Unsigned Sounds - Underground Music Magazine, Ausgabe 05

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06.07.2013 Aufrufe

Das Grosse Betteln Das Angebot einer Plattenfirma. Der große Sprung, die Treibstoff- zündung für die Karriereleiter, der Traum eines jeden Künstlers wird Wirklichkeit! Doch der Musikindustrie geht es schlecht. Schon 2008 schrumpfte der europäische Phonomarkt laut Wirt- schaftsspiegel um 6,3%. Hätten nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt sämtli- che Alarmglocken in den Büros der Musikmultis ohrenbetäubend läuten müssen, so ist der Umsatzeinbruch für den europäischen Markt inzwischen bei einem Minus von fast 20% angekom- men. Die digitale Revolution zwingt das Musikimperium in die Knie. Na- men wie Ariola, Polydor oder EMI sind nur noch Schall und Rauch. Nachdem bei letztgenannter Heimat von Künst- lern wie Herbert Grönemeyer und COLDPLAY die Umsatzzahlen plötz- lich im selben Rot wie das Firmenlogo erschienen, wurde die einst millionen- schwere Firma verscherbelt – zu einem Spottpreis von 1,9 Millionen US- Dollars. Auch kleine Plattenfirmen und Distri- butoren sind von dieser Entwicklung betroffen. Ein Indie-Label nach dem anderen schließt seine Pforten. Das Lamento ist groß. Dabei war dies durchaus vorhersehbar. Die Schallplatte wurde von der Kassette abgelöst, die Kassette von der CD. Trotz dieser Entwicklung strotzte die Labelbranche vor vermeintlichen Um- satzeinbrüchen, die die Einführung eines neuen Speichermediums für Musik mit sich brachte. In den 1980er Jahren warnte die Industrie mit Slogans wie „Home taping is killing music!“ vor dem Aufnehmen und Tauschen von Tapes. Ebenfalls eher verhalten als vehement war in den 1990er Jahren die Einführung eines Kopierschutzes für Compact Discs. Denn aufgrund der stabil bleibenden Einnahmen aus Plattenverkäufen ging man es eher locker an und ignorierte gekonnt die düsteren Zukunftsprognosen vermeint- licher Wirtschaftsexperten. Doch der Wandel kam. Und er äußerte sich in einer Enormität, deren Wucht die inzwischen adipös gewordene Industrie zurückwarf wie die Wucht eines Tsunamis: Live-Streams und Downloading. Gift für die Ohren der Labelchefs. Das Projektil für den Gna- denschuss einer ganzen Branche. Ton- träger in physikalischer Form – von nun an ein Nischenprodukt? Zumindest stand schnell fest, dass die Shake-Hand- und Download- Generation eine eher ungeeignete Zielgruppe für nachhaltige Kaufkraft darstellte. Um sich weiterhin auf dem Markt behaupten zu können, mussten innovative Ideen erdacht werden. Es grenzt an ein Wunder, dass die sonst so träge Musikindustrie für diese Erleuch- tung nur zehn Jahre benötigt hat. Als Contergan für die geschundenen Synapsen der Label-Bosse dienen nun nicht mehr die Tonträger- und Mer- chandise konsumierende Fans, sondern man besinnt sich zurück auf die Ur- sprünge der Labelpolitik. Zurück auf die Zeiten, in denen nicht nur Konsu- menten, sondern auch die Interpreten für ihre Liebe zur Musik bluten muss- ten. Es ist fast wie früher: Im Canossa- gang wird der freischaffende Künstler mit offener Hand und verdeckten Karten zur Kasse gebeten. In Form von Plattenverträgen, die gar keine sind. Da Tonträger als umsatzstarkes Medi- um nur noch auf dem Papier existieren, verwandeln sich viele Plattenfirmen, sowohl im Mainstream- als auch im Independentsektor, zu Promotion- und Bookingagenturen. Die neue Strategie sieht eine Art „Bandbetreuung“ als Dienstleistung vor. Garantien im Rahmen von Promotion- und Marke- ting-Kampagnen mit hohen Marktwer- ten sollen potentielle Interessenten locken und Geld in die leeren Firmen- kassen spülen. Slogans wie „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg selbst!“ oder proletenhaftes Imponiergehabe mit nichtssagenden Referenzen sollen den Eindruck suggerieren, man hätte es mit seriösem Humanismus par excellence zu tun. Die Angebote variieren und bieten eine ganze Palette an buchbaren Optio- nen für den nach besseren Gigs und höherem Ansehen strebenden Underg- round-Mucker. Buchbar? Die große Ernüchterung setzt ein, sobald man zwischen den Zeilen liest. Hier avanciert das großzügige Angebot plötzlich zu einem Kostenvor- anschlag. Genauestens werden Preise und Optionen zu Promotionszwecken aufgelistet, mögliche Kooperationen, Interview-Bookings und Review- Garantien versichert. Amazon-Charts- Promotion, Entwicklung eines ziel- gruppenorientiertenKommunikations- konzepts. Möchegern-Businesstalk von lyrischen Perückenträgern, die unter hunderten von versandten Emails hoffen, einen Dummen zu finden, der entweder zu beschränkt ist, um sich selbst um die Promotion seiner Band zu kümmern, oder nicht begriffen hat, wie das Internet funktioniert. „Ganzheitli- che Kampagnen mit PR-Garantie“ auf Laufzeitbasis von 1-2 Monaten werden zu „günstigen Konditionen“ von knapp 2000€ offeriert wie das Korn dem Huhn. Die Kosten, die man für diesen

Public-Relations-Traum zu zahlen hat, bestünden lediglich aus „technische Kosten“ und würden, wie es in einem Angebot hieß, nur einen winzigen Teil der eigentlichen Arbeit des Labels finanziell decken. Schließlich wolle man mit idealistischem Tun den Künstler nach besten Wissen und Gewissen unterstützen. Vorgegaukelte Nächsten- liebe als zuckersüßes Werbekonzept! Die Absurdität dieser Offerten nimmt nun der Musikindustrie auch die letzte Würde. Verkommen zu altersschwa- chen Baumwollbaronen, die nicht wahr haben wollen, dass die Zeit des Ausbeu- tens vorbei ist, wird ein letzter Versuch gestartet, um eine Revolution aufzuhal- ten, die nie eine war. Mit scheinheiliger Doppelmoral und Worthülsen speien- der Debilität wird zum letzten Aufge- bot gerufen. Alea iacta est! Doch die Zeit der Plattenfirmen und Labelgiganten ist vorbei. Das Internet hat ihre Arbeit überflüssig gemacht. Blitzschnelles Schalten von PR, das Ankurbeln der Klicks auf der Website, Produktion von Merchandise, das Pressen von Kleinauflagen: Bands und Musiker arbeiten inzwischen autark, die Preise für Presswerk und Druckerei sind für jedermann bezahlbar geworden. Niemand benötigt „ganzheitliche Kampagnen“ und „PR-Garantien“. Das Konzept des DO-IT-YOURSELFs hält Einzug im Musikbusiness. Zeit wurde es. Den Traum vom Plattendeal träumen nur noch diejenigen, denen Image wichtiger ist als Musik. Doch auch diese Individuen werden früher oder später begreifen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Selbstver- wirklichung und Selbstinszenierung. Auch wenn sie dafür vielleicht erst 2000€ zahlen müssen, dass jemand anderes für sie Emails verschickt. Viel- leicht wäre das Geld in neuem Equip- ment oder einem Tourbus besser ange- legt. Max Marquwardt

Public-Relations-Traum zu zahlen hat,<br />

bestünden lediglich aus „technische<br />

Kosten“ und würden, wie es in einem<br />

Angebot hieß, nur einen winzigen Teil<br />

der eigentlichen Arbeit des Labels<br />

finanziell decken. Schließlich wolle man<br />

mit idealistischem Tun den Künstler<br />

nach besten Wissen und Gewissen<br />

unterstützen. Vorgegaukelte Nächsten-<br />

liebe als zuckersüßes Werbekonzept!<br />

Die Absurdität dieser Offerten nimmt<br />

nun der Musikindustrie auch die letzte<br />

Würde. Verkommen zu altersschwa-<br />

chen Baumwollbaronen, die nicht wahr<br />

haben wollen, dass die Zeit des Ausbeu-<br />

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gestartet, um eine Revolution aufzuhal-<br />

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Doppelmoral und Worthülsen speien-<br />

der Debilität wird zum letzten Aufge-<br />

bot gerufen. Alea iacta est!<br />

Doch die Zeit der Plattenfirmen und<br />

Labelgiganten ist vorbei. Das Internet<br />

hat ihre Arbeit überflüssig gemacht.<br />

Blitzschnelles Schalten von PR, das<br />

Ankurbeln der Klicks auf der Website,<br />

Produktion von Merchandise, das<br />

Pressen von Kleinauflagen: Bands und<br />

Musiker arbeiten inzwischen autark, die<br />

Preise für Presswerk und Druckerei sind<br />

für jedermann bezahlbar geworden.<br />

Niemand benötigt „ganzheitliche<br />

Kampagnen“ und „PR-Garantien“. Das<br />

Konzept des DO-IT-YOURSELFs<br />

hält Einzug im Musikbusiness. Zeit<br />

wurde es. Den Traum vom Plattendeal<br />

träumen nur noch diejenigen, denen<br />

Image wichtiger ist als Musik. Doch<br />

auch diese Individuen werden früher<br />

oder später begreifen, dass es einen<br />

Unterschied gibt zwischen Selbstver-<br />

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Auch wenn sie dafür vielleicht erst<br />

2000€ zahlen müssen, dass jemand<br />

anderes für sie Emails verschickt. Viel-<br />

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Max Marquwardt

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