CL 44 - Cthulhus Ruf
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Zeit stehen zu bleiben oder in die Vergangenheit zu reisen.<br />
In der Welt des Charles Yu – nicht der Welt des Autors,<br />
sondern der des Protagonisten – ist Zeitreisen längst die<br />
scheinbare Problemlösung für ein verkorkstes Leben<br />
geworden. Die Menschen wollen ihre größten Ängste, ihre<br />
schlimmsten Erlebnisse noch einmal Erleben und das<br />
Unveränderliche ändern. Charles Yus Aufgabe ist es dies zu<br />
verhindern, denn die Paradoxa der veränderten<br />
Unveränderlichkeiten würden Risse im Science Fiction<br />
Universum entstehen lassen. Das Problem der Menschen ist<br />
einfach genannt: Wir leben vorwärts, schauen aber<br />
beständig in die Vergangenheit zurück. Auch Charles Yu,<br />
der mit seinem ontologisch existierenden Hund Ed, der aus<br />
einer TV-Serie geretconned ist, und dem Bordcomputer<br />
TAMMY, die einen Minderwertigkeitskomplex hat, seit<br />
zehn Jahren im Rekreations-Zeitreisegerät TM-31 lebt, um<br />
so wenig wie möglich von der wahren Welt<br />
mitzubekommen.<br />
Doch es muss kommen wie es kommen muss. Die<br />
Elektronik des Zeitreisegeräts versagt, Charles Yu muss in<br />
die wirkliche Welt zurück, wo er prompt sich selbst über<br />
den Weg läuft ...<br />
Wenn Sie sich jemals aus einer Zeitreisemaschine steigen<br />
sehen, nehmen sie bloß die Beine in die Hand. Laufen Sie<br />
weg so schnell sie können. Bleiben Sie nicht stehen.<br />
Versuchen Sie nicht ein Gespräch anzufangen. Dabei kann<br />
nichts Gutes herauskommen. (S. 34)<br />
… seinem eigenen Rat nicht folgt und sich selbst erschießt;<br />
nicht sich selbst, sondern sein zukünftiges Ich. Sein<br />
sterbendes Ich flüstert ihm noch etwas von einem<br />
„Handbuch für Zeitreisende“ zu, das er selbst in der<br />
Zukunft geschrieben hat. Er findet dieses in der<br />
Zeitmaschine. Während er es ließt, wird es geschrieben und<br />
während es geschrieben wird, wird es gelesen. Klingt<br />
paradox? Nun, es funktioniert! Hier nun beginnt das<br />
Aufarbeiten seiner eigenen Vergangenheit und die Suche<br />
nach seinem verschwundenen Vater, der einer der Pioniere<br />
des Zeitreisens ist. Was nämlich für die Menschheit gilt, gilt<br />
auch für Charles Yu: Das Leben ist weder in der<br />
Vergangenheit, in der Gegenwart noch in der Zukunft<br />
bedeutungsvoller als zu einem anderen Zeitpunkt. Es hält<br />
stets schmerzliche Situationen bereit.<br />
Charles Yus Roman handelt über Zeitschleifen, Paradoxa<br />
und der Kausalität eines Science Fiction Universums, das<br />
völlig unmöglich, in sich aber schlüssig geschildert wird.<br />
Zumindest klingen die physikalisch-mathematischen<br />
Gesetze des Universum und des Zeitreisens logisch und<br />
korrekt. Formeln und Gleichungen, Gesetze und<br />
Voraussetzungen werden als gegeben dahingestellt, aber<br />
seltenst erklärt und ausgeführt, sodass all die technischkunstvollen<br />
Ausführen sinnentleert im Raum stehen. Was<br />
stilistisch bleibt, sind nervtötende Endloswiederholungen<br />
ein und derselben Aussagen in anderen Wörtern, anderen<br />
Phrasen und anderer Syntax, die sich teilweise über<br />
absatzlange Sätze nur von Kommata getrennt in die Länge<br />
ziehen.<br />
Einerseits ist dieser stilistische Kunstgriff lesetechnisch auf<br />
Dauer gesehen eine Katastrophe, andererseits ein genialer<br />
Schachzug. „Das Handbuch für Zeitreisende“ ist – wir<br />
erinnern uns – das Buch, das geschrieben wird, während es<br />
gelesen wird, und das Buch, das gelesen wird, während es<br />
geschrieben wird. Im Prinzip liegt uns also die Fassung des<br />
gleichzeitig denkenden, lesenden und schreibenden<br />
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