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Kognitionslinguistische und lernpsychologische ... - Cognitive Science

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Einer der bekanntesten <strong>und</strong> am häufigsten zitierten Fälle ist der des berühmten H. M. Er<br />

wurde seit 1957 von der kanadischen Psychologin Brenda Milner dokumentiert. 27 Der Patient<br />

war als Neunjähriger von einem Fahrrad angefahren worden <strong>und</strong> hatte dabei einige<br />

Gehirnverletzungen davongetragen. Dies führte in der Folgezeit zu einem immer<br />

schwerwiegender werdenden Anfallsleiden. Im Alter von 27 Jahren erlitt er im Durchschnitt<br />

zehn mal pro Woche einen epileptischen Anfall <strong>und</strong> galt als schwerbehindert. Da man als<br />

Ursache seiner Erkrankung starke Schädigungen im Bereich des Hippocampus <strong>und</strong> des<br />

mittleren Temporallappens vermutete, wurde entschieden, diese Areale durch einen<br />

chirurgischen Eingriff zu entfernen. Die Krankheitssymptome ließen zwar daraufhin in der<br />

Tat nach. Allerdings war der Erfolg, wie sich schon bald zeigen sollte, teuer erkauft worden.<br />

In den Wochen nach der Operation wurde schnell klar, dass H.M. mit dem Hippocampus auch<br />

die Fähigkeit verloren hatte, neue Erfahrungen in seinem Gedächtnis abzuspeichern. Die<br />

Erinnerungen an die Zeit vor dem Eingriff waren indes erhalten geblieben. Das Phänomen ist<br />

unter dem Fachbegriff anterograde Amnesie bekannt. Nahm man zunächst an, der Patient<br />

hätte durch den Eingriff komplett die Fähigkeit zum Lernen verloren, so erwies sich diese<br />

Hypothese bereits nach einigen Experimenten als falsch. In mehreren aufeinanderfolgen<br />

Sitzungen hatte man dem Patienten beispielsweise die Aufgabe gestellt, mit einem Stift an<br />

den Außenkanten eines Sterns entlangzufahren, den er nur in einem Spiegel sehen konnte. Bei<br />

der Verbesserung dieser Fertigkeit machte er ähnliche Fortschritte wie ges<strong>und</strong>e<br />

Vergleichspersonen, nur dass er sich, im Gegensatz zu diesen, nie daran erinnern konnte,<br />

etwas derartiges jemals zuvor geübt zu haben. Auch war er nie im Stande, die Versuchsleiter<br />

wiederzuerkennen. 28<br />

Weitere Beobachtungen <strong>und</strong> Experimente führten nicht nur dazu, zwischen einem<br />

Gedächtnis für Fertigkeiten (wissen, wie ...) <strong>und</strong> einem Gedächtnis für Fakten (wissen, was...)<br />

zu unterscheiden, sondern gaben auch Aufschluss über zahlreiche Aspekte des gesamten<br />

Gedächtnissystems. Die erste Art des Gedächtnisses, welches als nicht-deklarativ oder<br />

implizit beschrieben wird, ist offensichtlich unabhängig vom Hippocampus. Lernen geschieht<br />

hier auf der Gr<strong>und</strong>lage wiederholten Übens bzw. wiederholter Konfrontation mit einem<br />

bestimmten Input. Die Änderung der Synapsenverbindungsstärken geschieht langsam <strong>und</strong><br />

repräsentiert eine Abstraktion zahlreicher Einzelerfahrungen. Die zweite Art des<br />

Gedächtnisses, auch mit den Attributen deklarativ oder explizit versehen, bedarf der<br />

Mitwirkung des Hippocampus. Dieser darf jedoch keineswegs als Ort für die<br />

Langzeitspeicherung entsprechender Gedächtnisspuren gesehen werden, wie der Fall H.M.<br />

27 Milner <strong>und</strong> Scoville (1957).<br />

28 Zum Experiment vergleiche Squire <strong>und</strong> Kandel (1999), S. 13-18.<br />

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