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Öko-Stadt Band 2 - Kennedy Bibliothek

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<strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Mit der Natur<br />

die <strong>Stadt</strong> planen.<br />

Materialien<br />

zur Internationalen<br />

Bauausstellung<br />

Berlin (IBA).<br />

Herausgegeben<br />

von Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

<strong>Band</strong> 2


BRENNPUNKTE<br />

Oko-<strong>Stadt</strong><br />

Mit der Natur die <strong>Stadt</strong> planen<br />

Materialien zur Internationalen<br />

Bauausstellung Berlin (IBA)<br />

<strong>Band</strong> 2<br />

Herausgegeben<br />

von Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Fischer<br />

Taschenbuch<br />

Verlag


fischer alternativ<br />

Eine Reihe des Fischer Taschenbuch Verlages<br />

Herausgegeben von Rudolf Brun<br />

7.-8. Tausend: März 1986<br />

Originalausgabe<br />

Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,<br />

Frankfurt am Main, Oktober 1984<br />

Umschlagentwurf: Peter Hajnöczky, Zürich<br />

© Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984<br />

Satz: Fotosatz Otto Gutfreund, Darmstadt<br />

Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck<br />

Printed in Germany<br />

880-ISBN-3-596-24097-2


Inhalt<br />

Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Ger Londo<br />

Inge Maass<br />

Hermann Barges<br />

Martin Küenzlen<br />

Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Beugt Warne<br />

Jo Glässel/<br />

Bengt Warne<br />

Frei Otto/<br />

Hermann Kendel<br />

Frei Otto<br />

Ekhart Hahn<br />

Zweiter <strong>Band</strong>: Oko-<strong>Stadt</strong><br />

Mit der Natur die <strong>Stadt</strong> planen<br />

<strong>Öko</strong>logisches Bauen - Planungskriterien<br />

Planungskriterien für ökologisches Bauen<br />

und eine Strategie zur Umsetzung ökologischer<br />

Projekte 7<br />

Grün- und Freiraumplanung<br />

Naturgärten in der <strong>Stadt</strong> 19<br />

<strong>Öko</strong>logie und Geschichte in der Südlichen<br />

Friedrichstadt 26<br />

Erfahrungen und Ideen zur Begrünung in<br />

Kreuzberg 39<br />

Vernetzte Projekte<br />

Was hat Oekotop in Kreuzberg vor? 61<br />

<strong>Öko</strong>logische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum<br />

in Berlin-Kreuzberg 79<br />

Das Naturhuset 91<br />

Ein Naturhaus für Berlin 103<br />

Das Baumhaus am Tiergarten 111<br />

Ergebnisse und Konflikte<br />

Zusammenfassung und Ausblick 119<br />

<strong>Öko</strong>logischer <strong>Stadt</strong>umbau: Idealistischer<br />

Zukunftstraum oder Notwendigkeit? 129<br />

Die Autoren 144


Frederic Vester<br />

Bernd Lötsch<br />

Friedensreich<br />

Hundertwasser<br />

] Helmut Creutz<br />

Gustav Hämer<br />

Maria und Per Krusche<br />

Florentin Krause<br />

Willi Mauer<br />

Werner Schenkel<br />

Gabriele Güterbock/<br />

Bensu Hubert/<br />

Franz Rottkord<br />

Günter Axt<br />

Peter Thomas<br />

Die Autoren<br />

Inhalt<br />

Erster <strong>Band</strong>: <strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong><br />

Prinzipien einer <strong>Stadt</strong>ökologie<br />

(Siehe <strong>Band</strong> 1 Nr. 4096)<br />

Vorwort<br />

Grundlagen<br />

Vernetzte Systeme<br />

Was ist <strong>Stadt</strong>ökologie?<br />

Humanisierung der städtischen Umwelt -<br />

die Kehrtwendung<br />

<strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie<br />

Zum Beispiel Berlin-Kreuzberg<br />

Energie-, Material- und Wasserhaushalt<br />

Maßnahmen zur ökologischen <strong>Stadt</strong>erneuerung 83<br />

Die bundesdeutsche Bausubstanz -<br />

ein Energiefaß ohne Boden 98<br />

Energiekonzept im Rahmen der behutsamen<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung 103<br />

/<br />

Materialhaushalt und Abfallrecycling 131<br />

Recycling von Haushaltsabfällen in Berlin-<br />

Kreuzberg: ein Versuch 138<br />

Wassersparende Maßnahmen im Haushaltsbereich<br />

142<br />

Neue Sanitär- und Wasserrecyclingtechniken<br />

in IBA-Projekten 147<br />

9<br />

23<br />

56<br />

61<br />

75<br />

169


• •<br />

<strong>Öko</strong>logisches Bauen<br />

Planungskriterien


Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

Planungskriterien für ökologisches<br />

Bauen und eine Strategie zur<br />

Umsetzung ökologischer Projekte*<br />

Der Katalog stellt notwendigerweise eine starke Vereinfachung des<br />

eigentlichen Anliegens ökologischer Prinzipien dar, Einzelmaßnahmen<br />

so miteinander zu vernetzen, daß der Gesamtertrag optimiert wird.<br />

Generell sollte deswegen bei der Anwendung bedacht werden, daß je<br />

mehr Funktionen von einer Einzelmaßnahme erfüllt werden, um so besser<br />

ist sie aus ökologischer Sicht.<br />

1. Sicherung der sozialen und ökonomischen Voraussetzungen<br />

Da die Bewohner selbst eine aktive Rolle im städtischen <strong>Öko</strong>system<br />

übernehmen müssen, ist eine Planung, die Eigeninitiative und Verantwortlichkeit<br />

für den unmittelbaren Lebensbereich fördert, eine unabdingbare<br />

Voraussetzung. Der organisatorische Rahmen und die notwendigen<br />

Finanzierungsschienen sowie Bauauflagen fehlen noch weitgehend.<br />

Als Standardforderungen für ökologische Ansätzte gelten:<br />

a) die Förderung von Selbsthilfe und Eigeninitiative sowie Ansätze zur<br />

Bildung eines ökologischen Bewußtseins, z.B. in Lehrgärten, Energieläden,<br />

Selbstbauwerkstätten;<br />

b) die Bewilligung von Förderungsmitteln für Instandsetzungen, Modernisierung<br />

und Neubau sowie die Vergabe von Grundstücken erfolgt<br />

nur, wenn alle Möglichkeiten ökologischer Maßnahmen zur Verbesserung<br />

des Kleinklimas und ressourcensparender Ver- und Entsorgung<br />

überprüft und bewertet wurden;<br />

c) das daraus entwickelte, abgestimmte »ökologische Maßnahmenbündel«<br />

wird Bestandteil der entsprechenden Verträge mit Bauherren,<br />

Architekten und Bauunternehmern. Hält sich ein Beteiligter nicht an<br />

diese Vorgaben, so sind geeignete Sanktionen finanzieller und rechtlicher<br />

Art zu ergreifen.<br />

Als experimentelle Maßnahmen, die durch entsprechende planerische<br />

* Aufgrund von Wohngebieten in West-Berlin (für die IBA erarbeitet).


Phantasie und Durchdetaillierung in die Realität umgesetzt werden<br />

müßten, körinten folgende Zielvorgaben gelten:<br />

A. Die Schaffung von experimentellen Freiräumen in bezug auf Flächen,<br />

Bauten, Finanzierungsrichtlinien und rechtlichen Normen.<br />

B. Zinsverbilligte öffentliche Kredite und/oder Abschreibungsmöglichkeiten<br />

für alle im gesamtgesellschaftlichen Sinne (langfristig?) richtigen<br />

ökologischen Maßnahmen.<br />

C. Eine »Experimentenkommission«, die ähnlich, wie heute die Arbeitsgruppe<br />

Erneuerungskommission im Sanierungsgebiet Kreuzberg,<br />

in Konfliktfällen zwischen Senat, Bezirk, Eigentümern und<br />

Bewohnern vermitteln hilft.<br />

Gesamtgesellschaftlich gesehen wäre es ökologisch und ökonomisch<br />

richtiger, die vorhandenen finanziellen Ressourcen zum überwiegenden<br />

Teil in die Erneuerung des Wohnungsbestandes zu investieren, anstatt<br />

weiterhin die wenigen verbliebenen städtischen Freiflächen mit Neubauten<br />

zuzubauen, die viel Energie und andere, nicht erneuerbare Ressourcen<br />

verbrauchen.<br />

2. Sicherung aller nur möglichen Freiflächen<br />

Wo sich die Forderung der Bewohner nach mehr Grün- und nutzbaren<br />

Freiflächen aus anderen Zwängen her nicht realisieren läßt und neu<br />

gebaut werden muß, sollten alle ökologischen Möglichkeiten genutzt<br />

werden, die dadurch entstehenden Nachteile (Überwärmung, mehr<br />

Abgase durch Heizung und Verkehr, mehr Lärm) wieder auszugleichen,<br />

indem:<br />

a) soviel Fläche, wie überbaut und versiegelt wird, auf Dächern und<br />

Fassaden begrünt wird;<br />

b) eine Versiegelung der Oberflächen (Straßen, Parkplätze, Gehwege,<br />

Kinderspielplätze) auf das absolute Minimum reduziert wird;<br />

c) alle Freiflächen mit einer standortgerechten, artenreichen Vegetation<br />

geschützt bzw. begrünt werden;<br />

d) vermehrt private Nutz- und Ziergärten erdgeschossig vor Straßenund<br />

Hofflächen angeordnet werden;<br />

e) Verkehrsbelastungen (Lärm und Abgase) durch eine standortgerechte<br />

Bepflanzung der Straßen mit Bäumen und Büschen verringert<br />

werden.<br />

Zu diesen Standardforderungen, die sowohl ökonomisch wie ökologisch<br />

sinnvoll und machbar sind, sollten andere ergänzende Einzelmaßnahmen<br />

kommen, wie:


A. offene Bewässerungssysteme von Straßenbäumen in Verbindung mit<br />

Spielflächen für Kinder;<br />

B. neuangelegte Feuchtbiotope als artenreiche Lebensräume für Tiere<br />

und Pflanzen zur Abkühlung, Wasserspeicherung und -Alterung,<br />

Sauerstoffproduktion;<br />

C. die Anlage von früchtetragenden Büschen und Bäumen in Parkanlagen<br />

statt der üblichen Ziergehölze<br />

3. Die Verbesserung bestehender Heizsysteme und Sicherung<br />

kostensparender Energieversorgung<br />

Als Standardforderungen gelten für diesen Bereich:<br />

a) eine differenzierte Wärmedämmung von Außenwänden;<br />

b) eine Verbesserung der Einzelofenheizung;<br />

c) eine nutzungsabhängige Steuerung von zentralen Heizsystemen;<br />

d) das Recht jeder Wohneinheit auf wenigstens eine besonnte Fassade;<br />

e) der Entwurf von Gebäudehöhen und -abständen unter Beachtung<br />

winterlicher und sommerlicher Sonnenabläufe;<br />

f) eine Minimierung der Energieverluste bei den Gebäudeoberflächen;<br />

g) die Beachtung von Kleinklimafaktoren;<br />

h) die Einbeziehung von thermischen Pufferzonen;<br />

i) Ausbildung von Details und Materialauswahl im Hinblick auf Verschattung/Besonnung,<br />

Wärmeschutz/Wärmespeicherung, aktive/passive<br />

Wärmerückgewinnungsmöglichkeiten;<br />

j) Maßnahmen zur passiven Sonnenenergienutzung.<br />

Maximalforderungen bzw. Experimentalprojekte können sein:<br />

A. eine umfassende Integration von Abwärmerückgewinnungssystemen<br />

aus Abluft - Schadstoffbindung über Kondensatoren oder<br />

Abfallverbundsystem - Sammlung und Verwertung;<br />

B. Organisation von Wohnanlagen und Gewerbebetrieben im Verbund<br />

von Energie- und Materialkaskaden;<br />

C. Erprobung alternativer wärmedämmender und wärmespeichernder<br />

Materialien.<br />

Im Rahmen der <strong>Stadt</strong>planung sollten Wegenetze mit Priorität für Fußgänger,<br />

Radfahrer, öffentliche Verkehrsmittel und dann erst Privatfahrzeuge<br />

geplant werden, statt, wie bisher, dem Auto Vorrang einzuräumen.<br />

Außerdem kann eine Reduzierung des Kraftfahrzeugverkehrs<br />

durch die Vernetzung des Produktions- und Reproduktionsbereiches<br />

erreicht werden, wie dies im Kreuzberger <strong>Stadt</strong>erneuerungsbereich seit<br />

Jahrzehnten funktioniert und nun endlich auch erhalten werden soll.<br />

9


4. Sicherung der Trinkwasserversorgung durch Wasserspar- und<br />

Reinhaltungsmaßnahmen<br />

Wasser, unser zweitwichtigstes »Lebens«mittel (nach der Luft), sind wir<br />

gewohnt, wie diese als eine frei verfügbare Ressource zu betrachten.<br />

Der stark ansteigende Verbrauch und die zahlreicher werdenden Quellen<br />

der Verunreinigung setzen dieser Illusion bald ein Ende.<br />

Um langfristig einen ausgeglichenen Wasserhaushalt zu erreichen,<br />

bestehen vor allem in Neubauprojekten zahlreiche Möglichkeiten, Kaskadennutzungssysteme<br />

zu installieren, die Wasser sparen und gereinigt<br />

an den Wasserhaushalt zurückgeben.<br />

Alle der im folgenden vorgeschlagenen Standardmaßnahmen sollten<br />

auch im Rahmen einer Instandsetzung der Installationssysteme im<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerungsbereich angewandt werden.<br />

a) Reduzierung des Wasserverbrauchs durch<br />

• Installation von Durchflußbegrenzern;<br />

• Einbau von WC-Spülkästen mit Spül- und Stopptaste;<br />

• Einbau von Wohnungswasserzählern zur Abrechnung der Wasserund<br />

Abwassergebühr;<br />

• Sammlung, Reinigung und Nutzung des Oberflächenwassers zu<br />

Bewässerungszwecken und Grundwasseranreicherung;<br />

• Installation von geschlossenen Brauchwasserkreisläufen für Gewerbebetriebe<br />

mit hohem Kühlwasserbedarf.<br />

b) Verwendung von Rohwerkstoffen, von denen keine Gesundheitsgefährdung<br />

ausgeht;<br />

c) Installation von getrennten Falleitungen für Fäkal- und »Grauwas-,<br />

ser« (mäßig verschmutztes Abwasser) zur Wärmerückgewinnung;<br />

d) Reinhaltung der. Abwässer von toxischen Bestandteilen durch Aufstellung<br />

von Sammelcontainern für Sonderabwässer (Fotochemikalien,<br />

Farbreste etc.), Öl und Installation von Kontrollkammern mit<br />

biologischen Indikatoren.<br />

Als Versuchsprojekte sollten folgende Maßnahmen durchgeführt werden:<br />

A. Reinigung des »Grauwassers« und Nutzung als Brauchwasser in<br />

Zier- und Biotopteichen, zur Algen-, Wasserpflanzen- und Fischzucht,<br />

Nutzung für Gewächshauskulturen usw.;<br />

B. Vielfältige Kombinationsmöglichkeiten mit Regenwasseranlagen, nach<br />

vollständiger Klärung natürlicher Rückführung zum Grundwasser<br />

über Teichsohlen etc., entsprechend dem Aufnahmevermögen der<br />

grundwasserführenden Schicht oder Einleitung in die Oberflächengewässer<br />

oder Filterung und erneute Nutzung als Brauchwasser;<br />

C. Getrennte Nutzung des organisch verschmutzten Abwassers und Zu-<br />

10


führung zu dezentralen Klärwerken; Ausbau für vollständige Reinigung<br />

der Abwässer, Ausnutzung der Faulgase und Herstellung von<br />

transportablen, hygienischen Düngestoffen;<br />

D. Entwicklung einer wohnungsweisen Wiederverwendung des Grauwassers;<br />

E. Weiterentwicklung durch Erprobung von Komposttoiletten im<br />

mehrgeschossigen Wohnungsbau.<br />

5. Tendenzielle Dezentralisierung der Versorgung<br />

mit lebenswichtigen Materialien<br />

Orientiert am Stoffhaushalt der Natur, wo die »Reststoffe« eines biologischen<br />

Prozesses immer »Rohstoffe« des nächsten Prozesses sind, kann<br />

für Haushalts- und Produktionsabfälle jeweils eine geeignete Weiternutzung<br />

gefunden werden (»Abfälle sind Rohstoffe am falschen Ort«). Müll<br />

als Konglomerat verschiedener Abfallstoffe erschwert eine Weiternutzung<br />

ganz erheblich und macht sie trotz aufwendiger Mülltrennanlagen<br />

zum Teil ganz unmöglich. <strong>Öko</strong>logisch sinnvoller wäre es, Müll gar nicht<br />

erst entstehen zu lassen.<br />

Als Minimal-Maßnahmen, die in allen IBA-Gebieten durchgeführt werden<br />

sollten, sind geplant:<br />

a) die Sicherung von Stellflächen zur getrennten Sammlung der Müllfraktionen<br />

(organische Abfälle, Glas, Papier und anderes);<br />

b) wo möglich und sinnvoll, dezentrale Kompostierung der organischen<br />

Abfälle;<br />

c) eine nutzungsgerechte Abgabemöglichkeit für Sonderabfälle (Medikamente,<br />

Batterien, Farbreste etc.);<br />

d) ein blockweiser Aufbau von Recyclingstationen mit Sammellagern<br />

für die unterschiedlichen Materialgruppen.<br />

\ersuche mit umfassenderen Produktions- und Recycling-Ansätzen<br />

könnten sein:<br />

A. Entwicklung von Biogasanlagen für den Innenstadtbereich;<br />

B. Entwicklung von innerstädtischen Haus-Garten-Einheiten, als kleinste<br />

Ver- und Entsorgungseinheit zur unmittelbaren Rückführung der<br />

organischen Abfälle und zur Nahrungsmittelproduktion;<br />

C. Aufbau von selbstverwalteten Verbundsystemen mit dem Umland<br />

zur Nahrungsmittelversorgung und Nutzung der organischen Abfälle,<br />

wie z.B. landwirtschaftliche Betriebe, mit Abnehmerverträgen<br />

von städtischen Gruppen oder Erzeugergenossenschaften für städtische<br />

Selbstversorgung, mit eigener Lagerhaltung und Weiterverarbeitung.<br />

11


6. Verwendung gesunder Baustoffe und Bauplätze<br />

Die Besorgnis über gesundheitsschädigende Substanzen in den Baustoffen,<br />

besonders im Innenausbau, nimmt immer mehr zu und wird in<br />

Hinblick auf eine stärkere Isolierung von Fenstern und Wänden, verbunden<br />

mit einer geringeren Durchlüftung der Wohnungen auch von Fachleuten<br />

als potentielle Gefahr erkannt. Dementgegen sollten die folgenden<br />

Standardforderungen gelten:<br />

a) giftfreie Baumaterialien, die keine oder nur geringe radioaktive<br />

Eigenstrahlung haben;<br />

b) möglichst natürliche Baustoffe, die geruchsneutral und atmungsaktiv<br />

sind und keine toxischen Dämpfe abgeben;<br />

c) Baustoffe, die auch beim Abbau oder im Brandfall keine Gifte<br />

produzieren;<br />

d) Baustoffe, die bei der Herstellung möglichst wenig Energie kosten;<br />

e) Absicherung von Schlaf- und Arbeitsplätzen vor elektromagnetischen<br />

und geologischen Störzonen.<br />

Dieser Maßnahmen- oder Kriterienkatalog erhebt keinen Anspruch auf<br />

Vollständigkeit. Er soll im Verlauf der weiteren Arbeiten ergänzt und<br />

vervollständigt werden. Dabei ist insbesondere daran gedacht, erprobte<br />

Details und Hinweise auf Produkte, die den genannten Kriterien entsprechen,<br />

anzufügen. Diese Arbeit ist z.Z. in Auftrag gegeben, aber<br />

noch nicht abgeschlossen.<br />

Ein vor kurzem erarbeiteter Vorschlag zur Organisation der Umsetzung<br />

ökologischer Projekte und Minimumstandards in IBA-Gebieten,<br />

zusammen mit den zuständigen Behörden und Handwerksbetrieben,<br />

verfolgt mehrere Ziele:<br />

1. Das Planen und Bauen nach ökologischen Minimumstandards in<br />

allen IBA-Projekten und die Verbesserung der Chancen zur Durchführung<br />

wichtiger ökologischer Experimente im Rahmen der Internationalen<br />

Bauausstellung 1987.<br />

2. Die Sicherung der damit verbundenen Aufträge und Arbeitsplätze,<br />

die zur ökonomischen Gesundung der Gewerbe- und Produktionsbetriebe<br />

beitragen können, in IBA-Gebieten.<br />

3. Die bessere Nutzung der bestehenden baulichen und fachlichen<br />

Ressourcen und die Schaffung neuer Impulse für die Integration<br />

ökologischer Ansätze in die Praxis der Instandsetzung, Modernisierung<br />

und des Neubaues.<br />

12


Mittel und Wege<br />

Die drei wesentlichen Bestandteile einer Organisation zur Umsetzung<br />

ökologischer Projekte in IBA-Gebieten sind: eine Fachberatergruppe<br />

der IBA; eine Experimentenkommission und ein Gründerzentrum für<br />

Handwerk und <strong>Öko</strong>logie (Abb. 1)<br />

1. Fachberatergruppe der IBA (Energie, Grün, Wasser, Abfall, Baustoffe)<br />

erstellt für jedes IBA-Projekt ein »<strong>Öko</strong>logie-Profil« und berät die<br />

zuständigen Architekten, welche Standard-Maßnahmen in dem jeweiligen<br />

Fall zu welchen Kosten durchzuführen sind, und welche<br />

Experimente darüber hinaus möglich und sinnvoll wären.<br />

2. In der Experimentenkommission entscheiden die zuständigen Gremien<br />

und Behördenvertreter von Bezirk, Senat, WBK sowie Bauträger,<br />

Fachingenieure, Architekten und Betroffene zusammen, welche<br />

Projekte unterstützt, welche Ausnahmegenehmigungen befürwortet<br />

und welche Finanzierungsmittel zur Verfügung gestellt werden sollen.<br />

3. Das Gründerzentrum für Handwerk und <strong>Öko</strong>logie, welches im IBA-<br />

Gebiet angesiedelt ist, bietet ähnlich dem ersten Gründerzentrum in<br />

Berlin Starthilfen für neue Betriebe und neue Technologien.<br />

Abb. 1: Alle drei Komponenten sind integrale Bestandteile eines Gesamtkonzepts<br />

zur Verbesserung der Umsetzungschancen für ökologische Ansätze und<br />

können daher nur im Zusammenhang wirksam werden.<br />

13


Umsetzung<br />

1. Die Fachberatergruppe der IBA existiert weitgehend und hat bereits<br />

im wesentlichen die Grundlagen für ökologisches Bauen erstellt. Sie<br />

arbeitet inzwischen koordiniert und wurde mit dem Auftrag der IBA-<br />

Geschäftsführung ausgestattet, Checklisten zu erstellen, mit deren<br />

Hilfe für alle Projekte eine <strong>Öko</strong>logieberatung durchgeführt und ein<br />

<strong>Öko</strong>logie-Profil erstellt werden kann. Diese Arbeit soll garantieren,<br />

daß in allen Fällen auf den heutigen Stand des Wissens gehandelt<br />

werden kann.<br />

2. Die Experimentenkommission ist deswegen von auschlaggebender<br />

Bedeutung, weil, was heute ökologisch sinnvoll und richtig ist, oft<br />

gegen bestehende Normen, Eigentumsvorstellungen, Profiterwartungen<br />

und Finanzierungsrichtlinien verstößt oder darin keine Beachtung<br />

findet. Weniger gravierend ist dagegen das Argument, die<br />

Nutzer seien nicht bereit, die entsprechende Mehrarbeit und Umstellung<br />

mitzumachen. In der weitaus überwiegenden Zahl von Experimenten<br />

sind die Erfahrungen eher umgekehrt. Die Experimentenkommission<br />

soll dazu beitragen, die ressortübergreifende Planung<br />

und Umsetzung ökologischer Projekte möglich zu machen, indem die<br />

verschiedenen Fachrichtungen und Entscheidungsebenen zusammenkommen,<br />

um zu bestimmen, inwieweit ihre Richtlinien dem erforderlichen<br />

»Umdenken und Umschwenken« Platz machen können.<br />

Im Verlauf der ersten Beratungen mit den zuständigen Behörden<br />

scheint es sinnvoll, eine Dreigliederung in bezug auf die Kosten<br />

vorzunehmen:<br />

Zuerst wären solche Maßnahmen zu definieren, die keine Mehrkosten<br />

verursachen und in allen Projekten durchgeführt werden sollten<br />

(z.B. Wassersparmaßnahmen, Energiesparmaßnahmen, Begrünung<br />

u.a.).<br />

Zweitens werden darüber hinausgehende ökologische Verbesserungen<br />

beschrieben, die ca. 5-10% Mehrkosten verursachen und ähnlich<br />

den »Kunst am Bau«-Richtlinien über einen »<strong>Öko</strong>bonus« für ökologisch<br />

sinnvolle, wohl begründete Maßnahmen finanziert werden.<br />

(Dies ist organisatorisch weniger aufwendig als etwa ein <strong>Öko</strong>logie-<br />

Programm ähnlich dem Hofbegrünungsprogramm - für . welches<br />

jede Maßnahme einzeln beantragt und genehmigt werden muß -,<br />

wofür z. Z. auch innerhalb der Verwaltung keine Kapazität vorhanden<br />

ist.)<br />

Und drittens kämen dann für Experimentalprojekte die üblichen<br />

Finanzierungstöpfe beim Bund, Land, bei Stiftungen usw. in Frage,<br />

für die aber jeweils gesonderte Anträge zu stellen sind.<br />

3. Das Gründerzentrum für Handwerk und <strong>Öko</strong>logie fügt sich gut in das<br />

14


z. Z. vom Berliner Wirtschaftssenator verfolgte Konzept einer intensiveren<br />

Nutzung von baulichen und fachlichen Ressourcen in Berlin<br />

ein. Neue Betriebe und Produkte werden gefördert, um in Verbindung<br />

mit bestehenden wissenschaftlichen Institutionen dem Innovationspotential<br />

dieser <strong>Stadt</strong> neue Impulse zu geben. In Anlehnung an<br />

dieses Konzept erarbeitet eine Gruppe von fachlich kompetenten<br />

Leuten in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer und der IBA<br />

einen Vorschlag für ein Gründerzentrum für Handwerk und <strong>Öko</strong>logie<br />

in Kreuzberg. So bald wie möglich sollen folgende Punkte geklärt<br />

werden:<br />

a) Wo steht in IBA-Gebieten eine Fläche von ca. 3000-6000 qm in<br />

vorhandener Bausubstanz für ein Gründerzentrum für Handwerk<br />

und <strong>Öko</strong>logie zur Verfügung?<br />

b) Welches Volumen an handwerklicher Arbeit und ökologischen<br />

Pilotprojekten kann in IBA-Gebieten erwartet werden?<br />

c) Welche Handwerksbetriebe sind bereit, sich an dem Aufbau und<br />

der Zusammenarbeit in einem Gründerzentrum zu beteiligen?<br />

d) Welche alternativen ökologischen Produkte werden gefordert?<br />

e) Welche Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen<br />

in Zusammenarbeit mit anderen Berliner Gruppen, Firmen, Fachschulen<br />

und der TFH?<br />

f) Wie kann die vorhandene Forschungskapazität der TUB, FU,<br />

UBA, Wissenschaftszentrum u. a. mit eingebunden werden?<br />

Schlußbemerkung<br />

Das erste, in den ehemaligen AEG-Gebäuden in der Ackerstraße<br />

untergebrachte Gründerzentrum ist in wenigen Monaten entstanden.<br />

Die Chance, eine solche Einrichtung nach Kreuzberg zu bringen, ist<br />

groß. Zusammen mit der Einrichtung der Beratergruppe, der Verankerung<br />

von Standardmaßnahmen in Verträgen und der organisatorischen<br />

und finanziellen Unterstützung durch eine Experimentenkommission,<br />

die zusammen mit Bezirk und Senat von der IBA einberufen wird,<br />

könnte ein solches Zentrum der Umsetzung ökologischer Projekte in<br />

Berlin neue Impulse geben.<br />

Auch wenn vieles, was die Fachleute und Betroffenen von der IBA<br />

erwartet haben, bis heute Papier geblieben ist, sehe ich einen großen<br />

Unterschied in dem, was wir heute konkret über die Möglichkeiten und<br />

Grenzen ökologischer Ansätze in hochverdichteten Innenstadtgebieten<br />

wissen, gegenüber dem Stand des Wissens vor fünf Jahren. Das wichtigste<br />

aber scheint mir die Bereitschaft zur Veränderung innerhalb der IBA<br />

selbst, der Verwaltung, Bauträger, Architekten und Planer, mit denen<br />

15


wir kooperieren. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren - wohl unter<br />

der Einwirkung immer größerer Belastungen und Schäden unserer<br />

Umwelt - beträchtlich zugenommen. Das gibt mir die Hoffnung, daß<br />

sich in den nächsten drei Jahren die Umsetzung der hier vorgestellten<br />

ökologischen Ansätze und Projekte realisieren läßt.<br />

16


Grün- und Freiraumplanung


Ger Londo<br />

Naturgärten in der <strong>Stadt</strong><br />

In früheren Zeiten, als Städte und Dörfer klein wären, standen die<br />

Bewohner in nahem Kontakt mit der Natur. Es gab damals eine reiche<br />

Natur, viel reicher an Pflanzen und Tieren als heute. Das war eine Folge<br />

der extensiven Agrarwirtschaft. Die <strong>Stadt</strong>bewohner hatten damals kein<br />

Bedürfnis nach einheimischen Pflanzen und Natur in den Gärten, man<br />

interessierte sich eher für exotische Zierpflanzen und rechte Winkel bei<br />

Gartenanlagen.<br />

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Städte und Dörfer breiteten<br />

sich aus und verdrängten die Natur dadurch immer weiter aus der<br />

Wohnumgebung. Außerdem ist die Natur stark verarmt, insbesondere<br />

durch Düngung und die anderen Maßnahmen der intensiven Agrarwirtschaft.<br />

Besonders in der letzten Zeit führte die Entfernung der <strong>Stadt</strong>bewohner<br />

von der Natur zu mehr naturnahen Garten- und Parkanlagen.<br />

Der älteste Naturgarten in den Niederlanden stammt aus dem Jahre<br />

1925 (Thijsses Hof in Bloemendaal bei Haarlem). Sind in den dreißiger<br />

und vierziger Jahren nur einige Naturgärten angelegt worden, ist in den<br />

letzten Jahrzehnten bei ihnen wie bei Gärten mit einheimischen Pflanzenarten<br />

ein starker Aufstieg zu verzeichnen. Man kann die Frage<br />

stellen, ob man schon Natur bekommt, wenn man die Zierpflanzen im<br />

Garten durch Wildpflanzen ersetzt. Zur Beantwortung dieser Frage<br />

müssen wir zuerst eine andere Frage stellen, nämlich: was ist Natur?<br />

Mit Natur meinen wir die Lebensgesellschaften von Pflanzen und<br />

Tieren oder Biozönosen, wo die menschliche Beeinflussung relativ<br />

gering ist. Dazu gehören u. a. Wälder, Gebüsche, natürliche Grasländer,<br />

Sumpfvegetation und Heide. Bei den ersten zwei Lebensgesellschaften<br />

ist sporadisches Schlagen der wichtigste anthropogene Einfluß; bei den<br />

übrigen sind es Mähen und Beweidung ohne Düngung. Wenn der<br />

Einfluß stärker ist, z.B. wenn Wiesen intensiv gedüngt oder gemäht<br />

werden, sprechen wir nicht mehr von Natur. Essentiell für natürliche<br />

Lebensgesellschaften ist, daß die Pflanzen (und auch die Tiere) selbst<br />

ihre Wuchsstellen auswählen und nicht (oder nicht allein) vom Menschen<br />

gepflanzt oder gesät werden. In der Natur sprechen wir dann auch<br />

von spontanem Pflanzenwuchs.<br />

19


Naturgärten und Wildpflanzengärten<br />

Unter Naturgärten verstehe ich Gärten mit den oben erwähnten Lebensgesellschaften.<br />

Die anderen Gärten, worin einheimische Arten kultiviert<br />

werden, können wir »Wildpflanzengärten« nennen. In diesen Gärten<br />

soll man immer säen, pflanzen und jäten und während trockener Perioden<br />

im Sommer auch gießen, um den Artenbestand zu erhalten. Obwohl<br />

Wildpflanzengärten sehr schön sein können, sind sie keine Natur. Viele<br />

Organismen, darunter auch viele Insekten, wie z.B. Heuschrecken,<br />

fehlen in solchen Pflanzungen, denn sie brauchen echte Vegetation mit<br />

verschiedenen Arten. In Naturgärten kommen die Maßnahmen: Pflanzen,<br />

Jäten und Gießen nicht in Betracht. Nur im Anfang kann es günstig<br />

sein, Arten zu pflanzen, speziell für holzige Arten. Je weiter der<br />

Naturgarten von der Natur entfernt ist, um so wichtiger ist die Aussaat<br />

von Arten. Die Pflegemaßnahmen in Naturgärten sind denen in den<br />

Naturgebieten ähnlich. Mähen und Schlagen sind hier die wichtigsten<br />

Maßnahmen. Durch die weniger intensive Pflege der Naturgärten sind<br />

die Kosten nicht höher als die für den Unterhalt von Kulturgärten und<br />

Wildpflanzengärten, sondern geringer.<br />

Natur in der <strong>Stadt</strong><br />

Bei der räumlichen Planung in Städten ist in erster Linie wichtig, ein<br />

Inventar dessen zu machen, was es heute an Natur gibt. Oft haben sich<br />

zum Beispiel auf alten Trümmerhaufen oder auf verlassenen Eisenbahnen<br />

und Bahnhöfen artenreiche Lebensgesellschaften entwickelt. So<br />

gibt es in Berlin die S-Bahngelände, wo sich seit über 30 Jahren die<br />

Natur entwickelt hat und wo viele seltene Arten wachsen. Auch kann<br />

ein Wald oder Gebüsch, früher außerhalb der <strong>Stadt</strong> gelegen, durch<br />

Bebauung eingeschlossen sein. In allen diesen Fällen ist es wichtig,<br />

Maßnahmen zur Erhaltung dieser Lebensgesellschaften zu ergreifen.<br />

Das heißt, daß man Sorge tragen muß, daß die anthropogenen Aktivitäten<br />

(u. a. Tritt, Nährstoffanreicherung) nicht zu groß werden und daß für<br />

die Erhaltung der Lebensgesellschaften gesorgt wird. Es ist nicht möglich,<br />

an einer Stelle gleichzeitig reiche Natur und intensive Nutzung zu<br />

haben. Beides ist nur möglich bei einer funktionalen Teilung des Raumes<br />

in einen Bereich mit Natur und einen anderen mit intensiver<br />

Nutzung (z.B, Erholung).<br />

Der Naturgarten soll allein auf Pfaden zugänglich sein. Wenn auch<br />

Tritt und Nährstoff anreicherung in Naturgärten nicht gestattet sind, ist<br />

doch das jährliche Mähen artenreicher Wiesen notwendig, um sie zu<br />

erhalten. Die Behörden der <strong>Stadt</strong> sollten für die Erhaltung der Natur<br />

20 -


Pflegemaßnahmen anordnen und dafür einen Maßnahmenplan entwikkeln.<br />

Oft ist es empfehlenswert, Naturfragmente in der <strong>Stadt</strong> in Naturgärten<br />

einzugliedern.<br />

Anlage und Pflege von Naturgärten<br />

Neben der Erhaltung der heutigen Natur ist es gut möglich, neue Natur<br />

auch in Weltstädten zu »machen«. »Machen« ist eigentlich nicht das<br />

richtige Wort; die Natur muß sich selbst entwickeln, aber wir können<br />

und müssen dabei helfen. Die dafür notwendigen Kenntnisse sind im<br />

Rahmen der Untersuchungen für den Naturschutz erarbeitet und in<br />

einer Anleitung Operationen gemacht worden für ihre Anwendung in<br />

Gärten und Parks. Diese Anleitung (in niederländischer Sprache) ist<br />

veröffentlicht als »Natuurtuinen en -parken« (Verlag Thieme, Zutphen).<br />

Aufgrund dieser Anleitung möchte ich Ihnen eine kurze Übersicht<br />

geben über zwei Phasen der Anlage von Naturgärten.<br />

Naturgarten Kulturgarten<br />

Wildpflanzengarten<br />

Wald Hoch- natürliches gedüngtes Rasen Acker Beton<br />

und Stauden- Grasland, . Grasland Rabatte Asphalt<br />

Gebüsch veg. Heide<br />

Abb. 1: In Naturgärten ist die menschliche Beeinflussung viel geringer als in<br />

Kulturgärten<br />

1, Bau der abwüschen Umwelt<br />

Wenn wir uns in der Natur umsehen, gibt es an vielen Stellen nur<br />

artenarme und homogene Vegetation, während es an anderen Stellen<br />

viele Arten und eine große Vielfalt gibt. Untersuchungen weisen aus,<br />

daß die Variation in Lebensgesellschaften (selbstverständlich bei richtiger<br />

Pflege) ein Ausdruck der Variation in der abiotischen Umwelt ist,<br />

wobei der Boden und der Wassergehalt die wichtigsten Komponenten<br />

sind. Weiter zeigte sich, daß Düngung einen stark negativen Einfluß auf<br />

die Lebensgesellschaften hat. Viel Düngung führt einerseits zu einer<br />

hohen Produktion (die Bauern können dadurch mehr Fleisch und Milch<br />

21


produzieren), aber andererseits zu einer großen Arten- und Blumenarmut.<br />

Diese Erfahrungen wenden wir beim Bau der abiotischen Umwelt<br />

in Naturgärten an. So ist es nicht empfehlenswert, in Naturgärten<br />

nur flachen und homogenen Grund zu haben. Hier kann man nur<br />

artenarme Lebensgesellschaften erwarten. Auf verschiedene Weise<br />

kann man die Variation in der abiotischen Umwelt erhöhen:<br />

• durch das Schaffen von Relief; wenn das Grundwasser nicht zu tief<br />

ist, kann man dadurch auch Übergänge schaffen zwischen trocken<br />

und naß;<br />

• durch die Anwendung von verschiedenen Bodenarten, z. B. Ton und<br />

Sand;<br />

• durch den Nährstoffgehalt, der so niedrig wie möglich zu halten oder<br />

zu verringern ist. Wenn es sich um einen früher intensiv gedüngten<br />

Acker oder eine Weide handelt, gräbt man am besten die obersten<br />

Dezimeter (die Ackerfurche) ab.<br />

Wichtig ist, daß allmähliche und unscharfe Übergänge entstehen zwischen<br />

trocken und naß, nährstoffarm und relativ nährstoffreich oder<br />

zwischen kalkarm und kalkreich.<br />

Trümmer und Schutt können sehr wertvoll sein. Man kann davon<br />

Mauern machen (speziell Nordmauern geben eine reiche Mauervegetation),<br />

aber man kann auch damit trockene Standorte schaffen, indem<br />

eine dünne Bodenschicht so auf die Trümmerhügel aufgebracht wird,<br />

daß allmähliche Übergänge entstehen zwischen dem tiefen und dem<br />

weniger tiefen Boden.<br />

2. Entwicklung der Lebensgesellschaften und die notwendigen<br />

Pflegemaßnahmen<br />

Die verschiedenen Lebensgesellschaften, die sich in Naturgärten entwickeln<br />

können, sind in Abb. 2 erwähnt. Rasen und sogenannter Unkrautacker<br />

(u.a. mit Klatschmohn und Kornblumen) sind eigentlich<br />

keine Natur, aber sie können eine Komponente größerer Naturgärten<br />

sein.<br />

Heide entwickelt sich allein auf extrem nährstoffarmem Boden und<br />

kommt deshalb im allgemeinen nicht für Naturgärten in Betracht, weil<br />

der Nährstoffgehalt in der Regel zu groß ist. Man kann in Naturgärten<br />

eine Abwechslung anstreben von Wald, Gebüsch und niedriger Vegetation:<br />

Wiesen, Hochstaudengesellschaften, Sumpfvegetation und Wasserpflanzengesellschaften.<br />

Obwohl sich in der Natur Gebüsche und Wälder spontan entwickeln<br />

können, pflanzt man in Naturgärten am besten die Holzgewächse. In<br />

22


Abb. 2: Die wichtigsten Lebensgesellschaften für die Anlage von Naturgärten<br />

mit ihren Pflegemaßnahmen<br />

den ersten Jahren muß man durch Mähen dafür sorgen, daß die jungen<br />

Bäume und Sträucher nicht durch die krautigen Pflanzen überwuchert<br />

werden. Danach braucht man nichts zu tun, außer dann und wann dort<br />

zu schlagen, wo die Holzarten zu dicht stehen. Die Entwicklung des<br />

Unterwuchses kann erst stattfinden, wenn die Baum- oder Strauchschicht<br />

geschlossen ist. Dann sind die Pflanzen zum größten Teil verschwunden,<br />

die am meisten Licht brauchen. Auf den gestörten Böden<br />

(wenn nicht zu nährstoffarm) kann man im allgemeinen am besten<br />

Arten aus der Krautschicht von eschen- und erlenreichen Edellaub-<br />

Mischwäldern oder Erlen-Auenwälder und aus den nitrophilen Uferstaudengesellschaften<br />

aussäen oder pflanzen. Die hierzu gehörenden<br />

Arten sind u.a. Tag-Lichtnelke, Echte Nelkenwurz, Wald-Ziest und<br />

Wiesen-Kerbel. Für eine gute Entwicklung der Wiesen wird von einer<br />

Aussaat der Grasarten stark abgeraten, weil dann eine mehr uniforme<br />

und blumenarme Vegetation entsteht. Man sollte dort besser nichts<br />

aussäen. Wohl ist zu empfehlen, eine Saatmischung von Wiesenpflanzen<br />

aus der Umgebung auszusäen. Wiesen dürfen ein- oder zweimal pro Jahr<br />

(abhängig von der Produktivität) gemäht werden, während Hochstaudengesellschaften<br />

einmal in zwei oder drei Jahren gemäht werden<br />

müssen. Bei der Sumpfvegetation gibt es Möglichkeiten von niedrigen<br />

jährlich gemähten Gesellschaften bis zu seltener geschnittenen Sumpfhochstauden.<br />

Es dauert einige Zeit, bis die verschiedenen Lebensgesellschaften<br />

23


entstanden sind. Im ersten Jahr hat man z.B. noch keine Wiesen,<br />

sondern eine Pioniervegetation mit vielen einjährigen Arten. Erst im<br />

Jahr darauf sieht man die Entwicklung vieler Wiesenpflanzen und kann<br />

von einer Wiese sprechen. Aber auch in den folgenden Jahren treten<br />

Änderungen auf, bis das Endstadium erreicht ist. Die Entwicklung von<br />

Gebüschen und Wäldern braucht selbstverständlich eine längere Zeit als<br />

die von niedrigen kräuterartigen Gesellschaften.<br />

Abb. 3: Eine Lebensgesellschaft kann sich nur entwickeln zwischen einem Minimum<br />

und einem Maximum menschlicher Beeinflussung<br />

Abb. 4: Durch Düngung nimmt der Arten- und Blumenreichtum ab. Deshalb<br />

sollen Naturgärten nicht gedüngt werden.<br />

Aus dem Obenerwähnten wird deutlich, daß artenreiche und variierte<br />

Naturgärten auf eine andere Weise entstehen als Kultur- oder Wildpflanzengärten.<br />

In Naturgärten ist der Artenreichtum in erster Linie abhängig<br />

von der Variation in der Umgebung. Die Pflanzung oder Aussaat von<br />

24


vielen Arten in einem wenig variierten Naturgarten resultiert in einem<br />

raschen Schwund der meisten Arten. Eine andere Schlußfolgerung der<br />

Untersuchungen ist, daß es viel wichtiger ist, bestehende Natur zu<br />

erhalten, als neue Natur zu »machen«. So können wir z.B. die S-Bahngelände<br />

in Berlin als einen zufälligen Naturgarten sehen, wo früher eine<br />

große Variation in abiotischer Umwelt gestaltet wurde. Dies hat nun,<br />

nach einer Entwicklung von einigen Jahrzehnten, zu einer reichen Natur<br />

geführt. Wenn man einen derartigen Naturgarten neu machen würde,<br />

braucht man dafür sehr viel Geld und dreißig Jahre Wartezeit, bis das<br />

heutige Stadium erreicht ist.<br />

Am Ende möchte ich auf verschiedene Funktionen der Naturgärten<br />

hinweisen. So sind sie u.a. wichtig für die Erziehung und den Unterricht.<br />

In den Niederlanden Werden immer mehr Naturgärten für den<br />

Biologie-Unterricht angelegt. Hier lernt man nicht nur die Pflanzenarten<br />

kennen, sondern auch ihre ökologische und vegetationskundliche<br />

Charakteristik.<br />

Weiterhin kann die Signalfunktion von Bedeutung sein, speziell in<br />

artenreichen Lebensgesellschaften, die eine längere Entwicklung durchgemacht<br />

haben. Viele Organismen reagieren empfindlich auf Änderungen<br />

in der Umwelt, und ihr Rückgang kann und muß für den Menschen<br />

eine Warnung sein.<br />

25


Inge Maass<br />

<strong>Öko</strong>logie und Geschichte in der<br />

Südlichen Friedrichstadt<br />

Wegen der citynahen Lage und der Verfügbarkeit zahlreicher ungenutzter<br />

oder untergenutzter Flächen, den Trümmerflächen aus dem letzten<br />

Krieg, liegt ein räumlicher Schwerpunkt der Internationalen Bauausstellung<br />

in der Südlichen Friedrichstadt. Hier wird die einmalige Chance<br />

gesehen, in zentraler Lage ein neues Wohnquartier von »hoher Umweltqualität«<br />

für ca. 19000 Einwohner zu realisieren.<br />

In der Südlichen Friedrichstadt hat sich die Debatte über die Konkretisierung<br />

dieser beabsichtigten »Umweltqualität« polarisiert. Die Verfechter<br />

einer <strong>Stadt</strong>struktur, die die Wiederherstellung des historischen<br />

Straßengrundrisses vorsehen, stehen den Anhängern der aufgelockerten,<br />

von einem zentralen Grünzug (es handelt sich um die Trasse der<br />

geplanten, inzwischen aufgegebenen <strong>Stadt</strong>autobahn) durchzogenen<br />

<strong>Stadt</strong> gegenüber.<br />

Das städtebauliche Leitbild der IBA zielte bislang auf die Rekonstruktion<br />

städtischer Bauformen des 19. Jahrhunderts (Blockbebauung<br />

in Altberliner Traufhöhe von 21m) auf der Grundlage des historischen<br />

barocken <strong>Stadt</strong>grundrisses mit einer angestrebten Ausnutzung der GFZ<br />

von 1,5. Die <strong>Öko</strong>logen bezweifeln jedoch, daß die städtebauliche Rahmenplanung<br />

zur Südlichen Friedrichstadt den umwelthygienischen, ökologischen<br />

Zielen der IBA selbst standhalten kann! Im Gutachten werden<br />

daher alle Anforderungen an eine Grünplanung behandelt, so daß die<br />

aktuelle Kontroverse zwischen <strong>Stadt</strong>bild einerseits und Klima und Lufthygiene<br />

andererseits in ein breites Spektrum von Freiraumfunktionen<br />

eingeordnet werden kann. Die Anforderungen an eine Grünplanung<br />

umfassen mindestens drei Bereiche:<br />

• Erholung, Spiel, Sport;<br />

• <strong>Öko</strong>logie, incl. Naturschutz, Klima, Lufthygiene, Gewässerschutz;<br />

9 Landschaftsbild und Geschichte.<br />

Für die Südliche Friedrichstadt wird generell eine Selbstversorgung des<br />

Gebiets mit notwendigen Erholungs- und Grünflächen angestrebt.<br />

Für die städtebauliche Planung hat dieses grobe Leitziel jedoch weitreichende<br />

Konsequenzen. Die innerstädtische Lage wirkt sich auf die<br />

26


Freiflächensituation im allgemeinen ungünstig aus. Die Südliche Friedrichstadt<br />

ist ähnlich wie der gesamte Bezirk Kreuzberg außerordentlich<br />

schlecht mit öffentlichen Parkanlagen versorgt. Der lokale Einzugsbereich<br />

des einzigen Parks in Kreuzberg (Viktoriapark) ist im Norden<br />

vom Landwehrkanal begrenzt, so daß das Planungsgebiet außerhalb der<br />

zumutbaren Entfernung zu diesem Ortsteilpark liegt.<br />

Auch der große Tiergarten, der aufgrund seiner Größe und Ausstattung<br />

für Langzeit- und Wochenenderholung attraktiv ist, liegt für den<br />

größten Teil des Planungsgebietes unerreichbar fern. Damit fällt die<br />

Südliche Friedrichstadt in eine Versorgungsproblemzone. Bei der Wiederherstellung<br />

des Quartiers als Wohnort bleibt diese allgemeine Lageungunst<br />

als Gebietsmerkmal erhalten, wenn nicht im Rahmen übergreifender<br />

Maßnahmen neue, ausreichend große Parkflächen nachgewiesen<br />

werden. Gleichzeitig ist aber auch das Angebot an kleinen wohnungsnahen<br />

Parkanlagen außerordentlich mager. Nur 5 ha von 200 ha des Planungsgebiets<br />

(d.h. 2,6% der Siedlungsfläche) werden von öffentlichen<br />

Parkanlagen eingenommen. Es sind neben einigen winzigen grünen<br />

Verkehrsinseln der marginal liegende Mendelssohn-Bartholdy-Park mit<br />

2 ha und der Mehring-Platz von rund 1 ha Größe.<br />

Der Plan (Abb. 1) zeigt schematisch die nach gängigen Richtwerten<br />

erforderlichen Erholungsflächen für 19000 Einwohner auf die Fläche<br />

der Südlichen Friedrichstadt projiziert. Durch diesen einfachen Schritt<br />

Abb. 1: Bedarf an Grün-, Spiel- und Sportflächen<br />

27


wird deutlich, daß ein großer Anteil der Dispositionsflächen (die Bauflächen<br />

der IBA!) für Grün gesichert werden müßten, soll das Planungsziel<br />

der Selbstversorgung auch nur annähernd erfüllt werden.<br />

Die Anforderungen an eine ökologische <strong>Stadt</strong>planung in der Südlichen<br />

Friedrichstadt beziehen sich auf drei Bereiche:<br />

Abb. 2: Bestand an Spontanvegetation<br />

• Biotopschutz/Artenschutz mit den Unterzielen:<br />

- Erhaltung der überregionalen, regionalen und lokalen Besonderheiten<br />

(seltene, gefährdete Arten der Flora und Fauna) durch<br />

Berücksichtigung einzelner schützenswerter Sonderstandorte<br />

(Biotope, einzelne Vegetationsbestände) als Planungsbindungen.<br />

- Erhaltung und Förderung der Standortvielfalt.<br />

- Erhöhung der natürlichen Qualität aller für ein Gebiet typischen<br />

Standorte: Straßen - Plätze - Höfe; Gärten, Siedlungsgrün, Parkanlagen<br />

und Grün an Kanälen, Industrieanlagen, Verkehrsbauten,<br />

durch Verzicht auf Herbizideinsatz veränderte Pflege und Umwandlung<br />

versiegelter Flächen.<br />

- Neuanlage von Spontan Vegetationsflächen in verarmten Gebieten,<br />

z.B. auf Dachflächen.<br />

- Erhaltung und Neuschaffung großer zusammenhängender Freiflächen<br />

entsprechend dem Lebensraum der zu erhaltenden Arten.<br />

- Radiale Verknüpfung der Einzelflächen mit <strong>Stadt</strong>randzonen und<br />

netzförmig untereinander.<br />

28


• Gewässerschutz mit den Unterzielen:<br />

- Erhaltung der Wassergüte, des Wasserstandes von Oberflächengewässern.<br />

- Anreicherung des Grundwassers und Erhöhung der Wasserversikkerung.<br />

9 Klima und Lufthygiene mit den Unterzielen:<br />

- Zufuhr von frischer Luft ins <strong>Stadt</strong>zentrum, Erhaltung und Ausbau<br />

von Ventilationsbahnen.<br />

- Verbesserung des vertikalen Gasaustausches.<br />

- Verbesserung der Ausfilterung und Ausfällung von Schadstoffen,<br />

Erhöhung absorbierender Oberflächen.<br />

In der Südlichen Friedrichstadt wurden zwei stadtökologische Bereiche<br />

vertieft: der Biotopschutz und in einem Parallelgutachten die klimatisch/<br />

lufthygienischen Anforderungen. Die Klimauntersuchungen ergaben<br />

dabei folgendes grobes Bild:<br />

Die klimatische und lufthygienische Situation ist aufgrund der Innenstadtlage<br />

ungünstig, Allerdings schieben sich die großen Freiflächen des<br />

Tiergartens, des Bahngeländes am Gleisdreieck, die locker bebauten<br />

Flächen der Südlichen Friedrichstadt und der westlichen Luisenstadt<br />

(OttOTSuhr-Siedlung) als Produzenten kühlerer Luft und als Luftschneise<br />

zwischen die beiden dicht bebauten <strong>Stadt</strong>teile Charlottenburg<br />

und Kreuzberg-Ost mit ihren Temperaturextremen und hohen<br />

S02-Werten.<br />

Soll die klimatische und lufthygienische Situation nicht weiter verschlechtert,<br />

sondern verbessert werden, sind bezüglich einer weiteren<br />

baulichen Verdichtung enge Grenzen gesetzt. Die offene Baustruktur in<br />

Verbindung mit einigen Durchlüftungsbahnen ist Ursache für die derzeitige<br />

deutlich abgemilderte Ausprägung des <strong>Stadt</strong>klimas. Die Südliche<br />

Friedrichstadt und das angrenzende Bahnhofsgelände dienen demnach<br />

als stadtökologische Ausgleichsfläche für die benachbarten Bezirke.<br />

Gleiches gilt auch für den Biotopschutz, d.h. für die Tier- und<br />

Pflanzenwelt. Hier ist auch noch »Natur« anzutreffen. Pflanzen, Tiere<br />

(Vögel und insbesondere Schmetterlinge), die wir sonst nur aus der<br />

freien Landschaft kennen, tauchen hier mitten in der <strong>Stadt</strong> auf -<br />

zwischen völlig mit der Natur verarmten <strong>Stadt</strong>teilen.<br />

Die Ursache dafür bilden weit ausgedehnte brachliegende Gleisanlagen,<br />

geräumte Trümmerflächen und extensiv genutzte Gewerbeflächen,<br />

die sich in den letzten 30 Jahren verhältnismäßig ungestört spontan<br />

begrünt haben. Heute weisen sie eine südlich anmutende, wildnishafte<br />

Vegetation auf aus Grasfluren,<br />

Gebüschen und savannenartigen Hainen breit ausladender Robinien,<br />

wie wir sie sonst nirgends im Zentrum bebauter Gebiete antreffen.<br />

29


Abb. 3: Grasflure<br />

Abb. 4: Resedakrautschicht


Abb, 5: Rpbinienbestand Victoria-<br />

Gelände<br />

Abb. 7: Typische Bepflanzung einer<br />

Wohnsiedlung nach '45<br />

Andere Vegetationskomplexe wie<br />

die Begleitvegetation der geschlossenen<br />

Blockbebauung des 19.<br />

Jahrhunderts (Kastanien-Rotdorn-Holunder)<br />

oder die der<br />

Wohnsiedlungen nach 1945 (Silberahorn-Birken-Blutpflaumen)<br />

spielen quantitativ und qualitativ<br />

eine geringere Rolle.<br />

Der Bestand an angepflanzten<br />

Bäumen auf den Straßen und in<br />

den Blöcken ist sehr gering und<br />

überwiegend sehr jung (unter 15<br />

Jahre alt). Nur ein Drittel der Straßen<br />

ist bepflanzt.<br />

Abb. 6: Seifenkraut mit Robinien<br />

(im Hintergrund)<br />

31


Abb. 8: Bestand an Straßenbäumen in der Südlichen Friedrichstadt<br />

Lediglich einige Abschnitte der Stresemann-, Großgörschen- und Lindenstraße<br />

weisen Bäume mittleren Alters auf. Alte Bäume kommen<br />

ganz vereinzelt an älteren öffentlichen Gebäuden vor. Auffällig verarmt<br />

sind die jüngeren Wohnsiedlungen z.B. am Mehringplatz und die Gewerbeblöcke<br />

an der Kochstraße wie Springer und Bundesdruckerei.<br />

Hier ist zum einen der Anteil an Vegetationsflächen sehr gering, zum<br />

anderen wird das Aufkommen von Wildvegetation durch Herbizideinsatz<br />

unterbunden. Die bevorzugten Gehölze leiden nicht nur unter den<br />

extremen Standortbedingungen (hohe Versiegelung und Herbizideinsatz).<br />

Oft sind es nur schwachwüchsige Zierarten (Eberesche, Blutpflaume<br />

etc.) oder wenig standortgerechte Arten, daß ökologisch relevante<br />

Wuchsleistungen nicht zu erwarten sind. In den neueren Wohnsiedlungen<br />

häufen sich daher Gehölze mit Schäden wie chlorotische Blattverfärbungen.<br />

Die Spontanvegetation der nicht bebauten Gebiete ist dagegen vielfältig,<br />

standortangepaßt und hat sich zu z.T. sehr dichten und hohen<br />

Beständen entwickelt. Sie ist im Bestandsplan nach drei Entwicklungsstadien<br />

differenziert:<br />

• Pionierbesiedlung (1- bis 2jährig);<br />

• ausdauernde, krautige Bestände (Wiesen und Staudensäume);<br />

• Gehölze und Gebüsche.<br />

32


Typische Pioniere der sandig trockenen Trümmerflächen sind z.B. die<br />

Nachtkerzen und das kanadische Berufskraut. Nach 3 bis 4 Jahren<br />

folgen ausdauernde Stauden- und Wiesenstadien wie die Goldrutenwiese<br />

hinter dem Berlin-Museum, die 6- bis 7jährige Naturwiese mit wilden<br />

Möhren (Berlin-Museum) und über 7 Jahre alte Reitgraswiesen.<br />

An etwas ungestörten Stellen finden sich ebenfalls Gehölze ein. Im<br />

Schatten höherer Gebäude auf stickstoffreichem Untergrund Waldrebenund<br />

Holundergebüsche, auf den ärmeren, trockenen und sehr warmen<br />

Trümmerflächen und an sonnenbeschienenen Mauern und Nischen<br />

Schmetterlingsbusch und Sanddorn (Potsdamer Personenbahnhof).<br />

Auf das Gebüschstadium folgen waldartige Gehölzbestände, die inzwischen<br />

stellenweise ein Alter von 30 Jahren erreicht haben.<br />

Birkenwäldchen und Espen besiedeln vorzugsweise die Gleisanlagen<br />

(Anhalter Bahnhof), Robinien die geräumten Trümmerflächen (Victoria).<br />

Die Grundlage für den hohen ökologischen Wert der Spontanvegetationsflächen<br />

bilden im einzelnen vier Faktoren:<br />

Artenvielfalt<br />

Die Flächen beherbergen ein Vielfaches der Arten von intensiv gepflegten<br />

und angelegten Grünanlagen. Die Artenzahl der Fläche nördlich des<br />

Tempelhofer Amtsgerichts ist beispielsweise mit 112 Arten dreimal so<br />

hoch wie die einer angelegten Grünanlage gleicher Größe (z.B. Lausitzer<br />

Platz - 37 Arten).<br />

Seltene und gefährdete Arten<br />

Seltene Arten gemäß der Roten Liste Berlin häufen sich auffällig in der<br />

Südlichen Friedrichstadt, in den Blöcken 630/631 (Potsdamer Personenbahnhof),<br />

3, 7, 14, auf dem Anhalter Personenbahnhof, 608, 20, 28/31<br />

und 33. Unter die seltenen Arten fallen meist Spezialisten wie z.B. die<br />

Sandstrohblume (Abb. 9), die trockene Sandflächen bevorzugt, oder<br />

der weniger auffällige Mäuseschwanzfederschwingel, auch ein Sandbodenbesiedler.<br />

Größe der zusammenhängenden Fläche<br />

Die größten zusammenhängenden Flächen sind der Anhalter Personenbahnhof,<br />

die Fläche, hinter dem Berlin-Museum und die Flächen im<br />

Block 3 (Autodrom).<br />

33


Abb. 9: Sandstrohblume - eine der seltenen Arten, die auf Spontanvegetationsflächen<br />

noch vorkommt<br />

Alter und Stabilität des <strong>Öko</strong>systems<br />

Die Bedeutung des Naturschutzes in städtischen Räumen nimmt mit<br />

dem rapiden Rückgang naturhafter Flächen zu. Neben dem ökologischen<br />

Wert für Arten- und Biotopschutz sind sie wertvoll als Mode- und<br />

Experimentierflächen für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke.<br />

Für die Wissenschaft sind speziell die Berliner Spontanvegetationsflächen<br />

einmalig, in Europa und unersetzliche Beobachtungsflächen, da sie<br />

mitten in einem Ballungsgebiet liegen und ein hohes Alter aufweisen.<br />

Sie geben erstmals Aufschluß darüber, welche Arten (Tiere und Pflanzen)<br />

überhaupt in der Lage sind, sich städtischen, d.h. extremen Umweltbedingungen<br />

anzupassen, wie künstliche Substrate (Beton, Ziegelschutt<br />

etc.) besiedelt und letztlich wieder zu Boden werden können, und<br />

welche natürlichen Sukzessionen und Schlußvegetation in unseren Städten<br />

zu erwarten sind, würde man sie sich selbst überlassen. Aber nicht<br />

nur ökologische Kriterien erfordern den Schutz dieser Flächen.<br />

Botanische Vielfalt bringt auch Erlebnisvielfalt<br />

Die Flächen haben eine landschaftliche Erlebnisqualität, die nicht oder<br />

nur schwer und erst nach vielen Jahren in einer angelegten Grünanlage<br />

34


entsteht. Kinder haben die Chance, Ursprüngliches zu entdecken, längst<br />

wahrgenommen. Sie spielen auf den Brachflächen, während die angelegten<br />

Spielplätze leerstehen.<br />

Aber auch andere Gebietsbewohner nutzen - trotz zahlreicher Barrieren<br />

(Mauern, Verbote und wildes Gestrüpp) - in vielfältiger Weise die<br />

Freiflächen: als Erschließung, zum Spaziergang, als Lager- und Arbeitsflächen.<br />

Ungefähr 16 ha, d.h. 15% der Siedlungsfläche, nehmen die wild<br />

begrünten Freiflächen in der Südlichen Friedrichstadt ein. Die Vergleichszahlen<br />

für öffentliche Parkanlagen betrugen 5 ha (2,6%). Keine<br />

dieser Flächen ist jedoch planungsrechtlich gesichert, keine ist öffentliche<br />

Grünfläche - alle sind Bauerwartungsland oder geplantes Kunstgrün:<br />

Sportplatz, Museumsgarten.<br />

Es ist offensichtlich, daß heute auch in diesem ökologischen Bereich<br />

die Südliche Friedrichstadt eine wesentliche Ausgleichsfunktion für den<br />

benachbarten Kreuzberger Osten übernimmt. Jede rasche Veränderung<br />

und Dezimierung der Flächen hat eine völlige Artenverschiebung und<br />

Artenverarmung zur Folge und würde die derzeitige Funktion der<br />

Flächen als Ausgleichsflächen (Refugien und Ausbreitungszonen für<br />

Natur in der <strong>Stadt</strong>) für die verarmten benachbarten Gebiete zerstören.<br />

Eine der wichtigsten ökologischen Anforderungen an die Planung des<br />

<strong>Stadt</strong>teils liegt im Schutz der Spontanvegetationsflächen und in ihrer<br />

Verwendung und Integration in das Grünsystem des <strong>Stadt</strong>teils. Es<br />

wurden fünf Flächen als schutzwürdige Biotope gekennzeichnet.<br />

Die bisher vorliegenden städtebaulichen Konzepte und das IBA-<br />

Programm orientieren sich vorrangig an der historischen <strong>Stadt</strong>gestalt.<br />

Dies hat seinen Grund darin, daß die Südliche Friedrichstadt als ältester<br />

Citybezirk von Berlin (West) besonders historisch befrachtet ist, überlagern<br />

sich doch hier mehrere Epochen der Berliner <strong>Stadt</strong>geschichte. Auf<br />

die Rekonstruktion einzelner Denkmäler wird besonderes Gewicht gelegt.<br />

Geht man aber diesem vorgeblich historischen Ansatz etwas genauer<br />

auf den Grund, so zeigt sich, daß hier geschichtliche Verpflichtung<br />

häufig eng und statisch verstanden wird. Oft wird nur eine einzige<br />

Epoche aus der gesamten Geschichte des Viertels zum Vorbild für die<br />

städtebauliche Entwicklung oder nur die historische Baustruktur und<br />

das Straßensystem zum Ausgangspunkt genommen, die Geschichte der<br />

Freiräume schlicht vergessen.<br />

Ein Konzept, das eine bauliche Idee -. etwa die der kleinen Blöcke<br />

(Krier) oder Schließung der Blockkanten (Kleihues) - über das gesamte<br />

Viertel legt, muß in schärfsten Konflikt geraten mit den Zufälligkeiten<br />

eines dann unangenehm organisch wuchernden Wildwuchses. Dies gilt<br />

ganz besonders, wenn das Material transparent und sensibler ist als in<br />

Stein gegossene Zufälligkeiten wie das Springer-Hochhaus.<br />

35


Nimmt man die <strong>Stadt</strong>historie ernst, so müßte die Baugeschichte<br />

wenigstens um die Freiraumtypen der einzelnen historischen Schichten<br />

ergänzt werden. In der Südlichen Friedrichstadt sind mindestens sechs<br />

Schichten der Freiraumformen angelegt und z.T. auch noch auffindbar.<br />

Abb. 10: Historische Freiraumform in der Südlichen Friedrichstadt<br />

Es sind:<br />

- Urlandschaft<br />

Der Verlauf des Urstromtales mit Seitenrinnen ist ablesbar an der<br />

Lage einer schwer bebaubaren Faulschlammzone im Gebiet des Blumenmarkts,<br />

das auch traditionell nicht voll überbaut war (Park um die<br />

Sternwarte im 19. Jahrhundert).<br />

- Barock bis zum Klassizismus<br />

Öffentliches, städtisches Grün ist unbekannt. <strong>Stadt</strong>straßen und Plätze<br />

waren meist baumlos und stehen im Kontrast zu großen Nutz- und<br />

Ziergärten im Blockinnenbereich und entlang der Zollmauer. Noch<br />

heute hat die Verbreitung alter angepflanzter Obstbäume in Kreuzberg<br />

ihren Schwerpunkt entlang der ehemaligen Zollmauer.<br />

- Erst im 19. Jahrhundert kommt eine öffentliche, zum Teil kommunale<br />

Grünplanung auf. Die ersten systematischen Begrünungen stehen im<br />

Zusammenhang mit Kanal- und Eisenbahnbauten. Die Verschönerung<br />

der Kanalufer ist in Lennes Bebauungsplan von 1841 erkennbar.<br />

Später werden die Hauptstraßen (Linden-, Stresemann-, Schöneberger<br />

Straße) und die Plätze (Mehringplatz und Askanischer Platz)<br />

36


egrünt. Mit der Entwicklung zum Citygebiet verschwindet das Grün<br />

im privaten Blockinnern völlig bis auf Einzelbäume im Hof, an<br />

öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Gerichten, Kirchen. Straßen und<br />

Plätze werden systematisch begrünt und zu Schmuckanlagen umgestaltet.<br />

- Kriegs-/Nachkriegszeit<br />

Vegetation der Ruinen, Trümmergrundstücke<br />

- 50er Jahre<br />

Unter dem Leitbild der »gegliederten, aufgelockerten <strong>Stadt</strong>« entsteht<br />

parkartiges Siedlungsgrün (z.B. Ötto-Suhr-Siedlung) und Grünzüge<br />

(am Landwehrkanal, Böcklerpark), die vom Flußcharakter des Wasserlaufs<br />

ausgehen.<br />

- 60er bis 70er Jahre<br />

Präferenz von architektonisch gestaltetem Grün im Siedlungsbereich<br />

und als Repräsentationsanlagen vor öffentlichen und gewerblichen<br />

Gebäuden, z.B. das Baumraster vor dem Wohnbau vor Springer,<br />

Gartenanlage vor dem Postscheckamt.<br />

Die Planungsvorstellungen, wie z.B. die Flußlandschaft Landwehrkanal,<br />

ein Vorschlag von Hans Jacob im Wettbewerb zum Landwehrkanal,<br />

lassen sich stilistisch einordnen als 50er-Jahre-Freiraum-IConzept. Sie<br />

wurden später in die Rahmenplanung zur Südlichen Friedrichstadt übernommen.<br />

Rastergrün, wie hier am Kunstgewerbemuseum, ist ebenfalls<br />

gut einzuordnen: die späten 60er und 70er Jahre.<br />

Geschichte und <strong>Öko</strong>logie müssen kein Widerspruch sein. Allerdings<br />

gilt dies nur, wenn man die Geschichte nicht mit dem 19. Jahrhundert<br />

enden läßt und ihre Vielfalt positiv begreift, wenn neben der Baugeschichte<br />

auch etwas über die Grünräume in den einzelnen Epochen<br />

nachgedacht wird.<br />

Die letzte Skizze zeigt die Überlagerung der drei Schichten: Erholungsflächen,<br />

<strong>Öko</strong>logie, historische Freiraumformen.<br />

Alle möglichen Gestaltungselemente, die in der Bereichsgeschichte<br />

angelegt sind, werden bewußt zitiert, z.T. rekonstruiert und kontrastierend<br />

überlagert.<br />

Danach sind die barocken Elemente der niedrigen Blockrandbebauung<br />

mit Innengärten Leitbild für den Wiederaufbau der einzelnen<br />

Blöcke, z.B. Linden-/Ritterstraße.<br />

Der öffentliche Straßenraum mit achsialen baumbestandenen Straßen<br />

(Friedrich-, Wilhelm-, Stresemann-, Lindenstraße) und architektonisch<br />

geprägten Grünplätzen (Askanischer Platz, Besselplatz) und der Landwehrkanal<br />

orientiert sich an den Formelementen des 19. Jahrhunderts.<br />

Dieses städtische System aus Allee und Platz wird von einem zweiten<br />

querlaufenden Grünsystem überlagert, das sich aus den durch Fußwege<br />

37


Abb. 11: Überlagerung der drei Schichten Erholungsflächen, <strong>Öko</strong>logie und<br />

Historische Freiraumformen<br />

vernetzten einzelnen Spontanvegetationsflächen rekrutiert und damit<br />

die historischen Gegebenheiten der Nachkriegszeit positiv aufgreift.<br />

Das zweite, den <strong>Stadt</strong>grundriß überlagernde System der wildnishaften<br />

Grünflächen kann jedoch nur dann stadtgestalterisch und ökologisch<br />

wirksam werden, wenn eine ausreichend große Anzahl von Einzelflächen<br />

dieser Qualität gesichert wird und sie durch ein Wegesystem<br />

vernetzt, erschlossen und erlebbar gemacht werden.<br />

Ein Bauvorhaben, welches die IBA in der Friedrichstadt vorbereitet,<br />

beansprucht jedoch bereits eine der großen Spontanvegetationsflächen<br />

mit waldähnlichem Baumbestand: das Victoria-Gelände neben dem<br />

Berlin-Museum.<br />

(Die ersten Bäume dieses einzigartigen Altbaumbestandes in der<br />

Südlichen Friedrichstadt wurden soeben, trotz der Proteste von Bewohnern,<br />

unterer Naturschutzbehörde, Bezirk und Grünplanern der IBA<br />

abgeholzt. Anm. d. Hrsg., März 1984)<br />

38


Hermann Barges<br />

Erfahrungen und Ideen<br />

zur Begrünung in Kreuzberg<br />

Die große Vielfalt von Ideen, von Anregungen und Möglichkeiten, die<br />

von dem ersten <strong>Öko</strong>logie-Symposium der Internationalen Bauausstellung<br />

1980 ausgingen, gaben nicht nur den in der IBA beschäftigten<br />

<strong>Öko</strong>logen und ökologisch orientierten Architekten Mut zum weiteren<br />

Experiment, sondern erweckten auch bei den Bewohnern des Notstandsgebietes<br />

Kreuzberg, mit einem Freiflächenanteil von nur 4% der<br />

Gesamtsiedlungsfläche und seinem Defizit von 95 ha an öffentlichen<br />

Grünflächen, Hoffnungen auf eine bessere Versorgung mit Grün- und<br />

Naherholungsbereichen.<br />

Vor allem die Vorstellung der Belebung der Hunderte von Brandgiebeln<br />

und Dächern mit grünen Pflanzen, die von Rudolf Doernach durch<br />

zahlreiche Beispiele belegt und vorgetragen wurde, blieb im Gedächtnis<br />

der Kreuzberger. Sie blieb bis heute eine machbare Utopie.<br />

Viele der damals der IBA gegenüber mißtrauischen Kiezbewohner<br />

blieben in der Folge doch im Gebiet wohnen und begannen zusammen<br />

mit der IBA das Experiment »kaputte <strong>Stadt</strong> retten«.<br />

Dreieinhalb Jahre danach läßt sich sagen, daß dieses Symposium nicht<br />

in dem Maße zu einem ökologischen Planen und Bauen im IBA-Gebiet<br />

beigetragen hat, wie damals empfohlen und in Resolutionen gefordert<br />

wurde.<br />

Weil die Beiträge beim Symposium jedoch fast ausschließlich noch auf<br />

der Ebene des Möglichen lagen, die Umsetzung aber noch unter Berücksichtigung<br />

der konkreten rechtlichen-territorialen-bauphysikalischen<br />

und auch historischen Bezüge erfolgen kann und erst noch erarbeitet<br />

werden mußte, blieb die ökologische Planung weiterhin ausgeschlossen<br />

vom offiziellen Bau- und Sanierungsgeschehen der IBA.<br />

Das für die IBA entwickelte Leitbild »Mit neuen Bautechnologien und<br />

veränderten Entwurfskriterien wird das Umweltbewußtsein formschaffenden<br />

Einfluß auf den Städtebau gewinnen« (1. Senatsvorlage) hat sich bis<br />

auf wenige Projekte nicht durchsetzen können. Wertvollen Beständen<br />

von Spontanvegetation lastet noch immer der Ruch des »Unkrautes« an.<br />

Sie werden zur Bebauung freigegeben. Die erhoffte Kooperation mit<br />

Landschaftsplanern und <strong>Öko</strong>logen fand nicht statt.<br />

39


Abb. 1: Aussaataktion<br />

am Fraenkelufer<br />

(Frühling<br />

1981). Einjährige<br />

Rank- und Gruppenpflanzenwurden<br />

von den Bewohnern<br />

in ihren<br />

Wohnungen vorgezogen<br />

und später<br />

gemeinsam auf<br />

Baikonen, in Vorgärten,<br />

an Brandgiebel,<br />

in die Höfe<br />

und auf Flachdächer<br />

gepflanzt.<br />

Das Experiment und die Realisierung der geforderten Innovation<br />

fand im wesentlichen in der Illegalität rechtlicher und planerischer<br />

Freiräume statt. Gemeinsam mit dem Potential an Phantasie und Kreativität,<br />

der sogenannten Instandbesetzungsbewegung, konnten Modelle<br />

entwickelt und Erfahrungen in der praktischen Umsetzung gesammelt<br />

werden, die heute die Grundlagen bilden für ökologische Ansätze in<br />

vielen geplanten IBA-Projekten, wie Hof-, Dach- und Fassadenbegrünungen,<br />

alternative Wasserversorgungsansätze, alternative Energiekonzepte,<br />

getrennte Abfallsammlung, bis hin zur ökologischen Blockentwicklungsplanung.<br />

Das Dilemma der IBA-Forschungsabteilung und der Landschaftsplaner<br />

bestand einerseits darin, daß wir keinerlei Durchführungsmaßnah-<br />

40


Abb. 2: IBA-<br />

Pflanzhof (Sommer<br />

1981). Raumnetze<br />

an Brandgiebeln<br />

mit<br />

schnellwachsenden<br />

Ranken (hier<br />

Feuerbohnen und<br />

fünfblättriger wilder<br />

Wein) geben<br />

den Häusern Außenräume.<br />

men finanzieren dürfen, da die IBA eine reine Planungs- und Beratungsgesellschaft<br />

ist. Und andererseits sank die Bereitschaft der Mieter zur<br />

Haus- und Hofbegrünung, wenn diese und andere Maßnahmen zur<br />

Wohnumfeldverbesserung mietwirksam werden sollten. So entstand die<br />

Idee der Blockgärtnerei.<br />

In fast allen Blöcken gibt es geeignete Flächen, auf denen die Bewohner<br />

nach Feierabend und am Wochenende »gärtnern« und sich ihre<br />

»Pflanzenbabys« (nach Doernach) selber unter fachlicher Anleitung<br />

heranziehen können, bis ihre Häuser wieder instand gesetzt sind, um sie<br />

dann endgültig an die dafür geeigneten Plätze bei ihnen am Hause zu<br />

pflanzen.<br />

Im Frühjahr 1981 wurden am Fraenkelufer von der IBA ein Pflanzhof<br />

41


Plan 1: Begrünungsaktivitäten in den <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebieten der IBA.<br />

und Beratungsstelle für Haus- und Hofbegrünung eingerichtet. Gemeinsam<br />

mit den Bewohnern wurden an Wochenenden Aktionen durchgeführt,<br />

wie: Aussaat, Stecklingsvermehrung, Umpflanzen von Pflanzund<br />

Baumspenden, Neupflanzungen von Vorgärten und Randstreifen,<br />

Anlage von Kräuterbeeten und eines Foliengewächshauses, Kompostierung,<br />

Bepflanzung ihrer Balkone etc.<br />

In Zusammenhang mit dem Pflanzhof am Fraenkelufer wurden auch<br />

noch andere Grundstücke begrünt, wie ein nur noch wenig benutzter<br />

42


Schulhof, oder eine größere Gewerbehofanlage mit intakter Gebäudesubstanz<br />

sowie ein Kinderspielplatz in Selbsthilfe erstellt und Baulücken<br />

und Müllgrundstücke in Mietergärten umfunktioniert.<br />

Im Laufe des Jahres konnte durch die Arbeit im Gebiet ein wesentlicher<br />

Kontakt zu den engagierten Bevölkerungsgruppen hergestellt<br />

werden. Der Bedarf an begrünten Höfen und Brandwänden, und auch<br />

die Bereitschaft der Bevölkerung, hieran aktiv mitzuarbeiten, konnte<br />

vor Ort konkret erfahren werden.<br />

Bei der Suche nach Lösungen bautechnischer und rechtlicher Fragen<br />

stießen wir auf die Tradition Berliner Dachwiesen auf Holzzement- und<br />

43


Kiespreßdächern der Jahrhundertwende und die noch viel ältere Tradition<br />

der Fassadenbegrünung und Gartenhöfe mit Tierhaltung in den<br />

Blöcken.<br />

Die Selbsthilfegruppen in den instand besetzten Häusern fingen an,<br />

über neue Nutzungsarten ihrer Häuser nachzudenken. In fast allen<br />

Selbsthilfeprojekten wurden provisorische Formen der Hofbegrünung<br />

durchgeführt, in Badewannen wurden Kräuter herangezogen, Ausgüsse<br />

wurden bemalt und an den Türeingängen angebracht und bepflanzt.<br />

Man experimentierte mit Autoreifen, allen Arten von Fässern, Eimern,<br />

und was sich sonst noch so an Brauchbarem anfand im Instandsetzungsmüll<br />

des Sanierungsgebietes.<br />

Netze wurden demonstrativ an Brandgiebeln angebracht und mit<br />

Knöterich und anderen schnellwachsenden Ranken bepflanzt.<br />

In den Köpfen und Plänen der jungen Generation von Sanierern hatte<br />

die <strong>Öko</strong>logie noch einen der vorderen Plätze. Solange der Freiraum<br />

vorhanden war - ohne Bauaufsicht und aufwendige Genehmigungsverfahren<br />

-, wurde experimentiert. Das erste Grasdach in Selbsthilfe<br />

entstand ohne statisches Gutachten, genau wie die erste Klospülung mit<br />

Grauwasser aus der Badewanne ohne Baugenehmigung eingebaut wurde.<br />

Soviel Anträge, wie Durchbrüche an Brandgiebeln entstanden, hätte<br />

die Bauaufsicht gar nicht bearbeiten können in der kurzen Zeit des<br />

Abb 3: Traditionelles Berliner Holzzementdach. In den 20er Jahren gab es'in<br />

Berlin über 2000 solcher Dachwiesen - heute nur noch ca. 50.<br />

44


Abb. 4: 100% mit wildem Wein<br />

begrünte Hinterhotfassade in der<br />

Oranienstraße<br />

Abb. 5: Playa del Fraenkel: Badewannen<br />

als Planschbecken (unten)<br />

»alternativen Frühlings«. Träume, die noch nicht realisiert werden konnten,<br />

wurden auf Mauern und an Fassaden gemalt. Landschaften, Pflanzen<br />

und Tiere gehörten fast immer dazu. Auch in den ersten Konzepten<br />

45


Abb. 6a und b: Playa del Fraenkel:<br />

Fischernetz am Brandgiebel (1981 und<br />

1983)<br />

fand dieses Denken seinen Niederschlag. Überall, wo an den Häusern<br />

repariert werden mußte, hatte die Natur oder sparsamer Umgang mit<br />

natürlichen Ressourcen den fest eingeplanten Anteil. Fast überall waren<br />

die Dächer erneuerungsbedürftig, und es war schon fast selbstverständlich,<br />

daß diese nicht wieder mit stinkender Bitumenpappe erneuert<br />

46


werden sollten, sondern als Dachgewächshaus zur Selbstversorgung mit<br />

Kräutern und Früchten genutzt werden könnten.<br />

Doch die Früchte dieses <strong>Öko</strong>-Frühlings waren noch nicht Apfelsinen<br />

oder Bananen von den Dächern, sondern eher die Lehren aus den<br />

Sünden des noch nicht geübten behutsamen Umganges mit der z.T.<br />

über 100 Jahre alten Bausubstanz.<br />

Der politische Alltag war geprägt von der Rückführung »rechtsfreier<br />

Territorien« in das Gefüge »rechtsstaatlicher Ordnung«. Es wurde verhandelt<br />

und viel diskutiert. Programme, Finanzierungs- und Eigentumsmodelle<br />

wurden entwickelt, aber über Innovation und <strong>Öko</strong>logie wurde<br />

kaum noch gesprochen. Mittel für »Grün« (außer Fassadenanstrich)<br />

waren in diesen Programmen nicht mehr vorgesehen.<br />

Die Instandsetzung von Dächern, Abläufen und Fassaden erforderte<br />

meist einen teuren arbeitstechnischen Aufwand, der bei solchen wirksamen<br />

Maßnahmen, wie Dachwiesen und Fassadenbegrünungen, ebenfalls<br />

benötigt wird. Leider verfügten wir bisher noch zu wenig über Erfahrungen<br />

der Begrünung »extremer Standorte« in <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebieten,<br />

ebenso wie es damals noch an finanziellen Mitteln und, insbesondere in<br />

den Blöcken und Häusern, in denen die Instandsetzungsarbeiten weitgehend<br />

in Selbsthilfe durchgeführt werden, an Kapazitäten fehlt, Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen<br />

an der Haushülle auszuführen. Es erschien<br />

mir von daher dringend notwendig, gemeinsam mit Architekten,<br />

<strong>Öko</strong>logen und Selbsthilfegruppen Möglichkeiten zu entwickeln, mit<br />

geringen Mitteln die Häuser so zu verändern bzw. Vorrichtungen anzubringen,<br />

daß nach erfolgter Instandsetzung Begrünungs- und Wartungsarbeiten<br />

ohne großen Aufwand von den Gruppen durchgeführt werden<br />

können und Bewirtschaftungskosten senken helfen.<br />

Den im IBA-Gebiet tätigen Planern, Architekten und Selbsthilfegruppen<br />

wurde ein Katalog von Maßnahmen vorgelegt, wie bei Instandsetzungsarbeiten<br />

»Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes«<br />

berücksichtigt und mit eingeplant werden können, und wie die Bereitschaft<br />

der Bewohner, ihr Wohnumfeld zu begrünen, gefördert werden<br />

kann sowie ein Kriterienkatalog für die Bereitstellung von Mitteln für<br />

Wohnumfeldverbesserungsmaßnahmen, die nicht mietwirksam werden<br />

dürfen. Dieser Katalog sah folgendermaßen aus:<br />

Maßnahmenkatalog zur Einbeziehung ökologischer Maßnahmen<br />

in der <strong>Stadt</strong>erneuerung (Instandsetzung)<br />

A. Planerische Vorbereitung<br />

1. Erstellung von Planungsgrundlagen durch Blockarchitekten wie<br />

• Nutzungs- und Zonierungsplan,<br />

47


• Vegetationsbestandsplan,<br />

• graphische Darstellung der Lichtverhältnisse<br />

2. Befragung der Hausbewohner<br />

ß. Instandsetzungsmaßnahmen - Vorarbeiten<br />

1. Sicherung der vorhandenen Vegetation vor Bauschäden.<br />

Großbäume: Anbringen von Rohrmatten, Verschalung, Abdecken<br />

des Wurzelbereichs mit Brettern oder Stroh,- Reisig etc.<br />

Bei Abgrabungen im Wurzelbereich eine(n) Fachmann/frau hinzuziehen.<br />

Sträucher: Aufbinden oder Schutzzaun.<br />

Stauden: Herausnehmen und an geschützter Stelle aufschulen.<br />

Fassadenpflanzen: möglichst vor Beginn der Vegetationsperiode abnehmen,<br />

zurückschneiden (fachgerecht) und auf ein Gerüst legen.<br />

2. Sicherung der Vegetationsflächen durch Mulchen mit Stroh und mit<br />

Brettern abdecken.<br />

3. Bei Erdbewegungen getrennte Lagerung des Mutterbodens (oberste<br />

30 cm) in Mieten.<br />

Instandsetzung der Fassade<br />

1. Belassung der Gerüstanker. Möglichst Verwendung von Verbundankern<br />

(keine Kältebrücke).<br />

2. Anbringung von Verbundankern mit Ring an den Gebäudekanten-<br />

Ecken unten ca. 80 cm über Terrain und oben unter den Firsten und<br />

Gesimsen.<br />

• Montage von Rankschnüren bzw. grobmaschigen Ranknetzen.<br />

3. Ausstattung der Fensterbretter mit den typischen Berliner »Fenstervorgärten«<br />

oder Anbringung von Winkeln bzw. U-Eisen mit mindestens<br />

30 cm Auflagebreite und-tiefe.<br />

4. Ausstattung besonnter süd-, südwestorientierter Fassaden mit Spalieren<br />

oder Dübeln mit Ösen bis 3 m.<br />

Instandsetzung der Brandwände<br />

1. Berücksichtigung von Bewohnerwünschen von Durchbrüchen sowie<br />

Ausstattung derselben mit Winkeleisen.<br />

2. Anbringung von Versuchsanlagen zur »Besiedelung extremer Standorte«<br />

für Flora und Fauna, wie:<br />

48


Abb 7: Fenstergewächshaus vor der<br />

Küche, zur Anzucht von Kräutern<br />

geeignet.<br />

• Pflanzkästen, -becken, -wannen, Reifen, Säcke, Nistkästen etc.<br />

3. Rankhilfen, sonst wie Fassade.<br />

4. Prüfung der Möglichkeit für billige Dauergerüste.<br />

Instandsetzung von Flach-, Mansarden- und Pultdächern<br />

1. Wiederherstellung der alten Tragfähigkeit.<br />

2. Bei Erneuerung kompletter Dächer: Prüfung, ob extensive Dachbegrünung<br />

durchgeführt werden kann.<br />

3. Dächer mit würzelfester Folie eindecken (statt Dachpappe). .<br />

4. Möglichkeit des Ersatzes der äußerst reparaturanfälligen Kehlen<br />

durch kleine Dachterrassen.<br />

5. Information und Abstimmung mit den Bewohnern.<br />

6. Dachschalung sollte aus gespundeten 2,5-3,5 cm starken, ungehobelten<br />

Brettern hergestellt werden.<br />

7. Regenrinnen können entfallen bei Dachbegrünung, wenn Winkelelemente<br />

angebracht werden mit Drainage und Gefälle zu den Abläufen.<br />

8. Wasseranschluß im Dachbereich.<br />

49


Instandsetzung von Satteldächern<br />

1. Installation von verzinkten Haken oder Ösen gegen das Abrutschen<br />

von Leitern oder zur nachträglichen Benutzung von Hängegerüsten.<br />

2. Bei Erneuerung Prüfung, ob extensive Dachbegrünung durchgeführt<br />

werden kann (bis 60° Neigungswinkel).<br />

Instandsetzung von Gesimskästen<br />

Montage von Haken zur Verstärkung späterer Pflanzenträgersysteme<br />

bzw. leichter Hängegerüste an den Sparren.<br />

Instandsetzung der Holzbalkendecken<br />

1. Bei Anschuhen oder Erneuerung von Deckenbalken, Möglichkeit<br />

des Hinauskragens als Träger von Laubengängen am Drempelmauerwerk,<br />

Pflanzkästen oder Möglichkeit zur Anbringung von Hängegerüsten.<br />

Erleichterung von Wartungsarbeiten auf Traufgangen.<br />

2. Möglichkeit als Ersatz der Regenrinne - eine Pflanzenwanne mit<br />

Drainage und Gefälle zu den Abläufen.<br />

Möglichkeiten zur Einrichtung von billigen Dauergerüsten hofseits.<br />

Trockenlegung der Keller und Grundmauern<br />

1. Bauseitige Lagerung evtl. noch vorhandener Pflasterung (Katzenköpfe,<br />

Granitplatten, Klinker etc.).<br />

2. Nach Beendigung der Maßnahmen keine Neuversiegelung.<br />

3. Eingrenzung der Vegetationsflächen aus den vorhandenen Materialien.<br />

Wiederherstellung der Hofentwässerung<br />

Entwässerung möglichst in nicht versiegelte und Vegetations-Flächen.<br />

Abbrucharbeiten<br />

1. Wiederverwendungsfähiges Material wie Ziegelsteine, Granitplatten,<br />

Katzenköpfe, Balken, Dielen etc. in Abstimmung mit den Bewohnern<br />

bauseits lagern.<br />

50


2. Mauern, wenn möglich, nicht komplett abreißen. Torbögen, Details<br />

und Ecken abgestuft stehen lassen.<br />

3. Seitenflügel möglichst nicht bis auf die Grundmauern abreißen.<br />

Abstimmung mit den Bewohnern, ob Terrassen sowie Gemeinschaftsräume<br />

gewünscht sind (anhand von Modellen oder Besonnungsplan,<br />

Isometrie).<br />

Ordnungsmaßnahmen<br />

1. Anlieferung von aufbereitetem Mutterboden.<br />

2. Einrichtungen zur Aufbewahrung von Werkzeug und Gerät für die<br />

Haus- und Hofbegrünung.<br />

3. Einrichtung eines Wasseranschlusses auf dem Hof.<br />

4. Möglichkeiten der Mülltrennung (Kompostcontainer).<br />

Maßnahmen zur Förderung der Bereitschaft der Bewohner, in <strong>Stadt</strong>erneuerungsgebieten<br />

ihr Wohnumfeld zu begrünen<br />

1. Entsiegelte Hofflächen oder Pflanzbecken, -kästen bei unterkellerten<br />

Höfen.<br />

2. Vorrichtungen zum Anbringen von Pflanzenträgersystemen an den<br />

Fassaden und auf Flachdächern.<br />

3. Wasseranschluß auf dem Hof/Dach.<br />

4. Erhöhung der Tragfähigkeit der Dächer.<br />

5. Kostenlose Anlieferung von Mutterboden.<br />

6. Möglichkeit, bei der Pflanzen- und Materialauswahl mitzuentscheiden.<br />

7. Phantasiewandbilder mit ökologischem Bezug; Malaktionen und<br />

kreatives Planspielen (Collagen) fördern die Bereitschaft der Bewohner,<br />

vor allem der Kinder, sich an den Begrünungsaktivitäten zu<br />

beteiligen.<br />

Dem Katalog zugrunde liegt ein neues Arbeitsfeld für Landschaftsplaner<br />

und <strong>Öko</strong>logen. Hier geht es nicht mehr nur um Biotopschutz und<br />

-anreicherung auf Abstandsflächen, sondern um die Haushülle als Träger<br />

von Biotopen. Zur Erschließung von Außenräumen des Hauses als<br />

Ersatz für fehlende Freiräume in diesem am dichtesten besiedelten<br />

Bezirk Berlins, wie bei dem durch Selbsthilfe begrünten Müllgrundstück<br />

in der Naunynstraße.<br />

Die Bereitschaft der Bewohner, aktiv ihr Wohnumfeld zu verbessern,<br />

ist abhängig vom Zustand der Häuser, aber auch von:<br />

51


der Ausstattung der Wohnungen (Balkon)<br />

dem Grün- und Freiflächenangebot der Gebiete<br />

den vorhandenen Kontakten mit der Hausgemeinschaft<br />

dem Einverständnis des Hausbesitzers<br />

der Beschaffenheit, Lage und Größe der Hofflächen<br />

den spezifischen Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner<br />

der gärtnerischen Betreuung der Anlage<br />

der Entfernung der nächsten Grünanlage<br />

der Zeit, die dem einzelnen Bewohner zur Verfügung steht<br />

der Jahreszeit<br />

sowie den finanziellen Möglichkeiten der Bewohner, ihre Träume<br />

vom Grün zu erfüllen.<br />

Begrünungsaktivitäten sollten möglichst gründlich und gemeinsam mit<br />

den Bewohnern vorbereitet werden. Die Kontakte finden meist statt<br />

über<br />

• Mieterläden<br />

® Blockräte<br />

• Initiativen<br />

• engagierte Bewohner<br />

• Hausversammlungen<br />

• verteilte Handzettel mit Hinweisen und Anleitungen zur Haus- und<br />

Hofbegrünung mit Kontaktadresse.<br />

52


Abb. 8a, b, c: Wandbilder in Kreuzberg<br />

53


Hausversammlungen und Einzelgespräche mit allen Bewohnern und<br />

Nutzern der zu gestaltenden Flächen sind mit die wichtigsten Vorarbeiten,<br />

die geleistet werden müssen.<br />

Eventuell schon gemachte Erfahrungen mit Pflanzen in der Wohnung<br />

oder im Garten sollten von der gärtnerischen Betreuung in die Nutzungs-<br />

und Zonierungsvorschläge miteinbezogen werden.<br />

Als Planungsgrundlagen sollten vorhanden sein:<br />

• das Blockkonzept<br />

• der Vegetationsbestandsplan<br />

• ein Modell oder Beschattungsplan<br />

• Info-Material mit Pflanzenlisten und Handlungsanweisungen.<br />

Als wohnumfeldverbessernde Maßnahmen sollten gefördert werden<br />

Maßnahmen:<br />

• die sich nachhaltig positiv auf das Kleinklima auswirken<br />

• die im Sinne des Gewässerschutzes die Belastung öffentlicher Gewässer<br />

reduzieren<br />

• die im Sinne des Naturschutzes die Entstehung von Biotopen bzw.<br />

naturnaher Anlagen fördern<br />

• Kompostierungsanlagen<br />

• die die Belastung durch Lärm und Luftverschmutzung nachweislich<br />

reduzieren<br />

• die eine Senkung des Primärenergieverbrauchs bewirken<br />

• die die Kommunikation, Identifikation und Befriedigung reproduktiver<br />

Bedürfnisse der Haus- und Blockbewohner im Wohnumfeld<br />

fördern<br />

• die die Bewohner motivieren, ihr Wohnumfeld in Selbsthilfe zu<br />

begrünen.<br />

Im einzelnen sollen gefördert werden:<br />

• Fassadenbegrünung mit standortgerechten Pflanzen;<br />

• extensiv nutzbare Dachbegrünung (Dachwiesen ohne Bewässerung<br />

und Pflege)<br />

• Anlage von Mietergärten<br />

• Begrünung und Ausstattung der Höfe als Wohn- und Schmuckhöfe<br />

• intensive Begrünung der Remisen und Garagen<br />

• Anlage von Kleinspielplätzen mit kleinen Buddel- und Planschbekken<br />

und Wiese<br />

• Entsiegelung größerer zusammenhängender Flächen<br />

• Lärmschutzwälle aus Mauern mit Pflanzenbewuchs<br />

• Anlage von ökologischen Nischen in schwer zugänglichen Bereichen,<br />

vorwiegend an Brandwänden und auf Dächern<br />

• Kompostierungsanlagen '<br />

54


• Regen- und Grauwassersammelanlagen in Hof und Garten<br />

• gärtnerische Nutzung der Baulücken und größerer Blockinnenflächen<br />

durch Bewohnerinitiativen.<br />

Anhand der Erfahrungen, die bisher auf dem Gebiet gemacht werden<br />

konnten, wurde in der IBA gemeinsam mit der zuständigen Senatsverwaltung<br />

ein Zuwendungsprogramm für die Haus- und Hofbegrünung<br />

auf privaten Grundstücken entwickelt.<br />

Gefördert werden:<br />

• Pflanzen und Materialien zur Hof-, Fassaden- und Dachbegrünung<br />

mit 49,50 DM/qm Hof- oder Dachfläche<br />

• Die Konzepterstellung und Ausführung erfolgt mit fachlicher Beratung<br />

und Anleitung durch die Bewohner<br />

• Die geförderten Maßnahmen dürfen nicht mietwirksam werden<br />

• Die geförderten und begrünten Bereiche unterliegen einem dreijährigen<br />

Bauverbot.<br />

15 Monate vergingen, bis dieses Programm endlich offiziell verkündet<br />

und 2 Mill. DM für alle Berliner Innenstadtbezirke für 1983/84 bereitgestellt<br />

wurden.<br />

Über 300 Anträge wurden gestellt, davon 60 aus dem IBA-Gebiet, die<br />

insgesamt mit 680000 DM gefördert werden.<br />

Die Bereitstellung städtischer Frei- und Außenräume für ein neues<br />

Mensch-Umwelt-Verhältnis erscheint mir als eine der dringendsten Aufgabenstellungen<br />

in der Zukunft.<br />

Sämtliche Probleme in der <strong>Stadt</strong> lassen sich sicherlich nicht dadurch<br />

lösen, aber die Möglichkeit, mit Natur sein Wohnumfeld zu reparieren,<br />

könnte erheblich dazu beitragen, Menschen aus der Resignation im<br />

Angesicht der Zerstörung ihrer Umwelt herauszuführen.<br />

Zunehmende Umweltzerstörung, bedrohliche Jugendarbeitslosigkeit<br />

und die immensen Steigerungsraten der Mieten fordern neue Lebensweisen<br />

in den Städten. In den Wohnungsbau fließen Milliarden von Steuergeldern,<br />

ohne den Bewohnern und Steuerzahlern die Möglichkeit zu geben,<br />

ihre eigene soziale Situation zu verbessern und die vorhandenen Freiräume<br />

für ein umweltgerechtes Verhalten zu nutzen.<br />

Hier geht es nicht nur um das Stiefmütterchen im Vorgarten, sondern<br />

um die Wiedereinbeziehung natürlicher Kreislaufprozesse in das <strong>Stadt</strong>leben.<br />

Allein aus Steuergeldern sind diese Maßnahmen nicht finanzierbar.<br />

An lOOOfacher Stelle bedarf es der Initiative und des Engagements von<br />

Haus- und Straßengemeinschaften, kleinteilig, aber insgesamt zusammenhängend,<br />

Veränderungen durchzusetzen, die helfen, das ungesunde <strong>Stadt</strong>klima<br />

zu verbessern.<br />

Als Landschaftsplaner in der IBA setze ich mich für die Einbeziehung<br />

55


Abb. 10: Rankgerüst als Prüfstand zur Hofentlüftung<br />

56<br />

Abb. 9: Naunynstrand - von Bewohnern<br />

in Selbsthilfe begrünt


Abb. 11: Geplante Brandgiebelgestaltung<br />

mit <strong>Öko</strong>nischen<br />

und Berücksichtigung natürlicher Prozesse in der <strong>Stadt</strong>erneuerung mit<br />

aller Kraft ein; denn Sanierung, ohne ökologisch zu planen und zu<br />

bauen ist eine vertane Chance zur Erhaltung und Entwicklung unserer<br />

natürlichen Lebensräume. Das Experiment geht weiter. Zwei Beispiele,<br />

die verdeutlichen, wie es weitergehen kann, sind der Solarkamin zur<br />

Hofentlüftung und die geplante Brandgiebelgestaltung in der Admiralstraße.<br />

57


Vernetzte Projekte


Martin Küenzlen<br />

Was hat Oekotop in Kreuzberg<br />

vor?<br />

Oekotop/Projekt 108 und Kinderhaus Dresdner Straße<br />

Die Arbeitsgruppe »Oekotop« arbeitet seit 1978 in Berlin-Kreuzberg im<br />

Gebiet von SO 36 (Abb. 1). Während einer Untersuchung für das<br />

Umweltbundesamt über Recyclingmöglichkeiten in Kleinbetrieben stieß<br />

Abb. 1: Block 108<br />

61


g$ • Abb. 2a: Strukturierung ökologischer Maßnahmen: Bausteine-Arbeitsbereiche<br />

Bausteine Maßnahmenbereiche Arbeitsbereich<br />

ökologische Nutzung<br />

von Konstruktionen,<br />

Baustoffen, Architektur<br />

ökologische Steuerung<br />

und Überwachung<br />

Emissionen<br />

Grundrißorganisation in den<br />

Häusern, Speicherzonen<br />

Gebäudeform und Orientierung<br />

Überdachungen, Warmefassaden<br />

Nutzungs- und Freiraumplanung<br />

Mischstruktur von Wohnen und<br />

Gewerbe<br />

bauliche Integration von<br />

Kreisläufen<br />

Ausbau der Dachzonen zu Gewächshäusern<br />

Fassadenentwicklungen, Vorfassaden,<br />

Gewächshausfassaden<br />

Verwendung ökologischer Baustoffe<br />

und Farben,<br />

Integration von Biotekturen<br />

natürliche<br />

chemische<br />

thermische -<br />

tierische<br />

pflanzliche<br />

Sensorsysteme<br />

Schadstoff-Kontrolle durch<br />

die Bewohner<br />

Abwärmereduktion<br />

Wärmerückgewinnung<br />

Wärmeabsorption<br />

Abgasreduktion durch Motoren<br />

Abgasreduktion bei Feuerstätten<br />

Lärmquellen<br />

Lärmreduktion<br />

Erdqualität<br />

Verbesserungen<br />

Immissionen<br />

Emissionen


sie auf den Block 108, einen<br />

Idealtyp der »Kreuzberger<br />

Mischung«. Wohnen und<br />

Arbeiten befinden sich dort<br />

in direkter und unmittelbarer<br />

Nähe. Die Wohnhäuser<br />

bilden die Vorderhausbebauung,<br />

im Blockinnenbereich<br />

stehen die Gewerbegebäude.<br />

Im Block leben<br />

1200 Personen, und es gibt<br />

etwa 900 Arbeitsplätze.<br />

1980 haben die Internationale<br />

Bauausstellung Berlin<br />

(IBA) und das Umweltbundesamt<br />

(UBA) Oekotop<br />

beauftragt, über diesen<br />

Block eine beispielhafte Systemstudie<br />

zu erstellen, in<br />

der der Istzustand des<br />

Blocks 108 mit den Konsequenzen<br />

einer konventionellen<br />

Sanierung und denen<br />

einer ökologischen Erneuerung<br />

verglichen wird. Dabei<br />

hat sich herausgestellt, daß<br />

ein von Oekotop entwickeltes<br />

Blockkonzept folgende<br />

Vorteile hat: 56% weniger<br />

Energieverbrauch, 67%<br />

weniger Abfälle, 20% weniger<br />

Trinkwasser, 50%<br />

weniger Abwasser, 1300%<br />

mehr Grünfläche und 84%<br />

weniger Emissionen (im<br />

Vergleich zum heutigen Zustand).*<br />

: Siehe dazu Veröffentlichung im<br />

C. F. Müller Verlag »<strong>Öko</strong>logische<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung, die Wiederbelebung<br />

von Altbaugebieten«,<br />

Karlsruhe 1984.<br />

63


Abb. 2b: Strukturierung ökologischer Maßnahmen: Bausteine - Arbeitsbereiche<br />

Bausteine Maßnahmenbereiche Arbeitsbereich<br />

Verwertung von<br />

Feststoffabfällen<br />

Papier, Glas, Metalle,<br />

Kunststoffe, Möbel, Holz,<br />

Textilien, organische<br />

Abfälle<br />

Werkstatt,<br />

Stoffrecycling<br />

Holzgas für<br />

Wärme-Kraft-Kopplung<br />

Abwasserreinigung,<br />

Fischteich<br />

Biogasanlage<br />

Kompostierung<br />

Rationelle<br />

Wasserversorgung und<br />

Abwassernutzung<br />

Recycling-<br />

Station<br />

Herstellung von Recyclingprodukten in<br />

Werkstätten (Recyclingstation)<br />

Blocksammeisysteme für den Verkauf<br />

von sortierten "Rohstoffen"<br />

Eigenproduktion von Energie<br />

Vergasung von Holz, Papier, Pappe<br />

Biogaserzeugung aus organischen<br />

Abfällen und pflanzlichen Resten<br />

Biogaserzeugung aus Abwässern,<br />

Fäkalien<br />

Humusproduktion aus Schlamm der<br />

Biogaserzeugung und organischen<br />

Abfällen<br />

chemische RohstoffProduktion<br />

(Metalle, Salze, Lösungsmittel)<br />

über dezentrale Recycling-Verfahren<br />

Regenwasser als Brauchwasser<br />

Mehrfachverwendung von Grauwasser<br />

Speicherung von Brauch- und<br />

Grauwasser<br />

Verwendung in Biosystemen<br />

- Blockteich<br />

- Pflanzenbewässerung<br />

.Dezentrale Rückführung ins<br />

Grundwasser<br />

Wärmerückgewinnung über<br />

Wärmetauscher: - Abwasser<br />

- Raumluft<br />

Luftaustauschkontrolle durch<br />

geschlossene 2irkulationsSysteme<br />

natürliche Kieinklimakontroile<br />

Rohstoffe,<br />

Abfall<br />

Etfasser<br />

\bwasser


[ Energieverwertung<br />

Eigenproduktion von<br />

Wärme und Strom<br />

Nahrungsini ttelproduktion<br />

im <strong>Öko</strong>logischen<br />

Kreislauf<br />

Kiimafassaden<br />

konsequente Wärmedämmung der<br />

Außenhaut (Fenster, Wände, Dächer)<br />

Langzeitspeicherung über unterirdische<br />

Speicher und Gebäudespeicher<br />

Biowärme aus Kompostierung<br />

Biogas aus organischen Abfällen,<br />

Pflanzenresten und Fäkalien<br />

(Menschen und Tiere)<br />

Holzgas aus Marktabfällen, Hölzresten,<br />

Gewerbeabfällen<br />

Wärme und Strom über Wärme-Kraft-<br />

Kopplung<br />

Wärme über Kollektoren, Solarteiche<br />

Wärme über Wärmepumpe<br />

Nutzpflanzen auf Dächern, Baikonen,<br />

Freiflächen; Gewächshäuser und<br />

Klimafassaden<br />

Fischteich, Algenteiche:<br />

Produktion von Fischen, Krebsen;<br />

Enten und Gänse<br />

Produktion über Nahrungsmittelketten:<br />

Abfälle - Würmer- Federvieh - Eier<br />

Kleintierproduktion:<br />

Hühner, Enten, Gänse, Kaninchen<br />

*>ilzkulturen<br />

\togeinaj.r.ui:g<br />

Wurmzucht<br />

Bienenzucht<br />

Hummelzucht<br />

<strong>Stadt</strong>biotektur:<br />

- <strong>Öko</strong>-Architektur<br />

- Block-Grünplanung<br />

- Nahrungsmittelproduktion<br />

in ökologischen<br />

Kreisläufen


Mit dieser Untersuchung (Phase I) wurde für das langfristig angelegte<br />

Projekt ein bedeutender Anfang gemacht. Die ersten Ergebnisse, ein<br />

ökologischer Maßnahmenkatalog und ein ökologisches Blockkonzept,<br />

fanden nicht nur bei den Blockbewohnern, sondern im gesamten »Kiez«<br />

große Beachtung und vereinzelt sogar Begeisterte, die sich sogleich an<br />

die Umsetzung solcher Maßnahmen machten (Abb. 2).<br />

Während einer zweiten Phase entstanden experimentelle kleine Realisierungen<br />

im Block: die Installation eines Larsson-Ofens, einer Komposttoilette,<br />

Unterbrechungsmöglichkeiten des Spülvorganges bei Tiefspülkästen,<br />

das Anbringen von Fenstergärten oder Wintergartenfenstern<br />

und unterschiedliche Pflanzversuche in Hinterhöfen und Vorgärten.<br />

In einer dritten Phase - die über mehrere Jahre dauert - werden<br />

ökologische Teilprojekte auf Einzelgrundstücken in Verbindung mit<br />

konventionellen Modernisierungs-, Instandsetzungs- oder Energieeinsparmöglichkeiten<br />

realisiert. Das erste größere Teilprojekt beginnt<br />

1984 - die geschlossene Begrünung von Höfen, Fassaden und Dächern<br />

auf zwei großen Grundstücken.<br />

Tempo und Fortschritt unterschiedlicher Maßnahmen hängen weitgehend<br />

vom Förderungswillen öffentlicher Auftraggeber ab, da der<br />

Block in einem Gebiet liegt, dessen Erneuerung ohne Anwendung<br />

des Städtebauförderungsgesetzes verlaufen soll. Jedes Grundstück hat<br />

individuelle Bedingungen, benötigt individuelle Beratung, einen<br />

individuellen Maßnahmenkatalog sowie individuelle Förderungsmöglichkeiten.<br />

In einer letzten Phase IV und V ist die Vernetzung einzelner ökologischer<br />

Maßnahmen zusammen mit den Nutzern und Bewohnern vorgesehen<br />

- und dies auch über Grundstücksgrenzen hinweg. Ein Zeitpunkt<br />

dafür läßt sich noch nicht festlegen.<br />

Auf den Block 108 und Kreuzberg als Ort einer exemplarischen<br />

<strong>Öko</strong>logisierung sind wir auch deshalb gestoßen, weil dort eine Veränderung<br />

dringend geboten ist. Das Ballungsgebiet <strong>Stadt</strong> zeigt sich dort als<br />

Herd der Selbstzerstörung: kein Grün, kein Erholungsraum, die<br />

schlechteste Luft Europas, höchste Wohndichte, unzählige soziale Probleme<br />

und in den letzten Jahren lebloser Wiederaufbau nach sinnlosen<br />

Kahlschlägen. Übriggeblieben sind eine wutentbrannte Bevölkerung und<br />

eine abgewirtschaftete Gebäudesubstanz.<br />

Seit es das Konzept der behutsamen <strong>Stadt</strong>erneuerung gibt, sind<br />

Hoffnungen auf Beendigung des inneren und äußeren Zerfalls mehr als<br />

berechtigt. Für eine tatsächliche und länger anhaltende Wiederbelebung<br />

der Blöcke und des Gebietes reicht die behutsame Modernisierung und<br />

Instandsetzung aber nicht aus. Dafür benötigt es vielseitige und umfassende<br />

ökologisch weitergehende Maßnahmen.<br />

66


Mit der Verwirklichung ökologischer Maßnahmen werden deshalb<br />

folgende Ziele verfolgt:<br />

• Senkung der Betriebskosten in Gebäuden<br />

• Verringerung von Umweltbelastungen beim Betrieb der Gebäude<br />

• Verbesserung der Verhaltensweise und Verbesserung von Umweltbewußtsein<br />

• breite Erfahrungen mit ökologischen Systemen<br />

• Dezentralisierung und Überschaubarkeit von technischen und sozialen<br />

Prozessen.<br />

Für. die Realisierung einzelner Maßnahmen sind mehrere Voraussetzungen<br />

zu schaffen:<br />

• Entwicklung von ökologischen Kreislaufsystemen auf den Ebenen<br />

Wohnung, Haus, Gewerbe, Block<br />

• Einsatz und Neuentwicklung von Einfachtechnologien<br />

• Stufen- und schrittweise Realisierung von Teilsystemen sowie zeitlich<br />

und räumlich begrenzte Abkopplung von Ver- und Entsorgungssystemen<br />

• Grenzwert- und Dezentralisierungsbestimmungen nach Inbetriebnahme<br />

einzelner Systeme. (Eine völlige Abkopplung von den zentralen<br />

Systemen wird nicht verfolgt. Vielmehr ist eine Entlastung der<br />

zentralen Systeme angestrebt, was in allen Großstädten zu einer<br />

dringenden Notwendigkeit wird.)<br />

Abb. 3<br />

67


Solar-Pflanzenfenster Selbstbau<br />

Abb. 4: Temporäre Wärmeschutzvorrichtungen, industriell und im Selbstbau<br />

(unten Solarpflanzenfenster)


©Der Fiat 127-Motor,<br />

dessen Abgas-, ö[und<br />

Kühiwasserwärme<br />

voll genulzt wird.<br />

©Geschlossener Wasserbehälter<br />

©Wärmetauscher Abgas<br />

an Wasser<br />

©Wärmetauscher<br />

Motoröl an Wasser<br />

Abb. 5<br />

© Geschlossener_öl~<br />

behälter<br />

©Wärmetauscher Wasser<br />

an Heizkreislauf<br />

©Ausgangsanschluß zur<br />

Heizungsanlage<br />

Dezentrale Energieversorgung<br />

©Abgas Abzug<br />

©15 kW-Asynchron-<br />

Generator, der auch<br />

als Asynchron-Motor<br />

den Start der Anlage<br />

übernimmt.<br />

Eingangsanschluß der<br />

Heizungsanlage<br />

©Anschluß zum elektrischen<br />

Verbrauchernetz<br />

©Luftansaugrohr<br />

©Anschluß für Gas/<br />

Brennstoff-Zufuhr<br />

® Profilrahmenkonstruktion<br />

© Rundumverkleidung<br />

aus geräuschdämmenden<br />

Platten<br />

Weniger Verbrauch von Energie ist eines der wichtigsten ökologischen<br />

Ziele. Wir entlasten außerdem die Geldbeutel der Bewohner und der<br />

Gewerbetreibenden und verringern automatisch die lokalen Emissionen,<br />

da nur noch ein Drittel oder die Hälfte der jetzigen Kohle- und<br />

Ölmengen verbrannt werden.<br />

Die beste und erste Maßnahme für Energieeinsparungen ist die<br />

Isolation und Abdichtung der Gebäude. Das Mauerwerk von Altbauten<br />

entspricht zumeist schon angehobenen Anforderungen. Nur die Giebelund<br />

Brandwandseiten, die Nordwände im 3. und 4. Geschoß, die Kellerund<br />

Dachgeschoßdecken benötigen zusätzliche Isolation. Alte Kastenfenster,<br />

wenn sie gut erhalten sind, haben ausgezeichnete k-Werte.<br />

Das übermäßige Einpacken von alten Gebäuden hat negative Einflüs- .<br />

se auf die darin lebenden Menschen und die Bausubstanz. Deshalb ist<br />

eine individuelle und gezielte Vorgehensweise notwendig.<br />

69


Maßnahmen zur Nutzung der Sonnenenergie können sehr vielseitigen<br />

Einsatz finden: verglaste Balkone, Solar-Pflanzen-Fenster, Trpmbewände,<br />

kleinere Klimafassaden, Dachgewächshäuser oder überdachte Innenhöfe.<br />

In Kombination mit temporärem Wärmeschutz (Nachtabdekkung)<br />

sind solche Maßnahmen auch in unseren Breitengraden sehr<br />

wirkungsvoll. Sie reduzieren drastisch den Raumwärmeverbrauch.<br />

Die Rückgewinnung von Wärme aus der Abluft der Wohn- und<br />

Gewerbefläche, von gewerblicher Prozeßwärme oder vom Landwehrkanal<br />

mit Gaswärmepumpen ist eine weitere, bisher ungenutzte Ressource.<br />

Der Einsatz von Wärmekraftkoppelungen bei den schon jetzt existierenden<br />

Sammelheizungen (ca. 45 % Flächenanteil) verschiebt die Energieträgeranteile<br />

drastisch von Öl nach Gas und leistet damit einen<br />

wichtigen Beitrag zur Luftentlastung.<br />

Schließlich trägt die Erhaltung von Einzelöfen, besonders Kachelöfen,<br />

dazu bei, den Energieverbrauch in Häusern niedrig zu halten. Im<br />

Block 108 wollen die meisten Bewohner, die Einzelofenheizung haben,<br />

diese auch behalten. Sie sind es gewohnt, in Wärmehierarchien zu leben<br />

(kalter Flur, Küche und Schlafzimmer), und sie wollen den Energieverbrauch<br />

selbst bestimmen können.<br />

Viele sind darauf angewiesen, billig zu heizen. Der Einbau einer<br />

Zentralheizung, die bis zu 100% mehr Energie verbraucht, würde für<br />

viele Blockbewohner den Auszug erzwingen.<br />

Neue Einzelofentechnologien, z.B. der »Hugo-Larsson-Ofen« (siehe<br />

Beitrag von Bengt Warne), verbessern die Effizienz und reduzieren die<br />

Emissionen. Diese Öfen bieten den gleichen Komfort wie Etagenöfen.<br />

Auch Wasser wird kostbar<br />

In Berlin ist die Wasserversorgung nach einem Durchlaufprinzip mit<br />

Frischwasser gesichert. Das Frischwasser wird an zentralen Orten aus<br />

dem Grundwasser entnommen, in die Wohnungen verteilt und ausschließlich<br />

in den Abwasserkanal geleitet. Mischwasserklärbecken und<br />

Pumpstationen sind die Zwischenstationen zu den Kläranlagen. Schließlich<br />

gelangt das Wasser außerhalb der <strong>Stadt</strong> in die Vorfluter. Rieselfelder,<br />

die noch nach alten ökologischen Prinzipien arbeiten, sollen mit der<br />

Zeit durch Klärwerke ersetzt werden. Damit wird aus dem Wasserhaushalt<br />

mehr Wasser entnommen als zurückgeführt.<br />

Im Block 108 sind deshalb folgende Änderungen vorgesehen: Die<br />

Wasserspülung der Toilette (Schmutzwasser) wird vom restlichen Abwasser<br />

(Grauwasser) getrennt.<br />

70


Abb. 6: Grauwasser-Brauchwasser-System<br />

Das Grauwasser läuft durch einen Filter (biologisch-mechanisch oder<br />

Wurzelraumentsorgung mit Pflanzbeeten) und wird als Brauch-, Gießoder<br />

Spülwasser der Toiletten genutzt. Regenwasser findet in gleicher<br />

Weise Verwendung. Allein mit diesen Maßnahmen wird 30% weniger<br />

Frischwasser verbraucht (Abb. 6).<br />

Als weitere Variante ist in einzelnen Fällen auch die Verwendung von<br />

Trockentoiletten möglich. Diese Lösung spart weit mehr Wasser, ist aber<br />

nur in wenigen Fällen anwendbar.<br />

Ein Großteil des gefilterten Wassers gelangt im Block über Pflanzflächen<br />

auf Dächern und den Erdgeschoßebenen ins Grundwasser zurück.<br />

Damit entsteht ein Kreislauf; vorausgesetzt, daß auch entsprechende<br />

Pflanzflächen angelegt würden.<br />

Ist zu wenig Regenwasser und Brauchwasser vorhanden, bietet sich<br />

die direkte Förderung von Brauchwasser aus dem Grundwasser an.<br />

Nur wenigen Berlinern ist bewußt, daß Wasser auch Geld kostet, da<br />

die Kosten in der Miete nicht besonders aufgeführt sind. Der Berliner<br />

Preis von Frisch- und Abwasser in Höhe von 1,70 DM/cbm ist subventioniert<br />

und etwa um 50 % niedriger als in vergleichbaren anderen Großstädten.<br />

Beim Wegfall dieser Subventionen wird das Wassersparen nicht<br />

nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen interessant.<br />

Als einfachste Sparmaßnahme schlagen wir den standardmäßigen<br />

Einbau von Toilettenspülkästen mit Unterbrechungsmöglichkeit vor<br />

(Abb. 7).<br />

71


BRAUCHT ES WIRKLICH<br />

9 LITER SPüLWASSER<br />

BEIM "KLEINEN GESCHäFT" ?<br />

Wenn Ihr Spülkasten den rechts auf dem Bild dargestellten<br />

Drücker besitzt - manchmal Ist er auch auf der linken<br />

Spülkastenseite montiert -, dann können Sie den Umbau<br />

leicht selbst vornehmen (Bei anderen Spülkastenmodellen<br />

helfen wir Ihnen auch gerne weiter.):<br />

Deckel nach oben abziehen.<br />

Den Drückerhebel ziehen Sie ebenfalls nach oben heraus.<br />

Bohren Sie in das Gelenk ein Loch mit einem Durchmesser<br />

von 3 mm» wie auf .dem Bild unten dargestellt.<br />

Einen Messingsplint 3 x 30 mm einsetzen und speizen.<br />

Drückerhebel wieder einbauen. Funktion überprüfen.<br />

Durch Drücken der Betätigungstaste erfolgt die WC-Spülunq<br />

wie gewohnt (Der Spülkasten läuft völlig leer).<br />

Ein eingeleiteter SpUlvorgang kann nach dem Umbau durch<br />

Hochdrücken der Betätigungstaste vorzeitig unterbrochen<br />

werden (z;B. nach dem "kleinen Geschäft").<br />

Wassersparen durch Unterbrechen der Spülfunktion!<br />

Abb. 7: Wieviel Spülwasser braucht es?<br />

GeneMschnll für Angepaßte<br />

Technologien<br />

mbH<br />

Paul Llncke-UIer *\<br />

1000 Berlin 35<br />

« (030(612 50 20


Dezentralisierung versus Zentralisierung<br />

Bei der Gegenüberstellung von zentralen Müllbeseitigungstechnologien<br />

mit dezentraler Abfallverwertung wird deutlich, daß eine Dezentralisierung<br />

im Ver- und Entsorgungsbereich langfristig zu einer Umweltentlastung<br />

und gleichzeitig zu einer Betriebskostensenkung der Gebäude<br />

führt.<br />

Da die dezentrale Lösung vielseitige Kontroll-, Verwertungs- und<br />

Diversifikationsmöglichkeiten fördert, kommen mittlere Technologien<br />

eher zum Einsatz; durch die Beteiligung kleinerer Firmen entsteht<br />

wieder Konkurrenz; tatsächliche Abfallmengen reduzieren sich drastisch;<br />

durch die Nutzerbeteiligung und die getrennte Müllsammlung<br />

wird das allgemeine ökologische Bewußtsein wesentlich gefördert.<br />

Leider wirft die dezentrale Verwertung von Hausmüll in Berlin immer<br />

noch rechtliche Probleme auf. Außerdem ist es für Mieter manchmal<br />

sehr schwierig, beim getrennten Sammeln Fraktionen auseinanderzuhalten<br />

und Verbundstoffe zu erkennen.<br />

Beim Besuch anderer Länder (z.B. USA), in denen getrennte Abfallsammlung<br />

praktiziert wird, haben wir festgestellt, daß die an solchen<br />

Sammlungssystemen beteiligten Menschen Lernprozesse durchmachen<br />

und im allgemeinen große Beteiligungserfolge zu erwarten sind.<br />

Weit einfacher ist die Verwertung<br />

von gewerblichen Rückständen.<br />

In diesem Bereich ist<br />

das Recycling schon besser verankert.<br />

Es gibt aber auch dort<br />

noch interessante Lücken. So<br />

könnten Holzabfälle (Späne<br />

oder Holzkisten vom Wochenmarkt)<br />

zu Holzgas verarbeitet<br />

und damit eine Wärmekraftkoppelung<br />

betrieben werden.<br />

Abb. 8: Selbsthilfe<br />

73


Abb. 9: Leben mit Pflanzen und Tieren<br />

Abb. 10: Vernetzungssystem<br />

74


Leben mit Pflanzen und Tieren<br />

Die Unterversorgung Kreuzbergs mit Freizeit- und Grünflächen ist mehr<br />

als offensichtlich. Teile der Bevölkerung reagieren mit verzweifelten<br />

Selbsthilfelösungen. Sie züchten Tomaten in alten Badewannen auf<br />

Baikonen und Fensternischen, sie halten sich Kleintiere (z.B. Ziegen,<br />

Enten) in den Wohnungen und im Hinterhof (Abb. 8).<br />

Solche Selbsthilfelösungen knüpfen an eine alte schlesische Tradition<br />

der Selbstversorgung an. Diese Tradition greifen wir auf: Hinterhofbegrünung,<br />

Dachbegrünung der Schräg- und Flachdächer, Dachgewächshäuser<br />

und Fassadenbegrünung, Mietergärten sowie Plätze für Kleintierhaltung<br />

sind Elemente, die für eine höhere Lebensqualität, ein<br />

besseres Kleinklima und eigene Nahrungsmittel sorgen (Abb. 9).<br />

Vernetzung<br />

Einzelne Maßnahmen aus den verschiedenen Maßnahmengruppen lassen<br />

sich zu einem ökologischen Gesamtsystem verknüpfen. Das Grundprinzip<br />

ist eine offene Vernetzung, d. h. Subsysteme können miteinander<br />

verbunden sein oder auch nicht. Durch die Vernetzung ist die Effektivität<br />

des Systems größer als die einfache Addition der Subsysteme<br />

(Abb. 10).<br />

Partizipation<br />

Maßnahmen zur <strong>Öko</strong>logisierung dürfen den Bewohnern und Arbeitenden<br />

im Untersuchungsblock nicht einfach übergestülpt werden. Ein<br />

umgekehrter Weg ist vorgesehen: Aus der genauen Beobachtung der<br />

vorhandenen ökologischen Selbsthilfemaßnahmen und Indikatoren von<br />

selbständigen Einzelaktivitäten entsteht ein Konzept, welches von der<br />

Mehrheit des Blocks einmal getragen werden kann. Denn ohne die<br />

Mehrheit und die aktive Unterstützung der im Block lebenden und<br />

arbeitenden Menschen ist eine langfristige Erneuerung nicht möglich.<br />

Um unser Vorhaben mit den Bewohnern, Gewerbetreibenden und<br />

Hausbesitzern entsprechend diskutieren zu können, haben wir ein Modell<br />

(Abb. 11) und ein Plakat (Abb. 12) des zukünftigen Blocks entworfen.<br />

Sie zeigen visionäre und anregende Elemente eines Zustands, der<br />

so nicht zur Realisierung kommt. Das Modell wird in Perioden verändert<br />

und paßt sich mehr und mehr den tatsächlichen Möglichkeiten und<br />

Bedürfnissen der an der <strong>Öko</strong>logisierung Beteiligten an.<br />

75


Abb. 11<br />

<strong>Öko</strong>nomische Überlegungen<br />

In zentralbeheizten Häusern zeigt<br />

sich, daß demnächst die Mehrbelastung<br />

und die Heizkosten die<br />

76<br />

Höhe der Kaltmiete erreichen<br />

werden, also eine zweite Miete<br />

entsteht. Da ökologische Systeme<br />

im Prinzip produktiv sind, ist ihr<br />

Einsatz dazu geeignet, diesen Anstieg<br />

aufzuhalten bzw. die Betriebskosten<br />

der Gebäude zu verringern<br />

oder sie zumindest auf<br />

dem jetzigen Stand zu halten. Im<br />

Energiebereich ist dies schon<br />

durch konventionelle Maßnahmen<br />

möglich. Ebenso macht sich die<br />

getrennte Sammlung von Wertstoffen<br />

oder die Produktion von<br />

Eiweiß und Gemüse auf Blockgrünflächen<br />

sehr schnell bezahlt.<br />

Schwierig bleibt der ökonomische<br />

Einsatz von wassersparenden<br />

Technologien. Solange die Wasser-<br />

und Abwasserpreise mit Subventionen<br />

niedrig gehalten werden,<br />

ist in diesem Bereich mit<br />

ökonomischen Anreizen wenig<br />

durchzusetzen.<br />

Abb. 12


Tab. 1: Bewertung der ökologischen Maßnahmen zur <strong>Stadt</strong>erhaltung im Block 108 (gegenüber herkömmlicher Sanierung für einen<br />

Zeitraum von 15 Jahren) - Angaben in DM zu konstanten Preisen<br />

Arbeitsbereiche<br />

Erträge und Kosten <strong>Stadt</strong>biotektur Wasser/Abwasser* Rohstoff/Abfall Energie Gesamt<br />

Nutzgärten Erholung Schmutz Grauwasser/ Entsorgung Verwerten<br />

und Ge- und Biotop wasser/ Brauchwächshäuser<br />

Brauch- wasser<br />

wasser<br />

Betriebswirtschaftliche<br />

Erträge und Einsparungen<br />

3900000 2436000 1759000 1200000 3400000 22680000 32939000<br />

Investitionskosten -2800000 -7100000 -1270000 - 700000 - 150000 -1660000 -13200000-25610000<br />

Betriebskosten - 50000 -2250000 -1050000 - 720000 - 600000 -1000000 - 1500000- 6120000<br />

Maximale betriebswirtschaftliche<br />

Über- bzw.<br />

Unterdeckung +1050000-9350000 + 116000 + 339000 + 450000 + 740000 +7980000+ 1209000<br />

Übergangszeitfaktor ^ ' ^ '<br />

(Kosten) - 600000 - 800000 - 440000 - 200000 - 500000 - 4500000 - 6240000<br />

Sanierungskorrekturfaktor<br />

+ 900000 + 50000 + 950000<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Opportunitätskosten + 1700000 + 3000000 2340000 1200000 2000000 13200000 20440000<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Über- bzw. Unterdeckung<br />

+ 3050000 - 9350000 + 2316000 + 2239000 + 1500000 + 2240000 + 16680000 + 16359000<br />

* In der Gesamtrechnung wurde das Grauwasser-ABrauchwassersystem berücksichtigt.


Die Ausstrahlung des Oekotop-Ansatzes im Gebiet<br />

Ein ökologisches Blockkonzept ist ohne parlamentarische Absicherung<br />

und staatliche Mitfinanzierung als Gesamtes nicht durchzusetzen. Auch<br />

das von uns vorgeschlagene individuelle Vorgehen auf einzelnen Grundstücken<br />

stößt bei einer gewollten gesamten Blockveränderung auf ernstzunehmende<br />

Grenzen. Damit ist aber die Idee, Notwendigkeit und<br />

Durchführbarkeit von ökologischen Maßnahmen nicht widerlegt. Neue<br />

ökologische Projekte und Entwicklungen im Gebiet beweisen das Gegenteil.<br />

Der Druck und die Forderungen nach Mitteln für ökologische<br />

Maßnahmen steigen an.<br />

Interessante Erfahrungen haben wir bei der Mitarbeit an der Gestaltung<br />

der Kindertagesstätte Dresdener Straße gemacht (ca. 500 m vom<br />

Block 108 entfernt). Nach einem Konzept der Architekten Frowein/<br />

Spangenberg entsteht unter der Regie der Kreuzberger Bauverwaltung<br />

aus einer ausgedienten, mehrgeschossigen Parkgarage für Autos eine<br />

Kindertagesstätte.<br />

Oekotop wurde Von der Internationalen Bauausstellung Berlin<br />

GmbH beauftragt, bauökologische Vorschläge in die Realisierung einzubringen.<br />

Von einem umfangreichen ökologischen Maßnahmenkatalog<br />

ist nach der Kostenplanung nicht allzuviel übriggeblieben. Vieles wird,<br />

nur weil unbekannt, als zu teuer oder unsolide abgelehnt.<br />

Doch einiges (das Energiekonzept, Fassaden- und Dachbegrünung)<br />

soll mit staatlichen Mitteln realisiert werden. Ein Beweis dafür, daß<br />

kleine Fortschritte doch möglich sind, oder daß angesichts der zunehmenden<br />

städtischen Umweltmisere staatliche Aufmerksamkeit kaum zu<br />

erreichen ist.<br />

Schlußbemerkung<br />

Die Kraft und Phantasie von ökologischen Selbsthilfelösungen sollte<br />

Grundlage aller wirksamen ökologischen Maßnahmen sein. In der Auseinandersetzung<br />

mit ökologischen Systemen werden menschliche Kräfte<br />

freigesetzt, die durch Übertechnisierung, Zentralisierung und übergreifende<br />

Großtechnologien verschüttet wurden.<br />

Nur mit Hilfe der in der toten <strong>Stadt</strong> lebenden Menschen kann wieder<br />

neues Leben entstehen, auch an Orten, die von unseren Vorfahren<br />

schon völlig aufgegeben wurden.<br />

Voraussetzung ist allerdings, daß wir die Natur für uns arbeiten lassen,<br />

und daß wir nicht das zerstören, was sie uns umsonst gibt.<br />

78


Margrit <strong>Kennedy</strong><br />

<strong>Öko</strong>logische Maßnahmen<br />

im Frauenstadtteilzentrum<br />

in Berlin-Kreuzherg<br />

Abb. 1: Lageplan des Frauenstadtteilzentrums<br />

Zur Suche der Frauen nach neuen Wegen des Zusammenlebens gehört<br />

auch die Zusammenarbeit in Projekten, in denen sie ihre Prioritäten<br />

selbst definieren und in neue soziale und bauliche Strukturen umsetzen<br />

können. 1 Ein Beispiel, welches mit der Unterstützung von Frauen der<br />

79


Abb. 2: Schnitt<br />

80


IBA, Frauen aus dem Kiez und Frauen aus anderen Bereichen Berlins<br />

zustande kam, ist das Frauenstadtteilzentrum (FSZ) Kreuzberg. In<br />

einem von Frauen zuerst besetzten, heute gemieteten Gebäudekomplex<br />

(einer ehemaligen Schokoladenfabrik, die 8 Jahre leerstand), werden<br />

neben Wohnungen und Kindergärten auch ungewöhnliche soziale, kulturelle<br />

und ökologische Infrastruktureinrichtungen entstehen. 2 (Abb. 1)<br />

Im ehemaligen Wohnteil für die Arbeiterfamilien entstehen außer den<br />

Wohnungen für: Frauen aus dem Kiez, aus Frauenhäusern, aus der<br />

Initiativgruppe - Frauenstadtteilzentrum - und einer Mädchen-Wohngemeinschaft,<br />

Räume für eine kleine feste und eine offene Kindergruppe<br />

und im Dachgeschoß ein Gewächshaus zur Produktion von Nutzpflanzen<br />

(Abb. 2, links).<br />

Im ehemaligen Fabrikteil, der über einen schmalen Übergang mit dem<br />

Wohnteil verbunden ist, wird im Keller ein türkisches Bad entstehen, im<br />

Erdgeschoß ein Cafe, darüber Räume für Kunst und Kultur, Beratungsstellen,<br />

Gymnastikräume und unter dem Dach eine »grüne Kreativwerkstatt«<br />

(Abb. 2 rechts). Hier soll die <strong>Öko</strong>gruppe »die Wüste lebt«<br />

eines Tages ihre Erfahrungen mit der Wiederherstellung ökologischer<br />

Kreisläufe im Rahmen von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen<br />

- die am Modellfall Frauenstadtteilzentrum aufgezeigt werden,<br />

an die Frauen im Gebiet .Kreuzberg (und darüber hinaus) weitergeben.<br />

(Abb. 3)<br />

Die Maßnahmen umfassen sowohl die Begrünung von Höfen, Fassaden<br />

und Dächern wie den Umbau von ungenutzten Dachräumen zu<br />

produktiven Gewächshäusern, Wasser- und Energiesparmaßnahmen<br />

und die Trennung und Wiederverwendung von Abfällen. Das Ziel ist<br />

aufzuzeigen:<br />

• daß es gerade in städtischen Problemgebieten auch eine Vielfalt von<br />

Möglichkeiten zur Einsparung natürlicher Ressourcen gibt;<br />

• daß auch Frauen in der Lage sind, solche Ideen aufzugreifen, sich<br />

fachlich anzueignen und sie praktisch umzusetzen;<br />

• daß die städtische Umwelt so verändert werden kann, daß sie weniger<br />

menschen- und frauenfeindlich ist.<br />

Gegründet wurde die Gruppe von Rotraud Damerau - einer Kunsterzieherin<br />

-, die mit Hausfrauen in einem Volkshochschulkurs Ideen<br />

erarbeitete, wie die städtische Steinwüste wieder zum Leben erweckt<br />

werden könnte. Dabei entdeckten die Frauen vor allem das Freizeit-,<br />

Produktions- und Kommunikationspotential der ungenutzten gut<br />

besonnten Dachflächen in Berlin, Flächen, die traditionell von Frauen<br />

genutzt wurden, heute aber immer mehr zur Deckung des Bedarfs<br />

an billigem Wohnraum herangezogen werden. Im Frauenstadtteilzentrum<br />

endlich entstand für die Gruppe ein geeignetes Projekt, den<br />

82


Abb. 3: Grüne<br />

Kreativwerkstatt


Traum, diese Flächen wieder für Frauen nutzbar zu machen, umzusetzen.<br />

Im Laufe der vier Jahre seit ihrem Entstehen haben eine große Zahl<br />

von Frauen mit den unterschiedlichsten Vorkenntnissen und -erfahrungen<br />

in der <strong>Öko</strong>gruppe »die Wüste lebt« gearbeitet: Architektinnen,<br />

Planerinnen, Landespflegerinnen, Lehrerinnen, eine Drogentherapeutin,<br />

Handwerkerinnen, Pädagoginnen, Studentinnen, alleinstehende<br />

Frauen, verheiratete Mütter und keine Mütter, junge und ältere Frauen.<br />

Es sind also Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen, deren gemeinsames<br />

Interesse es ist, exemplarisch zu zeigen, daß auch in der<br />

<strong>Stadt</strong> einiges im Bereich <strong>Öko</strong>logie möglich werden kann. Mit Hilfe der<br />

IKEA-Stiftung ist es gelungen, die Finanzierung zu sichern. Zwei Architektinnen,<br />

Petra Bosse und Astrid Voge, sowie eine <strong>Stadt</strong>planerin,<br />

Veronika Zimmer, haben inzwischen die Ausführungsplanung übernommen<br />

und werden die Bauarbeiten betreuen.<br />

Die ökologischen Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum lassen sich<br />

grob in zwei Gruppen unterteilen: solche, die schon an anderer Stelle<br />

erprobt wurden, solche, die noch keine Vorbilder haben. Zur ersten<br />

Gruppe gehören: die getrennte Abfallsammlung, die Dach-, Fassadenund<br />

Hofbegrünung; die Wärmekraftkoppelungsanlage (die sowohl<br />

Strom wie auch Wärme für das warme Wasser erzeugt) und die Wärmerückgewinnungsanlage<br />

im türkischen Bad.<br />

Die drei Versuchsprojekte, für die wir bisher keine Vorbilder gefunden<br />

haben, sind das Dachgewächshaus, die mehrgeschossige Humustoilette<br />

und die begehbare Pflanzwand. Auf dem Dach über dem<br />

Wohn teil soll unter Glas produziert werden, was schnell und relativ<br />

problemlos wächst und besonders frisch sein muß: also in erster Linie<br />

Kräuter und Salate, aber auch Gemüse und etwas Obst (Abb. 4). Die<br />

begehbare Pflanzwand an der westlichen Giebelwand des Wohngebäudes<br />

ermöglicht uns, viele kleine Biotope zu schaffen und die Selbstversorgung,<br />

die wir im Gewächshaus erproben, hier zu erweitern.<br />

Unser Vorschlag ist eine Kombination aus Frucht- und gemüsetragenden<br />

Rankpflanzen, Heidelbeeren in Containern, Tomaten und jährlich<br />

wechselnden Sommerblumen. Rechts und links der Pflanzwand werden<br />

wir zum Schutz Zierwein hinaufklimmen lassen. Solange er noch niedrig<br />

ist, können wir ihn durch einjährige schnellkletternde Feuerbohnen,<br />

Kresse oder Wicke ersetzen. Ebenerdig pflanzen wir eine männliche und<br />

zwei weibliche Kiwi.<br />

Dieser Schwerpunkt Produktion von Nutzpflanzen statt Zierpflanzen<br />

schien uns aus verschiedenen Gründen sinnvoll:<br />

© alltägliche Katastrophenmeldungen über Gift in der Nahrung haben<br />

das Bewußtsein dafür, daß sich in diesem Produktionsbereich etwas<br />

ändern muß, geschärft;<br />

84


Abb. 4: Gewächshaus


• weniger deutlich - weil durch enorme Agrarsubventionen verdeckt -<br />

ist, daß unser hochmechanisiertes und spezialisiertes landwirtschaftliches<br />

System schon aus Gründen der Energieverknappung keinen<br />

Bestand haben kann;<br />

• langfristig ist Abhilfe aber nur über die dezentrale, wohnungsnahe<br />

Produktion, d.h. eine teilweise Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln,<br />

zu schaffen;<br />

• produktive Pflanzen verhelfen dem <strong>Stadt</strong>bewohner zu Natur und<br />

Grün und machen <strong>Öko</strong>logie über Vorgänge wie Säen, Pflanzen,<br />

Pflegen, Ernten, Zubereiten und Essen praktisch und sinnlich erfahrbar;<br />

• durch die wohnungsnahe, dezentrale Produktion frischer Lebensmittel<br />

in der <strong>Stadt</strong> können Transporte, Lagerung und Verpackungskosten<br />

(95 % des Energiebedarfs) eingespart werden. Gut zu lagernde<br />

Produkte (Getreide, Kartoffeln, Kohl usw.) hingegen mit langen<br />

Wachstumszeiten und größerem Flächenbedarf sollten weiterhin außerhalb<br />

der <strong>Stadt</strong> oder auf dem Land erzeugt werden. (Abb. 5 und 6)<br />

Ob unsere Dachgewächshäuser einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme<br />

leisten können, wissen wir spätestens, wenn die erste Pflanzperiode<br />

vorbei und die »O-Serie« im FSZ ihren Test bestanden hat (oder nicht).<br />

Bei der Humustoilette dauert der Testlauf voraussichtlich etwas länger.<br />

Das Vorbild stammt aus Schweden und ist dort unter dem Markennamen<br />

»Clivus Multrum« seit 50 Jahren im Handel und in Einfamilienhäusern<br />

tausendfach erprobt. In einem relativ großen schrägstehenden<br />

Tank, der (meist) im Keller steht, werden alle organischen Abfälle,<br />

inklusive der menschlichen Fäkalien, kompostiert und innerhalb von 2-3<br />

Jahren, je nach Außentemperatur und anfallender Menge, in Humus<br />

verwandelt (pro Person etwa ein Eimer/Jahr). Durch nach unten offene<br />

u-förmige Luftkanäle, die in der Kompostierungsmasse liegen, und ein<br />

Entlüftungsrohr, welches nach dem Prinzip eines Schornsteines funktioniert,<br />

wird ein ständiger Luftstrom und damit ein aerober Prozeß<br />

erzeugt, der (im Gegensatz zum anaeroben Prozeß im alten Plumpsklo,<br />

wie wir es auf den Dörfern hatten) nicht riecht. Das System - eines der<br />

wenigen, das erfahrungsgemäß ohne Elektrizität funktioniert - ist in<br />

mehrgeschossigen Wohnbauten -• da praktisch jede Wohneinheit einen<br />

separat zugänglichen Raum im darunter liegenden Geschoß haben<br />

müßte - entweder mit sehr viel Platzverlust verbunden, oder nur in<br />

Verbindung mit einer in Japan erfundenen Wasserspartoilette zu benutzen.<br />

Sie erzeugt mit einer Tasse (statt wie hierzulande üblich mit 9<br />

Litern) Wasser und einer biologisch abbaubaren Substanz ein Schaumpaket,<br />

welches die Fäkalien in den Klärtank gleiten läßt.<br />

Das System hat also für die Nutzerinnen den Vorteil, daß sie alle<br />

.86


Abb. 5 und 6: Lebensmittelversorgung heute und morgen<br />

87


Abb. 7: Humustoilette


organischen Abfälle im Bad über einen Abwurfschacht in das Clivus<br />

Multrum werfen können und die Kompostierung mehr oder weniger von<br />

selbst abläuft (gelegentliche Checks wegen Feuchtigkeit und Temperatur<br />

im Keller ausgenommen). Andererseits kann nicht, wie bisher, alles in<br />

den Mülleimer oder in die Toilette gekippt werden (wie z.B. Schmutzwasser<br />

vom Putzen usw.). Die alten Spülbecken werden also zu diesem<br />

Zweck wieder eingebaut. Möglich war dieser Modellversuch nur, weil<br />

wir das alte Podesttoilettensystem wieder in Ordnung gebracht haben<br />

und damit eine Alternative besteht, falls das Humustoilettensystem<br />

wider Erwarten nicht funktioniert.<br />

Wenn alle Kosten, die mit der heutigen zentralen Entsorgung von<br />

Hausmüll und Fäkalien verbunden sind, zusammengezählt würden: die<br />

Bau- und Unterhaltungskosten, der Wasserverbrauch, die Energiekosten,<br />

die Berge von Giftmüll, die aus wichtigen, verwertbaren Stoffen<br />

entstehen (nur, weil sie mit anderen Stoffen - z.B. Industrieabfällen -<br />

gemischt werden), den Flächenfraß (Klärwerke, Müllhalden) dieser<br />

Systeme, und die fehlenden und immer knapper werdenden Rohstoffe<br />

auf der anderen Seite sehen, so müßte nicht nur ein Versuch wie der<br />

oben beschriebene, sondern es müßten Hunderte gefördert werden.<br />

Aber das Problem ist, daß zumindest die Betreiber der großen zentralen<br />

Systeme daran kaum ein Interesse haben. Und die meisten Nutzer<br />

werden über (früher sicherlich einmal richtige, heute aber) im Endeffekt<br />

schädliche Gesetze und Normen daran gehindert, sich auf kleine, dezentrale,<br />

autonome Ver- und Entsorgungssysteme umzustellen, in denen<br />

der einzelne wieder Verantwortung für sein Tun und die damit verbundenen<br />

sozialen und ökologischen Folgen übernehmen kann.<br />

Derartige Probleme hatten wir bis vor kurzem mit der getrennten<br />

Entsorgung der verschiedenen Müllfraktionen durch die Berliner <strong>Stadt</strong>reinigungsbetriebe<br />

(BSR) und beim Einbau von Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen<br />

(im Frauenstadtteilzentrum und in anderen Projekten)<br />

durch die Berliner Elektrizitäts- und Wasser AG. Letztere kann durch<br />

ihre Quasi-Monopolstellungen im Berliner Stromerzeugungsmarkt einen<br />

Abnehmerpreis für überschüssigen Strom anbieten, der jede volksund<br />

betriebswirtschaftlich sinnvolle dezentrale Erzeugung von Strom<br />

bisher unmöglich machte. '•<br />

Dennoch - in beiden o.g. Fällen beginnen sich neue Verhaltensweisen<br />

abzuzeichnen, und immerhin haben wir eine »Duldung« des Komposttoilettenversuches<br />

vom zuständigen Bezirksamt, die Wärme-Kraft-Koppelungsanlage<br />

im FSZ wird eingebaut, und die getrennte Abfallsammlung<br />

im FSZ ist nur noch eine Frage der Zeit.<br />

Zur Zeit hoffen wir, daß wir innerhalb der veranschlagten Baukosten<br />

bleiben und vor allem, daß die zukünftigen Nutzerinnen unsere Planung<br />

zu ihrer Sache machen. Zwar sind einige Frauen, die eines Tages dort<br />

89


wohnen werden, an der Planung beteiligt, aber bei weitem nicht alle.<br />

Eine vierjährige Planungszeit mit endlosen Verzögerungen und Unsicherheiten,<br />

ob aus der ganzen Sache überhaupt etwas wird, ist Frauen<br />

aus Frauenhäusern und anderen sozialen Problembereichen kaum zuzumuten.<br />

Wir haben zwar viele Vorträge gehalten, Haben bei Straßenfesten<br />

Informationsstände aufgestellt und Flugblätter verteilt, wir sind auf<br />

Interesse und Verständnis gestoßen, aber den endgültigen Beweis, daß<br />

unsere Ideen und Träume auch funktionieren können, wird die Praxis<br />

erbringen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Margrit <strong>Kennedy</strong> »Gyn-ökologisches zum Verhältnis Frau/Natur/Raum« in<br />

Rüdiger Lutz (Hrsg.), Sanfte Alternativen, <strong>Band</strong> 1, Weinheim 1980<br />

2 »Das Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg«, IBA, 1981<br />

90


Beiigt Warne<br />

Das Natur-Huset*<br />

Berlin ist eine großartige Herausforderung: überfüllt; kein Land, Energieprobleme;<br />

verschmutzte Luft; Berge von Müll; Mengen von Abwasser;<br />

Belastungen überall - keine Nahrung, kein Wasser.<br />

Nordeuropa ist eine andere Herausforderung. Dunkle und strenge<br />

Winter. Ein schwedisches Magazin fragte mich 1974, ob es für den<br />

Menschen möglich wäre, auf einer angenehmen Grundlage mit der<br />

Umgebung, die hier ist, zu leben; nicht nur im Sommer, ohne Verschmutzung,<br />

bequem.<br />

Meine Antwort war: ja. Und wenn das in Schweden gemacht werden<br />

kann, kann es überall gemacht werden. Daraufhin fragte der Chefredakteur,<br />

ob ich es mit deren Hilfe tun wolle.<br />

Die Zeitschrift war recht arm, hatte aber die notwendigen Quellen:<br />

Menschen mit Wissen, Menschen mit Vorstellungskraft, Menschen, die<br />

glücklich waren, für das Überleben zu arbeiten. So wie Berlin!<br />

Ich mußte alle meine Freunde mobilisieren und Forscher, Bürokraten,<br />

Industrielle, Geldgeber, Unternehmer, Techniker, Biologen... Es war<br />

die Hölle. Aber jetzt steht es seit 1976. Es heißt Natur-Haus. Es wird nie<br />

vollendet sein. Es ist ein Ort der Forschung, Entwicklung und Demonstration.<br />

Laßt uns einen Blick hineinwerfen. Ein Gewächshaus bildet<br />

das Glasdach für mediterrane Pflanzen. Im Inneren des Gewächshauses<br />

ist ein Kern für die Bewohner. Das erste, was zu erwähnen ist, ist ein<br />

Kamin (Feuerstelle) in einem sehr großen Raum mit Wohn-, Eßbereich<br />

und Küche, alles in einer miteinander verbundenen Einheit. Der Raum<br />

hat französische Fenster zu allen Seiten hin. Die Schlafzimmer sind alle<br />

nach Süden gerichtet und haben sehr unterschiedliche Eigenschaften.<br />

Jeder Raum hat eine eigene Tür zur Sonnenseite des Gewächshauses,<br />

eine weitere, die zum großen Familienbereich führt. Ein Raum ist für<br />

ein junges musikliebendes Mädchen konzipiert, ein anderer für einen<br />

Mann im mittleren Alter, der gerne meditiert. Die Küche ist offen und<br />

so groß, daß drei bis vier Menschen zur selben Zeit dort arbeiten<br />

* Dieser Vortrag wurde von Bengt Warne beim ersten <strong>Öko</strong>logie-Symposium der IBA in<br />

Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt 1980 gehalten<br />

91


Abb. 1: Querschnitt<br />

können. Der Blick geht auf die Straße und in den Garten durch das<br />

Gewächshaus hindurch. (Abb. 1)<br />

Ein Teil des Hauses ist ohne Pflanzen. Das Haus soll nichts anderes<br />

sein als ein Rahmen für individuelle Pflanzen, Tiere, Menschen und<br />

Gesellschaften. Architektur soll nicht verschreiben, sondern befreien.<br />

Im Dachgeschoß ist jetzt ein afrikanisches Klima. Es gedeihen Feigen,<br />

Wein und Orangen. Im nächsten Jahr sollen Versuche mit tropischen<br />

Pflanzen gemacht werden.<br />

Der Anfang<br />

Um verstehen zu können, warum wir heute so ernste Umweltprobleme<br />

haben, müssen wir zum Anfang zurückgehen.<br />

Die Menschheit ist einige Millionen Jahre alt, und die Menschen<br />

haben sich nicht wesentlich verändert, seit sie ihre natürliche Umgebung<br />

verließen, Überreste dieser Umgebung können aus allen Kulturen gefunden<br />

werden. Wir alle sehnen uns nach dem skandinavischen Sommer,<br />

den tropischen Inselparadiesen, den Oasen.<br />

Die jüngsten wissenschaftlichen Entdeckungen wiesen die menschlichen<br />

Anfänge in einem Klima nach, das an der Grenze zwischen dem<br />

92


Dschungel und der Savanne herrschte. Die ältesten menschlichen Skelette<br />

und Fußspuren wurden in einem Tal in Ost-Afrika gefunden.<br />

Wir möchten eine angenehme Temperatur um uns. Wenn wir durch<br />

Kleidung geschützt sind, empfinden wir 20°C als angenehm - wenn<br />

nicht, bevorzugen wir 27 C C. Die Luftfeuchtigkeit sollte angemessen<br />

sein. Wir mögen angenehme Lüftung-wir mögen es nicht zugig, und wir<br />

mögen es auch nicht stickig. Die Luft sollte frisch und gut riechen. Wir<br />

hätten gern einen sprudelnden Springbrunnen in unserer Nähe, um<br />

davon zu trinken oder vielleicht darin zu baden. Früchte, Beeren,<br />

Nüsse, Gemüse, Milch und Honig gehören auch zu dem Traum. Natürlich<br />

gibt es keinen stinkenden Abfall. Statt dessen riecht unser Paradies<br />

nach wachsenden Dingen, nach Blumen und Grün.<br />

Niemand weiß, warum wir diese Umgebung, für die wir geschaffen<br />

wurden, verließen. Das passierte in mehreren Wellen. Nur eine Spezies<br />

Mensch verblieb - Homo sapiens. Aber diese eine Spezies ist über die<br />

gesamte Erde verteilt und hat sogar begonnen, andere Planeten einzunehmen.<br />

Im Anfang war die Natur ein Freund des Menschen. Sie war voller<br />

Freude und Aufregungen, und es gab viele Gelegenheiten für Ruhepausen<br />

oder friedliches Beisammensein. Nach unserer Verbannung aus dem<br />

Garten EdenNwurde die Natur des Menschen Feind. Um zu überleben,<br />

wurde die Menschheit nach und nach der Natur ärgster Feind.<br />

Das Natur-Haus<br />

Unsere ursprüngliche Umgebung - das Paradies, wenn wir es so nennen<br />

wollen, muß ernsthaft gesucht werden, weil es uns etwas erzählen kann,<br />

was wir längst vergessen haben - unsere ursprünglichen Bedürfnisse.<br />

Ein indischer Philosoph Maharishi sagte: »Natur hat immer recht!« Das<br />

ist das Prinzip, was hinter dem Natur-Haus steht.<br />

Dieses experimentelle Haus steht in Saltsjöbaden, außerhalb Stockholms.<br />

Es wurde 1976 begonnen, um zu zeigen, wie wir die Natur<br />

bereichern können, anstatt sie zu zerstören. Jedes Haus, das dies tut,<br />

verdient den Namen Natur-Haus. Das Natur-Haus gebraucht die Vorteile<br />

der permanenten Versorgung mit Sonnenlicht, Wind, Regen und<br />

Wachstumskraft. Alles, was von der Natur »geborgt« wird, wird unverdorben<br />

zurückgegeben, und manchmal wird das Leihgut sogar zurückbezahlt.<br />

Zum Beispiel kann neue Erde von organischen Abfällen geschaffen<br />

werden. Das Natur-Haus kann total ohne die Dienstleistungen<br />

Elektrizität, Frischwasser und Abwassersysteme, Müllabfuhr und Zentralheizungssysteme<br />

funktionieren. Diese Leistungen sind in der Regel<br />

billig und bequem, aber sie basieren unglücklicherweise auf einer zuneh-<br />

93


94<br />

menden Ausbeutung natürlicher Ressourcen und führen zur Verschmutzung<br />

unserer Umwelt. Sie können Probleme aufwerfen oder plötzlich zu<br />

der, ungünstigsten Augenblicken stoppen. Trotzdem benutzt man im<br />

Naturhaus auch Fremdenergie, um die eigenen Systeme zu unterstützen<br />

und sie dadurch effektiver auszunutzen.<br />

Abb. 2


Abb. 3<br />

Schnitt und Grundriß<br />

Das Natur-Haus besteht aus einem Wohnteil mit einer Glashülle herum -<br />

einem Gewächshaus. Der Wohnbereich in der Mitte des Hauses ist ein gewöhnliches<br />

Holzhaus. Der Grundriß zeigt den Eingang ins Glashaus zur<br />

Rechten, der in einen großen Küchenraum führt, den Eß- und Wohnraum<br />

miteinander verbindend. Drei Schlafzimmer, eine Garderobe und<br />

ein Badezimmer vervollständigen die Wohnquartiere. (Abb. 2)<br />

Um das gesamte Obergeschoß ist ein Balkon, ein bis vier Meter breit.<br />

• Umhüllt wird das Haus von Glaswänden, die dem Haus sein charakteristisches<br />

Aussehen geben. Im ganz linken Teil ist ein Schwimmbad, das<br />

noch nicht fertig ist.<br />

Das Natur-Haus benutzt nur natürliche Kreisläufe wie Erde, Luft,<br />

Feuer und Wasser, die Dinge, die überall dort gefunden werden, wo<br />

Menschen leben. Gute, weiche Erde wird im Kompostierraum' gewonnen.<br />

Luft kann Energie für die Heizung liefern. Regenwasser<br />

wird gesammelt und benutzt, und Feuer ersetzt teilweise elektrische<br />

Heizung.<br />

95


Feuer<br />

Erde, Luft, Feuer und Wasser wurden viele tausend Jahre lang als<br />

Götter angesehen. Wir bewahrten uns immer noch einen fast religiösen<br />

Respekt vor ihnen. Wir brauchen engen täglichen Kontakt mit ihnen<br />

und nicht nur in physikalischer Hinsicht. Wir können mit dem Feuer<br />

beginnen. Gibt es irgendein anderes uns derart faszinierendes Meisterwerk?<br />

Unsere Beziehung zum Feuer schließt gleichermaßen Liebe und<br />

Haß mit ein - wir fürchten uns vor dem brennenden zerstörenden Feuer,<br />

aber wir brauchen es, um unsere Körper zu wärmen, unser Essen zu<br />

kochen und uns mit Licht zu versorgen. Wir können stundenlang vor<br />

einem Feuer sitzen, zusehen, wie es sprüht und zu Kohle stirbt, den<br />

Rauch riechend, das Knistern hörend und die wohlige Wärme der<br />

Flammen fühlend.<br />

Des Menschen Haß-Liebe zum Feuer geht zurück bis an den Anfang.<br />

Aber es dauerte sehr lange, bis das Feuer gezähmt war. Funde von<br />

verbrannten Knochen oder Überreste alter Feuerstellen zeigen, daß die<br />

Menschen das Feuer ungefähr vor einer halben Million Jahre gebrauchten,<br />

aber es bedurfte weiterer 200000 Jahre, das Feuer in die Höhle<br />

hineinzuholen. Der Herd wurde allmählich das Symbol für die guten<br />

Dinge des Lebens: der Versammlungsort für die Essenszubereitung und<br />

für Mahlzeiten, für Handarbeiten an Winterabenden und zum Geschichtenerzählen<br />

und Vorlesen, oder die Menschen versammelten sich um das<br />

Feuer • um sich zu wärmen.<br />

Heizung<br />

Die ersten innenliegenden Herde waren wenig effiziente Feuergefahren.<br />

Moderne Materialien haben uns allerdings völlig neue Bedingungen<br />

geschaffen.<br />

Ein schwedischer Wissenschaftler, Hugo Larsson, hat einen Herd mit<br />

neuen technischen Methoden entwickelt. Der Herd, der im Natur-Haus<br />

ausprobiert wurde, verbreitet die gleiche angenehme Atmosphäre wie<br />

die alten offenen Feuerstellen. 80% der Holzenergie werden für die<br />

Raumheizung verbraucht. (Abb. 4)<br />

Die Zirkulation der Wärme im Haus kostet nichts - sie wird von der<br />

Natur zur Verfügung gestellt. Die vom Feuer erwärmte Luft fließt zur<br />

kühleren Luft im Raum. Dieses Wärmekissen verbreitet sich, den<br />

Gesetzen der Natur folgend, automatisch in angrenzenden Räumen,<br />

durch offene Türen oder durch Ventilatoren oder Schlitze über den<br />

Türen. (Abb. 5 + 6)<br />

Eine andere von der Natur bereitgestellte Annehmlichkeit ist, daß der<br />

96


Abb. 4: Der Hugo-Larsson-Herd<br />

97


Abb. 5: Zirkulation der Warmluft durch die angrenzenden Räume (Speicherelemente<br />

sind mit Glaubersalz gefüllt)<br />

Abb. 6<br />

kalte Luftzug an den Fenstern und Außenwänden, der in einer gewöhnlichen<br />

Wohnung kalt entlangstreift, in unserem Haus warmer Luftzug<br />

ist. Die äußeren Wände werden angewärmt, so wie das Luftkissen in<br />

Deckennähe herunterfließt.


Luft<br />

Die Luft, die wir atmen, sollte nicht nur sauber sein, sondern auch mit<br />

Blumen- und Kräuterduft gewürzt sein. Wir brauchen den Geruch von<br />

Feuchtigkeit und Erde in unserer Nase. Luft sollte nicht desinfiziert und<br />

steril sein. Wir können ebenso erfreut wie betrübt werden durch den<br />

Geruch um uns. Luft bedeutet mehr, als uns normalerweise bewußt wird.<br />

Menschen und Pflanzen brauchen sich gegenseitig. Wenn wir atmen,<br />

atmen wir Kohlendioxyd aus, das von Pflanzen gebraucht wird. Die<br />

Pflanzen geben ihrerseits den Sauerstoff ab, den wir brauchen. Aber die<br />

Pflanzen tun mehr als das. Sie regulieren die Feuchtigkeit, sie filtern<br />

Staub und sie produzieren Negativionen, die wichtig sind für unser<br />

Wohlbefinden. Warum denn nicht näher an Pflanzen wohnen? In das<br />

Natur-Haus kommt die frische Luft durch das Gewächshaus herein mit<br />

seinen vielen süßen Düften und wird gefiltert, um die Pollen zu beseitigen.<br />

Das Gewächshaus<br />

Auf einem kleinen Rasen des Gewächshauses wachsen Bambus und ein<br />

3 m hoher Ficus (Gummibaum), der seit zwei Jahren Früchte trägt. Der<br />

Wein klettert bis an die Dachkante und trägt nach drei Jahren Früchte.<br />

Der Pfirsichbaum, der rechts hervorschaut, trug noch keine Früchte,<br />

aber scheint in seiner geschützten Umgebung zu gedeihen. Das Gewächshaus<br />

wird letztlich das Natur-Haus selbstversorgend machen. Wärme,<br />

Feuchtigkeit und Licht können reguliert werden, wie die Pflanzen es<br />

brauchen. (Abb. 7)<br />

Wasser<br />

Wenn man je Regenwasser oder destilliertes Wasser gekostet hat, weiß<br />

man, daß es ziemlich geschmacklos ist, weil die Mineralien fehlen, die<br />

zum Beispiel in Bergflüssen oder im Wasser aus tiefen Brunnen vorhanden<br />

sind. Die Mineralien geben dem Wasser den Geschmack, und unser<br />

Körper braucht diese Mineralien.<br />

Um zu überleben, müssen wir trinken. Unser Körper braucht Flüssigkeit.<br />

Ein Teil dessen, was wir trinken, wird benötigt, um die Abfallstoffe<br />

aus unserem Körper zu transportieren. Aber diese Abfallprodukte sind<br />

den Pflanzen willkommen - ein anderes Beispiel der Interaktion zwischen<br />

Natur und Mensch. Die Pflanzen brauchen das Nitrat des Urins<br />

für ihr Überleben. Beispiele gibt es überall, die zeigen, wie Pflanzen und<br />

99


Abb. 7<br />

Menschen zusammengehören und wie sie sich gegenseitig brauchen Das<br />

Wasser, das wir zum Baden und Kleider- oder Geschirrwaschen verbrauchen,<br />

kann auch wiederverwendet werden. Es kann sogar besonders<br />

vorteilhaft sein wegen der Zusätze, die gemacht wurden in Form von<br />

Detergenüen und Schmutz. Die Pflanzen können sogar dies gebrauchen,<br />

um zu wachsen.<br />

Das Wasserbecken<br />

Regen ist wie Sonne und Wind. Manchmal erhält man zu viel, manchmal<br />

zu wenig davon. Daher muß man so viel wie möglich während der<br />

»guten Tage« sammeln und es für die »schlechten« Tage aufbewahren<br />

Das kann in einem Tank oder Becken geschehen.<br />

Das im Natur-Haus unten liegende Becken soll in erster Linie das<br />

Wasser zum Baden und Waschen aufbewahren. Im Becken herrscht eine<br />

Art Arbeitsteilung. Teile, die auf den Grund sinken, werden von Würmern<br />

und Mikroorganismen in einem künstlichen Seeboden beseitigt<br />

Wasserpflanzen helfen reinigen, und dieser Mechanismus wird von<br />

Karpfen kontrolliert. Das kondensierte und das Regenwasser wird in<br />

einem Becken gesammelt und wie das gefilterte Wasser dann zum<br />

Waschen benutzt.<br />

100


Erde<br />

Um in direktem Kontakt mit einem Garten zu leben, auch wenn es nur<br />

wenige Quadratmeter sind, kann höchstes Glück bedeuten. Und das<br />

kann auch Obst- und Gemüsezüchtung auf dem eigenen Land sein. Wir<br />

wissen, daß wir Pflanzen brauchen und daß diese uns brauchen. Die<br />

Naturkreisläufe dienten als Modell für das Abfallbeseitigungssystem im<br />

Natur-Haus. Organische Abfälle werden zu Erde kompostiert, die für<br />

das Gewächshaus auf dem Dach benutzt wird. Die Pflanzen liefern<br />

wiederum Abfall usw.<br />

Der Kompostierraum<br />

Clivus Multrum wurde im Keller des Hauses aufgestellt. Es besteht aus<br />

einem großen Behälter, der in einem bestimmten Winkel geneigt ist<br />

(clivus: lat., Abhang, Hügel). Der Behälter sammelt alle organischen<br />

Abfälle von der Küche und Toilette ebenso wie die vom Gewächshaus.<br />

Es arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie der Komposthaufen im<br />

Garten. Nach einigen Jahren wird aus den organischen Abfällen feinste<br />

Erde.<br />

Die Zukunft?<br />

Wollen wir so zukünftig leben? Ja, sicherlich! Doch ein Apartmenthaus,<br />

nach den Prinzipien des Natur-Hauses gebaut, muß überhaupt nicht<br />

notwendigerweise so wie dieses erste Natur-Haus aussehen. Es sollte mit<br />

seiner Umgebung harmonieren, ob die umgebenden Häuser alt oder neu<br />

sind.<br />

Hier wird das Wesentliche gezeigt: wie einige Leute zusammenleben<br />

können und gut leben, ohne die Natur zu zerstören. Sie vermögen sie<br />

sogar zu bereichern. Pflanzen können hinter Glas kultiviert werden.<br />

Draußen kann die natürliche Vegetation und können die Häuser, die<br />

einmal für dieses Klima konstruiert wurden, stehen bleiben.<br />

Natur muß nicht vergiftet werden. Kultur muß nicht getilgt werden.<br />

Es zahlt sich vom ersten Augenblick an aus, das Naturhaus zu heizen<br />

und sauberzuhalten in der Weise, wie es getan wurde - und sowohl die<br />

Gesellschaft wie die Hausgemeinschaft profitieren davon, so wie auch<br />

die Natur. Ist es nicht an der Zeit, daß wir radikal unsere Wohnatmosphäre<br />

verändern? Vielleicht sogar unseren gesamten Lebensstil?<br />

Wir alle sind dem Menschen und der Natur gegenüber verantwortlich.<br />

Wie immer dein Leben ist, du kannst etwas tun. Jetzt sofort.<br />

101


Wer ist ein Bürokrat? Wir alle sind Bürokraten. Bürokratisches<br />

Verhalten ist ererbt aus Zeiten vor dem Paradies und hat sich weiterhin<br />

durchgesetzt. Wir alle wissen seit Darwin, daß der Mensch ein Reptil ist.<br />

Ein Reptil verhält sich wie ein Bürokrat. Das Leben der Reptilien wird<br />

durch Regeln bestimmt, die ihnen innewohnen. Der Bürokrat in uns will<br />

immer derartig inhärente Regeln entwerfen. Aber der Mensch hat<br />

Phantasie, Visionen, Flexibilität, Wissen, Liebe, Inspiration. Der<br />

Mensch mag das erste »Tier« sein mit einem innewohnenden Wunsch für<br />

Veränderungen.<br />

Die Dinosaurier starben aus, weil sie mit einer neuen Situation nicht<br />

fertig wurden. Die Lebensregeln wurden plötzlich geändert, und sie<br />

konnten sich noch nicht einmal vorstellen, daß sie überleben könnten,<br />

wenn sie sich anders verhalten hätten.<br />

Der Mensch steht jetzt vor einer völlig neuen Situation. Im Moment<br />

existiert nicht die Frage, den Garten Eden zu verlassen oder nicht. Jetzt<br />

geht es um die Frage des Aussterbens oder nicht.<br />

Baut! Jetzt! Natur-Häuser überall! Kein Risiko. Die Alternative ist<br />

der einzige Weg, wenn der Mensch auf seinen alten Pfaden geht, können<br />

wir eines sicher sein: es geht in die Hölle. Und es spielt keine Rolle, ob<br />

die Katastrophe 1984 oder 2084 kommt. Wir müssen jetzt beginnen,<br />

jetzt, in diesem Augenblick und bewahren, was an Natur bewahrt<br />

werden kann.<br />

102


Jo Glässel/Bengt Warne<br />

Ein Naturhaus für Berlin<br />

Nach unserem Vorschlag soll das »Naturhaus Berlin« Kernstück eines<br />

ökologisch angelegten Umfeldes werden. Das »Naturhaus« mit Ausstellungs-<br />

und Wirtschaftsräumen und angegliedertem Gewächshaus sollte<br />

Schaltstelle eines gesamtheitlich ökologischen Ensembles sein. Diese<br />

Zielsetzung veranlaßte uns zu drei Vorentwürfen, einem am Fraenkelufer,<br />

einem im Block 104 und einem dritten am Moritzplatz, wobei<br />

Grundstücksvorgaben den jeweiligen Entwurf des Naturhauses stark<br />

veränderten (Abb. 1-3).<br />

Von den drei prinzipiell ähnlichen Entwürfen soll hier der Entwurf<br />

für den Block 104 genauer dargestellt werden. Das Fragment des<br />

Blockes 104 bedarf einer neuen räumlichen Fassung an der Mariannenstraße,<br />

um der Gartenplanung »Rückendeckung« zu geben. Durch eine<br />

»Kopfbehausung« soll ein baulicher Abschluß der Randbebauung gegen<br />

den Straßenraum sowie ein maßstäblicher Innenraum, eine Ecke der<br />

Gartenanlage ausgebildet werden.<br />

Diese Überlegung geht parallel mit einer Maximierung der Südfassade;<br />

die Keilform des ersten Vorkonzeptes bleibt erhalten - der Grundriß<br />

wurde jedoch umgruppiert, indem die Etagengewächshäuser wärmetechnisch<br />

und räumlich günstiger zu einem zentralen Atriumraum zusammengefaßt<br />

wurden. Jeweils zweigeschossige Etagengärten werden<br />

zum Spiel- und Gemeinschaftsbereich der Wohnungen. Als »Pufferraum«<br />

unbeheizt, dient der Gartenbereich als Sonnenkollektor und<br />

grüne Lunge des Gebäudes. Sonnenwärme und interne Abwärme werden<br />

hier gesammelt. Thermik sorgt für eine freie Umverteilung der<br />

Wärme und für sommerliche Kühlung. Eine Wärmepumpe in der Spitze<br />

des Gartenraumes fördert Überwärme in einen Speichertank.<br />

Die internen Etagengärten verknüpfen die Gebäudeerschließung und<br />

sind ganzjährig mit jahreszeitlich wechselnden Klimata wohl temperiert<br />

als Sozialräume der Wohngemeinde nutzbar. Eine Vielzahl von Wohnaktivitäten<br />

werden sich aus der Wohnung in diesen klimageschützten<br />

Diese Beschreibung wurde von den Autoren für den <strong>Öko</strong>logie-Workshop der IBA 1983<br />

verfaßt<br />

' 103


Abb. 1: »Naturhaus Berlin« - Projekt. Standort Fraenkelufer<br />

Abb. 2: Standort des gleichen Projektes Block 104, Skalitzer Straße, Berlin


Abb. 3: Dritter Standort für das »Naturhaus Berlin« - Projekt: Moritzplatz


Abb. 4: Das Modellfoto des Projekts für das Fraenkelufer läßt die begrünte<br />

Glasfassade erkennen<br />

»Außenraum« auslagern. Die Zimmergrößen könnten entsprechend<br />

reduziert werden.<br />

Der zentrale Wintergarten begünstigt auch das Öffnen der einzelnen<br />

Wohnungen zueinander - kleine Glasveranden und Sitzplätze zum Gartenraum<br />

vermitteln ein Wohnen in der Gemeinschaft. Eine Bewohnergemeinschaft<br />

- auf die ökologischen Zielsetzungen des Hauses bedacht -<br />

sollte wiederum Selbstverwalter und damit Garant für das Funktionieren<br />

der Naturkreisläufe des Gebäudes werden.<br />

Das Naturhaus Berlin vereinigt damit als städtisches Gebäude mehrere<br />

Prinzipien der Naturerhaltung und Ressourcensparsamkeit durch:<br />

• Sonnenenergienutzung<br />

© Vegetation und Rückführung von Stoffen innerhalb des Hauses<br />

durch Kompostierung<br />

• Regen- und Frischwassermehrfachnutzung<br />

• selbständige Abwasserreinigung<br />

• energiebewahrende Bauform<br />

Dies soll durch die folgenden Komponenten realisiert werden: Wohnungen<br />

und Gartenanlagen mit Zierpflanzen und Nutzpflanzen zur Teilselbstversorgung,<br />

zusammen mit autarker Entsorgung und Gebäudeumfeld,<br />

bilden ein Biotop.<br />

Regenwassersysteme und Clivus-Multrum-Trockentoiletten minimie-<br />

106


en den Trinkwasserverbrauch, wobei die Trockentoiletten Kernelement<br />

des Abfallrecyclings sind; zur Nutzung der Kompostierungsmasse jeweils<br />

direkt den internen Gartenebenen zugeordnet, damit problemlos<br />

bedienbar (Abb. 5 und 6).<br />

Sonnenenergienutzung, Kombi-Therm-Öfen und eine Großwärmepumpe<br />

sowie die Gliederung des Grundrisses in Klimazonen minimieren<br />

den Energieaufwand des Hauses. Wärmespeicherdecken und ein zentraler<br />

Speichertank dämpfen die Wärmeamplituden der Sonneneinstrahlung.<br />

Freie Schwerkraftzirkulation der Luft sorgt für Kühlung. Luftreinhaltung<br />

innerhalb der Wohnungen erlaubt eine Reduzierung der Lüftungswärmeverluste<br />

(Abb. 7 und 8).<br />

Behagliches Wohnen duch Angebot an Lebensreizen wie Licht, Wärme,<br />

Wässer, Feuer, Pflanzenwachstum und Gerüche des Gartens und<br />

sparsamster Umgang mit Naturressourcen durch Kreislauf und Mehrfachnutzung<br />

von Stoffen, bis hin zu Mehrgewinn aus dem Naturkreislauf,<br />

sind Ziel des Projektes.<br />

Die eigentliche Problematik des Projektes steckt derzeit in einer<br />

breiten Planungsunsicherheit und unklarer Kommunikation darüber.<br />

Zwischen zu viel Einzelkompetenzen ergibt sich ein Aktionspatt -<br />

während andererseits Interesse, ja, der Bedarf innerhalb der Bauausstellung<br />

1984 an einem solch ökologisch orientierten Wohnprojekt bei<br />

allen Beteiligten deutlich ist.<br />

Hat man hier die Chance, einer Bauausstellung mehr als formale<br />

Fassaden zu geben, so muß man diese Planung zum Programm machen -<br />

bevor Planungszeit vertan wird und eine Realisierung anderswo stattfindet.<br />

Der Anklang, den das Projekt in der Werkstatt-Ausstellung, aber<br />

auch z.B. bei der Glasindustrie fand, ist kaum zu überhören, denn das<br />

Gebäude ist in vielerlei Hinsicht innovativ. Die Erfahrungen aus dem<br />

Naturhaus in Stockholm sind abgesichert. Die Vegetation im internen<br />

Garten baut auf den Kenntnissen des »New Alchimiste Institute« auf,<br />

und die Solareffekte des Gebäudes sind berechenbar. Neu ist der<br />

Maßstab und der städtische Kontext - ein wichtiger Beitrag zum Baugeschehen,<br />

wenn man erkennt, daß genau in den Städten die Wohnumwelt<br />

belastet ist und daß in den Städten eigentlich die Antwort auf eine<br />

energiegerechte Zukunft unserer Bauten liegt.<br />

Wir wollen zeigen, daß energiegerechtes Bauen mit der Sonne nicht<br />

auf das landläufige Ein-, Zweifamilienhaus bezogen sein soll, wie Umweltbelastungen<br />

durch Gestaltung minimiert werden können, und wie<br />

zum Beispiel der zukünftigen Trinkwasserproblematik begegnet werden<br />

kann.<br />

Wir wollen demonstrieren, wie gerade die <strong>Stadt</strong> ein gesundes Wohnen<br />

mit unmittelbarem Naturbezug erlaubt, und daß Wohnen nicht nur von<br />

107


Abb. 5: Clivus-Multrum-Toilette<br />

Abb. 6: Naßräume<br />

108


Abb, 7: Heizsysteme<br />

Abb. 8: Lüftung<br />

109


konstanten Umweltbedingungen bestimmt sein sollte, sondern daß Kontraste<br />

und Wechsel, Wachstum und Jahreszeiten als Lebensreize unser<br />

Wohnen bereichern. Und letztlich wollen wir belegen, daß Freizeit und<br />

Garten auch auf der Etage stattfinden können und dazu keine Luxuswohnung<br />

erforderlich ist.<br />

Das Naturhaus Berlin verfolgt ein umweit-, weniger ein formal bezogenes<br />

Architekturkonzept. Es zeigt Inhalte und Überlegungen für behutsamen<br />

Umgang mit Naturressourcen in der gebauten Umwelt - und<br />

ist damit ein »Haus der Zukunft«, wie es schon in langer Tradition auf<br />

Bauausstellungen sie gab; mit dem Naturhaus Berlin nun jedoch weniger<br />

als technisches Wunderwerk oder industriellem Fertigungsmodul,<br />

sondern als konventionelle Gebäudehülle, in der eine Symbiose von<br />

Mensch und Natur Platz hat. Die den Menschen Klimaschutz bietet,<br />

aber gleichzeitig auch Klima erleben läßt und die freien Naturkräfte aus<br />

Wind, Sonne und Regen nicht undifferenziert abschottet, sondern nutzt!<br />

110


Frei Otto/Hermann Kendel<br />

Das Baumhaus am Tiergarten<br />

Die Internationale Bauausstellung Berlin (IBA 84) will klare Aussagen<br />

und mutige Vorstöße in verschiedensten Bereichen der Architektur<br />

zeigen. Die Gegenüberstellung unterschiedlichster Auffassungen in ihrer<br />

wechselseitigen Reibung und Befruchtung ist Voraussetzung für<br />

einen Erfolg.<br />

Aufgabe der Architekten dieses Projektes der »IBA« ist es, zum<br />

Problemkreis Wohnqualität - Individualbereich - Anpassungsfähig<br />

Bauen - Einfamilienhaus mit Garten - Solarenergie-Nutzung - <strong>Stadt</strong>ökologie<br />

- Biologie - kurz: zu einem ganzheitlichen Konzept - Stellung<br />

zu nehmen und eine eindeutige Aussage zu machen.<br />

Für diese Aufgabe wurden zwei Studien durchgeführt: die erste für ein<br />

Grundstück am Askanischen Platz in unmittelbarer Nähe der Mauer -<br />

und die vorliegende, zweite (und zur Ausführung vorgesehene) für ein<br />

extrem schönes Grundstück am Tiergarten-Südrand, direkt am Landwehrkanal<br />

mit außergewöhnlichem Baumbestand.<br />

Was die Verfasser der Studie wollen, sind - literarisch ausgedrückt -<br />

Häuser, die wie Bäume oder Büsche in ihren Zweigen Menschennester<br />

tragen. Dahinter steckt eine bunte Vielfalt von Einzellösungen, die zu<br />

einem übergeordneten Gesamtkonzept zusammengefügt werden: Baugrundstücke<br />

werden übereinandergebaut. Wenige Stützen tragen horizontale<br />

Decken im Abstand von zwei Geschoßhöhen. Es sind die<br />

»erschlossenen Bauplätze«. Die Bewohner können ihre individuellen<br />

ein- bis zweigeschossigen Häuser selbst bauen, beraten von erfahrenen<br />

Garten- und Landschaftsarchitekten, Ingenieuren und Physikern. Es ist<br />

beabsichtigt, den Bewohnern größtmögliche Gestaltungsfreiheit innerhalb<br />

des Konzeptes einzuräumen. Insofern ist die vorliegende Planung<br />

keinesfalls fixiert - sie zeigt lediglich, wie es sein könnte. Dies ist<br />

notwendig, um jene Bewohner zu finden, die sich für dieses Konzept<br />

interessieren. Einzige planerische Bedingung ist die Erhaltung des<br />

Baumbestandes und daß die begrünte Fläche nicht verkleinert wird.<br />

Deshalb sind alle Dächer, Balkone, Terrassen gärtnerisch angelegt. Die<br />

gesamte Gebäudeoberfläche ist begrünt. Alle »Häuser« haben zudem<br />

Innengärten. Eine Nutzung von Sonnenenergie durch architektonische<br />

111


Abb. 1<br />

Maßnahmen wird angestrebt. Die Wintersonne heizt die Wohnungen<br />

direkt durch die Südfenster hindurch. Bewegliche Kollektoren fangen<br />

Überschußenergie auf und spenden zugleich Schatten (insbesondere im<br />

Sommer). Individuelle Einzelspeicher und große Sammelspeicher sorgen<br />

für Ausgleich.<br />

Die IB A 84 wird zumindest zwei Architekturen unserer Zeit zeigen- die<br />

»harte« und die »weiche«. Für die »harte« stehen klassizistisch wirkende,<br />

formal anspruchsvolle Bauten mit stark prägender Wirkung, bei denen die<br />

äußere Gestalt Priorität hat. Für die »weiche« stehen Häuser ohne<br />

versteinerte Künstlichkeit, die grüne Hügel sind. Wenn dieser Entwurf<br />

gebaut sein wird, markiert er den Anspruch einer neuen Zeit. Er<br />

kennzeichnet einen neuen Weg: eine Architektur der »Grünen Mitte«.<br />

112


Abb. 2<br />

Diese der IBA im Juni vorgelegte Studie ist die erste Bearbeitungsphase.<br />

In der nächsten Bearbeitungsphase sollen die Bewohner der<br />

einzelnen Wohnhäuser gefunden werden. Diese können ihre eigenen<br />

Architekten hinzuziehen, denn es soll versucht werden, die Erfahrungen<br />

anderer <strong>Öko</strong>architekten einfließen zu lassen. Bewohner (Nutzer, Bauherren)<br />

können ihre Häuser auch ganz alleine bauen - sie werden dann<br />

von den Autoren dieser Studie beraten.<br />

Autoren der Studie: Atelier Frei Otto Warmbronn (mit Otto, Fritz,<br />

Baisch, Wunderlich), Hermann Kendel, Rolf Gutbrod, Hans Luz (Garten)<br />

und Büro Happold (Statik, Energie und Haustechnik) (mit Happold,<br />

Groome), Bath, England.<br />

113


Abb. 3<br />

Abb. 4<br />

114


Abb. 5<br />

115


Abb 6: Sonnen-Schatten-Maschine (siehe S. 115).<br />

116


Ergebnisse und Konflikte


Frei Otto<br />

Zusammenfassung und Ausblick*<br />

Meine Damen und Herren, liebe Freunde in Berlin,<br />

ich soll diese Tagung zusammenfassen. Ich tue das nicht von neutraler<br />

Warte. Ich stehe mittendrin. Ich bin Partei, bin subjektiv. Meine Aufgabe<br />

ist es, anzumerken, anzuregen und zu erinnern. Hier in Berlin gibt es<br />

ohnehin keine pluralistische Ausgewogenheit und Unparteilichkeit.<br />

Man redet wie überall von Natur und <strong>Öko</strong>logie. Man sagt Biologie,<br />

denn »Bio« steht für gut. Man macht aber (noch) das Gegenteil.<br />

Fast ist es so, als hätte es in Berlin die Bewegungen Gartenstadt,<br />

Schrebergärten, Natur und Bauen nicht gegeben. Doch darüber später.<br />

Zuerst meine Anmerkungen zu den Vorträgen und Diskussionen: Wort<br />

für Wort folgte ich dem, was Josef Paul Kleihues sagte. Er ist es, der<br />

heute jene Richtschnur legt, mit der sich Berlin zur Internationalen<br />

Bauausstellung 1984 rüstet.<br />

Er ist der Motor für das große kulturpolitische Ereignis. Er trägt die<br />

Bürde und kann deshalb deutlich sein: »Bauen ist hochpolitisch. Es geht<br />

uns alle an.« Aber auch: »Wieviel Tote müssen in Kauf genommen<br />

werden, damit hier Wähler überzeugt werden...« Er nannte das humanistische<br />

Ideal als Basis jener Architekturphilosophie, die für die IBA gilt.<br />

Ich habe nichts gegen das humanistische Ideal, solange sich dessen<br />

Vertreter nicht zum Richter über Andersdenkende machen. Josef Paul<br />

Kleihues weiter: »Es geht im Endeffekt nur darum, einige wenige Beispiele<br />

zu setzen.«<br />

Die Linie ist also klar. Das humanistisch-klassizistische Konzept<br />

ist Leitmotiv. Das ökologische human-natürliche Konzept ist auf Beispiele<br />

beschränkt. (Er nannte Namen, wer es vertreten soll, auch meinen.)<br />

Die Entscheidung der IBA wäre dann ausgewogen, wenn jene wenigen<br />

zu bauenden Beispiele der Bedeutung dieses Konzeptes angemessen<br />

sein sollten. Ob sie Feigenblatt oder Beitrag seih werden, wird nicht nur<br />

von den »Entscheidenden« entschieden, sondern, genauer gesagt, von<br />

'* Eine Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten <strong>Öko</strong>logiesymposiums der IBA in<br />

Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt im Oktober 1980<br />

119


der Wirksamkeit der hier bei diesem Symposium dargebotenen Gedanken.<br />

Friedensreich Hundertwasser postulierte »Die gerade Linie ist Mord!«<br />

und schnitzte eine Kerbe in die Kante des Rednerpultes. Der Saal<br />

jubelte: Endlich eine Tat! War das lädierte Rednerpult zum Kunstwerk<br />

geworden? War es wirklich schöner? Wie schon zuvor bei der Beschwörung<br />

des humanistischen Ideals mußte ich schlucken, als Hundertwasser<br />

auf die Schönheit von Bombentrichtern hinwies. Ich spürte Brand und<br />

sah aufs neue, wie damals, herumliegende Leichen. Welcher Künstler<br />

weiß nicht, daß Abstoßendes und Ästhetisches verwandt sind? Hundertwasser<br />

ließ keinen Zweifel. Er jubilierte über die Ästhetik der Scheiße.<br />

Doch es ging wohl nicht um' deren Schönheit.<br />

Der Friedensreich wollte wachrütteln, wollte, daß wir unsere Verstaubtheit<br />

auskotzen. Er kam zur Sache. Die nun schön gewordene<br />

Ruine der Berliner Kongreßhalle soll grün werden. Er forderte das<br />

Fensterrecht für jeden Bewohner in jeder Wohnung. Wer sollte das hier<br />

im Saal nicht wünschen?<br />

Zum Schluß schleuderte er die Worte Homo, Humus, Humanitas ins<br />

Publikum. Ironie und Satire wirkten. Das Publikum lachte - schaudernd<br />

- Tränen. Ich auch.<br />

Der humusfeuchten Kunst folgte Frederic Vester, sprudelnd, engagiert,<br />

der 120 Minuten aus der Höhle des Löwen entflogen war. (Er<br />

meinte damit die umweltunfreundliche Industrie.) Er warf sein vernetztes<br />

System über uns, um uns zu überzeugen, daß der biologische<br />

Gesamtorganismus das Wichtigste sei. Jedes hängt von jedem ab, das<br />

Ganze ist durch die Analyse im Detail nicht erfaßbar. Kaum jemand im<br />

Saal war anderer Meinung. (Ich notierte, was er nicht sagte: Die <strong>Stadt</strong>,<br />

das Haus, die Welt sind wichtiger als das technische Bauelement. Doch<br />

wer seinen Lehm nicht kennt, kann kein Haus aus ihm bauen.) Er<br />

schloß: »Machen wir uns die Natur geneigter, indem wir sie kennenlernen.«<br />

Dann erklärte Werner Schenkel, wie der Abfall die Umwelt zerstört,<br />

aber, richtig angewandt, menschliche Umwelten schaffen und bewahren<br />

kann. Da mußte ich an die Trümmerziegel denken, aus denen nicht nur<br />

der gräßlich unnatürliche Hohlblockstein betoniert wurde, sondern auch<br />

jene Trümmerziegel, die wieder zu fruchtbarer Erde verwitterten und<br />

dann die schrecklichen Zeugen des Mordens, unsere Ruinen, mit lieb-<br />

Jiphen Bäumen und Blumen überziehen halfen.<br />

Direkt danach brach Florentin Krause seine Lanze für die Wärmedämmung.<br />

Ja, wenn es so leicht wäre!<br />

Mancher Politiker meint, wenn per Gesetz den uneinsichtigen wärmeverschleudernden<br />

Architekten ein um 20% erhöht wärmedämmendes<br />

Bauen aufgezwungen würde, dann könnte der Energieverbrauch der<br />

120


Bundesrepublik entsprechend gesenkt werden. Nun gibt es hochgedämmte<br />

Häuser, die Energie verpulvern, und ungedämmte, die sie<br />

. fangen.<br />

Das Fangen und Bewahren von Wärme ist wichtig. Man kennt die<br />

Teilaspekte gut. Doch das Problem als Ganzes ist ungelöst. Die heutigen<br />

dirigistischen Eingriffe entsprechen nicht der aktuellen Aufgabenstellung.<br />

Politisch motivierte Normung ist Unsinn, solange gute Beispiele<br />

fehlen. Mit <strong>Öko</strong>logie hat das nur am Rande zu tun.<br />

Mich haben dann die Worte von Günther Axt über die Wassernutzung<br />

und über die Beziehung zur IBA fasziniert.<br />

Ein Eindruck: Unter <strong>Öko</strong>logie des Bauens stellt sich jeder etwas<br />

anderes vor. Jeder sieht dabei vor seinem geistigen Auge faszinierend<br />

schöne Landschaften, in denen Menschen leben, möglichst ohne Beton,<br />

ja möglichst ohne Häuser. Doch der Drang zu bauen ist da. Menschen<br />

bauen immer, selbst wenn es unnötig ist, und bauen manchmal nicht,<br />

wenn es nötig ist. Das ökologische Bauen kann nur zum Durchbruch<br />

kommen, wenn es Beispiele zeigt. Die müssen gekonnt, müssen Baukunst,<br />

müssen Architektur sein. Das ökologische Bauen als grüne<br />

Dekoration für Bauten anzusehen, die im Grunde unnatürlich sind,<br />

hieße, es im Ansatz töten. Wir erwarten von der Bauausstellung, daß sie<br />

dem ökologischen Bauen jenen selbständigen Platz einräumt, der ihm<br />

gebührt. Mit Freiflächengestaltung und Fassadenbeblumung hat man<br />

noch kein ökologisches Bauen. Doch wo ist der Beweis, daß wir bereits<br />

ökologisch bauen können? Gestehen wir ruhig: Wir können es noch<br />

nicht. Aber wir wollen es versuchen. Die geistigen, wissenschaftlichen<br />

und künstlerischen Grundlagen haben wir. Wo werden endlich Beispiele<br />

gebaut?<br />

Rudolf Doernach hat den Mut zum gewagten Selbstversuch. Er, der<br />

einmal bei Bucky Füller lernte, hat begriffen, was der eigentlich wollte:<br />

Mit einem Minimum an Technik: mehr Leben. Er weiß, daß wir in<br />

unwirtlichem Klima Häuser nicht einfach weglassen können. Wir können<br />

sie aber so weit reduzieren, daß sie keine Widerstände sind. Wir<br />

können damit eine der Voraussetzungen schaffen, daß Pflanze, Tier und<br />

Mensch zusammen leben können.<br />

Das gilt genauso für Merete Mattern, die große phantasievolle Spinnerin,<br />

die mit immer neuen Versionen versucht, Kunst und Natur zu<br />

verbinden: Häuser und Städte als Blumen. Wer könnte nicht wünschen,<br />

daß sie endlich zu wachsen beginnen, daß sie Menschen wirklich behausen,<br />

daß sie dann zwar unvollkommen werden, aber echte Menschenerde<br />

sind, ich meine damit jenen Humus, auf dem Menschen<br />

gedeihen.<br />

Ger Londo, »Naturgärten in der <strong>Stadt</strong>«, vermittelte Gedanken, die<br />

wir auch mit dem Namen Le Roy verbinden: Hilfe für das, was sich hilft,<br />

121


was selbst wächst und Gestalt erhält. Da haben einige Einsichtige in den<br />

letzten Jahren viel gelernt!<br />

Der Gartengestaltung folgt endlich das Konzept der Gartenwerdung.<br />

Bei Londos Worten kamen wieder Erinnerungen. Die Berliner nutzten<br />

zwischen 1945 und 1950 ihre öffentlichen Grünflächen mit Beeten für<br />

Tomaten und Kartoffeln. Die Kleinsiedlungen der Laubenpieper blühten<br />

auf. Physischer Hunger wurde gestillt und zugleich die Ästhetik des<br />

Küchengartens begriffen. Zufalls-Volkskleinkunst entstand, bis diese<br />

friedliche Gesellschaft aus gärtnernden freundlichen Menschen von den<br />

Gartenämtern und von den Baugesellschaften vertrieben wurde. Kleingärten<br />

wurden wie Slums behandelt und durch Wohnungsmassenware<br />

ersetzt.<br />

Nun zu Lötsch, Verhaltensforscher, Umweltschützer und Restaurator<br />

in einem: Seine gekonnten Formulierungen waren Schläge. Fast vergaß<br />

ich, daß ich - beinahe - gleicher Meinung mit ihm bin.<br />

Dieser strenge, harte Richter möchte den ganzen Berufsstand heutiger<br />

Architekten in die Gefängnismauern ihrer Monumente stecken.<br />

Die Frage bleibt aber offen, ob die Verhaltensforschung im Städtebau<br />

und der Architektur bereits Rezepte geben kann, ohne daß es zu<br />

Mißverständnissen und Entartungen kommt, so wie vor 20 Jahren, als<br />

einige unbedachte Soziologen Rezepte formulierten und damit ungewollt<br />

die größten städtebaulichen Mißerzeugnisse dieser Jahrzehnte<br />

absegneten. Es bleibt auch offen, wie das unverfälscht landschaftsverbundene<br />

Haus von heute wirklich aussieht.<br />

Bengt Warne, der Träumer und Philosoph aus dem Norden, führte<br />

fort, was Rudolf Doernach und Merete Mattern begonnen hatten. Er<br />

gab Beispielhaftes: Ein Haus: Eine Glashülle um einen Kern, nur viel<br />

raffinierter durchdacht. Das Haus im Haus mit dem Zwischenraum<br />

herum, der so wichtig ist. Der Saal war begeistert. Bengt Warnes Haus<br />

war Martin Wagners Berliner Laube, 50 Jahre später kultiviert auf<br />

schwedisch.<br />

Per Krusche: Sein kühl klingender Maßnahmenkatalog war verpackte<br />

Phantasie. Was in Luft, Wasser, Boden und Energie zu geschehen hat,<br />

wurde klar, und was dann Inge Maass sagte, saß: Mit sorgfältig gesammelten<br />

Fakten bewies sie, daß die lebende Natur in Berlin nach dem<br />

Krieg Wunden heilte, und daß Menschen die gute Narbe nun zerstören,<br />

weil sie meinen, jetzt müsse man endlich bauen.<br />

Sie zeigte die Paradiesgärten auf den verlassenen Bahnhofsflächen des<br />

Anhalter und des Potsdamer Bahnhofs und des Südgeländes:<br />

»Viele dieser Flächen haben eingependelte Biotope und sind mit Arten<br />

besiedelt, die unter Naturschutz stehen. Die Erhaltung keiner Fläche ist<br />

gesichert. Alle Flächen sind Bauerwartungsland. Die gesamte Planung<br />

der Bauausstellung geht von Bauten und insbesondere von der Bauge-<br />

122


schichte aus, nicht aber von der Natur!« Das war ein Aufschrei: O Gott,<br />

was geschieht hier, in der grünen <strong>Stadt</strong> Berlin? Sieht man denn die<br />

zarten Wildrosen auf den Gräbern nicht?<br />

Die Gruppe um den Block 108, um Martin Kuenzlen, brach eine<br />

Lanze für ein vielzitiertes Modell.<br />

Doch es wird vermutlich bald wieder eine Episode sein, auch wenn es<br />

mit vielen Ideen zur Wasserversorgung, zum Grün und zur Selbstversorgung<br />

innerhalb der <strong>Stadt</strong> untermauert ist. Ich höre schon, wie man sagt:<br />

Wir haben das versucht, aber es geht nicht. Meine Frage: Wird man es<br />

aber überhaupt versuchen? Liegt hier nicht sogar ein Ansatz zur Lösung<br />

des brisanten politischen Problems dieser Gegend, selbst wenn das<br />

Konzept noch zu idealistisch erscheint?<br />

Bernhard Strecker wagte gleich darauf das doppelt treffende Wort von<br />

der zweifachen Vernichtung. Er meinte die Bomben und dann die<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung. Ob man <strong>Öko</strong>logie will - so formulierte er weiter -, ist<br />

vor allem vom kulturellen Standort abhängig. Jene Teile Berlins, bei<br />

denen heute noch eine Ruinenlandschaft besteht, können eher in ein<br />

ökologisch sinnvolles Konzept geführt werden, als jene bereits bekannten<br />

Teile. - Das ist nur zu wahr!<br />

Dann kam das Gespräch am langen Tisch: Mir sträubten sich die<br />

Haare. Fast war es, als ginge die Tagung ins Leere.<br />

. Josef Paul Kleihues fehlte. Ich dachte an seine Eröffnungsrede. Er<br />

hatte vor großen Erwartungen gewarnt. Die waren nun aufgekommen,<br />

und das war mehr als berechtigt.<br />

Edith Brickwell hatte es schwer. Ihre Tischgenossen wollten sich nicht<br />

entblößen, sprachen von Recht und Politik und davon, welche Macht<br />

man haben müßte, um all das zur IBA zu realisieren, was man eigentlich<br />

als richtig findet und will. Doch weiß man, was man will?<br />

Ich hörte Worte wie Arbeitsbeschaffung für die Bauindustrie und<br />

Berlin. Die Meinung, daß der Beruf des Architekten eigentlich geschaffen<br />

wurde, um Menschen eine wohnenswerte Umwelt zu schaffen,<br />

scheint abgelöst durch die Ansicht, daß man bauen muß, weil man<br />

Arbeit für eine bau-orientierte Industrie braucht: Bauen, um zu arbeiten.<br />

Die Erinnerungen zur grünen Geschichte in Berlin, das waren Anmerkungen<br />

zu den Vorträgen. Nur, die ist bisher nicht geschrieben. Sie<br />

ist sehr umfangreich. Meine folgenden Bemerkungen sind unvollständig,<br />

sind Splitter, sollen mehr anregen. ,<br />

Fehlendes Grün ist eine Mangelkrankheit. Deshalb suchen die Menschen<br />

es, und deswegen ist Berlin im Herzen seiner Bewohner eine<br />

grüne <strong>Stadt</strong> - wegen der vielen Steine.<br />

Es war Martin Wagner, Berlins <strong>Stadt</strong>planer vor 1933, der 1932 die<br />

internationale Bauausstellung zum Thema »Das wachsende Haus«<br />

123


machte. Sein Beispiel war eine Hütte im Gewächshaus, das Sonne fängt.<br />

Ein Kleinhaus, das auch im Winter im Grün steht, der Vorläufer von<br />

Bengt Warnes Naturhuset.<br />

Das naturnahe Bauen war eine »typisch deutsche« Entwicklungsrichtung<br />

der Baukunst der 20er Jahre. Diese Bewegung war damals nicht<br />

siegreich. Der folgenden Blut-und-Boden-Bewegung war sie zu kleinbürgerlich.<br />

Die knüpfte mit ihrer Staatsarchitektur an den großen<br />

Klassizismus Preußens, also an Schinkel, an.<br />

(Heute tut man das auch, in veränderter Weise. Man sieht aber kaum,<br />

wie gerade der so vielseitig genialische Schinkel nach unserem Verständnis<br />

auch als ein <strong>Öko</strong>-Architekt angesehen werden könnte. Die Integration<br />

von Haus und Garten, von <strong>Stadt</strong> und Landschaft, wo ist das sonst so<br />

gelungen?)<br />

Was im Sinne unseres Symposiums im vorigen Jahrhundert, in den<br />

zwanziger Jahren und in den 50er Jahren geschah, nannte man nur nicht<br />

»ökologisch«. Es gab die Gartenstadt (mit Gartenhaus, Gartenlaube).<br />

Es gab die Kleingärten, die Balkone mit Kaninchen und Primeln. Das ist<br />

die Basis dessen, worüber wir heute reden. Diese Bewegung hat ein<br />

breites Fundament.<br />

In Berlin studierte 1947/48 Hubert Hoffmann den Flachbau. (Ich half<br />

ihm damals.) Er stützte Roland Rainers Gedanken. Erinnern Sie sich,<br />

wie Lötsch Ihnen Sinn und Unsinn der Vielgeschossigkeit vorrechnete.<br />

Diese Rechnung stammt aus der damaligen Zeit. Rainer und Hoff mann<br />

bewiesen damals, daß auch bei hohen Siedlungsdichten das einfache,<br />

aber niedrige Haus in und mit Gärten nicht nur wirtschaftlicher, sondern<br />

auch ganzheitlich gesehen ökologisch richtiger war. Niemand richtete<br />

sich hier danach.<br />

Bald brummte die Luftbrücke nach Berlin. Es gab einige Gramm<br />

Kohle je Bürger, mit Land- und Wasserflugzeugen nach Berlin geschafft.<br />

Man fror. Die Berliner gingen in die Wälder und klaubten Holz.<br />

Sie trauerten zwar um jeden Baum, der fiel. Die Wälder nahmen die<br />

Auslichtung gar nicht übel. Sie wurden sogar noch schöner. Selbstaussaat<br />

, und Zufall korrigierten die Kiefernholzfabrik des preußischen<br />

Staatsforstes.<br />

Die Architekten schliefen nicht. Material- und Energiemangel machten<br />

erfinderisch. Eine Generation war begeistert. Ich auch und verfaßte<br />

Aufsätze über Materialersparnis und das ungeheizt schön warme Haus,<br />

also über massive Sonnenenergienutzung, baute Versuchshäuser in Dahlem,<br />

ging nach USA und lernte über Saarinen, Mies, Nowicki, daß selbst<br />

weniger an Material mehr an Menschlichkeit, ja sogar Baukunst sein<br />

kann und daß der Begriff Energie auch im Sinn von wirtschaftlich<br />

genutzter Natur verwendet werden kann.<br />

Die Bewegung des »noch weniger für Menschliches« kam nach Berlin.<br />

124


Ein Mißverständnis wurde gebaut: die Kongreßhalle. Aus minimalster<br />

Technik wurde ein Monument, das sich nun selbst zerstörte.<br />

In den 50er.Jahren wurden Teile Berlins noch vom Wiederaufbau<br />

verschont. Die Trümmerziegel hatten sich begrünt. Im ehemalig 5. Geschoß<br />

wuchsen Birken und ganz unten Goldrute.<br />

Doch die Trümmerziegel-Hohlblockarchitektur entstand, das Unnatürlichste,<br />

was je in Deutschland gebaut wurde, sozial genannter Wohnungsbau.<br />

In diesem freien Staat einer befreiten Gesellschaft schrieben<br />

Bürokraten vor, wie Menschen miteinander zu schlafen, aus dem Fenster<br />

zu sehen oder ihr Loch im Massenmonument zu finden haben.<br />

Fröhliche Menschen in sauberen Wohnungen.<br />

Der Berliner Baugewaltige Schwedler begann inzwischen die Straßen,<br />

Wegbereiter für das »fröhliche Auto«, zu bauen.<br />

Das große Ereignis war die Interbau 1957 Berlin, die Mutter der IBA,<br />

vielleicht ihr Maß. Die Auseinandersetzung zwischen der starken, der so<br />

edlen etablierten Architektur und der in die Opposition gedrängten<br />

<strong>Öko</strong>logie, die gab es damals schon. Nur nicht so klar und deutlich, so<br />

pointiert wie heute. Es gab sogar eine ähnliche Auseinandersetzung<br />

zwischen jener Form, die von machend Mächtigen gemacht wird und<br />

folglich künstliche Kunst ist mit der Form, die wächst und entsteht,<br />

folglich Natur ist; von der viele meinen, daß sie somit nicht Kunst sei.<br />

Damals wurde mit den Hansaviertel-Häusern »moderne Architektur«<br />

gemacht. Die Gedanken nicht der Bauhauszeit, sondern die ihrer Interpreten<br />

wurden zu Stein. Man brauchte Herzeigbares. Die offene Auseinandersetzung<br />

wurde vermieden. Die wurde freundlich zurückhaltend<br />

verpackt. Der noch existierende direkte Kontakt mit der Architektur<br />

der 20er Jahre hatte aber bewirkt: Man suchte im Grunde die Wahrheit,<br />

suchte das ungeschminkte Haus. Man baute es 1957 nicht. Man baute<br />

das »anständige«, das problemlose Haus.<br />

(Das wahre Haus hat stets etwas von Ungekünsteltem, vom Natürlichen.)<br />

Die »Opposition«, ich meine das »grüne Bauen«, war bei der<br />

Interbau 1957 aber auch da, man sieht es heute nicht mehr. Die<br />

eigentliche Ausstellung, also der thematische Teil der Interbau, war in<br />

einem Dutzend Hallen mit Restaurant und Cafe, zwischen Bäumen,<br />

Büschen, Kaninchen, Roon, Bismarck, Gneisenau und Blumen in vielen<br />

Zelten. Hier wurden die Gedanken zur »<strong>Stadt</strong> von morgen« gezeigt. Der<br />

Tiergarten, kriegsgeschändet, sich erholend, sprach für sich selbst. »Der<br />

•Garten und der wohnende Mensch.« Das war die einzige thematische<br />

Aussage, die beim Berliner ankam und verstanden wurde. Der Tiergarten<br />

lebte damals. Er wurde trotz der Millionen Besucher nur noch<br />

schöner. Nur wer es weiß, kann sehen, daß dieser <strong>Stadt</strong>park die eigentliche<br />

Ausstellung der sogenannten Interbau Von 1957 war. Der Nichtwissende<br />

sieht Geschichte nicht, spürt aber vielleicht einen Hauch.<br />

125


In Berlin traf sich in den'späten 50er Jahren die Gruppe der mobilen<br />

und anpassungsfähigen Architektur, die mit Yona Friedmann, Rudolf<br />

Doemach u. a. m. den Betonwurm züchten wollte, um gegen die Erstarrung<br />

des Bauens anzukämpfen. Beton ist das Synonym für ein Material,<br />

das extrem billig und technisch »gut« ist. Das sich zwar in beliebig viele<br />

Formen gießen läßt, sich aber nicht mehr umgießen läßt, wenn es fest<br />

geworden ist. Dieses »beinahe ideale« Material hat wie kein anderes zur<br />

Erstarrung des Bauens beigetragen. Die »Anpassungsfähigen« entwarfen<br />

darhals veränderbare Häuser. Man wollte dem Nutzer ein Maximum<br />

an Freiheit geben. Damals wurde auch der von Hundertwasser hier<br />

vorgebrachte Anspruch auf Fenster- und Fassadenrecht und Licht, Sonne<br />

und Grün für jedermann, selbst im x-ten Geschoß, formuliert.<br />

Der Kampf um das anpassungsfähige, letztlich auch ökologisch motivierte<br />

Bauen ging in den 60er Jahren vorerst verloren. Statt guter<br />

Beispiele baute man goldene Käfige. Man war plötzlich reich. Die <strong>Stadt</strong><br />

drosch Riesenhauskomplexe in die Höhe. Die geistige Untermauerung,<br />

das architektur-philosophische Alibi hatte man bald. Es war die sogenannte<br />

»reine« Form, die Form brut, die brutale Architektur, mit den<br />

Löchern drin zum Raussehen.<br />

Britz - Buckow - Rudow - Mehringplatz, Märkisches Viertel und<br />

andere. Man wollte wirklich das Beste.<br />

Zugleich - wie von einer anderen Welt kommend - machte Mies den<br />

Tempel, Scharoun den (leider nicht grünen) Berg mit der Musik drin.<br />

Die jungen Formalisten aber bauten im stolzen Bewußtsein ihres Könnens.<br />

Sie spürten die Macht, die Gestalt der <strong>Stadt</strong> zu prägen. Ohnmächtiger<br />

Zorn quoll bei den »sanften und Naturarchitekten« auf. Doch die<br />

suchten die Vernunft: Im Jahre 1961 tat sich an der Technischen Universität<br />

die Gruppe Natur und Bauen zusammen. Einige Biologen und<br />

Architekten, Ingenieure und Konstrukteure rückten zusammen. (Johann<br />

Gerhard Helmecke, Biologe, Anthropologe, Ord. TU Berlin,<br />

Max-Planck-Institut, wurde die treibende Kraft. Die Gruppe ist heute<br />

noch aktiver als damals, nur nicht mehr in Berlin.)<br />

Was gab es für einmalige Auseinandersetzungen und Erkenntnisse, so<br />

z. B. Schäfers Katastrophentheorie bei tierischen Kolonien und Städten,<br />

und auch das Verändern und Werden menschlicher Städte wurde als ein<br />

biologischer Prozeß erkannt.<br />

Dazwischen das Jahr 1968, die studentische Revolution: Architekturstudenten,<br />

die überhaupt keine Architektur mehr wollten, trugen diese<br />

Bewegung: Die Gesellschaft ist Architektur. Also weg mit der gemachten<br />

Form. Weg mit dem Reißbrett. Weg mit der Zeichnung! Die Form<br />

entsteht doch von selbst. Wozu haben wir Computer, wozu automatische<br />

Werkzeuge? Das war vielleicht zu einfach gedacht. Die Revolution<br />

verblaßte bald, heute ist alles wieder da: die Form aus Stein. Die<br />

126


Künstlichen hatten gelernt und greifen zu zugkräftigen Mitteln. Palladio<br />

und Schinkel werden zu Kronzeugen für Objekte, die nichts mit deren<br />

Zeit und Geisteshaltung zu tun haben.<br />

In den 70er Jahren begann der Kampf für die neue Internationale<br />

Bauausstellung. Viele ersehnten die Zeit der vielen neuen Wege. Heute<br />

weiß ich nicht mehr, ob ich mir sie noch wünschen soll, denn die Würfel<br />

sind gefallen. Nur die kleine Gruppe von Architekten, die heute baut,<br />

meint, daß sie vielgestaltig, pluralistisch sei. Nur ein Weg wurde beschritten.<br />

Nun ist ein Stil mit strengen Regeln da.<br />

Nun zur IBA 1984, und das deutlich: Wenn keine Experimente<br />

gemacht werden, wenn es vielleicht zwar wirklich klassizistische Schönheiten<br />

gerade von berühmten Architekten, aber keine Pionierbauten<br />

gibt, wenn die neue Ausstellung diszipliniert, aber nicht interdisziplinär<br />

ist, wenn die natürliche Ganzheit nicht gesehen wird, dann weiß ich<br />

nicht, was das Ganze soll. Eine Ausstellung muß mit mutigen Lösungsvorschlägen<br />

anregen.<br />

Berlin kann für internationale Probleme der extrem unwirtlichen<br />

Zonen und der maximalen Bevölkerungsdichte auf dieser Erde kein<br />

Vorbild sein, kann aber Probleme aufzeigen. Das typische Problem<br />

Berlins ist das einer schrumpfenden <strong>Stadt</strong>, die vielleicht eine freundliche<br />

<strong>Stadt</strong> werden kann, um so zu überleben. Bestimmt wird bei der IBA<br />

etwas getan für die zur Zeit gültige Ästhetik, für die Architektur zum<br />

Ansehen, zur Erbauung des Menschen, auf dem Bürgersteig, sofern es<br />

gelingen sollte, die für das, was da gemacht wird, zu erwärmen.<br />

Bestimmt werden wieder Architektennamen für Kunsthistoriker, Lexika,<br />

Baedeker und Postkarten geprägt, denn die Zeit der großen<br />

Meister ist wieder da.<br />

Meine Hoffnung bleibt, daß man sich an die vielen Menschen erinnert,<br />

die am liebsten gar keine Bauten sehen würden, oder nur ab und zu<br />

ein extrem gutes Stück Architektur. Es gibt Menschen, die Palladio und<br />

Schinkel immer noch heiß lieben, aber im Original. Für diejenigen wird<br />

wohl nichts getan.<br />

Form ist heute wichtig. Wir haben bereits die künstliche Form.<br />

Niemand wird ihre Vertreter daran hindern, den Stil von 1984 im Jahre<br />

1979 zu erfinden. Natur ist aber auch Form. Eine andere Form, der man<br />

erlauben muß, daß sie kommen darf.<br />

Wir brauchen hier in Berlin Phantasie und Realitätsbewußtsein zugleich.<br />

Wir brauchen das geschärfte Wahrnehmungsvermögen. Wir<br />

brauchen etwas mehr Ästhetik; ich meine das geschulte Machen von<br />

»Ästhetischem«. Wir brauchen die Ästhesie des Ästhetischen, also das<br />

Wiederentfalten aller Sinne. Wir brauchen sinnliche Natürlichkeit und<br />

das Bewußtsein, ein Teil der Natur zu sein als ein Teil der Menschlichkeit.<br />

Es geht also nicht nur darum, Menschen zu helfen, human zu sein,<br />

127


also Mensch für Menschen zu sein; es geht um das Lebende als Ganzheit.<br />

Es geht um die Natur. Der Herrscher über die Natur muß aufhören,<br />

sie zu töten. Der Herrscher muß beginnen, seinen kranken Untertan<br />

zu pflegen und gesund zu machen. Der kleine Mann in Berlin weiß<br />

das längst. Er machte allen Steinarchitekten zum Trotz das grüne Berlin.<br />

Die Internationale Bauausstellung war Gastgeber dieser Begegnung.<br />

Dies war Spannung, war Widerspruch, war vielleicht der neue Anfang.<br />

Diese Organisation hat jene Menschen, die für ein ganzheitliches Konzept<br />

kämpfen. (Margrit <strong>Kennedy</strong> sei besonders gedankt.)<br />

Dem friedensreichen Wort Homo, Humus, Humanitas möchte ich das<br />

Wort Humor anfügen. Vieles wird erträglich, wenn man es nicht ganz so<br />

ernst nimmt, wenn mit Ironie und Phantasie den Menschen eine Möglichkeit<br />

gegeben wird, die Starrheit der Konzepte zu durchbrechen.<br />

128


EkhartHahn<br />

• •<br />

<strong>Öko</strong>logischer <strong>Stadt</strong>umbau:<br />

Idealistischer Zukunftstraum<br />

oder Notwendigkeit?*<br />

Im August 1983 veranstaltete die Internationale Bauausstellung einen<br />

zweiten <strong>Öko</strong>logie-Workshop. Es sollte Bilanz gezogen werden über die<br />

Arbeit, die seit Beginn der IBA vor 4 Jahren und der Gründung der<br />

<strong>Öko</strong>logie-Forschungsgruppe geleistet worden war. Der Kreis der Teilnehmer<br />

war ähnlich zusammengesetzt wie beim ersten großen Workshop<br />

vor 3 Jahren. Damals wurden programmatische Vorträge gehalten,<br />

Programme entwickelt und ein Manifest verabschiedet. In diesem Jahr<br />

ging es darum, die seitdem geleistete Arbeit kritisch zu diskutieren, die<br />

eingeschlagenen Wege zu überprüfen und an den vor 3 Jahren entwickelten<br />

Zielvorstellungen zu messen, Korrekturmöglichkeiten bis zum Jahre<br />

1987 zu nutzen.<br />

Am interessantesten war die Tagung für mich unter dem Aspekt des<br />

noch immer eklatanten Widerspruchs zwischen ökologischer Theorie auf<br />

der einen und ökonomischer Praxis auf der anderen Seite. Ich meine das<br />

Problem, daß über die Notwendigkeit einer ökologischen <strong>Stadt</strong>sanierung<br />

und über Zielvorstellungen sehr viel gesprochen wird, die praktische<br />

Umsetzung in konkrete Taten, die Entwicklung realitäts- und<br />

handlungsbezogener Strategien, d.h. die Umsetzung der ökologischen<br />

Wende in unsere heutige gesellschaftliche Praxis noch sehr am Anfang<br />

steht. Es liegt nicht zuletzt an uns <strong>Öko</strong>-Planern, daß es den Politikern<br />

und Entscheidungsträgern noch immer gelingt, notwendige Entscheidungen<br />

abzublocken und zu verzögern. Wir konzentrieren uns immer<br />

noch zu sehr auf schöne Modelle und das Zeichnen von Zukunftsvisionen,<br />

während die Bedeutung durchdachter Implementationsstrategien,<br />

beispielsweise unter Berücksichtigung der heutigen Eigentums-, Rechtsund<br />

Finanzierungsbedingungen, aber auch unter Berücksichtigung vielfältiger<br />

Ansätze gesellschaftlich-technologischen Wandels, noch unzureichend<br />

erkannt ist.<br />

Andererseits wurde deutlich, daß die Förderung ökologischer Projekte<br />

noch immer vorwiegend Alibi-Charakter hat, ein Zugeständnis an<br />

Zusammenfassung und Ausblick des zweiten <strong>Öko</strong>logie-Workshops der IBA im August<br />

1983<br />

129


eine wachsende ökologisch-sensibilisierte Öffentlichkeit ist, ohne daß<br />

eine Veränderung wirklich gewollt ist. Die zentrale Bedeutung des<br />

Themas <strong>Öko</strong>logie und eines ökologischen <strong>Stadt</strong>umbaus als Überlebensstrategie<br />

in der sich kontinuierlich weiter zuspitzenden Krise der bisherigen<br />

Industriekultur ist noch immer unzureichend erkannt. Andere Interessen<br />

dominieren und verstehen noch immer die <strong>Öko</strong>logie-Bewegung in<br />

die Ecke unrealistischer Zukunftsromantik zu stellen und zu verhindern.<br />

Seitdem die Benzin- und Heizölpreise wieder fallen, nimmt entsprechend<br />

die Zahl derer wieder zu, die in der <strong>Öko</strong>logie-Bewegung kaum<br />

mehr als eine typische Begleiterscheinung gesellschaftlicher Krisen<br />

sieht, die, ähnlich den sozial-utopischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts<br />

oder der Wandervogel- und Landkommunenbewegung in den 20er<br />

Jahren, mit dem nächsten Konjunkturschub ihre Bedeutung wieder<br />

verlieren. Als viel brennender und zukunftsrelevanter wird von einem<br />

großen Teil der Bevölkerung das Arbeitslosenproblem, die Wachstumsund<br />

Sozialstaatkrise und die zu erwartenden Folgen der Mikroelektronik<br />

und anderer neuer Technologien bzw. das Rüstungs- und Friedensproblem<br />

eingeschätzt. Es ist m.E. unsere Aufgabe, den Zusammenhang<br />

zwischen diesen Einzelerscheinungen der industriekulturellen Krise aufzuzeigen,<br />

der noch immer unzureichend gesehen wird, aber wichtige<br />

Argumentationshilfe gerade bei der politischen Durchsetzung ökologischer<br />

Projekte sein kann.*<br />

Übergang in ein postmodernes Zeitalter und eine ökologische<br />

Revolution<br />

1. Der Übergang in ein postmodernes Zeitalter zeichnet sich ab<br />

Wir befinden uns in einer gesellschaftlich-technologischen Umbruchsituation,<br />

in der das Thema <strong>Öko</strong>logie bzw. ökologische <strong>Stadt</strong>sanierung<br />

in unmittelbarem Zusammenhang mit den anderen aktuellen und brennenden<br />

Entwicklungen eines solchen Übergangs zu sehen ist. Nach<br />

Einschätzung führender Wissenschaftler ist die bisherige Wachstums-,<br />

Verbrauchs- und verschwendungsonentierte Industriekultur an ihre<br />

Grenzen gestoßen. Wir befinden uns im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts,<br />

im Übergang zu postmodernen Gesellschafts- und Technologiestrukturen.<br />

Leitfaktor dieser Entwicklung ist die für ein Überleben<br />

notwendige Herausbildung einer neuen postmodernen Mensch-Umwelt-<br />

Beziehung. Die drohende Gefahr eines ökologischen Kollapses zwingt<br />

* Mehr zu diesem Thema in: Hahn: Zukunft der Städte. Veröffentlicht als Diskussionspapier<br />

des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (HUG dp 83-10), Berlin 1983.<br />

130


dazu, die Regenerationsgesetze der Natur und die Leistungsgrenzen<br />

ökologischer Systeme wieder zur Grundlage unserer Gesellschafts-,<br />

Technologie- und Siedlungsstrukturen zu machen.<br />

2. Die These von der <strong>Öko</strong>logischen Revolution<br />

Auf einem kürzlich von den Vereinten Nationen in Budapest abgehaltenen<br />

ECE-Kongreß zum Thema »Long Term Perspectives for Human<br />

Settlements« wurde die These vertreten, daß wir uns nach der industriellen<br />

Revolution heute in einem Übergangsstadium zu einer ökologischen<br />

Revolution befinden. Der Übergang zu einer postmodernen Gesellschaft<br />

sei durch die ökologische Anpassung der Industriegesellschaft<br />

bzw. ihre ökologische Revolution bestimmt. Die Herstellung einer<br />

neuen symbiotischen Beziehung zur Umwelt werde zum dominierenden<br />

Sachzwang und zur Überlebensfrage der Industriegesellschaft<br />

schlechthin. '<br />

3. Die Bedeutung der Städte<br />

Die, <strong>Stadt</strong> ist Symbol und materialisiertes Abbild der Mensch-Umwelt-<br />

Beziehung einer Gesellschaft: Mit fortschreitender Entwicklung der gesellschaftlichen<br />

Produktivkräfte konzentrierte sich im Verlauf der Geschichte<br />

das menschliche Denken und Handeln in immer umfassenderem<br />

Maße auf ihre Städte und Siedlungssysteme. In ihnen nehmen<br />

die gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsprozesse ihre materielle<br />

Form an. In ihnen konkretisiert und realisiert sich die produktive und<br />

konsumptive Aneignung von Umweltgütern, von Rohstoffen, Energie,<br />

Boden und Landschaft, von Wasser und Nahrungsmitteln. Sie sind<br />

damit Produkt und Ausgangspunkt des Transformationsprozesses von<br />

Naturgütern in Kulturgüter und damit unmittelbarer Ausdruck der<br />

Umweltbeziehungen einer Gesellschaft. In den Siedlungsstrukturen<br />

nehmen die gesellschaftlichen Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse,<br />

Wertesysteme, Bedürfnisse und die Art ihrer Befriedigung ihre<br />

materielle Form an.<br />

Die enge Mensch-Umwelt-Beziehung in den Städten der vorindustriellen<br />

Zeit: In den vorindustriellen Kulturen waren die Größe einer <strong>Stadt</strong>,<br />

ihre Bauten, ihre ver- und entsorgenden Infrastrukturen sowie die Lebens-<br />

und Arbeitsprozesse in der <strong>Stadt</strong> maßgeblich bestimmt durch<br />

natürliche Umweltfaktoren wie Klima und Landschaftsgegebenheiten,<br />

die Fruchtbarkeit des umgebenden Ackerlandes, die regionalen Rohstoffvorkommen,<br />

Energieträger und Wasserverhältnisse. Produktions-,<br />

131


Konsum- und Reduktionsprozesse waren in engen Kreisläufbeziehungen<br />

mit hoher Störanfälligkeit mit dem lokalen <strong>Öko</strong>system verbunden.<br />

Mißachtungen oder Überforderungen der differenzierten Gesetzmäßigkeiten<br />

dieser Kreisläufe und natürlichen Reproduktionserfordernisse<br />

waren mit spürbaren Folgen verbunden und konnten relativ kurzfristig<br />

zur Gefährdung der jeweiligen lokalen Lebensbasis führen. Entsprechend<br />

waren die Wertesysteme, Sitten und Gebräuche, die Technologien<br />

und Siedlungsstrukturen der vorindustriellen Kulturen in hohem Maße<br />

auf die Erhaltung und Pflege symbiotischer Beziehungen zu Natur und<br />

Umwelt ausgerichtet. Die Geschichte zeigt allerdings auch, daß in<br />

Perioden großer technologischer Innovationen diese symbiotische Beziehung<br />

immer wieder, und häufig mit schwerwiegenden ökologischen<br />

und sozialen Folgen, in Frage gestellt wurde. Die Einführung der<br />

Seeschiffahrt, der Eisentechnologien und des Bergbaus sind gute Beispiele<br />

dafür.<br />

Die Entfremdung und Verschleierung der Mensch-Umwelt-Beziehungen<br />

im industriegesellschaftlichen Verstädterungsprozeß: Die industrielle<br />

Revolution unterscheidet sich von den meisten vorangegangenen Innovationsperioden<br />

dadurch, daß sie das technologische und gesellschaftliche<br />

System als ganzes und in globalem Maßstab erfaßte und umzuwälzen<br />

begann. Die Überwindung der traditionellen Abhängigkeiten von<br />

Natur, Raum und Zeit, von den engen Energie- und Stoffkreisläufen<br />

zwischen den Städten und ihrem Umland der vorindustriellen Zeit<br />

schien sich abzuzeichnen. Die Ressourcen der Natur wurden mit den<br />

neuen Erschließungs- und Transporttechnologien plötzlich bis in die<br />

letzten Winkel der Erde erreichbar und schienen eine unerschöpfliche<br />

Quelle für die schnell wachsenden Rohstoff- und Nahrungsmittelbedürfnisse<br />

der jungen Industriestaaten zu sein.<br />

Es entstanden die großen Metropolen und Industrieagglomerationen<br />

des modernen wissenschaftlich-technologischen Zeitalters. Ein nie gekannter<br />

Zentralisierungsprozeß von wirtschaftlicher und politischer<br />

Macht führte zu einer neuen globalen <strong>Stadt</strong>kultur. Ihre großen internationalen<br />

Metropolen und großen Industrieagglomerationen sind heute<br />

Ausgangspunkt und Symbol der modernen Verschwendungs- und Wegwerfgesellschaft.<br />

In den Städten und der heutigen <strong>Stadt</strong>kultur hat sich<br />

die Verschwendung von Rohstoffen, Energie, Wasser und Boden verselbständigt.<br />

Von den Städten, ihren Technologien und Konsumbedürfnissen<br />

wird die Zerstörung von Landschaften und traditionellen Kulturen<br />

in globalem Maßstab gesteuert. Die Agrar-Wirtschaft und Rohstoffexploration<br />

wird heute bis in die letzten Winkel der Erde von den<br />

unersättlichen Bedürfnissen dieser umweltentfremdeten Städte und der<br />

in ihnen entwickelten umweltentfremdeten Technologien bestimmt.<br />

Wichtigstes Merkmal und auch Erklärung dieses Entfremdungspro-<br />

132


zesses ist das differenzierte Administrationssystem, das mit der modernen<br />

Industriegesellschaft in der bisherigen Form zwischen den Menschen<br />

und seine Umwelt getreten ist. Es verschleiert die weiterhin<br />

bestehenden Abhängigkeiten zwischen den Menschen und den Gesetzmäßigkeiten<br />

des natürlichen <strong>Öko</strong>systems. Der Großstadtbewohner, der<br />

seine Nahrungsmittel im Supermarkt kauft, seine Wohnung im Hochhaus<br />

auf dem Wohnungsmarkt erwirbt, die Möbel im Versandhauskatalog<br />

bestellt, die Urlaubsreise bei Unternehmen der Tourismusbranche<br />

bucht, Wasser und Energie aus dem städtischen Versorgungssystem<br />

zapft und seine Konsumabfälle in den Müllschlucker wirft, hat es<br />

jedenfalls schwer, sich der ökologischen Abhängigkeiten seiner Existenz<br />

bewußt zu bleiben.<br />

4. In den Städten wird sich eine neue Umweltbeziehung<br />

realisieren müssen<br />

Die Städte waren der Ausgangspunkt der industriegesellschaftlichen<br />

Umweltentfremdung. Sie sind es, von denen heute unsere ökologischen<br />

Lebensbedingungen in Frage gestellt werden. In ihnen muß sich auch<br />

eine neue zukunftssichernde Symbiose zwischen Mensch und Umwelt<br />

herausbilden, wenn die Industriekultur langfristig überleben will. Und<br />

dieser Prozeß kann nicht durch das Zurückfallen auf vorindustrielle<br />

Strukturen bestimmt sein, sondern nur durch neue technologische und<br />

gesellschaftliche Innovationen auf dem Niveau des wissenschaftlichtechnologischen<br />

Zeitalters. Es gibt Ansätze in dieser Richtung. Für viele<br />

klingen sie heute noch utopisch, und doch können sie sich langfristig als<br />

Bausteine zu einer neuen Realität herausstellen. Einige Beispiele:<br />

Der ökologische Wandel der <strong>Öko</strong>nomie: Der Wandel der <strong>Öko</strong>nomie<br />

wird dadurch bestimmt sein, daß neben den Produktionsfaktoren Arbeit,<br />

Kapital und Boden der Faktor Umwelt in die gesellschaftliche und<br />

betriebliche Rechnungsführung als knappes Gut einbezogen wird. Der<br />

Knappheitspreis wird bestimmt sein durch die Einbeziehung der sozialen<br />

und ökologischen Folgekosten von Produktions-, Verteilungs- und<br />

Konsumprozessen. Eine solche <strong>Öko</strong>nomie wird die sozioökonomischen<br />

Ausgangsbedingungen bisheriger Nachbarschaften und Städte, ihrer<br />

Gebäudetechnologie und Gebäudenutzungen, der städtischen Ver- und<br />

Entsorgungssysteme, die städtebauliche Zuordnung von Funktionen<br />

und die Bodennutzung weitgehend verändern.<br />

Der Wandel des gesellschaftlichen Wertesystems: Das Zusammenwirken<br />

der ökologischen Anpassung der <strong>Öko</strong>nomie und ein entsprechender<br />

Wandel des gesellschaftlichen Wertesystems bilden den Schlüssel für<br />

eine ökologische Revolution bzw. Transformation auf breiter Ebene.<br />

133


Wertesysteme liefern den Orientierungsrahmen und die normativen<br />

Maßstäbe für soziales Verhalten, für die Beziehung zur Natur und<br />

Umwelt und für eine entsprechende Ausrichtung von Wissenschaft,<br />

Forschung und Technologie und damit für einen möglichen Wandel der<br />

<strong>Stadt</strong>kultur. Die heutige Wertforschung geht davon aus, daß wir uns<br />

bereits in der Übergangsperiode von den wachstumsorientierten und<br />

materialistischen Werthältungen der bisherigen industriegesellschaftlichen<br />

Werte befinden. Als typische Merkmale der umweltgefährdenden<br />

materialistischen Werthaltungen gelten: Sammeln, Häufen, Vermehren,<br />

die Wahrnehmung kurzfristiger Vorteile und Vernachlässigung der Wirkungen,<br />

Konkurrenzdenken, Egoismus und Individualismus, Leistungsdenken.<br />

Postmaterialistische Werte sind eher körperorientiert, ganzheitlich,<br />

pflege- und erhaltensbetont, sie sind ausgerichtet auf mehr Hingabe,<br />

Innerlichkeit und kooperativen Individualismus, sie schließen auch<br />

intuitive und spirituelle Werte ein. Sie beziehen sich stärker auf die<br />

Gemeinschaft, Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.<br />

Neue Technologien: Hierzu zählen u.a. die Mikroelektronik, die<br />

Telekommunikation und neue Medien, Bio- und <strong>Öko</strong>technologien sowie<br />

Gen- und Lasertechnologien. Der wichtigste Rohstoff dieser neuen<br />

Technolögiegeneration ist Silicium, ein fast unbeschränkt verfügbarer<br />

und gleichmäßig über die Erde verteilter Rohstoff. Fast alle genannten<br />

Technologien bieten ein großes Potential an Möglichkeiten zur Dezentralisierung,<br />

Energieeinsparung, Verringerung von Transport- und Verkehrsleistungen,<br />

die Reduzierung von Schadstoffemissionen, die Anpassung<br />

der Produktion an lokale Rohstoffe und Bedürfnisse auch in<br />

kleinen wirtschaftlichen Serien und Kreisläufen.<br />

Sozialer Wandel und die Ausbreitung dualer Wirtschaftsformen: Zu<br />

beobachten ist ein Abbau des Arbeitsvolumens im offiziellen Sektor,<br />

damit zunehmende Arbeitslosigkeit, die Verminderung der Tages-, Wochen-<br />

und Lebensarbeitszeit. Gleichzeitig finden ein Aufblühen informeller<br />

Tätigkeiten in Form von Schatten Wirtschaft, Selbsthilfeaktivitäten,<br />

das Entstehen einer neuen Nachbarschaftssolidarität und vielfältige<br />

gesellschaftliche Basisaktivitäten statt. Die Auflösung traditioneller Familien-<br />

und Wohnstrukturen führt einerseits zu der Zunahme von Einfamilienhaushalten,<br />

auf der anderen Seite zu neuen Wohn-, Nachbarschafts-<br />

und Lebenskollektiven. Es gibt eine Reihe von Ansätzen zur<br />

Überwindung der Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit, von<br />

der die bisherige industriegesellschaftliche Entwicklung bestimmt war.<br />

134


5. Merkmale eines ökologischen <strong>Stadt</strong>umbaus<br />

Da es mir ein besonders wichtiges Anliegen ist, möchte ich meine<br />

Kernthese zur Implementation ökologischer Strategien noch einmal<br />

wiederholen: Der ökologische <strong>Stadt</strong>umbau darf nicht in einer allzu eng<br />

gefaßten <strong>Öko</strong>logie-Definition steckenbleiben, sondern muß im Zusammenhang<br />

gesehen werden mit den vielfältigen anderen Aspekten des<br />

gesellschaftlich-technologischen Wandels. Eine solche Argumentation<br />

kann aus meiner Sicht vom sektoralen Krisenmanagerrient weg zu mehr<br />

ganzheitlich ausgerichteten Politiken und Entscheidungen führen.<br />

Bevor ich zu meinem Workshop-Bericht komme, der zeigen wird, wie<br />

sehr wir heute noch am Anfang unseres Anliegens stehen, einige Kernthesen<br />

zu den Perspektiven eines ökologischen <strong>Stadt</strong>umbaus:<br />

Umbau statt Neubau: Der ökologische Wandel der Städte wird weder<br />

zu einer Auflösung der heutigen Städte führen noch zu umfangreichem<br />

Abriß und Neubau. Es wird in erster Linie eine behutsame Anpassung<br />

der existierenden <strong>Stadt</strong>strukturen an die Erfordernisse ökologischer<br />

Regenerations- und Überlebensgesetzmäßigkeiten sein.<br />

<strong>Öko</strong>logisch Bauen und Planen bedeutet nämlich, so wenig Rohstoffe<br />

und Energie wie möglich zu verbrauchen, den Materialtransport, die<br />

Emission von Schadstoffen, Baulärm und Kosten so gering wie möglich<br />

zu halten. Auch geht es darum, bestehende Sozialstrukturen zu erhalten,<br />

die Umsetzung von Bewohnern auf ein Minimum zu reduzieren und<br />

die Möglichkeiten von Mitbestimmung, Mitgestaltung und Selbsthilfe<br />

durch die Betroffenen zu fördern.<br />

Weniger Verkehr: Post-industrieller Wandel und ein entsprechender<br />

Wandel der Mensch-Umwelt-Beziehung wird zu einer weitgehenden<br />

Reduzierung von Transport-Erfordernissen und Verkehr führen. Mit der<br />

Ausbreitung der neuen Telekommunikationstechnologien und Mikroelektronik<br />

und der Zunahme informeller Wirtschaftssektoren werden<br />

Wohnen und Arbeiten wieder enger zusammenrücken. Die verkehrsintensive<br />

räumliche Funktionstrennung heutiger Städte wird teilweise<br />

überwunden werden, Fuß- und Fahrradentfernungen bei der Umgestaltung<br />

der <strong>Stadt</strong>räume eine große Bedeutung haben. Mit einer ökologischen<br />

Gesundung und Wiederbelebung der Nachbarschaften und <strong>Stadt</strong>räume<br />

wird auch der Freizeitverkehr zurückgehen. Ein Teil der heute<br />

versiegelten und toten städtischen Verkehrsflächen wird für die ökologische<br />

Gesundung und Umgestaltung der Städte frei werden.<br />

Wandel von Gebäude- und Flächennutzung: Mit den Möglichkeiten<br />

des Abbaus der städtischen oder gebäudebezogenen Trennung von<br />

Wohn-, Produktions-, Verwaltungs- und Freizeitfunktionen sowie verändertem<br />

Flächenbedarf kann es zu erheblichen stadtstrukturellen Veränderungen<br />

kommen, die für den ökologischen <strong>Stadt</strong>umbau benutzt wer-<br />

135


den können. Schon heute ist absehbar, daß ein großer Teil der heutigen<br />

Büro- und Industrieflächen überflüssig werden und für Umnutzungen<br />

zur Verfügung stehen. Im Gegensatz dazu werden die traditionellen<br />

monostrukturierten Wohngebiete durch neue Formen der Heimarbeit<br />

und nachbarschaftliche Produktions- und Wohnkollektive und andere<br />

neue Gemeinschaftsfunktionen einen steigenden Flächenbedarf haben.<br />

Hier können sich möglicherweise innerhalb der bestehenden baulichen<br />

Strukturen erhebliche Nutzungsverschiebungen ergeben, die das Leben<br />

in unseren Städten verändern werden.<br />

Es wird zu einer teilweisen Rückführung der Nahrungsmittelproduktion<br />

und -Verarbeitung in die Haushalte, Nachbarschaften und Städte<br />

kommen: Hierfür können Haus- und Dachgärten, integrierte Glashäuser<br />

und Klimafassaden genutzt werden. Nicht mehr benötigte Verkehrsflächen<br />

und Gebäude werden ebenfalls zur Verfügung stehen. Im Rahmen<br />

der IBA-Forschung sind Wertvolle Informationen und Erfahrungen<br />

zu diesem Thema aus aller Welt zusammengetragen worden.<br />

Auf die vielfältigen Möglichkeiten einer ökologischen Anpassung<br />

städtischer Wasserver- und -entsorgungssysteme, das Recycling von<br />

Grauwasser und die Nutzung von Regenwasser, Möglichkeiten von<br />

Abwasserrecycling, neue ökologische Gründkonzepte usw. möchte ich<br />

hier ebenfalls nicht weiter eingehen, da hierzu wie zu anderen anwendungsorientierten<br />

Themen ebenfalls von der ökologischen Forschungsgruppe<br />

der IBA hervorragende Ubersichts- und 'Grundlagenstudien<br />

erarbeitet wurden.<br />

Wandel der Rahmenbedingungen: Der Prozeß der ökologischen Transformation<br />

der Städte wird zu einer Umstrukturierung der Bau- und<br />

Wohnungsbranche, der Bauverwaltung sowie der Berufsbilder und ihren<br />

Qualifikationsprofilen führen. Die bisherige Projektplanung wird zunehmend<br />

in Prozeßplanungen übergehen. Neue Kooperationsformen<br />

zwischen Architekten, Bautechnikern, Bauverwaltungen und Betroffenen<br />

werden sich herausbilden. Die Umstellung der Baubranche von<br />

Neubau auf ökologischen <strong>Stadt</strong>umbau wird auch die technologische<br />

Ausstattung und Organisation der Baubetriebe verändern. Es werden<br />

Finanzierungs- und Eigentumsmodelle erforderlich werden, die den<br />

neuen Nachbarschaftssolidaritäten und der Zunahme von Selbsthilfeaktivitäten<br />

entsprechen. Auch Baurecht und Baubestimmungen werden<br />

sich in diesem Prozeß anpassen.<br />

136


Der <strong>Öko</strong>logie-Workshop der IBA vom August 1983<br />

als Spiegel der Ist-Situation<br />

1. Zum Anspruch der IBA und den Zielen des Workshops<br />

Anknüpfend an die großen Vorläufer der IBA, der großen Berliner<br />

Bauausstellungen der Jahre 1911,1929 und der Interbau von 1957, heißt<br />

es in der Präambel der Internationalen Bauausstellung von 1984 (87):<br />

»Die Ausstellung soll sich mit den zentralen Problemstellungen der<br />

großen Städte befassen, Experimente mit zukunftsweisenden Wohn- und<br />

Planungsmethoden durchführen, ein Experimentierfeld für einen neuen<br />

kreativen, ökologischen, sozial integrierten Städtebau sein und die Bedeutung<br />

Berlins als internationales wissenschaftliches und kulturelles Zentrum<br />

unterstreichen.«<br />

Im Sinne dieses Anspruchs wurde im Jahr 1979 unter der Leitung von<br />

M. <strong>Kennedy</strong> die <strong>Öko</strong>logie-Forschungs- und Projektgruppe der IBA<br />

gegründet. Kaum ein Jahr später wurde zu dem ersten großen <strong>Öko</strong>­<br />

Workshop eingeladen. Fast die gesamte ökologische Prominenz<br />

Deutschlands und einiger Nachbarländer war vertreten. Anschließend<br />

wurden konkrete Programme und Maßnahmen initiiert, ein ökologischer<br />

Arbeitskreis eingerichtet und Forschungsvorhaben vergeben. Es<br />

wurden fünf konkrete Projektideen geboren, an denen im Rahmen der<br />

IBA ökologisches Planen und Bauen exemplarisch realisiert werden<br />

sollte.<br />

Zu Beginn des diesjährigen Workshops erläuterte M. <strong>Kennedy</strong> die<br />

vier Hauptprinzipien, an denen sich die Arbeit der <strong>Öko</strong>-Gruppe in den<br />

vergangenen Jahren orientiert hat.<br />

1. <strong>Öko</strong>logische Zusammenhänge schützen, soweit sie bereits vorhanden<br />

sind.<br />

2. Bestehende Ansätze unterstützen.<br />

3. Grundlagen schaffen.<br />

4. <strong>Öko</strong>logische Experimente wagen helfen.<br />

Sie wies auf die großen Schwierigkeiten und Widerstände hin, auf die<br />

insbesondere die Arbeitsprinzipien 1., 2. und 4. während der bisherigen<br />

Arbeit, sowohl innerhalb der IBA als auch bei anderen Stellen, und<br />

nicht zuletzt bei den zumeist an anderen Zielen ausgerichteten Hausbesitzern<br />

und Bewohnern gestoßen sind. Auf der anderen Seite seien auch<br />

Erfolge zu verzeichnen, wie beispielsweise das große Interesse an den<br />

bei der IBA erarbeiteten Grundlagen und eine zunehmende Bereitschaft<br />

der IBA-Architekten, ökologische Fragestellungen in ihre Projekte<br />

einzubeziehen. Von der Tagung erhoffte sie sich konstruktive und<br />

projektbezogene Kritik und Anregung für die weitere Arbeit bis 1987.<br />

137


Die Vorstellung des derzeitigen Planungsstandes und weiteren Realisierungsperspektiven<br />

der fünf <strong>Öko</strong>-Projekte der IBA zeigen, daß trotz<br />

aller Bekundungen guten Willens seitens der Verantwortlichen sich alle<br />

vorgestellten Projekte noch im Planungsstadium befinden und es bisher<br />

kaum vertraglich gesicherte Finanzierungszusagen gibt. Aber gerade da<br />

liegt, wie das <strong>Öko</strong>top-Projekt zeigt, das entscheidende Problem vieler<br />

heutiger <strong>Öko</strong>-Projekte, und es wird sich noch erweisen müssen, ob die<br />

IBA hier wirklich eine Ausnahme ist. Es ist kein Zufall, daß die<br />

Workshopreferate und -diskussionen immer wieder auf das Implementationsthema<br />

zurückkamen, die Frage, wie das neue ökologische Wissen<br />

und Bewußtsein in eine neue ökologische Planungspraxis umzusetzen<br />

ist. Die aus meiner Sicht interessantesten Statements und Diskussionsbeiträge<br />

zu diesem Thema möchte ich versuchen auf den folgenden<br />

Seiten zusammenzufassen:<br />

<strong>Öko</strong>logie und <strong>Öko</strong>nomie: ein Widerspruch? Diese Fragestellung war<br />

in vielfältigen Variationen und Interpretationen das beherrschende Thema<br />

der Veranstaltung. Und wie häufig bei diesem heißen Thema prallten<br />

je nach impliziertem Zeit- und Interessenhorizont unterschiedliche Einschätzungen<br />

aufeinander. Der Mehrzahl der versammelten <strong>Öko</strong>-Planer<br />

ging es darum, daß im Rahmen der IBA durch überzeugende Projekte<br />

nachgewiesen werden müsse, daß <strong>Öko</strong>nomie und <strong>Öko</strong>logie kein Widerspruch<br />

ist, sondern im Gegenteil, daß ökologisch ausgerichtete Projekte<br />

auch ökonomisch überzeugendere Lösungen bieten als konventionelle<br />

Bau- und Planungskonzepte. Bei anderen wiederum stand die Forderung<br />

nach »Zukunftsvisionen« im Vordergrund. Die IBA biete unabhängig<br />

von kurzfristiger <strong>Öko</strong>nomie die Möglichkeit für zukunftsweisende<br />

Experimente. Und sie müsse als Auslöser von Phantasie und Kreativität<br />

in Richtung einer hoffnungsvolleren ökologisch ausgerichteten Zukunft<br />

genutzt werden. Spielerisch visionäre Elemente, selbst Zukunftsromantik<br />

sei durchaus legitim, um festgefahrene Strukturen wieder lebendig<br />

und entwicklungsfähg zu machen. Es müsse die Chance von Überraschungseffekten<br />

genutzt werden, die neue soziale, architektonische und<br />

auch ökonomische Bewegungen auslösen können. Gerade diese Elemente,<br />

die in unserer Gesellschaft sehr verkümmert sind, müßten im<br />

Rahmen der IBA genutzt werden, selbst wenn solche Projekte teurer<br />

seien.<br />

Die These vom vergifteten Apfel: Die sechs Projekte, lieferten ausgezeichnetes<br />

Diskussionsmaterial, an denen sich die unterschiedlichen<br />

Auffassungen erhitzen konnten. Am Beispiel des Parkhaus-Projektes<br />

erläuterte H. W. Hähmer seine These vom »vergifteten Apfel«. Die<br />

Gegner der <strong>Öko</strong>logie-Bewegung warteten geradezu nur darauf, daß die<br />

IBA Beweise für ihre These liefere, daß ökologische Bauweisen teurer<br />

seien als bisherige Konzepte. In diesem Sinne sei das Angebot, für den<br />

138


ökologischen Umbau des Parkhauses in ein Kinderhaus mehr Mittel zur<br />

Verfügung zu stellen als für einen entsprechenden Neubau, ein »vergifteter<br />

Apfel«. Täglich habe er bei seinem Konzept der »behutsamen<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung« gegen den kaum ausrottbaren Irrglauben zu kämpfen,<br />

daß Umbau teurer als Neubau sei. Die IBA könne zu einem Pyrrhussieg<br />

werden, wenn man den Gegnern einer behutsamen und ökologischen<br />

<strong>Stadt</strong>erneuerung neue Argumente liefere. Auch B. Strecker forderte,<br />

keine Utopien zu fördern, sondern sich an den unbedingten<br />

Notwendigkeiten der Gegenwart zu orientieren und zur Lösung der<br />

ökologischen Gegenwartsprobleme Selbsthilfe, Selbstverantwortung<br />

und Eigeninitiative der Betroffenen zu fördern.<br />

Die Fragwürdigkeit traditioneller Kostenermittlungsverfahren: Besonders<br />

beim Frei-Otto-Projekt prallten die gegensätzlichen Meinungen<br />

aufeinander. Bisherige Kostenermittlungen liegen deutlich über konventionellen<br />

Bauweisen. Die Disku'ssion um Kosten und <strong>Öko</strong>nomie<br />

ökologischer Bauweisen zeigte aber auch die Fragwürdigkeit traditioneller<br />

Kostenermittlungsverfahren. An realisierten Projekten kann nachgewiesen<br />

werden, daß neuartige ökologische Fassaden- oder Dachkonstruktionen<br />

bis zum Faktor 4 billiger sein können als traditionelle<br />

Bauweisen. Auch Selbstbaukonzepte, neue Eigentums- oder Trägerformen<br />

können die traditionelle Bauökonomie und Kostenermittlungsverfahren<br />

in Frage stellen. Von Workshop-Teilnehmern wurde gefordert, in<br />

dieser Hinsicht die IBA als Experimentierfeld zu nutzen.<br />

Es wurden eine Menge Anregungen und konkrete Beispiele auf den<br />

Tisch gelegt, die nachwiesen, in welchen Bereichen technische und<br />

organisatorische Einsparungen durch ökologische Bauweisen möglich<br />

sind. G. Minke berichtete, daß bei seinem Kasseler Projekt mit 15<br />

Wohneinheiten die Baukosten um 50% gesenkt werden konnten, d.h.<br />

auf 1300 pro m 2 Grundfläche (inkl. Nebenkosten). Dabei wurde ein<br />

höherer Wohn- und Freizeitwert erreicht, es gäbe keine versiegelten<br />

Flächen, alle horizontalen und vertikalen Flächen seien begrünt und<br />

auch die Betriebskosten könnten durch das ökologische Baukonzept<br />

erheblich reduziert werden. Von einem Projekt in Kaiserslautern, bei<br />

dem durch Anwendung ökologischer Bauprinzipien und englischen Kostenlimits<br />

ebenfalls Kosteneinsparungen um mehr als ein Drittel erreicht<br />

werden konnten, berichtet D. Hoffmann. Bengt Warne erläutert entsprechende<br />

schwedische Erfahrungen.<br />

Einen sehr interessanten und systematischen Überblick über die<br />

vielfältigen Möglichkeiten von Kosteneinsparungen bei ökologischen<br />

Bau- und Siedlungskonzeptionen trug J. Bargholz aus Herford in ihrem<br />

Referat vor. Außerdem berichtete sie über den derzeitigen Planungsstand<br />

des ökologischen Siedlungsvorhabens in der Nähe von Herford.<br />

Es handelt sich um das in der Bundesrepublik bisher wohl umfassendste<br />

139


Projekt einer ökologischen Siedlung. Ziel ist u.a. der Nachweis, daß<br />

solche Siedlungskonzepte sowohl in der Herstellung alsauch im Betrieb<br />

zu Einsparungen führen können, die von heutigen <strong>Öko</strong>nomen als unrealistisch<br />

und utopisch eingeschätzt werden. Was speziell den Bereich<br />

Energieeinsparung betrifft, wurden von V. Nikolic überzeugende Beispiele<br />

vorgetragen, wie bereits mit einfachen Mitteln Kostenreduzierungen<br />

von mehr als 50% möglich sind.<br />

Wer ist überhaupt am billigen Bauen interessiert? Erst als von Reiner<br />

Albrecht die Frage aufgeworfen wird, wer überhaupt am billigen Bauen<br />

interessiert sei, kommt die Diskussion zurück zu unserer heutigen<br />

gesellschaftlichen Realität - und die sieht so aus, daß weder der Bauunternehmer,<br />

noch der Architekt, noch eine Wohnungsbaugesellschaft,<br />

auch nicht der Bauherr und in den meisten Fällen auch nicht einmal der<br />

Mieter an billigen Bauweisen interessiert sind. Eindeutig ist die Situation<br />

nur beim Eigenheimbauer, in den meisten anderen Fällen dominieren<br />

andere Faktoren wie Steuerersparnis, die Notwendigkeit eines<br />

möglichst großen Finanzvolumens, die Nutzung von Abschreibungsmöglichkeiten<br />

etc. Je mehr ein Architekt seine Kreativität und Energie<br />

in die Entwicklung billiger und ökologischer Bauweisen und die Förderung<br />

von Selbsthilfeaktivitäten steckt, um so mehr gefährdet er unter<br />

den derzeitigen Bedingungen seine Einkommens- und Existenzmöglichkeit.<br />

77% der Mieten bestehen aus Zinsanteilen: Sehr eindrucksvoll belegt<br />

H. Creutz aus Aachen (S. 61, Bd. 1), welch entscheidende Veränderungen<br />

in unserer heutigen Währungs- und Wirtschaftsordnung erforderlich sind,<br />

bevor sich eine ökologische Umorientierung auf breiterer Ebene durchsetzen<br />

kann. Zum Erstaunen vieler Anwesender weist er nach, wie<br />

irrelevant in der derzeitigen Bau- und Wohnungswirtschaft letztlich die<br />

Herstellungs- und Betriebskosten sind. Die heutigen realen Kostenmieten<br />

würden nach seinen Ermittlungen zu 77% durch Zinsanteile bestimmt.<br />

Nicht Kosteneinsparung, sondern nur eine Erhöhung des materiellen<br />

Verbrauchs von Energie und Rohstoffen etc. sei unter den<br />

Bedingungen des Währungssystems für das Kapital interessant und<br />

fordere daher weiteres Wachstum, weiteren Verbrauch und weitere<br />

Umweltzerstörung. Die derzeitigen hohen Zinsen beschleunigen nach<br />

seinen Ausführungen diesen Prozeß weiter. Finanziert werden die wachsenden<br />

Zinsen und steigenden Mieten letztlich durch die Steuern der<br />

Arbeitnehmer. Es bestehe eine direkte Abhängigkeit zwischen Zinserhöhung,<br />

weiterer Kapitalkonzentration bei den Reichen und einer Verarmung<br />

der Ärmeren. Bereits heute sei-der Zinsrückfluß aus der Dritten<br />

Welt doppelt so hoch wie die Entwicklungshilfe. Der Zwang zur Großtechnologie<br />

und der Vernichtung von Kapital in so absurden Projekten<br />

wie Atomkraftwerken, dem Rhein-Main-Donau-Kanal und ganz beson-<br />

140


ders in der Rüstung sei systembedingt, der atomare oder ökologische<br />

Kollaps vorprogrammiert.<br />

Gesetze nicht ändern, sondern umgehen: Die sehr eindrücklichen<br />

Makrobetrachtungen von H. Creutz bestätigten die zentrale Bedeutung<br />

geeigneter Strategie- und Implementationskonzepte für die Durchsetzung<br />

ökologischer Bau- und Planungskonzepte. Es reicht nicht, gute<br />

Ideen zu haben, wenn so offensichtlich ist, daß ihre Realisierung in<br />

unseren noch immer Wachstums- und verbrauchsorientierten Gesellschaftsstrukturen,<br />

entsprechenden Bürokratien, Währungs- und Rechtssystemen<br />

kaum hineinpassen und notwendiger Wandel nur sehr allmählich<br />

zu erwarten ist. Eine wichtige Anregung zu diesem Thema kam von<br />

G. Minke, der meinte, daß es zum augenblicklichen Zeitpunkt Verschwendung<br />

von Energie und Zeit sei, die bestehenden anti-ökologischen<br />

Gesetze und Normen ändern zu wollen. Es gäbe aber eine Reihe<br />

von Möglichkeiten, diese zu umgehen. Die von ihm realisierten Grasdächer<br />

und Lehmbaukonstruktionen verstoßen eindeutig gegen die derzeitigen<br />

Baubestimmungen und konnten dennoch realisiert werden.<br />

Beiträge anderer Sprecher bestätigten, daß in der derzeitigen gesellschaftlichen<br />

Umbruchsituation es eine ganze Reihe erfolgversprechender<br />

Möglichkeiten gäbe, ökologische Strategien auf einem solchen indirekten<br />

Weg durchzusetzen.<br />

Nicht gegen etwas kämpfen, sondern gewünschte Entwicklungen fördern<br />

und verstärken: Eine andere wichtige Bemerkung zum Thema<br />

Implementation kam von P. Krusche, der in seinem Referat betonte,<br />

daß es sogar ein ökologisches Prinzip sei, anstatt gegen etwas zu arbeiten,<br />

sich vorhandene Kräfte nutzbar zu machen, sie in die gewünschte<br />

Richtung umzulenken und zu verstärken. Der Workshop machte deutlich,<br />

daß gerade das ökologische Bauen und die vielfältigen Ansatzpunkte<br />

einer ökologischen <strong>Stadt</strong>erneuerung wichtiges Aktionsfeld der gesellschaftlichen<br />

Umorientierung werden können. Es gibt kaum ein anderes<br />

Gebiet, wo die Interessen der unmittelbar Betroffenen eindeutiger und<br />

nachvollziehbarer im Gegensatz stehen zu den von H. Creutz skizzierten<br />

Wirkungsgesetzen des industriellen Wachstumssystems. Hierin besteht<br />

auch eine der wenigen Chancen.<br />

»Die Beteiligung der Bürger ist das erste ökologische Gesetz«: Dieser<br />

Satz kam von H. W. Hämer, der sehr eindrücklich feststellte, daß die<br />

ökologische <strong>Stadt</strong>erneuerung nur eine Chance habe, wenn sie von den<br />

Interessen der Bewohner getragen werde. In diesem Sinne wurde von<br />

den Workshop-Teilnehmern die Förderung von Aufklärungs- und<br />

Selbsthilfemodellen gefordert, die den Wandel von unten fördern. Je<br />

enger der Bezug zu den unmittelbaren Interessen der Bewohner sei, um<br />

so erfolgversprechender. Schon das <strong>Öko</strong>top-Projekt sei zu groß angelegt<br />

und von daher zum Scheitern verurteilt. Im Sinne des Eingangsstate-<br />

141


ments von M. <strong>Kennedy</strong> »bestehende Ansätze unterstützen« und »ökologische<br />

Experimente, wagen helfen« wurde eine verstärkte Zusammenarbeit<br />

mit bereits bestehenden Selbsthilfegruppen bei möglichst vielen<br />

IBA-Projekten und insbesondere den <strong>Öko</strong>projekten für wünschenswert<br />

gehalten. Zufall oder nicht Zufall, kaum war diese Empfehlung ausgesprochen,<br />

da meldete sich bereits die erste Vertreterin einer solchen<br />

Gruppe zu Wort. Sie berichtete, daß sie bereits seit Jahren erfolglos ein<br />

geeignetes Grundstück für ein ökologisches Wohnprojekt mit ca. 20<br />

Familien suche, ob die IBA dabei nicht helfen könne.<br />

Thema <strong>Öko</strong>logie und Ästhetik: Zur Anregung der Diskussion wurden<br />

vorbereitete Beiträge eingebracht von P. Kleihues, V. Nikolic, Frei<br />

Otto und J. Glässel. Fast übereinstimmend wurde festgestellt, daß es<br />

einen Widerspruch zwischen <strong>Öko</strong>logie und Ästhetik grundsätzlich nicht<br />

gäbe, die <strong>Öko</strong>logie allerdings die Ästhetik-Frage stelle. Die Ästhetik<br />

werde im Zusammenhang mit <strong>Öko</strong>logie einen Wandel erfahren, vor<br />

allem weniger vorbestimmt sein durch vorgegebene Architektur. Die<br />

Ästhetik einer stärker ökologisch ausgerichteten Architektur wird mehr<br />

von den Bewohnern bestimmt sein. Da deren Kreativität in den vergangenen<br />

Jahrzehnten nur wenig gefragt war, abgestumpft ist, wird es eine<br />

schwierige Übergangszeit geben, in der die Gestaltüngsfähigkeit der<br />

breiten Bevölkerung neu herausgefordert werden wird. In der Zwischenzeit<br />

wird es viele Probleme geben, die durch den Widerspruch »gut<br />

gemeint« und »schlecht gemacht« charakterisiert sein werden, wie P.<br />

Krusche es formulierte.<br />

Das Thema <strong>Öko</strong>logie und Grün: Zu diesem Thema werden vorbereitete<br />

Beiträge von S. Rehberg, H. Seiberth, C. Szamatolski, H. Barges<br />

und G. Minke eingebracht. Der zentrale Stellenwert der Grünplanung<br />

im ökologischen <strong>Stadt</strong>umbau wurde in allen Beiträgen mit unterschiedlichen<br />

Schwerpunkten deutlich herausgearbeitet.<br />

Die Notwendigkeit eines »ökologischen Minimalkatalogs«: Bereits am<br />

Anfang des Workshops wurde von M. <strong>Kennedy</strong> als Ziel der Veranstaltung<br />

die Verabschiedung eines ökologischen Minimalkatalogs gefordert.<br />

Es wurde nicht zuletzt auf das Fehlen einer solchen von Fachleuten<br />

autorisierten Check-Liste ökologischer Planungskriterien zurückgeführt,<br />

daß abgesehen von den sechs <strong>Öko</strong>-Projekten der IBA entsprechende<br />

Planungskriterien kaum bei den Wettbewerben und anderen<br />

Projekten der IBA berücksichtigt worden sind. Am Beispiel des Projektes<br />

Ritterstraße wurde verdeutlicht, wie wenig verfügbares und anwendungsreifes<br />

ökologisches Wissen bei fast allen IBA-Projekten berücksichtigt<br />

worden ist. Hier sei eine wertvolle Chance vertan worden. Selbst<br />

P. Kleihues, der wegen der Vernachlässigung ökologischer Planungskriterien<br />

in vielen Bereichen der bisherigen IBA-Planung heftige Kritik<br />

einstecken mußte, setzte sich nachdrücklich für die Erstellung eines<br />

142


solchen Katalogs ein. Übereinstimmend waren alle Teilnehmer des<br />

Workshops der Meinung, daß ein ökologischer Minimalkatalog bei allen<br />

zukünftigen Bauprojekten mit ähnlicher Unbedingtheit gehandhabt<br />

werden müsse wie zur Zeit bau- bzw. feuerpolizeiliche Vorschriften. Es<br />

ist eines der wichtigsten Ergebnisse des Workshops, nach ausführlicher<br />

Diskussion einen solchen Minimalkatalog verabschiedet zu haben.<br />

Zusammenfassung<br />

Er war wichtig, dieser zweite <strong>Öko</strong>logie-Workshop der IBA - auch wenn<br />

vieles Bekannte wiederholt wurde und die großen Erwartungen von vor<br />

drei Jahren kaum eingelöst werden konnten. Von einem Durchbruch in<br />

Sachen <strong>Öko</strong>logie kann nicht gesprochen werden. Aber es wurden spürbare<br />

Schritte gemacht. Vor allem wurde weniger über Ideen und Konzepte,<br />

dafür mehr über konkrete Projekte, konkrete Probleme, Erfahrungen<br />

und Lösungsvorschläge gesprochen. Es wurde aber auch deutlich,<br />

daß neben den vielen kreativen Projektvorschlägen im technischen<br />

und planerischen Bereich die Frage geeigneter Implementationsstrategien<br />

noch wenig angepackt wurde. Das betrifft besonders Überlegungen<br />

zu den vielfältigen Verflechtungen des ökologischen <strong>Stadt</strong>umbaus mit<br />

anderen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen wie mit<br />

dem Wandel der Arbeit, dem sozialen Wandel, der zunehmend dualen<br />

Wirtschaftsentwicklung und dem gesellschaftlichen Wertewandel. Auch<br />

die Einflüsse, die von Veränderungen in den Technologie-, Industrieund<br />

Organisationsstrukturen ausgehen, sind unter dem Aspekt des<br />

ökologischen <strong>Stadt</strong>umbaus erst ansatzweise durchdacht. Das betrifft<br />

nicht zuletzt die zentrale Bedeutung einer sich ökologisch anpassenden<br />

<strong>Öko</strong>nomie für die <strong>Stadt</strong>entwicklung und den <strong>Stadt</strong>umbau.<br />

143


Die Autoren<br />

Barges, Hermann, Freiraumplaner im Bereich »<strong>Stadt</strong>erneuerung« der<br />

Internationalen Bauausstellung (IBA).<br />

Glässel, Jo, Freier Architekt in Berlin.<br />

Hahn, Ekhart, Dr., Dipl.-Ing. Arch., Architekt und Mitarbeiter am<br />

Wissenschaftszentrum, Institut für Umwelt und Gesellschaft, Berlin.<br />

Kendel, Hermann, Dipl.-Ing., freier Architekt, Berlin.<br />

Küenzlen, Martin, Architekt und <strong>Stadt</strong>planer, Gründungsmitglied von<br />

Oekotop, Berlin.<br />

Londo, Ger, Professor für Freiraumplanung, Holland.<br />

Maass, Inge, Freie Landschaftsplanerin, Stuttgart.<br />

Frei, Otto, Professor und Begründer des »Instituts für leichte Flächentragwerke«,<br />

Technische Universität, Stuttgart.<br />

Warne, Bengt, Freier Architekt, Stockholm.<br />

144


Bis Ende 1984 zeigt die Internationale Bauausstellung<br />

(IBA) in Berlin in über 20 Ausstellungen<br />

eine Zwischenbilanz ihrer Tätigkeit.<br />

Während im ersten <strong>Band</strong> die Grundlagen<br />

einer <strong>Öko</strong>-<strong>Stadt</strong> entworfen werden, soll in<br />

diesem - zweiten - <strong>Band</strong> gezeigt werden, auf<br />

welche Weise sich mit der Natur die <strong>Stadt</strong><br />

planen läßt. An einzelnen Projekten und aufgrund<br />

von Erfahrungsberichten wird dargestellt,<br />

wie Grün- und Freiraumplanung und<br />

eine ökologische Vernetzung praktisch erreicht<br />

werden.<br />

Originalausgabe<br />

ISB N 3-596-24097-2

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