Kap. 11 Analogrechner
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<strong>11</strong> <strong>Analogrechner</strong><br />
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<strong>Kap</strong>. <strong>11</strong> <strong>Analogrechner</strong><br />
Im Gegensatz zu digitalen Rechengeräten erfolgt bei analogen Rechengeräten die<br />
Zahlendarstellung nicht durch Ziffern, sondern durch physikalische Größen, deren Wert sich<br />
analog zu der dargestellten Zahl verhält. Wird als physikalische Größe eine Streckenlänge<br />
oder ein Winkel verwendet, so erhält man einen mechanischen <strong>Analogrechner</strong>. Bei<br />
elektrischen und elektronischen <strong>Analogrechner</strong>n werden elektrische Spannungen als<br />
Analogon für Zahlenwerte verwendet, die allerdings als Zeigerausschlag wieder mechanisch<br />
als Winkel oder Strecke abgelesen werden. In diesem Sinne ist das Räderwerk von<br />
Antikythera ein klassischer <strong>Analogrechner</strong>. Das Gleiche gilt für die Astrolabien oder die<br />
verschiedenen Geräte für astronomische oder nautische Berechnungen.<br />
<strong>11</strong>.1 Rechenschieber<br />
Nach der Entdeckung der Logarithmen und des logarithmischen Rechnens durch Bürgi und<br />
Napier war es Edmund Gunter (1581 - 1626), der auf dieser Basis ein Rechengerät konstruierte.<br />
Gunter war ein englischer Mathematiker und Astronom. Ab 1619 war er als Professor<br />
für Astronomie am Gresham College in London tätig und mit Briggs befreundet. Er erfand<br />
um 1620 einen Vorläufer des Rechenschiebers, ein so genanntes „Logarithmenlineal“ oder<br />
Gunter's Scale. Auf ihr stellte er die Napierschen Logarithmen erstmals als Skala auf einem 2<br />
Fuß langen hölzernen Maßstab dar, auf dem mit Hilfe eines Stechzirkels graphisch gerechnet<br />
werden konnte, indem bestimmte Werte (= Zahlen) abgegriffen und so aneinandergereiht<br />
wurden, dass durch diese Addition von Strecken ein Multiplikationsergebnis ablesbar wurde.<br />
Abb. <strong>11</strong>. Gunter's Scale<br />
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Ergänzt mit trigonometrischen und später mit ballistischen Skalen blieb die Gunter's Scale<br />
in leicht unterschiedlichen Formen als rechnerisches Hilfsmittel vor allem in der Marine lange<br />
in Gebrauch, nämlich bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Der wohl berühmteste<br />
Anwender war Admiral Nelson, der sich 1805 in der Seeschlacht von Trafalgar einer Gunter's<br />
Scale bedient haben soll.<br />
Der eigentliche Rechenschieber oder genauer Rechenstab, bei dem zwei logarithmische<br />
Skalen verschiebbar nebeneinander angeordnet sind, wurde um 1630 vom englischen<br />
Mathematiker William Oughtred erfunden. William Oughtred war ein englischer<br />
Mathematiker, der am 5. März 1574 in Eton geboren wurde. Oughtred ging an das King's<br />
College in Cambridge. Er verließ um das Jahr 1603 die Universität und ging in das Pfarrhaus<br />
von Aldbury, nahe Guildford in Surrey. Neben der Erfindung des Rechenschiebers wurde er<br />
dadurch bekannt, dass er 1631 das mathematische Symbol „ד für Multiplikationen und „/“<br />
für Divisionen einführte. Ebenso bezeichnete Oughtred in seiner Schrift „Theorematum in<br />
libris Archimedis de Sphaera et Cylindro Declaratio“ als Erster die Kreiszahl mit „π“.<br />
Neben dem Rechenstab existieren noch die Varianten<br />
der Rechenscheibe und der Rechenwalze. Bereits<br />
Oughtred hatte seine Erfindung des Rechenschiebers in<br />
zwei Formen angemeldet: Zwei gerade Skalen bildeten<br />
den Rechenstab, zwei kreisrunde Skalen ergaben die<br />
Rechenscheibe. Mit den beiden Varianten versuchte man<br />
zwei Probleme des Rechenstabes zu vermeiden, wobei<br />
unklar ist, ob bereits Oughtred diese Motivation für seine<br />
beiden Anmeldungen hatte oder ob dies erst später die<br />
Verbreitung der Rechenscheibe bzw. der Rechenwalze<br />
gefördert hat.<br />
Das eine dieser Probleme, eindeutig ein Nachteil der Bauform Rechenstab, war das<br />
sogenannte Durchschieben, das einem flüssigen Rechnen abträglich war. Unter<br />
Durchschieben versteht man das notwendige Verschieben der Zunge eines Rechenstabs um<br />
eine ganze Skalenlänge nach links oder nach rechts, wenn das abzulesende Resultat eines<br />
Rechenvorgangs außerhalb der Körperskalen zu liegen kommt. Die Rechenscheibe wies<br />
diesen Nachteil nicht auf; mit ihren in sich geschlossenen, kreisrunden Skalen erlaubte sie ein<br />
kontinuierliches Rechnen, und das wurde denn auch als Hauptvorteil der Rechenscheibe<br />
gebührend angepriesen. Trotzdem erreichte die Rechenscheibe erst anfangs unseres<br />
Jahrhunderts eine bescheidene Verbreitung.<br />
Ein weiterer Nachteil des Rechenschiebers besteht darin, dass die Genauigkeit der Skala<br />
nach rechts hin abnimmt. Während bei einem Rechenschieber mit einer Länge von 25 cm auf<br />
der linken Seite die Zahlen 1 und 2 etwa 7,5 cm auseinander liegen und dort entsprechend<br />
genaue Unterteilungen aufweisen, liegen auf der rechten Seite die Zahlen 9 und 10 nur etwas<br />
mehr als 1 cm auseinander. Durch konstruktive Maßnahmen suchte man das Problem derart<br />
zu lösen, dass man längere Rechenschieber baute bzw. den Läufer mit Lupen versah.. Aber<br />
das ging natürlich nur bis zu einem bestimmten Grade. Es wurden Rechenschieber mit einer<br />
Länge von 0,5 m, 1 m und sogar 2,5 m gebaut. Man konnte sie natürlich nur schwer<br />
handhaben. So kam man auf die Idee, einen langen Rechenschieber in einzelne Strecken<br />
aufzuteilen und in übereinanderliegenden Zeilen auf einer Walze wieder zusammenzusetzen.<br />
So wurde z. B. häufig ein 15 m langer Rechenschieber in gleiche Teile von etwa 25 cm geteilt<br />
und zu einer Rechenwalze montiert. Auf die innere Walze setzte man einen äußeren,<br />
beweglichen durchsichtigen Zylinder mit der gleichen Einteilung. So konnte durch Schieben<br />
und durch Drehen der gewohnte Vorgang des Rechenschiebers durchgeführt werden, wobei<br />
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wegen des größeren Maßstabs der Skala wesentlich genauer abgelesen werden konnte.<br />
Ähnliches gilt für die ineinander verschiebbaren Rechenzylinder.<br />
Abb. <strong>11</strong>.<br />
Die drei verbreitesten Bauformen des Rechenschiebers:<br />
Rechenstab, Rechenscheibe und -Rechenwalze<br />
Rechenschieber entstanden ursprünglich für die üblichen arithmetischen Berechnungen. Bald<br />
ergänzte man die Rechenschieber um zusätzliche Skalen wie trigonomische Funktionen oder<br />
Quadrat- und Kubikzahlen. Der nächste Schritt waren Geräte, die vom jeweiligen Besteller<br />
gewünschten Skalenbilder aufwiesen und auf dessen Anwendungsprobleme zugeschnittenene<br />
Einzellösungen darstellten. Die relativ leichte Anpassbarkeit eines Rechenschiebermodells an<br />
unterschiedliche Bedürfnisse, der Konkurrenzdruck unter den vielen Herstellern und die<br />
Innovationsfreudigkeit der Benutzer führte schnell dazu, dass für alle möglichen Berufe<br />
Spezialrechenstäbe gebaut wurden: Für Astronomen, Bankangestellte, Bauingenieure,<br />
Betriebstechniker, Bierbrauer, Chemiker, Elektroingenieure, Forstbeamte, Holzhändler,<br />
Kaufleute, Landwirte, Luftschiffer, Maschinenbauer, Navigatoren (zur See und in der Luft),<br />
Schriftsetzer, Spirituosenhändler, Steuereinnehmer, Vermessungsingenieure, Viehzüchter,<br />
Zollbeamte oder für die Artillerie. Ferner existierten Kalorienrechner, Promillerechner und<br />
Rechenschieber zur Ermittlung des Benzinverbrauchs. Es gab sogar Blanko-Rechenstäbe zu<br />
kaufen, die der Benutzer mit Skalen nach eigenem Ermessen versehen konnte.<br />
Abb. <strong>11</strong>. Artillerie-Rechenstab der deutschen Wehrmacht aus dem zweiter Weltkrieg<br />
(Hersteller: Faber-Castell)<br />
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Erfunden in England, blieb der Rechenschieber rund 100 Jahre lang ein ausschließlich<br />
englisches Gerät. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschien er in nennenswertem Umfang<br />
auf den europäischen Kontinent. Fast hundert Jahre lang war Frankreich das führende Land<br />
der Rechenschieberproduktion. Barbotheu und Tavernier-Gravet waren französische Marken,<br />
die damals auch im Ausland großes Ansehen genossen. Später kam die Marke Graphoplex<br />
hinzu.<br />
Abb. <strong>11</strong>. Rechenscheibe «Hydro» von Kisseleff in Küsnacht (Schweiz).<br />
Sie dient der Berechnung von Rohrleitungsnetzen.<br />
Der deutsch-französische Krieg führte dann dazu, dass auch in Deutschland die<br />
Rechenschieberherstellung aufgenommen wurde. Die deutschen Hersteller Dennert & Pape<br />
(bekannt unter dem Markennamen Aristo), Faber-Castell und Nestler eroberten sich je ihr<br />
Stück des Weltmarktes, in den sie sich aber später mit ebenso erfolgreichen Herstellern<br />
anderer Industrieländer zu teilen hatten. Von ihnen seien hier nur die bekanntesten des 20.<br />
Jahrhunderts genannt: Blundell-Harling und British Thornton in England, Sun Hemmi in<br />
Japan, Dietzgen, Keuffel & Esser sowie Picket & Eckel in den USA. Die Firmen Jakob Kern,<br />
Eschmann-Wild, LOGA, Billeter und später die aus Billeters Firma hervorgehende National-<br />
Rechnerwalzen AG waren als schweizerische Unternehmen erfolgreich.<br />
In Gebrauch waren Rechenschieber bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, bis sie<br />
durch elektronische Taschenrechner abgelöst wurden. Der Autor selbst musste auf der<br />
Oberstufe des Gymnasiums noch alle Mathematikaufgaben mit Logarithmentafel und<br />
Rechenschieber lösen.<br />
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