />

Anhalter und Potsdamer Personen- und Güterbahnhofsflächen genannt.<br />

Diesem Ziel wird inzwischen, trotz zahlreicher Widerstände, in der<br />

Planung Rechnung getragen. Hier kann die Verbindung von Natur und<br />

Bauen, von schützenswerten Landschaftsteilen und Wohnen ein innerstädtisches<br />

ökologisches Experiment ergeben, welches die Regeneration<br />

von Tier, Pflanze und Mensch in Erlebnis- und Erholungsraum verbindet.<br />

Zwei' städtische Blöcke mit ca. 300 bis 500 Wohneinheiten, der eine<br />

Block 108 im <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebiet, der andere am Askanischen Platz in<br />

einem Neubaugebiet, sollten auf die Möglichkeiten der Vernetzung der<br />

oben genannten Einzelmaßnahmen hin untersucht werden. Beides gelang<br />

an den oben genannten Standorten aus den verschiedensten Gründen<br />

nicht, wird aber von denselben Fachleuten an anderer Stelle erprobt. Die<br />

am Block 108 geplanten Maßnahmen sollen in modifizierter Form beim<br />

Umbau der Parkgarage Dresdener Straße zu einer Kindertagesstätte<br />

Anwendung finden. Die Planung, die Frei Otto und Hermann Kendel für<br />

den Standort Askanischer Platz erstellten, soll modifiziert als Baumhaus<br />

am Tiergarten verwirklicht werden (siehe Band 2).<br />

Das »Naturhaus« für Berlin, eine Übersetzung des schwedischen<br />

Einfamilienhauses von Bengt Warne auf Berliner Verhältnisse, wurde<br />

zuerst für ein Grundstück am Fraenkelufer, dann für den Block 104 und<br />

jetzt am Moritzplatz geplant. An den beiden ersten Standorten entstehen,<br />

in dem mit Freiflächen völlig unterversorgten Gebiet, kleine,<br />

wohnungsnahe Parks. Am Moritzplatz könnte das Naturhauskonzept<br />

eine bestimmende Rolle für die Neugestaltung des gesamten <strong>Stadt</strong>platzes<br />

bekommen.<br />

Nur die »ökologischen Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum« haben<br />

ihren Standort in der ehemaligen Schokoladenfabrik nicht wechseln<br />

müssen. Wasser- und Energiesparmaßnahmen, die Begrünung von Höfen,<br />

Fassaden und Dächern, Dachgewächshäuser und Abfallrecycling<br />

waren dort von Anfang an Bestandteil des Konzeptes zur Verwandlung<br />

städtischen Brachlandes in eine menschenwürdige Umgebung durch die<br />

Frauengruppe »die Wüste lebt« (siehe Band 2).<br />

163


Neben diesen ökologisch integrierten Projekten, die alle auf unterschiedliche<br />

Weise einen anderen Umgang mit natürlichen Ressourcen<br />

demonstrieren, wurden vor allem für die Bereiche Grün, Abfall und<br />

Energie auch »flächendeckende« Ansätze erarbeitet.<br />

Untersuchungen der Landschaftsplanerinnen Inge Maass, Katrin Rating<br />

und Rose Fisch führten über die IBA-Gebiete hinaus zu einem für<br />

alle Berliner Bezirke offenen, vom Senat mit 2,5 Mio. DM geförderten,<br />

Hofbegrünungsprogramm.* In Verbindung mit Verkehrsberuhigungsmaßnahnien<br />

und der Neugestaltung von Straßen und Plätzen dient die<br />

Begrünung von Höfen, Fassaden und Dächern der Verbesserung des<br />

Freizeitwertes in den hochverdichteten Innenstadtgebieten.<br />

Als zweite flächendeckende Maßnahme wird in Zusammenarbeit mit<br />

den Landschaftsplanern der IBA, Selbsthilfegruppen, den zuständigen<br />

Firmen sowie den Berliner <strong>Stadt</strong>reinigungsbetrieben ein Abfall-Recyclingprogramm<br />

entwickelt. Dabei soll, neben der Trennung der Fraktionen<br />

Glas und Papier, auch überprüft werden, inwieweit organische<br />

Abfälle in größeren Höfen und auf Freiflächen kompostiert werden<br />

und damit unmittelbar zur Unterstützung von Begrünungsprojekten<br />

beitragen können. Versuchsweise soll auch die Trennung von Schadstoffen<br />

(Öl, Farben, Medikamente usw.) und die Rückführung zu den<br />

entsprechenden Geschäften oder zu einer Recyclingbörse erprobt werden.<br />

Im komplexen Energiesektor haben wir uns schwerpunktmäßig mit<br />

zwei Problembereichen befaßt, einmal mit der Einführung der Fernwärme<br />

und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die <strong>Stadt</strong>erneuerung<br />

und Kreuzberg. Die Frage war, ob die Fernwärme zum Vorreiter<br />

der Erneuerung durch umfassende Baumaßnahmen werden sollte. Dies<br />

wurde entschieden abgelehnt, weil damit Heizkostensteigerungen in<br />

einer für die dort ansässige Bevölkerung untragbaren Höhe entstanden<br />

wären. Deshalb mußte einerseits der weitere Ausbau der Fernwärme<br />

verhindert, aber gleichzeitig auch eine andere Lösung für eine Verringerung<br />

der Luftbelastung und Verbesserung der Heizsysteme gefunden<br />

werden. Die Lösung bestand in einer Verbesserung der Einzelofenheizung,<br />

kombiniert mit Wärmedämmaßnahmen und veränderten Nutzungskonzepten.<br />

Diese Kombination war ökonomisch vertretbar und<br />

entsprach dem Konzept der »behutsamen Erneuerung« in Kreuzberg.<br />

Der Ansatz führte im weiteren zu dem Konzept »mittlerer Heizkomfort«,<br />

welcher einen zentralen Gasofen mit einer verbesserten Einzelofenheizung<br />

verbindet und in Verbindung mit anderen Maßnahmen die<br />

Schadstoffimmission um etwa 50% verringert.<br />

* 1984 sollen im Rahmen dieses Programms allein in Kreuzberg über 200 Höfe begrünt<br />

werden.<br />

164


Zusammenfassend kann nach diesen ersten vier Jahren der Arbeit im<br />

Bereich <strong>Öko</strong>logie/Energie gesagt werden, daß die Probleme in den<br />

meisten Fällen weniger technischer als sozialer und psychologischer<br />

Natur sind. Verhaltensnormen, gesetzliche und Finanzierungsvorschriften<br />

und Fachausbildung zementieren die Existenz zentraler Systeme der<br />

Ver- und Entsorgung. Diese haben uns wohl in mancher Hinsicht<br />

unabhängiger, wie auch in vieler Hinsicht abhängiger gemacht. Der<br />

Vorteil der Unabhängigkeit wird aber immer mehr durch zunehmende<br />

Kosten und Umweltverschmutzung aufgewogen. Deshalb muß die IBA<br />

den Freiraum, der ihr zugestanden wurde, innovativ zu planen, soweit<br />

wie möglich nutzen, ökologisch richtig, das heißt u.a. auch dezentral<br />

planen. Planer, Architekten und Bewohner müssen bequem gewordene<br />

Gewohnheiten und Prämissen aufgeben und sich mit neuen Ansätzen<br />

vertraut machen. Die Zusammenarbeit mit Mietern und Betroffenen in<br />

Kreuzberg und in der Südlichen Friedrichstadt zeigt, daß die Betroffenen<br />

ökologischen Ansätzen weitaus positiver gegenüberstehen, als die<br />

meisten Fachleute annehmen. Deshalb ist die wichtigste Voraussetzung<br />

für die Maßnahmen zur ökologischen Regeneration der <strong>Stadt</strong> die Entwicklung<br />

eines Handlungsspielraumes für die Bewohner, welche die<br />

Verantwortung für Pflege und Schutz ihrer unmittelbaren natürlichen<br />

Umwelt übernehmen wollen.<br />

Dieser Spielraum wird jedoch nur entstehen, wo die Bewohner entweder<br />

Eigentümer werden oder eine langfristige Perspektive haben, daß sie<br />

in dem Gebiet, in dem sie wohnen, auch bleiben können. Steigende<br />

Mietpreise und Heiz- und Bewirtschaftungskosten, die nicht der Einkommensentwicklung<br />

oder der sozialen Situation angepaßt sind, sowie<br />

Verdrängung der Bewohner durch planerische und Baumaßnahmen,<br />

sind der sichere Tod eines »ökologischen« Handelns im Sinne von<br />

Partnerschaft mit der Natur. Der permanente Kampf um die Sicherung<br />

dieser wichtigsten Voraussetzungen sowie die Eigentumsverhältnisse<br />

und Finanzierungsrichtlinien für die Sanierung in Kreuzberg haben dazu<br />

geführt, daß wichtige ökologische Maßnahmen bisher bei der Sanierung<br />

unterblieben sind. Ähnliches läßt sich bei der Umsetzung der Neubauprojekte<br />

in der Südlichen Friedrichstadt und im Tiergarten voraussehen,<br />

wenn die beteiligten Planer neben den architektonischen nicht auch die<br />

ökologischen Kriterien stärker in die Planung einbeziehen.<br />

Wenn man abschließend die in der IBA-Arbeit zutage getretenen<br />

Konflikte benennen sollte, so könnte man sie - stark vereinfacht - in<br />

drei Kategorien einteilen, als Konflikte zwischen:<br />

1. <strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie<br />

2. <strong>Öko</strong>logie und Ästhetik und<br />

3. <strong>Öko</strong>logie und Grün<br />

165


1. Der Konflikt zwischen <strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie resultiert aus der<br />

Tatsache, daß die meisten ökologischen Maßnahmen von den Kapitalkosten<br />

her teurer sind als herkömmliche Baumaßnahmen, die IBA<br />

aber über keine zusätzlichen Durchführungsmittel verfügt. Im Rahmen<br />

der »behutsamen <strong>Stadt</strong>erneuerung« des Konzeptes der einen<br />

Hälfte der IBA (auch »IBA-arm« genannt) wird gerade aber versucht,<br />

die Kosten für Erneuerungsmaßnahmen und damit Mietsteigerungen<br />

möglichst gering zu halten, um eine Vertreibung der jetzigen<br />

Bewohner aus dem Sanierungsgebiet aus Kostengründen zu vermeiden.<br />

Im Neubaugebiet (auch »IBA-reich« genannt) müssen die anspruchsvollen<br />

architektonischen Pläne im Rahmen ganz normaler<br />

Richtlinien des sozialen Wohnungsbaues finanziert werden. Da bleibt<br />

für ökologische Mehrkosten wenig Spielraum.<br />

Noch zahlt sich die Einsparung nicht erneuerbarer Ressourcen in<br />

vielen Fällen nicht aus. Damit entfällt der unmittelbare ökonomische<br />

Anreiz, Zeit und Geld zu investieren, um Energie, Wasser und<br />

Rohstoffe so intensiv zu schonen, daß auch für Kinder und Kindeskinder<br />

noch etwas übrigbleibt.<br />

Der Vorrang ökonomischer Gesichtspunkte gegenüber arideren<br />

Werten, die unser Leben lebenswert machen, resultiert jedoch nicht<br />

nur aus menschlicher Kurzsichtigkeit, sondern auch aus einem Konstruktionsfehler<br />

in unserem Geldsystem, wie Helmut Creutz in seinem<br />

Beitrag nachweist. Ebensowenig, wie dieser Konstruktionsfehler im<br />

Rahmen der IBA behoben werden kann, werden wir all jene Verschwendung,<br />

die sich aus dem monströsen Verpackungsaufwand, der<br />

Zunahme des Privatverkehrs und anderen Konsumansprüchen ergibt,<br />

allein durch planerische und bauliche Maßnahmen eindämmen<br />

können. Gehen wir jedoch von der Annahme aus, daß jeder Schritt<br />

in die richtige Richtung, auch bei der Erstellung und Erneuerung von<br />

Wohnraum, ein Beitrag zur Lösung der Gesamtproblematik sein -<br />

oder auch umgekehrt zur Verschärfung der Konflikte beitragen<br />

kann -, so bieten sich, wie der Kriterienkatalog zeigt, eine Reihe von<br />

Möglichkeiten, die wenig kosten und heute schon wirksam eingesetzt<br />

werden können. Diese Möglichkeiten konkreter als bisher zu definieren<br />

und in die Planung einzubringen ist eine Aufgabe der <strong>Öko</strong>beratergruppe<br />

in der IB A (siehe B and 2).<br />

2. Der Gegensatz zwischen <strong>Öko</strong>logie und Ästhetik resultiert nicht nur<br />

aus unterschiedlichen Prioritäten beim Entwurf auf seiten der Architekten,<br />

sondern auch aus einem anderen Verhältnis zur »Aneignung«<br />

von Architektur durch die Nutzer. Architekten, die Architektur in<br />

erster Linie als Baukunst sehen - eine wichtige Zielsetzung im<br />

Rahmen des IBA-Neubaubereiches -, sind weniger geneigt, eine<br />

Übernahme und Veränderung ihres Kunstwerkes durch die Nutzer<br />

166


zuzulassen. Architekten, die Architektur in erster Linie als Ergebnis<br />

eines sozialen Prozesses der Aneignung durch die Bewohner betrachten,<br />

werden dagegen bestrebt sein, genau diesem Aspekt der Veränderung<br />

und der Veränderbarkeit durch entsprechende Freiräume und<br />

Freiflächen Rechnung zu tragen.<br />

Auch wenn viele ökologische Maßnahmen (z.B. Wasser- und<br />

Energiesparen, Recycling und die Auswahl biologisch richtiger Baustoffe)<br />

durchaus mit dem Anspruch, Baukunstwerke zu schaffen,<br />

vereinbar wären, setzt die erforderliche Umstellung im Verhalten der<br />

Nutzer im Umgang mit solchen Systemen auch eine andere Zusammenarbeit<br />

zwischen Nutzer und Architekt und einen anderen Aneignungsprozeß<br />

von Architektur voraus. Vielleicht ist es deshalb so<br />

schwierig, Architekten mit vorwiegend ästhetischen Prioritäten für<br />

ökologische Ansätze zu begeistern. Umgekehrt gibt es bisher nur<br />

wenig ökologisch ausgebildete Architekten, die ästhetisch befriedigende<br />

Lösungen, vor allem im städtischen Raum, geschaffen haben.<br />

Die meisten Energiesparhäuser wirken eher langweilig. Inwieweit die<br />

jetzt im Rahmen der IBA geplanten <strong>Öko</strong>-Projekte beiden Seiten, der<br />

<strong>Öko</strong>logie und der Ästhetik, gerecht werden können, bleibt abzuwarten.<br />

Das Ziel muß natürlich die Integration beider Ansprüche sein.<br />

Wie unterschiedlich die Wege dahin sind, beweisen die ersten in der<br />

IBA geplanten Projekte von Frei Otto/Hermann Kendel, Bengt<br />

Warne/Jo Glässel, der Oekotop und der Gruppe »die Wüste lebt«.<br />

3. Die Beziehung zwischen <strong>Öko</strong>logie und Grün wird nur dort zum<br />

Konflikt, wo immer noch gegen die traditionelle Vorstellung, <strong>Öko</strong>logie<br />

und Grünplanung seien ein Und dasselbe, angekämpft werden<br />

muß. Ein paar Kreise mit der Schablone als Andeutung für Bäume<br />

und Büsche auf übriggebliebenen Restflächen zwischen Gebäuden,<br />

das ist oft alles, was von Architekten in bezug auf das Thema<br />

»<strong>Öko</strong>logie« erwartet und getan wird. Um Wasser- und Energiesparmaßnahmen<br />

sollen sich die zuständigen Fachingenieure kümmern,<br />

um die Abfallbeseitigung die kommunale Müllabfuhr, und um die<br />

richtigen Baustoffe die Baustoffindustrie. Daß all dies nicht mehr<br />

ganz stimmt, wissen die meisten Architekten. Aber die Aneignung<br />

des notwendigen Wissens und die Durchsetzung der erforderlichen<br />

Maßnahmen in die Praxis ist zeitraubend und kostspielig. Weder die<br />

Ausbildung noch die Praxis der Architekten, Landschaftsplaner,<br />

Heizungs- und Wasserfachleute begreift »die Sicherung der biologischen<br />

Lebensgrundlagen« heute als eines der wichtigsten Ziele ihrer<br />

Arbeit.<br />

Die besten Partner bei der Umsetzung ökologischer Ansätze sind nach<br />

den Erfahrungen der letzten vier Jahre die Mieter selbst, die langfristig<br />

167


davon profitieren. Besonders aktiv sind hier die Selbsjhilfegruppen, in<br />

deren Programmen sich die in der IBA erarbeiteten ökologischen Zielsetzungen<br />

deutlich widerspiegeln.<br />

Unter den Selbsthilfegruppen sind wiederum diejenigen am aktivsten<br />

an der Erprobung ökologischer Ansätze beteiligt, die in besetzten<br />

Häusern zeitweilig einen rechtsfreien Experimentierraum besaßen. Hier<br />

wurden Grauwassersysteme aus alten Saftbehältern und ausgebauten<br />

Waschmaschinenregelteilen gebastelt, hier wurde kompostiert, Freiflächen<br />

auf Höfen, Fassaden und Dächern begrünt, Gemüse, Salat und<br />

Kräuter produziert, und alles, was möglich war, weiterverwandelt, vom<br />

Bauschutt bis zu alten Türen, Fenstern und Kleidern.<br />

Wer den Stolz und die Begeisterung erlebt hat, mit dem sich die meist<br />

jugendlichen Besetzer ökologischen und sozialen Projekten widmen,<br />

dem muß unsere gewohnte Planungs- und Baupraxis noch widersinniger<br />

erscheinen, als sie ohnehin schon ist. Die der bisherigen <strong>Stadt</strong>planungsund<br />

Baupraxis zugrunde liegenden Gesetze haben der Erosion der<br />

biologischen Lebensgrundlagen in der <strong>Stadt</strong>, der Vergiftung der Luft,<br />

des Wassers und der Nahrung, der zunehmenden Verteuerung des<br />

Wohnraums und der Zubetonierung unserer Städte nicht Einhalt bieten<br />

können. Trotzdem halten noch immer viele politische Entscheidungsträger<br />

ökologische Ansätze, die Überlebensmöglichkeiten in den Städten<br />

sichern könnten, für einen »utopischen Idealismus«.<br />

<strong>Öko</strong>logisches Bauen ist keine neue technologische Utopie, sondern<br />

baut auf ein anderes soziales und kulturelles Verständnis, welches dem<br />

großtechnischen Wahnsinn im Sinne von Herrschaft des Menschen über<br />

die Natur ein neues Weltbild vom Leben des Menschen mit der Natur<br />

entgegensetzt. Diesen gemeinsamen Prozeß des Umdenkens, des Planem<br />

und Realisierens ein Stück weiterzubringen, ist die Aufgabe der<br />

IBA in den kommenden Jahren.<br />

168


Die Autoren<br />

Axt, Günter, Prof. Dr., Fachbereich Technischer Umweltschutz, Technische<br />

Universität, Berlin.<br />

Creutz, Helmut, Dipl.-Arch., Publizist, Aachen.<br />

Güterbock, Gabriele, Dipl.-Ing., Mitarbeiterin des Instituts für Abfallwirtschaft,<br />

Technische Universität, Berlin.<br />

Hämer, Gustav, Prof. Dr., Planungsdirektor für den Bereich »<strong>Stadt</strong>erneuerung«<br />

bei der Internationalen Bauausstellung (IBA), Berlin.<br />

Hubert, Bensu, freie Mitarbeiterin bei der Internationalen Bauausstellung<br />

(IBA), Bereich »Getrennte Abfallsammlung«, Berlin.<br />

Hundertwasser, Friedensreich, Kunstmaler, Wien.<br />

Krause, Florentin, Dr., wissenschaftlicher Publizist, zur Zeit in Kalifornien.<br />

Krusche, Per, Freier Architekt und <strong>Öko</strong>loge, seit 1975 beratend tätig,<br />

Tittmoning/B äyern.<br />

Lötsch, Bernd, Dr., Universitäts-Dozent, Österreichische Akademie<br />

der Wissenschaften, Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz,<br />

Wien.<br />

Mauer, Willi, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Internationalen Bauausstellung<br />

(IBA), Berlin.<br />

Rottkord, Franz, Dipl.-Ing., Mitarbeiter des Instituts für Abfallwirtschaft,<br />

Technische Universität, Berlin.<br />

Schenkel, Werner, Prof. Leiter des Fachbereichs III: Abfallwirtschaft -<br />

Wasserwirtschaft, Umweltbundesamt, Berlin.<br />

Thomas, Peter, Installateur und Dipl.-Ing., Berater für alternative Wasserversorgungssysteme,<br />

u.a. für die IBA.<br />

Vester, Frederic, Prof. Dr., Studiengruppe für biologie und umweit,<br />

München.<br />

169


fischer Perspektiven<br />

fischer alternativ<br />

K. William Kapp<br />

Erneuerung der Sozialwissenschaften<br />

Ein Versuch zur Integration und Humanisierung<br />

Band 4161<br />

Die Sozialwissenschaften spezialisieren sich immer<br />

mehr. Nur eine neue Grundlegung der Sozialwissenschaften,<br />

die sich an der menschlichen Natur und deren<br />

Bedürfnissen orientiert, vermag die oft unmenschlichen<br />

Folgen einer sich »wertfrei« begreifenden Sozialwissenschaft<br />

zu überwinden.<br />

Klaus Heinrich<br />

Vernunft und Mythos<br />

Ausgewählte Texte<br />

Band 4162<br />

Nur eine Kritik, die den Mythos ernst nimmt, vermag den<br />

Begriff des Mythos für die Sinnkrise in unserer Gesellschaft<br />

fruchtbar zu machen.<br />

»Die Wirklichkeitssubstrate abstrakter Begriffe aufzuzeigen,<br />

logische Forme(l)n auf in ihnen abgelagerte<br />

lnhaltehinzuentziffern,istHeinrich'sRuhm«. DIEZEIT<br />

Horst von Gizycki<br />

Arche Noah '84<br />

Zur Sozialpsychologie gelebter Utopien<br />

Band .4163<br />

Hier wird eine Arche entworfen, die die Menschen nicht<br />

erst nach der Katastrophe rettet, sondern dazu beitragen<br />

soll, die Katastrophe zu vermeiden. In einem Aufriß<br />

einer Sozialpsychologie »gelebter Utopien« sucht der<br />

Autor kritisch nach Prinzipien und Möglichkeiten einer<br />

alternativen Praxis, wie sie sich schon in vielen Gemeinschaftsprojekten<br />

zeigt.<br />

Fischer Taschenbuch Verlag<br />

fillO/la


fischer Perspektiven -<br />

fischer alternativ<br />

Klaus Gretschmann<br />

Wirtschaft im Schatten<br />

von Markt und Staat<br />

Grenzen und Möglichkeiten einer Altemativ-<strong>Öko</strong>nomie<br />

Band 4164<br />

Eine zusammenfassende Darstellung der Prinzipien<br />

einer Altemativ-<strong>Öko</strong>nomie, die einen Ausweg aus der<br />

Wirtschaftskrise eröffnen kann. Wiesiehtder »informelle«<br />

Bereich einer Volkswirtschaft aus, in dem weniger<br />

profitiert, sondern bedarfsorientiert produziert und soziale<br />

Dienstleistungen erbracht werden?<br />

Hansjörg Hemminger<br />

Der Mensch - eine Marionette der Evolution?<br />

Eine Kritik an der Soziobiologie<br />

Band 4165<br />

Eine kritische Auseinandersetzung eines Biologen mit<br />

der Soziobiologie, die die Gesetze der biologischen<br />

Entwicklung auf gesellschaftliche Prozesse überträgt<br />

und so dem »Sozialdarwinismus« Tür und Tor öffnet.<br />

Ein Versuch, eines engagierten Wissenschaftlers, den<br />

Menschen von Natur aus als Kulturwesen zu begreifen.<br />

Wolf Schäfer (Hrsg.)<br />

Neue Soziale Bewegungen<br />

Konservativer Aufbruch in buntem Gewand?<br />

Band 4166<br />

Eine kontroverse Auseinandersetzung über das Theorieverständnis<br />

der <strong>Öko</strong>logie- und Alternativbewegung.<br />

Eine Standortbestimmung über diese Bewegung von<br />

Betroffenen und Außenstehenden.<br />

Diese Texte befassen sich mit umstrittenen Themen wie<br />

»Glaube an das Volk«, »neue Mütterlichkeit« und<br />

»Formen des Widerstandes«.<br />

Fischer Taschenbuch Verlag<br />

fi 110/lb


fischer Perspektiven<br />

fischer alternativ<br />

Günter Altner (Hg.)<br />

Die Welt als offenes System<br />

Eine Kontroverse um das Werk von llya Prigogine<br />

Band 4168<br />

Die bisherige wissenschaftliche Entwicklung kann für<br />

den weiteren zivilisatorischen Fortschritt nicht ohne<br />

Folgen bleiben. Die modernen Industriegesellschaften<br />

werden immer komplexer, welche Perspektiven<br />

positiver oder negativer Art zeigen sich dabei?<br />

Ferdinand W.Menne<br />

Eigensinn und Selbsthilfe<br />

Über das Recht auf einen kleinen Alltag<br />

Band 4169<br />

Die Alternativen können nur überleben, wenn sie sich<br />

das Recht auf den kleinen Alltag erkämpfen. Wer den<br />

»kleinen Leuten« lebensnotwendige Sicherheiten entzieht,<br />

handelt nicht nach dem Subsidiaritätsprinzip. Nur<br />

eine aktive Förderung der Alternativen und Stärkung<br />

von Eigensinn, Eigenwillen und Eigenmacht der<br />

Kleinen vermag dies zu erreichen.<br />

Bettina Jansen/Brigitte von der Twer<br />

Für einen anderen Umgang mit der Natur<br />

Wider männliche Beherrschung und<br />

Zerstörung der Natur<br />

Band 4171<br />

Eine Analyse der Umweltzerstörung durch eine sich nur<br />

männlich begreifende Naturwissenschaft und deren<br />

Neugestaltung, indem weibliche Erfahrung zu einem<br />

neuen wissenschaftlichen Kriterium gemacht wird. Nur<br />

so läßt'sich eine geschlechtsspezifische Aneignung<br />

von Umwelt überwinden.<br />

Fischer Taschenbuch Verlag<br />

fi 110/lc


Die Veränderung der Zukunft<br />

Anders leben - überleben<br />

Herausgegeben von H.-J. Bahr/R. Gronemeyer. Band 4002<br />

Die Grenzen des Wachstums sind genügend aufgezeigt worden.<br />

Katastrophenfixierung und Krisentheorie führen nicht weiter.<br />

Deshalb votieren in diesem >Brennpunkte


Die Veränderung der Zukunft<br />

Helmut Swoboda<br />

Der Kampf gegen die Zukunft<br />

Band 4004<br />

Helmut Swoboda hat sich mit seinem Buch über Utopien einen<br />

Namen gemacht. Auch im vorliegenden Buch geht der Autor<br />

von der Utopie einer kreativen Gesellschaft aus, in der sich<br />

jeder entfalten kann. Dabei malt Swoboda nicht ein Schlaraffenland<br />

an die Wand, er geht vielmehr in schriftstellerischer<br />

Detailarbeit an die Analyse unseres Alltags. Dabei kommt der<br />

Autor zum Schluß, daß wir uns durch eine »realistische«<br />

Lebensweise den Weg in die Zukunft selber verbauen. Auf der<br />

einen Seite halten wir an starren Strukturen fest, um andererseits<br />

den Fortschritt aus kurzfristigen Überlegungen immer<br />

weiter voranzutreiben. Bestehendes, das wir einst in bester<br />

Absicht geschaffen haben, verliert so seinen Sinn, wodurch<br />

auch die Zukunft immer sinnloser wird.<br />

Wege aus der Wohlstandsfalle<br />

Der NAWU-Report:<br />

Strategien gegen Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung<br />

Herausgegeben von H. Chr. Binswanger/Werner Geissberger/<br />

Theo Ginsburg. Band 4030<br />

Die Ratlosigkeit der offiziellen Wirtschaftspolitik erfordert mutige<br />

und realisierbare Konzepte, die in Neuland vorstoßen.<br />

Solange die Alternative auf umweltschädigendes Wachstum<br />

oder Arbeitslosigkeit beschränkt wird, öffnet sich kein Weg aus<br />

der Wohlstandsfalle. Eine Strategie wie man<br />

Lebensqualität und Vollbeschäftigung<br />

erreichen kann, hat die Schweizer<br />

Gruppe für »Neue Analysen Wirtschaft<br />

Umwelt« (NAWU) entworfen. Dabei<br />

zeigt es sich immer mehr, daß<br />

unser Lebensstil überhaupt zur<br />

Diskussion steht. Wir müssen<br />

unsere Vorstellungen über die<br />

industrielle Massenproduktion,<br />

das Geld, die Eigentumsformen<br />

und unsere Art miteinander zu<br />

leben von Grund auf neu<br />

überdenken.<br />

Fischer Taschenbuch Verlag<br />

fi 113/2b


Zur ökologischen Lage der Nation<br />

Der Fischer<br />

<strong>Öko</strong>-Almanach 84/85<br />

Herausgegeben von Gerd Michelsen<br />

und dem Oko-Institut, Freiburg/Br.<br />

fischer alternativ Band 4093<br />

Zum dritten Mal ziehen an die 90 Wissenschaftler, Publizisten<br />

und politisch Engagierte aus der Bundesrepublik<br />

Deutschland in diesem völlig neu überarbeiteten <strong>Öko</strong>-Almanach<br />

eine <strong>Öko</strong>-Bilanz. Wer sich über Arten und Möglichkeiten<br />

der schädlichen Wirkungen großtechnologischer<br />

Produktion informieren will, findet in diesem Almanach<br />

Daten, Fakten und weiterführende Hinweise: Angefangen<br />

bei der Gesundheitssituation des Einzelnen und den Gefahren<br />

beim Hausgebrauch von Chemikalien, über die regionalen,<br />

nationalen sowie internationalen Gefährdungen<br />

durch Rüstung und Industrieproduktion bis hin zur Frage<br />

der Wirtschaftlichkeit von Atomstrom, sozialen Fragen der<br />

neuen Technologien und der Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

durch eine ökologisch orientierte Politik.<br />

In weiterführenden Beiträgen wird<br />

der Rahmen für die neue ökosoziale<br />

Frage abgesteckt. Ein<br />

Anhang mit vielen Adressen und<br />

einem umfangreichen Register<br />

beschließen diesen, für jeden<br />

ökologisch Interessierten<br />

unentbehrlichen Leitfaden.<br />

fi 114/2<br />

Fischer Taschenbuch Verlag


Schon in den siebziger Jahren hatte der<br />

Deutsche Städtetag zur Rettung der Städte<br />

aufgerufen. 19 79 wurde in Berlin die Internationale<br />

Bauausstellung (IBA) gegründet,<br />

die zum Zweck hat, Altstädte anders zu<br />

sanieren als bisher. 1984 zieht die IBA<br />

Zwischenbilanz und zeigt bis Ende 19 84 in<br />

über 20 Ausstellungen Ergebnisse ihrer Arbeit.<br />

In diesem - ersten - Band werden<br />

Grundlagen und Materialien für eine <strong>Öko</strong>­<br />

<strong>Stadt</strong> anschaulich vermittelt.<br />

Originalausgabe<br />

ISB N 3-596-24096-4

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