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4 Grundlagen (2) Mesoebene – Ebene des sozialen Umfeldes des „Abweichlers“ (3) Makroebene – gesamtgesellschaftliche Ebene So sah die erste kriminologische Theorienbildung der „italienische Schule“ die Gründe für das abweichende Verhalten in der Physis des Menschen. Demnach seien bestimmte Menschentypen, die man auch äußerlich an bestimmten Merkmalen erkennen könne, triebhaft kriminell (Dollinger 2010; S.45). Diesen ersten Ansätzen der Theorienbildung auf Mikroebene (1) sollten im 20. Jahrhundert zahlreiche folgen. Beispielhaft seien an dieser Stelle die General Theorie of Crime (im Folgenden als GTOC bezeichnet) und die bis heute oftmals angewandte Rational Choice Theorie angesprochen. Dabei stellt erstere die persönliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Ihr zufolge böten kriminelle Handlungen in der Regel zwar unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, allerdings würde die Selbstkontrolle einen Großteil der Bevölkerung davon abhalten, solche Taten tatsächlich zu begehen. Der Grund hierfür läge gemäß der Theorie in der Fähigkeit der Menschen, der ersten Versuchung eine Tat zu begehen, wiederstehen zu können, um anschließend die möglichen langfristigen Folgen bei Entdeckung zu verhindern. Abweichendes Verhalten geht demnach von Menschen aus, die eine solch geringe Selbstkontrolle haben, dass sie über die angesprochenen Konsequenzen gar nicht erst nachdenken. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle wird entsprechend der GTOC in der Sozialisationsphase erworben (Mehlkop 2011; S.35-36). Auch die zweite Theorie des sogenannten Rational Choice Ansatzes sieht den Moment der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Handlung als zentralen Ausgangspunkt seiner Untersuchung. Demnach wägt jeder Mensch all seine Handlungen nach dem Prinzip der Kosten- Nutzen- Überlegung ab, da er dem Prinzip des Homo Oeconomicus folgt. Eine Entscheidung darüber ob legale oder kriminelle Handlungen zur Zielerreichung ergriffen werden, hängt in diesem Falle aber nicht nur vom zu erwartenden Aufwand ab, sondern auch vom Gewicht möglicher Konsequenzen bei Entdeckung (Dollinger 2006, S.53-54). Dieses Model der „rationalen Wahl“ (Übersetzung rational choice) wurde von verschiedenen Wissenschaftlern wie zum Beispiel dem Sozialpsychologen Icek Ajzen in seiner Theory of Planned Behaviour weiter ausdifferenziert und konkretisiert. Darüber hinaus sind viele weitere Theorien auf der Ebene der Einzelperson – also der Mikroebene – entwickelt worden, deren ausführliche Betrachtung an dieser Stelle zu weit führen würde. Einen kurzen Überblick über weitere Erklärungsätze auf dieser Ebene bietet Tabelle 1. Die Erklärungsansätze auf der Mesoebene (2) sehen die Ursachen für abweichendes Verhalten weder auf rein persönlicher noch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Diese Theorien definieren vielmehr das persönliche Umfeld bzw. die Umwelt der betreffenden Personen als Auslöser für kriminelle Handlungen. So führt die sogenannte Subkulturtheorie kriminelle Handlungen auf die Zugehörigkeit der Täter zu bestimmten abgegrenzten Teilgruppen der Gesellschaft zurück. Da sich diese Subkulturen durch andere Wertvorstellungen und Normen vom gesellschaftlichen Establishment abheben, werden ihre Gruppenmitglieder mit hoher Wahrscheinlichkeit kriminelle oder zumindest stark abweichende Verhaltensweisen an den Tag legen. Mit dieser Theorie wird oftmals versucht, Bandenkriminalität von Jugendgangs zu erklären (Dollinger 2006; S.85-86). Der Peer- Group- Ansatz lokalisiert das soziale Umfeld von Heranwachsenden als mögliche Ursache abweichenden Verhaltens. Da der Mensch in dieser Lebensphase persönliche Werte und Einstellungen zu Normen entwickelt, sei hiernach das soziale Umfeld in dieser Phase der Sozialisation von entscheidender Bedeutung. Werden einem Jugendlichen durch wichtige Personen, wie enge Freunde oder Verwandte, kriminalitätsbefürwortende Einstellung vermittelt,

Plattformen digitaler Kriminalitätsverortung Chancen und Risiken aus Sicht der Raumplanung würde sich gemäß der Theorie die Chance für späteres abweichendes Verhalten erhöhen (Dollinger 2006; 92- 94). Gesondert soll nun der stark kritisierte Broken- Windows- Ansatz diskutiert werden, da er vor allem das räumliche und städtische Umfeld als Auslöser für kriminelles Verhalten ausmacht. Dieser Ansatz geht davon aus, dass eine gewisse Unordentlichkeit eines städtischen Raumes zu höherer Kriminalitätsbelastung führe. Der Grund für die höhere Belastung entstünde demnach dadurch, dass ein unordentliches äußeres Erscheinungsbild eines Viertels kriminellen Individuen suggeriere, dass die soziale Kontrolle an diesem Ort eher gering und damit auch das Aufdeckungsrisiko für kriminelle Handlungen minimal sei. Der Name der These weist schon darauf hin, dass eingeschlagene Scheiben (engl. Broken Windows) ein erstes deutliches Anzeichen für diesen relativ breit auslegbaren Begriff der Unordnung darstellen sollen. Versucht man den Begriff der Unordnung im städtischen Kontext aber klar zu definieren, stößt man allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten. Denn was als unordentlich gilt und was nicht, ist ebenso sehr stark von den gesellschaftlichen Normen abhängig. Müssen also tatsächlich Scheiben eingeschlagen worden sein oder reicht es, dass die Straßen nicht geputzt werden und Müll herumliegt? Welche zentrale Rolle das Normverständnis hier spielt, verdeutlicht auch die Auslegung der Autoren der Theorie James Q. Wilson und George L. Kelling. Ihrer Meinung nach, zeige sich der soziale Zerfall schon durch Obdachlose, die im öffentlichen Raum sichtbar werden. Demnach ist die bloße Anwesenheit bestimmter Personengruppen bereits ein Zeichen für sozialen Zerfall und städtische Unordnung, der dann auch noch als Auslöser für Kriminalität gelten soll. Verbindet man diesen theoretischen Ansatz mit der ebenfalls ausgesprochenen Forderung nach striktem Vorgehen gegen diese „Unordnung“, kommt es zu einer Kriminalisierung von Verhaltensweisen die strafrechtlich gesehen nicht kriminell sind. Vor allem in den USA fand dieser Ansatz trotz der umfangreichen sozialwissenschaftlichen Kritik sehr großen Anklang. So wird die verbesserte Kriminalitätslage New Yorks zum Ende der 90er Jahre bis heute von konservativen Politikern als Beispiel der Gültigkeit der Broken- Windows These angeführt, da die Stadt auf Grundlage dieser These Polizeiarbeit betrieben hatte. Allerdings setzte sich in den letzten Jahren die Ansicht durch, dass die verbesserte Kriminalitätsstatistik vielmehr auf eine veränderte polizeiliche Erfassungsmethodik zurückzuführen sei (vgl. auch Kapitel 1.2) (Belina 2011b; S. 134- 195). Auch auf der Makroebene (3) liegen Theorien vor, die das Entstehen von kriminellen Handlungen unter anderem räumlichen Faktoren zuschreiben. So gliedern die von Dollinger in einem Theorienkomplex zusammengefassten Ansätze der Sozialräume, Milieus und Lebensstile die Gesellschaft in verschiedene Gruppen, von denen einige mehr und andere weniger zu Kriminalität neigen. Beispielsweise macht der sozialräumliche Ansatz Lebensräume für die Neigung zu Kriminalität und abweichendem Verhalten verantwortlich. Ihm zufolge sei der Lebensraum Stadt, im Vergleich zu ländlichen Räumen, eher dazu geeignet kriminelle Verhaltensformen zu generieren bzw. in sich zu bergen. Innerhalb der Stadt seien wiederrum die Viertel stärker betroffen, deren Einwohner geringen sozialen Status aufweisen. Allerdings werden diese Ansätze mittlerweile sehr kritisch betrachtet, da sie die sehr komplexen Wirkungszusammenhänge kriminellen Verhaltens nur vereinfacht darstellen und damit jeglichen Anspruch verlieren, die Realität abzubilden (Dollinger 2006; S.117-122). Die vom weltweit anerkannten Soziologen Robert K. Merton entwickelte Anomietheorie erklärt abweichendes Verhalten damit, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen mit den ihnen zur 5

<strong>Plattformen</strong> <strong>digitaler</strong> <strong>Kriminalitätsverortung</strong><br />

Chancen und Risiken aus Sicht der Raumplanung<br />

würde sich gemäß der Theorie die Chance für späteres abweichendes Verhalten erhöhen (Dollinger<br />

2006; 92- 94).<br />

Gesondert soll nun der stark kritisierte Broken- Windows- Ansatz diskutiert werden, da er vor allem<br />

das räumliche und städtische Umfeld als Auslöser für kriminelles Verhalten ausmacht. Dieser<br />

Ansatz geht davon aus, dass eine gewisse Unordentlichkeit eines städtischen Raumes zu höherer<br />

Kriminalitätsbelastung führe. Der Grund für die höhere Belastung entstünde demnach dadurch,<br />

dass ein unordentliches äußeres Erscheinungsbild eines Viertels kriminellen Individuen suggeriere,<br />

dass die soziale Kontrolle an diesem Ort eher gering und damit auch das Aufdeckungsrisiko für<br />

kriminelle Handlungen minimal sei. Der Name der These weist schon darauf hin, dass<br />

eingeschlagene Scheiben (engl. Broken Windows) ein erstes deutliches Anzeichen für diesen relativ<br />

breit auslegbaren Begriff der Unordnung darstellen sollen. Versucht man den Begriff der<br />

Unordnung im städtischen Kontext aber klar zu definieren, stößt man allerdings auf erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Denn was als unordentlich gilt und was nicht, ist ebenso sehr stark von den<br />

gesellschaftlichen Normen abhängig. Müssen also tatsächlich Scheiben eingeschlagen worden sein<br />

oder reicht es, dass die Straßen nicht geputzt werden und Müll herumliegt? Welche zentrale Rolle<br />

das Normverständnis hier spielt, verdeutlicht auch die Auslegung der Autoren der Theorie James Q.<br />

Wilson und George L. Kelling. Ihrer Meinung nach, zeige sich der soziale Zerfall schon durch<br />

Obdachlose, die im öffentlichen Raum sichtbar werden. Demnach ist die bloße Anwesenheit<br />

bestimmter Personengruppen bereits ein Zeichen für sozialen Zerfall und städtische Unordnung,<br />

der dann auch noch als Auslöser für Kriminalität gelten soll. Verbindet man diesen theoretischen<br />

Ansatz mit der ebenfalls ausgesprochenen Forderung nach striktem Vorgehen gegen diese<br />

„Unordnung“, kommt es zu einer Kriminalisierung von Verhaltensweisen die strafrechtlich gesehen<br />

nicht kriminell sind. Vor allem in den USA fand dieser Ansatz trotz der umfangreichen<br />

sozialwissenschaftlichen Kritik sehr großen Anklang. So wird die verbesserte Kriminalitätslage New<br />

Yorks zum Ende der 90er Jahre bis heute von konservativen Politikern als Beispiel der Gültigkeit der<br />

Broken- Windows These angeführt, da die Stadt auf Grundlage dieser These Polizeiarbeit betrieben<br />

hatte. Allerdings setzte sich in den letzten Jahren die Ansicht durch, dass die verbesserte<br />

Kriminalitätsstatistik vielmehr auf eine veränderte polizeiliche Erfassungsmethodik zurückzuführen<br />

sei (vgl. auch Kapitel 1.2) (Belina 2011b; S. 134- 195).<br />

Auch auf der Makroebene (3) liegen Theorien vor, die das Entstehen von kriminellen Handlungen<br />

unter anderem räumlichen Faktoren zuschreiben. So gliedern die von Dollinger in einem<br />

Theorienkomplex zusammengefassten Ansätze der Sozialräume, Milieus und Lebensstile die<br />

Gesellschaft in verschiedene Gruppen, von denen einige mehr und andere weniger zu Kriminalität<br />

neigen. Beispielsweise macht der sozialräumliche Ansatz Lebensräume für die Neigung zu<br />

Kriminalität und abweichendem Verhalten verantwortlich. Ihm zufolge sei der Lebensraum Stadt,<br />

im Vergleich zu ländlichen Räumen, eher dazu geeignet kriminelle Verhaltensformen zu generieren<br />

bzw. in sich zu bergen. Innerhalb der Stadt seien wiederrum die Viertel stärker betroffen, deren<br />

Einwohner geringen sozialen Status aufweisen. Allerdings werden diese Ansätze mittlerweile sehr<br />

kritisch betrachtet, da sie die sehr komplexen Wirkungszusammenhänge kriminellen Verhaltens<br />

nur vereinfacht darstellen und damit jeglichen Anspruch verlieren, die Realität abzubilden<br />

(Dollinger 2006; S.117-122).<br />

Die vom weltweit anerkannten Soziologen Robert K. Merton entwickelte Anomietheorie erklärt<br />

abweichendes Verhalten damit, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen mit den ihnen zur<br />

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