Baltische Studien. - Digitalisierte Bestände der UB Greifswald
Baltische Studien. - Digitalisierte Bestände der UB Greifswald
Baltische Studien. - Digitalisierte Bestände der UB Greifswald
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Baltische</strong> <strong>Studien</strong>.<br />
Hera usg eg eb en<br />
von <strong>der</strong><br />
eüschaft für Pommersche Geschichte<br />
und Altertumskunde.<br />
Neue Folge Band XXX.<br />
i. Halbband,<br />
herausgegeben mit Unterstützung <strong>der</strong> Stadt Stralsund.<br />
Festschrift<br />
zur<br />
zoo-Aahrfeier <strong>der</strong> Abwehr WallenstemK<br />
von Stralsund.<br />
Stettin.<br />
Leon Sauniers Buchhandlung.<br />
1928.
Valtische <strong>Studien</strong>.<br />
Herausgegebeli<br />
von <strong>der</strong><br />
Gesellschaft für pommersche Geschichte<br />
und Altertumstuyde.<br />
Neue Folge Band XXX.<br />
i. Halbband,<br />
herausgegeben mit Unterstützung <strong>der</strong> Stadt Stralsund.<br />
Festschrift<br />
zur<br />
zooIahrfeier <strong>der</strong> Abwehr Wallensteins<br />
von Stralsund.<br />
Stettin.<br />
Leon Sauniers Buchhandlung,<br />
1928.
Inhalts - Verzeichnis.<br />
Geleitworte. Von Erzbischof Nathan Sö<strong>der</strong>blom in Npsala.<br />
Stralsünde liturgisch.musikalische Reformationsarbeit von <strong>der</strong> Einführung<br />
<strong>der</strong> evangelischen Lehre (1525) bis zum Ende des Dreißigjährigen<br />
Krieges (1648). Von Willibert Müller in Freiburg i. Br. S. 1<br />
Tessin in Deutschland. Von l)s. Ragnar Iosephson in Npsala . S. 27<br />
/<br />
Stralsund und die Franzburger Kapitulation. Vorgeschichte <strong>der</strong> Be-<br />
lagerung von 1628. Von l). Dr. Martin Wehr mann in<br />
Stargard l. P S. 53<br />
Lambert Steinwichs Epitaphium in <strong>der</strong> Nikolaikirche zu Stralsund.<br />
Von l)r. William An<strong>der</strong>son in Lund S. 79<br />
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. Von Geh. Archivrat<br />
Dr. Herman Hoogeweg in Stettin S. 85<br />
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628. Von<br />
l)i-. Tassilo Hoffmann in Berlin S. 105<br />
Schriftleitung:<br />
Staatsarchivdirektor Dr. O. Grote f end<br />
in Stettin.
wir an die Geschichte denken, scheint uns alles mehr o<strong>der</strong><br />
weniger selbstverständlich. Wir lernen alle möglichen Gründe, warum<br />
es so und nicht an<strong>der</strong>s geschehen mußte. Aber in <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
sah es damals an<strong>der</strong>s aus. Was uns als groß, aber doch tief be-<br />
gründet und notwendig erscheint, wurde ermöglicht erst durch die<br />
äußerste Anstrengung des Glaubens und aller Kräfte. Damals schien<br />
es ganz unmöglich zu sein. Das gilt auch von dem Ausgange des<br />
Dreißigjährigen Krieges und beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Sendung von Gustav<br />
Adolf II. Wir vergessen, wie nahe es war, daß die kaiserlichen<br />
Truppen und damit die bigotte Form <strong>der</strong> römischen Religion und<br />
die Allmacht <strong>der</strong> römischen Kirche den ganzen Norden wie<strong>der</strong> er-<br />
obert hätte, wie durch Gewalt und List schon an<strong>der</strong>e blühende evan-<br />
gelische Län<strong>der</strong> und Gemeinden für die evangelische Kirchenverbesse-<br />
rung verloren wurden. Ein solches Schicksal für die gesamte evange-<br />
lische Christenheit wäre nicht nur <strong>der</strong> abendländischen Zivilisation<br />
und <strong>der</strong> bürgerlichen und nationalen Freiheit, son<strong>der</strong>n auch sogar<br />
dem geistigen Gehalt <strong>der</strong> römischen Kirche verhängnisvoll gewesen.<br />
Wie weit die Blicke und die Fürbitten <strong>der</strong> evangelischen Christen-<br />
heit für die schon durch Wallensteins Abzug von Stralsund begonnene<br />
Stärkung <strong>der</strong> evangelischen Kräfte begeistert waren, beweisen die<br />
folgenden Notizen, welche <strong>der</strong> Gouverneur von New England, John<br />
Winthrop,in seinem „Journal" gibt: Me 13. I632:„^äaxottkanl(8-<br />
Living in all tke plantations, b^ public autliont^, kr tlie ^ooä<br />
8ucce88 ot tlie kmF ot 3weäen (at „Lreitentelä") anä Plote8tant8<br />
in Qerman^, a^ain8t tlie emperor." „Zeptember 27. 1632. ^ äay<br />
ot tliank^ivinA at Lo8ton tor tlie Zooä ne>v8 ot tke pro8per0U8<br />
8ucce88 ot tlie kinß ot 8weäen."<br />
Die nächsten Jahre werden uns an die weltgeschichtlichen Ereig-<br />
nisse vor dreihun<strong>der</strong>t Jahren lebhaft erinnern. Diese Erinnerung hat<br />
einen beson<strong>der</strong>en Anlaß in <strong>der</strong> neuen Kontrareformation, die sich
jetzt betätigt. In jener Geschichte nimmt die hehre Silhoutte von<br />
Stralsund, woraus <strong>der</strong> Lauschende das Geräusch <strong>der</strong> Geschichte immer<br />
empfindet, einen Ehrenplatz ein. Sie erinnert uns lebhaft an die<br />
geistige Solidarität, welche alle Vekenner des Evangeliums innig<br />
verbindet.<br />
Diese Solidarität <strong>der</strong> evangelischen Christenheit beginnt in<br />
unsrer Zeit durch Gottes Gnade geistige Stärkung, festere Formen<br />
und wirksame Organe zu bekommen.<br />
Upfala. den 29. März 1928.<br />
Erzbischof von Uvsala<br />
ProKanzler <strong>der</strong> Universität Upsala.
Stralsunds<br />
liturgisch « musikalische Reformationsarbeit<br />
von <strong>der</strong> Ginführung <strong>der</strong> evangelischen Lehre<br />
(1525) bis zum Ende des Dreißigjährigen<br />
Krieges (1648)<br />
von<br />
Willibert INüller-Freiburg i. Nrsg.<br />
.
„Zwei Stücke sind, darin ein Christentum besteht: Daß man<br />
Gottes Wort höre und daran glaube, und seinen Nächsten liebe."<br />
(Stralsun<strong>der</strong> Kirchenordnung. 1525). Die neue Lehre, die im zweiten<br />
Viertel des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts in Pommern 3uß faßte, stellte über<br />
alles die Reinheit des Wortes Gottes. Ihr Bestreben ging dahin, diese<br />
Wortverkündigung zum hauptträger des Gottesdienstes zu machen<br />
und for<strong>der</strong>te — wenigstens für die wichtigsten Teile — die deutsche<br />
Sprache. „Deutsche Messe" war eine Messe mit deutschen Einsetzungsworten,<br />
das übrige konnte den alten Meßbüchern entnommen<br />
o<strong>der</strong> verdeutscht o<strong>der</strong> an einigen Stellen durch ein deutsches Kirchenlied<br />
ersetzt werden. Luthers Absicht war, bei aller Freiheit im<br />
Einzelfalle, die Ordnung <strong>der</strong> von Christus eingesetzten möglichst anzugleichen.<br />
Überblickt man eine Reihe <strong>der</strong> ersten reformatorischen<br />
Kirchenordnungen, so findet man viele Abstufungen zwischen zwei<br />
einan<strong>der</strong> gegenüberstehenden Anschauungeni). Die einen, die nüchtern<br />
nur die reine, neue Lehre übernehmen und alles als Ballast abwerfen<br />
wollten, was irgend an die alte Kirche erinnerte: so fand<br />
im Straßburger Münster 1524 erstmalig eine ganz deutschsprachige<br />
Messe statte, und die Wertheimer Messe desselben Jahres^) ließ<br />
Priestergewän<strong>der</strong> und Gesang fortfallen. Die an<strong>der</strong>n aber, die gesunden<br />
Sinn für die liturgisch-künstlerische Gestaltung hatten — zu<br />
dieser Mehrzahl gehören auch die Inspiratoren <strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong> und<br />
pommerschen Ordnung — nahmen von dem gewaltigen und schönen<br />
Formenreichtum, was sich nur irgend mit <strong>der</strong> neuen Lehre vertrug.<br />
In beiden Lagern war man sich darüber einig, daß die Zeremonien<br />
und lateinischen Gesänge (gregorian. Choral) unwesentlich seien.<br />
„Gut, lassen wir sie fort!" sagten die einen,- die an<strong>der</strong>n: „Wenn sie<br />
das Wesen nicht berühren, warum sollen wir uns ihrer zum Schmucke<br />
nicht bedienen, solange sie nicht Gottes Wort wi<strong>der</strong>sprechen?" Leicht<br />
ließ sich ja eine Gottesfeier bei kahlen Wänden, ohne Sang und<br />
ohne Iier, aus vielen Bibelstellen wi<strong>der</strong>legen. Wollte man aber<br />
den Gesang nicht aus <strong>der</strong> Kirche bannen, so war man auf diesen<br />
1) Iendt. Gottesdienst. S. 245.<br />
2) a. a. O. S. 140 f.<br />
2) a. a. O. S. 148.<br />
.
4 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
lateinischen Choral- und 3iguralgesang angewiesen. Die wenigen<br />
Lie<strong>der</strong> aus Luthers und Walthers Gesangbüchlein konnten doch nicht<br />
die ganze gottesdienstliche Handlung ausfüllen, son<strong>der</strong>n nur als gelegentliche<br />
Einmischung benutzt werden. Luther selbst wollte auch<br />
nur eine langsame Weiterentwicklung und nach und nach sollten<br />
immer nur die besten, den alten ebenbürtige Stücke, die Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
überdauern könnten, als Ersatz herangezogen werden. „Denn daß<br />
man den Text (des gregorianischen Chorals) verdolmetscht und lateinischen<br />
Ton o<strong>der</strong> Noten behält, laß ich geschehen- aber es lautet<br />
nicht artig noch rechtschaffen. Es muß beides, Text und Noten,<br />
Akzent, Weife und Gebärde aus rechter Muttersprache und Stimme<br />
kommen." (Luther, „Wi<strong>der</strong> die himmlischen Propheten", 1524.) Zu<br />
unterscheiden wären für die liturgische Musik folgende Arten:<br />
l. Choralgesang. Einstimmig, im Wechsel zwischen Priester und<br />
Chor (Gemeinde).<br />
1. Der gregorianische Choral, lateinisch textiert.<br />
2. Dessen Übersetzung mit Beibehaltung <strong>der</strong> gregorianischen<br />
Melodie.<br />
3. Dessen Übersetzung mit Benutzung einer neuen Melodie in<br />
choraler Technik.<br />
4. Das deutsche Kirchenlied, eine Neuschöpfung, einstimmig von<br />
<strong>der</strong> Gemeinde gesungen.<br />
II. 3iguralgesang.<br />
1. Das deutsche Kirchenlied, mehrstimmig bearbeitet und vom<br />
Schülerchor vorgetragen.<br />
2. Die Motetten mit lateinischen Texten <strong>der</strong> alten Kirche.<br />
3. Vertonung deutscher Bibeltexte (auch gereimter Psalmen und<br />
freier Textbearbeitungen) im Kunstsatz (Motette, Konzert).<br />
III. Instrumentale Mitwirkung beim Gottesdienst.<br />
Zeitlich fällt die Umbildung in zwei große Abschnitte, die a capellaund<br />
die Generalbaßepoche,' <strong>der</strong> Wendepunkt trifft etwa mit dem<br />
Iahrhun<strong>der</strong>twechsel zusammen.<br />
In Stralsund stand man bei <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> neuen Lehre vor<br />
einer heiklen Aufgabe. Es hieß, genaue Anweisungen für einen<br />
Gottesdienst geben, <strong>der</strong> den neuen Anschauungen entsprach, und<br />
diesem die Liturgiemusik einzuglie<strong>der</strong>n. Stralsund kann stolz darauf<br />
sein, mit seiner Ordnung durch Johannes Aepinus zeitlich an<br />
<strong>der</strong> Spitze Pommerns zu marschieren. Aber man fühlt doch aus<br />
dieser Ordnung zu sehr das unsichere Tasten heraus, das man in dem
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 5<br />
Vermeiden einer klar und scharf umrissenen Vorschrift und in dem<br />
Vertrösten auf eine spätere, präzisere Fassung erblicken kann. Es<br />
wird darauf hingewiesen, daß das Christentum nicht in äußerlichen<br />
Handlungen bestehe und die Zeremonien — solange von an<strong>der</strong>er<br />
Seite keine allgemeinen Vorschriften erlassen seien — eine Regelung<br />
nicht erfahren sollten, weil in diesen willkürlichen Dingen keine<br />
Seligkeit liege: nur <strong>der</strong> heiligen Schrift sollten sie nicht zuwi<strong>der</strong>laufen.<br />
Es wird darin für gut erachtet, daß <strong>der</strong> Küster das Volk<br />
die Psalmen lehre, vorsinge und intoniere, damit es gut zusammenklinge^).<br />
Vom Chor o<strong>der</strong> von den Orgeln ist nirgends die Rede.<br />
Ein Jahrzehnt darnach erschien die Kirchenordnung für Stralsund<br />
von D. Johann Bugenhagen (1535), wo zum ersten Male neben<br />
den Predigern und Küstern auch die Organisten erwähnt werden.<br />
Während für die vorgenannten Ämter auf den Gulden genau das<br />
Einkommen festgesetzt ist, scheint man für die Organisten nur einen<br />
spärlichen Rest zur Verfügung gehabt zu haben, so viel „alß ßie den<br />
negst bekhamen khonen" o<strong>der</strong> „als man den verdingen Khan". Hie<br />
Mitwirkung <strong>der</strong> Orgel hatte auch nicht die Bedeutung etwa wie im<br />
17. Jahrhun<strong>der</strong>t, da Luther in Anlehnung an die Alte Kirche das<br />
Hauptgewicht des liturgisch-musikalischen Teiles auf den Wechselgesang<br />
zwischen Chor und Priester gelegt wissen wollte. Solch einen<br />
„deutschen" Gottesdienst zeigt uns die Agenda 1568 für Pommern,<br />
fol. 63 v. ff.: „Des Sonnabends o<strong>der</strong> am Festabend zur Vesper.<br />
. . . wenn zusammengeläutet ist, sollen die Schüler im Chor sein,<br />
und es soll Vesper gehalten werden nach folgen<strong>der</strong> Weise: Zuerst:<br />
,Veni, 3ancte 3piritu3< fol. 400 r., deutsch fol. 380) 5) o<strong>der</strong> Veni<br />
creator 3piritu3 (fol. 400 v.) o<strong>der</strong> ^6e8to Deus unu3 (fol. 401 r.)<br />
o<strong>der</strong> sonst etwas cle tempore^: wie etwa im Advent ,Veni<br />
Domine vi3ltare no8 in pace/, um Weihnachten ,?uer natu3 in<br />
^, ,In äulci jubilé, ,ke80net in Iau6ibu8^, ,I^uric an^e-<br />
^loria^, Ostern: ,3urrexit
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
angefangen bis zum Ende des Psalters (lateinisch). Nach<br />
<strong>der</strong> Lektion (lat.) folgt das Responsorium mit dem t^vmnocletempore,<br />
an hohen Feiertagen zwei Nesponsorien, das letzte mit dem<br />
,QIoria^ Obige Lektion wird darauf in <strong>der</strong> deutschen Übersetzung gelesen,<br />
eine Versikel (lat.) mit <strong>der</strong> Antiphon und dem Magnifikat gesungen.<br />
Alle Monate soll man an Stelle des Magnifikats einmal<br />
das deutsche Magnifikat (fol. 381 r.) und einmal die lateinische<br />
Litanei (fol. 260 r. bis 271 r.) singen. Zum Schluß fingt <strong>der</strong> Chor<br />
das Benedicamus und darauf das ,Dapacem, domine^ (fol. 404 v.),<br />
lateinisch o<strong>der</strong> deutsch. Wo Orgeln sind, soll <strong>der</strong> Organist zum<br />
Nesponsorium, Hymnus und Magnifikat spielen. Dies ist die deutsche<br />
Vesper nach <strong>der</strong> pommerschen Kirchenagende.<br />
Die Mette (Agende fol. 68 ff.) begann mit dem Chor ,Vem<br />
89ncte 3pintu3< (fol. 400 r.) wie die Vesper; dann sangen die<br />
Jungen die Antiphon und zwei o<strong>der</strong> drei Psalmen, angefangen von<br />
,Leatu3 vir< bis zum ,Dixit Oominu^, so, daß die Psalmen <strong>der</strong><br />
Reihe nach durchgesungen wurden. An hohen Festtagen kam dazu<br />
das Invitatorium mit dem,Venite< und drei ^ntipkonae de le3to<br />
mit den dazu gehörigen Psalmen. Der Pastor soll verordnen, daß<br />
das ,V(mite< je<strong>der</strong>zeit in seinem richtigen Tone gesungen werde und<br />
deshalb müssen Pastor und Kaplan zu Beginn <strong>der</strong> Meise im Chor<br />
sein (<strong>der</strong> Chor <strong>der</strong> Schüler war im Chorraum beim Altar untergebracht).<br />
Nach <strong>der</strong> Lektion sang <strong>der</strong> Chor die Responsorien mit<br />
dem Gloria. Nach einer zweiten Lektion des Pastors folgte das<br />
^ecleurn !auäamu3< (nur deutsch in dem Notenteil fol. 386 ff.),<br />
an Festtagen lateinisch, an Sonntagen abwechselnd lateinisch und<br />
deutsch. Nach einer Kollekte, die <strong>der</strong> Priester las, sang <strong>der</strong> Chor<br />
das ,LeneclicHmu3 Dominos den Schlußgesang.<br />
Ebenso stark lehnt sich die Messe, das 0^iclV^^I33^^ wie<br />
es in <strong>der</strong> Agende heißt, an den alten Brauch an. Schon rein äußerlich<br />
zeigt sie dies durch die Verwendung von Altartüchern, Lichtern,<br />
Meßgewän<strong>der</strong>n. Der Chor leitete mit dem Introitus de tempore<br />
den liturgischen Teil ein, es folgte das dreimalige lv^rie eleizon,<br />
das Qloria in exce!3i3 (fol. 301 v.), das Oecw, auch patrem genannt<br />
(fol. 306 v.). Die nun folgenden kurzen Wechselgesänge zwischen<br />
Priester und Chor sind ausnahmslos verdeutscht. (De Herr si<br />
mit juw sl)0minu3 vobi3cum1; dat Chor antwerdet: Vnde mit<br />
dinem Geiste s^t cum 3piritu tuoj). hierauf fang <strong>der</strong> Chor die<br />
3equentia 6e tempore vel ie3to, o<strong>der</strong> einen ^ractum (fol. 314 r.)<br />
o<strong>der</strong> ein ^lleluia mit dem Qracluale; an den Tagen <strong>der</strong> Apostel und<br />
Märtyrer soll man des Sonntags eine 3equentia singen, wie sie
Stralsunds liturgisch-musikalische Neformationsarbeit<br />
Lossms gesetzt hat, auf daß die „alten herrlichen Gesänge 6<br />
3toli3, ^uan^eliztiz etc." nicht gänzlich verloren gingen. Darum solle<br />
man an allen Kirchen das Kantional des Lucas Lossius kaufen?).<br />
Nach dem Evangelium und <strong>der</strong> Predigt sang <strong>der</strong> Pastor an Festtagen<br />
die Prefation (im Notenteil fol. 325 neun lateinische, fünf<br />
deutsche Prefationen), worauf ein dreimaliges Sanktus (fol. 349<br />
nur deutsch) des Chores zum Kommunionteil überleitete: auf das<br />
stets deutsch gesungene Vaterunser (fol. 366) folgten die ebenfalls<br />
immer deutsch gesungenen Einsetzungsworte. An <strong>der</strong> sich nun anschließenden<br />
Kommunion nahmen auch die Kommunikanten aus<br />
<strong>der</strong> Gemeinde teil, und an dieser Stelle war <strong>der</strong> Musik <strong>der</strong> weiteste<br />
Platz eingeräumt; hier erklangen die Choräle „O Lamm Gottes unschuldig".<br />
„Christe du Lamm Gottes" (fol. 369 v.). „Ich danke dem<br />
Herren von ganzem herzen" (fol. 370 r.) und ähnliche Kommunionlie<strong>der</strong>,<br />
o<strong>der</strong> die lateinischen „Di3cubuit 1e3U8" (fol. 383 v.), ,,^nu3<br />
Dei", „0 sacrum conviviurn" (fol. 373 r.). Das Orgel'splel sollte<br />
an dieser Stelle so weit zurückgedrängt („mo<strong>der</strong>eret") werden, daß<br />
die Gemeinde die deutschen Gesänge ganz zu Ende bringen könne,<br />
und zwar sollten diese „vmmeschichtlich" gesungen werden, ein Vers<br />
vom Chor, einer vom Volk, damit sie bei beiden Eingang fänden.<br />
Der Organist möge einmal zu Beginn, einmal in <strong>der</strong> Mitte und einmal<br />
am Ende, vor <strong>der</strong> nun folgenden Kollekte, die Orgel schlagen.<br />
Den Schluß <strong>der</strong> Messe bildete ein deutsches Lied, etwa „Erhalt uns<br />
Herr" o<strong>der</strong> „Verleih uns Frieden. . .".<br />
An dieser Messe fällt zunächst die häufige Verwendung lateinischer<br />
Stückd auf. vor allem in dem Ordinarium, d. h. im feststehenden<br />
Teil <strong>der</strong> Messe (Kyrie, Gloria, Credo, Sanktus, Agnus<br />
dei). Für alle diese Stücke war wohl die Möglichkeit offen gelassen,<br />
sie auch deutsch zu singen, und selten werden sie sämtlich lateinisch<br />
gesungen worden sein. Vor allem aber in den Städten, wo die<br />
Lateinschulen es erlaubten, zog man es vor, die alteingebürgerten<br />
Formen zu erhalten und statt <strong>der</strong> Verdeutschung ein deutsches<br />
Kirchenlied hinterdrein zu singen. Man hatte eine gewisse Scheu<br />
davor, das Alte zu stürzen und Neues an seine Stelle zu rücken, und<br />
begnügte sich damit, das Alte zu „bessern". Man war sich wohl auch<br />
dessen bewußt, daß diese liturgisch-musikalische Vermengung gregorianischer<br />
Melodien mit deutscher Übersetzung oft einen recht unglück-<br />
7) ?32lmo6ia, noc est cantica sacra veteris ecclesiae selecta aä<br />
ecclesiarum et scnoiarum usum collecta.. Lucas Lojsius ^Kantor in Lüneburg)<br />
1553 (spätere Ausgabe 1579).
8 Stralsunds liturgisch-musikalische Neformationsarbeit<br />
lichen Behelf bedeuteten. Nimmt man zum Beispiel das Credo <strong>der</strong><br />
Agende zur Betrachtung heraus (fol. 306 v.):<br />
5 ..<br />
so lautet das ungefähr:<br />
- äo in u - num cle - um.<br />
^!<br />
- äo in u - num cie - um.<br />
Deutlich spaltet sich das Motiv in zwei Teile, ein kurzes Eingangsmotiv<br />
„Credo", das mit diesen beiden Silben und mit dem Intervallschritt<br />
vom Hauptton zur Unterterz machtvoll dasteht wie eine<br />
Säule. Dann führt die Melodie abwärts, eine Spannung erzeugend,<br />
und schnellt auf das Wort ,,
Stralsunds liturgisch-musikalische Neformationsarbeit 9<br />
Verschiebung und durch die melodiefremde Zäsur unkenntlich gevorden.<br />
Diese Stelle müßte ungefähr:<br />
—,<br />
Hauptton<br />
alö - be an ei - nen Gott, heißen, statt:<br />
Ick glö - be an ei - nen Gott,<br />
vcdurch <strong>der</strong> Wortakzent mit dem Melodieschwerpunkt sich deckte,<br />
vie dies an einer besser übertragenen Stelle leicht zu erkennen ist:<br />
et in u-num Do - mi-num ^e3um<br />
Ick glö-ve ock an den ei-ni-gen Her-ren Jesum Christum.<br />
diese Beispiele machen es leicht erklärlich, daß man die lateinische<br />
Fassung vorzog und lieber eine Neuschöpfung hinterdreinsang, bei<br />
)er man eine glücklichere Hand bewies: das deutsche Kirchenlied").<br />
l)a die Agende erst 1569 erschien, muß man vorher die alten Missale<br />
loch weiter benutzt haben, allerdings nur auszugsweise^); <strong>der</strong> Teil,<br />
)er <strong>der</strong> Heiligenverehrung diente, wurde — bis auf wenige Apostel<br />
lnd Märtyrer — zuerst fallen gelassen, die übrigen Teile stark zuammengedrängt.<br />
Den frühen Kirchen-Ordnungen waren in holzchnittdruck<br />
spärliche Notenbeilagen mitgegeben, die nur als Muster<br />
zewertet werden können, als Norm, und zur Ausführung <strong>der</strong> am<br />
läufigsten angewandten Stücke gedient haben.<br />
In das Exemplar <strong>der</strong> „Karken Ordening" vom Jahre 1542 <strong>der</strong><br />
3tralsun<strong>der</strong> Stadtbibliothek sind drei handschriftliche Blätter vor<br />
>en Titel geheftet, die das ganze Credo in Choralnoten bringen,<br />
ateinisch tertiert. Dieses Buch war das Handexemplar des Pastors<br />
s) Die vollen Noten entsprechen <strong>der</strong> lateinisch textierten Iassung, die<br />
veißen, leeren Noten <strong>der</strong> deutschen.<br />
2) 3rancks Aufsatz hierüber in den <strong>Baltische</strong>n <strong>Studien</strong> macht es überlüssig,<br />
hier weiter darauf einzugehen; Stralsunds erstes Gesangbuch, das erlalten<br />
ist, stammt aus dem Jahre 1665 und gehört nicht mehr in den Be,rachtungskreis.<br />
i") Agende fol. 301 v. „DE latinischen Kyrie mach men nemen / vth<br />
l olden Missalen / ed<strong>der</strong> oth Lossij Sangboke."
Il) Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
Sebastian Dhein^). Anno Domini 1580 — wie <strong>der</strong> Verwert<br />
lautet — war ihm diese Eintragung scheinbar noch zum öfterer<br />
Gebrauche nötig. Von größerem Interesse ist <strong>der</strong> gleichfalls Hand<br />
schriftliche Anhang von 30 Blättern Umfang (weitere fünf Blättei<br />
sind unbeschrieben). Zeigt fchon das erwähnte, dem Bande vor<br />
geheftete Credo Abweichungen von <strong>der</strong> Agende, fo erscheint im An<br />
hange auf Blatt 4r.—6v. das lateinische Tedeum in Choralnotation<br />
das in <strong>der</strong> Agende zwar für die Mette an Festtagen (s. S. 6<br />
lateinisch, an Sonntagen lateinisch und deutsch abwechselnd vorge<br />
schrieben wird, im Notenteil <strong>der</strong> Agende jedoch nur in <strong>der</strong> deutsche,<br />
Fassung zu finden ist, und legt den Gedanken nahe, daß in Stral<br />
sund noch nach 1580 das Bedürfnis nach dieser lateinisch textiertei<br />
gregorianischen Choralmelodie rege war. Blatt 4r. bis 9r. finde<br />
man das deutsche Magnifikat, das in <strong>der</strong> Agende fol. 381 r. f. steht<br />
doch weichen beide im Text und seiner Unterlegung so stark voi<br />
einan<strong>der</strong> ab, daß auch hier die Agende nicht als Vorlage gedien<br />
haben kann. Schon das Notenbild — hier römische Choralnoter<br />
dort gotische (sogenannte Hufnagelnoten), hier <strong>der</strong> OSchlüssel au<br />
<strong>der</strong> vierten, dort <strong>der</strong> l^-Schlüssel auf <strong>der</strong> dritten (Mittel-) Linie -<br />
weist darauf hin. Der Textvergleich dürfte diesen Schluß bestätigen<br />
Agende: Mine Seele erheuet den HERRen, Vnde myn Gei<br />
fröuwet sick,<br />
Stralsund: Mine sel erheuet den Heren vnd min geist frauet siä<br />
Agende: werden mi selich prisen alle Kindes Kind,<br />
Stralsund: .... werden mn salich prisen alle Kindes Kin<strong>der</strong>.<br />
Mit dieser Ieile schließt das Notenbeispiel <strong>der</strong> Agende und überlas<br />
die weitere Ausführung des „Tonus" <strong>der</strong> Geschicklichkeit des Leser;<br />
während das Stralsun<strong>der</strong> Exemplar <strong>der</strong> „Karken Ordening" da<br />
Magnifikat bis zum Ende den Noten unterlegt. Bei <strong>der</strong> häufige<br />
Verwendung dieses Stückes (allwöchentlich in <strong>der</strong> Vesper lateinis«<br />
und einmal im Monat deutsch, außerdem vor Festtagen ^s. S. 6<br />
das in <strong>der</strong> Agende nur in <strong>der</strong> deutschen Fassung zu finden ist, zc<br />
man in Stralsund die lateinischen Magnifikats in ihren Kirche:<br />
tönen heran, die im Anhang fol. 17 v. bis 33 r. handschriftlich en<br />
getragen sind, und zwar in den 10 Tonis, auf dem einen Bla<br />
lateinifch, auf dem folgenden deutsch textiert, wobei sich in <strong>der</strong> Tex<br />
und Melodiegestaltung eine glücklichere Hand verrät als dies bei de<br />
erwähnten Credo <strong>der</strong> Agende <strong>der</strong> Fall war. Durch die verschiedet<br />
") Iober, Gesch. l). Strals. Gymn. 1860, II, S- 34 nennt als Oermanic<br />
„Sebastian Dein, in den achtziger Jahren... Er starb 1591".
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 11<br />
Färbung dieser Kirchentüne (düster, freudig etc ) und <strong>der</strong>en sinngemäße<br />
Anwendung auf die kirchlichen Zeiten (Passions-, Osterzeit)i2)<br />
hatte man sich eine Bereicherung zu verschaffen gewußt,<br />
welche man auch auf die Psalmintonation übertrug, die auf fol. 16<br />
bis 17 des Anhangs in zehn Psalmtönen (beim neunten ist nur die<br />
leere Notenzeile vorhanden) verzeichnet steht. Es ist leicht möglich,<br />
daß Sebastian Dhein die Hilfe seines musikalisch so gewandten Schulkollegen<br />
und Landsmannes, des Kantors Eucharius hoffmann, zu<br />
diesen Arbeiten in Anspruch nahm, <strong>der</strong> in liturgischen Fragen^) gut<br />
beschlagen war. Es ist <strong>der</strong> erste Kantor <strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong> Schule, von<br />
dem uns Werke erhalten geblieben sind: eine Reihe musiktheoretischer<br />
Schriften, darunter ein Lehrbuch für die Stralsun<strong>der</strong> Schuljugend,<br />
ein Band mit 24 Motetten und mehrere geistliche Ostergesänge, ferner<br />
in den schon erwähnten Stralsun<strong>der</strong> Stimmbüchern fünf Motetten<br />
mit Widmungen an Stralsun<strong>der</strong> Bürger. Hie handschriftlichen<br />
Zutaten Dheins in <strong>der</strong> „Karken Ordening" und die kirchenmusikalischen<br />
Schöpfungen Hoffmanns find die ersten Zeichen dafür,<br />
daß man in Stralsund nun selber an die Ausgestaltung des<br />
musikalischen Teiles <strong>der</strong> Liturgie schritt. Nach dem Jahre 1570 war<br />
<strong>der</strong> Zeitpunkt dafür gegeben; die Kirchenordnungen und Agenden<br />
hatten Klarheit geschaffen, die große Schule war gegründet und<br />
stellte einen geeigneten Chor, die Vesper und Mette waren wie<strong>der</strong> eingeführt<br />
(1555 durch Knipstrow), <strong>der</strong> liturgisch-musikalische Teil<br />
<strong>der</strong> Messe war durch die einstimmigen Gesänge, die auf dem gregorianischen<br />
Choral fußten, scharf umrissen und die künstlerische Gestaltung<br />
konnte sich jetzt ganz <strong>der</strong> mehrstimmigen Ausschmückung<br />
des Gottesdienstes zuwenden. Da für das Ordinarium, d. h. für<br />
den feststehenden Teil <strong>der</strong> Messe (Kyrie, Gloria, Credo, Sanktus,<br />
Agnus dei) <strong>der</strong> einstimmige (gregorianische) Choralgesang den Vorzug<br />
fand, und nur für die seltenere mehrstimmige Ausführung<br />
(3iguralgesang) ein Spielraum blieb, das propriurn de tempore<br />
aber, d. h. die stets wechselnden Präfationen, Nesponsorien, Psalmenund<br />
Evangelientexte, größere Bewegungsfreiheit boten, so lebte sich<br />
<strong>der</strong> Schaffensdrang vor allem in diesem Teile des Gottesdienstes<br />
aus. Die Stralsun<strong>der</strong> Stimmbücher bringen in ihrem ersten Teile<br />
i2) Noch 1636 bringt <strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong> Kantor Casp. Mouius vier Magnifikats<br />
5.. 6., ?.. 8. tom.<br />
") Hoffmann schrieb unter an<strong>der</strong>em eine lateinische Messe zu acht Stimmen<br />
und scheint im April des Jahres 1588 als Diakon an St. Marien sein<br />
Kantorat an <strong>der</strong> Schule mit dem Kirchendienst vertauscht zu haben.<br />
") Stralsun<strong>der</strong> Chroniken II, S. 151.
12 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
— <strong>der</strong> noch allenfalls als Manual gedient haben könnte — keiner<br />
Satz aus dem Ordinarium, dagegen 105 mehrstimmige Sätze am<br />
dem proprium cle tempore und zwar in bunter 3olge Hymnen<br />
Nesponsorien und Evangelientexte, zuweilen mit <strong>der</strong>en genauer Be<br />
stimmung (z. B. Nr. 28) „lte in ordem uniuer8um,<br />
in keätum ^8cen8i0ni8" (Himmelfahrt) o<strong>der</strong> (Nr. 29) „<br />
judilan8, laetu3 in aetriara, t-t^mnu3" o<strong>der</strong> (Nr. 14) ,MecIia vita il<br />
morte, In ^picliapente po8t tria tempora". Die Hefte, angelegt vol<br />
Mathaeus Rubach aus Grimmen in Pommern, weisen durch du<br />
Kompositionen Hoffmanns und durch ihren Fundort innige Iu<br />
sammenhiinge mit Stralsund auf, die dazu berechtigen, alle aus ihner<br />
gezogenen Schlüsse auf diese Stadt anzuwenden, zumal die späterer<br />
Eintragungen, vor allem <strong>der</strong> zweite Teil mit <strong>der</strong> Jahreszahl 16N6<br />
von an<strong>der</strong>er Hand sind und aus dem Inhalt ihre Zugehörigkeit zu<br />
Vorpommern sich ergibt- ein Greifswal<strong>der</strong> Student, Burchard Lu<strong>der</strong>s<br />
ist mit zwei Gesängen darin vertreten und <strong>der</strong> Schweriner hofkompositeur<br />
Thomas Manzinus. Sie bilden, namentlich mit deni<br />
Teil, <strong>der</strong> jenseits <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende liegt, das einzige Werk<br />
das aus <strong>der</strong> Übergangszeit <strong>der</strong> beiden Epochen — a capella- unt<br />
Generalbaßzeitalter — sich herübergerettet hat. Auf dem ersten Blati<br />
des zweiten Teils ist in Versform die Verwandtschaft <strong>der</strong> einzelnen<br />
Stimmen dargestellt:<br />
Im Alt: Ich arme magt heiß die alt<br />
hilf meinem Hern des bas gar balt<br />
Auch meiner frauwen Tenor<br />
ondt den discant von ihr geboren<br />
wie es mein her von mir will haben<br />
Diene ich ihm mit meiner gaben<br />
Ich lauf itz her, ich lauf itz hin<br />
Dan ich schir zu nichts nutze bin.^)<br />
Im Tenor: Ich Tenor <strong>der</strong> Stimmen frauw<br />
Mein her <strong>der</strong> Bas ist mir getrauw<br />
Ich habe geboren den discant<br />
Meine magt, <strong>der</strong> alt, lauft mir zuhandt,<br />
bißweilen mich man eine Mutter nennt<br />
Der Stimmen mich das iuntament<br />
Weill alle Stimmen auf mich allein<br />
gerichtet und gleich wntieret sein.<br />
^) Diese Stimme wurde auch vox vakans genannt, woher <strong>der</strong> Vergleich<br />
entlehnt ist.
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 13<br />
Im Baß: Ich bas <strong>der</strong> stimmen Hehr<br />
Mein weib Tenor ist mir nicht fern<br />
Der Diskant ist mein liebes kindt<br />
Der alt eins von meinem Haußgesindt<br />
Alle Stimmen richten sich nach mir<br />
Ohne mich darf keine zischen schir<br />
Es sei dan daß mein liebes weib<br />
Mit ihrem kindt kurtzweile treib.<br />
3ie Werke, die hier enthalten sind, gehören noch <strong>der</strong> Ieit an, wo<br />
>er Tenor die Führung <strong>der</strong> Stimmen inne hatte, sind aber in einer<br />
Zeit nie<strong>der</strong>geschrieben, in <strong>der</strong> die Betonung des Basses als 3undanent<br />
und Grundstimme sich langsam durchsetzt. So erklärt es sich,<br />
»aß beide Stimmen von sich behaupten, alle übrigen seien nach ihnen<br />
zerichtet. Die angedeutete Vorrangstellung des Basses als „Herr"<br />
>er Familie (was 1600 mehr besagt als heutigen Tags) spricht deutich<br />
genug den Wandel <strong>der</strong> Stilarten aus. Mit diesem Wandel geoinnt<br />
die Orgel, die bisher nur stiefmütterlich bedacht wurde, plötzich<br />
an Bedeutung. Iur Begleitung wurde das Orgelspiel bislang<br />
licht herangezogen, da seine Kompositionen nicht akkordlich auflebaut<br />
waren, son<strong>der</strong>n linear, in polyphoner Mehrstimmigkeit, wo-<br />
»ei die führende Stimme, <strong>der</strong> Tenor (^ Träger, Haltestimme), in<br />
er Mitte lag und rhythmisch — <strong>der</strong> musikalischen Konzeption entprechend<br />
— verdehnt und melodisch verziert zum Vortrag kam, so<br />
aß sie zwar den Zuhörern verständlich, zum Mitsingen aber wegen<br />
hres freien, improvisatorischen Charakters untauglich war. Die<br />
)rgel diente daher lediglich zur Intonation, wurde auch zum Vor-,<br />
Zwischen- und Nachspiel verwandt und „sang"^) zuweilen im<br />
Vechsel mit Chor und Gemeinde einen Vers um den an<strong>der</strong>n.<br />
Während die Orgel sich bisher <strong>der</strong> Herrschaft des a capella-<br />
Aanges^) fügen mußte, ihre Kompositionstechnik sich eng an die des<br />
^ingechors anlehnte, trat um 160N ein Wechsel ein, <strong>der</strong> dieses herrliche<br />
instrument verselbständigte und zum Instrument <strong>der</strong> Instrumente,<br />
is) Der vorbildliche Klang des unbegleiteten Chores menschlicher Stimmen<br />
eß auch diese Termini auf die an<strong>der</strong>en Gebiete übergreifen. In <strong>der</strong> Agende<br />
eißt es (fol. 74 v.), die Organisten sollen ihren „Gesanck mit <strong>der</strong> Orgel"<br />
ürzer machen, damit <strong>der</strong> Chor zu seinem Recht käme.<br />
i7) Hoffmann definiert Musik folgen<strong>der</strong>maßen: .... s^usicas est arz,<br />
use praecepta 6e ratione canenäi traäit.
14 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
zur Königin aller Klangwerkzeuge werden ließ und zu dem Fundament,<br />
über das sich die mehrchörigen Gesangs- und Instrumentalwerke<br />
türmten^). Mit <strong>der</strong> Höherbewertung dieses Instrumentes<br />
ging die seines Spielers, des Organisten, Hand in Hand. Das<br />
heranziehen namhafter Künstler wie des Stettiner Organisten<br />
Moritz Belitz o<strong>der</strong> des am Volgaster hof aufgewachsenen und zur<br />
Ausbildung nach Halle geschickten Philipp Caden, beide Schüler<br />
des berühmten Samuel Scheidt — einer <strong>der</strong> drei großen „Sch" —,<br />
deutet darauf hin, daß man diesem Posten mehr Bedeutung beimaß<br />
als ehedem, wo man sie so billig nahm, „als man sie verdingen"<br />
konnte. Moritz Belitz erhielt außer seinem Gehalt von 600 Mark<br />
sundisch freie Wohnung und Heizung, ferner sollte man sein haus<br />
von Einquartierung, „Wache, Grabengehen. . . und an<strong>der</strong>e Steuern<br />
sacciclen^ auch alle an<strong>der</strong> bürgerliche onera vnd Pflicht, wie die<br />
Namen haben muegen, tefentiren und vorbitten, vnd soll Moritz<br />
Belitz <strong>der</strong> Immunitet vnd Freyheitt genießen, <strong>der</strong>en das ehrwürdige<br />
Ministerium seccle8iae1 bißhero genoßen, vnd deshalb im geringsten<br />
nichtt praegraviret o<strong>der</strong> vorkurtzet werden."^) Wie stand noch im<br />
Visitationsrezeß von 1535?: „De organiste ßouele (soviel) alß<br />
ßie den negst bekhamen khonen." Iu dem Aufschwung, den das<br />
Orgelspiel nahm, kam noch die Mitwirkung von Instrumentalchüren<br />
und die Aufteilung <strong>der</strong> Singechöre in Tutti- und Favorit-<br />
Chöre, das heranziehen von Solisten und die Mitwirkung <strong>der</strong><br />
Orgel als Begleitinstrument bei Einzel- und Gemeindegesang. Das<br />
Ordinarium wurde immer häufiger von deutschsprachigen Stücken<br />
durchbrochen, immer seltener die Verwendung <strong>der</strong> mehrstimmigen<br />
lateinischen Messen. Das proprium 6e tempore wurde immer loser<br />
in den liturgischen Rahmen gefügt, und man begnügte sich vielfach<br />
mit Gesängen, die „a6 libitum" an dieser o<strong>der</strong> jener Stelle des<br />
Kirchenjahres eingefügt werden konnten, wenn sie sich nur mit dem<br />
Inhalt „reimten", d. h. zu ihm passend erschienen. Das Vordringen<br />
deutscher Terte und das Zurückgehen <strong>der</strong> Ordinariumkompositionen<br />
bei Vesper und Messe veranschaulicht eine Zusammenstellung dei<br />
drei wichtigsten Meister auf diefem Gebiet in Stralsund:<br />
in) Eine prachtvolle Darstellung hierüber findet man in dem „Bericht ü<strong>der</strong><br />
die Ireiburger Tagung für deutsche Orgelkunst... 1926", Bärenreiterverlag<br />
1926. S. 11—42: Willibald Gurlitt, „Die Wandlung des Klangideals de,<br />
Orgel im Lichte <strong>der</strong> Musikgeschichte". (Mit reicher Literaturangabe.)<br />
") Akten <strong>der</strong> Nikolaikirche, 3ach II, Nr. 9, fol. 3v.
-<br />
Otralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 15<br />
Komponisten:<br />
ompositionen des Ordinariums:<br />
Kompositionen des Propriums 6e<br />
!mpore in lateinischer Sprache:<br />
Kompositionen des Propriums 6e<br />
!mpore in deutscher Sprache-<br />
Hoffmann<br />
(rund 1580)<br />
5<br />
30<br />
0<br />
Movius<br />
(rund 1635)<br />
1<br />
5<br />
55<br />
Vierdanck<br />
(rund 1642)<br />
Die ersten Werke, die im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t auf Stralsun<strong>der</strong><br />
loden entstanden und auf uns gekommen sind, stammen vom Subcktor<br />
Caspar Movius: zunächst die „psalmodia 3acra" 1636,<br />
eren Gesänge streng des Laufe des Kirchenjahres eingeordnet und<br />
lir die Ieit von Palmsonntag bis Trinitatis bestimmt sind.<br />
1. Christus, <strong>der</strong> uns selig macht . .<br />
2. O wir armen Sün<strong>der</strong><br />
3. hilff Gott, daß mir gelinge . . . . Palmarum.<br />
4. Da Jesus an dem Kreutze stand .<br />
5. O Lamm Gottes unschuldig . . .<br />
6. Christ, <strong>der</strong> du bist <strong>der</strong> helle Tag .<br />
7. Christe, <strong>der</strong> du bist Tag und Licht<br />
8. (Hll8te, qui lux es et 6ie3 . . .<br />
9. Jesus Christus unser Heiland . .<br />
10. Erstanden ist <strong>der</strong> heilig Christ . . ^ Ostern.<br />
11. Jesus Christus, wahr Gottes Sohn<br />
12. Erschienen ist <strong>der</strong> herrliche Tag . .<br />
13. Christ lag in Todesbanden . . . .<br />
14. heut triumphieret Gottes Sohn . .<br />
15. Vita äanctorum, clecu8 ^n^elorum .<br />
16. Christ fuhr gen Himmel ^ Himmelfahrt.<br />
17. Nun freut euch, lieben Christen . .<br />
18. Nun bitten wir den heiligen Geist<br />
19. Komm heiliger Geist, herre Gott . ^ Pfingsten.<br />
20. Veni, 3ancte 3piritu3<br />
21. Gott <strong>der</strong> Vater wohn uns bei . . .<br />
22. Allein Gott in <strong>der</strong> höh sei Ehr . .<br />
23. Ehre sei dem Vater und dem Sohne<br />
24. 0 lux beata 1>inita3 Dreifaltigkeit.<br />
25. Es wollt uns Gott gnädig sein .<br />
26. Wenn wir in höchsten Nöten sein<br />
7—30. Magnifikat 5.-8. toni . . . .<br />
0<br />
0<br />
41
16 . Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
Die „tt^mnoäia sacra", Rostock 1639, zerfällt in zwei Teile,<br />
Nr. 1 bis 10 biblische Sprüche enthaltend. Nr. 11 bis 20 Kirchengesänge,<br />
die als Fortsetzung <strong>der</strong> Psalmodia zu denken sind und auj<br />
die Sonntage nach Trinitatis fallen.<br />
11. Ach bleib bei uns. Herr Jesu Christ.<br />
12. Herr Gott, dich loben wir.<br />
13. Was Lobes soll'n wir dir, o Vater, singen?<br />
14. Lobet den Herren, denn er ist freundlich.<br />
15. In dich hab ich gehoffet, Herr.<br />
16. Nun lob mein' See!' den Herrn.<br />
17. Ein' feste Burg ist unser Gott.<br />
18. Wo Gott, <strong>der</strong> Herr, nicht bei uns hält.<br />
19. Was mein Gott will, das gescheh' allzeit.<br />
20. Allein zu dir, Herr Jesu Christ.<br />
Anhang.<br />
1. Wie schön leuchtet <strong>der</strong> Morgenstern.<br />
2. Ich suchte des Nachts.<br />
3. Wie die Sonne, wenn sie aufgegangen.<br />
4. Jesu, liebstes Leben mein.<br />
5. Venitc, exultemu3 Domino.<br />
Diese beiden Werke, etwa ein Jahrzehnt nach <strong>der</strong> Wallensteinschen<br />
Belagerung entstanden, fallen sofort dem Inhalt <strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong><br />
Stimmbücher gegenüber dadurch auf, daß die lateinische<br />
Sprache stark zurücktritt und die führende Stimme aus dem Tenor<br />
in den Diskant verlegt ist. Zuweilen greift Movius zum geistlichen<br />
Quodlibet und läßt zwei verschiedene Choräle durcheinan<strong>der</strong> laufen,<br />
so in Nr. 3 <strong>der</strong> Psalmodia, wo die beiden Oberstimmen „Hilf Gott,<br />
daß mir gelinge" figurieren, während die Unterstimme den Choral<br />
„O Lamm Gottes unschuldig" durchführt,- ähnlich in Nr. 11 die<br />
figurierenden Oberstimmen „Jesus Christus wahr Gottes Sohn"<br />
über dem Osterchoral „Christ ist erstanden" als Kantus kirmus;<br />
hinzuzurechnen ist noch <strong>der</strong> bezifferte Baß, also Orgelbegleitung.<br />
Beson<strong>der</strong>s reizvoll ist die Behandlung des zweisprachigen Quodlibets<br />
(Nr. 8 <strong>der</strong> psalmodia sacra) über den langausgesponnenen, figuratioen<br />
Strecken des lateinischen Hymnus „(briste, qui lux es et (lies"<br />
mit dem darauf aufgebauten Choralthema „Christe, du bist <strong>der</strong> helle<br />
Tag". Durch Wortwie<strong>der</strong>holungen und Melodieverspinnungen sind<br />
die Abschnitte <strong>der</strong> beiden Unterstimmen so weit abgesteckt, daß nirgends<br />
eine Überschneidung <strong>der</strong> Textzeilen zwischen Ober- und Unterstimme<br />
stattfindet, sodaß <strong>der</strong> deutsche Choral in <strong>der</strong> Oberstimme<br />
Zeile um Zeile — zwischen lange Pausen eingebettet, die die unver-
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 17<br />
gleichliche Wirkung noch erhöhen — genau über dem zugehörigen<br />
lateinischen Text liegt und ihn Ieile für Ieile verdolmetscht.<br />
Diese Konzerte halten noch am Vokalklang fest — Movius als<br />
Subrektor <strong>der</strong> Schule stand gerade mit diesem Klangkörper in<br />
nächster Fühlung ^ und nur zögernd wagt Movius das Einmischen<br />
von Instrumentalstimmen. Dieses beinahe ängstliche Verhalten beleuchtet<br />
deutlich das „Vorwort an den Leser" seines folgenden Werkes,<br />
des ,)^riump5iu8 rnu3iou3 3piritua1i3, Rostock 1640", mit<br />
6 bis 8 Stimmen und Generalbaß:<br />
„Nach etlichen von mir heraus gegebenen (Concerten mit wenig<br />
Stimmen / hat <strong>der</strong> günstige Leser alhie einen k^3ciculum vielvnd<br />
vollstimmiger Stücklein / davon dieses kürtzlich zu mercken:<br />
Erstlich / weil man an allen Orten zu dieser Ieit nicht gleich<br />
viel vnd fertige ^U3ico3 Instrumentals hat / die man den<br />
Voca1i3ten ach'unAiren könte / hab ich mich beflissen diese Stücklein<br />
also zu setzen / daß sie (aufgenommen das Concert: Von<br />
Gott kompt mir ein 3rewdenschein) ohn In3trumenten zu Chor<br />
vnd an<strong>der</strong>swo / da es die noth erfor<strong>der</strong>te / mögen gemacht werden<br />
/ vnd gleichwohl eine vollstimmige l^armoniam geben / wie<br />
sie <strong>der</strong> ^1u3icu3, wenn er sie versucht / selbst hören vnd erfahren<br />
wird."<br />
Obgleich hier für die Nr. 10 „Von Gott kompt mir ein Irewdenschein"<br />
ausdrücklich Instrumente gefor<strong>der</strong>t werden (es handelt sich<br />
um zwei Diskantinstrumente: Blockflöten, Violinen, Iinken o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong>gleichen), so steht doch in den Stimmbüchern: „,v
18 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit<br />
heutigen Kammerton entspricht, stand um einen Ganzton tiefer und<br />
wurde beim Gemeindegesang benutzt, während die geschulten Singechör^<br />
und die Instrumente nicht „Chormäßig, son<strong>der</strong>n etwas hoch<br />
gesetzet" im Kammerton musizierten^). Diese Gesänge waren also<br />
nicht zum Mitsingen für die Gemeinde, son<strong>der</strong>n für die Schulchöre<br />
(mit Begleitung von Orgel und möglicherweise Instrumenten) bestimmt<br />
und mußten um einen Ganzton tiefer transponiert werden,<br />
wollte die Gemeinde „einen Vers um den an<strong>der</strong>n ummeschichtlich"<br />
mitsingen. Der Organist mußte also seinen Generalbaßpart von den<br />
bezifferten Baßnoten vom Blatt spielen und gleichzeitig transponieren<br />
können. Eine selbstverständliche Vorbedingung für einen<br />
guten Organisten! Im allgemeinen geht jetzt auch die Kompositionsarbeit<br />
aus den Händen <strong>der</strong> Kantoren in die <strong>der</strong> Organisten und<br />
Kapellmeister über, und das einst so geschätzte Kantorenamt beginnt<br />
<strong>der</strong> Verachtung unter den Musikern anheimzufallen, wie ehedem das<br />
<strong>der</strong> Organisten. Subrektor Movius war in Stralsund <strong>der</strong> letzte<br />
Komponist aus <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Kantoren.<br />
Unmittelbar auf die Schaffensperiode von Caspar Movius folgte<br />
die Johann Vierdancks, des bedeutendsten aller Stralsun<strong>der</strong> Meister.<br />
Als Kapellknabe unter Heinrich Schütz in Dresden aufgewachsen,<br />
wurde er früh mit <strong>der</strong> „Kapellen-Art" vertraut und kam 1628 "-zur<br />
Ieit seines Stimmbruches — zu feiner weiteren Ausbildung in die<br />
Llhre des Wiener Cornettisten und Lautenisten Paolo Sansoni.<br />
Später finden wir ihn in <strong>der</strong> Güstrower Hofkapelle als Instrumentisten<br />
und Violinisten^). Nach einem Aufenthalt in Lübeck und Kopenhagen^)<br />
hatte er gegen Ende des dritten Jahrzehnts in Stralsund die<br />
Stelle des Organisten an St. Marien bis zu feinem Tod im Jahre<br />
1646"') inne. Entgegen <strong>der</strong> Schaffensperiode des „Kantors" Movius,<br />
Die mit Vokalwerken einsetzte und mit zaghafter hinzunahme von<br />
Instrumenten schloß, beginnt die des „Instrumentisten und Organisten"<br />
Vierdanck mit Instrumentalstücken, „Capricci, Canzoni und<br />
Sonaten" und <strong>der</strong>en zweiten Teil „Pavanen, Galliarden, Palleten<br />
und Correnten", beide Nockock 1641 erschienen, und geht dann zur<br />
^) Die Orgel <strong>der</strong> Marienkirche in Stralsund, fast unversehrt aus dem<br />
Jahre 1659 erhalten, steht noch heute in dem damaligen Kammerton, d. h.<br />
etwa einen GanZton zu hoch.<br />
") Meyer. Gesch. <strong>der</strong> Güstrower Hofkapelle (1919). S. 22 f.<br />
22) Das Vorwort zu Vierdancks „Capricci, Canzoni und Sonaten" nennt<br />
Gmtrow. Lübeck und Kopenhagen als seine früheren Aufenthaltsorte.<br />
-") Generalboek zu St. Jakob. Stralsund. Ratsarchiv, fol. 99 r. I.Spalte.
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformatwnsarbeit 19<br />
Kirchenmusik über in den „Geistlichen Concerten erster Theil"<br />
(Rostock 1641) und ..Geistlichen Concerten An<strong>der</strong> Theil" (Rostock<br />
1642). Wie Vierdanck in den Instrumentalwerken von einfachen<br />
Stücklein für zwei Violinen weiterbaut bis zu den vielstimmigen,<br />
großen Sonaten und dem Suitenwerk <strong>der</strong> ..Pavanen. Galliarden",<br />
so auch in den geistlichen Konzerten. Sie enthalten unter 41 Nummern<br />
keinen lateinischen Text, kein Stück des Ordinariums. Nirgends<br />
findet man einen Hinweis auf das,,äe tempore". Die Ordnung<br />
<strong>der</strong> Gesänge geschieht vielmehr in Hinsicht auf ihre Stimmigkeit<br />
nach steigen<strong>der</strong> Stimmenzahl. Der erste Teil überschreitet nicht<br />
die Vierstimmigkeit, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Teil setzt mit drei Stimmen ein<br />
und führt über die verschiedenste Instrumental- und Vokalbesetzung<br />
bis zu neun Stimmen; hinzuzurechnen ist selbstverständlich <strong>der</strong> Generalbaß,<br />
d. h. die Orgel. An Instrumenten finden Violinen. Flöten,<br />
Zinken, Violen. G.amben, Fagotte und Posaunen Verwendung. Die<br />
gedruckte Stimmenanordnung galt für Sonn- o<strong>der</strong> gewöhnliche Festtage<br />
und war hierbei schon variabel; ohne Zweifel wurde bei beson<strong>der</strong>en<br />
festlichen Anlässen die Anlage <strong>der</strong> einzelnen Werke ..gebessert<br />
und vermehrt"; die Stimmen für die Aufteilung auf mehrere<br />
Chöre zu solchen Zwecken einzurichten war t!ie Aufgabe des Kapellmeisters,<br />
die gedruckten Noten bildeten das Grundgerüst. Bei den<br />
wenigen Stimmen des ersten Teils seiner geistlichen Konzerte kann<br />
man auf die Behandlungsweise des chorischen Apparates bei Vierdanck<br />
keine Schlüsse ziehen und muß daher zu dem ..An<strong>der</strong> Theil"<br />
greifen. Stellt Cafpar Movius hohen und tiefen Chor einan<strong>der</strong><br />
gegenüber und läßt fie nur für ganze Textzeilen und längere Strecken<br />
in Wechfel treten, das Zusammenklingen bei<strong>der</strong> Chorteile für die<br />
Haupt- und Ichlußstellen auffparend, so treten bei Vierdanck zwei<br />
gleich hohe Chöre mit einan<strong>der</strong> in ein Gegenspiel und sind dabei<br />
nicht auf diefe weife Sparsamkeit angewiesen, weil immer noch<br />
Klangreserven nach beiden Seiten hin zur Verfügung stehen. Die<br />
Stimmittel, die Movius für die einzelnen Kontraste verwandte,<br />
waren:<br />
1. hoher Chor.<br />
2. tiefer Chor.<br />
3. Gesamtchor.<br />
Die Chöre sind von ihm strengstimmig durchgeführt, d. h. je<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
beiden Chöre ist stets vollstimmig. Man vergleiche hiermit die klanglichM7HWrenzierungsmöglichkeiten<br />
bei Vierdanck:<br />
2-
20 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformatiunsarbeit<br />
1. Instrumentalchor,<br />
2. Einzelstimme,<br />
3. Einzelstimme und Instrumente,<br />
4. 3avoritchor (Solisten),<br />
5. 3avoritchor und Instrumente,<br />
6. Hauptchor,<br />
7. Hauptchor und Instrumente,<br />
8. Hauptchor und 3avoritchor,<br />
9. Hauptchor. 3avoritchor und Instrmnentalchor (Tutti).<br />
Es muß genügen, an einigen wenigen Werken einen knappen<br />
Aufriß <strong>der</strong> Kompositionstechnik Vierdancks zu geben. Zuerst das geistliche<br />
Konzert „Ich suchte des Nachts". Ein kurzes Instrumentalvorspiel,<br />
Sinfonia 1, leitet das Ganze ein, <strong>der</strong> fünfstimmige hauptchor<br />
eröffnet den Vokalpart mit steigen<strong>der</strong> unruhevoller Wie<strong>der</strong>holung<br />
des<br />
„Ich such - te, ich such - te . . ."<br />
und dem resignierten Abklingen in das<br />
„Ich fand ihn a - ber nicht."<br />
Ein zweistimmiger Vokalsatz mit frei imitieren<strong>der</strong> Instrumentalbegleitung<br />
führt weiter und schließt mit dem Eingangsthema und<br />
den Eingangsworten des Hauptchores. Die Sinfonia 2 stellt eine<br />
instrumentale Nachahmung des Wächterhorns dar, die <strong>der</strong> dreistimmige<br />
Chor mit den Worten „Es fanden mich die Wächter" aufgreift.<br />
Der nun folgende Favoritchor läuft in eine Einzelstimme aus, die<br />
wie das Rezitativ eines Oratoriums anmutet:<br />
ein we - mg bei ih - nen ü - ber - tam.<br />
Sie leitet Zu den Schlußworten über: „Da fand ich, den meine Seele<br />
liebet...", die jedoch, vorerst vom 3avoritchor und den Instrumenten
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 21<br />
gebracht, im Keime erstickt werden. Nach einer Wie<strong>der</strong>holung obiger<br />
Einzelstimme aber werden sie vom Hauptchor kräftig aufgenommen<br />
und in Text und Melodie weiterführend von ihm bis zu Ende gesungen,<br />
wobei 3aooritchor und Instrumente steigernd einfallen. Auf<br />
dem einfachen Wechsel zwischen Chor und Instrumentalpart beruht<br />
das Konzert: „Der Herr hat seinen Engel befohlen", das handschriftlich<br />
im Besitze <strong>der</strong> Universitätsbibliothek Upsala sich befindet.<br />
Sinfonia 1: Pofaunen und Violinen<br />
Chor (vierstimmig)<br />
Sinfonia 2: Posaunen und Flöten.<br />
Chor<br />
Sinfonia 3: Posaunen und Cornetti<br />
Chor<br />
Sinfonia 4: Posaunen und Violini<br />
Chor (mit Instrumenten)<br />
Sinfonia 5: Posaunen und Flöten<br />
Chor (mit Instrumenten)<br />
Sinfonia 6: Posaunen und Cornetti<br />
Chor (zum Schluß in zweimal je zwei Stimmen geteilt)<br />
lSinfonia 7: Posaunen und Flöten<br />
Im Chor (erst ohne, dann mit Instrumenten)<br />
DreiertaktiTinfonia 8: Ohne Instrumentalangabe, vermutlich Tutti<br />
^CHor und Tutti. ^<br />
Auch hier eine Steigerung in den Klangmitteln gegen Schluß hin:<br />
<strong>der</strong> Chor von Sinfonia 4 an mit Instrumenten, von Sinfonia 7<br />
a"l die Steigerung durch die lebhafte Dreiertaktbewegung und hinzuncchme<br />
<strong>der</strong> Instrumente, die nicht sofort mit einsetzen, son<strong>der</strong>n erst<br />
später steigernd einfallen. Noch knapper läßt sich das Gerüst des letzten<br />
Konzerts aus dem „An<strong>der</strong> Theil" (Nr. 21) andeuten: eine kurze<br />
Siufonia. thematisch aus dem nun folgenden Vokalchor gefchüpft,<br />
leitet das Konzert ein. Wie drei mächtige Säulen steht <strong>der</strong> monumentale,<br />
doppelchörig mit Instrumenten angelegte Vokalsatz an den<br />
Ecken und in <strong>der</strong> Mitte des Werkes, scharf rhythmisierend: „Der<br />
Gott Iebaoth ist mit uns, <strong>der</strong> Gott Jakob ist unser Schutz" und<br />
zwei Strecken einrahmend, die <strong>der</strong> Favoritchor, meist je zwei gegen<br />
zwei Stimmen, bestreitet, gelegentlich von Instrumentalsätzen durchbrachen;<br />
beide Strecken erfahren eine Steigerung gegen Ende: die<br />
erste durch hinzutreten des Instrumentalkörpers, die zweite Strecke<br />
eine Vewegungssteigerung durch Einfallen in den Dreiertakt. Der<br />
dritte Pfeiler, um einige verbreiternde Schlußtakte gedehnt, rundet<br />
das Werk zu einem Ganzen, das folgendes Bild ergibt:
Etralsunds liwrssisch-musilüUischc N<br />
sonia<br />
Sin^<br />
ptchor<br />
I hau<br />
oritchc<br />
Z<br />
oritchl<br />
t Ins<br />
ptchor<br />
hau<br />
oritchc<br />
Z .^^<br />
ptchor<br />
hau<br />
Wenn man Vierdancks Instrumentistenlaufbahn betrachtet und<br />
in seinen Konzerten die dort gesammelte Erfahrung praktisch verwendet<br />
sieht, so darf man vermuten, daß aus seiner Tätigkeit als<br />
Organist auch Orgelkompositionen entsprungen sind, die jedoch als<br />
verloren gelten müssen. Der Zufall führte zur Entdeckung eines<br />
kleinen Fragments einer „^okkata primi toni" in Orgeltabulatur<br />
(Universitätsbibliothek Upsala. Es stellte sich heraus, daß die im<br />
Katalog aufgeführte Tabulatur Zu „Der Herr hat seinen Engel bebefohlen"<br />
gar nicht existiert, son<strong>der</strong>n daß die als Umschlag für die<br />
Stimmen benutzte Tabulatur diese Orgeltokkata enthält). Will man<br />
die Orgelliteratur, die um jene Zeit vielleicht in Stralsund entstanden<br />
ist (o<strong>der</strong> von Meistern stammt, die sich dort aufhielten), heranziehen,<br />
so bleiben nur die Ehoralvorspiele von Johann Friedrich Alberti,<br />
dem späteren Hoforganisten Christians I. von Sachsen-Merseburg,<br />
<strong>der</strong> um 1650 in Stralsund sich aufgehalten hat. Eine Bemerkung in<br />
Vierdancks „Capricci und Canzoni und Sonaten 1641" läßt darauf<br />
schließen, daß auch das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e seiner Instrumentalwerke<br />
zuweilen in <strong>der</strong> Kirche zur Aufführung gebracht werden konnte.<br />
Unter Nr. 17, 18 und 19 findet man drei Capricci ..mit 2 Cornettinen,<br />
o<strong>der</strong> Violinen, son<strong>der</strong>lich darzu gerichtet / ob sich 2 Musici<br />
in einer Orgell o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>em Corpore alleine wolten hören lassen".<br />
Da die Orgel auch zu jener Ieit vornehmlich in Kirchen heimisch<br />
war. so darf man diese Stücke in den Nahmen <strong>der</strong> Kirchenmusik<br />
einbeziehen. Iur Ausführung des Generalbassos waren bei mehrchörigen<br />
Werken meistens zu jedem Chor ein Korpus- (Generalbaß-)<br />
Instrument zur Verwendung gelangt und die großen Kirchen hatten<br />
daher das gebräuchlichste <strong>der</strong>selben, die Orgel, verdoppelt, eine auf
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 23<br />
ihrem heutigen Platz, eine ihr entgegengesetzt im Altarraum, o<strong>der</strong><br />
sie benützten als zweites Instrument eine kleine tragbare Orgel,<br />
Portativ (mit Zungenregistern Regal, mit 3lötenstimmen Positiv)<br />
genannt. Nebenher dienten noch als Korpusinstrumente Lauten,<br />
Klavicnmbel, Theorben, Harfen und ähnliche Instrumente. Die Bestallung<br />
eines Harfenisten für die Stralsun<strong>der</strong> Kirchen ^im Jahre<br />
1650^4), durfte daher, wollte man <strong>der</strong> Kirchenmusik alle Pflege<br />
angedeihen lassen, nicht unterlassen bleiben. In einem „Buch, darein<br />
Bestallungen geschrieben" 24). steht fol. 119 v. die „Kunstpfeiffer Bestallung"<br />
-.<br />
Friedrich vnnd Adrian vater vndt Sohn die Sultzens betreffend<br />
Wir Bürgermeister onnd Naht <strong>der</strong> Stadt Stralfundt vhrkunden<br />
vnnd bezeugen hiemit, Nachdem durch absterben des Erbaren<br />
vnnd Kunstreichen Boldewin honeuls des Directors stelle<br />
bey <strong>der</strong> instrumental ivVusic bey dieser Stadt erloschen, vnnd da<br />
dieselben wie<strong>der</strong> besetzt werden sollen... So bestellen wir hiemit<br />
vnnd Kmfft dieses mehrbenenneten 3rie<strong>der</strong>ich Sultzen zum<br />
Directoren <strong>der</strong> instrumental ^1u3ic bey dieser Stadt, <strong>der</strong>gestalt<br />
vnd also, das er mit noch vier persohnen in <strong>der</strong> Kirche bey <strong>der</strong><br />
vocalrnuZik o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Orgelt <strong>der</strong> Ordenung gemeß aufwarten<br />
solle<br />
26. Novembris Anno 1642. ^<br />
Friedrich Sultzen Adrian Sulzen<br />
Instrumentât. Violât."<br />
Diese Urkunde (1642) steht jenem Vierdanckschen Instrumentalwerk<br />
(1641) zeitlich recht nahe. Vierdancks frühere Tätigkeit bei <strong>der</strong><br />
Güstrower Hofkapelle wurde bereits erwähnt und es ist ein seltsamem<br />
Zusammentreffen, daß diese beiden Künstler ebenfalls aus<br />
<strong>der</strong> Güstrower Hofkapelle nach Stralsund kamen. Beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit<br />
erweckt <strong>der</strong> Satz des Anstellungsdekrets, daß <strong>der</strong> Direktor<br />
<strong>der</strong> Instrumentalmusik „in <strong>der</strong> Kirche bey <strong>der</strong> Vokalmusik<br />
o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Orgel l" aufwarten solle, daß man also bereits<br />
ein Jahr nach dem Erscheinen des Vierdanckschen Werkes dem Umstünde<br />
— von Seiten <strong>der</strong> Stadt! — Rechnung trug, daß die Instrumentisten<br />
nicht allein zu Vokalwerken, son<strong>der</strong>n auch zu Instrumentalkonzerten<br />
herangezogen werden können. Man vergleiche hiermit<br />
die Stellung von Caspar Movius zur Instrumentalmusik zwei<br />
Jahre vorher, 1640 (s. S. 17).I Diese Bestimmung erhärtet die<br />
oben dargelegte Ansicht, daß einige <strong>der</strong> Vierdanckschen „Capricci,<br />
Canconi vnd Sonaten" zur Ausschmückung <strong>der</strong> Liturgie benutzt<br />
^) Akten <strong>der</strong> Nikolaikirche Jach II. Nr. 9, fol. 10 r. u. 10 v.
24 Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarlieit<br />
wurden. Auch die Iahl und die Zusammensetzung des Instrumentalkörpers<br />
läßt sich sehr wohl mit den Vierdanckschen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an den Klangapparat in Übereinstimmung bringen. Wenn — wie<br />
in dem vorher schon kurz ausgeführten Werk (s. S. 20/21) „Der<br />
Herr hat seinen Engel befohlen" — über einem dreistimmigen Unterbau<br />
von Posaunen in buntem Wechsel bald zwei Violinen, bald<br />
zwei Flöten, bald zwei Cornetti auftauchen, so erfor<strong>der</strong>t das nach<br />
unserer heutigen Orchesterpraxis wohl neun Spieler, nach <strong>der</strong> des<br />
17. Jahrhun<strong>der</strong>t genügten <strong>der</strong>en fünf: zwei Diskantinstrumentisten<br />
ergriffen abwechselnd Bioline, 3lüte und Cornett. Bei festlichen<br />
Aufführungen vielleicht teilte man dann in zwei Chöre: drei Posaunen<br />
mit zwei Flöten o<strong>der</strong> Cornetten (fünf Spieler) auf <strong>der</strong><br />
einen — Violen (Alt-, Tenor-, Baßviola) und zwei Violinen auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite. Die Auswechselbarkeit <strong>der</strong> Instrumente setzte natürlich<br />
voraus, daß je<strong>der</strong> Spieler mehrere Instrumente beherrschte, wie<br />
ja Vierdanck auch gleichzeitig Violinist, Cornettist, Organist war.<br />
Vierdancks Nachfolger an St. Marien war 1646 Daniel Schrö<strong>der</strong><br />
aus Kopenhagen. In demselben Jahre wurde auch <strong>der</strong> berühmte<br />
Johann Martin Nubert von Hamburg als Organist an St. Nikolai<br />
berufen, Friedrich Schick war an <strong>der</strong> St. Iakobikirche tätig. Mit<br />
diesen drei Organisten klingt die Ieit des Dreißigjährigen Krieges<br />
uni) die Halbjahrhun<strong>der</strong>twcnde aus. Nur Rubelt hat unter ihnen<br />
kirchemnusikalische Werke hinterlassen. An dieser Stelle muß seiner<br />
noch gedacht werden, obgleich seine wichtigste Schaffensperiode für<br />
Stralsund erst in die zweite Hälfte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts fällt. In<br />
einigen Kompositionen greift er zu <strong>der</strong> nun aufblühenden neuen<br />
Stilgattung des einstimmigen Liedes mit Generalbaßbegleitung, das<br />
er in die Stralsun<strong>der</strong> Kirchenmusik einflocht. Das älteste Stralsun<strong>der</strong><br />
Gesangbuch von 1663 bringt seine Gesänge bereits in dieser<br />
Form und hier taucht — ohne Namen — zum ersten Mal^) eine<br />
Melodie auf:<br />
„Hast du denn Liebster dein An-ge-sicht gäntzlich verborgen?"<br />
die in an<strong>der</strong>er Form heute noch bekannt und verbreitet ist:<br />
^<br />
"<br />
„Lo-bet den Her-ren, den mäch-ti-gen ..."<br />
^) Jahn, Johannes, Die Melodien <strong>der</strong> deutschen evangelischen Kirchenlie<strong>der</strong>.<br />
Gütersloh 1889. Bd. I. S. 511 f.
Stralsunds liturgisch-musikalische Reformationsarbeit 25<br />
Literatur-Verzeichnis.<br />
Iendt, Leonhard, Der lutherische Gottesoienst des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
München 1923. Verlag E. Reinhardt.<br />
3ranck, Das evangelische Kirchenlieo in Pommern. <strong>Baltische</strong> <strong>Studien</strong><br />
A. I.. 28. Jahrg., I.Heft. Stettin 1877. S. 85—121. Nachtrag im 28. Jahrg.,<br />
2. Heft. Stettin 1878. E. 276.<br />
Liliencron, Rochus oon, Liturgisch-musikalische Geschichte <strong>der</strong> evangelischen<br />
Gottesdienste oon 1523 bis 1700. Schleswig 1893.<br />
M o hnike, G., und Ernst Iober, Stralsundische Chroniken. Band l<br />
Stralsund 1833. Band ll Stralsund 1843. Band III Stralsund 1870.<br />
G ci st reiches Gesangbuch/ Gedruckt und verlegt / Durch Michael<br />
Meoer zu Stralsund / 1665.<br />
Karcken Ordening/Wo sick die Par / ner vnnd Selensorger in vorreikinge<br />
<strong>der</strong> Sacrament... holden scholen im Lande to Pammern. 1542. (Sign.<br />
^ 4" 418 Stadtbibl. Stralsund mit handschriftlichen Zusätzen des Pastors<br />
Sebastian Dhein.)<br />
Ksrcken/Oroeninge im/ Lande tho Pamern... 1563. (Stadtbibl.<br />
Stralsund, Sign. ^ 650.) Zusammengebunden mit:<br />
Agenda . . . gestellet vor de Kermen in Pamern 1569.<br />
Drucke und Handschriften von Vokal- und Instrumentalwerken folgen<strong>der</strong>,<br />
in Stralsund einst tätiger Komponisten: Johann 3riedrich Albecti,<br />
Eucharius Hoffmann, Caspar Movius, Johann Martin Rubert, Johann<br />
Vierdanck.<br />
Stralsun<strong>der</strong> Stim mbücher des Math. Nubach Grimmens!). 1585.<br />
(Aufgefunden von Dr. Ir. Adler in <strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong> Natsbibl.)<br />
Ierner Akten über Organisten, Kantoren, Kunstpfeifer, Orgelbau, aus den<br />
Archiven <strong>der</strong> Nikolai- und Iakobikirche zu Stralsund sowie aus dem<br />
dortigen Ratsarchiv und dem Staatsarchiv zu Stettin.
Tessin in Deutschland<br />
von<br />
Dr. Ragnar Iosephson,<br />
Dozent an <strong>der</strong> Universität Uppsala.
' ' ,u ^<br />
Stralsund hat Schweden seine größte Künstlerfamilie geschenkt,<br />
die während mehr als hun<strong>der</strong>t Jahren die Schicksale <strong>der</strong> schwedischen<br />
Kunst gelenkt hat. Im Jahre 1636 wurde <strong>der</strong> junge Militäringenieur<br />
Nicodemus Tessin d. A.. geb. 1615 zu Stralsund, aus <strong>der</strong> kleinen<br />
deutschen Ostseestadt nach Schweden berufen, wo er bis zu seinem<br />
Tode 1681 blieb. Seine Vorfahren waren Beamte; er war <strong>der</strong> erste<br />
aus seiner Familie, <strong>der</strong> Künstler wurde, und <strong>der</strong> hervorragendste<br />
schwedische Baumeister seiner Zeit. Aber die Eigenschaften <strong>der</strong> Beamtenfamilie<br />
wurzelten tief in ihm. und sowohl als „königlicher<br />
Architecteur" wie als Stadtbaumeister von Stockholm und endlich<br />
als Hofarchitekt vereinigte er mit einer markigen, herben Kunstauffasfung<br />
administratives Talent, Ordnungssinn und praktische<br />
Begabung.<br />
Sein Sohn Nicodemus Tessin d. I., geb. 1654 in Nnköping,<br />
gest. 1728 in Stockholm, wurde sein glänzen<strong>der</strong> Nachfolger. Mit<br />
einer in jungen Jahren begründeten Gelehrsamkeit in allen zur<br />
Kunst gehörenden Wissenschaften wuchs er zu einer universalen Bildung,<br />
Zu einer vollendeten Künstlerschaft, zu einer sozialen Machtstellung<br />
ohne Gegenstück in <strong>der</strong> Kunstgeschichte Schwedens empor.<br />
Sein Einfluß auf alle Zweige <strong>der</strong> schwedischen Kunst war Ende des<br />
siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts vollständig<br />
unumschränkt. Seine Kunst ist die künstlerische Manifestation <strong>der</strong><br />
Grcßmachtzeit Schwedens.<br />
Sein Sohn Karl Gustav Tessin, geb. 1695 in Stockholm, gest.<br />
1770 auf ^kerö, zeigt die Verfeinerung und Schwächung <strong>der</strong> dritten<br />
Generation. Er wurde kein fchaffen<strong>der</strong> Künstler, aber ein Organisator,<br />
ein Kunstdiplomat und vor allem einer <strong>der</strong> glänzendsten Ästhetiker<br />
und eifrigsten Kunstsammler Schwedens. Auch sein Einfluß<br />
war während <strong>der</strong> Ieit seiner Macht dominierend. Für die Blütezeit<br />
des schwedischen Rokokos, d. h. für das mit Frankreich intim verbundene<br />
Kunstleben des achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts in Schweden, wie<br />
auch für die Entstehung <strong>der</strong> schwedischen Kunstsammlungen, war er<br />
die vor allem wirkende Kraft.<br />
Die Wirksamkeit <strong>der</strong> drei Tessins in Schweden zu verfolgen,<br />
hieße die Geschichte <strong>der</strong> schwedischen Kunst von <strong>der</strong> Mitte des siebzehnten<br />
bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts schil<strong>der</strong>n. Wir<br />
können hier auf diese Geschichte nicht einmal andeutungsweise eingehen.<br />
Dagegen wollen wir, wenn auch nur kurz, einen von <strong>der</strong>
30 Tcssin in Deutschland<br />
Forschung bisher nicht berücksichtigten Umstand aufzuhellen suchen:<br />
welche Bedeutung die beiden Architekten Tessin, vor allem Nicodemus<br />
Tessin d. I., für ihr ursprüngliches Heimatland, für Deutschland,<br />
gehabt haben. Wie wir versuchen wollen zu zeigen, eröffnet<br />
sich hier ein neuer, für die Geschichte <strong>der</strong> deutschen Baukunst interessanter<br />
Ausblick.<br />
Tessin d. Ä. hatte während seiner früheren Wirksamkeit in<br />
Schweden, beson<strong>der</strong>s bei seinen Bauten für Axel Oxenstierna, seine<br />
Erfahrungen von den ihm bekannten deutschen Ostseestädten verwertet;<br />
seine Arbeiten aus den dreißiger und vierziger Jahren Zeigen<br />
das Gepräge des norddeutschen Spätrenaissamestils. In den Jahren<br />
1651—53 aber machte er seine große europäische Reise, und nach<br />
dieser Ieit verän<strong>der</strong>t sich sein Stil ganz und gar. Seine Arbeiten<br />
schlössen sich nun an den französischen und holländischen Klassizismus<br />
an; sie weisen einen auf den Putz übertragenen palladianischen<br />
Stil auf, <strong>der</strong> aber mit einer von <strong>der</strong> älteren schwedischen Vaukultur<br />
ererbten Schwere und Herbheit verbunden ist.<br />
Der fleißige, in Schweden sehr in Anspruch genommene Mann<br />
hat gewiß nie selbst beabsichtigt, seine Wirksamkeit über das eigentliche<br />
Schweden auszudehnen. Ein einziges Mal aber scheint sich ihm<br />
durch einen Zufall die Möglichkeit hierzu geboten zu haben, und da<br />
sich diese Gelegenheit in seiner Vaterstadt Stralsund ergab, darf man<br />
voraussetzen, daß er sie mit Freuden ergriff.<br />
Im Jahre 1665 kaufte <strong>der</strong> Feldmarschall Karl Gustav Wrangel<br />
das <strong>der</strong> Familie v. Barnekows gehörige Grundstück heiligegeiststlaßc<br />
37 in Stralsund und ließ dann das noch erhaltene, stattliche<br />
Gebäude aufführen (Fig. 1).<br />
Dieses Gebäude weicht wesentlich von den übrigen Bauwerken<br />
Stralsunds ab^), welche einen stark einheimischen Charakter tragen.<br />
Hier ist statt dessen eine rein klassizistische Architektur eingeführt,<br />
durch kräftige Pilaster geteilt, von einem Triglyphenfries und einem<br />
stark profilierten Dachgesims gekrönt. Die Architektur ist eine etwas<br />
vergröberte, palladianische Architektur in Putz.<br />
Der Architekt <strong>der</strong> rein schwedischen Bauten von Karl Gustav<br />
Wrangel war Tessin d. Ä. Nachdem Wrangel in den fünfziger<br />
Jahren des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts mit dem Architekten Jean<br />
de la Vallée Schwierigkeiten gehabt hatte, hatte er sich wegen seines<br />
1) Die Baudenkmäler des Reg.-Bezirks Stralsund, S. 543.<br />
2) Iritz Adler. Stralsund. Berlin 1926.
Tessin in Deutschland 31<br />
machtvollen Schlosses in Stockholm, des Wrangelschen Palastes, an<br />
Tessin gewandt, <strong>der</strong> in den sechziger Jahren den Bau zur vollstän-<br />
)iger Zufriedenheit des Grafen zu Ende führte^). Es ist dann mehr<br />
lls wahrscheinlich, daß <strong>der</strong> Graf den schwedischen Architekten auch<br />
nit dem Entwurf seines gleichzeitig in Stralsund zu bauenden<br />
Hauses betraut hat, was um so selbstverständlicher scheint, als <strong>der</strong><br />
Künstler ja selbst aus Stralsund war.<br />
In <strong>der</strong> Tat ist das Haus von Wrangel in Stralsund vollständig<br />
n <strong>der</strong> Art Tessins d. Ä. geschaffen. In dieser Putzarchitektur mit<br />
)er schweren dorischen Pilasterglie<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> <strong>der</strong>ben, etwas<br />
lergrüberten Spätrenaissance hat Tessin eine große Anzahl von Geliiuden<br />
in Stockholm gebaut, unter welchen <strong>der</strong> Palast <strong>der</strong> Familie<br />
ßaäth beson<strong>der</strong>s zu nennen ist. Sehr oft hat Teffin ein Dachzeschoß<br />
mit den Fenstern zwischen dem Triglyphenfries verwendet;<br />
nese Fenster waren aber immer Halbfenster, was dem Gebäude<br />
ne rechten Proportionen verleiht. Die großen Fenster im oberen<br />
3tock des Stralsun<strong>der</strong> Hauses sind ganz gewiß später in die Wand<br />
>ebrochen worden und ver<strong>der</strong>ben viel vom Gleichmaß <strong>der</strong> Fassade,<br />
lluch an dem Stralsünde Hause finden sich Einzelheiten, bei denen<br />
>ie Entwürfe Tessins wahrscheinlich nicht getreu befolgt worden<br />
ind; so die Ornierung <strong>der</strong> Fenster mit ihren „Ohren" und das<br />
ßortal. Wenn man einen Eindruck von dem Charakter gewinnen<br />
oill, den Tessin einem Gebäude dieser Größe verlieh, so möge man<br />
»as haus <strong>der</strong> Familie Flemming in Stockholm betrachten, wie es<br />
»er Sueciastich abbildet (Fig. 2). Die große Ähnlichkeit des Stralun<strong>der</strong><br />
Gebäudes mit dem in Stockholm ist unverkennbar.<br />
Der Beitrag des alten Tessin zur Architektur seines alten<br />
)eimatlandes ist also nach dem, was wir bisher kennen, sehr geing.<br />
Die Verbindungen seines Sohnes mit Deutschland wurden<br />
on größerer Bedeutung.<br />
Seine eingehende Kenntnis <strong>der</strong> künstlerischen Kultur Deutsch-<br />
2nds während des späteren Teils des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
at sich <strong>der</strong> junge Nicodemus Tessin durch seine <strong>Studien</strong>reisen im<br />
luslande verschafft. Auf seiner ersten Reise, die er als neunzehnlhriger<br />
Jüngling im Jahre 1673 antrat und die Rom galt, kam<br />
r nach Hamburg, Hannover, Hildesheim. Frankfurt, Heidelberg,<br />
Ilm und Augsburg. Seine dritte Auslandsreise führte ihn im Jahre<br />
3) Siren. Qämw 3tocknolm3nu3, I, Stockholm 1912.
32 Tessin in Deutschland<br />
1687 nach Schleswig-Holstein und von dort wie<strong>der</strong> nach Hamburg,<br />
von wo er sich nach den Nie<strong>der</strong>landen begab, nm dann über Frankreich<br />
nach Rom weiterzureisen. Ans <strong>der</strong> Rückreise 1N88 betrieb er<br />
sein Studium <strong>der</strong> deutschen Kunst gründlicher, indem er München,<br />
Negensburg, Dresden, Berlin, Stettin und zuletzt seine Vaterstadt<br />
Stralsund studierte, die er gewiß in erster Linie aufsuchte, um seine<br />
dort wohnenden Verwandten zu treffen.<br />
Wenn man Tessins Aufzeichnungen von diesen deutschen Reisen<br />
lieft, erhält man ein klares Bild von <strong>der</strong> strengen und dogmatischen<br />
Kunstauffassung, die ihm schon von Anfang an eigen war- denn<br />
schon auf <strong>der</strong> Ausreise im Jahre 1673 schloß er sich, wenn auch<br />
noch nicht sehr ausgesprochen, dem römischen Barock an, das für<br />
ihn die alleinseligmachende Lehre bedeutete. Nach seinen langen<br />
<strong>Studien</strong>jahren in Rom, wo er ein treuer Schüler von Bernini und<br />
Carlo 3ontana wurde, werden seine Urteile selbstverständlich noch<br />
strenger gegen alles, was nicht nach den Prinzipien, denen er huldigte,<br />
ausgeführt war. Irgendwelchen Sinn für nationale o<strong>der</strong><br />
historische Architektur, für don romanischen Stil, für die Gotik, für<br />
die germanische Renaissance kann man in feinen Äußerungen nicht<br />
verspüren, und auch Gebäude, die sich auf eine freiere Weise die<br />
Ideen <strong>der</strong> italienischen Renaissance o<strong>der</strong> des italienischen Barocks<br />
nutzbar gemacht hatten, wurden seiner scharfen Kritik unterzogen.<br />
Em Ausdruck, den er mit Vorliebe von <strong>der</strong> deutschen Architektur<br />
gebraucht, ist das Wort „schlecht". Es mag sein, daß diese Urteile<br />
Tessins am schwersten auf ihn selbst zurückfallen und ihn als eine»<br />
sehr begrenzten Geschmacksrichter kennzeichnen. Sie sind aber nm<br />
die Schattenseite seiner leidenschaftlichen Liebe zum römischen Barock<br />
stil und bestätigen auf negativem Wege die Leidenschaft seiner Ge<br />
fühle für das, was er für richtig hielt.<br />
Wir wollen nicht durch ein Referat über seine weitläufigen Be<br />
schreibungen ermüden, son<strong>der</strong>n nur einige Proben seiner Urteile geben<br />
Das ganze Mittelalter, seine Profanbauten wie seine Kirchen<br />
fertigt er kurz ab; es genügt, hier feine Worte über Hildesheim an<br />
zuführen: „Sehr alt und schlecht bebauet." Der Renaissance de;<br />
sechzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts widmet er mehr Studium, aber kaun<br />
weniger Kritik. Angesichts des Heidelberger Schlosses spitzt sicl<br />
sein Urteil epigrammatisch zu: „Dieses Schloß kümpt einem aber, j<br />
länger man es besiehet, je schlechter vor." Die durch die italienisch<br />
Renaissance beeinflußten Bauten vom Ende des sechzehnten Jahr<br />
Hun<strong>der</strong>ts gefallen Tessin auch nicht, und man kann hier als Bei<br />
spiel sein Urteil über die Residenz in München nennen: „Die Archi
Tessin in Deutschland 33<br />
tectur von diesem Palais ist nicht son<strong>der</strong>lich, undt antwortet gar<br />
nicht gegen den großen Geschreis, so man darvon macht." Mehr<br />
rem italienischen Stil wird er wohl an dem Meisterwerk von holl,<br />
dem zu Anfang des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts gebauten Rathaus<br />
von Augsburg, gefunden haben, welches deswegen auch das seltene<br />
Urteil „zimlich hübsch" erhält.<br />
Der mit Tessin gleichzeitigen deutschen Baukunst, den Palästen<br />
und Kirchen des entwickelten Barocks, wird auch nur selten ein<br />
gnädiger Beifall gespendet, da sie nach dem Geschmack des römischen<br />
Schweden zu überladen war. Über das im Jahre 1680 gebaute kurfürstliche<br />
Lustschloß im Großen Garten zu Dresden sagt er: „hat<br />
viel Ornamenten, so daß man wohl sehen kan, daß es nicht ohne viel<br />
Geldt <strong>der</strong>gestalt hat können verdorben werden." Das neue Berlin<br />
verfällt dem gleichen Urteil: „In Berlin siehet man von gebäuden<br />
nicht das geringste artiges." Er studiert hier außer dem Schlosse, das<br />
ihm in seiner damaligen Gestalt natürlich nicht gefallen konnte, auch<br />
ein geplantes Gebäude, das Zeughaus, das also zu dieser Ieit die<br />
bezeichnendste Probe mo<strong>der</strong>ner norddeutscher Baukunst darbot, hier<br />
wird seiner Kritik eine sachliche Mitteilung beigefügt, die ange-»<br />
sichts des Streites, <strong>der</strong> über die Baugeschichte des Zeughauses geherrscht<br />
hat 4), einen gewissen Wert besitzt: „Ein neues Ieüchhaus<br />
ist eben umb einhun<strong>der</strong>ttausendt Ndhl. aufzubauen verdungen. Der<br />
Architekt heißt Nähring, hat etwas exterieur, ist aber in seinem<br />
zeijchnen undt ordonniren über die maßen simple."<br />
Aus diesen im Jahre 1688 geschriebenen Worten ergibt sich also,<br />
daß gerade zu dieser Ieit Johann Arnold "Nering den Entwurf gemacht<br />
hatte, <strong>der</strong> zur Ausführung angenommen worden war. Da<br />
es einen Entwurf gibt^), <strong>der</strong> die Signatur Friedrichs III. trägt und<br />
<strong>der</strong> also frühestens im selben Jahre 1688 ausgeführt ist, kann man<br />
es für gewiß halten, daß dieser Entwurf mit dem von Tefsin gesehenen<br />
identisch ist. Nering kann hiernach also, wie es auch die<br />
Forschung immer mehr tut. als <strong>der</strong> wirkliche Architekt des Zeughauses<br />
angesehen werden.<br />
Tessins Urteil über Nering und sein Zeughaus hat für uns<br />
größeres Interesse als seine übrige Kritik. Denn dieser Baukünstler<br />
war zu dieser Ieit und während <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> neunziger<br />
Iahrc in Berlin und Brandenburg führend. Undenkbar ist es nicht,<br />
daß Tessin am Brandenburger Hof seine nicht sehr günstige Mei-<br />
') Vgl. Gurlitt. Andreas Schlüter. Verlin 1891, S. 230.<br />
5) Bibliothek des Dresdener Pionier-Bataillons; siehe Gurlitt. Schlüter,<br />
S 234. Note 69.
34 Tessin in Deutschland<br />
imng über die durch den französischen Ludwig XIV.-Stil beeinflußte<br />
Kunst dieses Architekten zum Ausdruck gebracht hat. Kurz danach<br />
wurde nämlich ein zweites Werk Nerings vom Kurfürsten <strong>der</strong> persönlichen<br />
Kritik Tefsins unterstellt. Tessins nach an<strong>der</strong>en Idealen<br />
strebende Stilkunst sollte, wie wir im folgenden sehen werden, für<br />
die deutsche Baukunst, die er während seiner Reisen so scharf und<br />
so unrichtig beurteilt hatte, nicht ganz ohne Bedeutung bleiben.<br />
Während <strong>der</strong> großen Auslandsreise 1687—88 wurde Tessin<br />
von dem ersten Auftrag, einen Bau im schwedischen Deutschland zu<br />
leiten, erreicht. Er hatte schon damals kein geringes Ansehen, und<br />
es ist natürlich, daß man seine Fähigkeiten, beson<strong>der</strong>s nach <strong>der</strong> auf<br />
Kosten des Königs unternommenen <strong>Studien</strong>reise, möglichst ausnutzen<br />
wollte. Von Prag schreibt Tessin am 12. Mai 1688 einen Brief<br />
an seine Mutter, in dem er über die geplante Rückreise Bericht erstattet<br />
^). Er bedauert, daß sich die Reise verlängern werde, weil<br />
„Stettin außer dem Wege liegt und ich es, auf den allergnädigsten<br />
Befehl seiner Exzellenz, nicht übergehen kann." Die hier von Tessin<br />
erwähnte Exzellenz ist Nils Bielke, Generalgouverneur von Pommern.<br />
Der Auftrag, <strong>der</strong> ihn dort erwartete, war <strong>der</strong>, das alte<br />
Schloß von Stettin wie<strong>der</strong> instand zu fetzen. In einer alten Schrift<br />
vom Jahre 1774, Steindruck, Von dem St. Ottenstift und Kirche,<br />
Stettin, wird auch gesagt, daß „<strong>der</strong> Schloßbau dem Architecten und<br />
Kammerherrn Tessin aufgetragen wurde"^), sonst aber ist über diese<br />
Arbeit nichts erwähnt.<br />
Das altertümliche, aus dem Mittelalter stammende, während<br />
des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts vielfach umgebaute und erweiterte<br />
Schloß befand sich zu dieser Zeit in erbärmlichem Zustand. Der Kurfüist<br />
Friedrich Wilhelm hatte im Jahre 1677 Stettin belagert<br />
und genommen, und sowohl die Stadt als das Schloß hatten durch<br />
diese Belagerung viel gelitten. Im Jahre 1678 erstattete <strong>der</strong> kurfürstliche<br />
Kommissar von Podewils einen Bericht über die notwendigsten<br />
Neparaturarbeiten, nur das aufnehmend, was „nötig<br />
war zur Conservierung <strong>der</strong> Gewölbe, schönen Boden und Logiamenten,<br />
so teils ohne Dach, auch wegen zerschossener Mauern weiteren<br />
Ruin, Einfall und Schaden inveniren"^). Er stellt eine lange<br />
6) In i^lic. 1e33M5 ^tuciieresor, S. 244 u. f.. abgedruckt.<br />
') Von H. Lemcke angeführt. Das Kgl. Schloß in Stettin, Stettin 1909,<br />
S. 33.<br />
s) Lemcke a. a. O., S. 32.
Tesjin in Deutschland 35<br />
Liste auf, aber es finden sich keine Angaben, daß die Reparatur<br />
ausgeführt wurde. Als Tessin im Sommer 1688 nach Stettin kam,<br />
war also ganz gewiß sein wichtigster Auftrag, das Schloß instand<br />
zu setzen. Wenn man aber seinen leidenschaftlichen Abscheu vor <strong>der</strong><br />
unregelmäßigen, malerischen, germanischen Architektur kennt, welche<br />
das Stettiner Schloß vertritt, so kann man wohl verstehen, daß er<br />
die Gelegenheit ergriff, aus dem alten Gebäude so weit wie möglich<br />
ein klassizistisches, römisches Bauwerk zu schaffen.<br />
3ür die Beurteilung <strong>der</strong> Arbeit Tesfins besitzen wir erstens ein<br />
pcor in schwedischen Archiven gefundene Dokumente. In dem Verzeichnis,<br />
das Karl Gustav Tessin über die Sammlungen seines<br />
Vaters machte^), erwähnt er das Vorhandensein von ,,?Ian8 des<br />
cliateaux — — — cie 3tettin. avec cie3 projectg pour cie3 repération3<br />
a ^ laire". Von diesem Material sind aufbewahrt: eine<br />
Maßzeichnung des alten Stettiner Schlosses, wie es damals aussah,<br />
und ein von Tessin entworfener Plan für den Umbau. Selbstverständlich<br />
ist das nur ein geringer Rest <strong>der</strong> Entwürfe, die Tessin für<br />
die Ausführung des Umbaus in Stettin gelassen hat; vielleicht wird<br />
man sie einmal in deutschen Archiven wie<strong>der</strong>finden.<br />
Der alte Schloßplan (Iig. 3), <strong>der</strong> eine sorgfältig vorgenommene<br />
Messung des dritten Stockes aufweist, hat für die Kenntnis vom Charakter<br />
des Schlosses im siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t an sich einen sehr<br />
großen Wert. Ein zweiter, ebenso früher Grundriß ist nicht bekannt, und<br />
in Verbindung mit den etwa gleichzeitigen Kupferstichen von Merian<br />
gibt er ein sehr vollständiges Bild von dem Gebäude, wie es im<br />
siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t aussah. Begreiflicherweise können wir<br />
hier nicht auf alles das eingehen, was man aus dem Plan für die<br />
Baugeschichte des Schlosses entnehmen kann. Wir betrachten hier<br />
nur in großen Iügen den komplizierten, durch stete Anbauten entstandenen<br />
Komplex mit seinen zwei Häfen, dem kleinen westlichen<br />
Münzhof und dem großen Schloßhof. Der letztere ist vom Nordflügel<br />
mit <strong>der</strong> Kirche, von dem langen, ziemlich regelmäßigen Mittelflügel<br />
mit seinem ausgebauten Treppenturm, von dem in <strong>der</strong> oberen<br />
Partie freiliegenden Südflügel mit seinem Uhrturm und vom kurzen<br />
Ostflügel umschlossen.<br />
Aus dem allen wollte nun Tessin einen regelmäßigen Palast machen<br />
(3ig. 4). Er beschloß, von dem regelmäßigsten Teil, dem Mittelflügel,<br />
auszugehen, und schlug vor, alles, was westlich von diesem lag, also<br />
den ganzen alten Münzhof mit seinen Gebäuden, ferner den vom<br />
Nationalmuseum, Stockholm.
36 Tessin in Deutschland<br />
Nordflügel vorspringenden Kirchturm wie auch einen westlichen Teil<br />
<strong>der</strong> Kirche selbst abzubrechen. Dadurch erzielte er einen mächtigen,<br />
einheitlichen Westfond mit einer Breite von 24 Fensterachsen, wobei<br />
jedoch die nördlichsten, neben <strong>der</strong> Kirche angebrachten Fenster blind<br />
waren. Ganz sicher muß man sich die 3assadenglie<strong>der</strong>ung so vorstellen<br />
wie die ersten, äußerst einfachen, römischen Entwürfe zur<br />
Nordfassade des Schlosses in Stockholm- diese aber hatte nur eine<br />
Breite von 21 Fensterachsen. Eine Aufstellung von Pilastern o<strong>der</strong><br />
Kolonnen findet sich nicht.<br />
Von dem Hauptgebäude wollte Tessin zwei Flügel ausgehen<br />
lassen, die einen gegen die vierte Seite offenen Burghof flankierten.<br />
Er befolgte hier das System, das er später bei einem königlichen<br />
Schlosse in Kopenhagen anwendete. Iu diesem Zwecke konnte er<br />
den Nordflügel des alten Schlosfes gebrauchen, trotzdem sich dieser<br />
nicht im rechten Winkel an das Hauptgebäude anschloß. Tessin<br />
kannte ja von dem römischen Barock her die perspektivische Wirkung<br />
solcher Schiefen und benutzte fie nicht ungern. Am Nordflügel<br />
war es übrigens nicht nötig, viel mehr als ihn ein bißchen abzukürzen.<br />
Für das Südgebäude des Tessinschen Schlosses war ein vollständiger<br />
Neubau vonnöten, welcher nach dem Hof zu in schiefem<br />
Winkel zum Westgebäude angebracht wurde, um einige Symmetrie<br />
mit dem nördlichen Flügel zu erreichen. Seine äußere Fassade<br />
dürfte eine etwas reichere Glie<strong>der</strong>ung als das übrige Schloß erhalten<br />
haben, mit fchwachen Risaliten an den Seiten und in <strong>der</strong><br />
mit zwei Kolonnenportalen versehenen Mitte.<br />
Betreffs <strong>der</strong> südlichen und östlichen Vaumassen des alten Schlosses<br />
schlug <strong>der</strong> Architekt vor, sie ganz abzureißen.<br />
Der Tessinsche Plan für den Neubau des Stettiner Schlosse<br />
zeigt das Geschick und die Folgerichtigkeit, womit <strong>der</strong> Künstler<br />
zu Werke ging, um die alten germanischen Burgen in römische<br />
Paläste umzuwandeln. Der Plan ist von großer Bedeutung als die<br />
erste Probe <strong>der</strong> Umgestaltungsarbeit des schwedischen Architekten<br />
au alten Schloßkomplexen; er kündigt also an, wie Tessin das<br />
ziemlich ähnliche Problem bei <strong>der</strong> alten Stockholmer Burg lösen<br />
würde, das ihn zu Hause erwartete und dem er sich während <strong>der</strong><br />
folgenden Jahre widmete.<br />
Dagegen kann man nicht sagen, daß dieser Plan für das Schicksal<br />
des Stettiner Schlosses selbst von Bedeutung gewesen wäre.<br />
Augenscheinlich war <strong>der</strong> Entwurf zu radikal, um durchgeführt zu<br />
werden, und hatte darum keine Folgen. Bei <strong>der</strong> Restauration des<br />
Schlosses, die in den zwanziger Jahren des achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts
Tesfin in Deutschland 37<br />
stattfand, wurden zwar gewisse Vereinfachungen von Dachformen<br />
und Fassadenornierung vorgenommen und das Ganze überputzt;<br />
<strong>der</strong> Tesfinsche Entwurf aber schien vergessen zu sein. Man muß jedoch<br />
bedenken, daß diese schon in den achtziger Jahren des siebzehnten<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts vorhandenen Tessinschen Entwürfe, die für<br />
römische Architektur von kraftvoller Einfachheit, welche damals in<br />
Deutschland nicht üblich war, eintraten, möglicherweise an<strong>der</strong>swo<br />
einen stimulierenden Einfluß gehabt haben können, obwohl es<br />
schwierig ist, die Wege dieses Einflusses zu verfolgen.<br />
Stettin war ja zur Zeit Tessins schwedisch, und daß er dort<br />
engagiert wurde, ist also nicht im geringsten erstaunlich. Aber bei<br />
Kenntnis seines Arbeitseifers und seiner Expansionslust, seiner<br />
Fähigkeit und seines wachsenden Ruhmes kann man ohne weiteres<br />
verstehen, daß er in Deutschland auch außerhalb <strong>der</strong> schwedischen<br />
Besitzungen zu wirken versucht hat. Es bot sich ihm hier eine außerordentliche<br />
Gelegenheit. Ein deutsches Herzogtum, Holstein-Gottorp,<br />
war durch Verwandtschaft sehr eng mit dem schwedischen Königshaus<br />
verbunden. Die Königin Hedwig Eleonora, die Gemahlin von<br />
Karl X. Gustav, war die Tochter Friedrichs III. von Holstein-<br />
Gottorp. Diese Königin, die tatkräftig für die schönen Künste<br />
in Schweden wirkte, begünstigte beson<strong>der</strong>s sowohl den Vater als<br />
den Sohn Tessin- ihr stolzes Schloß Drottningholm mit dem herrlichen<br />
Garten war ein Werk dieser beiden Künstler. Es ist ganz<br />
natürlich, daß sie ihrem alten heimatlande gern ihren großen Architekten<br />
zur Verfügung stellte und mit Freude sah, daß er das alte<br />
Schloß Gottorp, in dem sie selbst geboren war, mit seiner Kunst umgestaltete.<br />
Schon auf <strong>der</strong> ausländischen Neise 1687 scheint es Tessin klar<br />
gewesen zu sein, daß er vielleicht zur Neugestaltung des Schlosses<br />
herangezogen werden würde. Er kam freilich nicht in das Schloß<br />
hinein, allein er machte an Ort und Stelle eingehende <strong>Studien</strong> und<br />
studierte beson<strong>der</strong>s die Gartenanlage, die sowohl Lob als Kritik<br />
erhielt^). Der Beschreiber fügt dazu: „Waß von dieser herrlichen<br />
Situation hätte können gemacht werden, habe ich hinten in diesem<br />
buch vorgestellet." Also machte <strong>der</strong> Architekt schon damals an Ort<br />
und Stelle eine Lagenskizze, welche erhalten ist (Fig. 5). Wir haben<br />
auch die hierzu gehörige, die Hauptprinzipien <strong>der</strong> geplanten Anlage<br />
angebende Beschreibung gefunden^). Sie lautet:<br />
cl. v:3 ztuäierezor, ausg. von O. Siren, Stockholm 1914.<br />
Eriksbergs Archiv.
38 Tessin in Deutschland<br />
Kleine Project von dhem jenigen maß da ungefehr hätte<br />
sollen können vorgestellet werden, auff dher sehr advantageusen<br />
Situation von Lustgarten gegen über dem Schloß zu Gottorpwelches<br />
eine Niviere vom garten separiret.<br />
Diese situation hat folgende advantagen, so man wenig in<br />
<strong>der</strong> welt finden wirdt zusammen, nembl.:<br />
1. Daß sie dicht an <strong>der</strong> Refidentz Stadt ist, ja so daß nur die<br />
Niviere separiret sie vom Schloß.<br />
2. Daß Sie gegen <strong>der</strong> Face vom Schloß antwortet.<br />
3. Daß Sie gegen Süden herabhengt.<br />
4. Daß eine Allee vom Schloß zum garten gehet.<br />
5. Daß die Parqve rundt umb den garten schließt, undt von<br />
einem sehr schönen undt zimblich dichten walde von eychen.<br />
rodte undt hagbüchen umbringet ist. so sehr hoch ist. undt just<br />
den garten umbfaßt.<br />
6. Daß unten eine plaine ist von <strong>der</strong> Rivière biß an <strong>der</strong> ersten<br />
kleinen Terassen so angedeutet ist.<br />
7. Der an<strong>der</strong>e platz biß an daß hauß welches ungefehr 350 Ellen<br />
vom wasser zu liegen Kahme.<br />
8. Daß von diesem lusthauß <strong>der</strong> platz biß am obersten Kleinen<br />
lusthauß immer hinaufsteigt nemblich von 1 biß 2 biß an<br />
die ettzliche 40 Ellen ungefehr, welcher platz gleichsam in<br />
perspectiv hinaufsteigt undt auf beiden feiten bey 3. 4. undt<br />
5. 6. bey die fünf ellen nach <strong>der</strong> mitten herabhengt. 350 E<br />
sindt zwischen 1 undt 2.<br />
9. ist zu oberst nur ebner hinter dem Kleinern Lusthauß.<br />
10. ist <strong>der</strong> walt oben just in <strong>der</strong> runde bewachsset mitt hohen<br />
beumen wie hie öberst bezeichnet ist.<br />
11. Daß man große Necervoiren von zulauffenden stätigen qwellen<br />
über 10 Ellen höher liegen hat. alß daß oberste Kleine Lusthauß<br />
liegtt.<br />
12. Währe die abhengung auß <strong>der</strong> rechten selten vom garten<br />
zwichen beyden lustheußen gleichförmig mit <strong>der</strong> auß <strong>der</strong> lincken.<br />
währe diefe situation unvergleichlich, welches hätte seyn können,<br />
wo es am anfange währe obferviret worden.<br />
Wir finden hier also Tessin als Gartenarchitekten, ein Beruf,<br />
den er dem eines Baumeisters völlig gleichstellte. Er war ein<br />
Schüler und Freund von Le Nütre und hatte schon in Schweden<br />
an den dortigen Lustschlössern und Herrensitzen die großartige<br />
klassizistische Anlagekunst dieses Architekten eingeführt.<br />
Voll von Anregungen machte also Tessin im weiteren Verlauf
Tessin in Deutschland 39<br />
seiner Reise dem Herzog Christian Albrecht von Holstein, dem<br />
Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Königinwitwe von Schweden, seine Aufwartung. Dieser<br />
befand sich in Hamburg, „alwor ich zwei mahl habe gefpeißet undt<br />
sehr wohl bin empfangen worden". Der Herzog zeigte Tessin einige<br />
interessante Modelle, und ohne Zweifel legte dieser ihm seinen<br />
Standpunkt betreffend das Schloß und den Schloßgarten dar.<br />
Seine Anregungen fielen auf fruchtbaren Boden. Nach Tessins<br />
Rückkehr nach Schweden ersuchte ihn <strong>der</strong> Herzog um seine Mitwirkung<br />
bei den von ihm geplanten Bauarbeiten. Der Auftrag<br />
war von solchem Umfang, daß die Anwesenheit des Künstlers an<br />
Ort und Stelle als notwendig betrachtet wurde, und im Jahre 1690<br />
begab er sich darum nach Holstein-Gottorp. ..Im Jahre 169N bin<br />
ich zum vierten Mahle mit gnädiger Erlaubais hinausgereist. nachdem<br />
ich den Befehl bekommen hatte, mit gewissen Desseins,<br />
die ich für S. Durchlaucht den Herzog gemacht hatte,<br />
nach Holstein zu reisen", schreibt Tessin selbst in seinem ..Memorial<br />
betreffend meine Reisen"^). Mg dieser Äußerung ersieht man,<br />
daß <strong>der</strong> Architekt schon in Schweden Grundrisse ausgearbeitet hatte,<br />
welche er nach Gottorp mitbrachte, um sie dort zum Abschluß zu<br />
bringen.<br />
Aus <strong>der</strong> Ieit. während <strong>der</strong> sich Tessin in Schleswig-Holstein<br />
aushielt, dem Sommer 169N, besitzen wir eigentlich nur eine einzige<br />
Mitteilung über seine Arbeit. In einem Briefe an Karl XI. vom<br />
21. August 1690 sagt er nämlich: ,.In Gottorp und Tönningen bin<br />
ich jetzt seit drei Wochen beschäftigt. Der Entwurf, an dem ich fast<br />
die ganze vorige Woche gearbeitet habe. ist. infolge des gnädigen<br />
Befehls ihrer Majit, (ihr) zugestellt."^)<br />
Daß also Tessin am Schloß Gottorp tätig war, ist zweifellos:<br />
da aber die Bauzeichnungen fehlen, läßt sich nicht so leicht feststellen,<br />
was er dort ausgeführt hat. Doch muß man erstens annehmen,<br />
daß <strong>der</strong> Garten von ihm umgestaltet worden ist, da wir ja seinen<br />
lebhaften Wunsch kennen, ihn zu verbessern. Die Gartenanlage, die<br />
Tessin im Jahre 1687 beschrieb, war zum größten Teil während <strong>der</strong><br />
Ieit Friedrichs III.. vom Jahre 1640 ab. unter <strong>der</strong> Leitung von<br />
Joh. Clodius^) geschaffen, fpäter aber verbeffert und im Jahre<br />
1670 mit dem Gartenhaus Amalienburg zum Abschluß gebracht<br />
wolden.<br />
^) Abgedruckt i^ic. dessin cl. v:8 ztuäieresor, S. 8.<br />
") Der Brief ist bei Crusenstolpe. ttuzet Dessin I, S. 361. abgedruckt.<br />
") R. Haupt. Die Bau- und Kunstdenkmäler <strong>der</strong> Provinz Schleswig-<br />
Holstein. II. 1888. S. 356 u. f.
40 Tessin in Deutschland<br />
Wir wissen nun durch Tessin, daß <strong>der</strong> Gartenmeister Gabriel<br />
Tarter, mit dem er zusammentraf, im Jahre 1687 einen neuen Vorschlag<br />
gemacht hatte ^)- ferner ist uns bekannt, daß tatsächlich im<br />
den neunziger Jahren des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts gewisse Verbesserungen<br />
zustande kamen^). Es dürfte nicht zu kühn sein, diese<br />
Umgestaltungen Tessin zuzuschreiben. Dieselben bestanden vor allem<br />
in einer neuen, oom Schlosse ausgehenden Mittelachse, welche im<br />
Jahre 1692 in einem großen, mit reicher Architektur und Skulptur<br />
ausgeschmückten Springbrunnen ihren Abschluß fand. 1692 wurde<br />
auch eine sehr ausgedehnte Orangerie neben Amalienburg angelegt.<br />
Augenscheinlich war es Tessin nicht möglich, den im Jahre 1687 von<br />
ihm entworfenen Plan ganz durchzuführen,- einigermaßen aber<br />
dürften die erwähnten und vielleicht noch an<strong>der</strong>e, jetzt vergessene<br />
Neuanlagen den Tesfinschen Gedanken verwirklicht haben, aus dem<br />
Park in Gottorp einen regelmäßigen, mit stolzen Kaskaden geschmückten<br />
Lustgarten im Stil von Le Notre zu schaffen, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
darauf angelegt war, in Verbindung mit dem Schloßgebäude<br />
einen stattlichen Gesamteindruck hervorzubringen.<br />
Ganz gewiß aber hat Tessin auch den Anstoß zur Umgestaltung<br />
des ganzen Schloßgebäudes gegeben. Die alte, unregelmäßige Burg,<br />
die zu verschiedenen Jetten entstanden war und einen malerischen<br />
Komplex ungleichartiger Gebäude bildete, können wir in großen<br />
Iügen auf einem Kupferstich sehen, <strong>der</strong>, obgleich erst 1743 ausgeführt,<br />
doch den Zustand des Schlosses nach 1618 zeigt. Selbstverständlich<br />
muß Tessin die Burg als sehr min<strong>der</strong>wertig angesehen<br />
haben. Der Herzog Friedrich (1694—1702) ließ dieselbe<br />
ganz und gar in einen mo<strong>der</strong>nen Palast umwandeln. Die Hauptän<strong>der</strong>ungen<br />
waren teils die Schleifung <strong>der</strong> langen, nach Süden ausgebauten<br />
Kanzlei, die aus dem eigentlichen Schloßgebäude heraussptung,<br />
teils die Erbauung, unter teilweiser Beibehaltung <strong>der</strong> alten<br />
Mauern, eines neuen Südflügels und die wesentliche Verlängerung<br />
desselben nach Osten, so daß das Portal in die Mitte verlegt wurde.<br />
D'e,">r Südflügel, <strong>der</strong> jetzt die Hauptfassade des Schlosses wurde, o,,<br />
herrschte die ganze Burg und verbarg alle hinten gelegenen Teile.<br />
Er wurde drei Stock hoch, mit einem Mezzanin zwischen dem ersten<br />
und zweiten Stock, und erhielt römische Fensterornierungon, rustizierte<br />
Ecken sowie ein römisches Säulenportal,- über <strong>der</strong> Mittelachse<br />
wurde ein niedriges, von einer kleinen „Lanternen" geklöntes<br />
Turmgebäude errichtet.<br />
^lic. ^e33in 6. v.3 stuclierezor, S. 66.<br />
R. Haupt a. a. O. S. 358.
Tessin in Deutschland 41<br />
Der einzige Name, <strong>der</strong> bisher hinsichtlich dieses Umbaus bekannt<br />
ist, ist <strong>der</strong> eines gewissen Pelli, <strong>der</strong> im Jahre 1702 als<br />
Unternehmer beteiligt war. Dies ist ganz gewiß <strong>der</strong>selbe Marc<br />
Antonio Pelli. <strong>der</strong> im Jahre 1720 für das Schloß 3redensborg in<br />
Dänemark Maurermeister und Unternehmer war^), aber erwiesenermaßen<br />
kein Architekt o<strong>der</strong> künstlerischer Bauleiter gewesen ist.<br />
Was uns bei <strong>der</strong> Analyse dieses Umbaus des Schlosses Gottorp<br />
auffällt, ist, daß er mit Tesfins erstem Umbauplan für das Stockholmer<br />
Schloß, <strong>der</strong> wahrscheinlich 1688—90 entworfen wurde, überzeugende<br />
Ähnlichkeiten aufweist. Auch hier wollte Tessin einen großen<br />
Hauptflügel anlegen, welcher die hinten liegende Burg verbarg. Er<br />
wurde ganz regelmäßig gestaltet, mit einem großen römischen Mittelportal,<br />
drei Stockwerken und einem Mezzanin zwischen dem ersten<br />
und zweiten Stock- er hatte rustizierte Ecken und wurde von einem<br />
sichtbaren Regendach gekrönt. Das einzige von Bedeutung, was<br />
ihn vom Schloß in Gottorp unterscheidet, ist das Turmgebäude des<br />
letzteren: es ist möglich, daß dieses auch in Gottorp ursprünglich<br />
nicht beabsichtigt war, son<strong>der</strong>n trotz den ursprünglichen Entwürfen<br />
entstanden ist.<br />
Sowohl die dokumentarischen Angaben als <strong>der</strong> Zeitpunkt des<br />
Palastbaus und endlich sein architektonischer Stil lnachen es sehr<br />
wahrscheinlich, daß das Schloß von Gottorp im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
seinen nüchternen römischen Charakter durch Nicodemus Tessin erhalten<br />
hat.<br />
Aus <strong>der</strong> Korrespondenz von Tessin scheint auch hervorzugehen,<br />
daß <strong>der</strong> Künstler in Tönningen tätig gewesen ist. Es dürfte fich<br />
dann wohl um das 158N—83 von Herzog Adolf erbaute Schloß<br />
handeln. Wie es im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t ausfah, ergibt sich unter<br />
an<strong>der</strong>em aus Braunius' Theatrum urbium. Es wurde im Jahre<br />
1735 nie<strong>der</strong>gelegt. In welchem Umfang Tessin eventuell am Schlosse<br />
mitgewirkt hat, läßt sich jedoch einstweilen nicht feststellen.<br />
Möglicherweise hat Tessin auch in 3riedrichstadt und in husten<br />
(husum?) etwas zu tun gehabt. Er schreibt nämlich in einem Briefe<br />
an seine Mutter, datiert vom 6. August 1690: „Morgen reise ich,<br />
auf Verlangen Seiner Durch l. des Herzogs, nach<br />
3riedrichstadt, Tönningen und husten, die etwa 12 Meilen entfernt<br />
sind, und werde wohl übermorgen hier wie<strong>der</strong> sein."^) Was für ein<br />
Auftrag dieser vom Herzog veranlaßten Neise zugrunde lag, ist<br />
Iosephson. ^C35in i Danmark, 1925. S. 115—116.<br />
Der Brief ist von Crusenstolpe abgedruckt reizet 7^33in I, S. 243.
42 Tessin in Deutschland<br />
nicht festzustellen. Etwas sehr Bedeutendes kann es jedenfalls nach<br />
<strong>der</strong> Kürze des geplanten Besuches nicht gewesen sein.<br />
Während <strong>der</strong> Zeit, die auf Tessins Reise nach Holstein-Gottorp<br />
im Jahre 1690 folgte, wuchs <strong>der</strong> Ruhm des schwedischen Architekten<br />
mil Abschluß <strong>der</strong> ersten Phase des Stockholmer Schloßbaues. Der<br />
mächtige nördliche Schloßflügel stand schon im Jahre 1694 in semer<br />
ganzen Großartigkeit fertig da, und durch eine im Jahre 1692 geprägte<br />
Medaille wie auch durch einen 1695 von Seb. Le Clerc angefertigten<br />
Kupferstick begann das Schloß, in den Län<strong>der</strong>n Europas<br />
bekannt zu werden. Ein Zeugnis <strong>der</strong> großen Anerkennung, die<br />
Tessin gezollt wurde, war <strong>der</strong> Auftrag, den er im Jahre 1693 von<br />
Christian V. von Dänemark erhielt, den Plan eines neuen königlichen<br />
Schlosses in Kopenhagen zu entwerfen. Er reiste im Jahre<br />
1b94 dorthin, fertigte während <strong>der</strong> folgenden Jahre ein gewaltiges<br />
Modell für das Schloß an und sandte es 1697 nach <strong>der</strong> dänischen<br />
Hauptstadt. Freilich wurde das Schloß, da Christian V. starb, nicht<br />
aufgeführt- doch wurde <strong>der</strong> Entwurf später herangezogen, als im<br />
achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t Christiansborg gebaut wurde. Aber nicht<br />
nur diesen großartigen Bauauftrag erhielt Tessin während dieser<br />
Jahre aus Dänemark, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e, weniger bedeutende, sowohl<br />
vom königlichen Hause wie von <strong>der</strong> Aristokratie. Hier sind beson<strong>der</strong>s<br />
die Entwürfe zu nennen, die er im Jahre 1697 für das<br />
königliche Lustschloß Fre<strong>der</strong>iksberg und den dazu gehörigen Garten<br />
mcchte- zwar hat man sie nicht vollständig befolgt, aber auch diese<br />
Pläne hatten einen Einfluß auf die Stilentwicklung in Dänemark.<br />
Hiernach kann es uns nicht überraschen, daß Tessins Ruhm<br />
weiter nach Süden drang und <strong>der</strong> Künstler bei an<strong>der</strong>en deutschen<br />
Fürstenhäusern Beachtung fand. Es waren <strong>der</strong> kunstliebende Kurfürst<br />
von Brandenburg, später König Friedlich I., und seine zweite<br />
Gemahlin Sophia Charlotte von Hannover, welche sich gleichfalls<br />
die Begabung des schwedischen Architekten nutzbar machen wollten.<br />
Der Auftrag betraf anfangs Sophia Charlottes Lustschloß Charlottenburg<br />
außerhalb Berlins, ursprünglich Liezenburg genannt.<br />
Die Mitteilungen über diese Beauftragung Tessins sind ziemlich<br />
spärlich. In einer Liste, die <strong>der</strong> Künstler in seinem Alter über „die<br />
gekrönten Häupter" aufstellte, denen er „gedient o<strong>der</strong> aufgewartet"<br />
o<strong>der</strong> die er „bedient und gesehen" habe, wird auch Friedrich I. von<br />
Preußen genannt. Diese Liste ist aber etwas sehr großzügig — Tessin<br />
hotte eine kleine Schwäche dafür, königliche Bekannte zu haben —
Tessin in Deutschland 43<br />
LNd die Angabe braucht in Wirklichkeit weiter nichts zu bedeuten,<br />
ils daß er Friedrich l. gesehen hat. Karl Gustav Tessin gibt jedoch<br />
n seinem Verzeichnis über die Zeichnungen seines Vaters an, daß<br />
)arunter auch waren: „4 ?lan3 et rllevationZ clu lükateau äe Littenl)our^<br />
prö3 äe Lerlin, avec un projet cie mon père pour l'erni)e1i33ement<br />
6e cette maison.^<br />
Der wichtigste Beweis aber liegt in den Plänen selbst, die zum<br />
Teil wie<strong>der</strong>gefunden sind. Sie bestehen aus einem Blatt, das den<br />
Zustand des Schlosses zur Zeit des Auftrags zeigt, und aus einem<br />
Plan für den Umbau. Außerdem ist ein von Tessin selbst geschriebener<br />
Entwurf eines Memorials für den Umbau vorhanden. Wir<br />
kommen auf diese Dokumente zurück.<br />
Das alte Gut Liezen bei Berlin war während des späteren<br />
Teils des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts im Besitz des Oberhofmarschalls<br />
von Dobrzynski, welcher dort ein Landhaus aufgeführt hatte. Im<br />
Jahre 1694 kaufte <strong>der</strong> Kurfürst das Gut für seine Gemahlin an<br />
und beschloß, das neue Schloß — wahrscheinlich nach den Plänen<br />
von Nering — zu bauen. Die Einweihung fand schon am 11. Juli<br />
1696 statt, obgleich <strong>der</strong> Bau zu dieser Ieit nur halb fertig war. Durch<br />
die Forschungen von Gurlitt^) Kennen wir einigermaßen das Aussehen<br />
dieses Gebäudes in seinem vollendeten Zustand um das Jahr 17U0.<br />
Wir sind jedoch in <strong>der</strong> Lage, völligen Aufschluß über Has Projekt<br />
von 1694 zu geben. Die Zeichnung, die Tessin gelegentlich<br />
seines Auftrags erhielt, war nämlich eine sorgfältige Fassaden- und<br />
Grundrißzeichnung des Gebäudes, das auf <strong>der</strong> Rückseite in einer<br />
Handschrift, die nicht Tessins ist, als „Litzenburg beij Berlin" bezeichnet<br />
wird (Fig. 6). Auch die Zeichnung ist nicht von Tessin,<br />
sor<strong>der</strong>n offenbar aus Deutschland an ihn gesandt worden. Es muß<br />
sich um den ursprünglichen Plan Nerings handeln.<br />
Auf diesem Plan weicht das Schloß in gewissem Grade von<br />
dem Zustand um das Jahr 1700 ab. Die Raumeinteilung ist etwas<br />
an<strong>der</strong>s und primitiver, das Dachgeschoß fehlt, über dem runden<br />
Gartensalon erhebt sich eine von einer Engelsgestalt gekrönte Kuppel.<br />
Außerdem kennen wir dank diesem Plane die ursprüngliche<br />
Komposition des Hofes; zwei viertelkreisförmige, niedrige Flügel<br />
gehen vom Hauptgebäude aus und schließen mit quadratischen Pavillons<br />
ab 20).<br />
"> Gurlitt. Andrea) Schlüter. 2. lll u. f.<br />
-") Gurlitt a. a. O. S. 236. Note 97. teilt mit, dah sich in <strong>der</strong> Bibliothek<br />
des kgl. sächj. Pionier-Vataillons zu Dresden eine Ansicht des Schlosses<br />
finoc „mit einer flachen Kuppel über dem Gartensaale".
44 Tessin in Deutschland<br />
Wir halten es für wahrscheinlich, daß dieser Plan <strong>der</strong> ursprüngliche<br />
ist, welcher 1694 für den Schloßbau gemacht wurde, und daß<br />
<strong>der</strong>selbe Plan in diesem Jahre zwecks Begutachtung und eventueller<br />
Verbesserungsvorschläge an den schwedischen Architekten gesandt<br />
worden ist. Es war allgemein üblich, in solcher Weise ein großes<br />
Bauunternehmen <strong>der</strong> sachverständigen Kritik einer bedeutenden ausländischen<br />
Autorität zu unterbreiten. Augenscheinlich beschränkte sich<br />
Tessins Auftrag betreffend das Schloß von Charlottenburg ursprünglich<br />
auf diese Begutachtung.<br />
Der schwedische Architekt tat jedoch etwas mehr. Er arbeitete<br />
zwei verbesserte Pläne aus, von welchen wir, wie schon erwähnt, einen<br />
wie<strong>der</strong>gefunden haben (Fig. 7). Dieser trägt folgende, von Tessin geschriebene<br />
Aufschrift: „Plante von Litzenburg bey Berlin, Lusthaus<br />
von Ihro Durchl. <strong>der</strong> Ehurfyrstinnen von Brandenburg". Man beachie<br />
den Titel „Kurfürstin", welcher beweist, daß <strong>der</strong> Plan vor dem<br />
Jahre 1701 entworfen ist. Diesen Plänen gab <strong>der</strong> Künstler ein<br />
Memorial bei, dessen Entwurf zum Glück wie<strong>der</strong>gefunden ist"^).<br />
Er lautet in exten3o:<br />
Mémoire cle3 cleux Plan3 clu l^liatteau<br />
cle I^it^enbourg.<br />
^ Hepre3ente le plan ou le dirancl ^scailler est compris cleclans<br />
le dorps clu I^ogis.<br />
6. ^3t je plan, ou la grancle montée e3t pro^ectee nor3 clu<br />
battiment.<br />
l)an3 le premier l'^rcnitecture avec 3e3 clemie3 dolonne3<br />
lait le tour en c!enor3 et clans le 3econcl en cleclan3, et re3te<br />
presque comm' ell' e3t quo^ qu^a mon aclvi8 le premier paroisteroit<br />
pas 3eulemenr plu3 magnifique par 3a décoration interieure<br />
comm' au38^ par la largeur cle 8e3 marcrle3, mais encore<br />
plu3 commoclc contrc le3 injure3 clu temp3, et pour 3a révélation,<br />
il fauclra mettre un petit Orclre ^ttique au cle38U3 cle la<br />
grancle (Üornicrle, par lequel l'on ne rcnclcra pa3 3eulemerit<br />
l'^3caillcr voûte, mai3 encore trouvera l'on l'cxpeclierit 6e ne<br />
point cau3er äe cletormite aux toiets, clorit le profil tournera<br />
plus ^éclaircissement, quancl on scaura pour le que! cle cleux<br />
plan3 3eroit le plu3 porte.<br />
Dan3 I^un et l'autre cle cleux plan3 mentionne3 il v a cinq<br />
marcne3 a Ia premiere intree, maÎ8 clan3 celluv marque ^ il v<br />
er: a treize aux cieux drancne3, avec cinq marcne3 qui tournent<br />
2i) Nationalmuseum, Stockholm.
Tessin in Deutschland 45<br />
au lieu, qui ail' autre il v en a quattor^e et quattre, outre Ie8<br />
trois marches qui 3e trouvent e^alle3 aux deux plan3 en I^aut<br />
devant la 8alle cornm' au83^ en ba3 au millieu en descendant;<br />
I.'rl3cajIIer ^ e3t éclaire par Ie3 3ept ^rcade3 d'en naut, auxquel3<br />
Ie3 autre3 en dedan3 au33^ bien vi3 a vi3 qu'a co3te<br />
3ont leur 3imrnetrie, l^e premier e3t projette avec 363 Lalluztrade3<br />
et l'autre avec 363 Arille3 de ier.<br />
^ux deux PIan3 j'ax marque a co3te Aaucrie de quelle<br />
maniere le plu3 ai3ement l'on pourroit rendre l'appartement<br />
plu3 logeable par 3a 3uite d'un ^nticnambre, (Üliamdre 6e lict,<br />
Qranä (Üadinet, Qar<strong>der</strong>obbe, et un petit endroit pour un Valet<br />
de cnambre, quo^ que l'on a de la peine a censurer de3 de8-<br />
3ein3 déjà exécutez neantmoin3 l'on ne peut 3'ernpeclier d^<br />
dire, qu'on e3t 3urpri3, de ne pa3 trouver dan3 un de33ein pareil<br />
une 3eule cnarnbre ou le lict pni33e e3tre bien place par la<br />
iaute de3 crieminee3 qu'on a rni3 aux coins, criO3e que l'on ne<br />
voit nul part prattiquer dan8 de beaux battirnent3. (üornme j'ai<br />
nouvellement korrne de3 de33ein3, que l'on pretend de mettre<br />
en oeuvre, et ou pour le rnillieu du corp3 de Io^Î3, l'idée parois<br />
avoir eu apeu pre^ une pareille di3tribution, ain3^ j'a^ cru<br />
qu'il ne 8eroit Kor3 de propO3, d'en joindre de3 (Üopi8 avec<br />
1eur3 ^emoire3, pM8que il3 ont e3te3 kait3 avec plai3ir, et que<br />
toute3 Ie3 partie3 ^ paroi33ent introduite3, qui 3ont requi8e8<br />
pour un Oeconomie entière d'un particulier ou autrement de3<br />
plu3 ample3 3uject3 tourniroient de3 plu3 va3te3 matiere3.<br />
Tessins Hauptzusatz ist. wie man sieht, <strong>der</strong> Anbau eines großartigen<br />
Treppenhauses, das entwe<strong>der</strong>, wie es <strong>der</strong> Plan zeigt, in das<br />
Hauptgebäude eingebaut wird, aber gegen den Hof in einem kräftigen<br />
Risalit vorspringt, o<strong>der</strong> ganz in ein beson<strong>der</strong>es, aus <strong>der</strong> Fassade<br />
heraustretendes Gebäude verlegt wird. Damit wird das Aussehen<br />
<strong>der</strong> Hauptfassade radikal verän<strong>der</strong>t. Im übrigen läßt er die<br />
Architektur, wie sie ist, schlägt aber vor, eine Attika über die Randleiste<br />
zu setzen, gewiß um die 3orm des Daches, die ihm nicht gefiel,<br />
zu verdecken. Er macht, wie man sieht, auch gewisse Vorschläge<br />
für die Anordnung <strong>der</strong> Iimmer und entwirft einen neuen Plan,<br />
wonach an die Stelle <strong>der</strong> von ihm entfernten Treppe ein Appartement<br />
treten soll.<br />
Einige kleine Verän<strong>der</strong>ungen scheinen entsprechend Tessins Kritik<br />
gemacht worden zu sein, denn <strong>der</strong> von Gurlitt abgebildete<br />
Plan^), <strong>der</strong> das Schloß nach dem Aufbau darstellt, hat gewisse<br />
-') a. a. O. S. III. Bilo 26.
46 Tessin in Deutschland<br />
Anordnungen von ihm über die Iimmer befolgt- und tue von Gurliti<br />
gefundene 3assadenzeichnung zeigt die hinzufügung eines Dachgeschosses,<br />
wenn auch nicht in <strong>der</strong> von Tessin gedachten 3orm. Vagegen<br />
sah man bei diesem ersten Bau 1694—96 von Tessins Treppenhaus<br />
ab und folgte statt dessen dem ursprünglichen Plan. Wir<br />
kommen später auf die Baugeschichte des Charlottenburger Schlosses<br />
zurück.<br />
Was uns in Tessins Memorial vielleicht am meisten interessiert,<br />
ist jedoch die Angabe, daß er die Pläne und Beschreibungen eines<br />
schwedischen Schlosses von ähnlichem Typus wie Charlottenburg,<br />
welche er eben angefertigt hatte und die zu dieser Ieit ausgeführt<br />
werden sollten, dem Kurfürsten mitgesandt hat. Es ist nicht schwielig<br />
festzustellen, was hiermit gemeint ist. Es muß das außerordentlich<br />
schöne, <strong>der</strong> Familie Gnllenstierna gehörige Schloß Steninge in<br />
Upland sein, das nach dem Jahre 1694 nach Tessins Plänen gebaut<br />
wurde23). In <strong>der</strong> allgemeinen Anlage des Plans hat es große<br />
Ähnlichkeiten mit Charlottenburg, obgleich die Architektur von<br />
Steninge in einem reineren italienischen Stil durchgeführt ist. Es<br />
ist von höchstem Interesse zu wissen, daß sich also alle Dokumente,<br />
die sich auf Tessins vornehmstes Landschloß beziehen, in den Händen<br />
des Kurfürsten und seiner Architekten befunden haben. Sie<br />
können dort eine Rolle gespielt haben, die freilich nicht ganz leicht<br />
festzustellen ist.<br />
Diese Mitteilungen über Beziehungen zwischen dem kurfürstlichen<br />
Hof in Berlin und dem schwedischen Architekten beweisen<br />
ja, daß Tessin ein angesehener Name war und daß man dort, wenigstens<br />
teilweise, von seinen Werken Kenntnis genommen hatte. Wir<br />
fragen uns jetzt, ob nicht <strong>der</strong> Tessinsche Einfluß weiter gedrungen<br />
ist, als diese mageren Tatsachen zeigen, haben nicht Tessin und<br />
sem Werk um das Jahr 1700 mittelbar eine bedeuten<strong>der</strong>e Rolle<br />
in Berlin und damit auch in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> deutschen Architektur<br />
gespielt?<br />
Als Ausgangspunkt dient uns hier eine vielsagende Angabe in<br />
Nic. Tessins Ireiherrenbrief. <strong>der</strong> am 27. Juli 1699 von Karl XII.<br />
ausgefertigt ist. Denn unter den Verdiensten, die dort hervorgehoben<br />
werden, wird unmittelbar nach Erwähnung des Auftrags<br />
bezüglich eines königlichen Schlosses in Kopenhagen folgendes gesagt:<br />
„außer dem Ersuchen, daß auch <strong>der</strong> Chur-Brandenburger Hof<br />
bei ih:n gemacht hat". Der dänische und <strong>der</strong> brandenburgische Auf-<br />
22) Vgl. Upmark. 3ven3k bx^naä^konzt, Stockholm 1904. S. 171.
Tessin in Deutschland 47<br />
lag sind die einzigen ausländischen, die in diesem 3reiherrenbrief<br />
zenannt werden. Nach diesen Ausdrücken scheint es sich um eine<br />
Leauftragung mit künstlerischen Arbeiten für den Brandenburger<br />
yof vor dem Jahre 1699 zu handeln,- aus den Worten scheint ferner<br />
hervorzugehen, daß Tessin nicht, wie in dem dänischen Falle, die<br />
Möglichkeit hatte, diesen Auftrag anzunehmen. Daß sich die Worte<br />
mf die kleine Arbeit am Charlottenburger Schlosse beziehen, ist nicht<br />
nöglich,- dieses Verdienst war zu gering, um hervorgehoben zu wer-<br />
)en. Es fällt jedoch sogleich in die Augen, worauf sich dieses Eruchen<br />
beziehen konnte, nämlich auf Mitarbeit in irgend welcher<br />
3orm an dem königlichen Schloß in Berlin^).<br />
Wir kennen ja die Rätsel betreffend die Entstehungsgeschichte<br />
)es neuen Schlosses^). Möglicherweise im Jahre 1697, sicher späestens<br />
1698 begann dieser Umbau nach einer einheitlichen, stark<br />
msgeprägten, in Deutschland sehr seltenen römischen Architekturidee.<br />
Andreas Schlüter war wohl während <strong>der</strong> Jahre 1698 und 1699<br />
im Schloßbau angestellt, aber als Bildhauer; als Architekt hatte<br />
!r noch keinerlei Gelegenheit gehabt, seine geniale Begabung zu<br />
zeigen. Erst im herbste 1699 wurde er <strong>der</strong> leitende Architekt des<br />
Schlosses.<br />
Überhaupt fehlt für diese erste Phase des Berliner Schloßbaus<br />
!in bestimmter Architektenname. Es ist jedoch von Gurlitt ausgesprochen<br />
und später als wahrscheinlich wie<strong>der</strong>holt worden, daß<br />
ich schon vor Schlüter irgendwie italienische, und zwar römische<br />
Einflüsse geltend gemacht haben^). Man hat überhaupt in Iuammenhang<br />
mit dem Berliner Schloßbau „einen merkwürdigen<br />
Wandel <strong>der</strong> künstlerischen Stimmung Berlins" hervorgehoben.<br />
Da wir nun das Interesse des Kurfürsten für Teffin und dessen<br />
Arbeiten, wie auch seinen Wunsch, ihn zu verwenden, kennen, ist<br />
!s nicht undenkbar, daß in <strong>der</strong> Tat dieser römische Einfluß in gevissem<br />
Grade von Tessin, d. h. von seinem Stockholmer Schloß, her-<br />
'ührte. Wir haben früher das sukzessive Erbauen dieses Schlosses ervähnt.<br />
Im Jahre 1696 hatte sich Tessin zu einer bedeutend vieleitigeren<br />
Komposition als vorher durchgearbeitet, welche vercknedenartige<br />
Fassaden für alle Seiten hatte, bei <strong>der</strong> aber das<br />
"4) Als eine Parallele kann angeführt werden, daß Tessin schon im Jahre<br />
l679 aufgefor<strong>der</strong>t wurde, bei Karl ll. von England in königlichen Dienst zu<br />
reten.<br />
25) Gurlitt a. a. O. S. 131. — Dehio. Gesch. <strong>der</strong> deutschen Kunst. Ill,<br />
l926. S. 384 u. f.<br />
26) Gurlitt a. a. O.. Dehio a. a. O. S. 385.
48 Tessin in Deutschland<br />
römische Grundthema vorherrschte; 1697 brannten die alten Vurgreste<br />
nie<strong>der</strong>, und in demselben Jahre fertigte <strong>der</strong> Architekt die<br />
endgültigen Entwürfe zu dem Meisterwerk an, das geschaffen wurde.<br />
Kann diese Schloßkomposition, von <strong>der</strong> schon im Jahre 1695<br />
resp. Neujahr 1697 gewisse Teile in Kupfer gestochen waren, dem<br />
Kurfürsten bekannt gewesen sein? Ganz gewiß! Denn wenn auch<br />
Tessin selbst nicht in <strong>der</strong> Lage war, dem ehrenvollen Auftrag des<br />
Kurfürsten zu folgen, so konnte er jemand an<strong>der</strong>s an seiner Stelle<br />
senden, um sein Werk zu zeigen und seine Auffassung zu verbreiten.<br />
In <strong>der</strong> Tat findet sich ein Vermittler zwischen Tessin und dem<br />
Brandenburger Hof, ein Schüler Tessins, <strong>der</strong> gerade im Jahre 1698<br />
nach mehreren Lehrjahren bei dem schwedischen Architekten bei dem<br />
Kurfürsten angestellt wurde — Johann 3riedrich Eosan<strong>der</strong> von<br />
Göthe. Ich halte es für zweifellos, daß Eosan<strong>der</strong> auf die Empfehlung<br />
Tesfins hin seine deutsche Anstellung erhielt.<br />
Eosan<strong>der</strong>, im Jahre 1670 im schwedischen Livland geboren, hatte<br />
schol im Jahre 1686 als „Lehrkondukteur" in schwedischem Dienst<br />
in Riga seine Laufbahn begonnen,- im Jahre 1690 bewarb er sich,<br />
jedoch ohne Erfolg, bei dem schwedischen König um ein Neisestipendium<br />
und wurde 1692 zum schwedischen Baukondukteur ernannt^).<br />
Im Jahre 1698 erhielt er seinen Abschied aus diesem Dienste. Er<br />
war also zu <strong>der</strong> Zeit, als Tessin administrativ und künstlerisch das<br />
schwedische Kunstleben beherrschte und fieberhaft an seinem großen<br />
Stockholmer Schloß baute, ein junger schwedischer Baukünstler.<br />
Er wird auch als ein direkter Schüler von Tessin angesehen^),<br />
und es ist selbstverständlich, daß dessen Baukunst für die ganze<br />
künstlerische Tätigkeit Eosan<strong>der</strong>s entscheidend werden sollte. Die<br />
Ecsan<strong>der</strong>sche Architektur, die man ja als eine vielleicht zu programmmäßige<br />
und eklektische Kunst betrachtet hat, ist in außerordentlichem<br />
Grade durch Tessin bedingt, wofür wir sogleich einige Belege geben<br />
werden.<br />
Wenn wir die Tätigkeit Eosan<strong>der</strong>s in Deutschland verfolgen,<br />
bemerken wir jedoch nicht nur. daß er von Tessin beeinflußt war,<br />
27) Dokumente in I^ikzarkivet, Stockholm, ^ilitaria und<br />
turet; Lebensbeschreibung in <strong>der</strong> neuen Auflage von l^orci. k^Imiljebok. Die<br />
Angaben etwas abweichend von denen bei Thieme-Becker und an<strong>der</strong>swo, wo<br />
man die Meinung findet, daß Eosan<strong>der</strong> schon im Jahre 1692 in den Brandenburger<br />
Dienst getreten ist. Siehe z. V. Wackernagel. Bauk. d. 17. u. 18.<br />
Jahrh.. 1915. S. 119.<br />
2«) Z. B. Nic. ^ezgin 6. v:3 studieree, S. 272. — Gurlitt. Gesch. des<br />
Barockstiles. 1889, S. 408, 378.
Tessin in Deutschland 49<br />
son<strong>der</strong>n auch, daß er fortwährend mit ihm in Verbindung gestanden<br />
hoben muß. Seine erste große Arbeit galt dem Schloß Nie<strong>der</strong>-<br />
Schönhausen außerhalb Berlins, wo er 1699 seine Tätigkeit begann29).<br />
Im Jahre 170N aber erhielt er für Dekorationsarbeiten<br />
an diesem Schlosse den ausgezeichneten französischen Bildhauer<br />
Rene Chauveau, <strong>der</strong> seit 1693 unter Tessin als eine <strong>der</strong> hervorragendsten<br />
Kräfte an dem Stockholmer Schloß gearbeitet hatte und<br />
nun im Jahre 170N nach Frankreich zurückkehrte. Daß Chauveau<br />
auf seiner Rückreise als Mitarbeiter bei Eosan<strong>der</strong> blieb, beruhte<br />
gewiß auf Tessins Vermittlung. Außerdem besuchte Eosan<strong>der</strong> 1703<br />
in einem beson<strong>der</strong>en Auftrage Stockholm^).<br />
Eosan<strong>der</strong>, <strong>der</strong> schon 1699 Brandenburger Hofarchitekt geworden<br />
war und 17N2 zum ersten Baudirektor ernannt wurde, war vom<br />
Anfang an das „Orakel" <strong>der</strong> Kurfürstin, „an welches sie sich in<br />
allen Baufragen wendete". Er war es auch, <strong>der</strong> den Auftrag erhielt,<br />
ihr kleines Lustschloß Eharlottenburg auszubauen, womit jedoch<br />
erst nach ihrem Tode 1705 begonnen worden zu sein scheint^),<br />
hier arbeitete er unverkennbar im Stile Tessins. Erstens greift er<br />
auf dessen Entwurf von 1694 zurück und führt nach <strong>der</strong> hoffeite zu<br />
ein kräftiges Avantcorps auf. Freilich ließ er hier keinen Platz für<br />
die Treppe, die auf ihrem alten Platz blieb, son<strong>der</strong>n legte hier statt<br />
dessen eine stattliche runde Vorhalle an. Aber <strong>der</strong> architektonische<br />
Typus <strong>der</strong> Hoffassade selbst wurde ja hiermit ziemlich genau nach<br />
Tessins Vorschlag durchgeführt und kam übrigens dadurch dem von<br />
diesem erbauten Schloß Steninge ganz nahe. Der bedeutendste Beitrag<br />
von Eosan<strong>der</strong> ist jedoch <strong>der</strong> gewaltige Ausbau <strong>der</strong> ganzen<br />
Schloßanlage, <strong>der</strong> dem Schloß an <strong>der</strong> Gartenseite seinen imposanten<br />
Charakter verlieh(3ig. 8). Es ist ein kolossales Horizontalgebäude, teils<br />
durch den alten mittleren Teil, teils auch durch vier vorspringende,<br />
durch Pilaster eingeteilte Risalite akzentuiert. Die Einzelheiten<br />
stimmen hier stark mit denen überein, die Tessin an seinen Echlohbauten<br />
verwendet hat. Man vergleiche z. B. die Risalite mit den<br />
Giebelfeiten am Ostflügel des Stockholmer Schlosses. Aber auch<br />
die ganze originelle Anordnung erinnert sehr an gewisse Lustschloßentwürfe<br />
des schwedischen Architekten. Wir zeigen hier die Skizze<br />
eines solchen Tessinfchen Lustschlosses, die freilich nie ausgeführt wurde<br />
2s) Bergau, Inventar <strong>der</strong> Vau- und Kunstdenkmäler in <strong>der</strong> Provinz<br />
Brandenburg. 1885, S. 693.<br />
20) Lami, vict. des sculpteurs 3OU5 le re^ne äe I^ouis XIV.<br />
21) Nist. liäskriit 1896.<br />
22) Nach Wackernagel a. a. O. S. 160. schon 1701.
50 Tessin in Deutschland<br />
(Fig. 9). Ein Vergleich dürste uns überzeugen, daß Eosan<strong>der</strong> in<br />
Tessins Geist arbeitet, wenn man auch keineswegs sagen kann, daß<br />
er einem bestimmten einzelnen Vorbilde seines Meisters gefolgt sei.<br />
Wie hoch Eosan<strong>der</strong> Tessins Hauptwerk, das Stockholmer Schloß,<br />
einschätzte, kommt auch in <strong>der</strong> Besprechung zum Ausdruck, die<br />
diesem in dem erwiesenermaßen von Eosan<strong>der</strong> stark beeinflußten<br />
Theatrum Europäum seines Schwiegervaters Merian gewidmet<br />
wird33). Hier wird im Jahre 170? hervorgehoben, durch das Stockholmer<br />
Schloß werde gezeigt, „daß die Simplicität in <strong>der</strong> Architektur<br />
für eine majestätische Pracht zu schätzen sei" und weiter: „Man<br />
stehet an diesem prächtigen Gebäude gar keine verkröpften Pilaster,<br />
noch Kolonnen, noch 3rontspice, aber dahingegen fällt die ganze<br />
Ordonnance und ihre Schönheit mit eins in's Gesicht." Diese<br />
Charakteristik bezieht sich aber auf die nördliche Hauptfassade wie<br />
auf die ganze Masse des Baus, die eben die hier erwähnten Eigenschaften<br />
besitzen. Die übrigen Fassaden dagegen waren, spätestens<br />
im Jahre 1696, mit wahrer Pracht komponiert und mit großartigen<br />
Kolonnen- und Pilasteraufstellungen geschmückt worden, was<br />
Eosan<strong>der</strong> unmöglich unbekannt gewesen sein kann, da er ja z. B.<br />
im Jahre 1700 mit dem eben von dem Stockholmer Schloß angelangten<br />
Chauveau zusammen arbeitet und 17(13 Stockholm besucht<br />
hat. Es ist zwar richtig, die „Simplicität" als die architektonische<br />
Grundidee des Stockholmer Schlosses zu bezeichnen- trotzdem hat<br />
es schon früh in seiner wechselnden Architektur auch an<strong>der</strong>e, nach<br />
Barockpracht strebende Ideen mit größtem Nachdruck zur Geltung<br />
kommen lassen.<br />
Nachdem wir jetzt, freilich allzu summarisch, Eosan<strong>der</strong>s Beziehungen<br />
zu Tessin und seinen engen Anschluß an dessen Kunst<br />
geschil<strong>der</strong>t haben, dürfte man es für gewiß halten, daß er den Kurfürsten<br />
über den wachsenden Stockholmer Schloßbau, sowohl über<br />
die fertigen wie über die erst entworfenen Teile, so vollständig wie<br />
möglich unterrichtet hat. Das Gegenteil wäre fast undenkbar: daß<br />
sich <strong>der</strong> Kurfürst, als er sich an den Bau seines eigenen Schlosses<br />
machte, nicht bei seinem neuen schwedischen Architekten so genau<br />
wie möglich nach dem mächtigen Schlosse erkundigt hätte, das<br />
Karl Xll. unter <strong>der</strong> Leitung des Meisters, dem <strong>der</strong> Kurfürst offenbar<br />
schon Vertrauen und Wertschätzung entgegenbrachte, in <strong>der</strong><br />
Hauptstadt Schwedens erbauen ließ. Gurlitt^) hat auch hervor-<br />
Vgl. Gurlitt a. a. O. S. 43.<br />
Gurlitt, Gesch. d. Barockstiles. S. 374.
Tessin in Deutschland 51<br />
gehoben, daß „ein merkwürdiger Wandel <strong>der</strong> künstlerischen Stimmung<br />
Berlins" stattfand, „seit kurz nach einan<strong>der</strong> zwei namhafte<br />
nordische Künstler angestellt wurden: Schlüter und Eosan<strong>der</strong>". Wir<br />
unsererseits haben hier den Eosan<strong>der</strong>schen, d. h. den Tessinschen<br />
Einfluß beson<strong>der</strong>s betonen wollen.<br />
Wie dieser Einfluß auf den Berliner Schloßbau im einzelnen<br />
gewirkt hat, läßt sich freilich schwer sagen. Soviel aber dürfte ganz<br />
sicher sein, daß während <strong>der</strong> ersten Bauzeit, vor Schlüter, für die<br />
kein führen<strong>der</strong> Architektenname bekannt ist und in <strong>der</strong> „irgendwie<br />
italienische, und zwar römische Einflüsse sich geltend gemacht haben",<br />
dieser römische Einfluß in wesentlichem Grade von dem Stockholmer<br />
Schlosse, dem römischsten aller Neubauten des damaligen Europa,<br />
gekommen ist^).<br />
Und auch was den weiteren Bau des Berliner Schlosses anlangt,<br />
von dem man gesagt hat, daß es „einem altertümlich gewaltigen Barockstile<br />
angehört, den um 1700 kein an<strong>der</strong>es Land kannte"3^ dürfte<br />
man Grund haben, die Bedeutung, die das Stockholmer Schloß möglicherweise<br />
für das in Berlin gehabt hat, im Auge zu behalten. Es<br />
würde viel zu weit führen, hier eine Son<strong>der</strong>untersuchung anzustellen.<br />
Wir wollen nur auf die Verwandtschaft <strong>der</strong> Komposition des viereckigen<br />
inneren Schlüterhofes mit <strong>der</strong> des Stockholmer Burghofes<br />
hindeuten, sowie ferner auch darauf, wie nahe <strong>der</strong> Schlütersche<br />
Mittelrisalit vor dem Haupttreppenhaus <strong>der</strong> südlichen, triumphbogenähnlichen<br />
Einfahrt des Stockholmer Schlosses steht- diese<br />
ist schon im Jahre 1697 nach dem System komponiert worden^<br />
nach dem sie später, allerdings in vergrößerter 3orm, ausgeführt<br />
wurde. Es ist gewiß nicht meine Abficht, die Einflüfse zu bestreiten,<br />
die Schlüter von an<strong>der</strong>er Seite erfahren hat und die von<br />
mehreren Autoren beleuchtet worden sind^). Noch weniger soll die<br />
originale, plastische Kraft, die Schlüter eigen war, irgendwie herabgesetzt<br />
werden. Sollte es aber nicht natürlich erscheinen, daß sich<br />
<strong>der</strong> geniale Bildhauer, als er plötzlich mit dem größten Bauunternehmen<br />
beauftragt wurde, gern auf die durchgearbeitete, sachverständige,<br />
hoch kultivierte Architektur seines nordischen Zeitgenossen<br />
stützte — um sich schließlich von ihr freizumachen?<br />
Was die von Eosan<strong>der</strong> fortgesetzte Schloßarbeit betrifft, dürfte<br />
nach dem, was jetzt gezeigt worden ist, das Problem noch klarer<br />
25) Wackernagel a. a. O. S. 161 nennt das Stockholmer Schloß „ein in<br />
<strong>der</strong> Anlage nahe verwandter Vorläufer <strong>der</strong> Berliner Residenz".<br />
26) W. Pinoer. Deutscher Barock. S. XVI.<br />
37) Iuletzt von Hermann Schmitz, Preußische Kö'nigsschlö'sser.
52 Tessin in Deutschland<br />
sein. Sein Beitrag trug ja keinen sehr persönlichen Charakter,- aber<br />
man vergleiche den von ihm stammenden gewaltigen westlichen Portalbau<br />
und seine stattliche Treppenkomposition mit entsprechenden<br />
Teilen des Stockholmer Schlosses. Man wird von den Übereinstimmungen<br />
betroffen sein^).<br />
In <strong>der</strong> Kunstgeschichte Europas steht Nicodemus Tessin d. I.<br />
als <strong>der</strong> Künstler da, <strong>der</strong> mit größtem Nachdruck den sowohl strengen<br />
als prachtliebenden römischen Barockstil durchzuführen suchte, beson<strong>der</strong>s<br />
in <strong>der</strong> Gestalt, die er durch Lorenzo Bernini erhalten hatte.<br />
Bernini selbst war ja in den sechziger Jahren des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
in Frankreich geschlagen worden,- infolgedessen verließ im<br />
großen und ganzen die europäische Baukunst feine Bahnen und<br />
wurde von französischem Geschmack abhängig. Tessin aber suchte<br />
diese Entwicklung mit aller Kraft zu hemmen. 3ür dieses Streben<br />
ist seine Tätigkeit in Schweden, in erster Linie das Stockholmer<br />
Schloß, <strong>der</strong> stärkste Ausdruck. Aber sein Einfluß drang weiter, und<br />
am Anfang des achtzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts suchte er sogar, allerdings<br />
ohne Erfolg, einen neuen römischen Vorstoß gegen Paris zu machen.<br />
Dagegen gelang es ihm, diese römische Welle über Dänemark und<br />
wahrscheinlich, wenn auch mehr stellenweise, über einige norddeutsche<br />
Provinzen zu treiben. In den letzten Jahren des siebzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
endlich hat dieser römische Einfluß Brandenburg und<br />
Berlin erreicht. Er wurde dort gewiß von vielen verschiedenen<br />
Kräften ins Leben gerufen. Einer dieser Antriebe aber dürfte mit<br />
Sicherheit aus dem Norden, von dem Sohn des Stralsun<strong>der</strong> Geschlechtes<br />
gekommen sein.<br />
3s) Eosan<strong>der</strong> war übrigens nicht <strong>der</strong> einzige von den Schülern Tessins.<br />
<strong>der</strong> in Deutschland gearbeitet hat. Schon im Jahre 1689 lieferte <strong>der</strong> Halbbru<strong>der</strong><br />
Tessins, Abr. Wijnand, einen Entwurf für eine Turmspitze <strong>der</strong> Domkirche<br />
in Bremen. — 0verintenäenten8 8krivel3er. k^. — Es verdient weiter<br />
erwähnt Zu werden, daß sein sehr getreuer Schüler Göran Iosna Törnqoist.<br />
geadelt Adelcrantz, auf seiner Reise durch Deutschland 1704 in Zweibrücken<br />
Halt machte, um, wie er selbst an seinen Meister schreibt, „ein Bedenken und<br />
ein Dessein von dem verfallenen Schloß Zu machen, das in <strong>der</strong> Stadt Iweybrücken<br />
jetzt nötig ist zu verbessern". — Brief 27. 10. 1704. Tessinsche Sammlung.<br />
RA.
Stralsund<br />
und die Franzburger Kapitulation.<br />
Vorgeschichte <strong>der</strong> Belagerung von 1628.<br />
Von<br />
0. Dr. Martin Wehrmann.
Vorbemerkung.<br />
Die nachfolgende übersichtliche, kurze Darstellung <strong>der</strong> Vorgeschichte<br />
<strong>der</strong> Belagerung Stralsunds von 1628, die bis zur Besetzung<br />
des Dänholm geführt ist, beruht zum Teil auf Akten des herzoglichen<br />
Wolgaster Archives (im Staatsarchive zu Stettin) und auf<br />
Schriftstücken des Ratsarchives zu Stralsund. Von <strong>der</strong> Literatur<br />
über die Belagerung, die recht umfangreich ist, ist nur das benutzt,<br />
was wirklichen Wert hat. Vor allem durfte ich mit gütiger Erlaubnis<br />
des Verfassers gebrauchen E. Adlers Darstellung <strong>der</strong><br />
Vorgänge, die vor kurzem in dem „Stralsun<strong>der</strong> Tageblatte" (1927,<br />
Nr. 263, 273. 290. 304; 1928. Nr. 24) erschienen ist. Dort ist<br />
alles ausführlich geschil<strong>der</strong>t worden, beson<strong>der</strong>s auch unter Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> örtlichen Ereignisse. Dagegen habe ich versucht, mehr<br />
die allgemeinen Verhältnisse darzustellen. Sonst sind in <strong>der</strong> hauptsalbe<br />
noch folgende Arbeiten benutzt worden:<br />
O. Iock, Riigensch-Pommersche Geschichten. Band VI. Leipzig 1872.<br />
3. Adler, Aus Stralsunds Vergangenheit. <strong>Greifswald</strong> 1922. 1923.<br />
G. PH. A. Neu dur, Beytrag Zu <strong>der</strong> Geschichte des dreißigjährigen Krieges,<br />
soviel insbeson<strong>der</strong>e das HerZogthum Pommern betrifft. Leipzig und Stral-<br />
sund 1772.<br />
Gründlicher, warhaffter vnnd kurtzer Bericht von <strong>der</strong> Hänse Stadt Stralsund,<br />
<strong>der</strong> Heubtstadt in Pommern, wie Anno 1627 die Einquartierung daselbst<br />
begehret usw. Stralsundt 1631.<br />
G. Zrmer, Hans Georg von Arnim. Leipzig 1894.<br />
M. Bär, Die Politik Pommerns während des dreißigjährigen Krieges.<br />
Leipzig 1896.<br />
H. M ack, Die Hanse und die Belagerung Stralsunds im Jahre 1628. Hansische<br />
Geschichtsblätter 1892, S. 123—155.<br />
M. Spähn, Auswärtige Politik und innere Lage des Herzogtums Pommern<br />
von 1627—1630 in ihrem Zusammenhange. Historisches Jahrbuch<br />
1898, S. 57—88.<br />
I G. L. Koseg arten, Das friedländische Kriegsvolk in <strong>Greifswald</strong>.<br />
<strong>Baltische</strong> <strong>Studien</strong> XV. 1. S. 1—136.
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
Die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren scheinbar<br />
für Pommern eine glückliche Ieit. Seit lange hatten Kriegswirren<br />
das Land nicht berührt, von den an<strong>der</strong>swo herrschenden Religionsstreitigkeiten<br />
merkte man hier, wo das strenge Luthertum zum Siege<br />
durchgedrungen war, nur wenig. In den beiden Teilen regierten<br />
Fürsten, die ohne Zweifel tüchtiger und begabter waren als die<br />
meisten Glie<strong>der</strong> des alten Greifengeschlechtes, ja geistiges Leben erweckten<br />
und begünstigten, wie es noch nie im Lande am Meere geschehen<br />
war. Man denke nur an Philipp II. von Stettin, von<br />
dessen Hofe wir manche Schil<strong>der</strong>ungen, wie z. B. von Philipp<br />
hainhofer, befitzen, o<strong>der</strong> an Philipp Julius von Wolgast, einen<br />
ficherlich regen und tätigen Fürsten! Aber trotz des äußeren Scheines<br />
waren die Zustände im Lande durchaus nicht gefund und glücklich.<br />
Im Innern herrschten Streit und Unfrieden zwifchen <strong>der</strong><br />
Regierung und einzelnen Städten, die z. B. in Stettin und Stralfund<br />
zu harten Kämpfen führten. Die Finanzwirtfchaft war beson<strong>der</strong>s<br />
im Herzogtum Wolgast gänzlich in Unordnung, und Handel<br />
o<strong>der</strong> Verkehr waren schon lange nicht mehr auf <strong>der</strong> höhe. Die<br />
Verhältnisse auf dem Lande waren gerade jetzt in einer Umgestaltung<br />
infolge <strong>der</strong> neuen Bauernordnung von 1616. Auch dadurch<br />
wurde manche Unzufriedenheit erregt und <strong>der</strong> Gegenfatz <strong>der</strong> Stände<br />
nur noch verschärft. Diefe tat sich, wie es scheint, kund in einem<br />
erschreckenden Aberglauben, <strong>der</strong> fast eine Geistesverwirrung verrät.<br />
Die Furcht vor hererei und Zauberei zeigt sich in den wi<strong>der</strong>lichsten<br />
Gerichtsverfahren, die Chronisten jener Ieit, wie Eosmus von<br />
Simmer, Daniel Cramer o<strong>der</strong> Johannes Mikraelius, verzeichnen<br />
immerfort Wun<strong>der</strong>zeichen am Himmel o<strong>der</strong> auf Erden, aus denen<br />
sie das Nahen furchtbarer Zeiten lesen zu können glauben. Es liegt<br />
eine dumpfe Stimmung über dem damaligen Gefchlecht, das gegenüber<br />
früheren Generationen alt und fast teilnahmlos geworden zu<br />
sein scheint, hatte man nicht recht, das Schlimmste zu befürchten<br />
und zu meinen, daß alle die dunklen Ahnungen in Erfüllung gehen<br />
würden, als man erlebte, wie die Glie<strong>der</strong> des alten herrfcherhaufes<br />
in erschreckend kurzer Ieit einer nach dem an<strong>der</strong>en, in <strong>der</strong> Blüte<br />
<strong>der</strong> Jahre ins Grab sanken? War doch 1625 nur noch ein Sproß<br />
vorhanden, und auch Bogislaw XIV. hatte keine Nachkommen. Was<br />
sollte werden, wenn er ebenfalls starb? Sollte dann wirklich die alte<br />
Abmachung über das Erbe <strong>der</strong> pommerschen herzöge in Kraft treten
56 Stralsund und die 3ranzburger Kapitulation.<br />
und sollten die lutherischen Pommern unter die Herrschaft <strong>der</strong> an<br />
sich schon von ihnen wenig geachteten Hohenzollern kommen, <strong>der</strong>en<br />
Haupt eben erst zur reformierten Kirche übergetreten war? Solche<br />
Besorgnis und die daraus erwachsende Stimmung <strong>der</strong> leitenden<br />
Kreise kann vielleicht etwas das Verhalten erklären, ja entschuldigen,<br />
das sie zeigten, als die Anzeichen nahenden Kriegssturmes<br />
erschienen.<br />
Das geschah bereits im Sommer 1618. Am 16. Juli dieses<br />
Jahres erließ Herzog Philipp Julius von Wolgast ein Ausschreiben,<br />
in dem er Ritterschaft und Städte auffor<strong>der</strong>te, sich um die nötigen<br />
Vorbereitungen für einen drohenden Krieg, um Anwerbung von<br />
Knechten und Befestigungen zu kümmern, denn „aus mehr denn<br />
einem Orte kommt glaubwürdiger Bericht ein, welchergestalt von<br />
Tage zu Tage je länger, je mehr geschwinde und gefährliche Anschläge<br />
und Praktiken hin und wie<strong>der</strong> in und außerhalb des heiligen<br />
Reiches deutscher Nation lei<strong>der</strong> sich ereignen sollen". Damit<br />
beginnen die schon wie<strong>der</strong>holt geschil<strong>der</strong>ten Versuche, auch Pommern<br />
für die Abwehr ungebetener Gäste zu rüsten, Versuche, die immer<br />
wie<strong>der</strong> gemacht wurden, aber fast stets ohne einen Erfolg blieben.<br />
Was war <strong>der</strong> Grund hierfür? Zunächst und vor allem die Schwäche<br />
<strong>der</strong> beiden Regierungen, die auch bestehen blieben, als die beiden<br />
Teile und das Bistum Kammin 1625 unter <strong>der</strong> Herrschaft eines<br />
3msten vereinigt wurden. Man brachte es damals nicht fertig,<br />
die Regierung und Verwaltung zu vereinigen und dadurch nicht nur<br />
die Leitung <strong>der</strong> Geschäfte einheitlich zu gestalten, son<strong>der</strong>n auch erhebliche<br />
Kosten zu ersparen, was bei <strong>der</strong> elenden Finanzlage dringend<br />
nötig gewesen wäre. Denn diese ließ auch keine Maßregeln<br />
zu, die etwa die Wehrhaftigkeit des Landes heben konnten. Man<br />
hielt an <strong>der</strong> längst veralteten Wehrverfafsung, <strong>der</strong> Lehnsfolge, fest,<br />
bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> 3ürst im wesentlichen auf die Leistungen des dazu verpflichteten<br />
Adels und <strong>der</strong> Städte angewiesen war. Um eine größere<br />
Zahl von Söldnern anzuwerben, dazu fehlte es immer wie<strong>der</strong> an<br />
dem nötigen Gelde. So kam, wie gesagt, trotz aller Verordnungen<br />
und Aufgebote nichts Rechtes zustande, und wenn man zur Sicherung<br />
<strong>der</strong> Grenzen einmal einige Knechte angenommen hatte, bald<br />
verliefen sie sich o<strong>der</strong> mußten entlassen werden, weil man den Sold<br />
nicht zahlen konnte. Wenn so die Landesregierung trotz aller schönen<br />
Werte von <strong>der</strong> Rettung und dem Schutze des „lieben Vaterlandes"<br />
nichts Ernstliches tat, da kann man sich nicht wun<strong>der</strong>n, daß Ritterschaft<br />
und Städte über einige Ansätze nicht herauskamen. Auch<br />
wiegte man sich anfangs in Sicherheit- was gingen Pommern die
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 57<br />
böhmischen Unruhen, <strong>der</strong> Pfälzer Krieg, die Bünde <strong>der</strong> Union und<br />
<strong>der</strong> Liga an? Es ist dem damaligen Geschlechte kaum ein Vorwurf<br />
daraus zu machen, daß es ihm an Verständnis für die Bedeutung<br />
des Kampfes <strong>der</strong> Habsburger fehlte. Man schätzte hier wie an<strong>der</strong>swo<br />
Neutralität über alles, dachte aber nicht daran, daß eine folche<br />
nur zu bewahren war, wenn man gerüstet war. Es hätten freilich<br />
<strong>der</strong> Herzog und feine Räte aus <strong>der</strong> Gefchichte des Landes lernen<br />
können, was bei dem Schmalkaldifchen Kriege in <strong>der</strong> Mitte des<br />
vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts durch folche Neutralität herausgekommen war,<br />
aber fie waren keine großen Staatsmänner, und ihre Politik war<br />
ebenfo kläglich wie die ihrer Vorfahren o<strong>der</strong> Vorgänger. Es bewahrheitete<br />
sich schon damals das fpätere Urteil Friedrichs des<br />
Grcßen: „Die Pommern geben wohl gute Offiziere, vortreffliche<br />
Soldaten ab, manche leisten im Finanzfache ziemlich gute Dienste,<br />
aber vergebens würde man aus ihnen politische Unterhändler machen<br />
wollen."<br />
Die Sache wurde jedoch allmählich immer ernster und dringen<strong>der</strong>,<br />
seitdem <strong>der</strong> Krieg weitere Ausdehnung nahm und Nie<strong>der</strong>fachfen<br />
sowie Dänemark in seine Kreise zog. Jetzt gestaltete sich die Lage<br />
Pommerns recht gefährlich. Im Osten lag <strong>der</strong> König Gustav Adolf<br />
von Schweden fchon lange im Kriege mit Polen, im Westen näherten<br />
sich zuerst die Scharen des Grafen Ernst von Mansfeld, dann<br />
die Wallensteinischen Truppen, und auch König Christian von<br />
Dänemark richtete fein Augenmerk auf das Land am Meere. Warnungen<br />
und Mahnungen kamen von allen Seiten, aus Sachfen und<br />
Brandenburg, vom Kaiser Ferdinand, den Königen Gustav Adolf<br />
und Christian, hier und da for<strong>der</strong>te man Durchmarfch von Truppen<br />
und drohte fogar, ihn mit Gewalt zu erzwingen. Da herrschte<br />
große Ratlosigkeit am Hofe des Herzoges, aber schließlich beschloß<br />
man stets, streng an <strong>der</strong> Neutralität festzuhalten, auch wenn es nur<br />
dmch Gefchenke möglich war, Führer frem<strong>der</strong> Heere vom Durchmarsche<br />
abzuhalten. Immer wie<strong>der</strong> wurden Versuche gemacht, Land<br />
und Städte in Verteidigungszustand zu versetzen und ein pommersches<br />
Heer zu schaffen. Doch was nützten alle folche Anfätze? Man<br />
kam über die Bildung eines Kriegsrates, <strong>der</strong> fich vergebliche Mühe<br />
um die Befferung <strong>der</strong> Zustände gab, o<strong>der</strong> über eine feierlich in Szene<br />
gesetzte Besichtigung <strong>der</strong> mecklenburgisch-pommerschen Grenze und<br />
<strong>der</strong> vorpommerschen Küste im Jahre 1626 nicht heraus. Daß diese<br />
zwar manche Anregung mit sich brachte, aber im Grunde an den<br />
dortigen recht üblen Zuständen nichts än<strong>der</strong>te, kann uns schon nicht<br />
mehr verwun<strong>der</strong>lich erscheinen. Es fehlte nicht nur an den Mitteln
58 Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
und Kräften, son<strong>der</strong>n auch an dem guten Willen <strong>der</strong> Beteiligten,<br />
und es blieb im Grunde alles beim Alten, wie es so oft in Pommern<br />
geschah.<br />
Das Unglück kam schneller heran, als man erwartet hatte. In<br />
Mecklenburg, wo infolge <strong>der</strong> Unentschlossenheit und des Wankelmutes<br />
<strong>der</strong> Herzöge sowie <strong>der</strong> Uneinigkeit <strong>der</strong> Stände ähnliche Zustände<br />
herrschten wie in Pommern, waren nach <strong>der</strong> Schlacht bei<br />
Lutter (am 27. August 1626) dänische Truppen eingedrungen, und<br />
bald rückten Tillnsche Scharen nach. Ihnen folgten im Juli 1627<br />
Regimenter des Wallensteinischen Heeres, und am 6. August besetzte<br />
<strong>der</strong> Oberst Hans Georg von Arnim die Stadt Neubrandenbmg.<br />
So standen kaiserliche Truppen unmittelbar an <strong>der</strong> pommerschen<br />
Grenze. In dem bedrohten Lande erkannte man jetzt wohl<br />
die Gefahr und begann von neuem Verhandlungen auf den Landtagen<br />
und in den Regierungen. Drei Mächte lichteten mehr als bisher<br />
ihr Augenmerk auf Pommern, die kaiserliche, die von Dänemark<br />
und Schweden. Vom Kaiser gingen Warnungen ein, die<br />
auf Bogislaw großen Eindruck machten, und doch wollte auch er<br />
von einer Unterstützung gegen die auswärtigen Mächte nichts wissen,<br />
obwohl sie angeboten wurde mit dem Versprechen, das Land mit<br />
unnötiger und beschwerlicher Einquartierung wi<strong>der</strong> des Herzogs<br />
Willen o<strong>der</strong> auf allen äußersten Notfall nicht zu beschweren. Davor<br />
fürchtete man sich ganz beson<strong>der</strong>s, da ja zur Genüge bekannt war,<br />
was eine solche Besetzung, auch wenn sie angeblich zur Sicherung<br />
des Landes geschah, für dieses bedeutete. Um sie mit Gewalt abzuwehren,<br />
bedurfte man einer Heeresmacht zur Sicherung <strong>der</strong> Pässe<br />
an den Grenzen. So viel davon auch geredet wurde, kam doch<br />
eigentlich so gut wie nichts zustande, da verhängnisvoll alle Gemüter<br />
das Wort des Kanzlers Horn beherrschte: „Nicht zu viel,<br />
nichj zu wenig!" Was bedeutete bei solchem Grundsätze <strong>der</strong> äußersten<br />
Vorsicht die Meinung einiger verständiger Männer, die im Juli<br />
1627 dringend die Anwerbung von 3ußknechten und Reitern, die<br />
Verwahrung <strong>der</strong> Grenzen und die Weigerung, fremdes Volk aufzunehmen,<br />
for<strong>der</strong>ten? Von dem Gedanken <strong>der</strong> Neutralität waren<br />
de^ Herzog und seine Räte vollständig befangen, verhandelten unaufhörlich<br />
darüber und wechselten Briefe o<strong>der</strong> schickten Gesandte<br />
hier- und dahin, ohne auch nur das Geringste gegenüber den Plänen<br />
<strong>der</strong> fremden Führer, namentlich Wallensteins, zu erreichen.<br />
Denn dieser wußte schon lange, was er wollte. Die Erwerbung<br />
Mecklenburgs hatte er wohl bereits im Sinne, und die Beherrschung<br />
<strong>der</strong> Ostseeküste erschien ihm durchaus notwendig, wenn er an Däne-
Stralsund und die 3ranzburger Kapitulation. 59<br />
mark, dessen König schon lange im Kriege mit <strong>der</strong> kaiserlichen<br />
Macht lag, o<strong>der</strong> an Schweden dachte, dessen König ebenfalls in<br />
einen starken Gegensatz zu jener getreten war. Von ihm drohte, wie<br />
Wallenstein klar erkannte, ihm und seinen Absichten die größte Gefahr<br />
Deshalb mußte er Pommern, das ja Gustav Adolf selbst<br />
einmal eine Bastion für Schweden nannte, und vor allem die<br />
dortigen Seehäfen in feiner Macht haben. Daß er daneben auch<br />
Mecklenburg, das er fchon als feinen Besitz anfah, durch Verlegung<br />
von Truppen in das Nachbarland fchonen wollte, mag bei feinem<br />
Entschlüsse mitgesprochen haben. Deshalb gab er im herbst 1627<br />
seinem Oberst von Arnim den Befehl, Pommern im Auge zu behalten,<br />
für einige Regimenter dort Quartiere zu fuchen und vor<br />
allem sich <strong>der</strong> Häfen zu bemächtigen. Dem General und seinem<br />
Oberst konnte sicher die schwache Haltung <strong>der</strong> pommerschen Negierung<br />
den Anschlag auf das Land nicht irgend wie gefährlich erscheinen<br />
lassen, und wenn etwa Arnim ein wenig Mitleid mit Pommern<br />
hatte, zu dem er in mancherlei Beziehungen stand, fo mußte<br />
das hinter dem Befehl feines Generals zurücktreten.<br />
So erfüllte sich unabwendbar das Geschick, und bei den letzten<br />
Verhandlungen spielten <strong>der</strong> Herzog und seine Räte eine unsagbar<br />
klägliche Rolle. Gewiß waren sie keine Verräter, wie sie wohl bisweilen<br />
genannt worden sind, aber es fehlte ihnen an jeglichem Verständniffe<br />
für die Ieitlage und für die Folgen <strong>der</strong> unglückseligen<br />
Politik, die sie getrieben hatten. Freilich ist zu ihrer Entschuldigung<br />
zu sagen, daß sie die Unterlafsungsfünden <strong>der</strong> früheren Zeiten zu<br />
büßen hatten. Die Eigenfucht. die weite Kreise in Stadt und Land<br />
beherrschte, das Fehlen eines Vaterlandsgefühles, soweit man ein<br />
solches in dieser Zeit for<strong>der</strong>n kann, <strong>der</strong> Philistergeist, <strong>der</strong> über das<br />
engste Interessengebiet nicht hinauszusehen verstand, rächten sich jetzt<br />
in Pommern wie in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n.<br />
Die letzten Vorgänge sind oft geschil<strong>der</strong>t worden, so daß es kaum<br />
nötig erscheint, sie hier ausführlich darzustellen, zumal da fie eigentlich<br />
ohne Bedeutung sind und auch nichts Neues für unser Verständnis<br />
beitragen. Denn seitdem Arnim die For<strong>der</strong>ung Wallensteins,<br />
daß Regimenter nach Pommern verlegt werden müßten, <strong>der</strong> pommerschen<br />
Regierung mitgeteilt hatte, war es klar, daß ein Wi<strong>der</strong>stand<br />
unmöglich war. Es galt nur noch zu versuchen, möglichst günstige<br />
Bedingungen zu erreichen, unter denen die Aufnahme erfolgen<br />
mußte. Herzog Bogiflaw hielt sich Ende Oktober in Franzburg<br />
auf. Daß er gerade in diesen Tagen zufällig dort an <strong>der</strong><br />
Grenze weilte, ist nicht glaublich, er wird sich wohl auf den Rat
60 Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
seiner Diener dorthin begeben haben, um durch persönliches Eingreifen<br />
noch zu retten, was zu retten war. Aber war <strong>der</strong> gutmütige,<br />
schwache Fürst, arm an geistiger Begabung, ohne Wille und Tatkraft,<br />
wohl geeignet o<strong>der</strong> fähig, irgend einen Einfluß auf den Lauf<br />
<strong>der</strong> Verhandlungen gegenüber den Offizieren eines Wallenstein auszuüben?<br />
Die Hoffnung, die man noch auf Arnim vielleicht gefetzt<br />
hotte, schwand dahin, als <strong>der</strong> an ihn geschickte Hofrat von Eickstedt,<br />
<strong>der</strong> mit ihm verwandt war, die Meldung zurückbrachte, das Einrücken<br />
<strong>der</strong> kaiserlichen Regimenter stehe unmittelbar bevor. Um<br />
wenigstens noch eine Abmachung über die Einquartierung zustande<br />
zu bringen, wurden sofort die in <strong>der</strong> Nähe wohnenden Vertreter <strong>der</strong><br />
Stände herbeigerufen, ein Landtag ward nach Wolgast ausgeschrieben.<br />
Aber alles war zu spät, die Gesandten Arnims, <strong>der</strong> Oberstleutnant<br />
Bindhof und <strong>der</strong> Oberst Götze, ja Arnim selbst, <strong>der</strong> auf die Bitte<br />
des Herzogs erschien, konnten nur immer wie<strong>der</strong> auf die unbedingte<br />
For<strong>der</strong>ung des Generals, zehn Regimenter in Pommern einrücken<br />
zu lassen, hinweisen und höchstens einige Tage Aufschub gewähren.<br />
Was hatte es jetzt noch für einen Zweck, eine Gesandtschaft an<br />
Wallenstein zu senden und ihm zur Abwendung <strong>der</strong> Einquartierung<br />
eine Summe Geldes anzubieten? Die Verhandlungen kamen am<br />
10. November (a. St.) zum Abschlüsse, und die viel genannte<br />
Kapitulation lieferte das Land den fremden Scharen aus. Man<br />
wahrte in dem Vertrage nicht einmal den Schein, als habe <strong>der</strong> Herzog,<br />
dessen Devotion und aufrichtige deutsche Treue gegen den Kaiser<br />
rühmend hervorgehoben wird, ihn freiwillig o<strong>der</strong> selbständig abgeschlossen,<br />
son<strong>der</strong>n es heißt, er habe die Einquartierung nur auf<br />
hottes, inständiges Drängen, d. h. gezwungen, zugelassen. Dabei<br />
wird dem Landesfürsten seine volle Souveränität mit allen Rechten<br />
und Freiheiten für die Dauer <strong>der</strong> Einquartierung feierlich garantiert,<br />
vor allem natürlich auch <strong>der</strong> Religionsfrieden. Es hat nicht<br />
viel Zweck, die einzelnen Punkte, die in den 35 Paragraphen festgesetzt<br />
sind, hier durchzusprechen, weil ja alle diese Vorsichtsmahregeln<br />
doch nichts genützt haben und die Bestimmungen nicht eingeholten<br />
worden sind. Die nachfolgende Zeit ist einfach über den Vertrag<br />
hinweggegangen, und bald hat man nicht mehr danach gefragt,<br />
das kaiserliche Heer war Herr im Lande und blieb es, bis<br />
es von einem an<strong>der</strong>en mit Gewalt daraus vertrieben wurde. 3ür<br />
diese Darstellung genügt es, auf folgende Bestimmung hinzuweisen:<br />
„§ 4. Daß S. 3. G. die Direction, Anordnung und Anweisung <strong>der</strong><br />
Quartiere also, wie es nun rechtmäßig befunden, frei bleibe und<br />
darein von niemand eingegriffen werde."
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 61<br />
Wie ist Stralsund an dem Abschlüsse dieses unglücklichen<br />
Beitrages beteiligt? Sehen wir nach den vorhandenen Nachrichten<br />
llicht alles im klaren Lichte, so können wir doch im großen den<br />
Gang <strong>der</strong> Ereignisse verfolgen. In Stralsund, das damals immer<br />
noch wohl die bedeutendste Stadt Pommerns, sicher sein größter Seehafen<br />
war, schenkte man den Vorgängen im Westen und den bedrohlichen<br />
Anzeichen mehr Beachtung als vielleicht in an<strong>der</strong>en Orten.<br />
Lag die Stadt doch auch nicht allzu ferne von <strong>der</strong> mecklenburgischen<br />
Grenze und hatte ebenfalls vom Meere aus ein Eingreifen namentlich<br />
Dänemarks zu befürchten. Das allmähliche Vordringen <strong>der</strong><br />
Habsburgischen Macht bis an die Küste mußte auch hier Besorgnis<br />
erregen. Wir hören deshalb auch einiges von Vorbereitungen und<br />
Beschlüssen des Rates, die Stadt zu sichern. Für die Befestigung<br />
hatte man auch schon früher etwas getan o<strong>der</strong> zu tun versucht, wie<br />
z. B. 1586 eine haussteuer zu ihrer Verbesserung ausgeschrieben<br />
wurde. Im März 1626 beschloß <strong>der</strong> Rat, „von den Landbegüterten<br />
zur Reparation <strong>der</strong> Festungswerke, weil sie tempore belli sich mit<br />
in die Stadt retirieren, eine Steuer zu erheben". Im Juni „wollte",<br />
so heißt es, „die Stadt 100 Soldaten annehmen", aber schon die<br />
Form dieser Nachricht läßt es zweifelhaft, ob das tatsächlich geschah.<br />
Es ist auch nachzuweisen, daß 1627 an <strong>der</strong> Mauer gebaut worden,<br />
aber wie<strong>der</strong>um erhebt sich die Frage, ob die Arbeit mit dem nötigen<br />
Nachdrucke getrieben wurde. Daß wir hier einigen Zweifel hegen<br />
dürfen, ist jedem klar, <strong>der</strong> an die vorhin kurz geschil<strong>der</strong>ten Verhältnisse<br />
im übrigen Pommern denkt. Noch weniger Erfolg mögen die<br />
verschiedenen Erlasse und Schreiben des Herzogs in <strong>der</strong> Stadt gemacht<br />
haben, die trotz allem, was vorausgegangen war, immer noch<br />
an <strong>der</strong> früheren Selbständigkeit festhalten zu können glaubte. Die<br />
recht entschieden klingenden Ratsbeschlüsse vom 24. Oktober kamen<br />
reichlich spät. So war, wie es scheint, die Stadt schließlich auch<br />
wenig vorbereitet auf einen Wi<strong>der</strong>stand gegen ein gewaltsames Eindringen<br />
feindlicher Scharen, und vor allem herrschte, wie wir noch<br />
sehen werden, in manchen Kreisen des Rates o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bürgerschaft<br />
wenig Neigung für gewaltsame Abwehr o<strong>der</strong> Bereitschaft und für diesen<br />
Zweck Geld und Blut zu opfern. Dies erkannte auch <strong>der</strong> leitende<br />
Bürgermeister Dr. Lambert Steinwich, <strong>der</strong> einsichtsvollste und verständigste<br />
Mann, <strong>der</strong> damals in Stralsunds Mauern weilte. Er<br />
sah ein. daß er durch Verhandlungen Zeit gewinnen mußte, um die<br />
Stadt vor <strong>der</strong> unmittelbar drohenden Gefahr zu retten. Deshalb<br />
ging er auch auf die Einladung des Herzogs nach Franzburg und<br />
gab sich dort die größte Mühe, die Einquartierung von Stralsund
62 Stralsund und die Irangburger Kapitulation.<br />
abzuwehren, die nach dem Schreiben des Herzogs vom 4. Novembel<br />
nicht mehr „zu verbitten sei, zumal das Volk schon bei Damgarten<br />
liege uNd dannenhero wohl die höchste Notwendigkeit erfor<strong>der</strong>n<br />
werde, mit ihnen eine gewisse Kapitulation aufzurichten, da an<strong>der</strong>?<br />
das Volk nicht mit großer Unordnung einbrechen solle". Bei den<br />
Verhandlungen in 3ranzburg erkannten Steinwich und sein Amtsgenosse<br />
Quilow bald, welchen Wert Arnim auf Befehl seines Generales<br />
gerade auf die Besetzung Stralsunds legte, und sie mußten die<br />
Hoffnung aufgeben, unter den Städten, die nach dem Vertrage von<br />
<strong>der</strong> Einquartierung verschont bleiben sollten, auch den Namen ihrel<br />
Stadt zu finden. Allein die fürstlichen Residenz-Häuser und -Städtc<br />
— genannt werden Stettin, Wolgast. Köslin und Damm (dies woh!<br />
als befestigter Brückenkopf für Stettin) — sollten nach § 5 freibleiben.<br />
Einen Weg, an den die Vertreter sicher auch schon gedacht<br />
haben werden, zeigte ihnen Arnim selbst, indem er sie auf das Verhalten<br />
von Rostock verwies: Diese Stadt habe sich durch die Iahluno<br />
von löOMl) Talern von <strong>der</strong> Einquartierung losgekauft.<br />
„Darauf wir", so berichteten die Abgeordneten an den Rat, „mi<<br />
Dank acceptieret, daß die Einquartierung verbleiben könne, was<br />
aber die Conditiones anlange, haben wir die Ungleichheit zwischen<br />
Rostock und uns sowohl wegen <strong>der</strong> allhier beobachteten kaiserlichen<br />
Devotion, als auch in an<strong>der</strong>e Wege angezeigt und ein ansehnlich<br />
Ringeres, etwa 100 000 Ntlr. geboten." Die Verhandlungen dei<br />
Stralsun<strong>der</strong> mit Arnim erregten bei <strong>der</strong> Regierung und den Landständen<br />
große Entrüstung, weil man darin eine Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong><br />
früher selbständig betriebenen Politik <strong>der</strong> Stadt sah, die vor etwa<br />
10 Jahren vom Landesfürsten zum Abschlüsse des Erbvertrages gezwungen<br />
worden war und in ihm sich zur Zahlung <strong>der</strong> Reichs- und<br />
an<strong>der</strong>en Steuern gleich den Mitständen verpflichtet hatte. Nun<br />
fürchtete man, sie wolle sich dieser Pflicht entziehen und von <strong>der</strong><br />
Kontribution, die für die Einquartierung ausgeschrieben werden<br />
mußte, frei machen. Der Oberst wies zwar die Vorwürfe, die ihm<br />
weger <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>verhandlungen gemacht wurden, scharf zurück, gab<br />
aber den Stralsun<strong>der</strong>n auf ihr Gebot keine bestimmte Antwort.<br />
Es wurde bald klar, daß es ihm gar nicht ernst sein konnte mit<br />
einer Befreiung <strong>der</strong> Stadt von <strong>der</strong> Besetzung, denn Wallenstein<br />
mußte ja gerade auf diese beson<strong>der</strong>en Wert legen, wenn er eine 3estsctung<br />
<strong>der</strong> Dänen o<strong>der</strong> Schweden an <strong>der</strong> Küste verhin<strong>der</strong>n wollte.<br />
Die Stralsünde werden das wohl erkannt haben, daß we<strong>der</strong> das<br />
Versprechen Arnims noch das des Herzogs sie genügend schützen<br />
tmrde, aber, um Ieit zu gewinnen, suchten sie nach beiden Seiten
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 63<br />
sich zu sichern und die Verhandlungen fortzusetzen. An dem Tage,<br />
an dem die Kapitulation von Bogislaw und Arnim unterzeichnet<br />
ward, erboten sie sich diesem gegenüber zur Zahlung einer Summe,<br />
die sie freilich unter 100 000 herabzusetzen baten, zugleich aber<br />
schlössen sie mit dem Herzoge einen Vergleich. Dieser versprach, „die<br />
2tadt Stralsund wi<strong>der</strong> Einquartierung <strong>der</strong> kaiserlichen Armee zu<br />
oerbitten", wobei man wohl an den oben angeführten § 4 <strong>der</strong> Kapitulation<br />
dachte. Dagegen sagte die Stadt zu, ihren Anteil an <strong>der</strong><br />
notwendigen Kontribution, über die <strong>der</strong> nächstkünftige Landtag zu<br />
Wolgast entscheiden solle, zu zahlen. Diesen Vergleich sandte man<br />
dem Obersten zu, erhielt aber bei einer mündlichen Aussprache<br />
von ihm die wenig befriedigende Erklärung, das Angebot und <strong>der</strong><br />
Vertrag „müßten zu des Herrn Generals Ratification gestellt werden".<br />
Daher wird <strong>der</strong> Bericht, den die Deputierten zuerst schriftlich,<br />
dann nach ihrer Rückkehr mündlich abstatteten, nicht gerade<br />
dos Gefühl <strong>der</strong> Sicherheit erregt haben, zumal da man alsbald erlebte,<br />
wie nach dem sofort erfolgenden Einrücken <strong>der</strong> Regimenter<br />
kaiserliche Scharen das Gebiet <strong>der</strong> Stadt berührten und sie in<br />
weitem Umkreise fast von allen Seiten umstellten, wenn auch scheinbar<br />
noch ohne feindliche Absichten. Aber die starke Belegung Rügens<br />
mit Truppen war nicht nur sehr unbequem, son<strong>der</strong>n ließ auch nichts<br />
Gutes vermuten. Es wurde immer deutlicher, daß es Wallenstein<br />
vor allem auf die Besetzung <strong>der</strong> Küste ankam, wie er ja auch in<br />
seinem Schreiben an Arnim vom 14. November befahl, alle Meerha'len<br />
in Pommern — es sollten 24 sein — zu besetzen, alle Schiffe<br />
anzuhalten und die Ausfuhr von Getreide zu verhin<strong>der</strong>n. Solche<br />
Mahnungen ergingen jetzt öfter, ja die Aufmerksamkeit des Generals<br />
richtete sich immer mehr auf die Stadt am Sunde, die noch dazu<br />
sich <strong>der</strong> Kapitulation nicht einfach fügen zu wollen schien.<br />
Doch zunächst hatten die Stralsun<strong>der</strong> einen Kampf mit den<br />
eigenen Landsleuten zu bestehen, mit den Mitständen, die <strong>der</strong> Stadt<br />
gar wenig freundlich gesinnt waren. Auf den 19. November war<br />
<strong>der</strong> Landtag nach Wolgast ausgeschrieben, zu dem drei Vertreter<br />
Stralsünde, unter ihnen wie<strong>der</strong> Steinwich, sich begaben. Der Besuch<br />
war ziemlich schwach, denn viele vom Adel schrieben wegen <strong>der</strong> gefährlichen<br />
Ieit und des drohenden Durchzuges ab. Die Verhandlungen<br />
über die wichtigste Vorlage <strong>der</strong> Regierung, die allgemeine<br />
Landessteuer für den Unterhalt des fremden Volkes auf sechs Monate,<br />
sind sehr wenig erheben<strong>der</strong> Art. Mochte <strong>der</strong> Kanzler Horn<br />
auch von dem großen Unglücke, das wie eine 3lut das Vaterland<br />
überschwemme, mit beweglichen Worten sprechen, es dachte doch im
64 Stralsund und die IranZburger Kapitulation.<br />
Grunde ein je<strong>der</strong> nur an sich o<strong>der</strong> seinen Geldbeutel, und das lange<br />
Feilschen um die Umlage macht einen recht wenig erfreulichen Eindruck.<br />
Es wurde von <strong>der</strong> Regierung eine Vermögenssteuer von 2o/o<br />
gefor<strong>der</strong>t, Stralsund wollte aber nur höchstens ein Zwölftel <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Landessteuer zahlen, und zwar nur, wenn zugesichert<br />
würde, daß die Stadt vor je<strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung von feiten <strong>der</strong> Kaiserlichen<br />
ficher fein solle. Nicht einmal unter den auf dem Landtage<br />
vertretenen Städten bestand Einigkeit- die kleineren sahen mit Neid<br />
auf Stralsund und for<strong>der</strong>ten, es muffe „nicht allein gleich den an<strong>der</strong>en<br />
contribuieren, fon<strong>der</strong>n darüber, weil es mit <strong>der</strong> Einquartierung<br />
beschont bleibe, eine gewiffe Summe geben". Die Vertreter <strong>der</strong><br />
Stadt hatten es gegenüber <strong>der</strong> Regierung und den an<strong>der</strong>en Ständen<br />
nicht leicht, fie mußten Drohungen und Schmähungen über sich<br />
ergehen lassen, so daß Steinwich sich bei den fürstlichen Räten bitter<br />
beklagte, „es sei in öffentlichem Rate hochmütige und doch unverschuldete<br />
Rede wi<strong>der</strong> seine Person gefallen, <strong>der</strong>en er und weniger<br />
diejenigen, welche ihn geschickt, würdig und welche sich in keine<br />
Wege geziemen". Ja, er wurde schließlich mit Gewalt in Wolgast<br />
festgehalten, als Deputierte <strong>der</strong> Stände nach Stralsund gingen, um<br />
in seiner Abwesenheit mit dem Rate und <strong>der</strong> Bürgerschaft zu verhandeln-<br />
man sah also wohl mit Recht in ihm den Führer <strong>der</strong><br />
städtischen Opposition. Sie erhielten dort zunächst nur allgemeine<br />
Redensarten: „Man wolle das Vaterland nicht in Stich lassen, bitte<br />
aber <strong>der</strong> Stadt Privilegien nicht zu verletzen." Am 2. Dezember<br />
aber bekamen die in Wolgast zurückgebliebenen Vertreter in einer<br />
neuen Instruktion die Ermächtigung, „in den gemeinen Pfennig<br />
(die zweiprozentige Steuer) zu willigen", aber unbedingt eine Zusicherung<br />
zu for<strong>der</strong>n, daß die Stadt jedenfalls mit Besetzung verschont<br />
bleibe. „Wir müssen auch nunmehr von I. F. G. und <strong>der</strong><br />
Landschaft <strong>der</strong> Einquartierung halber ferner und über Franzburgifchen<br />
Revers gesichert sein." So kam dann <strong>der</strong> Beschluß wegen <strong>der</strong><br />
Kontribution zustande- welchen Erfolg das Ausschreiben hatte, ist<br />
hier nicht darzustellen, aber je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> die damaligen Zustände in<br />
Pommern einigermaßen kennt, wird es sich denken können. Daß<br />
das Mißtrauen Steinwichs gegenüber <strong>der</strong> schwachen Regierung wohl<br />
begründet war, wurde nur zu bald klar.<br />
Wie wenig sicher man sich trotz aller Abmachungen in Stralsund<br />
fühlte, zeigen nicht nur die fortgesetzten Rüstungen und Vorbereitungen<br />
zu einer Abwehr, die wohl beson<strong>der</strong>s Steinwich betrieb,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Versuch, die Hanse für die Frage zu interessieren.<br />
Man hatte zwar fchon länger kein rechtes Vertrauen zu dem Bunde.
Stralsund und die Franzburger Kapitulation. 65<br />
denn bereits 1591 erwog <strong>der</strong> Rat, „ob <strong>der</strong> hanseatische Bund wegen<br />
<strong>der</strong> vielen Contributions von <strong>der</strong> Stadt zu continuieren sei". Er<br />
beschloß aber, daß man sich von <strong>der</strong> Hanse nicht trennen wolle. Auf<br />
dem Lübecker Tage <strong>der</strong> wendischen Städte, <strong>der</strong> im Anfang Dezember<br />
zusammentrat, stellte Stralsund mit Rostock und Wismar, die sich<br />
in ähnlicher Lage befanden, den Antrag, es sollte eine Gesandtschaft<br />
an den Kaiser geschickt werden. Obwohl die meisten Städte, auch<br />
Lübeck, dafür stimmten, kam die Gesandtschaft damals nicht zustande.<br />
Lag das an <strong>der</strong> Schwäche <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> hansischen Politik<br />
o<strong>der</strong> an dem noch mangelnden Verständnis für das, was für die<br />
Seestädte auf dem Spiele stand? Daß <strong>der</strong> Kaiser an Wallensteins<br />
Entschlüsse irgend etwas än<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> <strong>der</strong> General sich von seinem<br />
wohl überlegten Plane abbringen lassen werde, war freilich nicht<br />
zu erwarten. Denn immer deutlicher trat doch hervor, er wolle die<br />
Stadt haben, weil er zu verhin<strong>der</strong>n entschlossen war, daß <strong>der</strong> Dänenkönig<br />
sich dort festsetze.<br />
In Stralsund fuhr man, während die kaiserlichen Truppen<br />
die Umgebung immer mehr besetzten und beson<strong>der</strong>s Rügen mit<br />
Fußsoldaten und Reitern belegt wurde, mit den Vorbereitungen für<br />
eine kriegerische Abwehr fort. Denn es kamen fortwährend Nachrichten,<br />
wie sich die Besatzung im Lande, auch auf städtischen Besitzungen,<br />
verhielt und überall großen Schaden anrichtete. Es war<br />
bald klar, daß die Bestimmungen des 3ranzburger Vertrages schon<br />
nicht mehr beachtet wurden. Da erschien am 3. Dezember ein Offizier<br />
in Stralsund und überbrachte die For<strong>der</strong>ungen des Obersten<br />
Gcetze, <strong>der</strong> Rat solle den Durchzug von 1000 Reitern durch die<br />
Stadt nach Rügen gestatten. Zunächst suchte <strong>der</strong> Rat die Sache ein<br />
wenig hinzuhalten, dann aber lehnte er zusammen mit den Hun<strong>der</strong>tmännern<br />
die For<strong>der</strong>ung ab. Es wurde aber ein Ratsherr an den<br />
Obersten gesandt, um mit ihm über die Angelegenheit zu verhandeln.<br />
Dabei stellte es sich heraus, daß es sich im Grunde nur um einen<br />
Vet such handelte, von <strong>der</strong> Stadt Geld zu erpressen und „Geschenke"<br />
zu erhalten. Im Rate einigte man sich, ohne die hun<strong>der</strong>tmänner<br />
zu <strong>der</strong> Beratung heranzuziehen, dahin, den Offizieren solche Geschenke,<br />
freilich in geringerer höhe, als sie verlangt hatten, zu bewilligen<br />
und den Soldaten Brot, Fleisch und Bier zu liefern. Durch<br />
diese Zugeständnisse wehrte man für jetzt noch ein Eindringen feindlicher<br />
Truppen ab, doch die bedenkliche Lage wurde immer deutlicher.<br />
Es ging nicht an, daß die Stadt mit den einzelnen Offizieren<br />
verhandelte, es galt endlich, eine bestimmte Zusage vom General<br />
zu erhalten, daß sie von Einquartierung unbedingt frei bleiben
66 Stralsund und die 3ranzburger Kapitulation.<br />
werde. Von <strong>der</strong> herzoglichen Regierung war, wie man längst wußte,<br />
eine solche Zusicherung nicht zu erwarten o<strong>der</strong>, wenn sie gegeben<br />
wurde, ohne irgend welchen Wert. Auch machte sich, wie es scheint,<br />
unter <strong>der</strong> Bürgerschaft o<strong>der</strong> ihren Vertretern, den Hun<strong>der</strong>tmännern,<br />
eine Mißstimmung über das fortgesetzte Verhandeln und die Nachgiebigkeit,<br />
die wie<strong>der</strong>holt bewiesen war, geltend, die für die Stadt<br />
gefährlich werden konnte. Deshalb beschloß <strong>der</strong> Rat am 7. Dezember,<br />
an Wallenstein zu schreiben und ihn um die Zusage zu<br />
bitten, daß die Stadt „von <strong>der</strong> Einquartierung und aller Gefahr<br />
versichert, auch die Kriegsleute von <strong>der</strong> Stadt und <strong>der</strong> Bürger<br />
Gütern, fo viel immer möglich, abgeführt werden mögen". Ob man<br />
sich einen Erfolg von dieser Bitte versprach, muß sehr zweifelhaft<br />
erscheinen, o<strong>der</strong> hatte <strong>der</strong> Rat noch nicht erkannt, daß <strong>der</strong> General<br />
auf jeden 3all die Stadt am Sunde in seine Gewalt bekommen<br />
wollte? Er sollte bald belehrt werden, daß die Sache immer ernster<br />
wurde.<br />
Am 14. Dezember traf <strong>der</strong> Oberst von Sparr mit großem Gefolge<br />
in Stralsund ein und stellte in recht schroffer 3orm die For<strong>der</strong>ung,<br />
Vertreter des Rates sollten sofort vor ihm erscheinen, da er<br />
Aufträge von dem Kaiser und dem Herzoge von Friedland zu überbringen<br />
habe. Anfänglich zögerte <strong>der</strong> Rat, solchem Befehle zu<br />
folgen, dann aber begaben sich drei Mitglie<strong>der</strong> in seine Herberge.<br />
Dort wurden ihnen wie<strong>der</strong> in sehr bestimmter Weise drei For<strong>der</strong>ungen<br />
mitgeteilt: 1. Es sollen keine Schiffe aus dem Hafen auslaufen,<br />
angeblich, weil durch sie <strong>der</strong> Abschluß des nahe bevorstehenden<br />
Friedens gehin<strong>der</strong>t werden könne. Daß in Wirklichkeit diese<br />
nur zurückgehalten werden sollten, damit sie im nächsten Frühjahr<br />
zum Kriege gegen Dänemark verwendet werden könnten, unterliegt<br />
keinem Zweifel. 2. Salz darf nicht ausgeführt werden. 3. Stralsund<br />
soll, wenn es von "Einquartierung frei sein will, allmählich<br />
150 00N Taler, sofort aber 50 000 zahlen. Um <strong>der</strong> Botschaft die<br />
Form eines Ultimatums zu geben, wurde sogleich gedroht, es würde<br />
eine hinziehende Behandlung <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung als Ablehnung angesehen<br />
werden, und es würden sofort etwa 7000 Mann, die bereits<br />
im Anmärsche seien, in die Stadt einrücken. Diese energische<br />
Sprache machte natürlich großen Eindruck in <strong>der</strong> Stadt, aber bei<br />
den folgenden Verhandlungen, die zwischen dem Obersten, dem Rate<br />
und <strong>der</strong> Bürgerschaft gepflogen wurden, zeigte es fich doch, daß es<br />
mit dem Ultimatum nicht ganz so schlimm war, wie es anfänglich<br />
klang. Die beiden ersten For<strong>der</strong>ungen wurden angenommen, „so<br />
viel die Commercien erleiden könnten". Wegen <strong>der</strong> Zahlung wurde
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 67<br />
weiter verhandelt, und wenn Sparr bisweilen wie<strong>der</strong> recht schroff<br />
auftrat, fo ließen sich die Stralfun<strong>der</strong> doch nicht ohne weiteres einschüchtern.<br />
Der Rat berichtete am 16. Dezember an den Herzog,<br />
berief fich auf die Abmachung in Franzburg und bat um Rat, wie<br />
?r fich in diefer Sache verhalten folle. Aber ehe noch ein solchem<br />
eingehen konnte, kam es zu einer vorläufigen Einigung. Nachdem<br />
3parr den Vorfchlag einer Zahlung von 15 ONO Talern, die unter<br />
^stimmten Bedingungen erfolgen follte, entschieden abgelehnt hatte,<br />
versprach am 18. <strong>der</strong> Rat, es follten innerhalb acht Tagen vorläufig<br />
30N00 Taler gezahlt werden gegen die Zusicherung Arnims und<br />
Wallensteins, die Stadt von <strong>der</strong> Einquartierung frei zu laffen. Danit<br />
war Sparr zunächst zufrieden, und <strong>der</strong> Rat beschloß sogleich, eine<br />
Deputation nach Prenzlau zu Arnim zu schicken. Seine nächste,<br />
recht schwierige Aufgabe aber war es, die versprochene Geldsumme<br />
aufzubringen; es wurde im Einvernehmen mit den Vertretern <strong>der</strong><br />
Bürgerschaft eine allgemeine Vermögensabgabe angeordnet und sofort<br />
bekannt gemacht. Es foll nach dem Ratsbeschlusse „1 Gulden<br />
)on 50 nebst einer Capitationssteuer erhoben werden, von <strong>der</strong> nienand,<br />
auch fremde Leute, das Ministerium (d. h. die Geistlichkeit),<br />
Abwesende, so possediert gewesen, nicht eximiert werden". Diese<br />
chwere Last wurde willig getragen, ja die Alterleute des Gewand-<br />
Mses erklärten sich bereit, ihr halbes Silber zum gemeinen Besten<br />
mszuliefern, was <strong>der</strong> Rat am 27. Dezember annahm. Dagegen erloben<br />
die Geistlichen gegen die wie<strong>der</strong>holten Beschlüsse, daß auch sie<br />
;um Schoß und zur Steuer herangezogen werden sollten, lebhafesten<br />
Wi<strong>der</strong>spruch, zum Teil unter den seltsamsten, aus <strong>der</strong> heiligen<br />
3chrift herangezogenen Gründen. Die Regierung wußte auf das<br />
^lageschreiben Stralsünde nichts weiteres zu tun, als dies an Arnim<br />
iU schicken und ziemlich unwürdig über eine Verletzung des Franzmrger<br />
Vertrages zu klagen. Es drückt sich aber in diesem kläglichen<br />
3chriftstücke weniger <strong>der</strong> Wunfch aus, Stralsund zu helfen, als die<br />
Lesorgnis, daß dieses, wenn es an Arnim eine Summe zahle, nicht<br />
>u <strong>der</strong> Landes-Kontribution beitragen werde. Man sieht, wie überlll<br />
das Geld die erste Rolle spielt und dabei je<strong>der</strong> gewinnen will.<br />
3en Bürgern <strong>der</strong> bedrohten Stadt kann man es nur hoch anrechnen,<br />
>aß sie damals zu Opfern bereit waren, als niemand ihnen wirkliche<br />
')ilfe leisten wollte o<strong>der</strong> konnte.<br />
Den nach Prenzlau abgeordneten drei Vertretern des Rates<br />
lnd <strong>der</strong> Bürgerschaft wurde eine Instruktion erteilt, nach <strong>der</strong> sie in<br />
verbindlicher 3orm die Zahlung <strong>der</strong> 3(1 NNO Taler ankündigen, aber<br />
ugleich die Bitte vortragen sollten, man möge es dabei belassen
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
o<strong>der</strong> höchstens bis auf 80 000 gehen, da Stralsund, wie ausführlil<br />
dargestellt wird, nicht das leisten könne, was Rostock leiste. Ferm<br />
sollten sie unter allen Umständen die oft gefor<strong>der</strong>te Versicherun<br />
wi<strong>der</strong> Einquartierung und Durchzüge verlangen. Die Verhandlunge<br />
zogen sich länger als eine Woche hin. Arnim zeigte sich ziemlic<br />
freundlich und entgegenkommend- wenn er auch infolge <strong>der</strong> Vor<br />
schriften seines Generals zunächst auf seiner For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> große<br />
Geldsumme bestehen mußte, so lehnte er doch nicht unbeding<br />
eine Besprechung ab, sich mit 100 000 Talern begnügen zu wollen<br />
Die Deputierten waren jedoch an ihre Instruktion gebunden un<br />
konnten deshalb den Vorschlag nicht ohne weiteres annehmen, zuma<br />
da auch <strong>der</strong> Oberst eine ganz bestimmte Erklärung über den voi<br />
Wallenstein erbetenen Garantieschein zu geben nicht imstande war<br />
So endete die Verhandlung in Prenzlau im Grunde ergebnislos<br />
und die Lage <strong>der</strong> Stadt war immer noch ungeklärt. Bisher wm<br />
durch das Nachgeben nichts erreicht, ja es schien, als wenn dadurä<br />
die Ansprüche <strong>der</strong> kaiserlichen Führer nur gesteigert wurden. Dem<br />
sie stellten gegen Ende Dezember immer neue For<strong>der</strong>ungen füi<br />
ihre Personen o<strong>der</strong> ihre Soldaten,- die freigebige Stadt, so meinter<br />
sie, werde alles zahlen und leisten. Sie mußte sich aber immer mehi<br />
zurückhalten, wollte sie sich nicht <strong>der</strong> Mittel zum Wi<strong>der</strong>stände berauben.<br />
Bisher war durch die Nachgiebigkeit nichts erreicht worden,<br />
die Stadt stand noch immer zwischen <strong>der</strong> Landesregierung und<br />
Wallenstein ohne eine feste Zusicherung ihrer Neutralität. Man<br />
hatte Opfer gebracht, aber keine sichere Erklärung erhalten, daß<br />
die Stadt von <strong>der</strong> Einquartierung frei und die Landessteuer zu<br />
zahlen nicht verpflichtet sein werde. Es ist daher erklärlich, daß<br />
sich allmählich in <strong>der</strong> Bürgerschaft eine gewisse Unzufriedenheit mit<br />
<strong>der</strong> vom Rate getriebenen erfolglosen Politik geltend machte. Es<br />
wurde bereits von einer Friedens- und einer Kriegspartei gesprochen.<br />
Für Steinwichs Gedanken, die scheinbar darauf gingen,<br />
alle Feindseligkeiten möglichst hinauszuschieben, damit die Stadt<br />
sich für den Wi<strong>der</strong>stand rüsten und vorbereiten könne, fehlte wohl<br />
das rechte Verständnis in <strong>der</strong> Bürgerschaft sowohl, als vielleicht<br />
auch bei Natsmitglie<strong>der</strong>n. Die einen wünschten friedliche Verhandlungen<br />
bis aufs Äußerste, die an<strong>der</strong>en möglichst bald eine Entscheidung<br />
mit den Waffen. Als Führer dieser Partei trat wohl immer<br />
mehr <strong>der</strong> aus den früheren Streitigkeiten zwischen Herzog und Stadt<br />
wohlbekannte Iusquinus von Gosen hervor, ein sehr begabter, aber<br />
unruhiger und leidenschaftlicher Mann, <strong>der</strong> ein geborener Führer<br />
des Volkes gewesen zu sein scheint, obwohl er dessen Wankelmut
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 69<br />
und Unbeständigkeit bereits erfahren hatte. Er gewann nach und<br />
nach gerade während <strong>der</strong> Belagerung mehr Einfluß als <strong>der</strong> Bürgerworthalter<br />
Iustinianus Koch, <strong>der</strong> weit gemäßigter war als jener.<br />
Seinem Temperamente nach trat er fllr Entscheidung mit den<br />
Waffen ein. Der leitende Bürgermeister Lambert Tteinwich war dagegen,<br />
wie schon gesagt wurde, dafür, zu verhandeln, solange es möglich<br />
war und eine kriegerische Lösung <strong>der</strong> Frage hinauszuschieben.<br />
Er war jedoch nicht ein Mann, <strong>der</strong> in jedem Falle eine solche<br />
vermeiden und etwa aus Feigheit o<strong>der</strong> Bedenklichkeit immer wie<strong>der</strong><br />
nachgeben wollte. Wahrscheinlich sah <strong>der</strong> kluge Mann weiter als<br />
irgend ein an<strong>der</strong>er und erkannte, daß es sich bei diesem Kampfe nicht<br />
nur um die Herrschaft habsburgs an <strong>der</strong> Küste <strong>der</strong> Ostsee, son<strong>der</strong>n<br />
viel mehr um den Bestand des Protestantismus in Deutschland handelte.<br />
Denn ihm war aus seiner Heimat Düsseldorf <strong>der</strong> Gegensatz<br />
<strong>der</strong> Konfessionen sehr wohl bekannt. So ward dieser Mann, den<br />
die Stadt schon 1619 so hoch geschätzt hatte, daß von ihm gesagt<br />
ward, „es könne ihr kein größer Übel o<strong>der</strong> Unheil wi<strong>der</strong>fahren als<br />
wenn ihr diejenige Person sollte entzogen werden, welche nächst Gott<br />
ein vornehmes Stück ihres hilf- und Notstandes sei", in Wahrheit<br />
bereits bei den Verhandlungen vor <strong>der</strong> Belagerung „eine Säule<br />
dieser Gemeinde". Seine Persönlichkeit tritt freilich jetzt und später<br />
nicht so deutlich in den Vor<strong>der</strong>grund wie an<strong>der</strong>e Männer.<br />
Während man in Stralsund noch auf einen Bescheid Arnims<br />
auf die Vorschläge wartete, die Sparr o<strong>der</strong> dem Obersten selbst gemacht<br />
worden waren, sandte <strong>der</strong> Nat am 3. Januar 1628 den<br />
Prctonotarius Johannes Vahl nach Rostock, um sich nach den dortigen<br />
Verhältnissen zu erkundigen. Der Bericht, den er am 7. erstattete,<br />
war trostlos genug: Die Rostocker hatten auf die von<br />
ihnen gezahlte Summe keine schriftliche Zusicherung erhalten, daß<br />
sie von <strong>der</strong> Einquartierung frei sein sollten, befanden sich also in<br />
eben <strong>der</strong> Lage, in die Stralsund nicht geraten wollte. Das war gewiß<br />
eine Warnung, wie sie nicht gewichtiger sein konnte, und sie<br />
bestärkte die Bürgerschaft in ihrem Wi<strong>der</strong>stände gegen die Zahlung<br />
an Arnim, aber auch gegen die Ablieferung <strong>der</strong> Landessteuern. Ihr<br />
Gegensatz gegen den Rat kam noch weit stärker zum Ausdruck, als<br />
<strong>der</strong> Rat auf ein neues Schreiben Sparrs, das am 14. eintraf und<br />
in dem er mitteilte, Arnim sei gegen die Stadt sehr aufgebracht nnd<br />
werde, wie er bald darauf schrieb, jetzt Truppen gegen die Stadt<br />
sammeln, abermals nachzugeben schien. Er verhandelte von neuem<br />
und schlug vor, den Oberst nicht zu reizen, son<strong>der</strong>n sich auf neue<br />
Verhandlungen einzulassen. Auch sonst erweckte das Verhalten des
?d Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
Rates bereits den Verdacht, „daß Senatus es mit den kaiserlichen<br />
Befehlshabern halte". Jetzt erhoben die Hun<strong>der</strong>tmänner die dringende<br />
For<strong>der</strong>ung, es solle endlich etwas für die Herstellung o<strong>der</strong><br />
die Ausbesserung <strong>der</strong> Mauer geschehen und die notwendigsten Maßregeln<br />
für eine Verteidigung getroffen werden. Man scheint wirklich<br />
mit solchen Arbeiten, die wie<strong>der</strong>holt gefor<strong>der</strong>t worden waren,<br />
mehr als säumig gewesen zu sein, da <strong>der</strong> vorsichtige Rat durch ihre<br />
Vornahme die Kaiserlichen nicht reizen wollte. Es hat den Anschein,<br />
als habe man jetzt etwas eifriger an den Befestigungen gearbeitet.<br />
In diesen Tagen wurde noch einmal <strong>der</strong> Versuch gemacht, von<br />
dem Herzoge sowie von <strong>der</strong> Stadt Stettin eine Unterstützung in<br />
dem Streite zu erlangen. Von jenem erhoffte man wohl kaum viel,<br />
da man ja bereits oft genug die Erfahrung gemacht hatte, daß er<br />
und seine Regierung nur an sich selbst dachten. Ging doch bereits<br />
die Rede in <strong>der</strong> Bürgerschaft: „Wenn es Geldfor<strong>der</strong>ungen gilt, so<br />
ist unser Landesherr da,- gilt es aber, die Stadt zu verteidigen, so<br />
ist nichts von ihm zu sehen. Will er Geld von <strong>der</strong> Stadt, so mag<br />
er sie auch schützen." Niemand wird leugnen, daß die Stralsun<strong>der</strong><br />
die herzogliche Politik in ihrer selbstsüchtigen Kläglichkeit richtig<br />
beurteilten. Mehr Hoffnung setzten sie vielleicht auf Stettin, das<br />
damals in einer ähnlichen Lage war wie Stralsund. Denn Arnim<br />
verlangte von dieser Stadt, die nach dem 3ranzburger Vertrage<br />
ausdrücklich von einer Einquartierung befreit war, sie solle Truppen<br />
aufnehmen o<strong>der</strong> Geld zahlen. So wurde <strong>der</strong> Sekretarius Joachim<br />
von Braun dorthin abgeordnet. Sein Bericht über die Verhandlungen,<br />
die vom 13. bis 18. Januar geführt wurden, zeigte nur zu<br />
bald, daß auch von dort keine Hilfe zu erwarten war. Der Stettiner<br />
Rat war selbst so sehr in Verlegenheit, daß er nicht irgendwie Helfer<br />
konnte, „man sprach vergebens viel, um zu versagen, <strong>der</strong> andre härtc<br />
von allem nur das Nein". Nicht an<strong>der</strong>s war es bei Hofe, wo del<br />
Gesandte ebenfalls nichts als schöne Worte zu hören bekam.<br />
„I. 3. G. sähen es ungern, müßten aber in tanta concision«<br />
was uns erpresset würde, wie es sich bestermaßen wolle tun lassen<br />
abzuwenden o<strong>der</strong> zu contribuieren anschicken und es Gott und del<br />
Zeit befehlen." Der Sekretarius selbst beklagt, daß er trotz allel<br />
angewandten Mühe nichts Besseres berichten könne, und in Stral<br />
sund sah man ein, daß die Stadt auf sich allein angewiesen sei, wem<br />
sie nicht etwa von den auswärtigen Feinden <strong>der</strong> Kaiserlichen Hilf,<br />
in ihrem Konflikte erhalten könne. Damals mag zuerst im Stillet<br />
<strong>der</strong> Gedanke an Dänemarks o<strong>der</strong> Schwedens Beistand aufgetauch<br />
sein. Denn gerade jetzt zeigte es sich deutlich, daß an einen gut
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 71<br />
lichen Ausgleich kaum noch zu denken war. Am 23. Januar nämlich<br />
erschien Sparr wie<strong>der</strong>um in <strong>der</strong> Stadt und überbrachte unter<br />
den neuen For<strong>der</strong>ungen auch die, daß <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Vefestigungswerke<br />
unterbleiben, ja das, was in letzter Ieit gebaut sei, nie<strong>der</strong>gerissen<br />
werden solle. Ferner wurde verlangt, die angenommenen<br />
dänischen Soldaten seien zu entlassen, 60 000 Taler sofort zu zahlen,<br />
die 80 aus Schweden angekommenen Geschütze in Verwahrung zu<br />
nehmen, sowie den Kaiserlichen 12 halbe Kartaunen und 2 zwülfpfündige<br />
Stücke zu liefern. Das waren, wie man sogleich sieht,<br />
For<strong>der</strong>ungen recht kriegerischen Klanges, die, sobald sie in <strong>der</strong> Stadt<br />
bekannt wurden, große Aufregung erregen mußten. Was hatte<br />
Arnim veranlaßt, mit einmal so energisch vorzugehen? Wallenstein,<br />
<strong>der</strong> über die Stralsun<strong>der</strong> Vorgänge gut unterrichtet war, war, wie<br />
es scheint, mit dem Verhalten seines Obersten nicht zufrieden und<br />
richtete an ihn den strengen Befehl, den Stralsun<strong>der</strong>n aufzugeben,<br />
jede Verteidigungsmaßregel „von Stund an einzustellen und sie<br />
mit forti zu schließen, auf daß sie sich des Feindes Assistenz nicht<br />
prävalieren könnten". Arnim wollte schon lange von einem schroffen<br />
Schritte gegen die Stadt, <strong>der</strong> zum Krämpfe führen mußte, nichts<br />
wissen und hoffte wohl immer noch, etwas durch Verhandlungen<br />
zu erreichen. Vielleicht hatte die an<strong>der</strong>e Anficht des Generals ihn<br />
schon im Dezember dazu veranlaßt, sein Entlassungsgesuch bei<br />
Wallenstein einzureichen. Dieser lehnte es jedoch ab und verstand<br />
es. ihn zu beruhigen. So mußte er jetzt dem Befehle nachkommen<br />
und die For<strong>der</strong>ungen nach Stralfund übermitteln.<br />
Der Rat trat fofort in Beratung mit den Hun<strong>der</strong>tmännern und<br />
antwortete zunächst auf die weniger wichtigen Fragen: Dänische<br />
Soldaten seien nicht in <strong>der</strong> Stadt, und <strong>der</strong> Kapitän Volckmann, <strong>der</strong><br />
hier wohne, stehe nicht mehr in dänischem Dienste. Geschütz könne<br />
man nicht abgeben, und die angeblich schwedischen Stücke, an Zahl<br />
33 und nicht 80, seien Kaufmannsgut, das <strong>der</strong> Rat, <strong>der</strong> früher<br />
13 davon gekauft habe, nicht mit Beschlag belegen dürfe. Die Arbeiten<br />
an den Befestigungswerken seien bereits vor längerer Ieit<br />
nach einem Ratsbeschlusse begonnen, was nach den erhaltenen Rechnungen<br />
richtig ist. Sparr legte offenbar auf diefe For<strong>der</strong>ungen kein<br />
großes Gewicht, denn es ist von ihnen nicht weiter die Rede, weit<br />
wichtiger war die Frage <strong>der</strong> Geldzahlung. Um diefe drehten sich<br />
auch die zum Teil sehr erregten Verhandlungen des Rates mit <strong>der</strong><br />
Bürgerschaft, hierbei trat <strong>der</strong> längst bestehende Gegensatz in die<br />
Erscheinung. Steinwich mußte immer wie<strong>der</strong> vermitteln, damit es<br />
nicht zu einem vollen Bruche kam und <strong>der</strong> alte Zwiespalt von neuem
72 Stralsund und die IranZburger Kapitulation.<br />
vie Gemüter verwirrte. Sparr drohte o<strong>der</strong> lockte durch Versprechungen,<br />
da ihm offenbar daran lag, die Gegensätze in <strong>der</strong> Stadt<br />
zu verstärken und daraus Nutzen Zu ziehen. Der Rat war in seiner<br />
Mehrheit geneigt, die Summe zu zahlen, wagte aber doch nicht, ohne<br />
Zustimmung <strong>der</strong> Bürgerschaft zu handeln. Iusquinus von Gosen<br />
griff energisch ein und verlangte, daß eine Zahlung nur erfolge,<br />
wenn die Befreiung <strong>der</strong> Stadt von einer Belegung mit Truppen<br />
garantiert werde. Die Bürger waren jetzt entschlossen, lieber mit<br />
den Waffen in <strong>der</strong> Hand ihre Stadt zu verteidigen, als noch einmal<br />
nachzugeben,- dabei wandte sich ihr Unwille nicht mit Unrecht beson<strong>der</strong>s<br />
auch gegen den Landesherrn, dessen Regierung nicht das<br />
Geringste tat, um Stralsund zu schützen, son<strong>der</strong>n nur darauf bedacht<br />
war, von dort Geld zu bekommen. Tteinwich mußte nur<br />
immer vor unbesonnenen Schritten warnen. Sparr verließ die<br />
Stadt, ohne etwas erreicht zu haben. Aber auch die Bürgerschaft<br />
ließ sich bewegen — wahrscheinlich durch Steinwich —, noch nicht<br />
alles abzubrechen, son<strong>der</strong>n sich mit <strong>der</strong> Absendung einer neuen Gesandtschaft<br />
an Arnim nach <strong>Greifswald</strong> einverstanden zu erklären.<br />
Von dem Manne, <strong>der</strong> sich bisher stets viel mehr entgegenkommend<br />
gezeigt hatte als z. B. Sparr, erhoffte man wohl noch eine Vermittelung.<br />
Man täuschte sich auch nicht ganz hierin, denn <strong>der</strong> Oberst<br />
war wirklich freundlich und sprach den Deputierten offen aus, „er<br />
sei <strong>der</strong> Stadt nicht übel gewogen, sintemal er auch teils seine<br />
Freunde darin hätte". Trotzdem ging er von <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Zahlung auf einfache Quittung ohne jede bestimmte Zusicherung<br />
nicht ab und konnte auch davon nicht abgehen, da er an des Generals<br />
Befehl gebunden war. Dieser aber wollte sich durch eine solche<br />
Garantie nicht die Hände binden, denn ihm lag an <strong>der</strong> Stadt selbst<br />
weit mehr als an ihrem Gelde. So erreichten die städtischen Gesandten<br />
in <strong>Greifswald</strong> auch nichts. Sie konnten wohl nach ihrer<br />
Rückkehr daheim erzählen, daß Arnim sie ganz freundlich behandelt<br />
habe, aber sie mußten auch von den Drohworten berichten, die laut<br />
geworden waren. Das machte auf den Rat doch solchen Eindruck,<br />
daß er beschloß, den Frieden auf jeden Fall zu erkaufen. Denn,<br />
so hieß es, „gegen eine so große Macht können wir uns nicht<br />
wehren, endlich müssen wir unterliegen, den Schimpf werden sie<br />
nicht leiden, wenn sie auch ein-, zwei- o<strong>der</strong> dreimal zurückgetrieben<br />
würden, und es würde alles das Unsere, ja Leib und Blut in die<br />
Grabbuße gegeben werden". Solche ernste Worte machten auf die<br />
Bürgerschaft Eindruck, so daß sie zustimmte, man solle die 30000<br />
Taler zahlen ohne den viel behandelten Garantieschein. Der Friede
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. 73<br />
schien gesichert, und man war schon bereit, am 3. Februar an einen<br />
kaiserlichen Offizier zu zahlen, da trat das entscheidende Ereignis<br />
ein, das den Anfang <strong>der</strong> Kämpfe um die Stadt bezeichnet: Die<br />
plötzliche Besetzung des Dänholms durch kaiserliche Truppen am<br />
4. Februar 1628.<br />
Versuchen wir, uns ein Bild von den inneren Zuständen <strong>der</strong><br />
Stadt in dieser Zeit zu machen!'In hohen Worten hatte sie <strong>der</strong><br />
Greifswal<strong>der</strong> Dichter Johannes Seccervitius in seinem Gedichte auf<br />
die pommerschen Städte (pOmerariei6e3 von 1582, p. 60 v und<br />
61) an erster Stelle mit ihren drei stattlichen Kirchen, ihrem Rathause,<br />
den Befestigungen, den Häusern, dem Hafen als eine reiche<br />
Stadt gepriesen, in <strong>der</strong> 3leiß, Gerechtigkeit, Frömmigkeit eine<br />
Stätte haben. Er schließt mit dem Wunsche:<br />
^t nunc 0 potiu3 8aevi8 intacta pericli3<br />
et äortem ma^i3 experiatur amicam<br />
aman3, äubii procul ornni turbine 1Vlarti3!<br />
Auf <strong>der</strong> großen Lubinschen Karte von 1618 sehen wir ein Bild<br />
Stralsunds, das, wenn es auch nicht ganz genau sein mag, doch<br />
eine Vorstellung von dem damaligen Aussehen vermittelt. Es zeigt<br />
uns die Stadt, wie sie sich dem Beschauer von Altefähre aus darstellt,<br />
mit ihren drei hochragenden Kirchen St. Marien, St. Nicolaus,<br />
St. Iacobus, den schlanken Glockentürmen <strong>der</strong> Klöster St. Katharina<br />
und St. Johannes, sowie dem stattlichen Giebel des Rathauses.<br />
Die Mauern, Tore und Türme ziehen sich an <strong>der</strong> Seeseite<br />
hin, und Ladebrücken ragen in das Wasser hinein. Das ganze Bild<br />
zeigt eine beson<strong>der</strong>s ansehnliche Stadt, die sich gar mächtig und fest<br />
am Strelasunde erhebt, sicherlich als die bedeutendste unter den sonst<br />
auf <strong>der</strong> Karte dargestellten pommerschen Orte, und Lubin nennt sie<br />
als solche vor Stettin in seiner kurzen Beschreibung Pommerns.<br />
Die Iahl <strong>der</strong> Einwohner in dieser Zeit einigermaßen genau<br />
anzugeben wird erst möglich sein, wenn die Steuerregister und an<strong>der</strong>e<br />
Verzeichnisse sorgfältig durchgearbeitet sein werden. Ob sie noch<br />
eben so hoch war wie 100 Jahre zuvor, wo sie gewiß doch zu hoch<br />
auf etwa 20000 angegeben wird, läßt sich noch nicht recht sagen, aber<br />
man kann es kaum vermuten bei dem wirtschaftlichen Rückgange, <strong>der</strong><br />
wohl im ganzen unzweifelhaft ist. Das geht nicht aus den Zahlen<br />
<strong>der</strong> dänischen Sundzollregister hervor, nach denen in den Jahren<br />
1617 bis 162? mit Ausnahme von 1625 durchaus nicht weniger<br />
Stralsun<strong>der</strong> Schiffe den Sund durchfuhren als zuvor,- ja bisweilen,<br />
z. B. 1618. 1620, 1621 o<strong>der</strong> noch 1627. erreicht ihre Iahl eine<br />
höhe, die früher nicht vorkommt. Auch <strong>der</strong> Handel mit Schweden
74 Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
war gewiß nicht unbedeutend, und die alte Verbindung mit diesem<br />
Lande bestand unzweifelhaft weiter. Trotzdem sind Anzeichen für<br />
den Nie<strong>der</strong>gang von Handel, Verkehr und Gewerk vorhanden, und<br />
von <strong>der</strong> europäischen 3inanzkrisis <strong>der</strong> zwanziger Jahre des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
ist auch Pommern nicht wenig betroffen worden. Genauere<br />
Untersuchungen über den Stralsun<strong>der</strong> Handel, die lei<strong>der</strong><br />
immer noch fehlen, werden das zeigen.<br />
Auch die starke Verschuldung <strong>der</strong> Stadt spricht für einen Nie<strong>der</strong>gang.<br />
In <strong>der</strong> Ratssitzung vom 29. Oktober 1617 wird hervorgehoben,<br />
daß „die Stadt vor den unruhigen Zeiten nur 90N00<br />
Gulden, nunmehro aber 250 000 Gulden schuldig sei", und 1619<br />
wird beschlossen, daß <strong>der</strong> Amter Silber zur Hälfte wegen <strong>der</strong> Schulden<br />
eingezogen werden soll. Auch <strong>der</strong> Rat erklärt, sein Silber<br />
gleichfalls auf die Hälfte darreichen zu wollen. Zwei Jahre später<br />
wurde im Rate sogar vorgeschlagen, es möchten bei den großen<br />
Schulden <strong>der</strong> Stadt die Kirchen und Hospitäler Geld vorstrecken<br />
o<strong>der</strong> Landbesitz zur Verfügung stellen, worauf eine Summe Gelde?<br />
aufzunehmen sei. Darauf ließen sich die Kirchen und Stiftunger<br />
nicht ein, wie auch die Amter sich weigerten, ihr Silber auszuliefern.<br />
Können und sollen wir dies Verhalten als ein Zeichen<br />
dafür ansehen, daß <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Stadt herrschte, ein an<strong>der</strong>e!<br />
geworden ist, wie einst in <strong>der</strong> Blütezeit <strong>der</strong> alten Hansestadt? Wc<br />
ist die stolze Gesinnung geblieben, die sich in den Tagen del<br />
Wulflam offenbarte? Mit dem allmählichen Verfalle des Bundewar<br />
sie stark gesunken, <strong>der</strong> unerschütterliche Wagemut und du<br />
kühne Unternehmungslust waren einem kleinen Krämergeiste, küm<br />
merlicher Unentschlossenheit und trauriger Eigensucht gewichen, unt<br />
nur manchmal zeigte sich noch <strong>der</strong> alte tapfere Bürgersinn, dem da;<br />
Wohl <strong>der</strong> Gemeinde höher stand als das eigene. Innere Streitigkeiten<br />
waren in <strong>der</strong> Stadt auch früher oft genug vorgekommen unt<br />
hatten die Kraft <strong>der</strong> Bewohner nicht selten geschwächt, aber si<<br />
waren doch in an<strong>der</strong>em Geiste geführt worden wie die letzten. Ma:<br />
hatte sich wenigstens zusammengefunden, wenn es galt, die alter<br />
Rechte <strong>der</strong> Stadt, ihre Selbständigkeit gegenüber den Landesherret<br />
zu behaupten. Das war noch zumeist geschehen in dem Kampf«<br />
gegen Bogislaw X., dem es nicht gelang, sie sich ganz Untertan zr<br />
machen, als er gegen den Rat seines Hauptmannes versuchte, mi<br />
Gewalt vorzugehen. Besser glückte es dem rücksichtslosen Herzog«<br />
Philipp Julius, <strong>der</strong> den Parteikampf in <strong>der</strong> Stadt benutzend er<br />
schien und seinen herrscherwillen dort durchsetzte. Es ist hier nich<br />
<strong>der</strong> Ort, diesen höchst interessanten Kampf darzustellen. Durch de:
Stralsund und die Iranzburger Kapitulation. ?5<br />
Erbvertrag von 1615 und den Bürgeroertrag von 1616 ist die<br />
lange behauptete Unabhängigkeit Stralsunds gebrochen worden. Jetzt<br />
hatte je<strong>der</strong> Bürger auch dem Landesherrn den Treueid zu leisten,<br />
uno die ganze Gemeinde war ihm zum Gehorsam verpflichtet. Die<br />
Bürgerv
76 Stralsund und die Iranzburger Kapitulation.<br />
ist, „nicht <strong>der</strong> Mann, die erste Stadt des Landes wie<strong>der</strong> mit festeren<br />
Banden an sich zu ketten". Man hat ihn einen pflichtvergessenen,<br />
verlebten Menschen genannt.<br />
Unzweifelhaft ist es, daß Stralsund im Innern mehr gefestigt<br />
und geordnet in das Zeitalter eintrat, das die größten Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an die Gemeinde stellen sollte, als es vorher gewesen war.<br />
Ein fest gegründetes Stadtregiment, an dem die Bürgerschaft Anteil<br />
hatte, war vorhanden, finanziell stand die Stadt wie<strong>der</strong> leidlich<br />
da, man fing auch an, von neuem für die Wehrhaftmachung zu sorgen,<br />
und suchte die Schäden auf allen Gebieten zu heben, die durch<br />
die Nachlässigkeit.früherer Tage entstanden waren,- ein beson<strong>der</strong>s<br />
tüchtiger und einsichtiger Mann stand an <strong>der</strong> Spitze und seine Mitarbeiter<br />
waren gewiß redliche Männer, die das Beste ihrer Stadt<br />
wollten. Aber, wie bereits gesagt wurde, <strong>der</strong> Geist war hier wie in<br />
an<strong>der</strong>en Städten ein an<strong>der</strong>er, das Selbstvertrauen war erschüttert,<br />
leicht erhob sich wie<strong>der</strong> Streit und Jank, die alten Schäden waren<br />
nicht schnell zu beseitigen, so daß sie doch zuweilen sich deutlich<br />
«zeigten. Aber trotz manchem wenig Erfreulichen, das bei dem Heldenkampfe<br />
<strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong> hervortrat, ist und bleibt die Verteidigung<br />
<strong>der</strong> Stadt doch eins <strong>der</strong> schönsten Ruhmesblätter in <strong>der</strong> pommerschen<br />
Geschichte.<br />
Beilage.<br />
Im Jahre 1628 haben folgende Männer zu Stralsund im Rate<br />
gesessen:<br />
Burgemeister.<br />
Herr Heinrich Buchow, <strong>der</strong> Rechte Doktor.<br />
„ Lambert Steinwig, <strong>der</strong> Rechte Doktor, verwaltete<br />
daneben das Protosnndikat.<br />
„ Johann Quilow.<br />
.. Christofs Krauthoff, <strong>der</strong> Rechte Doktor.<br />
Syndikus.<br />
Herr Hasert, <strong>der</strong> Rechte Doktor.<br />
Ratsherren.<br />
Herr Hinrich Gottschalk.<br />
„ Melchior Warneke.<br />
„ Niklas Dinnies.<br />
„ Cord Bestenböstel.
Stralsund und die IranZburger Kapitulation. 77<br />
Herr Jacob Clerike.<br />
„ Peter Gelhaar.<br />
„ Joachim 3lemming.<br />
.. Jacob Wessel.<br />
„ Johann Schlichtkrull.<br />
.^ Melchior Preutz.<br />
„ Valentin Bünsow.<br />
„ Heinrich Svengmann.<br />
„ Benedict 3ürstenow.<br />
„ Joachim Martens.<br />
„ Iittfeld hoyer.<br />
.. Niklas Matthäus.<br />
„ Christian Hagemeister.<br />
„ Niklas Völschow.<br />
„ Jürgen von o<strong>der</strong> zum Velde.<br />
Protonotarius.<br />
Herr Johann Vahl.<br />
Secretarius.<br />
Herr Joachim von Braun.
Lambert Steinwichs Epitaphium<br />
in <strong>der</strong> Nikolaikirche zu Stralsund.<br />
Von<br />
William An<strong>der</strong>son.
l<br />
Lambert Steinwichs Epitaphium. 81<br />
Das Epitaphium für Bürgermeister Lambert Steinwich (gest.<br />
629) in <strong>der</strong> Nikolaikirche zu Stralsund, das links von dem hauptingang<br />
im Schiff unter <strong>der</strong> Orgel hängt, ist im schlechten Zustande<br />
uf unsere Tage gekommen. Die gemalte Hauptszene ist durch<br />
Tüchtigkeit beinahe ganz verdorben- nur von dem oberen Teil ist<br />
twas erhalten geblieben. Die Profilören über dem Gebälk fehlen<br />
nd auch das krönende Stück ist verschwunden. Trotzdem aber ist<br />
as Werk von großem Interesse als typischer Ausdruck <strong>der</strong> holzhnitzerei<br />
in Stralsund unter dem Einfluß <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen hochenaissance.<br />
Wir können auf den Epitaphien in den Kirchen Stralltnds<br />
sehr gut die verschiedenen Etappen <strong>der</strong> Renaissance von den<br />
infachen, mehr architektonisch aufgebauten Schöpfungen im Aning<br />
des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts bis zu den reichen, beinahe überladenen<br />
libeiten von etwa 1630 beobachten. Da dringt das Knorpelwerk<br />
ut seinen in kalligraphischen Windungen gelegten Bänden ein, das<br />
)auptstück wird mit 3lügeln angesetzt und unten schließt das Ganze<br />
lit einer reich geschnitzten Kartusche ab. Gleichzeitig bemerkt man<br />
5 <strong>der</strong> Malerei eine nahe Verbindung mit den zeitgenössischen holindisch-flämischen,<br />
hauptsächlich von dem großen Rubens vertreenen<br />
Malerschulen.<br />
Das reich geschnitzte, gemalte und vergoldete Epitaphium<br />
Taf. VIII) i) ist 5.24 m hoch und zeigt zwei korinthische, mit<br />
ssankenspalier geschmückte Säulen, die ein gekröpftes Gebälk traen.<br />
Die Mittelszene stellt die gemalte Kreuzabnahme dar, auf<br />
>em 3lügel nach links sehen wir Steinwich (Taf. IX) mit seinen<br />
Löhnen und auf dem rechten 3lügel seine Gemahlin mit Tochter,<br />
darunter bemerken wir eine mit Inschrift versehene schön geschnitzte<br />
Kartusche und oben einen kleinen Aufsatz, ebenfalls von Säulen<br />
lankiert.<br />
Wer ist <strong>der</strong> Meister? Das bekommen wir zu wissen, wenn<br />
vir den Blick nach Südschweden richten, eine Gegend, die noch in<br />
)er ersten Hälfte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts in lebhaftem Verkehr mit<br />
3tralsund und Norddeutschland gestanden hat^). In <strong>der</strong> Stadtkirche<br />
lUM heiligen Kreuz in Nonneby (Provinz Blekinge) sehen wir ein<br />
1) Die Baudenkmäler des Regierungsbezirks Stralsund von E. Haselierg.<br />
S. 491.<br />
2) William An<strong>der</strong>son: Stralsund, ein 3eld für schwedische Kunstleschichtsforschung.<br />
S t r a l su n d i s ch e Ieitung 4/7 1920. — Ders.:
82 Lambert Steinwichs Epitaphium.<br />
Epitaphium (Taf. X), dessen gut erhaltener Zustand uns gestalte<br />
das beschädigte Steinwich-Epitaphium zu vervollständigen. D«<br />
schwarz gemalte und stark vergoldete Stück hat eine ungewöhnli<br />
reiche Ornamentik- <strong>der</strong> mutige kalligraphische Stil und die g<br />
bogenen Formen in dem aufgelösten Knorpelwerk verraten ein<br />
tüchtigen Meister. In dem Mittelfeld schauen wir eine Darstellui<br />
<strong>der</strong> Kreuzabnahme- die glühenden Farben und die gute Behandlm<br />
<strong>der</strong> Figuren, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Köpfe, deuten auf einen tüchtigen Male<br />
Hauptsächlich aber ist es die Komposition, die Erstaunen weckt. (<br />
gibt eine ziemlich gute Kopie von Rubens bekannter Kreuzabnahl<br />
in <strong>der</strong> Kathedrale zu Antwerpen (1611—12). Der Aufbau d<br />
Figuren. Draperien, Bewegungen und Gesichter zeigen uns<br />
mehreren Punkten das Nubenssche Gemälde wie<strong>der</strong>. Der groß<br />
Unterschied ist <strong>der</strong>, daß die Komposition in Ronneby umgedre<br />
ist- eine Person, die im Epitaphium zu Ronneby nach rechts stel<br />
finden wir in Antwerpen auf <strong>der</strong> linken Seite. Für den Maler<br />
Ronneby hat also ein Kupferstich des Rubensfchen Gemäldes a<br />
Vorlage gedient. Die Inschrift zeigt, daß <strong>der</strong> Bürgermeister<br />
Ronneby Knud Pe<strong>der</strong>sen das Epitaphium im Jahre 1637 aufg<br />
richtet hat und zum Schluß lautet sie: „Anno 1637, Jach. Mai<br />
pinxit. Stralsunt."3)<br />
Wahrscheinlich ist, daß das Epitaphium in Stralsund angeferti<br />
wurde und vermutlich war <strong>der</strong> Maler und Schnitzer <strong>der</strong>selbe, d<br />
obengenannte Iacharias Maus o<strong>der</strong> Mauß. Bei <strong>der</strong> Vergleichm<br />
finden wir dieselbe Kreuzabnahme wie in Stralsund, die war<br />
leuchtenden Farben sind sich ebenfalls ähnlich. Auch die Au<br />
stellung Steinwichs mit seinen Söhnen in dem kleinen Nahm«<br />
nach links kehrt im Ronnebyer Epitaphium wie<strong>der</strong>. Die Figur«<br />
haben dieselbe Haltung und wir sehen ferner den Parkettbod«<br />
und das kleine Fenster, welches alles an die zeitgenössische Holla<br />
disch? Genremalerei erinnert. In den Hauptpunkten ist die Schnitz<br />
rei auf dem Stralsun<strong>der</strong> Epitaphium <strong>der</strong> Ronnebyer ähnlich. T<br />
Abweichungen muß man einer an<strong>der</strong>en Vorlage zuschreiben,- rv<br />
können also ruhig sagen, daß das Steinwich-Epitaphium von dei<br />
selben Meister stammt, <strong>der</strong> auch das Nonnebyer Epitaphium c<br />
schaffen hat, von unserem Iacharias Maus. Auch in <strong>der</strong> I<<br />
stimmt es überein und muß um 1637 ausgeführt sein.<br />
Norddeutsche Kirchenglocken in Vlekinge. Stralsundische Ieitui<br />
25/7 1920.<br />
2) William An<strong>der</strong>son: l
Lambert Steinwichs Epitaphium. 83<br />
Beim Suchen in den Kirchen Stralsunds habe ich noch an<strong>der</strong>e<br />
Vcrke von Iacharias Maus o<strong>der</strong> aus seiner Werkstatt gefunden.<br />
5o gibt es in^er Nikolaikirche drei signierte Porträts von ihm:<br />
wn henricus Boltenius 1637, Johannes Prellerus 1636 und<br />
yeorg Ieämann 1636. Außerdem werden in dieser Kirche noch<br />
wei Porträts aufbewahrt, die sehr an den Stil Maus' erinnern,<br />
lnd endlich hängen in <strong>der</strong> Turmhalle nicht weniger als achtzehn<br />
3tück aus <strong>der</strong> Leidensgeschichte Christi. Sämtliche sind Ölgemälde<br />
luf Stoff in einfachem schwarzen Rahmen. Unter diesen gibt es<br />
luch eine Kreuzabnahme in <strong>der</strong>selben Komposition wie auf dem<br />
3teinwich-Epitaphium. Es besteht kein Zweifel, daß diese von dem<br />
leißigen Pinsel Maus', herrühren.<br />
Auch für die Iakobikirche hat er Arbeiten geschaffen. Auf <strong>der</strong><br />
Nestwand, in einer <strong>der</strong> nördlichen Kapellen, hängt ein großes Epiaphium<br />
(Abb. XI) in fast <strong>der</strong>selben Komposition wie das Steinwichs.<br />
Man sieht hier im Mittelfeld Christus vor Pilatus und in den<br />
lleinen Flügeln die Kreuzabnahme und Grablegung. Der Aufbau ist<br />
)ier reicher und in <strong>der</strong> Predella zeigt es den Verstorbenen mit seiner<br />
5amilie. In dem oberen Aufsatz wird die Himmelfahrt dargestellt,<br />
ion zwei Profilören (Tugenden) flankiert. Lei<strong>der</strong> ist das Kartuscheld<br />
unten so verdorben, daß die Inschrift vollkommen verschwunden<br />
st4). Man braucht aber nur einen Blick auf das Ganze zu richten,<br />
un zu wissen, daß es von demselben Meister und zu <strong>der</strong>selben Ieit<br />
vie das Steinwich-Epitaphwtn entstanden ist.<br />
Noch einmal können wir die Tätigkeit Maus' spüren, und zwar<br />
n <strong>der</strong> Kirche zu Kjöge auf Seeland in Dänemark. Auf <strong>der</strong> Iüd-<br />
Vand im Mittelschiff hängt ein Epitaphium, dessen Komposition so-<br />
Dohl in Skulptur wie Malerei beson<strong>der</strong>s gut mit dem Werk des<br />
Meisters, z. B. Steinwichs Epitaphium in <strong>der</strong> Nikolaikirche, übereinstimmt.<br />
Eine Inschrift fehlt; aber vermutlich ist es für Anne<br />
Ve<strong>der</strong>sdaatter (geb. 158N, beerdigt 19. 7. 1642) und ihren Gatten<br />
n zweiter Ehe Cort Richter (beerdigt 15. 12. 1638) errichtet. Es<br />
;ann aber kaum um 1625^) angefertigt sein, son<strong>der</strong>n um o<strong>der</strong> kurz<br />
aach 1638.<br />
Das hervorgehobene ist nur ein Beispiel von <strong>der</strong> Bedeutung<br />
2tralsunds als Kunstvermittlerin in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
wie man auch hier dazu beigetragen hat, den deutschnie<strong>der</strong>ländischen<br />
Stil in die kleinen Ostseestädte zu verpflanzen.<br />
4) Baudenkmäler Stralsunds, S. 391.<br />
°) E. T. S. Lund: Danzke maleäe portrXter. IX. Kj^oennavn 1903,<br />
2. 276 f.<br />
6*
Die Entstehung<br />
des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs<br />
von<br />
Geh. Archivrat Dr. H. H o o g eweg.
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. 89<br />
mußte, damit ihn je<strong>der</strong> sehen könnte^), <strong>der</strong> Privilegienschrein gewesen<br />
ist. Jedenfalls war die Aufbewahrung <strong>der</strong> Kisten bei den<br />
Privatpersonen <strong>der</strong> im Rathause gewichen und die Trennung von<br />
<strong>der</strong> Kanzlei erfolgt.<br />
Das schnelle Aufblühen <strong>der</strong> Stadt und ihre rege Teilnahme an<br />
<strong>der</strong> Hansa, in <strong>der</strong> Stralsund nach Lübeck wohl die erste Rolle spielte,<br />
fühlten zu einem lebhaften Briefwechsel weit über die Grenzen Pommerns<br />
^hinaus und brachten durch diesen sowie durch die zahlreichen<br />
Verträge <strong>der</strong> Hansastädte unter sich und mit den an die Ostsee grenzenden<br />
Seestaaten reichen archivalischen Stoff bei. Lei<strong>der</strong> bewirkte<br />
<strong>der</strong> Geschäftsgang <strong>der</strong> Kanzlei, wie er wohl in <strong>der</strong> Hansa üblich<br />
war, den Verlust manches wertvollen Schreibens. So schickt z. B.<br />
Lübeck an Stralsund (nehmen wir an) einen Brief des Königs von<br />
Dänemark zur Kenntnisnahme und Berücksichtigung. Das Anschreiben<br />
liegt noch vor. <strong>der</strong> Brief des Königs aber fehlt, doch wohl<br />
weil er ohne Abschriftnahme an eine an<strong>der</strong>e Stadt weitergegeben<br />
worden ist. Nur in ganz seltenen Fällen konnte nach dem Hansischen<br />
UrKundenbuch festgestellt werden, daß die wertvolle Anlage in Lübeck<br />
o<strong>der</strong> an einem an<strong>der</strong>en Orte noch vorhanden ist.<br />
Die Erwerbung von Eigentum und des Rechtes, die in diesem<br />
befindlichen Lehen selbst zu verleihen (schon 1321)^), die Erwerbung<br />
<strong>der</strong> Münze 1319 und 1325 vom Landesherrn 12), die <strong>der</strong> Rechtspflege,<br />
nachdem die Vogtei an die Stadt übergegangen war, verursachten<br />
eine wesentliche Erweiterung <strong>der</strong> Verwaltung, eine Teilung<br />
<strong>der</strong> Arbeit und eine Vermehrung <strong>der</strong> Beamten. Und wenn auch<br />
für viele rein bürgerliche Amtsgeschäfte, beson<strong>der</strong>s für die freiwillige<br />
Gerichtsbarkeit, noch die Eintragung in die Stadtbücher genügte,<br />
so gaben doch wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, äußere Ereignisse den Anstoß<br />
zu umfassendem Briefwechsel. So brachten die Prozesse, die sich an<br />
den Überfall des Tribseer Archidiakons Kurd v. Bonow auf die<br />
Stadt und die sich daran anschließende Verbrennung dreier Geistlichen<br />
durch die Stralsun<strong>der</strong> 1407. sowie an die Ermordung des<br />
Raven v. Barnekow 1453 knüpften, und die bis Rom und an das<br />
Kaiserliche Kammergericht gingen, reichen urkundlichen Stoff zusammen.<br />
Durch sie erfolgten auch die ersten direkten Beziehungen<br />
<strong>der</strong> Stadt zum päpstlichen Stuhl bezw. zum Konzil und den ver^<br />
schiedenen damals gleichzeitig regierenden Päpsten, die hohe An-<br />
^) Herkunft, Geburt und Lauf seines Lebens, hrsg. von C. W. Mohnike<br />
I (1823) S. 173. Vgl. Brandenburg. Archiv, S. 79.<br />
") P. U. B. V. 3244, 3250; VI. 3497 u. a.<br />
i2) V. 3245.
90 Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
foi<strong>der</strong>ungen an das diplomatische Geschick <strong>der</strong> amtierenden Bürgermeister<br />
stellten.<br />
Die durch die Kriege, beson<strong>der</strong>s den Dänischen des Jürgen<br />
Wullenweber, und durch die inneren Verhältnisse verschlechterte<br />
Finanzlage <strong>der</strong> Stadt führte 1559 zur Bildung des Kollegiums <strong>der</strong><br />
Hun<strong>der</strong>tmänner, das, zunächst eine Kommission zur Bewilligung<br />
einer außerordentlichen Steuer zur Hebung <strong>der</strong> augenblicklichen<br />
3inanznot, bald die Untersuchung des ganzen Finanzwesens und<br />
<strong>der</strong> gesamten Stadtverwaltung auf sich nahm. Aber zu einer Einigung<br />
mit dem Nat kam es trotz vieler stürmischen Verhandlungen<br />
nicht, bis endlich das Eingreifen des Herzogs Philipp Julius und<br />
<strong>der</strong> Bürgervertrag von 1616 die neue Stadtoerfassung schuf, die<br />
dann über 200 Jahre in Geltung geblieben ist. Die Akten über all<br />
diese Verhandlungen nehmen einen breiten Raum ein.<br />
Schon vorher waren infolge <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> Klöster und des<br />
Überganges <strong>der</strong> Verwaltung <strong>der</strong> Stiftsgel<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Armenpflege<br />
an die Stadt neue Pflichten für den Rat erwachsen. Die in den<br />
geistlichen Angelegenheiten schwer zu vereinigenden bezw. zu trennenden<br />
Ansprüche des Landesherrn, des Rates und <strong>der</strong> Patrone mußten<br />
geregelt werden und fanden ihren Abschluß in dem Erbvertrag von<br />
1615. Auch hierdurch wuchs die Aktenmasse — und die an<strong>der</strong>en<br />
Stadtgeschäfte gingen ihren Gang. Die Kanzlisten waren nicht<br />
mehr imstande, diese Aktenmasse zu bewältigen und zu ordnen. Der<br />
spätere Bürgermeister Bartholomäus Sastrow legte als Protonotar<br />
zuerst den Grund zu einer geordneten Kanzlei und einem Archive,<br />
„wozu er in landesherrlichen Diensten Sinn und Fähigkeit erworben<br />
hatte""). In seiner „Schutzschrift" ^), übergeben dem Rat am<br />
28. September 1589, sagt Sastrow: „Dann ick hebbe die Cantzley<br />
angerichtet. Man erinnere sich man, wat dat vor mir vor ein<br />
(Üonfu3um cka03 mit <strong>der</strong> Schriverie alhir thom Sunde gewesen;<br />
hebbo erst recht richtig Prothocol geholden. Die idt verstan, sehen<br />
wol, was min Nubrikenbock uth allen <strong>der</strong> Stadt Privilegien gethagen,<br />
dar vorhen einig Bürgermeister, Rathman, Syndicus noch<br />
Secretarius nicht geweten, wat man in pnvile^ii8 hedde, densulven<br />
vele Arbeit verschont und die Richtigkeit darmit verschaffet, dat,<br />
wenn man eine jede ^viateriam darin upschleit, strax alles un<strong>der</strong> einan<strong>der</strong><br />
findet, wo idt mit <strong>der</strong>fulven vom Anfange <strong>der</strong> Stadt beth<br />
up disen Dach geschapen."<br />
Das Rubrikenbuch besitzen wir noch^). In ihm zerlegt Sastrow<br />
is) Brandenburg, Magistrat. S. 59.<br />
") Gedruckt von Mohnike, Sastrows Herkommen etc. III, S. 177 f.
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. 91<br />
den ganzen urkundlichen Stoff fachlich, z. B. Eigentum <strong>der</strong> Stadt<br />
(folgen die Dörfer), Schulen, Vikarien und Altäre, Schätzung, Landsteuer,<br />
Vogtei, Geleit, Willküren, MUHlen. Jagd usw., im ganzen<br />
381 Rubriken, und ordnet unter diefe die Urkunden ein, indem er<br />
die betreffende Stelle wörtlich nach dem Original o<strong>der</strong> die ganze<br />
Urkunde wie<strong>der</strong>gibt. Wo, wie in den älteren Privilegienbestätigungen,<br />
<strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Urkunde verschiedene Materien umfaßt, zerlegt<br />
er ihn und bringt die Auszüge zu <strong>der</strong> betreffenden Rubrik, sodaß<br />
viele Urkunden mehrmals unter verschiedenen Rubriken fich<br />
finden. Die Anlage war zweifellos praktisch und jede Materie darin<br />
„strar" zu finden. Die Arbeit wurde dann von an<strong>der</strong>en fortgesetzt,<br />
entbehrt aber <strong>der</strong> Vollständigkeit.<br />
Ein Verzeichnis <strong>der</strong> Akten hat Sastrow wohl nicht angelegt, er<br />
erwähnt darüber auch nichts. Daß aber geordnet worden ist, beweisen<br />
die Schränke „aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Reformation", mit Schiebkasten<br />
und Türen, auf denen die Embleme <strong>der</strong> Anstalt, <strong>der</strong> sie<br />
dienten, gemalt waren, z. B. bei den geistlichen Stiftungen eine<br />
Nonne, ein Kalandsbru<strong>der</strong>, ein Pilger^). Dies bezieht sich zwar<br />
auf die Kanzlei, aber „vermutlich erhielt das eigentliche Stadtarchiv<br />
eine ähnliche Einrichtung". Genaueres erfahren wir nicht, auch nicht<br />
über die Lage <strong>der</strong> Archivräume und wann diese zuerst eingerichtet<br />
worden sind und ob — was wahrscheinlich ist — <strong>der</strong> Zuwachs <strong>der</strong><br />
Archivalien nicht Vergrößerungen des Raumes o<strong>der</strong> Verlegungen in<br />
an<strong>der</strong>e Räume notwendig gemacht hat.<br />
Nach dem Übergang Vorpommerns an die Krone Schweden vermehrte<br />
sich <strong>der</strong> Stoff gewaltig, denn nunmehr kamen auch Akten<br />
<strong>der</strong> Stände und Landtage und <strong>der</strong> Stadt Stralsund als Direktorialstadt<br />
von Vorpommern in die Kanzlei bezw. das Archiv. Die<br />
Akten über die schwedische Garnison in <strong>der</strong> Stadt, die Verhandlungen<br />
mit den nordischen Mächten und Brandenburg vor, während<br />
und nach den Belagerungen ließen die Akten außerordentlich anschwellen.<br />
Lei<strong>der</strong> scheinen gar keine Nachrichten darüber vorhanden<br />
zu sein, wohin das Archiv während <strong>der</strong> Beschießungen in Sicherheit<br />
gebracht worden ist, was doch bestimmt ebenso geschah wie mit <strong>der</strong><br />
Stadtbibliotheki7). Soviel ist aber wohl gewiß, daß das Archiv<br />
^) Jetzt Mskr. IV. 4.<br />
16) Brandenburg, Archiv S. 80. Er hat sie noch gesehen.<br />
17) Vgl. hierüber: Nachrichten von <strong>der</strong> Entstehung und Einrichtung <strong>der</strong><br />
Ratsbibliothek in Stralsund von A. Brandenburg, Stralsund 1829, auch dem<br />
Alphabetischen Verzeichnis oer in <strong>der</strong> Ratsbibliothek zu Stralsund befindlichen<br />
Vücher vorgesetzt.
92 Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
duich sie ebensowenig wie durch die öftere Verlegung in an<strong>der</strong>e<br />
Räume größere Verluste erlitten hat. 1623 befand es sich in einem<br />
„Gewölbe". In <strong>der</strong> Kanzleiordnung vom 28. Januar 1623^) heißt<br />
es § 6: „Der Protonotarius soll mit Hilf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n, auch mit<br />
Ufsicht und Beysein <strong>der</strong> 3^nclicorum alle Bücher,
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. 93<br />
nöthig, daß for<strong>der</strong>samst die Fensterleuchten solchergestalt reparirt<br />
werden, daß vom Regen und Ungewitter die vorhandenen Acten gesichert<br />
sein". Ob nun, wie für die Ordnung, auch etwas zum Schutz<br />
<strong>der</strong> Akten gegen Wind und Wetter geschah, erfahren wir nicht^).<br />
Aber als man 1742 im Rathaus einen großen Umbau vornahm,<br />
wurde <strong>der</strong> Archivraum, „<strong>der</strong> nur aus einem Kreuzgewölbe bestand,<br />
durcb Hinzuziehung <strong>der</strong> Rezeptionsstube für den Stadtzoll (Pfundkammer)<br />
um einen gleichen Raum vergrößert"^). Nur zu bald erwiesen<br />
sich aber auch diese Räume als unpraktisch und zu eng. Mit<br />
dem Mangel an Platz riß auch die Unordnung wie<strong>der</strong> ein; „nur im<br />
Dienst ergraute Beamte konnten sich zurechtfinden".<br />
Im Jahre 1767^) verlangte die schwedische Einrichtungskommission,<br />
die die ganze Stadtverwaltung genau prüfte und ihre Aufmerksamkeit<br />
beson<strong>der</strong>s auf die Finanzen richtete, Angaben über die<br />
ihrer Meinung nach ganz unnötigen Ausgaben für „Verehrungen<br />
und Präsente" an verdiente Persönlichkeiten und die Belege dafür<br />
wenigstens seit 1720. schon um die Empfänger festzustellen. Der<br />
Rat erklärte, daß Akten und beson<strong>der</strong>e Belege hierüber überhaupt<br />
nicht vorhanden wären, da diese delikate Angelegenheit nicht für die<br />
Öffentlichkeit bestimmt sei und man von dem durch ein Präsent Ausgezeichneten<br />
doch nicht noch eine beson<strong>der</strong>e Empfangsbescheinigung<br />
verlangen könnte. Die Vorsitzenden <strong>der</strong> Kommission, Graf v. Putbus,<br />
Oberst v. Bliren und Baron v. Essen, wiesen diese Gründe<br />
schroff zurück, verlangten sofortige Vorlegung des Gewünfchten und<br />
eventuell Zutritt zum Archiv. Diesen aber wollte <strong>der</strong> Rat unter allen<br />
Umständen vermeiden und wies auf die Bestimmungen des „allerhöchst<br />
bestätigten" Bürgervertrages von 1615 hin, die ihn zur Geheimhaltung<br />
<strong>der</strong> Archivalien verpflichteten. Es kam zu sehr scharfen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen, bis endlich <strong>der</strong> Syndikus erklärte, daß er<br />
das Archiv öffnen und die verlangten Verzeichnisse vorlegen wollte^).<br />
Die Kommission verzichtete dann darauf, „jetzo Acta zu inspicieren<br />
o<strong>der</strong> aus dem Archiv zu nehmen", und wünschte nur letzteres und<br />
dessen Einrichtung zu besehen. „Inzwischen müßte ihnen auch ersteres,<br />
wenn sie es künftig nötig finden sollten, freistehen".<br />
22) Die Urfehden haben sehr durch Nässe gelitten, vielleicht in dieser Zeit.<br />
22) Brandenburg, a. a. O.<br />
24) ^cta commizzionls Vol. I I^asc. 5.<br />
25) Es liegen noch ein Verzeichnis <strong>der</strong> 1720—65 gemachten „Ehrungen<br />
und Präsenten" bei. das nur die Summen, und ein an<strong>der</strong>es von 1755—65,<br />
das auch die Namen <strong>der</strong> Empfänger enthält.
94 Die Entstehung des Stralsünde Stadtarchivs.<br />
Ob nur <strong>der</strong> Paragraph des Bürgervertrages o<strong>der</strong> nicht auch ein<br />
gewisses Gefühl <strong>der</strong> Scham über den Zustand des Archives die Ratsherren<br />
bewog, jede Einsichtnahme zu verhin<strong>der</strong>n, mag dahingestellt<br />
bleiben. Jedenfalls behielt das Kollegium <strong>der</strong> Hun<strong>der</strong>tmänner die<br />
Angelegenheit doch im Auge und machte 1780 Vorschläge zur „Aufräumung<br />
und Beordung des Archivs"^). Der Nat hielt sie aber<br />
nicht für „anwendlich", da sich niemand finden würde, <strong>der</strong> die Arbeit<br />
übernehmen und nach getaner Arbeit wie<strong>der</strong> entlassen werden sollte<br />
ohne Aussicht auf weitere Beschäftigung, <strong>der</strong> Protonotar und <strong>der</strong><br />
Sekretär aber nicht imstande sein würden, neben ihren laufenden<br />
Amtsgeschäften die Ordnung zu schaffen und aufrecht zu erhalten.<br />
Der Nat schlug die Verbindung des Amtes des Archivars mit dem<br />
des Bibliothekars vor und erbat die Ernennung einiger Deputierter<br />
Zur Besprechung dieser „Sentiments".<br />
Die Verhandlungen zwischen den Hun<strong>der</strong>tmännern und dem Nat<br />
fanden dann auch wirklich statt. Ium Jahre 1782^) hören wir von<br />
dem Plane einer Neuordnung des ganzen Archives und <strong>der</strong> Anstelluno<br />
eines eigenen Archivars. Es wurden auch auf sechs Jahre jährlich<br />
3NN Rtl. vorgeschlagen. Das Kollegium indes wies den Vorschlag-eines<br />
beson<strong>der</strong>en Beamten ab, weil die Ordnung Sache <strong>der</strong><br />
Sekretäre sei, bewilligte aber für die Ordnungsarbeiten 1790<br />
1000 Ntl.28).<br />
Erst 1795 fand sich für sie eine geeignete Persönlichkeit in <strong>der</strong><br />
Person des ersten Syndikus Rudolf Gülich. Einem <strong>der</strong> Syndici lag<br />
ja auch nach <strong>der</strong> Kanzleiordnung von 1720 die Aufsicht des Archives<br />
ob. Gülich empfand direkt Gewissensbisse wegen des Zustandes des<br />
Archives, das nun seiner Aufsicht unterstellt war. Er war sich <strong>der</strong><br />
Schwere <strong>der</strong> Aufgabe bewußt und reichte deshalb am 4. November<br />
1795 einen Bericht über das „ganz verworrene Archiv" ein, um von<br />
vmnherein allzu großen Hoffnungen des Nates vorzubeugen. Er<br />
gibt einen Aberblick über die Einrichtung des Archives, macht Vorschläge<br />
zur Verbesserung und bringt eine Berechnung <strong>der</strong> Kosten.<br />
Wir wollen hier nur hervorheben, daß er statt <strong>der</strong> hohen Neposituren<br />
tragbare, mit Türen versehene Schränke einführte, in welchen<br />
nun die Akten ihren Platz fanden. Jetzt wurde auch den Urkunden<br />
mehr Aufmerksamkeit zugewendet. Es wurden kleine tragbare<br />
Schränke hergestellt, in denen die Originale, soweit sie zur Zeit auf-<br />
26) Akten (^ II, 2, /Vlonita des colle^ii civium. Es liegt nur die Antwort<br />
des Rates vor.<br />
27) Brandenburg. Archiv. S. 83.<br />
2«) Akte betr. Kanzleiordnung.
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. 95<br />
gefunden werden konnten^), untergebracht wurden. Diese Arbeit<br />
war zur Zeit A. Brandenburgs 1833 noch im Gange. Gülich selbst<br />
sah aber bald ein, daß er durch die Archivordnung seine an<strong>der</strong>en Arbeiten<br />
versäumen müßte. Der Rat war zufrieden, daß unter seiner<br />
Leitung eine befähigte Person gegen 1NNN Rtl. Belohnung die<br />
Albeit übernahm. Gülich schlug den jüngsten Sohn des verstorbenen<br />
Syndikus Kühl, Johann Christian Kühl, vor, <strong>der</strong> schon während<br />
<strong>der</strong> letzten Lebensjahre seines Vaters die Bibliothek unter Aufsicht<br />
gehabt und auch unter Gülichs Leitung auf dem Löwenschen Saal<br />
die Sachen „arrangieret und inventieret" und dabei viel „3leiß und<br />
Assiduität" gezeigt hatte. Der Rat genehmigte nicht nur die Anschaffung<br />
<strong>der</strong> tragbaren Schränke und die Anstellung des jungen<br />
Advokaten Kühl, son<strong>der</strong>n gestattete auch, damit die Arbeit während<br />
des Winters keine Unterbrechung erleide, daß Kühl Akten in seine<br />
Wohnung nehme und nach ihrer Ordnung „nach dem von ihm geleisteten<br />
Eide" 3") getreulich wie<strong>der</strong> zurückliefere.<br />
Als Nachfolger Gülichs können wir den Protonotar Arnold<br />
Brandenburg bezeichnen. Er hat in seiner oft erwähnten Arbeit über<br />
das rathäusliche Archiv <strong>der</strong> Stadt als Fachmann und Zeitgenosse<br />
uns eingehend unterrichtet über die Räume und äußere Einrichtung,<br />
die Verwaltung und den Umfang, die Anordnung und innere Einrichtung<br />
des Archives, wie er sie teils vorfand, teils schuf, und über<br />
den Wert desselben, so daß es genügt, auf diefe Arbeit hinzuweisen.<br />
Iu einer Ieit, wo nach den Freiheitskriegen <strong>der</strong> Sinn für die vaterländische<br />
Geschichte einen erfreulichen Auffchwung nahm, schuf Brandenburg<br />
die Möglichkeit zu einer wissenschaftlichen Benutzung des<br />
Archives. Und Männer wie Chr. Ehrenfried Charisius^) und<br />
Ichann Albert Dinnies^) haben diese Möglichkeit für die Heimatgeschichte<br />
in reichem und würdigem Maße ausgenutzt.<br />
Brandenburg wandte sich beson<strong>der</strong>s den Urkunden zu und hat von<br />
denjenigen, die ihm bei ihrer damaligen Zerstreutheit bekannt ge-<br />
29) Brandenburg a. a. O. S. 84 führt einen Iall vom Jahre 1832 an.<br />
in dem 300 bis dahin noch unbekannte Urkunden aufgefunden wurden.<br />
Dr. 3. 3abricius fand etwa 50 Jahre später noch welche, und die Arbeiten<br />
für das Hansische und das Pommersche UrKundenbuch för<strong>der</strong>ten auch noch<br />
mehrere zu Tage.<br />
20) Die Vereidigung Kiihls vom 13. 3ebruar 1796. Akte <strong>der</strong> Kanzleiordnung.<br />
21) Er legte 1769 ein chronologisches Verzeichnis „<strong>der</strong> 1765 im Privilegienkasten<br />
gefundenen Originale" an.<br />
22) Vgl. A. Brandenburg. Joh. Alb. Dinnies. Nachrichten von seinem<br />
Leben und seinen Schriften. Stralsund 1827.
96 Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
worden sind, eine große Menge verzeichnet, allerdings natürlich in<br />
einer den heutigen Anfor<strong>der</strong>ungen nicht mehr genügenden Art und<br />
lei<strong>der</strong> in einer oft kaum entzifferbaren Schrift, und suchte fie auch<br />
fchcn durch Urkunden aus fremden Archiven, beson<strong>der</strong>s Lübeck und<br />
Danzig. aus Drucken o<strong>der</strong> durch Mitteilung an<strong>der</strong>er Gelehrter zu<br />
ergänzen. Ihm schwebte auch fchon die Vereinigung aller noch getrennt<br />
liegenden kleinen Verwaltungsarchioe und <strong>der</strong> <strong>der</strong> kirchlichen<br />
Korporationen, frommen Stiftungen und <strong>der</strong> Gewerke vor.<br />
Die 3rage^) nach einer gründlichen und durchgreifenden Ordnuno<br />
wurde dann 1866 durch den Bürgermeister 3rancke aufgeworfen.<br />
Seine ortsgeschichtlichen <strong>Studien</strong> hatten ihn oft ins Archiv<br />
geführt. In seiner Eingabe an den Rat vom Oktober, die eigentlich<br />
dem Plan <strong>der</strong> Herausgabe <strong>der</strong> ältesten Stadtbücher gewidmet war,<br />
sagt er, daß <strong>der</strong> Zustand des Archives „zur Zeit in mehr als einer<br />
Beziehung ein wirklich trauriger ist". 3Ur die Art und Weise <strong>der</strong><br />
Herausgabe <strong>der</strong> Stadtbücher wurden auch die Gutachten des Dr. Otto<br />
Fock und des Geh. Archivrats Dr. G. Lisch in Schwerin eingeholt.<br />
Ihre Ansichten hierüber können wir übergehen. Aber den Zustand<br />
des Archives aber äußert sich 3ock, <strong>der</strong> es für feine RUgensch-<br />
Pymmersche Geschichten sehr eingehend benutzt hatte: „Nicht nur.<br />
daß es an je<strong>der</strong> den heutigen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Archivwissenschaft<br />
nur einigermaßen entsprechenden Anordnung fehlt und daß die alten<br />
Urkunden äußerlich in einer Weise aufbewahrt sind, die fast unvermeidlich<br />
zu Beschädigung, Abreißen von Siegeln u. <strong>der</strong>gl. führt, so<br />
fehlt es auch an je<strong>der</strong> Inventarisierung und Katalogisierung des so<br />
reichhaltigen handschriftlichen und urkundlichen Materials, so daß<br />
man we<strong>der</strong> weiß, was da sein soll, noch was faktisch da ist." 3ocks<br />
Ulteii ist wohl doch beeinflußt worden durch die Erinnerung an die<br />
mühevolle Benutzung und die Begleichung mit dem Zustande andner,<br />
beson<strong>der</strong>s des Danziger Archivs. Ruhiger urteilt Lisch, dem<br />
„dle Haupturkunden noch ziemlich vollständig vorhanden zu sein<br />
scheinen und sonst durchgängig in gutem Zustande sind". Aber die<br />
Aufbewahrung selbst äußerte er sich nicht und wünschte nur mehr<br />
Beiücksichtigung <strong>der</strong> Akten des 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Auf Grund dieser Gutachten und des Appells an die Ehre und<br />
das Ansehen <strong>der</strong> Stadt beantragte <strong>der</strong> Rat am 14. Oktober 1867<br />
bei den Altermännern des Gewandhauses die Anstellung eines tüchtiaen,<br />
bewährten und die nötigen Kenntnisse besitzenden Mannes,<br />
33) Das Folgende nach den Akten des Rates betr. Ordnen <strong>der</strong> Urkunden.<br />
Jach 4 Nr. 1 (N. R. 3ach 2 Nr. 4).
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
er, wie man annehme, in einem Jahre die Arbeit werde machen<br />
önnen, sowie die Anweisung von 800 Talern für honorierung <strong>der</strong><br />
lrbeit und Deckung <strong>der</strong> Nebenkosten. Das Kollegium bewilligte die<br />
wmme, und zwar zur Hälfte aus den Mitteln <strong>der</strong> vier Klöster^)<br />
nd zur Hälfte aus denen <strong>der</strong> Stadtkasse.<br />
Der Syndikus Erichson übernahm es, sich mit dem Referendar<br />
)r. Ferdinand Fabricius, damals in Berlin, wegen Übernahme<br />
el Arbeit in Verbindung zu setzen. 3abricius nahm das Anerbieten<br />
crn an. erbat aber Aufschub zum Beginn seiner Arbeit bis nach Er-<br />
'digung des Assessorexamens. Er gedachte dann einen einjährigen<br />
Irlaub zu nehmen und diese Ieit ganz dem Archiv zu widmen.<br />
Am 1. Mai 1868 begann Fabricius seine Tätigkeit in Stralmd.<br />
Nachdem er 21/2 Monate sich über den Zustand des hiesigen<br />
lrchivwesens im allgemeinen und über den Stand <strong>der</strong> bisher geästeten<br />
Vorarbeiten unterrichtet hatte, unternahm er eine einmonatche<br />
Reise nach dem Staatsarchiv zu Breslau und dem Stadtarchiv<br />
1 Danzig, um die von ihm gewonnenen Anschauungen mit den dort<br />
ewonnenen praktischen Erfahrungen zu vergleichen (3l). Juli bis<br />
l). August 1868). Zurückgekehrt nahm er die Arbeit im Stadtlchiv<br />
wie<strong>der</strong> auf und hat in dem einen Jahre (bis 1. Mai 1869><br />
lst Unglaubliches geleistet, beson<strong>der</strong>s wenn man erwägt, daß er<br />
eben seiner archivalischen Arbeit noch Muße genug fand zur Berbeitung<br />
des ältesten Stralsun<strong>der</strong> Stadtbuches und dessen Druckaung<br />
bis zum 5. Bogen^), sowie zu einer Neubearbeitung sämtcher<br />
rügenscher Urkunden und Regesten bis 1325 als Anhang zu<br />
5s C. Fabricius vielbändigem Werke <strong>der</strong> rügenschen Urkunden,<br />
ber seine Tätigkeit im Archive erstattete er unter dem 14. August<br />
nen eingehenden Bericht. Er begann mit den Urkunden, und zwar<br />
it den ältesten, weil damals noch <strong>der</strong> Plan eines UrKundenbuches<br />
:r Stadt Stralsund schwebte und er hierzu Vorarbeiten liefern<br />
ollte. Das Ergebnis waren vier Kästen mit etwa 2000 Regesten,<br />
r beschränkte sich hierbei aber nicht auf die Originale, er zog auch<br />
le Handschriften und Drucke heran zur Vervollständigung des Marials<br />
— aber auch um die Methode kennen zu lernen, nach <strong>der</strong> er<br />
l arbeiten hatte. Denn er ging, wie er selbst sagt, als „Anfänger"<br />
; die Arbeit und bedurfte noch <strong>der</strong> „Belehrung". Mit dem Austopfen<br />
<strong>der</strong> von ihm benutzten Werke: (Üodex pomeraniae von Kose-<br />
") Annen-Brigitten. St. Johann. St. Jürgen und Heil. Geist.<br />
2b) Beson<strong>der</strong>s durch die Herstellung <strong>der</strong> Register verzögerte sich die<br />
erausgabe bis 1872.
W Die Entstehung des Stralsünde? Stadtarchivs.<br />
galten und Hasselbach, dem Pommerschen UrKundenbuch I, Dreger?<br />
(^oclex diplomatic^, den Rügenschen Urkunden von C. Fabricius<br />
dem (üociex I^ubicen8j3 und <strong>der</strong> Urkundlichen Geschichte <strong>der</strong> hansc<br />
von Sartorius-Lappenberg, dem Mecklenburgischen Urkundenbuche,<br />
den UrKundenbüchern des Geschlechts <strong>der</strong> Behr von Lisch und <strong>der</strong> von<br />
Krassow von v. Bohlen sowie <strong>der</strong> im 5. Heft von O. 3ocks Rügensch-Pommerschen<br />
Geschichten gedruckten Urkunden übernahm ei<br />
aber in die Regestensammlung auch viele Urkunden, die sich wedei<br />
im Original noch in Abschrift im Stadtarchiv befinden. Der nächst!<br />
Erfolg dieser Arbeit war „ein vollständiges Repertorium <strong>der</strong> da;<br />
Fürstentum Rügen betreffenden Urkunden"^) nach dem damaliger<br />
Stand <strong>der</strong> Wissenschaft, die aber nur zum Teil die Stadt Stralsund<br />
betreffen. Für die Ieit nach 1325, dem Jahre des Aussterbens dei<br />
rügenschen Fürsten, kamen nur noch die Zeitschriften für die Ge<br />
schichte <strong>der</strong> Provinz in Frage (Gadebusch, Gesterding u. a.), au<br />
<strong>der</strong>en Durchsicht Fabricius aus Zeitmangel verzichten mußte. Abe'<br />
er fügte seiner Sammlung auch die ihm aus Danzig mitgeteilter<br />
Stralsund betreffenden Urkunden ein. Sein Streben ging zunächst da<br />
hin, „aus allen irgend zu ermittelnden Verzeichnissen und mit 3u<br />
Hilfenahme aller erreichbaren auswärtigen Kräfte ein möglichst um<br />
fangreiches Repertorium Stralsun<strong>der</strong> Urkunden zu erzielen". Nebe,<br />
diesem Streben galt seine Arbeit den im Stadtarchiv befindliche!<br />
Originalurkunden.<br />
Fabricius fand die Urkunden in den eichenen Schränken vor<br />
die Brandenburg hatte anfertigen lassen und in die er sie in einei<br />
systematischen Ordnung unterzubringen gedachte. Er suchte die il<br />
Unordnung geratene Anordnung wie<strong>der</strong>herzustellen und hieran di<br />
weitere Ordnung <strong>der</strong> Urkunden zu knüpfen. Es sollten neue Ab<br />
teilungen gebildet werden, die sich aus <strong>der</strong> fortschreitenden Arbei<br />
ergaben und die <strong>der</strong> praktische Blick den alten neben- o<strong>der</strong> unter<br />
ordnete. Auch legte er jede Urkunde in eine hülle von steifen<br />
Papier, von denen ein Teil auch Datum und kurze Inhaltsangaber<br />
<strong>der</strong> Urkunden trugen, was später ganz durchgeführt werden sollte<br />
Jede Schieblade versah er mit einer den Inhalt bezeichnenden Auf<br />
schrift. Die Siegel befreite er von den ihnen schon sehr schädlich ge<br />
wordenen Umhüllungen aus Watte und Baumwolle.<br />
Beim Fortschreiten <strong>der</strong> Arbeit kamen Fabricius aber doch Zwei<br />
fel, ob eine systematische Ordnung des ganzen Bestandes sich würd<br />
durchfühlen lassen. Was an seine Stelle zu setzen wäre, darübe<br />
36) Gedr. bei C. Fabricws. Rüg. Urk. IV. S. 161 ff.
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs. 99<br />
ollte die Entscheidung erst nach Durcharbeitung <strong>der</strong> ganzen Masse<br />
allen. Daß aber gewisse Gruppen ausgeschieden und geson<strong>der</strong>t<br />
leiben müßten, war ihm klar: die Urfehden und die Testamente, die<br />
ls organisch, d. h. historisch erwachsene Gebilde schon damals Grupen<br />
für sich bildeten. Die Archive <strong>der</strong> Klöster, Kirchen und frommen<br />
Stiftungen mit dem Archiv zu vereinigen schien ihm sehr wünschensiert.<br />
Den Akten hat Fabricius nur eine allgemeine Durchsicht gelidmet,<br />
um einen ungefähren Überblick über den Bestand zu gelinnen,<br />
und er beschränkte sich darauf, ganz allgemeine Gesichtsunkte<br />
aufzustellen, nach denen nach feinem Dafürhalten die Ordung<br />
anzufassen wäre. Als Beispiel für seine Methode hatte er<br />
in Verzeichnis aller das Archiv und das Kanzleiwesen betreffenden<br />
Ikten, die er aus den verschiedensten Abteilungen zusammengesucht<br />
atte, angelegt und dies in Gruppen (Qeneralia, äpecialia, peronalia)<br />
geteilt. Lei<strong>der</strong> ist das Verzeichnis bei <strong>der</strong> Zirkulation<br />
nter den Ratsherren verloren gegangen.<br />
Der Bericht, den Fabricius am Schluß seiner Tätigkeit einreichte,<br />
nd das Interesse <strong>der</strong> Stadtverwaltung an <strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> im<br />
Hange befindlichen Ordnungsarbeiten führte dann 1870 zur An-<br />
-ellung Fabricius' als Protonotar und als Archivar im Nebenamte,<br />
adem man das Gehalt des Protonotars durch eine jährliche Iu-<br />
3ge von 400 Talern verbesserte. So bekam die Stadt ihren „Stadtrchivar"<br />
ohne Schaffung einer beson<strong>der</strong>en Stelle. Vom 1. Januar<br />
870 an ist Fabricius drei Jahre lang als solcher tätig gewesen,<br />
inde September 1873 legte er die Stelle nie<strong>der</strong> infolge feiner Erennung<br />
zum Obergerichtsassessor beim Obergericht in Osnabrück.<br />
)en beabsichtigten Bericht über seine dreijährige Tätigkeit hat er<br />
nter <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> neuen Berufsarbeiten nicht mehr liefern können.<br />
5s läßt sich aber leicht feststellen, daß er sich im wesentlichen auf<br />
as Verzeichnen von Originalen beschränkt hat. Es lagen vor die<br />
tegesten <strong>der</strong> Urkunden <strong>der</strong> Kaiser, <strong>der</strong> Könige von Schweden, Norlegen<br />
und Dänemark, <strong>der</strong> Herzoge von Pommern und <strong>der</strong> Herzoge<br />
on Mecklenburg, sowie <strong>der</strong> Fürsten von Rügen und des Kalands^).<br />
)ie Regesten sind juristisch scharf gefaßt und vorzüglich, genügen aber<br />
en heutigen Anfor<strong>der</strong>ungen deshalb nicht mehr, weil fie die in den<br />
Irkunden enthaltenen Personen- und Ortsnamen nicht ausschöpfen.<br />
5s fehlen ferner die Angaben über den Stoff und die Besiegelung.<br />
3') Ihm hat er eine beson<strong>der</strong>e Abhandlung gewidmet, gedr. Balt. Stud.<br />
6 (1876).<br />
7*
100 Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
Die Daten sind zwar in <strong>der</strong> mittelalterlichen Form gegeben, aber gekürzt<br />
und hochdeutsch: „Montag nach Pfingsten". Auch fehlen die<br />
in den Urkunden oft gemachten genaueren Angaben über die Lage<br />
von verkauften o<strong>der</strong> vertauschten Grundstücken, die manche noch<br />
heute gebräuchliche Ortsbezeichnung o<strong>der</strong> einen Flurnamen enthalten.<br />
— Doch findet sich die Spur seiner Tätigkeit überall. Dabei war<br />
er aber immer auch darauf bedacht, wissenschaftliche Arbeiten zu<br />
unterstützen. Das Hansische UrKundenbuch z. B. verdankt ihm vielc<br />
wertvolle Beiträge. Allen Geschichtsforschern bekannt sind seinc<br />
Arbeiten über die Stadtbücher^).<br />
Das Archiv befand sich noch, wie zur Ieit Brandenburgs, ir,<br />
dem Raume neben <strong>der</strong> Kalkulatur. Er war eng und dunkel. Dak<br />
war nicht schön, mußte aber ertragen werden, solange an<strong>der</strong>e Näunu<br />
nicht zur Verfügung standen. Den wenigen Benutzern mußte eim<br />
Unbequemlichkeit mit <strong>der</strong> Aussicht auf bessere Zeiten zugemutet werden^).<br />
Als nun aber <strong>der</strong>, wie wir sahen, für die Geschichte seinei<br />
Vaterstadt und für die Bewahrung ihrer Schätze hochverdiente<br />
Dr. Fabricius 1883, damals Oberlandesgerichtsrat in Celle, da5<br />
Archiv benutzte, gewahrte er „mit Bestürzung", daß die Räume an<br />
Feuchtigkeit litten. Er versäumte nicht, sofort in einem vom 26. September<br />
datierten Schreiben an Bürgermeister und Rat darauf hinzuweisen.^).<br />
Da nun gerade damals größere bauliche An<strong>der</strong>unger<br />
im Rathaus vorgenommen und die Verlegung verschiedener Büro?<br />
geplant wurde, so beschloß <strong>der</strong> Rat, die beiden im Erdgeschoß de5<br />
Rathauses befindlichen Räume, welche die Ientralkasse innehatte<br />
zum Archiv zu machen und alle Schränke, Spinde usw. mit ihren<br />
Inhalt hinüberzuschaffen (April 1886). Es verging aber noch mehi<br />
als ein Jahr, bis es dazu kam. Auf eine vertrauliche Anfrage er<br />
klärte sich 3abricius bereit, bei <strong>der</strong> Überführung des Archives mi<br />
Rat und Tat mitzuwirken. Am 23. Mai 1887 erging dann du<br />
offizielle Bitte des Rates an ihn, ihm seine Unterstützung nicht zr<br />
versagen, und Fabricius opferte einen Teil seiner Gerichtsferien füi<br />
die ihm gewiß sehr am Herzen liegende Arbeit und gedachte die 3ei<br />
vom 15. Juli bis 15. August 1887 auf sie zu verwenden. Di<<br />
2«) Balt. Stud. 46 (1896).<br />
39) über den Instand des Archives sagt Prümers 1882 im 32. Bd. de<br />
Balt. Stud. S. 89: „Wenn auch die Spuren <strong>der</strong> Tätigkeit des Herrn Iabri<br />
cius überall zu sehen sind, so fehlt doch noch viel, daß völlige Ordnung her<br />
gestellt sein sollte." 3abricius nennt die Arbeit Prümers' „flüchtig, welch'<br />
filschc Vorstellungen von dem Zustande des Archivs erwecken kann".<br />
") Das Iolgende nach den Akten des Rates 3ach 3 Nr. 5 (1885).
Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
Wünsche, welche vor seiner Ankunft erfüllt werden sollten, gingen<br />
dahin, daß zu den Schränken für die Urkunden, die er bei seiner<br />
früheren Ordnung hatte stark belegen müssen, noch ein weiterer angefertigt<br />
werden sollte, <strong>der</strong> aber tiefere Schubladen hatte als die von<br />
Brandenburg angeschafften"), die mit beweglichen herunterzuklappenden<br />
Vor<strong>der</strong>leisten versehen waren. Sodann erbat er als Schreibhilfe,<br />
wenn möglich, einen Ratskanzlisten, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Mitarbeit<br />
zugleich einen Einblick in das Archiv gewinnen und bei späteren<br />
Benutzungen gute Dienste leisten konnte. Bestimmt wurde hierzu<br />
<strong>der</strong> Aktuar Reinhold.<br />
Fabricius arbeitete vom 18. Juli bis 8. August und vollendete<br />
„ein Unternehmen, dem Sie einstmals entschlossen waren, Ihre ganze<br />
Tätigkeit zu widmen", wie <strong>der</strong> Rat in seinem Dankschreiben sagt.<br />
3abricius aber war <strong>der</strong> Ansicht, daß „eine vollständige Ordnung<br />
des Archivs noch nicht erreicht, aber ein wesentlicher Schritt vorwärts<br />
in dieser Richtung getan" sei. Seine Arbeit schätzte er bescheiden<br />
dahin ein. daß er das Material, das „durch die Ungunst<br />
<strong>der</strong> Zeiten und die wie<strong>der</strong>holt wechselnde Bestimmung <strong>der</strong> einzelnen<br />
Räume ziemlich auseinan<strong>der</strong> geraten", gesammelt und die „6i3iecw<br />
inembra" zusammengebracht hätte. Er beabsichtigte noch die Veröffentlichung<br />
ausführlicherer Nachrichten über das Archiv und hatte<br />
hierfür während seiner Tätigkeit im Archive Notizen gesammelt und<br />
als beson<strong>der</strong>es Aktenbündel seinem promemona von 1873 beigefügt.<br />
Er fand sie 1886 nicht mehr vor, und sie sind auch bisher nicht<br />
wie<strong>der</strong> aufgefunden^).<br />
Dem Wunfche Fabricius', einen regelmäßigen Archivdienst zu<br />
bestimmten Stunden in <strong>der</strong> Woche einzurichten, während <strong>der</strong>en den<br />
Forschern <strong>der</strong> Zutritt unter amtlicher Aufsicht gestattet wird, konnte<br />
bei <strong>der</strong> geringen Iahl <strong>der</strong> Beamten nicht entsprochen werden. Erhält<br />
aber ein Frem<strong>der</strong> die Erlaubnis zur Arbeit im Archiv, so sollte ein<br />
Beamter „nach zu treffen<strong>der</strong> näherer Anordnung den Begleiter abgeben".<br />
Nachdem sich <strong>der</strong> Rat durch Besichtigung <strong>der</strong> Räume davon überzeugt<br />
hatte, daß Ordnung geschaffen und <strong>der</strong> Inhalt verzeichnet war,<br />
erging an sämtliche Departements die Auffor<strong>der</strong>ung, ohne Wissen<br />
des Syndikus Erichson keine Akten in diese Räume zu schaffen,<br />
und keine Aktenbeseitigung vorzunehmen ohne Genehmigung des<br />
") Vgl. Brandenburg, Archiv. S. 86—87.<br />
42) Unter seinem Nachlaß fand sich noch ein leerer Umschlag mit <strong>der</strong> Aufschrift:<br />
„Archiv, Vergangenheit, Gegenwart und Iukunft", <strong>der</strong> vielleicht einst<br />
diese Notizen enthielt.
102 Die Entstehung des Stralsun<strong>der</strong> Stadtarchivs.<br />
Rates. So wurde eine feste Grundlage geschaffen für die Nein<br />
Haltung des Archives von fremden Bestandteilen und die Vermei<br />
'düng <strong>der</strong> Verwendung seiner Räume als Rumpelkammer, aber aucl<br />
für eine systematische Ergänzung durch später auszuscheidende Akten<br />
Nach Fabricius sind größere Arbeiten zur Ordnung des Archive«<br />
nicht gemacht worden. Vielfach begegnet man den Spuren Rudol^<br />
Bayers^), den beson<strong>der</strong>s das 15. Jahrhun<strong>der</strong>t interessiert haben wird<br />
da er viele Briefe diefer Zeit in beson<strong>der</strong>e Umschläge legte, die er mil<br />
dem Namen des Ausstellers und dem Datum versah. 1899 wurde voir<br />
Gemeindekirchenrat von St. Iacobi die Einverleibung des Kirchen<br />
archives in das Stadtarchiv unter Vorbehalt des Eigentums be<br />
schlössen, ebenso des von St. Marien, während St. Nicolai „ir<br />
Berücksichtigung <strong>der</strong> ihm mitgeteilten Äußerung, daß das Archiv n<br />
gutem Zustand sich befinde, das Archiv zu untersuchen und die noä<br />
nicht inventarisierten Schriftstücke zu ordnen und zu inventarisieren'<br />
erklärte.<br />
Das Bestreben, die Archive <strong>der</strong> geistlichen Korporation den<br />
Stadtarchiv zuzuführen, führte 1903 dazu, daß <strong>der</strong> Oberlehrei<br />
Dr. Ebeling in Gemeinschaft mit dem Gymnasialdirektor Dr. Reutei<br />
aus Demmin im Auftrage <strong>der</strong> Stadt eine Reife nach Rom unter<br />
nahm zur Forschung nach dem Verbleib <strong>der</strong> verschollenen Urkunde!<br />
des Stralsun<strong>der</strong> Dominikaner- und des 3ranziskanerklosters. En<br />
Erfolg blieb ihnen versagt.<br />
In den Sommermonaten des Jahres 1921 hat Herr Dr. Mörinc<br />
im Archive gearbeitet und seine Aufmerksamkeit beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong><br />
Akten zugewendet. Er hat auch die Urkunden mehrerer Schubkäster<br />
mit Regesten versehen und die unter ihnen liegenden Akten geson<strong>der</strong>t<br />
und da eingefügt, wohin fie gehörten. Mit den Akten auf den<br />
Kammern des Rathausbodens aber konnte er wegen Raummangel<br />
nur wenig machen. Doch hat er von den Prozeßakten die ihm kulturgeschichtlich<br />
interessant erscheinenden 3älle ausgeschieden. Die Iunftakten<br />
hat er, soweit es möglich war. zentralisiert, wie denn sein<br />
Bestreben überhaupt mehr dahin ging, „durch Sammlung und Verzeichnung<br />
von Handakten für die wichtigsten Gebiete des städtischer<br />
Lebens den Benutzern des Archives eine rasche Orientierung übet<br />
die verfügbaren Aktenbestände zu verschaffen" und fo zur Pflege det<br />
Ortsgeschichte anzuregen. Außerordentlich dankenswert sind auck<br />
seine Inhaltsübersichten eines großen Teiles <strong>der</strong> zahlreichen dick-<br />
") Einen Nachruf von Curschmann in den Pomm. Jahrbüchern 1908,<br />
S. 7 ff.
Die Entstehung des Stralsünde Stadtarchivs. 103<br />
leibigen Bände <strong>der</strong> Mscellanea, einer gebundenen Sammlung gedruckter<br />
und geschriebener Stücke des verschiedensten Inhalts.<br />
Die Vereinigung <strong>der</strong> Stelle des Vorstandes <strong>der</strong> Stadtbibliothek<br />
und des Stadtarchivars in <strong>der</strong> Person des Herrn Dr. 3ritz Adler<br />
1919 ließ bald den Wunsch rege werden, beide Institute auch in<br />
einem Hause zu vereinigen. Der Arbeitsraum des Archivs war<br />
zwar hell und sonnig, aber eng und entbehrte aller wissenschaftlichen<br />
Hilfsmittel. Die wenn auch nur zeitweilige Abordnung eines Beamten<br />
zur Verfügung des Benutzers stieß auf Schwierigkeiten bei<br />
<strong>der</strong> kleinen Iahl <strong>der</strong> Angestellten. Dem regen Eifer Dr. Adlers<br />
gelang es denn auch, den Plan, das Haus <strong>der</strong> Bibliothek auch zum<br />
Heim des Archives auszubauen, zu verwirklichen. Die Amtsräume<br />
einiger kleiner BeHürden, die. während des Krieges entstanden,<br />
wie<strong>der</strong> eingingen, wurden durch Umbau für die neuen Zwecke hergerichtet.<br />
Sie liegen im Erdgeschoß und stehen durch eine Treppe<br />
mit <strong>der</strong> im ersten Stock befindlichen Bücherei in Verbindung. Der<br />
neuerdings schön und praktisch eingerichtete Lesesaal mit Handbibliothek<br />
dient auch als Arbeitsraum für" die Archivbenutzer. Im<br />
Erdgeschoß befindet sich ein Zimmer für die Handschriften, eins<br />
für die Urkunden und eines für die Akten. In ihnen sind die <strong>Bestände</strong><br />
des alten Archives untergebracht. Von dem Verfasser dieses<br />
Aufsatzes, <strong>der</strong> seit dem April 1927 in Stralsund tätig ist. sind die<br />
Handschriften neu verzeichnet und dabei auch die Inhaltsangaben <strong>der</strong><br />
oben genannten M8ceIIaneH durchgeführt, die Urkunden, zu denen<br />
auch alle Briefe bis etwa 1520 gerechnet werden, regestiert und<br />
chronologisch gelegt worden. Die Akten sind neu verzeichnet und<br />
werden im Laufe des Sommers nach <strong>der</strong> neuen Ordnung in die Gestelle<br />
gelegt werden. Während <strong>der</strong>selben Zeit wird auch die letzte<br />
noch im Bibliotheksgebäude untergebrachte Behörde an<strong>der</strong>swohin<br />
verlegt werden und ihre Räume frei für die oben erwähnten Akten<br />
<strong>der</strong> Kammern auf dem Rathausboden. Die Sichtung und Überführung<br />
dieser soll im Sommer 1929 erfolgen, fo daß alsdann alle<br />
ursprünglichen Teile des Stadtarchives vereinigt sind.
Stralsunds Münz- und Geldwesen<br />
im Belagerungsjahre 1628<br />
Mit 3 Lichtdrucktafeln.<br />
Von<br />
s. Tassilo Hoffmann.
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Velagerungsjahre 1628 10?<br />
-<br />
Seit dem Abschluß <strong>der</strong> folgenschweren Franzburger Kapitulation<br />
vom November 1627, durch die Bogislaw den kaiserlichen Scharen<br />
die Aufnahme in sein Land gewährte, mußten gerade Nat und<br />
Bürgerschaft von Stralsund angesichts <strong>der</strong> Lage ihrer Stadt mit dem<br />
Eintreten baldiger Verwickelungen rechnen. In <strong>der</strong> richtigen Erkenntnis,<br />
daß das Haupterfor<strong>der</strong>nis zu je<strong>der</strong> kriegerischen Operation<br />
Geld ist, ebenso auch um den Frieden etwa zu erkaufen, wie es ihr<br />
Landesherr im Vorjahre Schweden gegenüber getan, richteten im<br />
Nat <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> damalige Bürgermeister Quilow und <strong>der</strong> Syndikus<br />
Steinwich ihr Hauptaugenmerk auf die schleunige Beschaffung<br />
hinreichen<strong>der</strong> Geldmittel. Der Ratssitzung vom 2. Januar 1628<br />
mit dem einzigen Punkt <strong>der</strong> Tagesordnung: Einteilung <strong>der</strong> Bürgerschaft<br />
in acht Fähnlein, folgt gleich am nächsten Tage eine Besprechung<br />
<strong>der</strong> Geldangelegenheiten mit dem — erneuerten Beschluß,<br />
den städtischen Münzmeister anzuweisen, Silbergeld in möglichst<br />
großem Ausmaße zu prägen, „weil <strong>der</strong> Müntzer ansehnlich Silber<br />
bekompt. das er sich verattestieren solle, Neichstaler zu machen, wie<br />
sie des Neichs Schrot und Korn gemäß und <strong>der</strong> zu Lübeck und<br />
Nostock geschlagen werden. . ." Mit bemerkenswertem Weitblick<br />
war nämlich schon im November des Jahres vorher im Rate <strong>der</strong><br />
Antrag eingebracht worden, „dieweil wir in dieser noth geld haben<br />
müßen und leute sind, die Silber haben", dem Münzmeister die<br />
Prägung von „grobem Silber" zu befehlen, und die „verordneten<br />
Herren zur Müntz" gaben ihrerseits dem Münzmeister Anweisung,<br />
w^e eine freiwillige Metallabgabe <strong>der</strong> Bürger behandelt werden solle.<br />
Dieser Appell an den freien Willen und vor allem an die Einsicht<br />
von <strong>der</strong> Notwendigkeit solcher Maßnahmen scheint auch in Stralsund<br />
damals von keinem großen Erfolge gewesen zu sein. Vier<br />
Wochen später muß <strong>der</strong> Rat zur Beschlagnahme des Edelmetalls in<br />
<strong>der</strong> Stadt schreiten, und bald wird das gepfändete Silber von <strong>der</strong><br />
Schoßkammer weggeführt und <strong>der</strong> Münze zugestellt. Auch den<br />
Ämtern wird die Hälfte des Iunftsilbers abgefor<strong>der</strong>t, und ohne<br />
Wi<strong>der</strong>rede liefern jetzt die Altermänner <strong>der</strong> Viergewerke „um dieser<br />
<strong>der</strong> Stadt obliegenden Noth den halben Teil ihres Ampts-Silbers<br />
zum gemeinen Besten" ab (Protokoll vom 24. Dezember 1627).<br />
Aus den Löffeln und dem Silbergeschirr <strong>der</strong> Bürger, aus den<br />
Bechern und Willkommen <strong>der</strong> Iünfte, die daher aus dieser Ieit im<br />
Heimatmuseum fast völlig fehlen, wurde also das Stralsun<strong>der</strong> Silber-
108 Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628<br />
geld im Belagerungsjahre geprägt. Ein Punkt ist hier zum Kurantgelde<br />
des Jahres 1628 anzumerken: es wurde durchweg vollwertig<br />
ausgebracht. Man hat sehr wohl daran gedacht, die Taler stärker<br />
zu legieren, wie dies in namentlich länger andauernden Kriegsläuften<br />
in <strong>der</strong> Regel geschah. Als aber ein dahingehen<strong>der</strong> Antrag<br />
im Rat gemacht wird (9. Februar 1628), begegnet die vorgeschlagene<br />
Münzverschlechterung allgemeiner Ablehnung: ,Monetae<br />
keäuctio könne nicht zugelassen werden, son<strong>der</strong>n es müsse die müntz<br />
in itzigen Valore bleiben". So stark wirkte wohl noch die Scheu<br />
vor <strong>der</strong> kaum erst überwundenen Inflation <strong>der</strong> Kipperzeit nach<br />
(vgl. den unterwertigen Taler von 1622, <strong>der</strong> schließlich auf den<br />
achten Teil feines Nominalwertes herunterging). Und noch eine<br />
an<strong>der</strong>e Maßregel erwies sich später als richtig: <strong>der</strong> überwiegende<br />
Schlag <strong>der</strong> groben Sorten, dem gegenüber die Ausprägung von<br />
Düttchen (Nr. 4 unten) keine wesentliche Rolle gespielt hat. In<br />
<strong>der</strong> „Drey Jährigen Drancksal Des Herzogthumbs Pommern" (o. O.<br />
1631) behandelt <strong>der</strong> 9. Klagepunkt den Verlust bei dem von den<br />
kaiserlichen Soldaten vielfach verlangten Wechsel von kleiner Münze<br />
in Taler. Das hierdurch bewiesene Agio <strong>der</strong> groben Sorten, „auf<br />
jeden Reichsdaler ein gewiffes auffgeldt", ist damals somit den<br />
Stralsun<strong>der</strong> Bürgern zugute gekommen.<br />
Aber nicht nur das an die städtische Münze freiwillig o<strong>der</strong><br />
zwangsweise abgelieferte Silber ließ <strong>der</strong> Rat vermünzen, son<strong>der</strong>n<br />
ging in seinen Maßnahmen auf diesem Gebiet noch weiter, wenngleich<br />
das Ratsprotokoll hierüber nichts vermeldet. Die Numismatik<br />
kann den Beweis erbringen, daß die ersten Goldmünzenstempel<br />
<strong>der</strong> Stadt aus dem Anfang des Belagerungsjahres stammen<br />
müssen (vgl. Nrn. 1 a und b unten). 3ür den Verkehr <strong>der</strong> Bürger<br />
untereinan<strong>der</strong> genügte <strong>der</strong> Taler und seine Teilstücke, dem auswärtigen<br />
Handel dienten daneben Überweisungen, englische Nosenobel<br />
und holländische Dukaten. Nun aber wurden in jedem 3alle alle<br />
irgend erreichbaren Geldmittel gebraucht, und so schnitt <strong>der</strong> damalige<br />
Münzmeister Asmus Riek ho f die ersten Goldguldenstempel<br />
<strong>der</strong> Stadt Stralsund. Die Ausprägung <strong>der</strong> Goldmünzen<br />
selbst scheint er nicht mehr erlebt zu haben, denn die einzigen bekannten<br />
Exemplare tragen das (überschnittene) Münzzeichen seines<br />
Amtsnachfolgers Hans Puls, werden also erst in <strong>der</strong> zweiten<br />
Hälfte des Jahres 1628 verausgabt worden sein. Eine wie wichtige<br />
Rolle übrigens dem Geld und seinem Kurse in dieser wilden Zeit<br />
des Dreißigjährigen Krieges doch zugeschrieben wurde, die man<br />
früher als je<strong>der</strong> Handelspolitik bar, vielmehr als im Zustande
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628 109<br />
dauern<strong>der</strong> Inflation befindlich anzusprechen geneigt war, und die<br />
un) erst jetzt in diefer Hinficht verständlicher wird, beweist <strong>der</strong><br />
12. Punkt des 1630 zwischen Gustav Adolf und Bogislaw abgeschlossenen<br />
Vertrages, nach dem die Künigl. Schwedische Münze<br />
sowohl in Pommern, als die Pommersche in Schweden „nach<br />
rechter Valvation deß Orts, da sie zu geben" genommen werden<br />
folle.<br />
Neben <strong>der</strong> Einziehung <strong>der</strong> Edelmetalle erwähnt das Natsprotokoll<br />
auch eine solche von Kupfer und Iinn. Es ist nicht anzunehmen,<br />
daß diese Beschlagnahme in dem Ausmaße wie beim<br />
Silber vor sich ging; wenigstens zur Herstellung des Kupfergeldes<br />
(vgl. Nr. 5 unten) kann man nur ein unbedeutendes Quantum benötigt<br />
haben. Über diefes kupferne Notgeld läßt sich lei<strong>der</strong> nichts<br />
Genaueres feststellen, vor allem nicht, welchen Wert es hatte. Ursprünglich<br />
sicher zu einem amtlich festgesetzten Iwangskurse verausgabt,<br />
scheint es doch bald gefallen zu sein, und noch die nächsten<br />
Ichre nach <strong>der</strong> Belagerung herrschte allgemeine Unklarheit über<br />
den Rechnungswert <strong>der</strong> Stücke. Mehrere diesbezügliche Anfragen<br />
beim Rat erzielen kein Refultat, und noch im Oktober 1631 heißt<br />
es im Protokoll, wegen <strong>der</strong> kupfernen Münzen „weiß ein Ehrbarer<br />
Rath keine Gewißheit noch". Über die eigentliche Belagerung hinaus<br />
ist diefes Kupfergeld sicherlich nicht weiter hergestellt worden,<br />
denn auch die nächsten Jahre legte <strong>der</strong> Rat ausfchließlich Wert auj<br />
den Schlag <strong>der</strong> groben Sorten. Als im Herbst 1631 <strong>der</strong> Münzmeister<br />
um die Zustellung <strong>der</strong> auf dem Rathause verwahrten Prägestempel<br />
anhält, beschließt <strong>der</strong> Rat: die Stempel sollen dem Münzmeister<br />
noch nicht wie<strong>der</strong>gegeben werden, son<strong>der</strong>n er soll „reichsthaler<br />
und gulden müntz schlagen" (Protokoll vom 11. Oktober<br />
1631). Im Jahre 1633 sind dann offenbar die kupfernen Notmünzen<br />
endlich aus dem Verkehr verschwunden, denn dem sich in<br />
<strong>der</strong> Stadt fühlbar machenden Mangel an kleiner Münze hilft <strong>der</strong><br />
Rat durch Ausprägung einer neuen filbernen Münzsorte, die den<br />
alten Namen „Witten" erhält, in genanntem Jahre ab*).<br />
*) Während <strong>der</strong> Drucklegung finde ich in <strong>der</strong> „Kurzen Relation über die<br />
wallensteinische Belagerung" vom Magister Sleker die wichtige Notiz, daß<br />
noch im Mai 1629 ein „Sundischer Stempel", wie das Notgeld genannt wird,<br />
gleich einem „Dütken" ist. Ferner stelle ich noch in dem an dieser Stelle beson<strong>der</strong>s<br />
schwer lesbaren Ratsprotokoll vom 6. Oktober 1631 fest, daß das<br />
kupferne Notgeld damals noch kursiert, auf schwedisches Drängen hin gekündigt,<br />
d. h. verrufen werden soll und daß 8 Stück davon auf 1 Düttchen<br />
gehen. — Die obige Annahme fortschreiten<strong>der</strong> Entwertung <strong>der</strong> Notmünzen<br />
war also richtig.
lit) Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628<br />
Die Sorge um die Beschaffung <strong>der</strong> nötigen Gel<strong>der</strong> zur Löhnung<br />
<strong>der</strong> Stadtsoldaten sowie für die dänischen und schwedischen hilfstruppen<br />
geht wie ein roter 3aden durch die Protokolle fast je<strong>der</strong><br />
Sitzung des Rates. Hatte es im Jahre 1627 stets gehießen, man<br />
müsse gute Mittel suchen, daß man Vorrat an Geld habe, so<br />
lautete jetzt in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Belagerung die bange 3rage immer erneut<br />
und immer dringen<strong>der</strong>: wie bringen wir den nächsten Monatssold<br />
für die Truppen auf? So schreibt wenige Tage vor dem Beginn<br />
<strong>der</strong> eigentlichen Belagerung die Tagesordnung des Rats vom<br />
6. Mai vor, es sei von Geldmitteln zu reden, damit nicht „mutinatio<br />
<strong>der</strong> Soldaten" entstehe. Bald werden auch die Schiffer und<br />
die Roßleute — die städtische Marine und die Dragoner — „schwielig",<br />
da sie ihren Sold unregelmäßig o<strong>der</strong> nur zum Teil erhalten.<br />
Zwar hat „ein Ehrbarer Rath auf Geldmittel gedacht und sich<br />
zu Lübeck und an<strong>der</strong>en Orten bemüht und ferner nach Hamburg<br />
geschrieben", wie es im Protokoll vom 8. Mai heißt, aber alle diese<br />
Schritte blieben offenbar erfolglos. Auch die formelle Aufhebung<br />
<strong>der</strong> Belagerung verbesserte später angesichts <strong>der</strong> inzwischen stark<br />
vermehrten Söldnerzahl die mißliche finanzielle Lage <strong>der</strong> Stadt<br />
keineswegs. Als im Herbst 1628 die Truppen auf Auszahlung ihres<br />
Monatssoldes drängen,, weiß sich <strong>der</strong> Rat nicht an<strong>der</strong>s mehr zu<br />
helfen, als daß er ihnen einen „Halbmonat" zahlt und für die<br />
übrigen 3 Taler jedem Soldaten „Restzettel" gibt, — ein geldgeschichtlich<br />
wichtiger Vorgang, <strong>der</strong> bisher unbekannt geblieben ist.<br />
Von diesen Münzscheinen (Papiergeld im eigentlichen Sinne waren<br />
die ungedeckten Zettel nicht) bis zu dem unter Königl. Garantie<br />
mit Iwangskurs herausgegebenen Papier-Notgeld, wie es später<br />
Gneisenau bei <strong>der</strong> Belagerung <strong>der</strong> preußischen Festung Colberg<br />
einführte, wäre es nur ein Schritt gewesen,- doch fehlte den Stadtvätern<br />
Stralsunds zu solcher Maßnahme eben die herzogliche Garantie<br />
und mehr noch, das Vertrauen zu dem damaligen Landesherrn.<br />
Soweit mir bekannt, sind von solchen Restzetteln, die kaum auf den<br />
Namen des Empfängers ausgestellt, innerhalb <strong>der</strong> Stadt sicherlich<br />
frei begeben werden konnten, keine auf uns gekommen- wir<br />
hätten sonst hiermit das früheste Beispiel sog. Papiergeldes in<br />
Deutschland überhaupt, als dessen ältestes heute das von Maßfeld<br />
in Thüringen aus dem Dreißigjährigen Kriege gilt (Menadier,<br />
Schausammlung des Münzkabinetts Berlin, S. 493).<br />
Es versteht sich nach den obigen Ausführungen über den ständigen<br />
Mangel an Kurantgeld im Belagerungsjahre von selbst, daß<br />
die Annahme, die Schaumünzen auf die Befreiung <strong>der</strong> Stadt
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628 111<br />
seien noch aus dem Jahre 1628, dessen Zahl sie tragen, abwegig ist.<br />
Der Rat hatte zunächst ganz an<strong>der</strong>e Sorgen, und es spricht im<br />
Gegenteil für seine Umsicht und Fähigkeit, so schnell seiner in<br />
je<strong>der</strong> Beziehung schwierigen Lage Herr geworden zu sein, daß er<br />
schon Anfang des Jahres 1630 silberne und goldene Schaustücke zu<br />
staatspolitischen Geschenken zur Verfügung hat. In <strong>der</strong> Sitzung<br />
vom 2. Dezember 1629 hatte <strong>der</strong> Senat beschlossen, Schaupfennige<br />
zu prägen, die auf <strong>der</strong> einen Seite die Aufschrift tragen sollten:<br />
3tral8un6a, ao. 1628 12. ^a^, ob3e8a, oppu^nata,<br />
et ope incl^tor. He^um vicinor. obzickone liberata, 23.<br />
eiu86em; auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n um den Strahl in mar^ine die Worte:<br />
Deo, dX8ari, k^
112 Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628<br />
Das erste Exemplar <strong>der</strong> Schaupfennige überhaupt, noch bevor<br />
man sich über <strong>der</strong>en Größe und Gewicht geeinigt hatte, war in<br />
einem goldenen Abschlage für den schwedischen Legaten Steno<br />
Bielke bestimmt und wurde diesem zusammen mit zwei Pokalen<br />
im Januar 1630 vom Rate überreicht. Auch später hat die Stadt<br />
verständlicherweise gerne „gulden Schawpfenninge" an Standespersonen<br />
und an gewichtige Gönner zu Geschenken verwendet und<br />
von eigens zu diesem Zwecke gekauftem Golde im Oktober des<br />
Jahres 1631 allein für über 20N0 Gulden davon prägen lassen.<br />
So wissen wir von einem Goldabschlag, vergoldeten Pokal und<br />
30 Rosenobeln (^ 720 Mark Sundisch), die im Juni 1631 <strong>der</strong><br />
Generalquartiermeister Tutterant(?) erhält, und aus dem nächsten<br />
Jahre von einem goldenen Schaupfennig als Hochzeitsgeschenk <strong>der</strong><br />
Stadt an den Königl. Schwedischen Agenten in Stralsund. Mitte<br />
Oktober 1631 schickt <strong>der</strong> Rat unter an<strong>der</strong>en Präsenten „oor I.K.M,<br />
die Königinne einen guldenen Pfenning" nach Schloß Wolgast, und<br />
Gustav Adolf selbst soll ein Exemplar <strong>der</strong> goldenen Schaumünze<br />
seinem Oberst Alexan<strong>der</strong> Lesle, wohl für die Einnahme von Altefähr<br />
auf Rügen, zum Geschenk gemacht haben (vgl. Nr. 9 unten)'.<br />
Man hat bekanntlich <strong>der</strong> Stadt Stralsund damals und auch<br />
später schwere Vorwürfe gemacht, daß sie fremde Hülfe angerufen,<br />
und hat namentlich ihr Bündnis mit <strong>der</strong> Krone Schweden als einen<br />
Akt verräterischen Abfalls von Kaiser und Reich gebrandmarkt.<br />
Ist es nicht vielmehr als ein Zeichen von Festhalten am deutschen<br />
Vaterlande auf <strong>der</strong> einen, und von Staatsklugheit auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite anzusprechen, wenn <strong>der</strong> Rat von Stralsund bei jedem Geschenk<br />
gerade an die Mitglie<strong>der</strong> des verbündeten Königl. Schwedischen<br />
Hauses o<strong>der</strong> an dessen Diener durch die Inschrift <strong>der</strong> Schautaler<br />
auf die Befreiung <strong>der</strong> Stadt immer wie<strong>der</strong> die Zugehörigkeit<br />
Stralsunds zum Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation<br />
zum Ausdruck bringt!<br />
Kurantgeld vom Jahre 1628<br />
1a Goldgulden<br />
1V10 : NO: äVN . 87N^8VN^N8I3 tsp Strahl, darunter Kreuz<br />
zwischen 16—^8<br />
Rs. k"^I)Ii>I^..ii..O..c!.^()^:i^:3.^V Reichsadler in verzierter<br />
bogiger Einfassung.<br />
Slg. Hoffmann; v. Liebeherr —, Dinnies —, Bratling 48, Kat. Pogge 1429<br />
(ungenau).
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Velagerungsjahre 1628 113<br />
Bei dieser frühesten Goldmünze <strong>der</strong> Stadt, mit welcher die<br />
Reihe <strong>der</strong> 1681 endenden Ausprägung goldener Kurantmünzen<br />
ihren Anfang nimmt, fällt das sonst nicht vorkommende ^ in <strong>der</strong><br />
Schreibweise des Stadtnamens auf: iviOI^T^ NOV^ /^VN^<br />
3^^3VN7^N3I3. Das einzige mir bekanntgewordene Exemplar<br />
dieses Goldguldens, das zu Pogges Zeiten auf dem Stralsun<strong>der</strong><br />
Wall gefunden wurde und in sein Eigentum überging, blieb seit <strong>der</strong><br />
Versteigerung <strong>der</strong> Münzsammlung des Greifswal<strong>der</strong> Kommerzienrates<br />
(Frankfurt 1903) 25 Jahre lang verschwunden. Auch <strong>der</strong><br />
Verbleib des im Knopf <strong>der</strong> Turmspitze von St. Nicolai 1867 gefundenen<br />
„Dukaten" vom Belagerungsjahre ließ sich nicht ermitteln.<br />
Das jetzt in die Sammlung des Verfassers gelangte Exemplar<br />
Pogges „vom Stralsun<strong>der</strong> Wall" zeigt, daß die im Versteigerung^kataloge<br />
irrig 1?^ gedeuteten Münzmeister-Initialen vielmehr t-i?<br />
zu lesen sind, also den städtischen Münzmeister Hans Puls andeuten.<br />
1b Goldgulden (zweiter Stempel)<br />
IVlON. N0. ^Vk. ci V : 87k^8Vl>I. «p Stadtwappen inKartusche.<br />
Rs. l"^DI^^^D:II.I).a.^().I^.3: Reichsapfel, daneben<br />
16—28<br />
v. Lieb. —. Dinnies —, Kat. v. d. Heyden (Bln. 1884) Nr. 204.<br />
Dieser zweite Stempel, <strong>der</strong> zum ersten Mal in <strong>der</strong> lateinischen<br />
Vs.-Umschrift einer Stralsun<strong>der</strong> Münze das in den Jahren nach <strong>der</strong><br />
Belagerung fast regelmäßig vor den Stadtnamen gesetzte
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Velagenmgsjahre 1628<br />
Die folgende Münze gibt hierfür die Erklärung und damit den Beweis,<br />
daß die ersten Goldmünzen-Stempel Stralsunds trotz des<br />
Münzzeichens nicht von Hans Puls geschnitten worden sind.<br />
Taler<br />
ZT'^^V^o^^ziz G: A Stadtwappen.<br />
Rs. l^^om^^OVz.II.Qi a.^Q^i I^p.z^'vi.^vcH Gekrönter<br />
Doppeladler mit <strong>der</strong> Wertzahl 325 im Kreise auf <strong>der</strong> Brust,<br />
daneben 16—^8<br />
Slg v. Ilemming; o. Lieb. S. 44 zu 32, Vratr. 49 (ungenau).<br />
Auch zu den Talern des Jahres 1628 müssen mehrere Stempel<br />
verwendet worden sein, ohne daß sie in <strong>der</strong> Zeichnung so stark voneinan<strong>der</strong><br />
abweichen wie die voraufgehenden Goldgulden. In <strong>der</strong><br />
Sammlung Graf Schliessen (3rkft. 1905, Nr. 2228) kam ein von<br />
dem Hamburger Großkaufmann Gutheil (1885 Nr. 7554) stammen<strong>der</strong><br />
Taler dieses Jahres vor, <strong>der</strong> neben abweichen<strong>der</strong> Rs.-Umschrift<br />
auf <strong>der</strong> Brust des Doppeladlers statt des Kreises den sonst<br />
üblichen Reichsapfel zeigt.<br />
Das Münzzeichen des Talers und des folgenden Halbtalers:<br />
— ein Prägestock gekreuzt mit einem Zainhaken — sind als das<br />
Zeichen des Münzmeisters Asmus Niekhof zu deuten, <strong>der</strong> ausweislich<br />
seiner Gepräge seit 1623 in Stralsund tätig war. Gerade im<br />
Jahre 1628 scheint er gestorben o<strong>der</strong> sonst ausgeschieden zu sein,<br />
denn von dem obigen Niekhofschen Vs.-Stempel gibt es einen breiten<br />
Halbtaler, auf dem über das ursprüngliche Münzzeichen Niekhofs<br />
Hans Puls sein Monogramm mit Zainhaken geschnitten hat, wie<br />
dies auch bei dem ersten <strong>der</strong> obigen Goldgulden sich vermuten, bei<br />
dem zweiten Stempel deutlich feststellen läßt, nachdem von dem<br />
vorliegenden Taler das Riekhofsche Zeichen bekannt ist. Ob bei dem<br />
hier in 3rage stehenden Stück die Überschneidung im Jahre 1628<br />
o<strong>der</strong> 29 geschah, ist nicht zu ermitteln, denn die Rückseite des Halbtalers<br />
vom Talerstempel zeigt die aus 1628 in 29 abgeän<strong>der</strong>te<br />
Jahreszahl (aus Stockholm stammendes Kuriosum <strong>der</strong> Slg. v. Flemming:<br />
14,15 3), und bemerkenswerterweise die Wertzahl 3^ statt<br />
<strong>der</strong> 16 für einen halben Taler. — Jedenfalls erscheint Riekhof 1629<br />
nicht mehr mit irgend welchen Geprägen in Stralsund, während<br />
Anfang Juli 1628 im Ratsprotokoll von „Hans Pulsen" als vom<br />
städtischen Münzmeister gesprochen wird.
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628 115<br />
Stadtwappen, daneben 16—^8<br />
Halbtaler<br />
Zeichen wie bei 2.<br />
Rs. k^kü>IN^H>V3 II 0: 0: 1^0 : I^ : 3 : ^ : Gekrönter Doppeladler<br />
mit <strong>der</strong> Wertzahl 16 im Kreise auf <strong>der</strong> Brust.<br />
Slg. Hoffmann; v. Lieb. —, Dinnies —, Bratring 50 „Unikum".<br />
Münzzeichen und Mache lassen dieses offenbare Unikum eines an<br />
sich seltenen Nominals wohl als letzte Arbeit von Asmus Riekhof<br />
erkennen. Das Stück gelangte aus <strong>der</strong> bekannten Sammlung v.Wilmersdörffer<br />
(3rkft. 1907. Nr. 8981) auf Umwegen in die des Verfassers.<br />
4 Düttchen (Vi6 Taler ^ 3 Schill, lüb.)<br />
D5K - 31^0 - 37N^3VNI) ü^> (3c. Q^I^). Stadtwaßpen.<br />
Rs. k5icN8 - 3CNN07 - VNV - KOKN: Im Felde vierzeilig:<br />
- 16<br />
Kab. München; v. Lieb. S. 46.59 „Iwey Groschen Stück", Vratr. zu 51 (lücken-<br />
haft).<br />
An <strong>der</strong> verhältnismäßig starken Ausprägung dieser kleinsten<br />
städtischen Münze — <strong>der</strong> Schlag <strong>der</strong> kupfernen 6 und 3 Pfennigstücke<br />
von 1622 war schon im Jahre darauf wie<strong>der</strong> eingestellt<br />
worden — ist nicht nur, wie Bratring annimmt, Hans Puls, son<strong>der</strong>n<br />
auch noch <strong>der</strong> Münzmeister Niekhof beteiligt gewesen, <strong>der</strong><br />
1623 mit <strong>der</strong> Prägung dieses Nominals den Anfang gemacht hatte.<br />
Das von Bratring (Anm. zu Nr. 51) erwähnte Münzmeisterzeichen<br />
„Vogel" auf einem Düttchen vom Jahre 1628 ist ausweislich eines<br />
solchen unscharfen Exemplares in <strong>der</strong> Sammlung des Verfassers das<br />
mißdeutete Zeichen Riekhofs, das hier in <strong>der</strong> Tat einem rechtshin<br />
stehenden Vogel ähnelt.<br />
5 Einseitige Notmünze<br />
Kleine achteckige Kupferklippe mit zwei meist nebeneinan<strong>der</strong> eingeschlagenen<br />
Stempeln: Stadtwappen zwischen 16—28 und 3-0<br />
(Stadt- o<strong>der</strong> Stralsun<strong>der</strong>-Geld).<br />
Mus. Stralsund. Kab. Berlin; Brause, 3eld-, Not- und Belagerungsmünzen<br />
(Bln. 1897) S. 103. Vratr. 16/17.<br />
Wann die Herstellung dieses ausgesprochenen Notgeldes beschlossen<br />
und in welchem Umfange sie vorgenommen wurde, ist<br />
8*
116 Stralsunds Münz- und Geldwesen im Velagerungsjahre 1628<br />
we<strong>der</strong> aus dem Ratsprotokoll noch sonst zu ermitteln- ebensowenig<br />
lei<strong>der</strong>, welchen Kurswert die Notmünze hatte und ob und wann sie<br />
„verrufen" worden ist*). Bei dem doch wohl ziemlich ausgedehnten<br />
Schlage dieser einfach herzustellenden Münze aus dünnem Kupferblech<br />
kann es ni,cht wun<strong>der</strong>nehmen, daß die Stücke sowohl in <strong>der</strong><br />
Stellung <strong>der</strong> beiden Einschläge zueinan<strong>der</strong> als auch sonst stark voneinan<strong>der</strong><br />
abweichen. Daher erscheint Bratlings Angabe (Nr. 16),<br />
auf die Belagerung seien 2 Notmünzen geschlagen, irreführend und<br />
seine Nachforschung (Nr. 17) nach einem „inedierten" Exemplar<br />
dieser Notmünze, das zufällig sechseckig war und nur einen Einschlag<br />
zeigte (Slg. Wenergang-Stralsund, 1884 II Nr. 13) ziemlich<br />
belanglos.<br />
Schaumünzen auf die Befreiung<br />
6 Schautaler (mit Datum: 23. Juli)<br />
Strahl in dichtem Lorbeerkranze<br />
Rs. Unter einem Däumchen zwölfzeilig:<br />
^ . 015 XII<br />
57 . 0?5 .<br />
015 . XXIII - WI.I . 0L3I0I0 -<br />
Slg. v. Ilemming (29, 3 ^); Hildebrand, äveri^ez ... ^innezpenninssai- (Stockholm<br />
1874) I Nr. 10; Kat. Pogge 1475. Vratr. 15.<br />
Nächst dem Halbtaler <strong>der</strong> Stadt von 1628 i,st das vorliegende<br />
Schaustück <strong>der</strong> seltenste Stempel und sicher die wertvollste aller<br />
silbernen Denkmünzen auf die Belagerung. Ein Abschlag dieses<br />
'Talerstempels im Gewichte eines dicken Doppeltalers (59,8 3) liegt<br />
in <strong>der</strong> Schausammlung des Münzkabinetts Berlin (Menadier S.258).<br />
7 Breiter doppelter Schautaler (mit Datum: 24. Juli)<br />
Sehr ähnlich dem vorausgehenden Taler, nur steht vor <strong>der</strong> Vs.-<br />
Legende ein kleines Kreuz.<br />
*) Vgl. die spätere 3eststellung in <strong>der</strong> Anmerkung auf Seite 109.
Stralsunds Münz- und Geldwesen im Velagerungsjahre 1628 117<br />
Ns^Unter * * .in 14 Zeilen:^^0ttlX^ UNLI8<br />
xii ^^li ^ Mi.1<br />
^ 350<br />
XIV . O<br />
Von diesem breiten Schautaler-Stempel gibt es folgende Abschläge<br />
:<br />
a) Gold (34.5 3 ^ 10 Dukaten) Mus. Stralsund- Kat. Pogge<br />
1468. Kat. Vogel (Frkft. 1926) Nr. 4148. Bratr. 7.<br />
b) Doppeltaler (ca. 58 3) Kab. Berlin. Slg. Hoffmann; Kat.<br />
Pogge 1469. Bratr. 8.<br />
c) 11/2 Taler (ca. 43 3) Mus. Stralsund. Kab. Stockholm (5)i.ld.<br />
12). Slg. v. Flemming; Kat. Pogge 1470 (irrig als einfacher<br />
Taler). Bratr. 9.<br />
8 Breiter doppelter Scha utaler (mit Datum: 23. Juli)<br />
Bei. gleicher Umschrift <strong>der</strong> Strahl in lose gebundenem Lorbeerkranz<br />
und ohne BlMenreif.<br />
Rs. Bis auf Interpunktion und Ieilentrennung ähnliche Aufschrift,<br />
nur: stets V (statt U), INI^I^, Inc^VI^«. und 35?^^-<br />
7kl0N/^. sowie XXIII - IVI.I -<br />
Von diesem breiten Schautaler-Stempel sind bekannt:<br />
a) Doppeltaler (ca. 58 3) Kat. Pogge 1473. hild. 11. Bratr. 10.<br />
b) Taler (ca. 29 3) Mus. Stralsund. Kab. Berlin. Slg. Hoffmann;<br />
Kat. Pogge 1474; Bratr. 11.<br />
Es gibt Varianten von diesem offenbar häufigsten Stempel,<br />
die Vratring (Nrn. 12/13) zunächst fälschlich als solche mit dem<br />
dichten Lorbeerkranz (seine Nr. 9 bzw. 7) bezeichnet und dann als<br />
Unterscheidung das Fehlen einiger Punkte z. B. hinter D^O' anführt.<br />
Der hauptunterschied besteht in <strong>der</strong> stark verän<strong>der</strong>ten Zeichnung<br />
<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>seite, indem <strong>der</strong> lose gebundene Lorbeerkranz oben<br />
nicht mehr die Bandquasten erkennen läßt, die die Abbildung des<br />
früheren Stempels zeigt. Das Fehlen einzelner Punkte u. dgl. kann<br />
lediglich auf Abnutzung des Stempels zurückgehen (deutlich hinter<br />
D^0 bei Vratr. 12 ^ Kat. Pogge 1471), während das klare<br />
k^. ^. am Ende <strong>der</strong> Rs.-Aufschrift diesen Stempel zum letzten <strong>der</strong><br />
ganzen Reihe macht: das ursprüngliche p. p. an dieser Stelle, im<br />
2tempel in k^. ^. geän<strong>der</strong>t, läßt die Überschneidung erst deutlich<br />
und dann immer schwächer erkennen, bis sie auf dem abgenutzten
118 Stralsunds Münz- und Geldwesen im Belagerungsjahre 1628<br />
und wie<strong>der</strong>holt nachgeschnittenen Stempel schließlich ganz verschwindet.<br />
9 Silberne Gußmedaille (mit Datum: 23. Juli)<br />
Ahnlich dem Schautaler Nr. 8 (ohne die Quasten), nur neben dem<br />
Strahl 16—^8 (63 mm. ca. 64 3)<br />
Ns. Übereinstimmend mit Nr. 8<br />
Die Medaille kommt vor als:<br />
a) Vollguß (vergoldet): Kab. Stockholm (hild. 13), Slg. hoffmann.<br />
b) Bf. und Rs. einzeln gegosfen und zusammengesetzt: Mus. Stralsund,-<br />
Kat. Pogge 1476.<br />
Die z. T. in vergoldeten Exemplaren bekannte Gußmedaille<br />
zeigt körnigen Grund und bei<strong>der</strong>seits stark erhabenen Perlreif, <strong>der</strong><br />
die (vergoldete) Iläche geschickt schützt. Wenn Bratring (Nr. 14<br />
Anm. 5) nicht einsehen kann, weshalb dieses nur in wenigen Exemplaren<br />
nachweisbare Schaustück in <strong>der</strong> Poggeschen Auktion so gering<br />
geschätzt wurde, so ist ausschlaggebend, daß nur die voll gegossenen<br />
und altvergoldeten Stücke dieser Art „aus altem Stralsun<strong>der</strong> Familienbesitz"<br />
stammen.<br />
hildebrand (Anm. zu Nr. 13) bemerkt, ein goldenes Exemplar<br />
<strong>der</strong> Medaille sei von Gustav Adolf an Alexan<strong>der</strong> Lesle geschenkt<br />
und werde noch heute (1874) bei seinen Nachkommen in Schottland<br />
aufbewahrt. Wenn hier nicht eine Verwechslung mit dem<br />
bisher einzig in Gold nachweisbaren Stempel 7 a vorliegt, dürfte<br />
die starke Vergoldung über den silbernen Kern <strong>der</strong> schönen Medaille<br />
den Verfasser o<strong>der</strong> die Nachkommen des Beschenkten getäuscht haben.
1. Palais des Ivcldnmnchallc, 5varl Gnmni<br />
I
II<br />
2. Haus dcr 3lnnilic 3lellnniin^ in Stockholm<br />
Schlop) C
^, —' ^- ^. ^"<br />
III<br />
^. Stettin, Plan des Schlosse?<br />
^n
IV<br />
Stettin. Plan .',u
V<br />
5. ©ottorp, ôetylofi, ôfci^c ;,u einem l<br />
9. ôfei^e eines ßuftfdjlojfes
4 f<br />
-<br />
-H |<br />
1<br />
iTÉa<br />
•#•<br />
».MB<br />
i» M<br />
,t«ü.<br />
••••<br />
5,<br />
III<br />
as<br />
••<br />
JÜU<br />
p .0<br />
VI<br />
r,<br />
ç.
VII<br />
i<br />
I >u 8<br />
7. Eieren bei Korsin, ^>lan bes ccl)(of|'c5 non Zeffin
VIII
IX<br />
non îafcl VIII.
X<br />
3îonncfat) (Sdjiocben), ôtobthirdjc.
XI<br />
Strdfunb, 3afcobifcirct)e.
Kurantgeld v. J. 1628 (XII) I.<br />
— 3 —<br />
m, ib<br />
Denkmünzen a. d. Befreiung (XIII) II.
SP J<br />
^ '2.1' '3,7A<br />
li 1 • 1 '/J-J<br />
Vj6f1i!âLfTJP f kV** it<br />
(xiv) ui.
Valtische <strong>Studien</strong>.<br />
Herausgegeben<br />
von <strong>der</strong><br />
elWaft sur Pommersche Geschichte<br />
und Hltertumstunde.<br />
Neue Folge Band XXX.<br />
2. Hnlbbsmd.<br />
Stettin.<br />
Leon Saunler« Buchhandlung.<br />
1928.
Valtische <strong>Studien</strong>.<br />
Herausgegebeli<br />
von <strong>der</strong><br />
Gesellschaft für pommersche Geschichte<br />
und Altertumskunde.<br />
Neue Folge Band XXX.<br />
2. Palbband.<br />
Stettin<br />
1928.
Inhalts - Verzeichnis.<br />
)ä'nisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg (1157—1200).<br />
Von Dr. Oskar Eggert in Köslin 1<br />
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums" 1852—66. Ein<br />
Veitrag zur Geschichte des deutschen Ieitschriftenwesens. Von Prof.<br />
Dr. Hans Prutz in Stuttgart 77<br />
Beiträge zur Heimatkunde Hinterpommerns. 2. Das Gewerk <strong>der</strong> Bern-<br />
steindrcher in Stolp. Von Nervenarzt Dr. med. Schuppius in<br />
Stolp 103<br />
Zohannes Graf Lilljenftedts Grabdenkmal in <strong>der</strong> Marienkirche zu Stral-<br />
sund. Von Prof. Dr. Otto Schmitt in <strong>Greifswald</strong> 203<br />
Schriftleitung:<br />
Staatsarchivdirektor Dr. O. G rot e fend<br />
in Stettin.
Dänisch-wendische Kämpfe<br />
in Pommern und Mecklenburg<br />
(1157-1200)<br />
Von<br />
Dr. Oskar Eggert<br />
Vorbemerkung.<br />
Diese Abhandlung enthält die Darstellung über den Verlauf <strong>der</strong> Kriegszüge<br />
Waldemars I. und Knuts Vl. von Dänemark in das Wendenland. Sie<br />
ist die Iortsetzung einer Arbeit, die unter dem Titel: „Die W.endenzüZe<br />
Waldemars I. und Knuts VI. von Dänemark nach Pommern und Mecklenburg"<br />
in den Balt. Stud. N. 3. Vd. 29 (1927) erschienen ist.
Im Sommer des Jahres 1157 schien endlich <strong>der</strong> jahrelange<br />
dänische Thronstreit beendet, als die drei Thronbewerber Sven,<br />
Knut und Waldemar übereinkamen, sich das Reich zu teilen. Sven<br />
sollte Schonen, Knut Seeland und Waldemar Jutland erhalten.<br />
Aber <strong>der</strong> innere Friede dauerte nur einige Wochen, dann flammten<br />
die Kämpfe von neuem auf. Den Anlaß dazu gab das Streben<br />
Svens nach <strong>der</strong> Alleinherrschaft.<br />
Es war in Noeskilde in <strong>der</strong> Dämmerung des 9. Augusts 1157.<br />
Die drei Könige saßen bei einem festlichen Gastmahle, als die von<br />
Sven meuchlerisch gedungenen Mör<strong>der</strong> in die Königshalle eindrangen<br />
und Knut mit dem Schwert durchbohrten ^). Waldemar, verwundet,<br />
entkam nur mit genauer Not auf sein Schiff. In stürmischer Sommernacht<br />
trieb sein Schiff als Spielball <strong>der</strong> Wellen hin und her, bis<br />
es endlich an ein kleines Eiland verschlagen wurde.<br />
Sobald <strong>der</strong> Sturm nachließ, segelte Waldemar nach Jutland.<br />
In flammen<strong>der</strong> Entrüstung rief er die Juten zum Kampfe auf gegen<br />
den treulosen Sven. Bevor er aber seine jütischen Mannen einschiffen<br />
konnte, landete Sven schon mit einem Heere in Jutland.<br />
Am 23. Oktober 1157^) Kam es bei Gratheheide. unweit Wiborg.<br />
zur Schlacht. Waldemar siegte, Sven wurde auf <strong>der</strong> Flucht erschlagen.<br />
Damit war nun Waldemar <strong>der</strong> Alleinherrscher des Dänenreiches<br />
geworden. Die Großen des Reiches erkannten ihn als König an,<br />
ind Erzbischof Eskill von Lund krönte ihn feierlich zum König<br />
iller Dänen. Der junge, noch nicht 30 Jahre alte König stand vor<br />
keiner leichten Aufgabe. Während des unglückseligen Bürgerkrieges<br />
latten die wendischen Seeräuber — die Gelegenheit war ja günstig —<br />
)ie dänischen Küsten durch Plün<strong>der</strong>ungen furchtbar heimgesucht. Ein<br />
drittel Dänemarks lag öde. Furcht und Schrecken erfüllte die<br />
Dänen, wenn sie von den Piraten hörten. Der König sah ein, daß<br />
nan diese den Bestand Dänemarks bedrohende Gefahr nur dann<br />
wirksam bekämpfen konnte, wenn man die Wenden in ihrem eigenen<br />
heimsuchte und scharfe Vergeltung übte.<br />
Saxo 725. Ktl. (- Knytlingasaga) c. 114. ^nn. dolbax. ^. D.43,<br />
/Neztveä. 1130—1228 und 821—1300, 8ol2ni 1130—1300,<br />
. Q. 80—83, 3ven ^xesonZ Oesta ke^. Dan. ^033 XXIX<br />
35 ff. und 33N I 136 ff.<br />
2) Saro 734. Ktl. c. 118 und die in Anm. 1 genannten Annalen.
4 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Ju dem Zwecke ließ er im 3rühjahr 1158^) bei Masncd ") die<br />
dänische 3lotte versammeln. Als er aber seinem Kriegsvolke seine<br />
Absicht erklärte, nach dem Wendenlande zu ziehen, schützten die<br />
Sprecher des Volkes Lebensmittelmangel oor. erwähnten die gefährliche<br />
Kühnheit dieses Unternehmens gegen die kecken und tapferen<br />
Feinde und verweigerten die Heeresfolge. Als die ganze Versammlung<br />
ihnen zustimmte, gab <strong>der</strong> König nach. Vielleicht schreckte er<br />
selber vor <strong>der</strong> Große seiner Aufgabe zurück.<br />
Noch unsicher im Besitze <strong>der</strong> Krone hatte Waldemar ungefähr<br />
zu gleicher Zeit Gesandte an Kaiser Friedrich l. nach Augsburg geschickt<br />
'), um diesem seine Erhebung anzuzeigen und dio lehnslprrliche<br />
Bestätigung zu erbitten. Zie wurde ihm sogleich gewährt, jedoch<br />
unter <strong>der</strong> Bedingung, daß <strong>der</strong> König selber vor dem Kaiser erscheine,<br />
wenn dieser aus Italien zurückgekehrt sei. Man wird Waldcmars<br />
Verhalten auch unter dem Gesichtspunkt seiner Politik<br />
gegen die Wenden zu beurteilen haben. Er sicherte sich dadurch gewissermaßen<br />
seine Flanke. Darum nahm er auch die Verbindung<br />
auf mit seinem deutschen Grenznachbarn. dem mächtigen Herzoge<br />
von Sachsen und Bayern, Heinrich dem Löwen.<br />
Heinrich hatte schon im Jahre N58^) die Wenden in Mecklenburg<br />
mit Krieg überzogen und den Qbotritenfürsten Niklot zur<br />
Unterwerfung gezwungen. Als er im Frühjahr 1159 vom Kaiser<br />
nach Italien gerufen wurdet, wollte er jeden Anlaß zu Unruhen<br />
in seinem Gebiete beseitigen. Er lud auch Waldemar zu einer Zusammenkunft<br />
ein') und schloß mit ihm einen Freundschaftsvertrag.<br />
Um sich vor den Wenden Ruhe zu verschaffen, zahlte Waldemac<br />
Heinrich 1000 Mark Silber. Heinrich berief nun Niklot und die<br />
an<strong>der</strong>en wendischen Fürsten zu sich und verpflichtete sie eidlich,<br />
bis zu seiner Rückkehr mit den Sachsen und den Dänen Frieden zu<br />
halten. Er legte ihnen auf. alle Seeräuberschiffe nach Lübeck zu<br />
bringen und seinen Gesandten vorzuführen. Die Wenden lieferten<br />
aber nur wenige unbrauchbare Schiffe ab und behielten die seetüchtigen<br />
zu ihren Kaperfahrten. Es fehlte <strong>der</strong> starke Arm des Mannes.<br />
^) Saxo 736 ff. Die Ktl. erwähnt dieses heeresaufgebot nicht.<br />
") Insel zwischen Seeland und Ialster.<br />
') Oe3ta fri<strong>der</strong>ici lll 25.<br />
i) ^nn. ?3liä. /V1Q83 XVl 90, .^nn. ^^6ebur^. ebo. 191. .^nn. 3tr><br />
aerbui^. ebd. 207. ^Xnn. ?e^2v. ebd. 259.<br />
) Hclmold l 57. Vgl. auch Oe8w ^ri^erici lV 28.<br />
') Varthold II 151 und H. Olrik. Adsalon l R) rerlcqcn die Zusammenkunft<br />
in das Jahr 1158. Vgl. dazu Valt. Stud. N. I. 29, 40.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 5<br />
<strong>der</strong> seinen For<strong>der</strong>ungen hätte Nachdruck verschaffen können. Heinrich<br />
war nämlich, wahrscheinlich im Mai, spätestens wohl Anfang<br />
Iuni^), mit tausend Schwerbewaffneten nach Italien gezogen, begleitet<br />
vom Grafen Adolf von Holstein — dieser hatte mit den<br />
Wenden einen beson<strong>der</strong>en Vergleich geschlossen — und von vielen<br />
Edlen Bayerns und Sachsens. Die Abwesenheit Heinrichs und seiner<br />
Fürsten benutzten die Slawen von Aldenburg (Wagrien) und Mecklenburg,<br />
um die dänischen Küsten erneut zu plün<strong>der</strong>n. Der Dänenkönig<br />
war mit Recht darüber empört. Es gelang aber Bischof Gerold<br />
von Lübeck, sowohl durch Gesandte, als auch persönlich, seinen Jörn<br />
zu beschwichtigen und einen Waffenstillstand zwischen ihm und den<br />
wagrischen und obotritischen Wenden bis zur Rückkehr des Herzogs<br />
zu vermitteln.<br />
Aber schon regten sich in Dänemark neue Kräfte. Der Mann<br />
gelangte zu Einfluß, <strong>der</strong> den Grundstock zu dem späteren dänischen<br />
Reich in Pommern gelegt hat und von dem h. Olrik 2) sagt, daß<br />
er die Seele in dem großen nationalen Kampfe war: Absalon, Bischof<br />
von Noeskilde.<br />
Als das dänische Heeresaufgebot im Frühjahr 1158 auseinan<strong>der</strong>gegangen<br />
war3), hatte er den König gefragt: „Warum wird<br />
denn <strong>der</strong> Kriegszug aufgegeben?" Der König hatte geantwortet:<br />
„Um die Kräfte meines Volkes zu schonen!" Da war es damals mit<br />
beißendem Spott von den Lippen Absalons gekommen: „Zieh lieber<br />
nnt Feiglingen aus. Siegst du, ist es gut. Wirst du geschlagen, dann<br />
ist es auch gut, dann sind viele feige Schufte weniger auf <strong>der</strong> Welt."<br />
Kurz darauf, am 18. April 1158. starb Asker. Bischof von Noeskilde.<br />
Iu seinem Nachfolger wählte man, wohl nicht ohne königliche<br />
Einwirkung^), Abfalon, obwohl er das kanonische Alter noch nicht<br />
ganz erreicht hattet. Und nun war er Tag und Nacht, Sommer und<br />
1) circa pentecosten (31. Mai) änn. Wein^rt. Vsselticj NQ33 XVII 309.<br />
2) Absalon I 70.<br />
3) Saxo 736 ff.<br />
4) Entgegen Saxo 738. Absalon scheint uns nicht ohne königliche Einwirkung<br />
als vierter Kandidat für das Bischofsamt aufgestellt zu fein. Vgl.<br />
H. Olrik, Kon^e o^ praesteztanä II 42.<br />
5) Nach Olrik, Abfalon I 12, wurde Absalon im Oktober 1128 geboren<br />
und am 30. Oktober 1128 getauft. Sicher ist er zwischen dem 22. März<br />
1128 und dem 21. März 1129 geboren, wie aus <strong>der</strong> Vetuz dnron. 3ialanä.<br />
5
6 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Winter für die Verteidigung seines Sprengels tätigt). Seine erste<br />
Tat als Bischof war die Abwehr wendischer Seeräuber am 4. April<br />
1159") bei Voslunde^). 24 wendische Schiffe trieben er und seine<br />
18 Begleiter in die Flucht.<br />
Daß Absalon die treibende Kraft zu den Unternehmungen in<br />
das Wendenland war>), sollte sich auch bei den ersten Wendenzügen<br />
zeigen. Die Plün<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Wenden dauerten an. Aarhus gina<br />
dabei in 3lammen auf'')). Die Plün<strong>der</strong>ungen dauerten auch noch<br />
fort, als Waldemar durch Bifchof Gerold von Lübeck einen Waffenstillstand<br />
mit den Wenden von Wagrien und Obotritien geschlossen<br />
hatte"). Beson<strong>der</strong>s Falster hatte unter den Einfällen zu leiden.<br />
Und als König Waldemar nichts zur Verteidigung seines Landes<br />
unternahm, beschuldigte ein Mann von Ialster ihn <strong>der</strong> Feigheit.<br />
Darüber war <strong>der</strong> junge, ehrgeizige König furchtbar erregt und befahl<br />
einen Strafzug gegen Falster
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 7<br />
hervorgerufen haben, Verwickelungen, die für Dänemark gefährlich<br />
werden konnten? Heinrich <strong>der</strong> Löwe hätte sich auch sicherlich die<br />
Verletzung seiner Lehnshoheit nicht gefallen lassen.<br />
Die Bedrängnis seines Landes, vielleicht auch persönliche Gründe<br />
(Ehrgeiz), erzeugten nun in dem jungen König Waldemar den<br />
festen Entschluß, gegen die Wenden zu ziehen, die in Vorpommern<br />
wohnten^). Die unaufhörliche Not schien auch die Stimmung im<br />
Lande dahin beeinflußt zu haben, daß man einem Vergeltungszuge<br />
nicht mehr so ablehnend gegenüberstand als früher. Nach Beratung<br />
mil seinen Vertrauten, Absalon, Petrus, Suno und Esbern^), beschloß<br />
<strong>der</strong> König, in aller Stille einen kleinen Sommerfeldzug nach<br />
Vorpommern zu unternehmen.<br />
Bei Landora (Landskrona), an <strong>der</strong> Westküste von Schonen, versammelten<br />
sich im Sommer 1159 nach und nach die dänischen Flotten.<br />
Der König, kaum von <strong>der</strong> Krankheit genesen, zweifelte zuerst,<br />
ob ihm alle Teile seines Landes Heeresfolge leisten würden.<br />
Der Seelän<strong>der</strong> war er sicher, weniger sicher schon <strong>der</strong> Bewohner von<br />
Schonen. Aber sie kamen. Zuletzt erschienen auch die Laalän<strong>der</strong><br />
und die Männer von 3alster. 260 Schiffe waren zusammengekommen^).<br />
Die Vornehmsten des Landes waren versammelt: Erzbischof<br />
Eskill von Lund. Bischof Absalon von Noeskilde, Christoph,<br />
<strong>der</strong> Sohn Waldemars^j, Gvenmar Ketilsson. Peter Denja, Esbern<br />
Schnur, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> Absalons, und Ingemar^).<br />
Aber auch jetzt war noch nicht aller Wi<strong>der</strong>stand gegen das Unternehmen<br />
gebrochen^). Erzbischof Eskill leugnete beharrlich, daß die<br />
Schiffe von Schonen in Bereitschaft seien. Erst als <strong>der</strong> König entschlossen<br />
beharrte und den Ungehorsamen seine Ungnade androhte,<br />
gab er nach.<br />
1) Es spielte wohl die Rücksicht mit, nicht in Heinrichs engere Interessensphäre<br />
einzugreifen. Möglich ist auch, dah durch den von Bischof Gerold von<br />
Lübeck erwirkten Waffenstillstand die räuberischen Einfälle <strong>der</strong> Wenden aus<br />
Wagrien und Mecklenburg aufgehört o<strong>der</strong> wenigstens nachgelassen hatten,<br />
möglich dadurch, daß <strong>der</strong>en Beutegier befriedigt war.<br />
2) Saxo 741 ff. Vgl. über den Iug auch die Ktl. c. 119.<br />
2) Das war etwa ein Viertel <strong>der</strong> gesamten dänischen Reichsflotte. Vgl.<br />
Erslev, Valäemarernes ztorneästiä 189. Als Grund zum 3uge erwähnt die<br />
Ktl. c. 119 die Absicht des Königs, das Land christlich zu machen. Aber<br />
warum bekehrt man dann nicht nach den ersten Wendenkriegen?<br />
4) Christoph kann damals nicht älter als allerhöchstens 13 Jahre gewesen<br />
sein, da sein Vater erst 28 Jahre zählte (1131 geboren).<br />
5) Ktl. c. 119.<br />
«)Saxo741ff.
8 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
14 Tage vergingen noch mit <strong>der</strong> Musterung des Heeres und mit<br />
Kriegsübungen, so daß ein großer Teil <strong>der</strong> Lebensmittel aufgezehrt<br />
wurde. Bei völlig ruhiger See begann die Fahrt. Man ru<strong>der</strong>te, um<br />
möglichst unvermutet an Rügen heranzukommen und sich nicht durch<br />
die Segel zu verraten. Bischof Absalon war mit ? Schiffen vorausgeschickt<br />
^), um die Zugänge zu dem rügenfchen Gestade genauer<br />
zu erkunden. Man wollte Arkona angreifen, weil man glaubte,<br />
diesen Ort (oppiäum) leicht überwältigen zu können. Hier hatten<br />
die Nüger ihrem Götzen Swantewit ein Standbild aufgestellt. Und<br />
weil sie glaubten, daß die Gottheit sich selbst schützen könnte, ließen<br />
sie die Stätte unbewacht. Absalon war schon in <strong>der</strong> Nähe Rügens,<br />
als seine Seeleute ihn darauf aufmerksam machten, daß das Gros<br />
<strong>der</strong> dänischen Schiffe Segel hißte und zurückfuhr. Da geriet er in<br />
Jörn und war auf den König höchst erbittert. Wohl o<strong>der</strong> übel<br />
mußte auch er nun umkehren^).<br />
Er fand die königliche Flotte im Hafen bei <strong>der</strong> Insel Moen^).<br />
Al^j er mit seinen Freunden Petrus, Suno und seinem Bru<strong>der</strong><br />
Esbern zusammentraf, entlud sich sein Unmut über den König in<br />
bitteren Klagen. Auch die Freunde waren mit dem Verhalten des<br />
Königs höchst unzufrieden. Bald darauf rief <strong>der</strong> König seine vier<br />
Vertrauten zu sich. Als er ihren Verdruß bemerkte, sagte er, er<br />
habe es <strong>der</strong> hereinbrechenden Nacht wegen für ratsam gehalten, umzukehren,<br />
um morgen die Fahrt von neuem aufzunehmen. Die<br />
Freunde schwiegen. Als <strong>der</strong> König sie nun fragte, was am besten<br />
geschehen könne, um die Fahrt fortzusetzen, erhob sich Absalon und<br />
machte dem Könige bittere Vorwürfe. Er habe sich durch seine Nachgiebigkeit<br />
mit Schande bedeckt, zumal es schon die zweite Heerfahrt<br />
sei, die nicht ausgeführt werde. Auch seine Freunde, die ihm zu<br />
diesem Vorhaben geraten hätten, bringe er bei ihren Wi<strong>der</strong>sachern<br />
in den Ruf einer abscheulichen Weibischheit. Der König bezwang<br />
seinen Jörn und entließ die Freunde. Mehrere Tage sprach er<br />
nicht mit ihnen.<br />
1) In diesem Zusammenhange mag auf die Ktl. c. 120 (Schluß) hingewiesen<br />
werden, in <strong>der</strong> es heißt: Wie<strong>der</strong> waren <strong>der</strong> Bischof Absalon und die<br />
Inselmänner am schnellsten, so daß sie 7 Tage bei Hiddensoe auf den König<br />
warteten, (vard ha enn ^bsalon bislcup skjotaztr ok ^lenäin^ar, 3va at<br />
^eir biclu konun^sins 7 naetr viÄ l-teäinsev — ^tiam nunc ^bzalon epi-<br />
800PU3 et mzulares Oani celerrimi erant, ut zeptem noctes re^em opperientur<br />
Ici ttetkini in5ulam.) Von einer Vorausfahrt Absalons berichtet die<br />
Ktl. sonst nichts.<br />
2) Die Ktl. belichtet von diesem Teil <strong>der</strong> Jährt nichts.<br />
3) Südöstlich von Seeland.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 9<br />
In <strong>der</strong> Nacht nach dieser Unterredung erhob sich ein gewaltiger<br />
Sturm, <strong>der</strong> vier Tage anhielt. Am fünften Tage näherte sich <strong>der</strong><br />
König den Freunden wie<strong>der</strong> am Gestade des Meeres. „Lassen wir<br />
das Vergangene ruhen," sagte er, „und richten wir unsern Blick<br />
lieber in die Zukunft. Ich werde nicht eher umkehren, solange ich<br />
noch Mittel habe, das Heer zu ernähren^). Lieber will ich meinen<br />
Geist aufgeben, als die Fahrt mit schmachvoller Heimkehr beenden^!<br />
Petrus schlug vor, noch etwas zu warten, bis die Wildheit des<br />
Sturmes sich gelegt haben würde. Für drei Tage sei noch Verpflegung<br />
vorhanden. Dann aber müsse <strong>der</strong> Feind angegangen werden.<br />
Absalon erhielt nun den Auftrag, das Wetter zu erkunden.<br />
Als am nächsten Morgen <strong>der</strong> Sturm an Heftigkeit etwas nachgelassen<br />
hatte, meldete er dem Könige, daß man vielleicht trotz des<br />
starken Windes versuchen könne, die Fahrt zu beginnen. Der König<br />
befohl daraufhin den Aufbruch.<br />
Solange sich die Flotte im Schutze <strong>der</strong> Küste befand, kam<br />
sie trotz des hohen Wellenganges gut vorwärts. Als sie aber die<br />
freie See erreicht hatte, machte die Gewalt <strong>der</strong> Wogen das Ru<strong>der</strong>n<br />
fast unmöglich. Die kleinen Schiffe drohten aus den Fugen zu<br />
gehen. Das Schiff des Erzbischofs Eskill, in dem sich auch <strong>der</strong><br />
König befand, sprang leck. Da legte sich Ingemar aus Schonen mit<br />
jemem Schiffe ihm zur Seite. Kurz entschlossen sprang <strong>der</strong> König<br />
hinüber, in <strong>der</strong> Rechten das Schwert, in <strong>der</strong> Linken die Königsflagae<br />
haltend. Eskill wollte trotzdem mit seinem lecken Schiff die<br />
Fahrt fortsetzen. Da befahl ihm <strong>der</strong> König umzukehren. Auch einige<br />
an<strong>der</strong>e Schiffe, die schadhaft geworden waren, mußten nach Hause<br />
umwenden. Als das von den übrigen Schiffen gesehen wurde, drehte<br />
auch von diesen eine große Anzahl um. Die Besatzungen täuschten<br />
Gebrechlichkeit ihrer Schiffe vor. Der wahre Grund war jedoch,<br />
nach Saxo, die Feigheit ihrer Insassen. Nur 60 Schiffe hielten aus<br />
und landeten in früher Morgenstunde bei <strong>der</strong> Insel hiddensoe. Aber<br />
auch von hier kehrten noch zwei hallän<strong>der</strong> trotz <strong>der</strong> Ermahnungen<br />
Absalons um.<br />
Der König begab sich nach <strong>der</strong> Landung sofort in Absalons<br />
Schiff und legte sich zum Schlafen nie<strong>der</strong>. Abfalon sandte unterdessen<br />
Wethemann auf Kundschaft an Land, um zu erfahren, ob die<br />
Riiger den Aberfall erwarteten. Wethemann fand alles in tiefem<br />
Frieden, das Vieh ruhig auf <strong>der</strong> Weide, die Häfen frei von feindlichen<br />
Schiffen.<br />
1) Ktl. c. 119.<br />
2) Saxo 744 ff.
10 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Als <strong>der</strong> König erwachte, rief er seine Hauptleute zu sich und<br />
fragte, was man nun beginnen solle. Einige meinten, ein Angriff<br />
sei gefährlich. Daher fei es befser umzukehren. Diesen entgegnete<br />
<strong>der</strong> König, daß sie dann ihrem Vaterlande Schimpf und Schande beretten<br />
würden- denn aus den Spuren des Lagers bliebe es den<br />
Wenden doch nicht lange verborgen, daß die Dänen hier gewesen<br />
seien. Wethemann erinnerte nun daran, daß die Wenden sich nach<br />
dem ersten Teil ihrer Arbeit schlafen Zu legen pflegten. Diese Ieit<br />
solle man zum Überfalle benutzen. Der König lehnte auch das ab.<br />
das sei Seeräuberart und seiner nicht würdig. Zuletzt schlug Guemer<br />
(Gvenmar Ketilsson in <strong>der</strong> Knntlingasaga) vor, einen nächtlichen<br />
Überfall auf die Provinz Barths) zu wagen, die nur durch einen<br />
schmalen Meeresarm von Rügen getrennt sei. Er selbst wolle die<br />
Wege dazu erkunden. Der König stimmte zu.<br />
Guemer-) ging am Abend an Land, nahm einige Kundschafter<br />
<strong>der</strong> Wenden gefangen und traf den König bei seiner Rückkehr in<br />
einer Bucht südlich von hiddensoe^). Am nächsten Abends rückten<br />
die dänischen Schiffe unter seiner Führung in die Engen des seichten<br />
3lusses vor. Je drei und drei Schiffe fuhren immer zusammen.<br />
Um sich den Einwohnern nicht zu verraten, ru<strong>der</strong>te man ganz leise. In<br />
<strong>der</strong> Morgendämmerung durchritten dann die Dänen die Wäl<strong>der</strong> und<br />
brachen in die Fluren und Dörfer <strong>der</strong> Wenden ein. Die schlaftrunkenen<br />
Bewohner wurden durch den Lärm <strong>der</strong> heranjagenden Reiter<br />
geweckt und meinten, daß es die Fürsten ihres Landes. Vogislaw<br />
und Kasimir, seien. Allein wenn sie den Kopf zur Türe hinausstreckten,<br />
flogen ihnen die Wurfspieße <strong>der</strong> Dänen entgegen. Eine<br />
große Anzahl <strong>der</strong> Bewohner bezahlte die Neugierde mit dem Tode.<br />
Die Dänen waren in Zwei Abteilungen vorgegangen. Die eine<br />
führte <strong>der</strong> König, die an<strong>der</strong>e in entgegengesetzter Richtung Bischof<br />
Abfalon. Zwischen beiden Abteilungen lag ein großer Sumpf. Der<br />
Rauch <strong>der</strong> angezündeten Dörfer diente zur gegenseitigen Orientierung.<br />
Als man genug Beute gemacht hatte, kehrte man wie<strong>der</strong> zu<br />
den Schiffen Zurücks.<br />
i) Vgl. Valt. Stud. N. 3. 29. 109 ff.<br />
^) Ktl. c. 119. Saxo <strong>der</strong>ichtet von einer Begegnung zwischen Guemer und<br />
dem Könige südlich von Hiddensoe nichts.<br />
3) In Betracht käme die Gegend von Barhöft, vielleicht die Prohner Wiek.<br />
4) Saxo 749 ff.<br />
5) Die Ktl. c. 119 berichtet von diefem Zuge, daß die Dänen an einer<br />
Ilußmündung landeten und die Mannschaften für den Landgang teilten. Während<br />
<strong>der</strong> König auf <strong>der</strong> einen Seite des Ilusses heerte. plün<strong>der</strong>te Vischof<br />
Absalon auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Keiner wußte vom an<strong>der</strong>n. Sie verbrannten
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 11<br />
Die Schiffe hatte man mit einer kleineren Besatzung unter dem<br />
bärtigen Skialm zurückgelassen. Skialm hatte, um nicht bei einem<br />
etwaigen Angriffe <strong>der</strong> Feinde am Auslaufen aus dem Flusse gehin<strong>der</strong>t<br />
zu werden, die Schiffe zum Meere zurückgeführt. Da<br />
kreuzten gegen ihn Schiffe <strong>der</strong> Nüger. Er verteilte daher die Besatzungsmannschaften<br />
auf sieben Schiffe und jagte mit dieser kleinen<br />
Schiffszahl mutig die Nüger zurück. Wie<strong>der</strong>holt hatte er Angriffe<br />
abzuweisen. Als die beiden Abteilungen <strong>der</strong> Dänen vom Plün<strong>der</strong>n<br />
zurückkehrten, war er gerade dabei, nach einem erneuten Angriffe<br />
die Nüger zu verfolgen. So fand <strong>der</strong> König die übrigen Schiffe<br />
unbewacht. Nachdem man 60 Schiffe mit Beute beladen hattet,<br />
verfolgte die ganze dänische Flotte die Nüger mit aufgesetzten<br />
Segeln 2). Deren Vorsprung war aber zu groß. Und da sie außerdem<br />
noch leichtere Schiffe besaßen, konnten sie nicht mehr eingeholt<br />
weiden.<br />
Nun kam aber Gegenwind auf, so daß die Dänen ru<strong>der</strong>n mußten.<br />
Man'wandte die Fahrt um und strebte unter großen Anstrengungen<br />
vorwärts. Sobald das die Nüger sahen, hörten sie auf zu<br />
fliehen- wohl vertraut mit dem Fahrwasser, kamen sie aus ihren<br />
Verstecken hervor und griffen die Dänen an, die höchst bestürzt<br />
waren. Der größte Teil <strong>der</strong> dänischen Schiffe floh und ließ den König<br />
und Absalon mit <strong>der</strong> Nachhut, die aus sieben Schiffen bestand, im<br />
Sticht). Durch keinen Iuruf, keine Ermahnung, kein Zeichen ließen<br />
sich die Ängstlichen zurückhalten. So groß war die Furcht, daß ein<br />
Ritter, <strong>der</strong> sich vorher bei <strong>der</strong> Verfolgung <strong>der</strong> Nüger sehr kühn gezeigt<br />
hatte, sein Segel durch Anfügung eines Lappens zu vergrößern<br />
suchte, damit er nur so schnell als möglich fliehen könnte. Der<br />
König ging mit seinen Vertrauten zu Nate, was Zu tun sei. Absalon<br />
wollte bei hiddensoe das widrige Wetter abwarten. Dem wi<strong>der</strong>-<br />
die bewohnten Landstriche zu beiden Seiten des Ilusses weit umher. — Aus<br />
diesem Bericht schlicht L. Giescbrecht W. G. Ill 101 A. 4, daß <strong>der</strong> eine Heerhaufe<br />
den Hingst, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e das gegenüberliegende Iestland durchzogen habe.<br />
Der von Saxo genannte „palug" sei <strong>der</strong> Grabow, das Varther Vinnenwasser<br />
o<strong>der</strong> die Verengung zwischen beiden. Varthold II 154 A. 1 vermutet, daß <strong>der</strong><br />
Iug gegen Richtenberg und Tribsees ging. Olrik, Absalon I 92, erwähnt nur<br />
den Iug gegen die Vurg Varth. Wohin die beiden Abteilungen vorgingen,<br />
gibt er nicht an. Mit L. Giesebrecht stimmt auch Vülow, Chronik <strong>der</strong> Stadt<br />
Varth S. 12, überein. Es fragt sich hier nur. ob dann die Veute so groß<br />
gewesen sein wird, daß man damit 60 Schiffe beladen konnte. Iingst wird<br />
doch damals (wie heute) wenig bewohnt gewesen sein.<br />
1) Ktl. c. 119.<br />
2) Saxo 750 ff.<br />
3) Saxo 751.
12 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
sprach aber <strong>der</strong> ältere Petrus,- denn dort würde man bei anhaltendem<br />
Sturm keine Verstärkung erhalten können, die Wenden aber<br />
könnten mit jedem Tage Iuzug bekommen. Daher sei es ratsamer,<br />
nach Hause zu fahren. Man entschied sich für den Nat von Petrus.<br />
Die Slawen drängten nun mit angestrengtem Nu<strong>der</strong>n in großer<br />
Iahl gegen die kleine dänische Schiffsabteilung vor. Mit lautem<br />
Geschrei griffen sie an, wurden aber durch die Pfeile <strong>der</strong> Dänen<br />
zurückgetrieben. Bald aber stießen sie von neuem vor, erhoben ein<br />
lautes Kriegsgeschrei, schwangen die Schwerter um die Schultern<br />
und schlugen wild an ihre Schilde. Aber auch dieser Angriff<br />
wurde von den Dänen abgewiesen. Beim dritten Angriff übergössen<br />
die Nüger ihre durch die Sonne zusammengetrockneten Schilde mit<br />
Wasser und zogen die Häute über dem Knie auseinan<strong>der</strong>, als ob<br />
nun unzweifelhaft ein Kampf mit den Dänen beginnen würde. Sie<br />
ru<strong>der</strong>ten heftiger und rückten näher heran als zuvor. Aber die vorgestreckten<br />
Lanzen <strong>der</strong> Gegner schreckten sie zurück, so daß sie die<br />
Verfolgung aufgaben. Mit nachlassendem Winde kamen die sieben<br />
Schiffe ungehin<strong>der</strong>t zu den dänischen Gestaden zurück.<br />
hatte auch ein großer Teil <strong>der</strong> Dänen in schmachvoller Furcht<br />
die Flucht ergriffen und war somit <strong>der</strong> Abschluß des ersten Wenden-<br />
Zuges unrühmlich gewesen, so hatte <strong>der</strong> Iug doch einen moralischen<br />
Erfolg. Die Zurückgebliebenen betrachteten die heimgebrachte Beute<br />
nicht ohne Neid. Sie erregte ihre Begierde und vermin<strong>der</strong>te ihre<br />
Furcht vor den Wenden ganz bedeutend. Diefe Stimmung feiner<br />
Untertanen benutzte Waldemar klug, um im herbste desselben<br />
Jahres (1159) zu einem neuen Juge aufzubrechen^). In <strong>der</strong> hauptsacke<br />
setzte sich seine Kriegerschar dieses Mal aus Bewohnern von<br />
Schonen und Seeland zusammen. Nur wenige Juten waren dabei.<br />
Das Ziel des Angriffs war die Landschaft bei Arkona auf <strong>der</strong><br />
Halbinsel Wittow. Man landete unvermutet, plün<strong>der</strong>te und wollte<br />
schon beutebeladen zur Flotte zurückkehren. Inzwischen waren aber<br />
die Nüger aus dem Inselkern^) mit starken Kräften nach Wittow<br />
übergesetzt, um den Dänen in den Nucken zu fallen und sie von<br />
ihren Schiffen abzuschneiden^). Da stieg ein dichter Nebel auf, so<br />
1) Saxo 752 ff.<br />
") So verstehen wir Saxo 752 mZn'njz viribuz in i n 3 ll ! a m e con-<br />
tinenti trajiciunt.<br />
2) Die Nüger sind wahrscheinlich bei <strong>der</strong> Wittower Jähre übergesetzt. Saxo<br />
bezeichnet S. 830 diesen Übergang als schmale Enge, kaum von <strong>der</strong> Vreite<br />
eines 3lusses (parvula ireti interrivatione, quae vix iluminis ma^nituclinem<br />
vicieatur). Siehe L. Giesebrecht, W. G. III 104 A. 1. Die dänische
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 13<br />
daß die des Weges unsicheren Dänen stehen bleiben mußten, wenn<br />
sie nicht irregehen wollten. Die Rüger rückten indessen weiter vor<br />
und standen dicht vor den Dänen, als die Sonne plötzlich den Nebel<br />
zerteilte. Prislaw, <strong>der</strong> Sohn Niklots von Mecklenburg, ein Schwager<br />
Waldemars. <strong>der</strong> aus seinem Vaterlande entflohen war. sprengte<br />
mit seinem Pferde als Erster kühn gegen die 3einde. Der König<br />
gab ein gleiches anfeuerndes Vorbild. In ungeordneten Haufen<br />
stürmten nun auch die dänischen Krieger gegen die 3einde vor. Bei<br />
dem Kampfe stürzte <strong>der</strong> König mit seinem Pferde. Der Sturz war<br />
so stark, daß sich sein linker Ellenbogen, nachdem er den Schild<br />
durchlöchert hatte, noch tief in den Erdboden hineinbohrte. Absalon<br />
wollte ihm zu Hilfe eilen; doch <strong>der</strong> König winkte ihm. nicht vom<br />
Angriff abzulassen. Dem Ungestüm <strong>der</strong> Dänen konnten die Nüger<br />
nicht wi<strong>der</strong>stehen. Die meisten von ihnen wollten sich zu dem Ubergonge<br />
retten, über den sie vorhin übergesetzt waren. Dabei aber<br />
fanden viele in den Wellen ihren Tod, an<strong>der</strong>e wurden auf <strong>der</strong><br />
Ilucht erschlagen. Einige wateten bis an den Mund ins Wasser, um<br />
so geschützt zu sein. Aber die Dänen stiegen hinab und töteten auch<br />
sie. Ein dänischer Reiter drang zu weit vor und wurde von <strong>der</strong><br />
Strömuno fortgerissen^) ; aber seine Genossen retteten ihn. Dabei<br />
zeichneten sich beson<strong>der</strong>s aus Esbern, Absalons Bru<strong>der</strong>, Olaf und<br />
Nikolaus. Nur ein dänischer Reiter fand den Tod inmitten eines<br />
Haufens Barbaren, dem er sich nicht ergeben wollte. Saxo fügt<br />
hinzu, daß die Tapferkeit dieses Mannes so großen Eindruck gemacht<br />
habe, daß die wendische Mannschaft seitdem nicht mehr wagte,<br />
in einer Schlacht mit den Dänen handgemein zu werden^). Die<br />
Rüger sollen in diesem Kampfe große Verluste gehabt Habens. Als<br />
die Dänen dann bei hiddensoe angelegt hatten, kamen die Nüger<br />
zu ihnen, stellten vier Geiseln und bewilligten alle dänischen For<strong>der</strong>ungen.<br />
Darauf kehrte Waldemar in sein Reich zurück^).<br />
Ilotte hätte dann in dem Wieker Bodden gelegen. Möglich wäre natürlich<br />
auch <strong>der</strong> Übergang bei Lebbin-Vieregge o<strong>der</strong> bei Waldenitz-Cammin. Der<br />
Übergang ist hier aber bedeutend breiter. Velschow» Saxo 830 A. 1, will die<br />
Flotte in <strong>der</strong> Tromper Wiek liegen lassen. Dann hätten aber die Rüger die<br />
Landverbindung zur Rückkehr benutzen können. Wir lehnen das ab und<br />
ziehen mit Olrik, Absalon I 94, die Wittower 3ähre in Betracht.<br />
1) Die Strömung dürfte hier kaum so stark sein, wie Saxo annehmen läßt.<br />
2) Dem wi<strong>der</strong>spricht Saxo 800, nach dem später (1165) zwischen Dänen<br />
uno Wenden ein Kampf bei Garz stattfand.<br />
5) Die Ktl. c 120 berichtet recht übertrieben einen Verlust von 300 000<br />
Mann.<br />
4) Die Ktl. c. 119 gibt an. daß Waldemar den Winter über zu Haufe blieb.
14 Dä'nisch-mcndischc Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Der Erfolg war ganz auf dänischer Seite. Das Selbstbewußtsein<br />
<strong>der</strong> Dänen wurde außerordentlich gehoben. Nunmehr erschien<br />
ein Kampf mit den Wenden nicht mehr so kühn und auch im 3alle<br />
einer Nie<strong>der</strong>lage für den Bestand des dänischen Reiches nicht mehr<br />
gefährlich. Die Achtung <strong>der</strong> Nüger gegenüber den dänischen Waffen<br />
war gestiegen. Das sollte sich bereits im folgenden Jahre (1160)<br />
zeigen. Die Wendenzüge sind nun nicht mehr Bergeltungszüge; von<br />
jetzt ab werden sie Eroberungszüge. Die Insel Rügen Dänemark<br />
einzuverleiben, ist das Ziel <strong>der</strong> dänischen Politik.<br />
Als Waldemar im 3rühjahr 116l) zu einer neuen Kriegsfahrt<br />
rüstetei), erschien während <strong>der</strong> Vorbereitungen als Abgesandter <strong>der</strong><br />
Nüger <strong>der</strong> gewandte Dombor, um Frieden zu erbitten. Absalon<br />
nahm ihn gastfreundlich auf und beschlagnahmte sein Schiffs). Andauerndes<br />
widriges Wetter verzögerte aber die Abfahrt <strong>der</strong> dänischen<br />
3lotte. Dazu mangelte es den Juten schon an Lebensmitteln,<br />
so daß sie nahe daran waren, den Iug ganz aufzugeben. Um ihren<br />
Abzug und damit eine Schwächung <strong>der</strong> Flotte zu verhin<strong>der</strong>n, gaben<br />
die Krieger von Teeland und Schonen jenen freiwillig von ihrem<br />
Vorrat ab. Die Mannschaft von Fünen trat ihnen aber nichts ab,<br />
trotzdem sie reichlich Mit Lebensmitteln versorgt war. Als Dombor<br />
das sah, benutzte er geschickt die Zwietracht unter den Feinden und<br />
erbat nicht mehr den Frieden unter den Bedingungen, die er zuerst<br />
angeboten hatte. Er verlangte gegenseitige Geiselnstellung und verweigerte<br />
die Zahlung eines Tributs. Die Verhandlungen wurden<br />
schließlich ergebnislos abgebrochen. Die widrigen Winde hielten an,<br />
und so mußte <strong>der</strong> Iug unterbleiben.<br />
Es wird aber wohl nicht allein die Zwietracht <strong>der</strong> Dänen und<br />
<strong>der</strong> anhaltende Sturm gewesen sein, wodurch <strong>der</strong> König bewogen<br />
wurde, von seinem Juge abzustehen. Aus Sachsen war nämlich von<br />
Heinrich dem Löwen eine Gesandtschaft gekommen, die Waldemar<br />
auffor<strong>der</strong>te, an einem Juge gegen die Slawen teilzunehmen.<br />
In <strong>der</strong> Lombardei war die Stadt Crema im Januar 1160 nach<br />
einjähriger Belagerung eingenommen worden^). Heinrich <strong>der</strong> Löwe<br />
hatte noch am Konzil in Pavia teilgenommen^) und war dann<br />
1) Saro 757 ff.<br />
2) Es war altes Kriegsrecht, das; <strong>der</strong> Gesandte eines Ieindcs mährend <strong>der</strong><br />
Iuriistungen Zum Kriege zurückgehalten wurde, um nicht Kundschafterdienste<br />
leisten Zu können. Deswegen beschlagnahmte man auch Domlwrs Schiff.<br />
^ Hclmold I 87.<br />
4) Siehe Otto Morena ^033 XVIII 621 und ^. Q. llonztitut. I Nr. 190,<br />
Qestä fliä. IV, 75 ff. und Wilhelm Giesebrecht. Gesch. d. dt. Kaiserzeit V 1,<br />
S. 244.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 15<br />
zurückgekehrt^). Er berief sogleich für alle Bewohner seiner Grenzmarken<br />
einen Landtag nach Barförde^). Auch <strong>der</strong> König von Dänemark<br />
kam bis Artlenburg und klagte Heinrich den Schaden, welchen<br />
ihm die Wenden zugefügt hatten. Heinrich for<strong>der</strong>te ihn zum Strafzuge<br />
auf. Nach Saro^) foll Heinrich Waldemar ungeheure Belohnungen<br />
für feine Teilnahme an diefem Wendenzuge in Ausficht<br />
gestellt Habens.<br />
Die Wendenfürsten waren nicht erfchienen. Nun ächtete <strong>der</strong><br />
Herzog fie und befahl für die Erntezeit einen Feldzug. Niklot<br />
von Mecklenburg hatte Nachficht von Heinrich erwartet. Als er<br />
sah, daß er fich verrechnet hatte, fuchte er fich durch einen Überfall<br />
Lübecks zu bemächtigen. Sein Anfchlag aber mißlang durch die<br />
Geistesgegenwart eines Priesters Athelo^).<br />
Anfang August 1160 rückte Heinrich mit einem starken Heere<br />
in das Land <strong>der</strong> Obotriten ein und verwüstete es mit 3euer und<br />
Schwert6). Die Dänen, die zuerst durch widrige Winde aufgehalten<br />
wurden, landeten auf Poel?) und verheerten diefe Infel.<br />
Rauchende Trümmerstätten dienten beiden Heeren zur Orientierung^).<br />
Niklot gab den westlichen Teil feines Landes auf, verbrannte feine<br />
Burgen Ilow, Mecklenburg, Dobin und Schwerin^) und zog fich in<br />
das feste Werle an <strong>der</strong> Warnow^) zurück. Von hier aus unternahmen<br />
die Wenden täglich Streifzüge in die Umgegend, um das<br />
Heer des Herzogs Hu beobachten o<strong>der</strong> um dem Gegner durch Überfälle<br />
kleinerer Trupps, die fich unvorfichtig vom Lager entfernt<br />
hatten, Abbruch zu tun.<br />
Eines Tages hatten die Söhne Niklots, Pribiflaw und Wertiflaw,<br />
bei einem Streifzuge einige Knechte Heinrichs des Löwen, die<br />
ausgezogen waren, um Getreide zu holen, getötet. Auf dem Nück-<br />
1) Helmold I 87.<br />
2) Vei Lüneburg.<br />
2) S. 757 ff.<br />
4) Waldemar erscheint in dieser Ieit bei Heinrich noch immer als <strong>der</strong><br />
Bittende. Er kommt auch dem Herzog bis Artlenburg entgegen. Saxos dänische<br />
Tendenz will uns wahrscheinlich hier die P5ahrheit verbergen.<br />
') Helmold I 87.<br />
6) Helmold I 88. .^nn. ?a!iä., ^^äeoulF., ^O33 XVI und MUV I<br />
74 (1162). Vgl. Valt. Stud. N. 3. 29. 40 ff.<br />
7) Vgl. Valt. Stud. N. I. 29. 148.<br />
s) Saxo 758.<br />
2) Helmold I 88.<br />
^) Zwischen Schwaan und Bützow. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29, 148.
16 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
wege wurden sie von den Tapfersten im sächsischen Heere eingeholt.<br />
Das Treffen endete mit einer Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> wendischen 3ürstensöhne,<br />
die dabei zahlreiche Gefangene einbüßten. Heinrich <strong>der</strong> i^öwe<br />
ließ diese Gefangenen kurzerhand aufhängen. Als Pribislaw und<br />
Wartislaw, die ihre Rosse und ihre besten Leute verloren hatten,<br />
zum Vater zurückkehrten, wurden sie übel aufgenommen. Mit einer<br />
auserlesenen Mannschaft rückte <strong>der</strong> zürnende Niklot nun selber<br />
aus und legte in <strong>der</strong> Nähe des deutschen Heeres einen Hinterhalt.<br />
Bald darauf näherte sich ein Trupp sächsischer Knechte, die 3utter<br />
holen wollten^). Aber unter den Troßknechten befanden sich 60<br />
sächsische Ritter, die unter den Kitteln Harnische trugen. Niklot<br />
sprengte den Seinen weit voraus in die 3einde hinein. Seine<br />
erste Lanze traf auf einen Harnisch und sprang zurück. Als er die<br />
Gefahr merkte, wandte er schnell sein Roß, um sich zu den Seinen<br />
zurückzuziehen. Aber es war zu spät. Er wurde umringt und getötet,<br />
ehe ihm einer <strong>der</strong> Seinen zu Hilfe eilen konnte^). Ein<br />
Ritter Bernhard ^) soll den tödlichen Streich geführt haben. Die<br />
Leiche wurde erkannt, und <strong>der</strong> abgeschnittene Kopf auf einem Wurfspeer<br />
im sächsischen und dann auch im dänischen Lager umhergetragen^).<br />
Als Prislaw, <strong>der</strong> flüchtige Sohn Niklots, im dänischen<br />
Lager vom Tode seines Vaters hörte, war er gerade beim<br />
Abendessen. Eine Zeitlang unterbrach er schweigend die Mahlzeit,<br />
da^> Haupt gesenkt und in die Hand gestützt. Bald aber soll er sich<br />
<strong>der</strong> traurigen Gedanken entschlagen und ausgerufen haben: „So<br />
muß ein Gottesverächter umkommen!"^). Dann zeigte er seinen<br />
Tischgenossen wie<strong>der</strong> die gewohnte Heiterkeit. Als ihm später sein<br />
Bru<strong>der</strong> Pribislaw über die Warnow hinüber den Vorwurf machte,<br />
wie er es über sich gewinnen könne, mit dem Mör<strong>der</strong> seines Vaters<br />
in einem Schiffe zu fahren, soll er erwi<strong>der</strong>t haben, daß jener (Bernhard)<br />
sich ein Verdienst um ihn erworben habe, da er ihn von<br />
seinem wi<strong>der</strong> Gott frevelnden Vater befreit habe. Er wolle auch<br />
1) 3. Giesebrecht, W. G. III 111 ff., irrt, wenn er hier zwei Überfälle<br />
Niklots ansetzt.<br />
2) Die Ktl. berichtet c. 120, daß Niklot von den Dänen, Helmold I 88<br />
und Saxo 759, daß er von den Deutschen getötet worden sei. Die Ktl.<br />
weiß auch nichts von einem gemeinsamen Juge Heinrichs und Waldemars.<br />
Helmold gedenkt <strong>der</strong> Beteiligung des Dänenkönigs nicht.<br />
2) Saxo 769. Ob das <strong>der</strong> Graf Bernhard von Ratzeburg ist, läßt sich<br />
nicht entscheiden.<br />
4) Vgl. Wigger, M. Jb. 28. 114. Die Ktl. c. 120 berichtet, daß Niklots<br />
Haupt, auf einen Pfahl gesteckt, vor <strong>der</strong> Vurg Werle aufgepflanzt wurde.<br />
5) Saxo 759.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 17<br />
überhaupt nicht als Sohn des Mannes gelten, <strong>der</strong> sich so großer<br />
Verbrechen schuldig gemacht habe^).<br />
Einige Tage nach <strong>der</strong> Landung <strong>der</strong> Dänen bei Poel hatte Heinrich<br />
<strong>der</strong> Löwe eine Unterredung mit König Waldemar, <strong>der</strong> mit<br />
Absalon in sein Zelt kam^). Kaum war aber <strong>der</strong> König wie<strong>der</strong> bei<br />
einen Schiffen angelangt, als ihn neue Ereignisse besorgt machten,<br />
)ber die er gern mit dem Herzoge verhandelt hätte. Niemand von<br />
einen Unterführern wollte die gefährliche Gesandtschaft übernehmen.<br />
3a erbot sich Absalon, den Auftrag auszuführen. Prislaw als<br />
landeskundiger sollte ihm als Führer dienen, während er zu seinen<br />
Vegleitern seine näheren Verwandten auswählte.<br />
Bei Herzog Heinrich wurden die Boten freundlich aufgenomnen^).<br />
Zu übernachten aber lehnte Absalon ab, weil er seinen<br />
Herrn nicht zu lange in Unruhe lassen wollte. Als ihm Heinrich ein<br />
>roßes Geleit auf den gefährlichen Weg mitgeben wollte, bat Absaon,<br />
davon abzusehen. In zwei Abteilungen, um einen großen Heerlaufen<br />
vorzutäuschen, zogen die Dänen in <strong>der</strong> Nacht laut singend<br />
mrck die wendischen Orte. Die Bewohner, die sie reiten sahen,<br />
>laubten, es wären Mannen des Herzogs und ließen sie ungehin<strong>der</strong>t<br />
»eiterziehend. So kam Absalon mit seinen Leuten wohlbehalten<br />
u den dänischen Schiffen zurück. Der König, in Angst und Sorge<br />
lm seine Mannen^), soll den Psalter gelesen haben, um seine Unuhe<br />
zu meistern^). Als Absalon mit seinen Begleitern zurückehrte,<br />
sprang er auf und empfing die Zurückkehrenden in großer<br />
kreude.<br />
Die dänische Flotte rückte darauf von <strong>der</strong> Insel Poel in <strong>der</strong><br />
Zucht von Wismar bis zur Mündung <strong>der</strong> Warnow (Gudacra) vor?).<br />
)er Zugang war aber für die großen dänischen Schiffe zu seicht,<br />
3 daß sie hier liegen bleiben mußten. Die leichteren Schiffe gingen<br />
1) Saxo 763. Dem steht Prislaws Perhalten in <strong>der</strong> Knytlingasaga gegenüber.<br />
Als die Dänen bei dem Ritt zu Heinrich dem Löwen an dem vor<br />
t5erle aufgepflanzten Haupte Niklots voriiberkamen, soll Prislaw geweint und<br />
arauf gesagt haben, er habe erwartet, daß es denjenigen so erginge, die<br />
em wahren Gott nicht dienten. — Prislaw heißt in <strong>der</strong> Knytlingasaga Iridleif.<br />
2) Saxo 759 ff.<br />
2) Der Verfasser <strong>der</strong> Ktl. c. 120 läßt Absalon fälschlich nach Braunschweig<br />
'.iten, weil er keine klare örtliche Vorstellung von den Vorgängen hat. Daß<br />
an es nur mit einem kürzeren Ritte zu tun hat, geht auch aus <strong>der</strong> Ktl.<br />
uvor. Absalon reitet nur einen Tag und eine Nacht.<br />
4) Ktl. c. 120.<br />
ü) Saxo 760.<br />
6) Ktl. c. 120.<br />
') Saxo 762.
18 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
unter Absalons Führung bis an den Breitling vor^). Dort hatten<br />
die Wenden die Durchfahrt mit ihren Schiffen gesperrt. Die<br />
Dänen griffen sofort an. Ihre Schiffe blieben aber auf den Untiefen<br />
stecken. Um sie wie<strong>der</strong> flott zu machen, sprangen die dänischen Ru<strong>der</strong>er<br />
in das flache Wasser und schoben sie mit ihrem Körper vorwärts.<br />
Sofort kamen die Wenden heran. Von den Schutzwehren,<br />
die sie auf ihren Booten angebracht hatten, sandten sie ihre Geschosfe<br />
auf die Dänen herab. Bald sprangen sie auch selbst in das<br />
seichte Wasser und wurden mit den Dänen handgemein. Schließlich<br />
drängten die Dänen sie aber doch zurück. Da ließen die Wenden<br />
ihre Schiffe im Stich und flohen. Bei <strong>der</strong> sofort einsetzenden Verfolgung<br />
tat sich unter den Dänen beson<strong>der</strong>s Prislaw, <strong>der</strong> abtrünnige<br />
Sohn Niklots, hervor. Mit zwei Fahrzeugen fuhr er allen voraus.<br />
Eins davon zerbrach unter <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> Bemannung, die von den<br />
Untiefen aus hineingesprungen war.<br />
Die Dänen gingen dann an Land und steckten die Uferdörfer<br />
in Brand. Erst in <strong>der</strong> Nacht kehrte Absalon mit einer großen Iahl<br />
verlassener Wendenschiffe zum Könige zurück.<br />
Der König schickte nun sein großes Schiff (liburna), ein Geschenk<br />
des Königs Ingi von Norwegen, nach Hause zurück und<br />
rückte selber zum Breitling vor. Suno sandte er mit zwei Fahrzeugen<br />
in die entlegenen Winkel dieser Flußerweiterung. Er selbst<br />
brannte die urb8 Rostock nie<strong>der</strong> 2), die von ihren Verteidigern feige<br />
verlassen war, ebenso ein Götzenbild (statua), das göttliche Verehrung<br />
genoßt).<br />
Inzwischen hatte Heinrich <strong>der</strong> Löwe das ganze Land verheert,<br />
auch die feste Burg Werle hatte er eingenommen, weil die Söhne<br />
Niklots, Pribislaw und Wertislaw, sie bald nach ihres Vaters Tode<br />
angezündet hatten. Die beiden Wendenfürsten verbargen sich in den<br />
Wäl<strong>der</strong>n, während sie ihre Familien auf Schiffen untergebracht<br />
1) Die Knntlingasaga erzählt von dem Treffen im Breitling, <strong>der</strong> Zerstörung<br />
Rostocks und <strong>der</strong> Zweiten Begegnung Heinrichs mit Waldemar nichts.<br />
2) Lisch, M. Jb. 9. 20 hat irrtümlich die Einnahme Rostocks zu 1161 gesetzt.<br />
Vgl. auch Beyer, M. Jb. 21. 9.<br />
2) Der Name des Gottes wird bei Sa^o nicht genannt. Das muß<br />
gegen Varnewitz, Geschichte des Hafenorts Warnemü'nde S. 50, gesagt werden.<br />
Arnold V 24 erwähnt, daß Berno, Bischof von Mecklenburg, anstelle des<br />
Götzen Gutdrak den Bischof Godehard verehren ließ. Ille (Berno) tamen<br />
per dnri3tum confortatus, culture 6emonum eliminavit, luco3 zucciäit et<br />
pro Oudraoo Ooäekaräum epi3copum venerari con3tituit. Vgl. Balt. Stud.<br />
N. I. 29. 148 ff.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 19<br />
hatten^). Heinrich kam nun mit seinem Heere die Warnow hinab<br />
zu einer Besprechung mit Waldemar^), die wahrscheinlich südlich<br />
von Rostock stattfand. Dort schlugen die Dänen ihm über den 3luß<br />
eine Brücke, so daß er mit seinen Mannen hinübergehen konnte.<br />
Plötzlich drang die Nachricht zu den Dänen, daß eine Flotte<br />
<strong>der</strong> Pommern und Rüger beabsichtige, ihnen den Ausgang aus <strong>der</strong><br />
Warnow.zu sperren. Heinrich <strong>der</strong> Löwe warnte den König, <strong>der</strong><br />
daraufhin sofort den 3luß verließ. Aber es ergaben sich keine Anzeichen,<br />
die die Nachricht bestätigten^).<br />
Die dänische Flotte segelte nun weiter ostwärts ^) zum Sooel<strong>der</strong>^).<br />
Hier lagen die Wenden mit einer starken Flotte. Als sie die<br />
dänischen Segel erblickten, flohen sie. Der König legte nun mit<br />
seiner Flotte bei Barhöft (Byr)^) an. Er wollte die wendische<br />
Flotte herauslocken und schickte deshalb einen gewissen Magnus?)<br />
mit einer Abteilung nach Walung (Schaprode) s), um zu plün<strong>der</strong>n.<br />
3r selbst verbarg sich mit seinen Kriegern in den Schiffen^). Die<br />
Wenden vermuteten, daß das ganze Heer <strong>der</strong> Dänen an Land gezangen<br />
sei. Sie kamen heran, erkannten aber durch die Unvorsichtigkeit<br />
einiger dänischer Krieger die Falle und flohen. Die dänische<br />
3lotte folgte zwar, konnte sie aber nicht mehr einholen. Sie kehrte<br />
1UN in den Hafen (Svoel<strong>der</strong>?) zurück und zeltete^). Da fragte Erzüfchof<br />
Eskill den König: „Warum liegen wir hier solange bei den<br />
Znseln und Außenschären herum, ehe wir einen großen Sieg gevonnen<br />
haben, wie wir ihn uns bei unserer Übereilung entgehen<br />
ießen?" Der König gab darauf den Befehl, über einen Meereslnn<br />
zu ru<strong>der</strong>n. Man ging an Land, sprengte zu Pferde landeinvärts<br />
und plün<strong>der</strong>te die Landschaft oberhalb (nördlich) Strelas<br />
1) Helmold I 88.<br />
2) Saxo 756 ff.<br />
3) Vielleicht ist das Gerücht vonHeinrich selbst ausgestreut wordenem dieVerlandlungenabzubrechen.Waldemar<br />
wird dieHilfe nicht umsonst haben leistenwollen.<br />
4) Ktl. c. 120.<br />
5) Saxo erwähnt den Namen Svoel<strong>der</strong> nicht, über die Lage vgl. Valt.<br />
5tud. N. 3. 29. 113 ff.<br />
«) Vgl. Valt. Stud. N. 3. 29. 122.<br />
7) Die Ktl.. c. 120. hat Christoph, den Sohn Waldemars. Uns erscheint<br />
s fraglich, ob man dem höchstens etwa Vierzehnjährigen die Iiihrung an-<br />
»ertraut hat (nach Suhm erst etwa 10jährig). L. Giesebrecht. W. G III 116.<br />
»at nur einen 3ug nach Walung. Ebenso Barthold II 159.<br />
s) Vgl. über die Lage Valt. Stud. N. 3. 29, 104.<br />
9) Saxo 763.<br />
") Ktl. c. 120.<br />
2*
20 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
(Insel Dänholm) zwei Tage lang ^). Am dritten Tage setzte man<br />
die abgebrochene Plün<strong>der</strong>ung von Walung fort ^). Ein erwarteter<br />
Angriff <strong>der</strong> NUger unterblieb aber. Statt dessen erschien <strong>der</strong>en<br />
Unterhändler Dombor.<br />
Die Dänen waren auf ihren Schiffen, als er am Ufer ein Feuer<br />
anzündete, um anzuzeigen, daß er eine Botschaft habe. Absalon<br />
hatte aber verboten, daß ihn ein dänisches Schiff abholte. So mußte<br />
er mit seinem eigenen Boote hinüberkommen. Durch einen Dolmetscher<br />
bat er Absalon, den Frieden zwischen Waldemar und den<br />
Nügern zu vermitteln. Er versprach, daß die Nüger Gehorsam leisten<br />
und Geiseln stellen würden. Absalon erinnerte ihn wie<strong>der</strong>holt höhnisch<br />
an seine Worte bei ihrer Unterredung im Frühjahr. Doch<br />
Dombor ließ sich nicht abweisen und wie<strong>der</strong>holte seine Bitten immer<br />
dringen<strong>der</strong>, so daß <strong>der</strong> Bischof endlich nachgab und fich bei dem<br />
Könige für die Rüger verwandtes. Nachdem die Nüger Geiseln<br />
gestellt hatten, zogen die siegreichen Dänen heim.<br />
Iwar war es Waldemar nicht gelungen, in Mecklenburg Fuß<br />
zu fassen; dazu war <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand Heinrichs des Löwen wohl<br />
Zu groß gewesen. Aber durch den Frieden mit den Nügern schuf er<br />
sich die Plattform, von <strong>der</strong> aus er später die Küste ganz Vorpommerns<br />
erobern konnte. Allerdings mußte er noch manche Jahre<br />
um seinen Besitz kämpfen, und erst 1168 bekam er Nügen fest in<br />
seine Hand. Der Grundstock zu dem Dänenreiche in Pommern wurde<br />
in diesem Jahre (1160) gelegt. Damit begannen aber auch die Verwicklungen<br />
in <strong>der</strong> dänischen Politik. Würde sich Heinrich <strong>der</strong> Löwe<br />
gefallen lassen, daß sich <strong>der</strong> Däne in Vorpommern, auf das er<br />
bessere Ansprüche zu haben glaubte, festsetzte? Ein Konflikt zwischen<br />
Sachsen und Dänemark war auf die Dauer unausbleiblich. Die<br />
Frage war nur. wann es zum Ausbruch dieses Konflikts kommen<br />
würde. Die Leidtragenden waren die Pommernherzöge Bogislaw<br />
und Kasimir. Hätten sie eine geschickte politische Hand gehabt, so<br />
wäre es vielleicht möglich gewesen, die Rivalen aufeinan<strong>der</strong> zu Hetzen<br />
und sich als lachen<strong>der</strong> Dritter die Freiheit zu bewahren. Da sie die<br />
1) Saxo 764: Po3t naeccirca 2U8tralem insulam pla^am praeciae in bicluum<br />
actae. Da die Dänen nur über einen Meeresarm setzten, muß an die Gegend<br />
nördlich von Strela auf Rügen o<strong>der</strong> auf dem rügijchen Iestlande gedacht werden.<br />
2) Saxo 764 ff.<br />
2) Die Ktl. berichtet c. 120. daß die Rüger den Dänen, die Walung gebrandschatzt<br />
haben, nach Masnes nachkommen und daß Dombor hier ergebnislos<br />
verhandelt. Vaetke. Thule XlX 373 A. 1 sucht diesen Ort auf Ummanz. Diese<br />
Unterredung (wie <strong>der</strong> 3ug nach Arkona) wird sich vor dem gemeinsamen Juge<br />
Heinrichs und Waldemars zugetragen haben. Masnes ^-Masneds in Dänemark.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 21<br />
nicht besaßen, mußte Pommern die Ieche mit dem Verlust seiner<br />
Unabhängigkeit bezahlen.<br />
Innerkirchliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Schisma<br />
beherrschten in den Jahren nach 1160 die dänische Politik, so daß<br />
Waldemar von einer Erweiterung seiner bisherigen Eroberungen absehen<br />
mußte. Auch Heinrich <strong>der</strong> Löwe konnte in diesen Jahren dem<br />
Gegner nicht das Wasser abgraben, weil ihn deutsche Angelegenheiten,<br />
auch Angelegenheiten persönlicher Art^), beschäftigten. Erst<br />
im Frühjahr 1162 konnte Waldemar zu einem neuen Juge nach<br />
Wolgast ausfahren. Das war <strong>der</strong> erste Schritt einer folgerichtigen<br />
Politik, sich die Flußmündungen zu sichern, einer Politik, die<br />
etwa 470 Jahre später Gustav Adolf von Schweden befolgte.<br />
Wir hören von Helmold^), daß Heinrich <strong>der</strong> Löwe im Winter<br />
1162/63 durch seinen Wendenzug nach Mecklenburg zahlreiche dänische<br />
Gefangene befreite^). Das Unwesen <strong>der</strong> Freibeuterei auf<br />
dem Meere war also wohl noch nicht unterdrückt. Zudem hausten<br />
in <strong>der</strong> Peenemündung noch Teeräuber. Gegen sie zog Waldemar<br />
im 'Frühjahr 1162^). Er segelte zuerst nach Strela^). Von hier<br />
ritt Absalon auf königlichen Befehl hinauf in das Land und hielt<br />
mit den Bauern ein Thing ab. Er verlangte von ihnen, daß sie<br />
dem'Könige zu seinem Juge nach Wolgast Hilfsvölker stellten. Die<br />
Rüger weigerten sich nicht. So steuerte nun eine große Flotte nach<br />
Kuaviz (Gaatz bei Peenemünde)^). Die Wolgaster, die unter selbständigen<br />
Fürsten standen7), hatten Herzog Bogislaw zu Hilfe gerufen,<br />
<strong>der</strong> nun in ihrem Auftrage mit Waldemar über den Frieden<br />
verhandelte. Die Wolgaster mußten sich den Dänen unterwerfen,<br />
sich verpflichten, die Piraten aus <strong>der</strong> Peenemündung zu vertreiben,<br />
und Geiseln stellen.<br />
An diesem Juge hatte auch Bernhard, <strong>der</strong> Sohn des Grafen<br />
von Ratzeburg, mit zwei Schiffen teilgenommen^). Als die Rüger<br />
1) Die Ehescheidung von Clementia von Iähringen.<br />
2) I 93.<br />
2) L. Giesebrecht W. G. III 129 meint, daß die Söhne Niklots von Wolgast<br />
aus ihre früheren Seeräuberfahrten nach Dänemark fortgesetzt haben. Dagegen<br />
ist Wigger, M. Jb. 28, 124, weil die 3ahrt von den Mündungen <strong>der</strong><br />
Warnow und <strong>der</strong> Recknitz doch viel näher wäre. Vgl. auch Meyer, M. Jb. 76,32.<br />
4) Saxo 773 und Ktl. c. 120. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 46 ff.<br />
5) Ktl. c. 120.<br />
«) Über die Lage vgl. Valt. Stud. N. I. 29. 132 ff.<br />
7) Saxo 773.<br />
s) Saxo 774. Bernhards Gattin war eine Verwandte des Königs Walde
22 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
bei einer Beratung waren, fragte Bernhard sie. warum sie sich nicht<br />
um die Gunst des Sachsenherzogs bemühten. Sie antworteten, daß<br />
sie sich um den Herzog nicht kümmerten. Da fuhr Bernhard auf.<br />
sie würden wohl bald dessen Macht erfahren. Masco, ein vornehmer<br />
Rüger, entgegnete scharf, daß wilde Pferde sich umso heftiger in<br />
die Iügel drängten, je kürzer sie geführt würden. Man müsse den<br />
Sachsen den Iaum nachlassen, damit er nicht zerreiße. Nun legte<br />
sich König Waldemar ins Mittel Mnd schlichtete den Streit. Als<br />
Herzog Heinrich aber davon hörte, so berichtet Saro, konnte er einen<br />
Argwohn gegen den König nicht unterdrücken.<br />
Nach diesem Ieldzuge^) wurde Waldemar von Kaiser Friedlich<br />
I. zu einer Zusammenkunft nach St. Jean de Losne in Burgund<br />
berufen, bei <strong>der</strong> er dem Kaiser als Lehnsherrn huldigte. In<br />
den Verhandlungen zwischen dem Kaiser und seinem dänischen Lehnsmann<br />
scheint letzterer versucht zu haben, eine Bestätigung seines<br />
neuen Besitzes zu erhalten. Ob es ihm gelungen ist, wissen wir nicht.<br />
Aber ein an<strong>der</strong>er Vertrag zwischen Heinrich dem Löwen und Waldemar<br />
wurde geschlossen. Beide Fürsten verpflichteten sich, keinen<br />
Überläufer aus dem Lande des an<strong>der</strong>n bei sich aufzunehmen^).<br />
In den ersten Monaten des Jahres 1163 hatte Heinrich <strong>der</strong><br />
Löwe die Wenden im Lande <strong>der</strong> Kyciner (Kessln bei Rostock), <strong>der</strong><br />
Circipaner (um Tribsees)^) und die Landschaft Wolgast in seine<br />
Votmäßigkeit genommen. Auch die Insel Rügen hatte er geplün<strong>der</strong>t^).<br />
Die Nüger erkannten ihn bei <strong>der</strong> Weihe des Doms in<br />
Lübeck, wohl im Juli 11635), als ihren Lehnsherrn an und gaben<br />
ihm Geiseln. Um die Vertragsbrüchigen Nüger zu strafen und sie<br />
wie<strong>der</strong> unter seine Herrschaft zu bringen, sammelte Waldemar seine<br />
882 hatte Bernhard als Graf von Ratzeburg einen Teil von Schleswig von<br />
Dänemark zu Lehen. Vgl. dazu Olrik. Absalon I 250 A. 30 und W. Meyer.<br />
M. Jb. 76. 37.<br />
1) Saxo 776ff. Helmold I 91.<br />
2) Helmold I 92.<br />
' 3) Helmold I 93.<br />
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 23<br />
Flotte in Grönsund (zwischen Moen und Falster). Da erschienen<br />
Gesandte <strong>der</strong> Rüger ^) und beugten sich wie<strong>der</strong> seiner Lehnshoheit.<br />
3er König ließ daher das Heeresaufgebot auseinan<strong>der</strong>gehen.<br />
Damit war <strong>der</strong> Konflikt zwischen Heinrich dem Löwen und Waldemar<br />
ausgebrochen. Heinrich beschwerte sich durch eine Gesandtschaft<br />
bei Waldemar, daß dieser von Wolgast Geiseln genommen und bei<br />
den Rügern geheert habe 2). Er verlangte Schadenersatz für den<br />
Einfall in sein Land. Im an<strong>der</strong>n Falle, so ließ er sagen, würde<br />
er Rache nehmen und Waldemars Land mit Krieg überziehen. Diese<br />
Gesandtschaft war noch nicht nach Dänemark gekommen, als am<br />
17. Februar 1164 ein gewaltiger Aufstand <strong>der</strong> Obotriten in Mecklenburg<br />
ausbracht). Herzog Heinrich schrieb diesen Anschlag zuerst<br />
Bischof Absalon zu>). Als er aber erfuhr, daß Absalon daran<br />
unbeteiligt war, sandte er an<strong>der</strong>e Boten nach Dänemark, trug<br />
Waldemar einen Vergleich an und rief ihn zu gemeinsamem Juge<br />
mit einer Flotte herbei^). Er selbst wollte mit Landtruppen gegen<br />
die Wenden vorgehen. Waldemar war zum Juge bereit, da die Wolgaster<br />
den Vertrag mit ihm gebrochen hatten 6). Es entsprach nur<br />
seiner Politik,- denn hier war ihm Gelegenheit geboten, seinen Einfluß<br />
in Pommern zu erweitern. Eine „politische" Verlobung zwischen<br />
Knut, dem jungen dänischen Königssohn, und einer Tochter<br />
Heinrichs bekräftigte das Bündnis?).<br />
Ungefähr in <strong>der</strong> letzten Hälfte des Mai 1164 rückte Heinrich in<br />
Mecklenburg ein^). Anfang Juli stand er mit seinen Truppen in<br />
<strong>der</strong> Gegend östlich des Cummerower Sees. Sein Ziel war Demmin.<br />
Als Vortrupp hatte er die Grafen Adolf von Holstein, Reinold<br />
von Dietmarschen, Christian von Oldenburg und seinen Statthalter<br />
im Obotritenlande, Gunzelin von Schwerin, mit ihren Mannen vorausgeschickt^).<br />
Sie trafen am 5./6. Juli bei Verchen^) auf ein ge-<br />
1) Ktl. c. 120.<br />
2) Ktl. c. 120.<br />
2) Helmold II 2.<br />
4) Ktl. c. 120.<br />
5) Saxo 796.<br />
«) Ktl. c. 120.<br />
7) Saxo 795. Vgl. auch Ktl. c. 120.<br />
°) helmold II 4. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 52 ff.<br />
s) Saxo 796 hat nur Heinrich von Ratzeburg, Adolf von Holstein und<br />
Gunzelin. Auch nach ihm fielen «ääolpnus et kexnaläuz" (797). Die Ktl.<br />
c. 120 berichtet, daß zwei Grafen des Herzogs. Adalbrecht und Heinrich, in<br />
<strong>der</strong> Nacht erschlagen seien. Vgl. Meyer. M. Jb. 76. 30. <strong>der</strong> für Heinrich von<br />
Ratzeburg Christian von Oldenburg einsetzt.<br />
^) Stolle, Beschreibung und Geschichte <strong>der</strong> uralten, ehemals festen,
24 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
waltiges Wendenheer. In dem harten Kampfe fielen Adolf von<br />
Holstein und Reinold. Trotz großer Verluste — es sollen auf Seite<br />
<strong>der</strong> Sachsen 450 Mann gefallen sein^) — errangen die Sachsen den<br />
Sieg. 2500 erschlagene Wenden bedeckten das Schlachtfelds. Das<br />
geschlagene Wendenheer zog sich auf Demmin zurück, das Heinrich<br />
<strong>der</strong> Löwe bald darauf einnahm und dem Erdboden gleich machen<br />
ließ. Heinrich rückte dann auf Gutzkow vor, das die Einwohner<br />
verlassen hatten, und brannte auch diesen Ort nie<strong>der</strong>.<br />
Unterdessen war die Dänenflotte nach Rügen gesegelt^). Absalon<br />
ging an Land, um von den Rügern hilfstruppen zu erhalten,<br />
während <strong>der</strong> König nach Wolgast weiterfuhr. Mit Hilfe eines Dolmetschers<br />
übermittelte Absalon in einem Thing den Nügern seinen<br />
Auftrag. Ein Zwischenfall — ein rügischer Jüngling hatte einem<br />
dänischen Krieger das Pferd entwendet — wurde gütlich beigelegt.<br />
Tetislaw von Rügen versprach, den Dänen hilfstruppen zuzuführen.<br />
Darauf eilte Absalon dem Könige nach und traf ihn vor <strong>der</strong> Burg<br />
Wolgast^). Die Bewohner <strong>der</strong> Burg baten den König um einen<br />
Vergleich, gaben sich in seine Gewalt und stellten Geiseln^). Aber<br />
ohne daß es <strong>der</strong> König gewahr wurde, verließen sie des Nachts mit<br />
Weib und Kind die Burg, die Waldemar nun besetzte und dem Oberbefehl<br />
Wethemanns anvertraute. Als die Einwohner Usedoms von<br />
großen und berühmten Hansestadt Demmin, S. 548, nimmt als Ort <strong>der</strong><br />
Schlacht den Hottenberg bei Verchen an. Ebenso Goetze, Geschichte <strong>der</strong> Stadt<br />
Demmin, S. 224. Rudloff, S. 20, zieht die Anhöhen am nordöstlichen Seeufer<br />
in Betracht. Nach Barthold II 167 A. 4 ist die Schlacht auf <strong>der</strong> westlichen<br />
Seite des Cummerower Sees geschlagen, weil ein Lager dicht bei Verchen<br />
zu gefährlich war und die zuerst Angegriffenen auf dem Wege nach Malchow<br />
die Ieinde trafen. Dagegen wendet sich mit Recht Wigger. M. Jb. 28. 150<br />
A. 3. weil dann die Bezeichnung nach Verchen so unpassend wie nur möglich<br />
wäre. W. lehnt auch ab, daß die Sachsen vom westlichen Seeufer gekommen<br />
sind, da hier weite Wiesengebiete und schwierige Peeneübergänge vorhanden<br />
waren. Barthold erwähnt hier Stavenhagen, Geschichte von Demmin<br />
548. Es muß wohl heißen Stolle, Geschichte von Demmin, da nach unsern<br />
Erkundigungen Staoenhagen eine Geschichte von Demmin nicht geschrieben hat.<br />
Dieselbe Berichtigung gilt für Rudloff S. 164 A. 20, <strong>der</strong> sich wohl nur auf<br />
Barthold stützt.<br />
1) Die Zahl gibt die Ktl. (.. 120.<br />
2) Helmold II 4.<br />
s) Saxo 795.<br />
4) Ktl. c. 120.<br />
5) Von Verhandlungen spricht nur die Knntlingasaga. L. Giesebrecht,<br />
W. G. III 145, Barthold II 169. Olrik. Absalon I 135 berichten nichts<br />
davon.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 25<br />
<strong>der</strong> Ankunft Waldemars hörten, zündeten sie ihre Stadt an, damit<br />
sie den Feinden nicht als Aufenthaltsort dienen könnte^).<br />
Der König zog dann zur Mündung des Peeneflusses^) und zerstörte<br />
die Dunzabru^). Unter Absalons Aufsicht wurde die Peene<br />
von Pfählen und Hin<strong>der</strong>nissen freigemacht^), so daß man in das<br />
enge Flußbett hineinfahren konnte. Wendische Reiter hatten das<br />
beobachtet, rückten nun zu beiden Seiten des Flusses heran und<br />
verwundeten durch ihre Geschosse mehrere Dänen. Als schließlich<br />
die Frechheit <strong>der</strong> Wenden zu groß wurde, sprang Peter, Elifs Sohn,<br />
mit seiner Schiffsbesatzung ans Ufer, trieb sie zurück, büßte selbst<br />
aber seine Tapferkeit mit dem Tode.<br />
Die dänische Flotte gelangte dann glücklich nach Stolpe^), wo<br />
auch die Sachsen unter Heinrich eintrafen. Um den sächsischen Kriegern<br />
eine „Brücke" zum Übergang über die Peene zu schaffen, legten<br />
sich die dänischen Schiffe eng aneinan<strong>der</strong>, so daß das ganze Heer<br />
Heinrichs auf das südliche Ufer 6) hinübergesetzt werden konnte. Die<br />
Fürsten schlössen bei einer persönlichen Unterredung die oben erwähnte<br />
Verlobung ihrer Kin<strong>der</strong> ab?).<br />
Darauf kehrten beide Fürsten zurück s). Waldemar kam wie<strong>der</strong><br />
1) Saxo 798.<br />
2) Zum Unterschiede vom Peenestrom, dem westlichen <strong>der</strong> Mündungsarme<br />
<strong>der</strong> O<strong>der</strong>.<br />
3) Ktl. c. 120. Vgl. dazu Balt. Stud. N. 3. 29. 136 ff.<br />
4) Saxo 798/99.<br />
5) Saxo 798. helmold II 4 nennt als Ort des Treffens nicht Stolpe.<br />
Beide Iürsten kommen später nach Stolpe. Ipge veto cum reliquo exercitu<br />
ivit in occursum ^aläemari re^is. ^t abierunt sociata manu, ut äepopuwrentur<br />
latituäinem pomeranae re^ioniz, et venerunt loco qui ciicitur<br />
3to!pe. Die Ktl. c. 120 erwähnt, daß Heinrich von Grozum kommend, zu<br />
Waldemar an Bord ging, daß Waldemar am nächsten Morgen nach Stolpe<br />
ru<strong>der</strong>t, während Heinrich nach Demmin zurückgeht und dort die Burg ganz<br />
me<strong>der</strong>bricht. Gegen Wigger, M. Jb. 28. 151 A. 2 muß gesagt werden, daß<br />
Heinrich den König nach dem Bericht <strong>der</strong> Knntlingasaga nicht an <strong>der</strong><br />
Dunzar-Brücke aufsucht. Es ist in <strong>der</strong> Knntlingasaga auch von einer Verlobung<br />
in Stolpe nicht die Rede. Barthold II 168 läßt die Begegnung<br />
bei<strong>der</strong> Iürsten bei Stolpe stattfinden. L. Giesebrecht gibt die Unterredung<br />
ebenfalls bei Stolpe an. Gegenüber Giesebrecht hat Wigger recht, wenn er<br />
daran erinnert, daß Helmold den Ort <strong>der</strong> Begegnung nicht nennt. Olrik,<br />
Absalon I 135, hat die Begegnung in Stolpe. Vgl. auch Balt. Stud. N. 3.<br />
29. 137 ff.<br />
6) Heinrich kam nach Saxo von Gutzkow, das auf dem nördlichen Ufer<br />
<strong>der</strong> Peene liegt.<br />
7) Ktl. c. 120.<br />
«)) Saxo 799. Die Ktl. c. 120 berichtet, daß Kasimir zu Waldemar kam.
26 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
zur abgerissenen Dunzabru. hier erwarteten ihn die Slawen und<br />
baten um Frieden. Waldemar beabsichtigte, sich in Wolgast einen<br />
festen Stützpunkt zu schaffen und deshalb dorthin eine dänische Besatzung<br />
zu legen. Aber alle seine Unterführer weigerten sich, mit<br />
ihren Mannschaften dort zu bleiben. Buris, ein Urenkel Sven<br />
Estrithsons, Sven, <strong>der</strong> spätere Bischof von Aarhus, und Christoph,<br />
Waldemars Sohn, die nach Wolgast hatten Vorräte bringen müssen,<br />
lehnten ab. Nur Absalon war mit seinen Seelän<strong>der</strong>n für Anlegung<br />
des Stützpunktes. Aber seine Unterstützung genügte dem Könige nicht.<br />
Es war ein kluger Plan des Königs, ein Plan, <strong>der</strong>, wenn er<br />
verwirklicht worden wäre, vielleicht viele spätere Iüge <strong>der</strong> Dänen<br />
unnötig gemacht hätte, ein Plan, <strong>der</strong> Wolgast zum Mittelpunkt <strong>der</strong><br />
dänischen Herrschaft an <strong>der</strong> Südküste <strong>der</strong> Ostsee hätte machen können,<br />
von dem dann auch die nordische Kultur ihren Eingang in<br />
Pommern hätte finden können. Er scheiterte an <strong>der</strong> Kurzsichtigkeit<br />
<strong>der</strong> Unterführer Waldemars.<br />
Als die Wenden nur Waldemar Geiseln stellen wollten^), hielt<br />
<strong>der</strong> es für unredlich, ohne seinen Verbündeten zu verhandeln. Er<br />
benachrichtigte daher den Sachsenherzog durch Thorbern von dem<br />
Gesuch <strong>der</strong> Feinde und einigte sich auch mit ihm über die Friedensbedingungen,<br />
die den Wenden auferlegt werden sollten. Erst dann<br />
nahm er die wendischen Geiseln in Empfang und schloß den Frieden ab.<br />
Das Land um Wolgast wurde geteilt. Den einen Teil erhielt<br />
Tetislaw. <strong>der</strong> Fürst von Rügen, den an<strong>der</strong>n Herzog Kasimir und<br />
den dritten Prislaw, <strong>der</strong> Sohn Niklots, Waldemars Schwagers.<br />
Den Piraten, die in Dänemark zu plün<strong>der</strong>n beabsichtigten, sollte<br />
die Peenemündung verschlossen bleiben. Heinrich <strong>der</strong> Löwe blieb<br />
im Besitze <strong>der</strong> Festen, die er in Slawien eingenommen 'hatte.<br />
Der Erfolg war leicht errungen. Das Land Wolgast war dänisches<br />
Lehen geworden. Heinrich <strong>der</strong> Löwe hatte zwar sein Gebiet<br />
in <strong>der</strong> Gegend um Demmin erweitert, hatte aber zulassen müssen,<br />
daß Waldemar sich in Wolgast festsetzte. Der größere Erfolg war<br />
unzweifelhaft auf <strong>der</strong> Dänenseite. Würden sich aber nun auch die<br />
Wenden damit zufrieden geben?<br />
Waldemar hatte eine rügische Besatzung in Wolgast zurückgelassen.<br />
Durch allerlei Kriegslisten und Räubereien wurde diese<br />
von den Wolgastern <strong>der</strong>art gequält, daß sie die Stadt verließt).<br />
Es ist möglich, daß die Rüger glaubten, die Dänen hätten ihre<br />
1) Saxo 799. Die Knntlingasaga erwähnt davon nichts.<br />
2) Nach <strong>der</strong> Ktl. c. 120 erhielt Kasimir zwei Teile, <strong>der</strong> Rüger einen Teil.<br />
3) Saxo 799.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 27<br />
Gegner aufgewiegelt^). Möglich ist aber auch, daß sie sich von den<br />
lästigen Fesseln <strong>der</strong> dänischen Hoheit zu befreien suchten, weil sie<br />
sich nämlich bald darauf Herzog Heinrich unterstellten^). König<br />
Waldemar zog daher noch im herbst^) desselben Jahres (1164)<br />
gegen sie und verwüstete die Landschaft Walung^). Dabei zeigten<br />
Absalon und seine Seelän<strong>der</strong> mit ihren Schiffen solche Schnelligkeit,<br />
daß sie sieben Tage bei hiddensoe auf den König warten<br />
mußten.<br />
Im neuen Jahre (1165). gegen Ende des Winters^), befahl<br />
Waldemar ein neues Heeresaufgebot gegen die Nüger. um ihre Treulosigkeit<br />
zu bestrafen. Er steuerte mit seiner Flotte nach Strela,<br />
zerstörte den Opferhain Bukow (Boeku)^) und zog dann hinauf<br />
nach Walung (Schaprode) und Arkona. Die Landschaft in <strong>der</strong><br />
Umgegend von Wiek?) (auf Arkona) bis zu dem dortigen Marktplatz<br />
<strong>der</strong> Rüger (Altenkirchen?) wurde verheert. Darauf fuhren<br />
die Dänen zurück nach dem Hafen Por^). vermutlich die Prohner<br />
Wiek, in <strong>der</strong> Nähe von Barhöft, und ruhten dort zwei Tage aus^).<br />
Nun sollte <strong>der</strong> südliche Teil <strong>der</strong> Insel Rügen angegangen werden.<br />
Absalon erhielt daher vom König den Auftrag, den Iudar zu plün<strong>der</strong>n^).<br />
Der König, <strong>der</strong> bei Strela angelegt hatte"), wollte nachkommen.<br />
Absalon ru<strong>der</strong>te in <strong>der</strong> Nacht nach dem Iudar, brandschatzte<br />
die ganze Gegend und ritt dann hinauf nach Garz^). Da stellten<br />
sich ihm am himmelfahrtstage (13. Mai) die Rüger entgegen^).<br />
Es kam zu einer großen Schlacht^). Als Absalon nämlich mit<br />
1) Vgl. e. Giesebrecht. W. G. III 149.<br />
2) Saxo 800.<br />
2) Vermutlich im September. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 63.<br />
4) Ktl. c. 120 (Schluß). Siehe Balt. Stud. N. 3. 29. 104.<br />
5) Ktl. c. 121. Vgl. Abschnitt Chronologie Balt. Stud. N. 3. 29. 62.<br />
6) Saxo belichtet von <strong>der</strong> Zerstörung des Opferhains nichts, erwähnt auch<br />
die Plün<strong>der</strong>ung von Walung nicht. Vgl. über die Lage Balt.Stud,N.3. 29.128ff.<br />
7) Den Namen gibt die Knntlingasaga. Nach Saxo 800 wird nur Arkona<br />
geplün<strong>der</strong>t.<br />
«) Saxo 800. Siehe Balt. Stud. N. 3. 29. 122 ff.<br />
9) Die Ktl. c. 121 gibt an. daß die Dänen nach Hiddensoe ru<strong>der</strong>n und<br />
dort zwei Nächte ruhten.<br />
") Saxo 800. Die Knntlingasaga erwähnt den Namen Iudar nicht.<br />
") Das berichtet nur die Knntlingasaga.<br />
i2) Ktl. c. 121. Absalon segelt an dem König vorbei nach Parez und<br />
reitet dann nach Garz.<br />
") /mnn. I^unä., kxenz., ^.D.85, und 4nn. Nestved. 821—1300, ^.O.84.<br />
") Ktl. c. 121.
28 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
<strong>der</strong> Beute, die er in <strong>der</strong> Gegend von Garz geraubt hatte, zu seinen<br />
Schiffen zurückkehren wollte, folgte ihm eine starke Mannschaft <strong>der</strong><br />
Wenden. Absalon durchschritt mit seinen Seelän<strong>der</strong>n zwei Jurten^).<br />
Er wollte die Nüger bewegen, durch die 3urten zu folgen, damit er<br />
sie dann, wenn sie diese im Nucken hatten, angreifen konnte. Aber<br />
die Feinde waren vorsichtig und setzten nicht nach. Juin Kampf<br />
kam es erst, als zwei verirrte dänische Nachzügler, die sich beim<br />
Plün<strong>der</strong>n verspätet hatten, beutebeladen in die Feinde gerieten. Sie<br />
warfen sofort ihre Beute zu Boden, zogen die Schwerter und trieben<br />
die Gegner zurück. Allmählich mehrte sich die Iahl <strong>der</strong> Kämpfer<br />
auf beiden Seiten, so daß ein scharfer Kampf entstand. Schließlich<br />
mußten die Rüger weichen. Die Seelän<strong>der</strong> töteten beson<strong>der</strong>s die<br />
Pferde.<br />
Als die siegreiche Mannschaft zurückkehrte, kam ihr in Schlachtreihe<br />
die seeländische Ru<strong>der</strong>mannschaft entgegen, die durch einen<br />
Boten zufällig von dem Kampfe benachrichtigt worden war und<br />
Hilfe bringen wollte. Nun kehrten beide Abteilungen zu den Schiffen<br />
zurück.<br />
Die Verluste <strong>der</strong> Wenden waren groß. Wohl übertrieben spricht<br />
die Knntlingasaga^) von 110(1 Toten. Die Seelän<strong>der</strong> büßten nur<br />
3 Tote ein^).<br />
Als <strong>der</strong> Bischof gerade die Pferde auf die Schiffe treiben ließ,<br />
erschien auch <strong>der</strong> König mit den Juten. Die Wächter, die ihm den<br />
Aufbruch Absalons melden sollten, hatten ihre Wachzeit verschlafen.<br />
Darüber war <strong>der</strong> König sehr erregt gewesen und hatte durch große<br />
Beschleunigung versucht, das Versäumte nachzuholen. Als er die<br />
Seclän<strong>der</strong> mit ihren Schiffen entdeckt hatte, hatte auch er zum<br />
Plün<strong>der</strong>n an Land gehen wollen^).<br />
Absalon, <strong>der</strong> ihm seinen Erfolg berichtete, riet ihm ab. da für<br />
ihn an Beute in dieser Gegend wohl kaum noch etwas zu holen sein<br />
würde. Der König, <strong>der</strong> Absalon zu seinem Siege beglückwünschtes,<br />
stand darauf von seinem Vorhaben ab.<br />
Die dänische Flotte zog nun nach Strela zurück. Dort erregte<br />
die große Beute <strong>der</strong> Seelän<strong>der</strong> den Neid und die Unzufriedenheit<br />
<strong>der</strong> Juten, die gern einen Teil davon genommen hätten. Jedoch<br />
1) Die Schlachtschil<strong>der</strong>ung findet sich bei Saxo 801 ff. Nach <strong>der</strong> Knytlingasaga<br />
spielt sich die Schlacht an einem See ab (Garzer See?).<br />
2) Ktl. c. 121.<br />
2) Ebenda.<br />
4) Saxo 802. Die Knytlingasaga berichtet davon nichts.<br />
5) Ktl. c. 121.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 29<br />
wagten sie nicht, das dem Könige zu sagen. Die Dänen griffen nun<br />
noch verschiedene Teile <strong>der</strong> Insel an, hausten hier mit Feuer und<br />
Schwert und fuhren dann heim^).<br />
Iu Anfang des herbstes 1165 2) Kehrte Waldemar mit seiner<br />
Flotte zurück, um nun die Ostseite <strong>der</strong> Insel Rügen zu verwüsten^).<br />
Die Dänen gerstörten zuerst die Saatfel<strong>der</strong>, damit sich die Festen<br />
<strong>der</strong> Rüger nicht mit Vorräten versorgen konnten. Als Waldemar<br />
dann vor die Burg Arkona rückte, machten die Verteidiger aus dem<br />
einzigen Tor <strong>der</strong> Burg einen Ausfall. Die Dänen wichen befehlsgemäß<br />
zurück, um die Wenden weiter von ihren Mauern abzulocken.<br />
Diese waren aber vorsichtig und zogen sich in ihre Burg<br />
zurück, verfolgt von den Dänen. An das Tor aber wagten sich die<br />
Dänen nicht näher heran, damit ihre Pferde nicht durch Wurfspieße<br />
nie<strong>der</strong>gestreckt würden. Nur Nikolaus, Thorbern und Buris sprengten<br />
wagemutig gegen das Tor vor. Dabei wurden aber Thorbern<br />
und Buris durch Steinwürfe verletzt.<br />
Da die Rüger nicht aus ihren Mauern hervorkamen, schiffte<br />
die ganze dänische Flotte weiter zur Provinz Iasmund (Asmoda,<br />
Asund)4). Absalon führte wegen seiner Tapferkeit beim Vorrücken<br />
die Vorhut, beim Rückmarsch die Nachhut, während das Hauptheer<br />
unter des Königs eigener Führung stand. Ein großer Teil des<br />
Landes wurde geplün<strong>der</strong>t, ohne daß sich die Wenden zum Kampfe<br />
stellten. Endlich kam es doch noch zum Zusammentreffen mit den<br />
Wenden. Absalon hatte seine Reiter zum Plün<strong>der</strong>n zerstreut. Er<br />
selbst behielt nur eine kleine Mannschaft bei sich. Da wurde ihm<br />
gemeldet, daß seine Seelän<strong>der</strong> von den Wenden umzingelt seien und<br />
ohne Hilfe nicht entkommen könnten. Ungesäumt eilte er mit den<br />
Wenigen, die bei ihm waren, den Umzingelten zu Hilfe. Als die<br />
Seelän<strong>der</strong> Absalons Ankunft bemerkten, faßten sie neuen Mut<br />
und griffen die Feinde an, die nun eiligst flohen^). In dem Kampfe<br />
zeichnete sich beson<strong>der</strong>s Eskill aus.<br />
1) Die Knytlingasaga hat in diesem Jahre nur einen 3ug. Sie verknüpft<br />
wahrscheinlich den Herbstzug Saxos mit dem 3rühjahrszug. Vgl. Giesebrecht,<br />
W. G. lll 150 A. 5. Barthold II 175 A. 1. Iock. Rüg.-Pom. Gesch. I 64<br />
und Olrik. Absalon I 139.<br />
2) In <strong>der</strong> Ieit zwischen den beiden Zügen hat Waldemar vielleicht einen<br />
Zug nach Norwegen unternommen. Vgl. dazu Balt. Stud. N. 3. 29. 62 ff.<br />
2) Saxo 802 ff.<br />
4) Saxo hat Asmoda. die Knytlingasaga Asund. Über die Lage Balt.<br />
Stud. N. 3. 29. 104 ff.<br />
5) Die Ktl. c. 121 berichtet, daß bei dem Kampfe <strong>der</strong> wendische Häuptling<br />
Dalemar seinen Tod fand.
30 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Die Dänen zogen nun plün<strong>der</strong>nd weiter bis zum Vorgebirge<br />
Gorum (Göhren)i) und fuhren dann nach <strong>der</strong> Insel Strela. Da<br />
die RUger sich in ihrer Hoffnung auf die 'Hilfe <strong>der</strong> Sachsen schmählich<br />
getäuscht sahen, kamen sie dorthin und baten um Frieden^).<br />
Sie zahlten Geld und stellten vier Geiseln.<br />
In Strela ernannte Waldemar mit Zustimmung <strong>der</strong> dänischen<br />
Großen seinen Sohn Knut zum Mitkönig und zum zukünftigen<br />
Thronerben 3).<br />
Daß dem folgenden Kriegszuge eine große politische Bedeutung<br />
nicht zukam, zeigte sich schon dadurch, daß König Waldemar ihn<br />
nicht selbst führte. Es war lediglich ein Raubzug, ein Raubzug allerdings<br />
in ein bisher noch nicht berührtes Gebiet, das unmittelbar an<br />
die Besitzungen Heinrichs des Löwen heranreichte.<br />
In den Fasten4) 1166 brach die dänische Flotte auf unter <strong>der</strong><br />
Führung von Christoph, Absalon und Magnus5). Sie erreichte<br />
den Svoel<strong>der</strong> und verwüstete die Provinz Tribsees. In drei Abteilungen^),<br />
von denen die mittlere Christoph, die seitlichen Absalon<br />
und Magnus führten, griff man die Landschaft an. 'So groß ist die<br />
Verwüstung <strong>der</strong> Dörfer gewesen, schreibt Saxo, daß sie noch jetzt<br />
(1187?) durch die fehlende Bebauung angezeigt wird?).<br />
Auf dem Rückzuge führte Absalon die Nachhut. Er hatte nur<br />
40 Reiter bei sich, mit denen er bei grimmiger Kälte alle Angriffe<br />
<strong>der</strong> Feinde zurückwies. Um keine Spur von Furcht zu zeigen,<br />
unterließ er es, eine Brücke, die von den Dänen über einen Fluß<br />
geschlagen war^), hinter sich abzubrechen. (?)<br />
Als er an das Meeresgestade kam, war die dänische Flotte in<br />
1) Über die Lage vgl. Valt. Stud. N. 3. 29. 106.<br />
2) Die Knntlingasaga weicht ab, indem sie den Friedensschluß bei Hiddensoe<br />
angibt.<br />
^) Die Ktl. c. 120 berichtet diese Ernennung in Strela auf Waldemars<br />
Rückkehr vom Juge nach Wolgast-Stolpe 1164. Wir sehen sie in den Herbst<br />
1165, weil sie u. E. <strong>der</strong> Grund für die Empörung von Vuris (1166) ist, <strong>der</strong><br />
dadurch von <strong>der</strong> Thronfolge ausgeschlossen wird. Ausführlich stellt diese innerpolitische<br />
Entwicklung, die uns hier nur beschäftigen kann, soweit sie die<br />
Politik <strong>der</strong> Wendenzüge berührt. Olrik. Absalon l 142 dar. Varthold,<br />
Giesebrecht und Rudloff übergehen diese Irage.<br />
') Ktl. c. 122. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 65.<br />
") Vielleicht ein Sohn von Erich Lamb.<br />
6) Nur Saxo 806 ff.<br />
7) Die Ktl. c. 122 spricht nur davon, daß das Land noch manches Jahr<br />
öde lag.<br />
s) Olrik. Absalon I 148 glaubt, daß dieser Iluß die Trebel gewesen ist.<br />
Es kommt wohl eher die Varthe in Betracht.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 31<br />
einen an<strong>der</strong>en Hafen gesegelt^). Wohl o<strong>der</strong> übel mußte er in <strong>der</strong><br />
grimmigsten Kälte weiterziehen. Die Pferde kamen beinahe um,<br />
und unter den Mannschaften konnte <strong>der</strong> Kälte wegen niemand beide<br />
Hände zugleich gebrauchen. Die Flotte aus Schonen war schon abgesegelt,<br />
kehrte aber widriger Winde wegen zu den übrigen Schiffen<br />
zurück. Zwanzig Tage 2) hatte man im Flusse Svoel<strong>der</strong> auf günstigen<br />
Fahrwind zu warten, ehe die heimfahrt angetreten werden<br />
konnte.<br />
Nachdem Waldemar im Jahre 1165 die Rüger zur Anerkennung<br />
seiner Lehnshoheit gezwungen hatte, konnte er daran denken, auch<br />
die abgefallenen Volgaster zur Wie<strong>der</strong>herstellung des Vertrages von<br />
1164 zu bringen^). Prislaw, <strong>der</strong> Schwager Waldemars, war jetzt<br />
von dort vertrieben worden^). Die Sachsen sollen ihn um seine<br />
Herrschaft gebracht haben, so berichtet Saxo^).<br />
Im Sommer, wohl im Mai, des Jahres 1166, als schon in<br />
Dänemark die Aufrührer im geheimen am Werke waren, traf Waldemar<br />
seine Vorbereitungen zum Kriegszuge und beachtete die Warnungen<br />
seiner Freunde nicht. Er fuhr nach Ostrozno (Wusterhusen)^),<br />
besiegte hier die Einwohner und kehrte dann schnell zurück, als ihm<br />
<strong>der</strong> Aufstand im eigenen Lande unter <strong>der</strong> Führung von Buris gemeldet<br />
wurde 7).<br />
Buris, wie Waldemar ein Urenkel Sven Estrithsons, strebte<br />
nach <strong>der</strong> dänischen Krone s). Schon sein Vater Heinrich Skateler<br />
und sein Großvater Sven waren in Kämpfe um die Königswürde<br />
verwickelt gewesen. Sven hatte den Königsnamen einst einen Tag<br />
getragen. Als Waldemar 1157 Alleinherrscher geworden war, hatte,<br />
er die Söhne Heinrich Skatelers für sich zu gewinnen gesucht. Knut<br />
wurde Herzog von Jutland. Nach seinem Tode 1162 übertrug<br />
Waldemar das Herzogtum auf Buris^). Trotzdem hegte Waldemar<br />
Mißtrauen gegen ihn, nahm ihn 1162. obgleich er sich weigerte,<br />
als Begleiter mit auf die Reise nach Besancon. Buris hatte später<br />
1) Saxo 807. Vielleicht ist die 3lotte nach Barhöft gesegelt.<br />
2) Ktl. c. 122.<br />
3) Saxo 800 und 807. Die Volgaster hatten die rügische Besatzung vertrieben<br />
und den Piraten wie<strong>der</strong> freien Ausgang aus <strong>der</strong> Peenemündung<br />
gewährt.<br />
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
aber geschickt seine geheimen Wünsche zu verbergen gesucht. Es war<br />
Waldemar auch nicht gelungen, ihn dadurch unschädlich zu machen,<br />
daß er ihm die Landschaft Wolgast übertragen wollte i). Buris<br />
konnte das Angebot in Gemeinschaft mit des Königs eigenem Sohn,<br />
und Sven, dem späteren Bischof von Aarhus, ehrenhaft ablehnen.<br />
In den Kämpfen mit den Wenden zeichnete er sich beson<strong>der</strong>s durch<br />
Kühnheit bei dem Angriff auf Arkona im Herbste des Jahres 1165<br />
aus2). Nun war ihm im Herbst 1165 durch die Erhebung des<br />
kleinen Knut zum Thronerben und König jede Aussicht genommen,<br />
einmal die dänische Krone zu erlangen. Daher plante er den Aufstand,<br />
um sich gewaltsam in ihren Besitz zu setzen. Im geheimen<br />
verhandelte er mit dem König Magnus Erlingson von Norwegen<br />
um Unterstützung. Gegen beide hatte nun Waldemar vorzugehen^).<br />
So hatte sich hier also ein drohendes Gewitter am politischen Himmel<br />
Dänemarks zusammengezogen. Würde das nicht alle Erfolge<br />
im Wendenlande zerstören, wenn die Wenden diese Gunst <strong>der</strong> Lage<br />
ausnutzten?<br />
Herzog Bogislaw von Pommern hatte sich inzwischen Heinrich<br />
dem Löwen unterworfen ^). Nun wurde es Heinrich leicht, die<br />
Bundesgenossenschaft mit dem Dänenkönige als eine lästige 3essel<br />
abzuschütteln. Als er mit Waldemar an <strong>der</strong> Krempine (Holstein)<br />
zusammentraft), beschwerte er sich darüber, daß Waldemar seinen<br />
Dienstmann (mile8) Bogislaw, ohne vorausgegangene Anfrage bei<br />
ihm als Lehnsherrn, mit Krieg überzogen habe^). Waldemar entgegnete<br />
darauf, daß er sich durch kein Herrenrecht die Freiheit beschränken<br />
lasse- Gewalt werde er mit Gewalt vergelten. Damit war<br />
das Bündnis bei<strong>der</strong> Fürsten aufgehoben und <strong>der</strong> Konflikt ausgebrochen.<br />
Bald darauf erschienen, von Heinrich aufgestachelt, die<br />
wendischen Seeräuberschiffe an den Küsten Dänemarks und plün<strong>der</strong>ten<br />
und heerten, wo sie nur konnten. Und nicht genug damit,<br />
auch von Schweden wurden die Feindseligkeiten gegen die Dänen<br />
Saxo 798.<br />
Saxo 803.<br />
Vgl. Saxo 808 ff. (die Knytlingasaga erwähnt davon nichts).<br />
, Kven9., 3or3ni, ä. 0. 85, und ^nn. Vl/alcl., Ne5tve6. 1130—1228<br />
un-d 821—1300, ä. I). 84.<br />
4) Saxo 810: ttenricus Lu^izlavi Oanorum metu aci se clecurrentis<br />
obsequium pactus.<br />
5) Nur Saxo 810 ff.<br />
6) Gemeint sein kann vielleicht <strong>der</strong> Iastenzug gegen Tribsees im Jahre<br />
1166. Mindestens ein Teil des sog. lügischen Festlandes hat zur Herrschaft<br />
<strong>der</strong> Pommernherzöge gehört. Vgl. Saxo 749.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 33<br />
eröffneti). Von allen Seiten von Feinden bedroht, befand sich<br />
Dänemark in einer kritischen Lage. In dieser bedrängten Lage<br />
mußte vorsichtig zu Werke gegangen werden.<br />
Der Aufstand des Buris wurde bald nie<strong>der</strong>geschlagen, eine<br />
norwegische Landung in Dänemark vereitelt. Den slawischen Seeräubern<br />
trat man kraftvoll entgegen. Gegen Heinrich suchte man<br />
die Wenden, die sich seiner Herrschaft unterstellt hatten, aufzuwiegeln.<br />
Gottschalk, <strong>der</strong> <strong>der</strong> wendischen Sprache mächtig war,<br />
wurde zu ihnen gesandt 2). Er erinnerte sie daran, daß die Sachsen<br />
Niklot getötet, Prislaw^) aus dem Lande vertrieben und die Zwingburgen<br />
Ratzeburg. Ilow und Schwerin angelegt hätten. In an<strong>der</strong>er<br />
Weise hätten die Dänen den Krieg nur geführt, um in Frieden zu<br />
leben. „Darum entfernt die Deutschen aus euren Landen, verbindet<br />
euch mit den Dänen, so könnt ihr euer Land befreien." Die Vorstellungen<br />
Gottschalks machten so großen Eindruck auf die Wenden,<br />
daß sie sich bald gegen die Sachsen erhoben, die Burgen Heinrichs<br />
im Wendenlandd angriffen und Ilow eroberten. Das Spiel <strong>der</strong><br />
Dänen war aber trügerisch gewesen. Als Heinrich <strong>der</strong> Löwe sich<br />
mit seinen Kräften den Wenden allein gegenüber nicht stark genug<br />
fühlte, rief er Waldemar um Hilfe an. In einer persönlichen Unterredung<br />
an <strong>der</strong> Ei<strong>der</strong>>) einigten sich beide Fürsten über einen gemeinsamen<br />
Wendenzug. Sie versprachen sich, die Tribute aller<br />
Völkerschaften, die sie zu Lande o<strong>der</strong> zu Wasser erwerben würden,<br />
zu teilen. Die Seeräubereinfälle in Dänemark sollten aufhören.<br />
Der Dänenkünig zahlte dafür Heinrich eine bestimmte Summe<br />
Geldes.<br />
Heinrich rückte, wohl im September 1166, gegen Demmin vor,<br />
Waldemar gegen Wolgast^). Iu einer Belagerung von Wolgast<br />
kam es indessen nicht. Der Dänenkönig verwüstete nur die Umgebung<br />
<strong>der</strong> Stadt, rückte auch bis vor Usedom und brannte es von<br />
neuem nie<strong>der</strong>. Die Pommern mußten Geld zahlen und Geiseln<br />
stellen, um Frieden zu erhalten.<br />
1) Saxo 858. Wir setzen sie in Übereinstimmung mit Olrik, Absalon I,<br />
147, schon zu diesen Begebenheiten. Allerdings in das Jahr 1166. nicht wie<br />
Olrik zu 1167.<br />
2) Saxo 814.<br />
^) Wigger, M. Jb. 28, 155, will Saxos prisciavum zu pribisclavum<br />
verbessern, was wir nicht billigen können. Prislaw war 1164 ein Teil <strong>der</strong><br />
Herrschaft Wolgast unterstellt worden (s. S. 26). Aus dieser Herrschaft scheinen<br />
ihn die Sachsen vertrieben zu haben.<br />
4) Helmold II, 6 und Saxo 815 ff. Die Knntlingasaga schweigt darüber.<br />
') Nur Saxo 817. Vgl. "dazu Balt. Stud. N. 3. 29. 65 ff.<br />
3
34 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Nachdem nun die Gefahr von Süden beseitigt war, konnte<br />
Waldemar im Jahre 1167 gegen Norden, gegen Norwegen, vorgehen^).<br />
In dieser Ieit sagten sich die Rüger von <strong>der</strong> dänischen<br />
Herrschaft los2). Als sie aber im nächsten Frühjahr (1168) von<br />
den Vorbereitungen <strong>der</strong> Dänen zu einem Kriegszuge, ihres Abfalles<br />
wegen, hörten, schickten sie schleunigst einen Gesandten nach Dänemark,<br />
um den König zu bewegen, auch dieses Heeresaufgebot rückgängig<br />
zu machen. Waldemar beharrte aber auf seinem Entschlüsse.<br />
Daher mußten die wendischen Unterhändler mit <strong>der</strong> dänischen Flotte<br />
nach Hause zurückfahren.<br />
Herzog Heinrich <strong>der</strong> Löwe hatte den Wendenfürsten befohlen,<br />
dem König <strong>der</strong> Dänen zu helfen, wenn er sich anschicke, fremde<br />
Völker zu unterjochen. Darum führten auch die Pommernhergöge<br />
Bogislaw und Kasimir und <strong>der</strong> Obotritenfürst Pribislaw Waldemar<br />
hilfstruppen zu. Gern hätte Heinrich an dem Kampfe selbst teilgenommen,<br />
doch ^r befand sich im Kampfe mit den sächsischen<br />
Fürsten3), bei dem seine Anwesenheit unbedingt erfor<strong>der</strong>lich war.<br />
Mit den Wendenfürsten zog auch Bischof Berno von Mecklenburgs).<br />
Eine neue Note kam nun in die dänische Politik. Man war zu<br />
<strong>der</strong> Ansicht gekommen, daß es nicht genügte, das wi<strong>der</strong>spenstige,<br />
kraftvolle Volk <strong>der</strong> Rüger mit Feuer und Schwert zu bekriegen.<br />
Auf diese Weise würden die Rüger wohl kaum dauernd unter die<br />
dänische Herrschaft gezwungen werden können. Man wollte daher<br />
unter dem stillen Zeichen des Kreuzes die dänische Oberherrschaft<br />
fest begründen, nachdem das Schwert seine Arbeit getan hatte5).<br />
Am Pfingsttage (19. Mai) 1168 landete die dänische Flotte bei<br />
Rügens. Man griff verschiedene Teile <strong>der</strong> Insel an und rückte<br />
dann gegen die starke Feste Arkona vor?).<br />
Diese Feste lag auf dem erhabenen Gipfel eines Vorgebirges,<br />
das noch heute ihren Namen trägt. Im Osten, Süden und Norden<br />
1) Saxo 817.<br />
2) Saxo 821.<br />
2) Helmold II 12: ^t Iäiuverunt eum Kaxemaruz et Lu^exlavu8 principe3<br />
pomeranorum, et pribixlavuz prmceps Obotritorum, eo quocl man-<br />
6ux 3l2vi8 ferre auxilium re^i Oanorum, ubi cumque korte manum<br />
4) Helmold II 12: j^t aiiuerunt illic pontitices ^bzalon äe Koscniläe et<br />
Lerno de ^a^nopoli.<br />
5) Vielleicht reizten auch die reichen Tempelschätze.<br />
6) Ktl. c. 122. Vgl. über Jahr und Datum Valt. Stud. N. 3. 29. 70 ff.<br />
7) Saxo 821 ff.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 35<br />
fielen die Felswände steil ins Meer hinab ^). An <strong>der</strong> Westseite war<br />
aber die Burg durch einen 50 Ellen (etwa 33 Meter) hohen Wall<br />
umgeben, dessen untere Hälfte aus Erdschollen, dessen obere Hälfte<br />
aus holzwerk mit eingefügten Erdschollen bestand. Die Wasserversorgung<br />
war durch eine Quelle an <strong>der</strong> Nordseite <strong>der</strong> Burg gesichert.<br />
Ein geschützter Gang führte zu ihr hin. Es mußte eine schwere.<br />
Belagerung werden. Schon im herbst 1165 hatten die Dänen von<br />
einer Belagerung Abstand genommen, weil sie aussichtslos erschien^).<br />
Aber wenn das Christentum mit <strong>der</strong> dänischen Herrschaft Eingang<br />
finden sollte, dann mußte gerade diese Feste eingenommen und das<br />
Götzenbild des Swantewit. das in einem Heiligtum im Innern <strong>der</strong><br />
Burg aufgestellt war, zerstört werden.<br />
Die Dänen schritten nun zur Belagerung. Unter großer Anstrengung<br />
des gesamten Heeres ließ Waldemar aus den nahen<br />
Wäl<strong>der</strong>n eine ungeheure Menge holz herbeischaffen^). Die Iimmerleute<br />
mühten sich ab, aus den Stämmen Belagerungsmaschinen herzustellen.<br />
Waldemar meinte zwar, <strong>der</strong> heilige Veit^) würde schon,<br />
wenn sein Festtag gekommen sei (15. Juni), das Bollwerk des<br />
Heidentums zerstören' denn mit Recht müsse er die für ihr Unrecht<br />
bestrafen, die sein ehrwürdiges Andenken mit frevelhafter Verehrung<br />
entweiht hätten^). Doch wurden die Vorbereitungen zur<br />
Belagerung rüstig fortgesetzt.<br />
Absalon verteilte die Plätze des Lagers unter die einzelnen<br />
Kriegerabteilungen und überwachte den Bau von Ställen und Ielten.<br />
Eine heeresabteilung bewachte die Zugänge zur Halbinsel<br />
(Wittow), damit den Burgbewohnern vom Inselkern kein Ersatz<br />
kommen konnte.<br />
Aber auch die Verteidiger waren nicht müßigt). Sie verram-<br />
1) Der höchste Punkt Arkonas liegt 45 Meter über dem Meeresspiegel.<br />
2) Vgl. S. 27 dieser Arbeit.<br />
3) Nach Saxo 828ff. Die Knntlingasaga und Helmold geben von <strong>der</strong><br />
Belagerung keinen näheren Bericht.<br />
4) Vgl. über den heiligen Veit Wigger, Meckl. Ann. 144 ff.. 3ock, Rüg.-<br />
Pomm. Gesch. l 101 und L. Leger. ^2 i^tnolo^ie 3lave 76 ff.<br />
5) Saxo 828 leitet den Namen Swantewit von 3anctu3 Virus ab. Velschow<br />
weist aber (ebenda) mit Recht darauf hin, daß die Wurzeln des Namens<br />
Swantewit ohne Zweifel slawischen Ursprungs sind. Vgl. auch L. Nie<strong>der</strong>le,<br />
3Iov2N8ke 8taroxitn08ti 06clil Kulturni Oilu ll S. 136 ff.<br />
«) Biesner. Gesch. von Pommern und Rügen. S. 160, erwähnt Granza<br />
als Befehlshaber <strong>der</strong> Burg. Das geht nicht aus Saxo hervor. Granza selbst<br />
sagt nur, daß er nicht zu den Vurgbewohnern gehöre, son<strong>der</strong>n mit Hilfstruppen<br />
dahingekommen sei.
36 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
melten das Tor <strong>der</strong> Feste durch einen ungeheuren Erdhaufen, um<br />
es so unangreifbarer zu machen. Der Zugang selbst wurde noch<br />
durch zusammengefügte Rasenstücke verschlossen. Die Rüger fühlten<br />
sich so sicher, daß sie den Turm, <strong>der</strong> über dem Tore erbaut war,<br />
unbesetzt ließen. Sie meinten, daß er durch Feldzeichen und Adler<br />
hinreichend geschützt sei. Unter den Adlern befand sich die heilige<br />
Stanitza, die sich beson<strong>der</strong>s durch ihre Größe und Farbe auszeichnete.<br />
Dieses Banner genoß göttliche Verehrung, und die Rüger<br />
glaubten, daß es sich selbst verteidigen könne.<br />
Mehrere Tage waren mit den Arbeiten vergangen. Da begannen<br />
eines heißen Tages in <strong>der</strong> Mittagszeit übermütige Troßknaben gegen<br />
den Wall zu laufen und mit <strong>der</strong> Schleu<strong>der</strong> kleine Steine gegen die<br />
Verteidigungswerke <strong>der</strong> Feste zu werfen. Die Verteidiger hielten<br />
es für unwürdig, solchen kindlichen Spielen mit den Waffen entgegenzutreten.<br />
Sie hatten vielmehr ihren Spaß daran. Erst als<br />
auch Jünglinge und Männer herzueilten, entwickelte sich ein Kampf.<br />
Da machte einer <strong>der</strong> Angreifers die Entdeckung, daß sich in<br />
dem großen Erdhaufen, den die Verteidiger draußen vor dem Tore<br />
aufgeschüttet hatten, ein tiefer Spalt gebildet hatte. Wahrscheinlich<br />
war die Erde von <strong>der</strong> Sonnenhitze zusammengetrocknet. Der Spalt<br />
zwischen Erdhaufen und Turm war so groß, daß ein Mann hineinkriechen<br />
konnte. Da <strong>der</strong> Turm darübergebaut war, so konnte <strong>der</strong><br />
Spalt von oben, von feiten <strong>der</strong> Besatzung, nicht bemerkt werden.<br />
Der kühne Jüngling bat nun seine Genossen, sie möchten ihre<br />
Lanzen in die Rasenstücke hineinstecken, damit er an ihnen wie auf<br />
einer Leiter emporklimmen könne. Als er glücklich hinaufgelangt<br />
war. for<strong>der</strong>te er Stroh, um Feuer anzulegen. Da kam gerade ein<br />
mit Stroh beladener Wagen heran. Schnell riß man die Strohbündel<br />
herunter und reichte sie dem kühnen Kletterer mit <strong>der</strong><br />
Lanzenspitze hinauf. Nachdem er das Feuer angelegt hatte, glitt<br />
er unversehrt wie<strong>der</strong> herunter.<br />
Diese Vorgänge waren von den Verteidigern nicht bemerkt worden.<br />
Als sie plötzlich den Rauch des Feuers erblickten, waren sie<br />
Zuerst starr vor Schrecken und wußten nicht, ob sie kämpfen o<strong>der</strong><br />
löschen sollten. Unterdessen dehnte sich das Feuer weiter aus und<br />
fand reiche Nahrung in dem Holzwerk <strong>der</strong> oberen Wallhälfte. Da<br />
ließen die Burginsassen die Angriffe <strong>der</strong> Dänen unbeachtet und<br />
suchten das Feuer zu löschen. Bald fehlte es aber an Wasser, man<br />
i) 3ock, Riig.-Pomm. Gesch. I 77 meint, daß das ein Pommer gewesen<br />
sei. Ebenso Wigger, M. Jb. 28, 179, weil sonst Saxo immer die Helden<br />
zu nennen pflegte. Erwiesen ist es nicht, kann aber möglich sein.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 37<br />
griff zur Milch. Aber auch das war vergeblich. Die Flammen<br />
fraßen sich immer weiter und weiter, unterstützt von den Dänen, die<br />
den Brand auf jede Art und Weise schürten und dazu noch gleichzeitig<br />
angriffen. So mußten die Belagerten in Rauch und Qualm<br />
ausharren.<br />
Die Kunde von den Vorgängen verbreitete sich wie ein Lausfeuer<br />
durch das Lager <strong>der</strong> Dänen. Als König Waldemar verwun<strong>der</strong>t<br />
über das Geschrei aus seinem Ielte kam, erblickte er den Rauch.<br />
Sogleich befahl er Absalon zu erkunden, ob das Feuer so wirksam<br />
sei, daß die Feste erobert werden könne. Absalon eilte darauf,<br />
mit Schild und Helm bewaffnet, bis an das Tor, das die dänischen<br />
Krieger eben stürmen wollten. Er hieß sie lieber das Feuer schüren<br />
und spornte die junge Mannschaft zu größerem Eifer an. Schon<br />
brannte <strong>der</strong> Turm lichterloh und bald stürzte sein Gebälk krachend<br />
zusammen. Das Flammenmeer verzehrte auch die heilige Stanitza<br />
und alle an<strong>der</strong>en heilig geachteten Feldzeichen.<br />
Nachdem Absalon dem Könige Bericht erstattet hatte, rief dieser<br />
scfort einen Kriegsrat zusammen, in dem <strong>der</strong> Sturm auf die Burg<br />
beschlossen wurde. Mit großem Mute stürmten die Dänen und mit<br />
ihnen im Wetteifer die Pommern, geführt von ihren Herzügen Kasimir<br />
und Bogislaw, gegen die Feste an. Aber auch die Verteidiger<br />
achteten ihres Lebens nicht. Unter den Geschossen <strong>der</strong> Anstürmenden,<br />
durch die Feuersbrunst bedroht, hielten sie aus und wollten lieber,<br />
wie Saxo schreibt, mit dem von den Vätern überkommenen Befestigungswerk<br />
untergehen, als dessen Zerstörung überleben. Ein<br />
dänischer Jüngling, <strong>der</strong> aus Ruhmbegierde den Wall emporkletterte,<br />
wurde tödlich getroffen. Beson<strong>der</strong>e Proben ihrer Tapferkeit gaben<br />
die Pommern. Der Kampf ging hin und her. Schließlich machte die<br />
Glut des Feuers und <strong>der</strong> Andrang <strong>der</strong> Angreifer die Lage für die<br />
Verteidiger immer schwieriger. Sie entschlossen sich endlich, mit den<br />
Dänen zu verhandeln. Die Dänen verlangten aber vor den Verhandlungen,<br />
daß sie während <strong>der</strong> Waffenruhe das Feuer nicht<br />
löschten. Dazu mußten sich die Verteidiger bereitfinden. Der dänische<br />
Kriegsrat trat erneut zusammen und stellte folgende Bedingungen:<br />
1. Herausgabe des Götzenbildes in <strong>der</strong> Burg und des gesamten<br />
Tempelschatzes,<br />
2. Freigabe <strong>der</strong> gefangenen Christen ohne Lösegeld,<br />
3. Annahme des Christentums nach dänischem Ritus.<br />
4. Übergabe <strong>der</strong> dem Götzen gehörigen Acker und Güter an die<br />
christliche Priesterschaft,
38 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
5. Kriegsfolge auf Ersuchen des Königs,<br />
6. Zahlung eines jährlichen Tributs (für jedes Joch Ochsen je<br />
4ll Silberpfennige) und<br />
7. zur Bürgschaft für die Erfüllung dieses Vertrages die Stellung<br />
von 4N Geiseln.<br />
Das dänische Kriegsvolk war mit diesen Bedingungen unzufrieden,<br />
weil es plün<strong>der</strong>n wollte. Es drohte sogar, den König im<br />
Stich zu lassen, wenn er seinem Wunsche nicht willfahre. Der König<br />
rief darauf einen dritten Kriegsrat zusammen. In diesem trat aber<br />
Absalon für die oben erwähnten Bedingungen gegen die Wünsche <strong>der</strong><br />
dänischen Krieger ein. Er erinnerte daran, daß nur die obere Hälfte<br />
des Walles in Asche gelegt sei, daß aber das Feuer <strong>der</strong> unteren<br />
Hälfte nichts anzuhaben vermöge, und diese sei schon wegen ihrer<br />
Höhe nicht leicht zugänglich. Die Verteidiger hätten außerdem fast<br />
alle Brandstellen mit Lehmklößen ausgebessert, und schließlich sei<br />
das 3euer nicht nur den Verteidigern, son<strong>der</strong>n auch den Angreifern<br />
hin<strong>der</strong>lich. Man müßte sich also auf eine lange Belagerung gefaßt<br />
machen. Es sei aber auch politisch klug, Arkona schonend zu behandeln,<br />
um nicht die Verteidiger <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n festen Plätze auf Rügen<br />
zu verzweifeltem Wi<strong>der</strong>stände zu entflammen. Auch Erzbischof Eskill^)<br />
war Absalons Meinung, und so wurde <strong>der</strong> Kampf trotz des<br />
Murrens <strong>der</strong> dänischen Krieger unter den erwähnten Bedingungen<br />
eingestellt. Noch am selben Tage stellten die Verteidiger <strong>der</strong> Burg<br />
Geiseln. Teils waren es Kin<strong>der</strong>, teils traten bis zum folgenden<br />
Tage Eltern für ihre Kin<strong>der</strong> ein.<br />
In <strong>der</strong> nächsten Nacht verlangte ein Rüger, Granza, durch Vermittlung<br />
des dänischen Dolmetschers Gottschalk, Absalon zu sprechen.<br />
i) Eskill ist nach den ^nn. dolbax. ^Q33 29, 175 im Jahre 1167 aus<br />
Rom zurückgekehrt. ttoc anno Oanorum arcniepizcopuz ^skilluz Koma<br />
leäiit. Siehe auch P<strong>UB</strong> I 483 (1166). Die /^nn. Dan. von Ellen I^rgensen<br />
bringen diese Notiz, weil heute in <strong>der</strong> Handschrift nicht mehr lesbar, lei<strong>der</strong><br />
nicht (^. O. 43 A. u.). Nach dem Necrolo^ium Luncl. 48 (Königsliste) kehrt<br />
Eskill im 14. Jahre Waldemars zurück. Danach braucht noch nicht, wie<br />
C. Weibull. Saxo. l
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 39<br />
Granza war von Garz mit hilfsmannschaften den Burgbewohnern<br />
von Arkona zur Unterstützung gesandt und bei dem Kampfe verwundet<br />
worden. Er bat nun Absalon, den Garzern (Karentinern)<br />
die Nachricht von dem Falle Arkonas überbringen und ihnen unter<br />
den gleichen Bedingungen zur Übergabe raten zu dürfen. Absalon<br />
bewilligte im Auftrage des Königs einen eintägigen Waffenstillstand<br />
unter <strong>der</strong> Bedingung, daß <strong>der</strong> Vertrag keine Geltung haben folle,<br />
wenn Granza fich nicht mit den Vornehmsten Rügens am folgenden<br />
Tage an dem seiner Heimatburg zunächst gelegenen Gestade eingefunden<br />
hätte.<br />
Am folgenden Tage (13. Juni) begaben sich Esbern, Absalons<br />
Bru<strong>der</strong>, und Suno Ebbissohn^) auf Befehl des Königs in die Burg,<br />
um das Götzenbild zu vernichten. Sie drangen in die Halle des<br />
Heiligtums ein. Das innere Gemach des Tempels war durch<br />
Purpurvorhänge zwifchen vier Pfosten abgeschlossen. Die äußere<br />
Bewandung, die den Innenraum umschloß, trug ein Dach. Das<br />
Götzenbild selbst überragte an Größe jede Menschengestalt^) und<br />
hatte vier Köpfe und ebensoviel Hälse. Je zwei Gesichter waren,<br />
nach rechts und links blickend, sowohl nach <strong>der</strong> Brust als auch nach<br />
dem Rücken gerichtet. In <strong>der</strong> Rechten hielt <strong>der</strong> Gott ein Horn,<br />
das aus verschiedenem Metall hergestellt war. Alljährlich pflegte<br />
es <strong>der</strong> Priester mit Met zu füllen, um aus dem Verhalten <strong>der</strong><br />
Flüssigkeit die Ernteerträge des nächsten Jahres zu prophezeien.<br />
Die Linke ruhte auf <strong>der</strong> Hüfte. Neben dem Götzenbild befanden sich<br />
Sattel und Iaum und ein ungemein kunstvoll gearbeitetes Schwert.<br />
1) Die Ktl. c. 122 berichtet, daß <strong>der</strong> König Suno Ebbissohn (Balke)<br />
beauftragt habe, mit einigen Männern den Götzen nie<strong>der</strong>zuhauen. In <strong>der</strong><br />
Begleitung Sunos wird Bischof Sven genannt. Nach M<strong>UB</strong> I 91 soll auch<br />
Bischof Berno dabeigewesen sein. Die Urkunde ist aber nach Salis, Arch.<br />
f. Urkundenforsch. I 273. gefälscht.<br />
2) Nach Schuchhardt, Sihungsber. d. Pr. Akad. d. Wiss. 1921. 2 nist.<br />
pnil. Kl. Rethra und Arkona (S. 771 ff.), soll das 8—9 m hohe Standbild<br />
1.80 m Grundfläche gehabt und 0.60 m tief in den Boden eingegriffen haben.<br />
Wir bezweifeln, daß das so hohe Standbild dann eine genügende Standfestigkeit<br />
hatte. Wir glauben vielmehr, daß das Götzenbild vielleicht dieselbe Höhe<br />
wie die Statuen in Garz hatte. Dort kann Absalon, auf einem 3uß dos<br />
Götzen stehend, mit dem Beil sein Kinn erreichen. Absalons Skelett von den<br />
Schultern bis zu den 3üßen war nach den Untersuchungen im Jahre 1827 zwei<br />
Ellen. 14—16 Zoll lang (1 Elle ^ 25 Zoll), ungefähr nach unserm Maß<br />
1,60 m. Rechnet man für Hals und Kopf noch etwa 30 cm hinzu, fo müßte<br />
Absalon 1.90—2.00 m groß gewesen sein. Der Götze in Garz hätte daher<br />
wohl eine Höhe von 3—4 m gehabt. Vgl. Müller-Velschow. Saxo 842 A. 3.<br />
L. Leger, l.2 ^vtnoloxie 31ave S. 53 ff.
40 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Eine große Menge Zuschauer hatte sich vor dem Heiligtum angefunden.<br />
Sie hofften, ein Strafgericht an den Zerstörern zu sehen.<br />
Die Dänen rissen zuerst die Vorhänge ab. Das ganze Gebäude war<br />
rings mit Purpur behangen, <strong>der</strong> glänzend aussah, aber schon so<br />
morsch war, daß er eine Berührung nicht aushielt. Dann gingen<br />
die Dänen mit größter Vorsicht zu Werke, um die Statue zu fällen.<br />
Sie wollten beim Umstürzen des Bildes nicht getroffen werden, damit<br />
es nicht bei <strong>der</strong> Zuschauermenge heiße, Swantewit habe die<br />
Frevler, die sich an seinem Standbilde vergriffen hätten, Kraft seiner<br />
göttlichen Allmacht gestraft. Als Axthiebe den unteren Teil <strong>der</strong><br />
Schienbeine des Götzen trafen, sank das Bild rückwärts und lehnte<br />
sich an die benachbarte Wand. Suno befahl darauf, mit gleicher<br />
Behutsamkeit die Wand nie<strong>der</strong>zureißen. Als das geschehen war,<br />
stürzte <strong>der</strong> Götze mit lautem Krach zu Boden. Dabei soll <strong>der</strong> Teufel<br />
in <strong>der</strong> Gestalt eines wilden Tieres aus dem Innern des Tempels<br />
entwichen sein.<br />
Die Burgleute wurden nun aufgefor<strong>der</strong>t, Stricke um das Götzenbild<br />
zu legen, und es so aus <strong>der</strong> Burg zu schleppen. Das wagten<br />
sie aber auch jetzt noch nicht, da sie sich vor dem Zorne Swantewits<br />
fürchteten. Sie beauftragten Gefangene und fremde Handelstreibende,<br />
das Bild in das christliche Lager hinauszuziehen^). Unter<br />
den Klagen einiger, dem Hohn an<strong>der</strong>er Heiden und unter schweigen<strong>der</strong><br />
Beschämung des klügeren Teils <strong>der</strong> übrigen Menge schleifte<br />
man Swantewit in das dänische Lager hinaus. Dort wurde er von<br />
dem zusammenströmenden Kriegsvolk bestaunt. Als die nie<strong>der</strong>en<br />
Krieger sich entfernt hatten, traten auch die Vornehmen herzu, um<br />
sich ihn anzusehen. Am Abend aber kamen die Köche und zerkleinerten<br />
ihn in Stücke, welche sie auf das Herdfeuer legten.<br />
Im Laufe des Tages hatten die Dänen noch die fehlenden<br />
Geiseln <strong>der</strong> Rüger in Empfang genommen. Absalon, Berno von<br />
Schwerins mit den Schreibern <strong>der</strong> Fürsten waren in <strong>der</strong> Burg,<br />
um den Rügern den christlichen Glauben zu verkündigen. 1300<br />
Heiden wurden an einem Tage getauft^). Der Götzentempel wurde<br />
1) Nach <strong>der</strong> Ktl. c. 122 werden die Riiger dazu gezwungen, den Götzen<br />
hinauszuschleppen.<br />
2) Helmolo II 12 und Ktl. c. 122. Berno soll nach <strong>der</strong> gefälschten Urkuno^<br />
M<strong>UB</strong> I 91 die Rüger zur Annahme des Christentums gezwungen<br />
haben. Absalon wird von Saxo bei dem Vekehrungswerk nicht erwähnt.<br />
3) Die Zahl gibt die Ktl. c. 122. Vgl. ^nn. >VIläem. ^. D. 84, änn.<br />
I_un6., Kven3., 3ol-2ni, ^. O. 85 und ^nn. (Uolbax., ^. v. 43. Nach <strong>der</strong><br />
Knntlingasaga geloben die Burgleute Waldemar und Absalon Gehorsam.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 41<br />
ganz nie<strong>der</strong>gerissen und verbrannt ^). Aus dem holze, das für die<br />
Belagerungsmaschinen herangeschafft war, baute man ein christliches<br />
Gotteshaus. An einem festgesetzten Tage sollte auch <strong>der</strong> Tempelschatz<br />
des Swantewit ausgeliefert werden.<br />
Absalon machte sich noch in <strong>der</strong> Nacht (13V14. Juni) mit<br />
30 Schiffen auf den Weg nach Garz (Karenz) 2). wohin ihm <strong>der</strong><br />
König im Morgengrauen folgen sollte. Als er sich <strong>der</strong> Südküste<br />
Rügens näherte, erwartete ihn schon Granza mit dem Fürsten (rex)<br />
Tetislaw^), dessen Bru<strong>der</strong> Iaromar und den Vornehmsten Rügens.<br />
Unter denselben Bedingungen, die den Einwohnern von Arkona gestellt<br />
waren, übergaben diese auch ihre Feste Garz. Absalon behielt<br />
die Führer <strong>der</strong> Rüger auf dem Schiff zurück und vertraute sie <strong>der</strong><br />
Obhut seines Bru<strong>der</strong>s Esbern an. Er selbst ging mit dem rügischen<br />
Fürsten Iaromar, dem Bischof Sven von Aarhus und 30 Begleitern<br />
nach Garz. Den größeren Teil seiner Krieger schickte er<br />
aber auf Bitten <strong>der</strong> Garzer unterwegs zurück, damit nicht durch sie<br />
ein Streit in Garz erregt werde.<br />
Die Feste Garz war von Sümpfen und Seen umgeben und<br />
hatte nur einen einzigen Zugang durch eine schwierige sumpfige<br />
Furt. Vor <strong>der</strong> Stadt (urd>3) erhob sich ein Hügel. Hinter ihm lag<br />
das Tor zwischen dem mittleren Walle und einem Sumpf.<br />
Durch dieses Tor strömten die Garzer heraus — 6000 sollen es<br />
nach Saxo gewesen sein^) — stellten sich Zu beiden Seiten des Weges<br />
auf, indem sie die Speerspitze in den Boden steckten. Bischof Sven<br />
1) Saxo 839 ff.<br />
2) Da Absalon Zu dem Garz am nächsten gelegenen Gestade verabredungsgemäß<br />
kommen wollte, so muß dafür die Südküste Rügens angenommen werden.<br />
Lag die dänifche 3lotte im Wiecker Booden, so würde <strong>der</strong> kürzeste Weg<br />
dulch den Strelasund geführt haben. Diese Innenfahrt ist auch wohl deshalb<br />
anzunehmen, da sie den Dänen schon bekannter war. Absalon hatte ja schon<br />
1165 eine Nachtfahrt etwa von Hiddensoe nach dem Iudar unternommen.<br />
Möglicherweise könnte Absalon auch nördlich des Iudars in <strong>der</strong> Puddeminer<br />
Wieck gelandet sein. Aber zu welcher Insel kehren dann die Dänen später<br />
zurück? Der Südküste Rügens ist die Insel Vilm vorgelagert. Haas, Arkona<br />
im Jahre 1168, S. 54, sieht als die Insel, zu <strong>der</strong> die Dänen nach Einnahme<br />
von Garz fahren, den Dänholm bei Stralsund an. Die Insel soll nach<br />
ihm auf dem Rückwege <strong>der</strong> Dänen in die Heimat gelegen haben. Davon ist<br />
in den Quellen nichts gesagt. Wir sind vielmehr <strong>der</strong> Ansicht, daß die Dänen<br />
nach <strong>der</strong> Einnahme von Garz zu <strong>der</strong> Insel Vilm gekommen sind. Vgl. Olrik,<br />
Absalon I S. 194. Der Weg um die Ostküste Rügens kommt kaum in Betracht,<br />
selbst dann nicht, wenn wir etwa an <strong>der</strong> Südspitze <strong>der</strong> heutigen Halbinsel<br />
Mönchgut eine Durchfahrt ansetzten zwischen Mönchgut und Rüden.<br />
2) Iürst <strong>der</strong> Rüger war Tetislaw, nicht Ratze, wie Biesner S. 160 angibt.<br />
4) Die Zahl ist wohl übertrieben. Varthold II 193 macht darauf auf-
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
fragte Absalon verwun<strong>der</strong>t, was das bedeuten solle. Absalon antwortete,<br />
man möchte alles vermeiden, was irgendwie nach Furcht<br />
aussehen könne. So kam <strong>der</strong> kleine Trupp durch die Reihen <strong>der</strong><br />
Garzer, die sich wie beim Gebet verneigten^). Bald schlössen sich<br />
die Garzer dem Einzüge an. In den engen Straßen <strong>der</strong> Stadt<br />
machte sich ein wachsen<strong>der</strong> Gestank bemerkbar, <strong>der</strong> durch die Unreinlichkeit<br />
hervorgerufen war und die Gemüter sehr bedrückte.<br />
Die drei Götzentempel des Ortes verrieten, wie Saxo sagt, edle<br />
Kunst. Der größte von ihnen stand in <strong>der</strong> Mitte eines Vorplatzes.<br />
Purpurvorhänge an Stelle <strong>der</strong> Wände schlössen auch hier das<br />
Götzenbild ab. Ein schräges Dach ruhte darüber auf einigen Säulen.<br />
Entfernte man die Vorhänge, so erblickte man den Nugiawit in<br />
scheußlicher Häßlichkeit- denn die Schwalben hatten in seinem Standbild<br />
genistet und ihn mit ihrem Kot beschmutzt. An seinem Wehrgehenk<br />
hingen sieben Schwerter- ein achtes hatte er in <strong>der</strong> Hand.<br />
Er war so groß, daß Absalon, wenn er sich auf die 3üße des Götzen<br />
stellte, mit dem Beile sein Kinn erreichen konnte 2). Der Sieben-<br />
Zahl <strong>der</strong> Schwerter an dem Wehrgehenk entsprach die Siebenzahl<br />
<strong>der</strong> Köpfe des Götzen.<br />
Die dänischen Begleiter hieben nun mit ihren Beilen zum grüßten<br />
Entsetzen <strong>der</strong> Garzer in die Schienbeine des Götzen. Bald darauf<br />
fiel <strong>der</strong> Numpf mit lautem Krach zu Boden. Da die 3revler keine<br />
Strafe traf, wandten sich die Städter mit Verachtung von diesem<br />
Gott ab. Auch den fünfköpfigen Porewit und den vierköpfigen<br />
Porenuz^) ereilte dasselbe Schicksal. Als aber Absalon den Einwohnern<br />
aufgab, die Statuen zu verbrennen, wi<strong>der</strong>setzten sie sich<br />
und baten ihn, sie außerhalb verbrennen zu lassen, um eine Feuersbrunst<br />
in ihrer enggebauten Stadt zu vermeiden. Absalon willigte<br />
ein, verlangte aber, daß sie dann ihre Götzenbil<strong>der</strong> hinausziehen<br />
sollten. Aber auch jetzt noch weigerten sich die Garzer. Zuletzt, als<br />
Absalon sie eindringlich darauf hingewiesen hatte, daß die Götzen<br />
sich nicht selbst helfen könnten, schleppten sie sie hinaus. Bischof<br />
Sven stellte sich auf eine dieser Gestalten und ließ sich mit hinaus»<br />
ziehen, um die Ohnmacht <strong>der</strong> Götzen zu beweisen.<br />
merksam, daß für diese Zahl in <strong>der</strong> Burg kein Platz war. Vgl. auch<br />
L. Giesebrecht. W. G. lll 179.<br />
1) Saxo 840 ff.<br />
2) Vgl. S. 39.<br />
3) In <strong>der</strong> Knytlingasaga heißen die drei Götzen Rinvit, Turupii) und<br />
Puruvit. Vgl. darüber L. Giesebrecht, Balt. Stud. 6. 145ff., L.Leger, I^a kivtnoloxie<br />
3lave 104 ff. und Nie<strong>der</strong>le. 3Iov2N3ke 3taroxitno5ti Dilu II S. 148 ff.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 43<br />
Danach weihte Absalon im Weichbilde <strong>der</strong> Stadt drei Kirchhöfe<br />
und kehrte am Abend mit Iaromar zu den dänischen Schiffen<br />
zurück. Cr zwang diesen, mit ihm zu speisen.<br />
Am nächsten Tage (15. Juni) machte sich Absalon mit den<br />
Priestern auf, um in Garz zu taufen. 900 Einwohner nahmen<br />
da^j Christentum an^). Zwölf Kirchen wurden in verschiedenen<br />
Orten gebaut^) und elf Kirchhöfe geweiht^). In <strong>der</strong>selben Ieit^)<br />
verließen die pommerschen Herzöge Bogislaw und Kasimir das<br />
dänische heer^). Sie hatten gehofft, Rügen als Belohnung für<br />
ihre Dienste zu erhalten, sahen sich aber schwer enttäuscht. Aus den<br />
Bundesgenossen wurden nun erbitterte Feinde <strong>der</strong> Dänen.<br />
Die Dänen segelten am Abend des zweiten Tages (15. Juni) zu<br />
einer kleinen Insel^), die <strong>der</strong> südlichen Küste Rügens vorgelagert<br />
war. Dorthin brachten die Rüger ihre Tempelschätze in sieben Kisten.<br />
Wenn man <strong>der</strong> Knytlingasaga?) Glauben schenkt, so zogen<br />
die Dänen noch nach Iasmund (Asund) und verbrannten hier den<br />
Götzen Pizamarr. Einen letzten Gott in Asund, Tjarnaglofi^),<br />
den Siegesgott mit dem silbernen Schnurrbart, bekamen die Dänen<br />
erst im dritten Jahre darauf in die Hände^). Im ganzen Lande<br />
aber wurden 5llN0 Heiden getauft. Kirchlich wurde die Insel Rügen<br />
dem Bistum Roeskilde und damit dem Erzbistum Lund unterstellt^).<br />
Ktl. c. 122. Auch Iaromars Taufe setzen wir hierher. Vgl.<br />
ä. (N70), ^. D. 84 und ^nn. ^en3. (1170), ^. O. 85. L. Giesebrecht.<br />
W. G. Ill 181 will die Taufe (nach den änn. >Valä.) zu 1170 setzen. Aber<br />
die Annalen haben offenbar mit <strong>der</strong> Bekehrung Rügens die Einnahme von<br />
Arkona und Garz gemeint und nur das Jahr falsch angegeben. Vgl. auch<br />
n. l^unä. ^. D. 85 und ebenda ^.nn. äorani und Vetu3 dnron. 3ialan6.<br />
ll 41. Den Tag geben die ^nn. V^aläem und l^uncl. Siehe auch<br />
Wigger. M. Jb. 28. 174.<br />
2) Helmold II 12. Die Ktl. c. 123 spricht von elf Kirchen, die zu Lebzeiten<br />
Waldemars errichtet wurden.<br />
2) Ktl. c. 122.<br />
4) Saxo 845.<br />
5) Mit ihnen gingen auch wohl Pribislaw und Berno.<br />
6) Giesebrecht läßt die Schätze nach Iasmund bringen (W. G. Ill 180).<br />
Varthold II 197 nach Koos. Wir halten mit Iock. Rüg.-Pomm. Gesch. I 90<br />
uno Olrik. Absalon I 194 den Vilm für die Insel.<br />
n Ktl. c. 122.<br />
') Beyer. M. Jb. 37. 127 nennt ihn Czernoglowy. Ebenso Leger.<br />
2) An einen Abschluß <strong>der</strong> Kämpfe etwa „im dritten Jahre danach"<br />
denken wir dabei nicht. Aus <strong>der</strong> Knytlingasaga geht auch nicht hervor, daß<br />
<strong>der</strong> Götze bei einem Kriegszuge in die Hände <strong>der</strong> Dänen fiel.<br />
") tte^. Dipl. Nist. van. 3er. I lom. l 241, P<strong>UB</strong> I 52 und Iaffe.<br />
ke^. Pont. ttom. II 11645.
44 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Nach <strong>der</strong> Rückkehr nach Dänemarks sandte Absalon neue<br />
Priester nach Rügen, die sich nicht mehr auf Kosten <strong>der</strong> Eingeborenen,<br />
son<strong>der</strong>n auf eigene Kosten den Unterhalt beschafften. Die<br />
früheren Priester wurden zurückgerufen. Es fehlte nicht an Wun<strong>der</strong>n,<br />
die sich unter den neuen Christen zutrugen. Saxo berichtet<br />
von einem Gottesurteil in Sachen eines unschuldig des Ehebruchs<br />
angeklagten Weibes?).<br />
Absalon und Christoph zogen noch einmal aus, vielleicht noch<br />
im Jahre 1168, um die Piraten aus ihren Schlupfwinkeln an <strong>der</strong><br />
rügischen und vorpommerschen Küste zu vertreiben^).<br />
Die Eroberung Rügens war durch diesen Kriegszug vollendet<br />
und damit <strong>der</strong> feste Grund zur dänischen Herrschaft an <strong>der</strong> Ostsee<br />
gelegt. Die Frage war nun, wie sich Heinrich <strong>der</strong> Löwe zu diesem<br />
dänischen Erfolge stellen würde.<br />
In <strong>der</strong> Ieit, als Waldemar gegen Rügen zog, war Heinrich<br />
mit den sächsischen Fürsten in heftige Kämpfe verwickelt gewesen^).<br />
Sobald aber hier um Mitte Juli 1168^) durch die Vermittlung<br />
des Kaisers Friede geschlossen war, schickte Heinrich sofort Gesandte<br />
an König Waldemar. verlangte rügische Geiseln und die Hälfte des<br />
Zinses, den die Rüger gegeben hatten"). Unterrichteter Dinge<br />
kehrten Heinrichs Gesandte wie<strong>der</strong> zurück. Erzürnt rief Heinrich<br />
nun die Fürsten <strong>der</strong> Wenden zu sich und trug ihnen auf, sich und<br />
ihn an den Dänen zu rächen. Diese gehorchten mit Freuden. Eine<br />
gewaltige Iahl von Seeräuberschiffen überschwärmte plün<strong>der</strong>nd die<br />
dänischen Inseln. Zahlreiche Schätze wurden den Dänen wie<strong>der</strong> abgenommen,<br />
eine große Menge Dänen gefangen und auf den wendischen<br />
Märkten verkauft. 700 gefangene Dänen hat man an einem<br />
Markttage zu Mecklenburg gezählt, so berichtet helmpld.<br />
Dänemark litt schwer unter diesen Plün<strong>der</strong>ungen. Ein Viertel<br />
<strong>der</strong> gesamten waffenfähigen Mannschaft war ständig unter den<br />
Waffen'). Absalon und Christoph beson<strong>der</strong>s traten den Feinden<br />
1) Viesner, S. 162 gibt an, daß das dänische Heer im November wie<strong>der</strong><br />
abzog. Davon sagen aber unsere Quellen nichts.<br />
2) Saxo 845. Olrik. Absalon I. 195 schließt daraus auf Anwendung<br />
<strong>der</strong> dänischen Rechtsformen.<br />
2) Saxo 846: Hui (^bzalon et dririztoplioruz) ciomeztici ireti liminon<br />
contenti, etiam l^u^igna littora ac I^euticio8<br />
4) Helmold II 13.<br />
') S. Wilhelm v. Giesebrecht. Gesch. d. dtsch. Kaiserzeit V. 2. S. 614.<br />
6) Das folgende nach Helmold II, 13.<br />
7) Saxo 846. Velschow schätzt die dänische 3lotte auf 860 Schiffe, die
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 45<br />
nit <strong>der</strong> jungen dänischen Mannschaft entgegen^). Beide kamen<br />
mch erst kurz vor Iohannis 1170 von einem Abwehrzuge gegen<br />
ne Piraten zurück, um nach einem Befehl König Waldemars an den<br />
Feierlichkeiten bei <strong>der</strong> Erhebung <strong>der</strong> Gebeine des Herzogs Knut<br />
bavard und <strong>der</strong> Krönung von Waldemars Sohn, Knut, teilzulehmen.<br />
Zahlreiche Einladungen waren zu <strong>der</strong> Festlichkeit ergangen.<br />
Lei dieser Gelegenheit wurde durch Vermittlung von Erling Skakki^),<br />
)em Vater des norwegischen Königs Magnus Erlingson, mit Norvegen<br />
Friede geschlossen.<br />
Von Norwegen war also nun keine Gefahr zu befürchten. So<br />
tonnte sich Waldemar ganz <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong> Slawen und <strong>der</strong><br />
Fortführung seiner Wendenpolitik widmen. Nachdem Rügen ein<br />
^ehen <strong>der</strong> Dänen geworden war, strebte Waldemar danach, die<br />
D<strong>der</strong>mündungen in seine Gewalt zu bringen. Dorthin führte noch<br />
m Krönungsjahre Knuts (1170) ein Feldzug^).<br />
Im herbst 1170 drang die dänische Flotte, unterstützt durch die<br />
Nüger, durch die Swine in das Gebiet von Wollin (Iulin) vor und<br />
>erwüstete es^). Die Stadt selbst blieb noch unversehrt. Darauf<br />
uhr sie in den Fluß, <strong>der</strong> Wollin und Kammin verbindet (Dieveww).<br />
Da die Fischer den Fluß durch wehrartige Zäune gesperrt<br />
latten, kam man sehr langsam vorwärts. An einer Brücke, die<br />
ioa den Mauern Wollins zum südlichen^) Ufer hinüberführte,<br />
nachte man halt, um zu übernachten.<br />
Am nächsten Morgen rissen die Seelän<strong>der</strong> unter wie<strong>der</strong>holten<br />
Angriffen <strong>der</strong> Iuliner die Brücke an <strong>der</strong> Festlandsseite ab und<br />
lahnten so <strong>der</strong> dänischen Flotte, die dann weiter flußabwärts<br />
egelte, einen Weg, scharf verfolgt von den nachdrängenden Iuinern.<br />
Die Nachhut <strong>der</strong> Dänen führten Absalon und Suno, <strong>der</strong> ^,<br />
Zohn Ebbo Skialms. Beide schickten ihre wohlgezielten Pfeile in<br />
nit 26—28 000 Kriegern bemannt waren. Es kämen also etwa 215 Schiffe<br />
n Betracht. Vgl. auch Ersleo, Valäemarernez ätorneästiä 188.<br />
1) Saxo 848 ff.<br />
2) Den vollen Namen gibt die Ktl. c. 124. Saxo 852 spricht von einem<br />
krling.<br />
2) Saxo 856 und Ktl. c. 124.<br />
4) Nur Saxo 856. Vgl. darüber Balt. Stud. N. I. 29. 81.<br />
' 5) Knabe, ^rkiv tör Noräisk ^iloio^i 27. 83, sagt wohl richtiger Ostlfer,<br />
weil das alte Wollin wahrscheinlich auf dem Silberberg, nördlich 0er<br />
etzigen Bahnstrecke o<strong>der</strong> auf dem Boden <strong>der</strong> heutigen Stadt Wollin (ohne<br />
og. Vorstädte) lag. Richtig wäre Saxos Angabe, wenn die Brücke etwa<br />
»on <strong>der</strong> heutigen ..Hinteren Ratswiek" nach Gaulitz hinübergeführt hätte.<br />
)ann ist die Brücke wohl südlich <strong>der</strong> Teilung <strong>der</strong> Dievenow bei Wollin<br />
zcvaut worden.
46 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
die überfüllten Boote <strong>der</strong> Iuliner. Der Kampf war, wie Saxo sich<br />
ausdrückt^), eine Übung im Werfen von Wurfspießen. Als dabei<br />
ein Iuliner den nachkommenden Suno zu sehr belästigte, wurde er<br />
nie<strong>der</strong>gestreckt. Unter großen Schmähungen, auf die <strong>der</strong> Däne Gottschalk<br />
gebührend antwortete, ließen die Iuliner zuletzt die dänische<br />
3lctte fahren.<br />
Die dänischen Schiffe erreichten bald die Insel Gristow. die auf<br />
Befehl des Königs von Plün<strong>der</strong>ungen verschont wurde, um Jutter<br />
für die Pferde zu haben. Dann ging man über den 3luß an die<br />
Stadt (urb8) Kammin heran und verwüstete die Umgegend nördlich<br />
davon, etwa in <strong>der</strong> Gegend von Toltin-3ritzow. An einer Brücke^<br />
kam es zur Schlacht. Die Wenden waren unter sie geschlichen,<br />
steckten die Lanzen durch die Spalten des Vrückenbelages und verwundeten<br />
einige Dänen. Sie wurden zwar vertrieben, aber die<br />
Dänen standen von <strong>der</strong> Bestürmung ab und kehrten nach Gnstow<br />
zurück.<br />
hier hielt man über den Rückweg ins offene Meer einen Kriegsrat<br />
ab. Die Mündungen <strong>der</strong> Peene und Swine schienen zu weit<br />
entfernt. Der kürzeste Ausgang war durch die Dievenow^). Sie<br />
war aber nach <strong>der</strong> Aussage eines Gero, <strong>der</strong> in dieser Gegend Bescheid<br />
wußte, Zu flach und nur beim Zurückgehen <strong>der</strong> See zu befahren^).<br />
Absalon erhielt nun den Auftrag, die Tiefenverhältnisse<br />
des Ausganges zu erkunden. Die stürmische See hin<strong>der</strong>te ihn aber,<br />
den Befehl des Königs mit seinen drei Schiffen vollständig auszuführen.<br />
Über die Dievenow berichtet Saxo^), daß sie aus dem Iacu3<br />
(Pommersches Haff) in ein engeres Nußbett eintritt, um fich weiter<br />
flußabwärts zu verbreitern und einen großen See (palu3) zu finden<br />
o<strong>der</strong> zu bilden. Dann wird sie vor ihrer Mündung in das Meer<br />
wie<strong>der</strong> engerd).<br />
1) S. 858.<br />
2) Barthold II 206 spricht von einer Brücke an <strong>der</strong> Kamminer Wieck.<br />
Möglich ist auch eine Brücke über den Schwenzer Bach o<strong>der</strong> vielleicht sogar<br />
nach Gristow.<br />
2) Den Namen <strong>der</strong> Dievenow erwähnt Saxo nicht.<br />
4) Saxo 859. Huem . . . ac^eo vaäoäum incertaeque protunclitgtiz 285eruit,<br />
ut eum ae3tu3 äuntarat re^ressu 8U0 mobilem iaciat. An Ebbe und<br />
Ilut darf man hier wohl nicht denken; vielleicht kann damit <strong>der</strong> sog. „eingehende<br />
Strom" gemeint sein. Dann strömt das Wasser <strong>der</strong> Ostsee in die<br />
Dievenow ein.<br />
«) S. 859.<br />
6) Man könnte als „lacuz" auch den Kamminer Vodden, als „paluz"
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 4?<br />
Die übrigen Schiffe <strong>der</strong> dänischen Flotte sollten die Rückkehr<br />
ilbsalons abwarten^). Sie folgten aber ohne kundigen Führer bald<br />
loch, verfolgt von den Wenden. Christoph führte die Nachhut und<br />
latte diesen gegenüber einen schweren Stand. Er konnte sie oft<br />
mr mit den hilfstruppen <strong>der</strong> Bundesgenossen abwehren.<br />
Der König hatte die Absicht, am nächsten Tage das Gebiet um<br />
Vollin zu plün<strong>der</strong>n. In <strong>der</strong> Nacht vorher suchte Absalon geeignete<br />
Landungsplätze aus und ließ dort entwe<strong>der</strong> Pfähle einschlagen o<strong>der</strong><br />
)as Rohr am Ufer knoten. An diesen Stellen wurden die Reiter<br />
lm folgenden Tage ausgeschifft. Der König brannte darauf verchiedene<br />
Dörfer nie<strong>der</strong>. Absalon und Magnus, <strong>der</strong> Sohn des frühe-<br />
'en Königs Erich Lamb, plün<strong>der</strong>ten se<strong>der</strong> für sich. Da erhielt Absaon<br />
zu gleicher Ieit einen Befehl des Königs zur Rückkehr und die<br />
Meldung von Magnus, daß er von feindlichen Schiffen und Reitern<br />
tmringt sei. Er eilte sofort dem Eingeschlossenen zu Hilfe und bereite<br />
ihn. Als er mit Gefangenen und Viehherden zum Könige<br />
zurückkam, zürnte <strong>der</strong> zwar, daß sein Befehl nicht beachtet worden<br />
ei, ließ sich aber durch die reiche Beute wie<strong>der</strong> versöhnen.<br />
Die Dänen bestiegen ihre Schiffe wie<strong>der</strong> und wollten nun in<br />
)as offene Meer hinaus. Wie sollte man aber die Schiffe hinausühren?<br />
Die Meinungen darüber waren geteilt. Die einen wollten<br />
nit hacken eine Fahrrinne im Fluß schaffen, die an<strong>der</strong>en auf unterzelegten<br />
Balken die Schiffe ins Meer ziehen. Den ersten Plan vervarf<br />
man sogleich. Aber auch vom zweiten stand man ab, weil die<br />
Zchiffe zu schwer waren. Nur sechs kleine Schiffe <strong>der</strong> Rüger brachte<br />
nan auf diese Weise zum Meer^).<br />
Inzwischen hatte <strong>der</strong> pommersche Herzog Kasimir, von seinem<br />
Lru<strong>der</strong> Bogislaw unterstützt, mit 50 Schiffen den Rückweg auf <strong>der</strong><br />
dievenow gesperrt^). Bei ihm waren zwei vortreffliche Bogenchützen,<br />
Konon und Cirinus, die ihm Heinrich <strong>der</strong> Löwe aus<br />
Feindschaft gegen die Dänen gesandt hatte. Herzog Bogislaw selbst<br />
zeigte sich mit einer Schar Reiter am Ufer des Flusses.<br />
Die Dänen waren in einer Sackgasse. Um aus dieser mißlichen<br />
)en Iritzower Bodden ansehen. Dann würde Saxo allerdings nur die<br />
dievenow vom Kamminer Bodden bis zur Mündung beschreiben.<br />
1) Nur Saxo 859 ff.<br />
2) Olrik. Absalon I 207. hat falsch fünf Schiffe.<br />
2) L. Giesebrecht. W. G. III 185. Barthold II 207, Hol<strong>der</strong>-Egger. K1Q35<br />
(XIX 134 A. 1, wollen die pommersche Flotte südlich von Gristow stehen<br />
assen. Eigenartig ist dann, daß die dänische 3lotte in den Iritzower See<br />
lineingetrieben wurde. Sollte man da etwa nicht die pommersche Sperre<br />
>or dem 3rihower See suchen?
48 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Lage herauszukommen, blieb nur übrig, den Durchbruch durch die<br />
pommersche 3lotte zu wagen. Die Vorwürfe <strong>der</strong> dänischen Krieger,<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Juten, richteten sich gegen Absalon^). Er hätte sie<br />
aus Ruhmbegierde und Unerfahrenheit in diese Sackgasse gebracht.<br />
Iwar gelang es Scorro, dem Sohne Wagnos, die Aufgeregten zu<br />
beruhigen, so daß sie schwiegen, aber ihre Meinung war nicht gewandelt.<br />
Auch im Kriegsrat entlud sich die feindliche Stimmung<br />
gegen Absalon. Absalon entwickelte dort seinen Plan: die 3lotte<br />
hätte mit Unterstützung <strong>der</strong> Reiterei, die auf dem 3estlande vorrücken<br />
sollte, den Durchbruch zu versuchen. Beim Vorstoß gegen die<br />
feindlichen 3lotten müßten zuerst einige Schiffe mit gepanzerten<br />
Ru<strong>der</strong>ern als Stoßtrupp vorgehen. Das Gros <strong>der</strong> dänischen Ilotte<br />
hätte dann nachzufolgen. Er selbst wolle <strong>der</strong> 3ührer <strong>der</strong> ersten<br />
Schiffe sein. Sein Plan wurde zwar von den Gegnern verlacht,<br />
vom Könige aber gebilligt, weil keine an<strong>der</strong>e Wahl übrig blieb.<br />
Absalon ging nun mit sieben Schiffen durch einen unbekannten<br />
Wasserarm, den die Wenden nicht versperrt hatten, vor^). Zwei<br />
Schiffe führte er selbst, zwei sein Bru<strong>der</strong> Esbern und Suno. die<br />
letzten drei Thorbern, Olaf und Petrus, <strong>der</strong> Sohn Thorstens. Iwar<br />
geriet bald eins dieser mit gepanzerten Ru<strong>der</strong>knechten besetzten<br />
Schiffe auf eine Untiefe- es konnte aber schnell wie<strong>der</strong> flott gemacht<br />
werden. Die übrigen Schiffe <strong>der</strong> Dänen folgten hintereinan<strong>der</strong>.<br />
Herzog Kasimir hatte am Ufer ein Ielt aufgeschlagen und<br />
zechte dort mit seinen Rittern aus goldenen und silbernen Bechern.<br />
Als er die dänische 3lotte in <strong>der</strong> 3erne sah, floh er eilig zu seinen<br />
Schiffen. Bald darauf war auch die ganze Wendenflotte im Nu<br />
zerstoben^). Iwei verlassene Wendenschiffe wurden von den Dänen<br />
1) Saxo 860 ff. und Ktl. c. 124.<br />
2) Knabe, ^rkiv tör Noräisk l^ilolo^i 27 N. I. 86. will die Durchfahrt<br />
auf <strong>der</strong> Iestlandsseite zwischen Soltin und Iritzow suchen. Iwar meint er,<br />
daß die heutigen Karten nichts mehr davon zeigen. Es seien daher wohl<br />
stark Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Bodengestalt anzunehmen. Wir müssen oies ablehnen.<br />
Die Reiterei, die auf <strong>der</strong> Wollincr Seite vorgeht, kann dann nämlich<br />
die Ilotte nicht unterstützen. Das ist auch keine Iahrtverkürzung, son<strong>der</strong>n<br />
-Verlängerung. Das würde auch ähnlich für die Jährt östlich oer Insel<br />
Gristow gelten. Es fragt sich, ob die dänische Ilotte unter den Toren Kammins<br />
vorüberfahren konnte. Diese Möglichkeit wollen wir nicht vollends abweisen<br />
(vgl. Giesebrecht, W. G. lll 185 A. 1 und Barthold II 207 A. 4).<br />
Am besten würde zu dem Bericht Saros passen, wenn damals bei West-<br />
Dievenow eine Durchfahrt direkt zum Kamminer Bodden geführt hätte.<br />
2) Die Ktl. c. 124 berichtet, daß Absalon <strong>der</strong> Ilotte <strong>der</strong> Wenden, die
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 49<br />
bei Gristow erbeutet. Ein drittes war auf Pfählen festgeraten,<br />
konnte aber noch mit Hilfe von Genossen flott gemacht werden. Der<br />
vorher so vielgeschmähte Absalon war <strong>der</strong> Held des Tages.<br />
Inzwischen war König Waldemar mit <strong>der</strong> Reiterei nach <strong>der</strong><br />
Burg Wollin aufgebrochen, hier fand er den Herzog Bogislaw bei<br />
<strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong> Brücke beschäftigt, über die er seine Krieger<br />
hatte führen wollen. Sobald er die Dänen erblickte, floh er^). Als<br />
die dänische Flotte unter Führung Absalons hindurchgekommen<br />
war, setzte Waldemar die Ausbesserung <strong>der</strong> Brücke fort, so daß er<br />
seine Reiter auf das östliches Ufer hinüberführen konnte. Nachdem<br />
man die Pferde wie<strong>der</strong> auf die Schiffe gebracht hatte, ankerte man<br />
in einem Hafen. Die Städter hielten sich zurück. Während die ermüdeten<br />
Reiter und Ru<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Ruhe pflegten, hielten Absalon und<br />
2uno in gewohnter Pflicht Wache. Da sprengte mit einer stattlichen<br />
Begleitung ein Iuliner heran^), Kam keck an das Ufer und<br />
stellte den Dänen Friedensgeiseln in Aussicht^). Als er aber zurückritt,<br />
stürzte sein Pferd. Da eilten die Dänen herzu und ergriffen<br />
ihn, weil die Seinen ihn im Stiche ließen, als die Dänen mit Pfeilen<br />
schössen 5).<br />
Plötzlich kam das Gerücht auf, daß die Wenden mit zahlreichen<br />
Schiffen die Swinemündung gesperrt hätten. Das erfüllte die<br />
Dänen mit großer Bestürzung. Obgleich <strong>der</strong> gefangene Iuliner die<br />
Nachricht als unwahr bezeichnete, fuhr die dänische Flotte doch mit<br />
großer Besorgnis dorthin, fand aber den Ausgang frei und erreichte<br />
ungehin<strong>der</strong>t die Insel Rügen.<br />
noch nicht kampfbereit war, entgegenru<strong>der</strong>te. Als er den Heerruf erschallen<br />
ließ, floh die wendische 3lotte.<br />
1) An<strong>der</strong>s die Ktl. c. 124. Die Reiter rückten nach <strong>der</strong> Burg (Iulin),<br />
fanden dort Wenden vor und schritten zum Kampfe. Da Absalon bei <strong>der</strong><br />
wendischen Ilotte keinen Wi<strong>der</strong>stand gefunden hatte, eilte er den Reitern<br />
zu Hilfe. Es kam zu einem großen Blutbad unter den Wenden: 6000 Mann<br />
wurden erschlagen (wohl sehr übertrieben). Der Rest entfloh. Die Dänen<br />
nahmen dort viel Volk gefangen, das sie zu ihren Schiffen führten.<br />
2) s. oben S. 45 A. 5.<br />
2) Saxo 865.<br />
4) So übersetzt Gottschalk.<br />
5) Die Ktl. c. 124 läßt am nächsten Morgen einen Mann vom Innern<br />
des Landes zu den Dänen reiten, um mit ihnen über einen Vertrag zu verhandeln.<br />
Da er in Wirklichkeit aber Trug und Verrat im Schilde führte,<br />
setzte ihn Absalon vier Tage gefangen und gab ihn erst wie<strong>der</strong> frei, als dessen<br />
2ohn ihm 100 Mark Silbers bezahlte.
50 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Es war die Zeit des Fischfangs^). Da die Fürsten Tetislaw<br />
und Iaromar von Rügen einen Überfall <strong>der</strong> Ostwenden befürchteten<br />
— sie hatten an dem letzten 3uge teilgenommen —, baten sie Waldemar,<br />
ihnen einige dänische Schiffe zum Schutze zurückzulassen^).<br />
Al) Knut, <strong>der</strong> Sohn des Obotriten Prislaw, den Befehl über diese<br />
Schiffe ablehnte, übernahm ihn Absalon. Bei ihm blieben Thorbern,<br />
Petrus, <strong>der</strong> Sohn Thorstens, Suno und Esbern. Auch Bischof<br />
Sven von Aarhus stellte sich ihm mit einer Abteilung Juten zur<br />
Perfügung. Kein 3eind wagte aber, den Fischfang <strong>der</strong> Nüger zu<br />
stören.<br />
Bei <strong>der</strong> Rückkehr^), sieben Tage vor Allerheiligen (25. Oktober),<br />
segelte Absalon zum Öresund und lag bei Hyljuminni^).<br />
Drei seiner Schiffe lagen in <strong>der</strong> Mündung, drei waren auf Grund<br />
geraten. Bei Tagesanbruch überfielen ihn die Wenden mit neun<br />
Schiffen. Sie wurden aber in die Flucht geschlagen und ließen<br />
ein Schiff in den Händen Absalons. Sieben Tage später kam Absalon<br />
nach Hause.<br />
Noch im Laufe des Jahres 1170 versammelte sich eine Wendenflotte<br />
im „p0lw8 3wa>äen3l8" (bei Barhöft)^), um die dänischen<br />
Küsten zu plün<strong>der</strong>n. Als Absalon durch seine Kundschafter davon<br />
erfuhr, rüstete er sich zur Abwehr. Am 6. Dezember, am Nikolaustage,<br />
schon in winterlicher Kälte, zersprengte er die wendische Flotte<br />
bei <strong>der</strong> Insel Falster. Ein Sturm vernichtete diese fast vollständig.<br />
Iwei Schiffe <strong>der</strong> Wenden gerieten in die Hand Iaromars von<br />
Rügen, <strong>der</strong> eins davon Absalon als Geschenk verehrte.<br />
Aber trotz dieses Sieges hörten die Wendeneinfälle auch im folgenden<br />
Jahre (1171) nicht auf. Nun ging <strong>der</strong> König endlich mit<br />
aller Kraft gegen die Wenden vor. Sein Sohn Christoph plün<strong>der</strong>te<br />
zweimal in Wagrien bei Oldenburgs), einmal mit Unterstützung<br />
von Absalon und Erzbischof Eskill^). Als er von seinem letzten<br />
1) Etwa in den Monaten September/Oktober.<br />
2) Saxo 870.<br />
3) Ktl. c. 124.<br />
4) Ktl. c. 124. Kombst, Balt. Stud. 1, 70 A. 74. und Vaetke. Thule XIX<br />
383 verstehen unter „l^ljaminni" die Swinemündung. Saxos „portus<br />
ttulvuimmensiz" (S. 812/13) muß aber in Dänemark gesucht werden. Beide<br />
Namen bezeichnen u. E. nur einen Ort. Es würde auch als Iahrtziel von<br />
<strong>der</strong> Swine aus nicht gleich <strong>der</strong> Öresund angegeben sein.<br />
6) Saxo 874 ff. Vgl. Valt. Stud. N. I. 29. 113 ff.<br />
7) Helmold II 13.<br />
«) Saxo 878 und Ktl. c. 124.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 51<br />
Juge aus Wagrien zurückkehrte, traf er bei Geitisö^) eine königliche<br />
Flotte, die in Circipanien plün<strong>der</strong>n wollte2). Waldemar benutzte<br />
dazu die Zeit, in <strong>der</strong> Heinrich <strong>der</strong> Löwe, dem er das Unheil <strong>der</strong><br />
Wendeneinfälle zu verdanken hatte, von Anfang des Jahres bis in<br />
den Juni 1171 in Bayern war^). Die dänischen Schiffe fuhren<br />
durch den Sund bis zur Insel Strela (Dänholm), wo man die<br />
Schiffe zurückließ. Darauf zog die dänische Mannschaft in die<br />
Gegend von Tribsees und T^ibeden>). Aber in den Sümpfen<br />
Cncipaniens hatte man mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen^).<br />
Die dünne Rasendecke trug we<strong>der</strong> Pferd noch Mann, so<br />
daß man durch den Schlamm hindurchwaten mußte. Um die Schwierigkeiten<br />
zu min<strong>der</strong>n und <strong>der</strong> Erschöpfung vorzubeugen, legten die<br />
Reiter die Waffen ab und begannen, die damit bepackten Pferde<br />
hinter sich her zu führen. Pferd und Führer versanken oft in den<br />
Kot. Um die Tiere herauszuziehen und sich selbst zu halten, mußten<br />
die Führer den Pferden in die Mähne greifen. Erschwert wurde<br />
<strong>der</strong> Vormarsch noch durch die vielen Gräben, die den Sumpf durchschnitten.<br />
Es war nur dadurch möglich hinüberzukommen, daß man<br />
ein Geflecht von Baumzweigen hineinwarf. Trotz alledem zeigten<br />
einige dänifche Reiter ein glänzendes Beispiel ihrer Tüchtigkeit.<br />
Sie führten ihre Pferde in voller Rüstung, traten in die Spuren<br />
an<strong>der</strong>er und verschmähten jede Erleichterung. Überdies waren sie<br />
noch den Hufschlägen <strong>der</strong> Pferde ausgesetzt, die sich aus den Pfützen<br />
herausarbeiteten. Der König selbst stützte sich auf die Schultern<br />
zweier Soldaten, nachdem er sich <strong>der</strong> Kleidung bis auf das unterste<br />
Gewand und <strong>der</strong> Waffen entledigt hatte. Dieser Übergang erregte<br />
bei den Wenden allgemeines Erstaunen, so daß sie keinen Wi<strong>der</strong>stand<br />
wagten.<br />
Als man in den Wäl<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong> auf festen Boden gelangt war,<br />
bemerkte man in einem schiffbaren See (palus) auf einer kleinen<br />
Insel ein Dorf. Eine Brücke führte von <strong>der</strong> Insel an das Seeufer.<br />
An dieser Seite <strong>der</strong> Insel war auch ein Wall aufgeworfen worden.<br />
1) Den Namen gibt die Ktl. c. 124 (Geitisey). Vielleicht bei Gjedserodde<br />
(Iolster) gelegen.<br />
2) Saxo 883 ff., Ktl. c. 124. Helmold II 13. Helmold erwähnt den Iug<br />
nach Circivanien vor Christophs Iug nach Wagrien. Die Berichte Saxos und<br />
<strong>der</strong> Ktl. verdienen hier aber den Vorzug. Vgl. Wigger, M. 3b. 28. 184.<br />
3) Vgl. Prutz. Heinrich <strong>der</strong> Löwe S. 260 und ebenda. Regesten 126/27.<br />
4) Die Landschaft südlich Tribfees (siehe Karte). Die Namen finden sich<br />
nur in <strong>der</strong> Knytlingasaga.<br />
5) Die Schil<strong>der</strong>ung gibt allein Saxo 884 ff.<br />
.5
52 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Als die Dänen sich näherten, ließ <strong>der</strong> Burgherr Otimar sofort die<br />
Brücke abbrechen. Die Pfähle mußten aber im Wasser stehen<br />
bleiben i).<br />
Absalon zog nun auf Befehl des Königs in die Umgegend und<br />
ließ alles, was zum Bau einer Brücke dienen konnte, von den<br />
Reitern heranschaffen. Darauf begann man, auf den stehengebliebenen<br />
Pfählen eine neue Brücke aufzuführen. Die Belagerten<br />
errichteten ihrerseits einen hölzernen Turm, von dem herab ihre<br />
Schleu<strong>der</strong>er die an <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Brücke arbeitenden<br />
Dänen angriffen. Die Dänen antworteten mit Pfeilen, setzten aber<br />
ihre Arbeit fort. Sie schützten sich dadurch, daß sie das Baumaterial,<br />
das sie herantrugen, zur Sicherung gegen feindliche Geschosse über<br />
den Kopf hielten. Trotz aller Abwehrmaßnahmen <strong>der</strong> Inselbewohner<br />
schritt <strong>der</strong> Brückenbau rüstig vorwärts. Mit Besorgnis sah <strong>der</strong><br />
Burgherr Otimar 2) das Anwachsen <strong>der</strong> Brücke. Da ließ er sich endlich<br />
übersetzen, um mit dem Dänenkönige über den Frieden zu verhandeln.<br />
Die Verhandlungen gingen nach <strong>der</strong> jeweiligen Gunst des<br />
Gefechts hin und her. Als sich schließlich Waldemar den Vorschlägen<br />
Ottmars geneigter zeigte, hintertrieb Absalon, <strong>der</strong> gerade hinzukam,<br />
die Einigung. Er beauftragte heimlich den Dolmetscher, dem Könige<br />
das Gegenteil von dem zu übersetzen, was Otimar sagte. Absalon<br />
eilte selber zu den Bauleuten und spornte diese an durch die Zusage,<br />
daß die Beute in <strong>der</strong> Burg ihnen gehören solle.<br />
Die ersten dänischen Krieger hatten bald darauf schon den hölzernen<br />
Turm auf <strong>der</strong> Insel erreicht. Da stürzte die Brücke ein,<br />
weil <strong>der</strong> Zusammenhang des Brückenbelages zu locker gewesen war.<br />
1) Lisch, M. Jb. 26. 194/95. Wigger. M. Ib. 49. 31 und 28. 184. Schlie.<br />
Kunst, und Geschichtsdenkmäler Mecklenburgs V (1902). S. 1/2. suchen die<br />
Vurg des Otimar im Teterower See, L. Giesebrecht. Balt. Stud. 11 d. 165<br />
Zieht eine Insel im Lübchiner See in Betracht, Quandt eine Insel im Borgwallsee<br />
(Balt. Stud. 10. 162). Eine Entscheidung wird sich kaum treffen<br />
lassen. Der Vorgwallsee kommt nach <strong>der</strong> Marschrichtung wohl weniger in<br />
Irage (die Dänen haben die Sümpfe durchquert und befinden sich auf dem<br />
Vormarsch). Sümpfe finden sich in solcher Art, wie Saxo sie schil<strong>der</strong>t, bei<br />
dem Vorgwallsee nicht. Der Teterower See liegt ziemlich weit nach Mecklenburg<br />
hinein. Die Annahme von L. Giesebrecht hat die größte Wahrscheinlichkeit.<br />
2) Wigger. M. Jb. 28. 241 ff. schreibt Cotimar. Er meint, es sei <strong>der</strong><br />
Cotimar. <strong>der</strong> mit seinen beiden Brü<strong>der</strong>n Mirogneu und Monic das Kloster<br />
Dargun ausstattet (MUV I 111 vom 30. November 1173; 114 von 1174,-<br />
247 von 1219; vgl. 138 um 1183). Cotimar habe sich sein Leben dadurch erkauft,<br />
daß er versprach, ein dänisches Kloster auf seinem Besitze Zu gründen.<br />
Derselben Meinung ist v. Sommerfeld, Germanisierung Pommerns S. 75.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 53<br />
Eine große Anzahl <strong>der</strong> Dänen fiel ins Wasser, erreichte aber schwimmend<br />
die Inseli) Nun flohen die Wenden in Schiffen o<strong>der</strong> in<br />
Tonnen. Viele kamen dabei um. Die übriggebliebenen Männer<br />
metzelte man nie<strong>der</strong>, während die Weiber gefangen fortgeführt<br />
wurden. Den Otimar entließ <strong>der</strong> König unverletzt, obwohl man<br />
ihm geraten hatte, ihn als Gefangenen zu behalten. Dann zog das<br />
dänifche Heer zu den Schiffen und in die Heimat zurück.<br />
Der Erfolg diefes Juges war gering. Die Wenden fuhren fort,<br />
in Dänemark zu Heeren. Aber ein Erfolg war doch zu buchen: es<br />
entstand in <strong>der</strong> Gegend, die Waldemar eben geplün<strong>der</strong>t hatte, eine<br />
Pflanzstätte des Christentums und <strong>der</strong> dänischen Kultur. Dänische<br />
Mönche gründeten nämlich im Jahre 1172 in Dargun^) ein Iisterzienserkloster^).<br />
Waldemar sah ein, daß die Abwehrzüge gegen die Wenden nach<br />
Wagrien und Circipanien ihm nicht Genugtuung und Ersatz für den<br />
Schaden gewährten, den er durch die Einfälle <strong>der</strong> Wenden gehabt<br />
hatte. Er war gezwungen, Heinrich dem Löwen gegenüber nachzugeben.<br />
Als Heinrich ungefähr Anfang Iuni^) aus Bayern zurückgekehrt<br />
war, bat ihn Waldemar um eine Unterredung an <strong>der</strong> Ei<strong>der</strong>,<br />
die am Johannistage 1171 stattfand^). Heinrichs Verhalten war<br />
stolz und kühl. Nur bis zur Mitte <strong>der</strong> Ei<strong>der</strong>brücke ging er diesmal<br />
dem Könige entgegen6). Waldemar hatte ihm die Hälfte <strong>der</strong><br />
Geiseln und die Hälfte des von den Nügern gezahlten Tributs zu<br />
bewilligen, außerdem mußte er die Hälfte (equam portionem) des<br />
Tempelfchatzes herausgeben?). Dafür wurde das Freundschaftsbündnis<br />
erneuert und den Wenden von Heinrich untersagt, die Dänen<br />
ferner zu befehden. Waldemar erbat sich für seinen achtjährigen<br />
Sohn Knut Heinrichs Tochter Gertrud zur Gemahlin. Heinrich<br />
1) Beim Einsturz <strong>der</strong> Brücke zeichnete sich ein Reiter Herbert durch seine<br />
Tapferkeit aus.<br />
^) Unweit <strong>der</strong> pommerschen Grenze in Mecklenburg, westlich von Demmin.<br />
Siehe auch Wigger, M. Jb. 28, 242 ff. Und Kunkel. Archiv für Urkundenforschung<br />
III 23 ff.<br />
2) Iesten Iuß haben die Dänen hier 1171 noch nicht gefaßt. Die Besitzergreifung<br />
Circivaniens durch die Dänen ist erst in den 80er Jahren erfolgt.<br />
Vgl. Velschow. Saxo 982 S. 2, und Paul v. Nießen, Die staatsrecht!. Verhältnisse<br />
Pommerns in oen Jahren 1180—1214, Balt. Stud. N. I. 17. 245.<br />
4) Vgl. Prutz. S. 260 und Regesten 126/27 ebenda.<br />
5) Saxo 887. Helmold II 14. Die Knntlingasaga hat über die Unterredung<br />
keinen Bericht.<br />
6) Saxo 887. Helmold erwähnt das nicht.<br />
7) Die Bedingungen gibt nur Helmold II 14. Saxo verschweigt sie aus<br />
begreiflichen Gründen.
54 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
ging darauf ein, weil er alles erreicht hatte, was er wollte, und<br />
weil er auch seines Pilgerzuges wegen mit dem Dänenkönige ein<br />
gutes Verhältnis halten mutzte^). Bereits im Winter, gegen Weihnachten,<br />
siedelte Heinrichs Tochter Gertrud nach Dänemark über^).<br />
Als Heinrich nun im Jahre 1172 seine Pilgerfahrt nach dem<br />
Heiligen Lande ausführte, hielt Waldemar es seinem Versprechen<br />
gemäß für unehrenhaft und unredlich, im Wendenlande irgend etwas<br />
allein zu unternehmen. Erst im Frühjahre 1173, nach <strong>der</strong> Rückkehr<br />
Heinrichs aus dem Heiligen Lande, rüstete Waldemar zu einem<br />
Kriegszuge ins Gebiet <strong>der</strong> O<strong>der</strong>mündungen^). Die Wolgaster hatten<br />
in Voraussicht eines dänischen Angriffes ihre Feste erweitert und<br />
das Fahrwasser <strong>der</strong> Peene gesperrt^). Zu dem Zwecke hatten sie<br />
an den seichteren Stellen <strong>der</strong> Peene (in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Stadtmauer)<br />
Pfähle eingerammt und in die tieferen große Steinblöcke hineingewälzt.<br />
Auch das übrige Fahrwasser hatten sie auf ähnliche Weise<br />
unfahrbar gemacht. Es blieb dem Könige nichts an<strong>der</strong>es übrig, als<br />
durch die Swine^) in das Land Gorgasia^ (um Caseburg an <strong>der</strong><br />
Swine?) zu fahren, wo er alles verbrannte"). Dann griff er Iulin<br />
ans), das von den Einwohnern verlassen war, zündete die neu aufgebaute<br />
Stadt an und zerstörte sie vollkommen. Um das fruchtbare<br />
Land zu plün<strong>der</strong>n, drang er auch in die Landschaft Kammin vor,<br />
wagtc sich aber nicht heran an eine Belagerung <strong>der</strong> Feste, in <strong>der</strong> die<br />
Iuliner Zuflucht gefunden hatten. Er wendete nun um und verheerte<br />
die Landschaft Usedom. Von hier wollte er auf einem abgekürzten<br />
Wege zurückkehren und ließ deshalb die durch Sand verstcpfte<br />
Mündung eines Flusses ausgraben"). Vor <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong><br />
Schwierigkeiten schreckte er indes zurück,- er schritt zu einer Scheinbelagerung<br />
von Usedom, ohne jedoch damit die Übergabe zu erreichen.<br />
Im Anschluß daran fuhr die dänische Flotte über das Haff vor die<br />
i) Die Verlobung erzählt Saxo früher, S. 795 und 816.<br />
1) Nur Ktl. c. 125.<br />
2) Ktl. c. 125. Vgl. über die Chronologie Balt. Stud. N. I. 29. 93 ff.<br />
4) Saxo 890 ff.<br />
5) Varthold II 228, v. Naumer. Die Insel Wollin und das Seebad Misdroy<br />
S. 35, Domizlaff. Monatsblätter d. Ges. f. Pomm. Gesch. u. Altertumskoe.<br />
1925, S. 42 haben falsch die Peene, Hoogeweg I 224 falsch die Dieoenow.<br />
«) Siehe Valt. Stuo. N. 3. 29. 144 ff.<br />
5) Nur Ktl. c. 125. Von einem Angriffe auf Wolgast berichtet die<br />
Knntlingasaga nichts.<br />
s) Das Folgende findet sich nur bei Saxo 891 ff.<br />
9) Saxo 892. Wahrscheinlich bei Damerow an <strong>der</strong> schmälsten Stelle <strong>der</strong><br />
Insel Usedom. Vei großen Sturmfluten blicht hier die Ostsee zum Achterwasser<br />
durch. Letzter Durchbruch Dezember 1913.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 55<br />
größte pommersche Stadt Stettin^). Absalon fuhr voraus, wurde<br />
aber durch einen den Stettinern wohlgesinnten Führer in Nebenarme<br />
<strong>der</strong> O<strong>der</strong> geleitet und kam daher später vor Stettin an als<br />
Waldemar mit den übrigen Teilen <strong>der</strong> dänischen Flotte. Waldemar<br />
war den geraden Weg flußaufwärts geführt worden ^). Die<br />
Feste war mit einem fehr hohen Wall umgeben und obendrein ebenso<br />
von Natur als durch die Burg befestigt, so daß sie für unbezwinglich<br />
galt. Es war daher von Menschen, die sich ohne Grund sicher<br />
glaubten, das Sprichwort aufgekommen, sie säßen nicht in Stettin^).<br />
Trotzdem gingen die Dänen an die Belagerung. Um den Wall<br />
in Brand zu setzen, trugen sie kurze Bündel von Reisig heran. Sie<br />
benutzten diese Bündel auch gleichsam als Schilde, um sich vor den<br />
feindlichen Wurfspießen zu schützen. Sie gruben Gänge in den Wall<br />
und versuchten. Feuer anzulegen. Aber das holzwerk des Walles<br />
entzündete sich nicht. Gleichzeitig befahl <strong>der</strong> König einen Sturm<br />
aus die Feste. Belagerungsgerät wurde nicht angewandt; denn bei<br />
<strong>der</strong> höhe des Walles reichten nur Bogenschützen und Schleu<strong>der</strong>er<br />
durch ihre Pfeile und Steine bis auf die Wälle hinauf. Nur einige<br />
kühne Jünglinge kletterten aus Ruhmbegierde an dem Walle empor,<br />
vermochten aber nicht, in die Feste einzudringen. An<strong>der</strong>en gelang<br />
es zwar, bis an die Tore heranzukommen, wo sie allerdings<br />
vor den Pfeilen <strong>der</strong> Verteidiger sicherer waren als weiter entfernt;<br />
aber sie konnten mit ihren Beilen nichts ausrichten.<br />
Der Befehlshaber <strong>der</strong> Stadt war ein Verwandter <strong>der</strong> herzöge<br />
Bogislaw und Kasimir, Wartislaw. ein frommer Mann, wie ihn<br />
Saxo nennt. Während die Dänen vergeblich angriffen, ließ er sich<br />
an einem Seile von dem Walle herunter und wollte mit dem Dänen-<br />
Könige verhandeln. Als das die Dänen sahen, ließen sie in ihrem<br />
Kampfeseifer nach. Man hörte ihre Klagen, daß <strong>der</strong> König zwar<br />
durch sie Geld erlangen werde, daß sie aber um ihre Beute betrogen<br />
würden. Der König eilte zu ihnen, um sie zu weiterem Kampfe<br />
anzuspornen. Als er erkannte, daß das vergeblich war, kehrte er<br />
in sein Lager zurück und verhandelte mit Wartislaw.<br />
1) Saxo 866 ff. in einem längeren Stück, das falsch zwischen Ereignissen<br />
<strong>der</strong> Jahre 1170 und 1171 steht. Siehe Balt. Stud. N. 3. 29. 57. 82 und<br />
95 ff. Ktl. c. 125 (anscheinend zum Jahre 1173). Balt. Stud. N. 3. 29. 85 ff.<br />
Iu 1176: ^nn. Ooidax. ^V. D. 43, ^nn. k^ens. ^. v. 85 und >Vnn. rlssenbec.,<br />
ä. O145. Über die Zugehörigkeit zu 1173 s. Balt. Stud. N. 3. 29. 95 ff.<br />
2) Die Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Belagerung gibt nur Saxo.<br />
3) Saxo 866: ttinc mos proverbii 3umptu8, eos, qui se tutos inaniter<br />
t, 3tetini praesidio non
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Man einigte sich nun, daß Stettin den Dänen eine große Geldsumme<br />
zahlte, so groß, meint Saxo, wie sie kaum das ganze Wendenland<br />
bezahlen konnte, und außerdem hatte es Geiseln zu stellen.<br />
Wartislaw erhielt die Stadt als dänisches Lehen. Der König stand<br />
aber von einer Plün<strong>der</strong>ung ab und ließ nur zum Zeichen <strong>der</strong> Übergabe<br />
seine Feldzeichen auf den Wällen aufpflanzen, die von oben<br />
bis unten mit Pfeilen besteckt waren, so daß es aussah, als wenn<br />
sie mit Rohr bewachsen wären. Diese Pfeile sammelten die Dänen<br />
während <strong>der</strong> Waffenruhe wie<strong>der</strong> in ihre Köcher ein. Ob Waldemar<br />
mit Wartislaw die Gründung eines Klosters vereinbarte, geht aus<br />
den Quellen nicht hervor. Saxo berichtet nur, daß Wartislaw<br />
Mönche aus Dänemark kommen ließ, auf seinem Besitz eine cella<br />
(Kolbatz) erbaute und diese mit reichen Schenkungen ausstattete^).<br />
Auf <strong>der</strong> Rückfahrt nahmen die Dänen Lebbin auf Wollin (Lyubinum)-),<br />
das den Zugang zur Swine von Süden her beherrschte,<br />
und schifften dann nach Dänemark heim.<br />
Einen vollen Erfolg scheint <strong>der</strong> Zug nicht gehabt zu haben,- denn<br />
Waldemar rüstete im Frühjahr 1174 zu einem neuen Unternehmen<br />
geaen Slawien^). Als die Pommern davon hörten, erbaten sie<br />
durch Vermittlung Prislaws^) Frieden, <strong>der</strong> ihnen auch gegen Zahlung<br />
einer Geldsumme auf zwei Jahre zugesichert wurde. Die allgemeine<br />
Anerkennung des Christentums, so berichtet Saxo5), wurde<br />
den Wenden nicht aufgedrängt, wenn auch im allgemeinen nur die<br />
Fürsten Bekenner des Christentums waren, das gemeine Volk zwar<br />
1) Saxo 867: lluiuä animu3, nikil paene cum civium m^eniis commune<br />
3ortltu3, tant« IMplikicanclae exornanclaeque reliAiolU3 studio<br />
ut 3l3Vic0 8anAuine eciitum barbari^ue moribu3 imbutum<br />
quiclem, ut patriam 8Uper3titi0ni cleciitam ab errore cultus revocaret,<br />
exemplumque ei corri^enäge ci-eclulitatis proponeret, mon2cnali8 vitae<br />
viris e vania aclclti8, in latifunclio 3uc> cellam ex3truxit, eamque multi«<br />
et maAni3 3tjpenclil3 locuplewvit. Über die Ieit <strong>der</strong> Gründung von Kolbatz<br />
(1173?) s. Valt. Stud. N. 3.29, 96.<br />
2) Saxo 868. Vgl. Valt. Stud. N. 3. 29. 145.<br />
3) Saxo 892. Nach dem 25. Iebruar; vgl. Nex. Dipl. Ni3t. Dan. I<br />
272/73. über das Jahr s. Balt. Stud. N. I. 29. 94.<br />
4) Suhm, VII 431, Giesebrecht. W. G. III 223. Varthold II 233. sehen<br />
in Prislaw den Obotritenfürsten Pribislaw. Velschow, Saxo 893 A. 1. läßt<br />
die Irage offen, weil dieser Name im Wendenland sehr häufig vorkäme.<br />
5) Saxo 893: daeterum publicae reIi^j0Nl8 cc)näitione8 barbIl-^ innon<br />
3unt, cu^U8 profe330re3 plerique eorum principes exi3terent,<br />
32crorum 3ocietatem äamnante. ()ui tamet3l (Ünristiano nomine<br />
cen8erentur, titulum moribus abclicabant, profe38j0nem operibus pol-
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 5?<br />
Christi Namen trug, aber die „Gesellschaft <strong>der</strong> heiligen verdammte<br />
und das Bekenntnis durch seine Werke schändete".<br />
Heinrich <strong>der</strong> Löwe war durch wie<strong>der</strong>holten Aufenthalt in Bayern<br />
verhin<strong>der</strong>t gewesen, den Dingen im Osten seines sächsischen Herzogtums<br />
erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Während <strong>der</strong> nun folgenden<br />
Friedenszeit zwischen Dänen und Pommern scheint sich Herzog<br />
Bogislaw, da auf den Beistand Heinrichs des Löwen nicht sicher<br />
zu rechnen war^), wie<strong>der</strong> Polen genähert zu Habens. Als seine<br />
erste Gemahlin Walburgis gestorben war^), vermählte er sich wohl<br />
im Jahre 1177 zum zweiten Male mit Anaslasia, einer Tochter des<br />
polnischen Herzogs Mesco III.^). Während Bogislaw im April/Mai<br />
1177 in Polen war5), beschlossen Waldemar von Dänemark und<br />
Heinrich <strong>der</strong> Löwe einen neuen gemeinsamen Wendenzug ^). Die<br />
Wenden hatten nämlich an <strong>der</strong> Swine zwei Burgen angelegt?), und<br />
wendische Seeräuber hatten Gesandte des Königs Waldemar beraubt<br />
und ein Schiff Waldemars genommen, das mit Geschenken<br />
seines Schwiegervaters (zooer) beladen war^). Die Wenden weigerten<br />
sich, die Geschenke an die Gesandten Waldemars herauszugeben.<br />
Als sie auch an<strong>der</strong>e Voten Waldemars, die erneut an sie<br />
gesandt wurden, stolz abwiesen, wandte sich Waldemar an Heinrich<br />
und rief ihn zu gemeinsamem Kampfe auf. Heinrich for<strong>der</strong>te nun<br />
seinerseits — er mußte den Bruch mit dem Kaiser befürchten, viel-<br />
1) Nach Saxo 810 hat sich Bogislaw im Jahre 1166 Heinrich dem Löwen<br />
unterstellt. Kasimirs Unterstellung wird nicht berichtet. Er scheint 1164 Heinrich<br />
lehnspflichtig geworden zu fein. Einen Teil <strong>der</strong> Herrschaft empfing er<br />
in diesem Jahre jedoch von den Dänen zu Lehen. Im Jahre 1168 nahmen<br />
beide Pommernherzöge im Auftrage Heinrichs an dem Ieldzuge Waldemars<br />
nach Rügen teil (Helmold II 12). Saxo erwähnt 866, daß sich vor <strong>der</strong> Belagerung<br />
von Stettin die Pommernherzöge Heinrich unterstellt hätten. Saxo<br />
ist aber hier verwirrt. Bis 1177 scheint Bogislaw unter Heinrichs Lehnshoheil<br />
gestanden zu haben.<br />
2) Roepell. Geschichte Polens S. 373.<br />
2) Vor dem 18. April 1177. P<strong>UB</strong> I 72. S. 47.<br />
l) P<strong>UB</strong> I 73. S. 48. Vgl. auch Vincent! ^nron. polonorum I^ib. IV<br />
^1033 XXIX 496: Oux ^arltime Lo^uslaus, ^ener eius clucis eiusäem<br />
tillii8 ^ener eiu3 (Ivlesco III.).<br />
5) P<strong>UB</strong> l 73.<br />
«) Über das Jahr s. Balt. Stud. N. 3. 29. 98.<br />
7) Ktl. c. 125. Saxo 953 berichtet nur von einem Kastell.<br />
s) Waldemars Gemahlin war die Tochter eines russischen 3ürsten. Die<br />
Ktl. c. 109 gibt König Wladimir von Polen an. Da Wladimir von Halicz<br />
nach Velschow Saxo 903 und 920, schon 1152. nach an<strong>der</strong>n 1153 starb, so<br />
könnte, falls es sich um diesen handelt, Locer vielleicht als Schwager zu<br />
deuten sein. Vgl. Wedekind. Noten 3asc. V 43 und Meyer. M. Jb. 76. 33.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
leicht wollte er Waldemar auch einen Nebenbuhler gegenüberstellen<br />
— den Markgrafen Otto I. von Brandenburg auf, an dem 3eldzuge<br />
teilzunehmen. Zehn Wochen, etwa von Mitte Juni bis Ende<br />
August, lagerten Heinrich und Otto I. von Brandenburg vor Demmin^),<br />
um die Stadt einzunehmen^). Vergeblich arbeiteten die Belagerungsmaschinen,<br />
vergeblich suchte man sich <strong>der</strong> Stadt dadurch zu<br />
bemächtigen, daß man den 3luß (Peene) von <strong>der</strong> Stadt ableitete^).<br />
König Waldemar riet Heinrich, das aussichtslose Unternehmen aufzugebend).<br />
Aber Heinrich ließ nicht nach. Da er die Stadt nicht<br />
verbrennen wollte, ließ er sie auf Anraten seines „Maschinenbauers"<br />
Friedrich drei Tage lang mit aller Kraft berennen^). Es kam daraufhin<br />
zu Verhandlungen mit den Städtern. Die Stadt gelangte<br />
allerdings nicht in Heinrichs Hand; doch stellten die Bewohner<br />
Geiseln, zahlten Tribut und verpflichteten sich, nicht in das Gebiet<br />
Heinrichs hinüberzugreifen^).<br />
Unterdessen war Waldemar mit den Nügern durch die Swine<br />
nach Iulin gefahren und hatte dort geplün<strong>der</strong>t?). Er war dann<br />
weiter gegen Usedom gezogen und brannte hier die Burgen Usedom,<br />
Vinborg und 3uir^) nie<strong>der</strong>^). Iu einer in Groswin verabredeten<br />
Zusammenkunft erschien Herzog Heinrich nicht. Waldemar belagerte<br />
darauf die Burg Gutzkow, die er einnahm und zerstörte. In<br />
Unfrieden mit Heinrich dem Löwen fuhr er nach Kammin^), verheerte<br />
hier die Landschaft, brannte auch das kaum aufgebaute Iulin<br />
nie<strong>der</strong>, das wie<strong>der</strong> von den Bewohnern verlassen war. Die Wenden<br />
1) Vgl. ^nn. paliä. ^Q33 XVI 94 und pe^v. ebd. 261. Siehe auch<br />
Krabbo, Regesten <strong>der</strong> Markgrafen von Brandenburg, Lief. II 422.<br />
2) Nur änn paliä. ^Q53 XVI 94.<br />
3) Saxo 921. Die Knytlingasaga berichtet davon nichts.<br />
4) Ebd. 924.<br />
5) Arnold II 4.<br />
6) /mn. p^lici. und pe^av.<br />
7) Saxo 920 ff.<br />
s) Nur in <strong>der</strong> Ktl. c. 125.<br />
9) Vgl. über die Lage Balt. Stud. N. I. 29, 135 ff.<br />
^) Saxo 923. L. Giesebrecht, W. G. III 225. hält den Bericht Saxos<br />
für verwirrt, weil Waldemar zur Swine hereinkommt, dann Iulin angreift,<br />
hierauf Gutzkow verbrennt, nach Kammin zieht, von da eine Gesandtschaft<br />
an Heinrich nach Demmin fchickt und schließlich Wolgast vergeblich angreift.<br />
Er will die Plün<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gegend um Kammin hinter die Plün<strong>der</strong>ung<br />
Iulins und vor den Iug nach Gutzkow setzen. Aber wenn man aus den<br />
^nn. pgliä. erfährt, daß Heinrich Demmin zehn Wochen lang belagert, so<br />
ist dies Hin- und Herziehen Waldemars in <strong>der</strong> langen 3eit fchon erklärlich,<br />
zumal er keinen Wi<strong>der</strong>stand fand.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 59<br />
hatten eine große Viehherde auf einem Landstriche zwischen <strong>der</strong> Ostsee<br />
und einem See zusammengetrieben, um sie vor den Nimmersatten<br />
Feinden zu verbergen. Durch Verrat eines Einheimischen<br />
wurde sie von den Dänen erbeutet, die dadurch für zwei Monate<br />
Verpflegung hatten^).<br />
Waldemar wollte nun den Iug abbrechen. Er benachrichtigte von<br />
seinem Vorhaben seinen Bundesgenossen Heinrichs. Der Sachsen-<br />
Herzog gab wohl Ende August die Belagerung Demmins auf. Bei<br />
<strong>der</strong> Rückfahrt nach Dänemark fand Waldemar die Fahrstraße bei<br />
Wolgast, wo <strong>der</strong> Fürst Zulistrus befehligte, versperrt^). Er mußte<br />
deshalb durch die Swine zurückkehren^).<br />
Iwar brachten die Dänen reiche Beute heim; aber das Gebiet,<br />
das sie ihrer Herrschaft gewinnen wollten, war gänzlich ausgeplün<strong>der</strong>t<br />
und verarmt.<br />
Als Absalon im Februar 1178 Erzbischof von Lund geworden<br />
war^), beauftragte ihn Waldemar in Gemeinschaft mit seinem Sohne<br />
Knut, nach Ende des Winters gegen Wolgast zu ziehen, um diese<br />
Stadt, die so hartnäckigen Wi<strong>der</strong>stand leistete, einzunehmen.<br />
Die dänische Flotte versammelte sich im Grönsund bei Falster^).<br />
Unvermutet überfielen dann die Dänen, durch rügische Schiffe, soviel<br />
man in <strong>der</strong> Eile zusammenbringen konnte, unterstützt, die Landschaft<br />
Wusterhusen (Ostrozna) und plün<strong>der</strong>ten dort?). Die Wenden<br />
flohen, zum Teil mit ihren Schiffen. Als von zwei in einem Schiff<br />
fliehenden Wenden <strong>der</strong> eine durch einen Speerwurf Gerimars(Iaromar)<br />
nie<strong>der</strong>gestreckt wurde, versuchte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, ihn zu rächen. Als<br />
er aber den Fürsten von Rügen erkannte, warf er den Speer rücksichtsvoll<br />
fort. So große Verehrung, so fügt Saxo hinzu, wird<br />
den führenden Männern im Slawenlande zuteil.<br />
1) Saxo 921/22. Saxo verlegt das in die Gegend von Gutzkow. Ihm<br />
folgt Barthold II 240. Aber L. Giesebrecht. W. G. III 226. fragt mit Recht,<br />
wie denn bei Gutzkow Viehherden zwischen dem Meere und einem See zusammengebracht<br />
werden sollen (Saxo 922: ^.rmentg. ad iisäem inter mare<br />
paluäemque coacw ). Er schlägt die Gegend bei Kammin vor. Dort<br />
würde das u. E. zwischen Ostsee und dem Koverower o<strong>der</strong> 3ritzower See<br />
möglich sein. Vgl. Velschow. Saxo Ausgabe 922 A. 1 und Olrik. Absalon<br />
l! 14.<br />
2) Saxo 924.<br />
2) Beim Abreißen <strong>der</strong> Brücke tat sich beson<strong>der</strong>s Absalons Waffenträger<br />
hemmingus hervor.<br />
4) Ktl. c. 125. Saxo erwähnt das nicht.<br />
') Ktl. c. 126 und Saxo 925 fst Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 98 ff.<br />
6) Den Namen gibt die Ktl. c. 126.<br />
') Saxo 927 ff.
6l) Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Die Dänen fuhren darauf in die Peene, erbeuteten auf den<br />
Weiden eine Anzahl Pferde und rückten auf Wolgast vor. Bevor<br />
man in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Stadtmauer ankerte, mußte man einen Durchgang<br />
durch eine Brücke über die Peene schaffen und das Fahrwasser<br />
von Hin<strong>der</strong>nissen frei machen. An die Stadtmauer konnte man nicht<br />
heran, da die Wolgaster mit ihren Kampfmaschinen ein näheres<br />
Herankommen hin<strong>der</strong>ten. Darauf plün<strong>der</strong>te man die Umgegend').<br />
Tags war die Reiterei unterwegs, nachts das 3ußvolk.<br />
Die Pommernherzüge Kasimir und Bogislaw fühlten sich dieser<br />
Art <strong>der</strong> Kriegführung nicht gewachsen^). Sie erbaten Frieden, bekannten<br />
zwar die Überlegenheit <strong>der</strong> Dänen, taten aber so, als ob<br />
ihnen an dem Verlust ihrer Län<strong>der</strong> nichts läge. Da trat ihnen Nikolaus<br />
aus Falster entgegen und erinnerte sie daran, daß sie die tiefer<br />
gelegenen (inieriora) Gegenden den Dänen, die höher gelegenen<br />
(superiora) den Polen hätten überlassen müssen^). Die Herzöge<br />
ließen sich den Vorwurf gefallen, boten Absalon und Knut je ION<br />
Pfund Silbermünzen an^) und versprachen die Freilassung <strong>der</strong><br />
gefangenen dänischen Gesandten und als Entschädigung für den<br />
König 2000 Talentes. Außerdem wollten sie Geiseln stellen.<br />
Dagegen sollte <strong>der</strong> frühere Vertrag wie<strong>der</strong> in Kraft treten.<br />
Als Absalon das Angebot seinen Unterführern vorlegte6), rieten<br />
diese, es anzunehmen. Absalon folgte ihnen. So konnte die siegreiche<br />
dänische Flotte wie<strong>der</strong> nach Haufe ziehen. Esbern wurde mit<br />
<strong>der</strong> Meldung an den König vorausgeschickt. Da ihn aber ungünstige<br />
Winde bei Hiddensoe aufhielten, kam er erst kurz vor <strong>der</strong> Flotte<br />
1) Die Ktl. c. 126 berichtet auch von einer Zerstörung <strong>der</strong> Stadt und<br />
Burg Usedom.<br />
2) Kasimir wird von <strong>der</strong> Knntlingasaga falsch als Herzog im östlichen<br />
Wendenlande bezeichnet. Über die Herrschaftsteilung vgl. L. Giesebrecht<br />
Valt. Stud. 11b, 119. G. rechnet zum Anteile Bogislaws: die Kastellane!<br />
Stettin, das Land Kolbatz, das Schloß 3iddichow, die Kastellanei Usedom,<br />
die Oberherrschaft in Wolgast, die Län<strong>der</strong> Buckow (auf Usedom), Lassan<br />
und Ziethen, die Kastellanei Groswin mit dem Land Rochow. die Provinz<br />
Pasewalk, die Län<strong>der</strong> Ukre, Belgard. Iantoch, vielleicht auch Pnritz. Iehoen.<br />
Kiemtz, Küstrin; zum Anteil Kasimirs: die Kastellanei Demmin, die Kastellaneicn<br />
Giitzow und Kammin, Schloß und Land Wollin, das Land Stargard,<br />
da? Land Barth, die Vogtei Sund, Broda, die Län<strong>der</strong> Meckl-Stargard.<br />
Raduir und Lypitz. Gemeinsamer Besitz war das Land Kolberg, von dem<br />
möglicherweise Bogislaw den Teil östlich, Kasimir den Teil westlich <strong>der</strong> Persante<br />
besaß.<br />
s) Saxo 928.<br />
4) Nach <strong>der</strong> Ktl. c. 126 erhält nur Absalon 500 Mark.<br />
") Nach <strong>der</strong> Knytlingasaga 1500 Mark.<br />
6) Saxo 928.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 61<br />
an^). Neun Tage nach ihrer Abfahrt von Moen war die Flotte<br />
schon wie<strong>der</strong> zurück2). Der König entließ sie mit höchsten Gunstbezeugungen<br />
^).<br />
In den folgenden Jahren hin<strong>der</strong>ten Aufstände in Schonen die<br />
Dänen an weiteren Unternehmungen gegen Pommerns. In Deutschland<br />
abex tobte <strong>der</strong> Kampf gegen Heinrich den Löwen. Als Kaiser<br />
Friedrich im Sommer 1181 nach Lübeck kam, eilte ihm Waldemar<br />
entgegen^). Eine Verlobung zwischen den Fürstenhäusern bekräftigte<br />
die Freundschaft 6). Nach Saxo^) verhandelten in Lübeck auch<br />
die pommerschen Herzöge Bogislaw und Kasimir mit dem Kaiser<br />
und erlangten die Reichsunmittelbarkeit.<br />
Das erschien Waldemar ein Eingriff in seine Rechte über Pommern.<br />
Er berief daher im Frühjahr 1182 ein Heeresaufgebot im<br />
Grönsund zwischen Falster und Moen zusammen^). Gleichzeitig<br />
wollte er auch den Zugang zur Swine wie<strong>der</strong> öffnen, den die Pommern<br />
durch Burgen gesperrt hatten^). Die Führung des Juges<br />
übertrug er Absalon und Knut^). Da erkrankte er selber schwer.<br />
1) Nach Kinch. ^arb^er wr noräiäk Oläkvnäixneä, 1874 S. 316, erreicht<br />
Esbern die dänische Küste einen Tag vorher. Die Ilotte kommt im<br />
Laufe <strong>der</strong> Nacht o<strong>der</strong> des nächsten Tages nach.<br />
2) Ktl. c. 126. Saxo erwähnt nur die kurze Dauer des Juges.<br />
3) Saxo 929.<br />
4) Saxo 932 ff. Vgl. über die Unruhen in Schonen C. Weibull, 3axo<br />
3tuäier. Nist. ^icizkrift kör 3käne1anä VII 71—120.<br />
5) Arnold II 21. Saxo 946 ff., ^nn. XV^lä. ^. Q. 88, ^nn. 3orani,<br />
l
62 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
Er sah sein meuterndes Heer noch auseinan<strong>der</strong>gehen und starb dann<br />
am 12. Mai 1182 in Wordingborch (Südküste Seelands) ^).<br />
Sein Nachfolger Knut VI., <strong>der</strong> sich bald in seinem Lande Anerkennung<br />
verschaffte, setzte die wendische Politik seines Vaters<br />
fort. Der junge König verweigerte dem Kaiser Friedrich I. die gefor<strong>der</strong>te<br />
Lehnshuldigung"). Um diese Lehnshoheit über Dänemark<br />
wie<strong>der</strong> zu erhalten, gewann <strong>der</strong> Kaiser den Pommernherzog Bogislaw.<br />
Der Herzog versprach dem Kaiser stolz, daß er Knut noch<br />
vor dem Jahresende zum Lehnsmann des Kaisers machen werde.<br />
Der Kaiser sparte nicht mit Geschenken und Versprechungen, um<br />
Bogislaw zum Kampf zu bewegen^).<br />
Bevor aber Vogislaw zum Angriff auf die dänischen Inseln<br />
schritt, wollte er seinen Verwandten (avunculus), den Fürsten Iaromar<br />
von Rügen, <strong>der</strong> dänischer Lehnsmann war, überwinden^). Er<br />
rüstete eine große Flotte aus und verhandelte mit dem mecklenburgischen<br />
Wendenfürsten/dem späteren Schwiegersohne Heinrichs^)<br />
des Löwen, um Unterstützung. Als Iaromar davon hörte, schickte<br />
er sogleich nach Dänemark um Hilfe ^). Da König Knut in Jutland<br />
war?), Kam Absalon mit Schiffen aus Seeland, Füncn und<br />
Schonen, soviel innerhalb von sechs Tagen kommen konnten. Am<br />
siebenten Tage segelte er mit 20 Schiffen ab. Auf König Knut<br />
wurde nicht gewartet, weil dann die Hilfe vielleicht zu spät gekommen<br />
wäre.<br />
Am Pfingstsonnabend 1184, am 19. Mai, landete Absalon bei<br />
hiddensoe^). Dorthin kamen ihm Gesandte Iaromars entgegen<br />
mit <strong>der</strong> Meldung, daß Bogislaw mit 500 Schiffen^) bei <strong>der</strong> Insel<br />
Koos (Cozta) liege und noch auf Iuzug von den Westwenden warte^).<br />
1) Nach Saxo 954 ff. Die Ktl. c. 127 schweigt von <strong>der</strong> Meuterei. Es<br />
heißt dort: „Kunt und Absalon wollten nicht eher fortgehen, bevor fie wußten,<br />
wie seine Krankheit ausgehen würde, und König Knut gab allem Kriegsvolk<br />
auf Absalons Rat Urlaub." Über den Todestag s. Valt. Stud. N. I.<br />
29, 33 ff.<br />
2) Saxo 966 ff. und Ktl. c. 128.<br />
3) Nach Saxo 966. und Ktl. c. 128. Paul v. Niehen. Valt. Stud. N. 3.<br />
17, 266, betrachtet die Erzählung von den Geschenken und Versprechungen als<br />
gröbliche, tendenziöse Erfindung. Den Beweis dafür erbringt er nicht.<br />
4) Saxo 967.<br />
y Vgl. Arnold Hl 4.<br />
6) Ktl. c. 128 und Saxo 968.<br />
7) Saxo 969. Die Schil<strong>der</strong>ung geht nur auf Saxo zurück,<br />
u) Saxo 970. Die Knutlingasaga nennt keinen Ort.<br />
9) Arnold III 7 spricht von 600 Seekriegern.<br />
") Ktl. c. 128 und Saxo 974.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 63<br />
um dann Rügen anzugreifen. Die Einbruchsstelle habe man noch<br />
nicht erfahren können.<br />
Am an<strong>der</strong>n Morgen meldeten neue Boten Iaromars, <strong>der</strong> Einbruch<br />
Bogislaws wUrde wahrscheinlich bei Strela (Dänholm) erfolgen.<br />
Bogislaw wäre schon ausgefahren, aber des einfallenden<br />
Nebels wegen wie<strong>der</strong> in seinen Hafen zurückgekehrt.<br />
Abfalon ermahnte nun seine Krieger, tapfer zu kämpfen, lichtete<br />
die Anker und rückte bis Drigge (Iittu8 vreccenze) vor. Gemäß<br />
einer Verabredung mit Iaromar follte er dessen Boten in dem<br />
Hafen Darsin^) bei Ludwigsburg an <strong>der</strong> Ostseite <strong>der</strong> dänischen<br />
Wieck) vorfinden^). Als Abfalon in diesem Hafen ankam, waren<br />
Iaromars Boten nicht da. Es war <strong>der</strong> Morgen des 21. Mai^).<br />
Absalon war in einem Nachen (8capda) an Land gegangen, um die<br />
Messe zu lesen, als ein Bote ihn benachrichtigte, die pommersche<br />
Flotte rücke vor. Dichter Nebel über dem Wasser verhin<strong>der</strong>te jede<br />
Aussicht^). Die rügische Flotte wich verabredungsgemäß zurück.<br />
Bogislaw folgte mit 150 Schiffen, um fie zu umgehen' die übrigen<br />
Schiffe ließ er ankern, gleichsam in Schlachtreihe, die Lebensmittelschiffe<br />
voran.<br />
Abfalon und Suno ermahnten noch einmal ihre Krieger, sich<br />
tapfer zu beweisen und fuhren dann auf die pommerschen Schiffe<br />
zu5). Der Nebel verbarg die Iurüstungen <strong>der</strong> Dänen. Als er sich<br />
zerteilte, erblickten die Pommern die dänischen Schiffe und glaubten<br />
Schiffe des Fürsten Borwin (Borwegius) zu sehen, <strong>der</strong> ihnen zu<br />
Hilfe kommen wollte. Plötzlich steckte Absalon seine Flagge auf,<br />
und indem sie ein Schlachtlied sangen, stürzten sich die Dänen auf die<br />
Schiffe <strong>der</strong> Pommern. Völlig überrascht wandten sich diese zur<br />
Flucht. Nur einigen pommerschen Schiffen gelang es, die Anker<br />
zu lichten und zu entkommen. Die größte Iahl wurde von den<br />
Dänen genommen. Da die Besatzungen nicht in Gefangenschaft ge-<br />
1) Balt. Stud. N. 3. 29. 129 ff.<br />
2) Kantzow S. 127 (Gaebel, Letzte Bearbeitung 1897) berichtet den Kampf<br />
falsch an <strong>der</strong> dänischen Küste. Biesner S. 165 redes"vml einer Vernichtung<br />
<strong>der</strong> pommerschen 3lotte durch einen Sturm. Das ist ebenso falsch, wie 1178<br />
eine Landung <strong>der</strong> Pommern auf Rügen (S. 178). Baetke, Thule XlX 389<br />
meint, daß die Schlacht nach Saxo beim Darß geliefert wurde. Das ist unmöglich,<br />
wenn Absalon schon bis Drigge vorgestoßen ist. Bgl. Balt. Stud.<br />
N. 3. 29. 109.<br />
3) Saxo 974. Ktl. c. 128. Arnold III 7. änn. >Va1ä. 1185 ^. 0. 90 und<br />
Sven Aggeson 331V1 I 141 c. 20 und ^033 XXIX 36.<br />
4) Saxo 974 ff.<br />
5) Die Schil<strong>der</strong>ung findet sich bei Saxo 974 ff.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
raten wollten, sprangen sie ins Meer und kamen dabei meistens<br />
um. Um ihre Schiffe leichter und für die Flucht schneller zu<br />
machen, warfen die Pommern Pferde und Waffen ins Meer. Rüger<br />
und Dänen setzten ihnen nach, wurden aber durch das bewegte Meer<br />
an <strong>der</strong> Verfolgung gehin<strong>der</strong>t. Iaromar, <strong>der</strong> Fürst von Rügen, versuchte<br />
das Schiff Bogislaws einzuholen und rief dem fliehenden<br />
Herzoge höhnische Worte zu, um ihn zum Kampfe zu reizend).<br />
Bogislaw kümmerte sich nicht darum, son<strong>der</strong>n war nur bemüht, sich<br />
in den Schutz <strong>der</strong> Peenemündung zu retten. Am Abends kehrte<br />
Absalon zurück von <strong>der</strong> Verfolgung <strong>der</strong> Feinde zu seinen Genossen,<br />
die die große Beute bewachten. Von den 500 Schiffen <strong>der</strong> Pommern<br />
waren nur 35^) entkommen, 18 waren untergegangen, fast<br />
100 auf Land gesetzt, die übrigen gerieten in die Hände <strong>der</strong> Dänen.<br />
Von den pommerschen Kriegern retteten sich nur wenige durch die<br />
Flucht- <strong>der</strong> größte Teil ertrank im Meer o<strong>der</strong> wurde erschlagen.<br />
Diejenigen, die das Ufer erreichten, irrten in den Wäl<strong>der</strong>n und<br />
Sümpfen umher und starben vor Hunger und Durst^).<br />
Die Verluste <strong>der</strong> Rüger waren unverhältnismäßig gering. Sie<br />
hatten nur 4 Tote^).<br />
Am folgenden Tage kamen noch 18 dänische Schiffe aus Schonen,<br />
um den Rügern Hilfe Zu bringen. Auch sie erhielten einen Anteil<br />
an <strong>der</strong> riesigen Beute. Dann wurde die heimfahrt angetreten.<br />
Absalon schickte einen vornehmen Einwohner Rügens, mit Namen<br />
Tacho, voraus, um dem Könige die siegreiche Schlacht zu melden.<br />
Als Kaiser Friedrich I. von <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Pommern hörte,<br />
soll er über die dänischen Erfolge furchtbar ergrimmt gewesen sein.<br />
Das Lob Absalons wurde überall verkündet. Sein Ruhm drang<br />
sogar bis Bnzanz"). „Dieser Tag", so schreibt Saxo?), „machte die<br />
seeländischen Häfen und das <strong>Baltische</strong> Meer von dem unheilvollen<br />
Eindruck <strong>der</strong> Piraten frei' er brachte die rohe Wildheit <strong>der</strong> Barbaren<br />
dazu, das Joch zu tragen, und bewirkte, daß unser Vaterland<br />
(Dänemark) sich <strong>der</strong> Herrschaft Slawiens bemächtigte."<br />
Saxo hat nur zu recht gehabt. Und doch, ganz war die pommersche<br />
Wi<strong>der</strong>standskraft noch nicht erloschen. Das sollte auch<br />
1) Nach Arnold Hl 7.<br />
2) Saxo 976.<br />
3) Nach Saxo. Ktl. c. 128 hat 50.<br />
4) Arnold III 7.<br />
^) Saxo 977. Von den dänischen Verlusten erfahren wir nichts.<br />
«) Saxo 978.<br />
7) Saxo 977.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 65<br />
König Knut erfahren, als er im Sommer 1184 (Juli?) um den<br />
Pctrimessetagi) gegen Wolgast vorrückte^).<br />
Die Volgaster hatten neue dänische Kriegszüge vorausgesehen.<br />
Um den Angriff einer feindlichen 3lotte zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> wenigstens<br />
zu erschweren, hatten sie an den tiefen Stellen des Strombettes<br />
Steine versenkt und das Fahrwasser auch durch sonstige<br />
Hin<strong>der</strong>nisse gesperrt. Als die Dänen, die wie<strong>der</strong> durch eine große<br />
Anzahl rügischer Schiffe unterstützt wurden^), in die Peene einfuhren,<br />
räumten sie trotz heftigster Gegenwehr <strong>der</strong> Einwohner von<br />
Wolgast die Hin<strong>der</strong>nisse fort und bahnten sich eine Durchfahrt^).<br />
Als sie aber zur Belagerung näher an die 3este heranrückten, gerieten<br />
ihre Schiffe auf eine Reihe eingerammter Pfähle. Dazu<br />
schleu<strong>der</strong>ten die Wolgaster von ferne ihre Wurfgeschosse. Beson<strong>der</strong>s<br />
hatten sie es auf Absalon abgesehen. Sie hatten ihn an seinem<br />
Schilde erkannt und zielten auf ihn gewaltige Steine, denen er geschickt<br />
auswich. Da man unter diesen Umständen nicht näher an<br />
die Stadt herankommen konnte, ließ man von <strong>der</strong> Bestürmung ab.<br />
Auf den Rat Esberns wurde nun ein Schiff von ungeheurer Größe<br />
mit Brandstoffen gefüllt. Es sollte mit günstigem Winde an eine<br />
Mauerstelle getrieben werden und eine 3euersbrunst in <strong>der</strong> Stadt<br />
hervorrufen. Aber <strong>der</strong> Bran<strong>der</strong> blieb an einem Pfahl im Wasser<br />
hängen und kam nicht an die Mauer heran.<br />
Da erschien Bogislaw am Ufer und bat um Verhandlungen<br />
:uf zweien seiner Schiffe. Absalon lehnte sie auf den Rat eine^<br />
Horwegers Erling ab^). Erling vermutete Verrat von Bogislaw.<br />
Man for<strong>der</strong>te von Bogislaw, daß er ein dänisches Schiff besteige,<br />
renn er verhandeln wolle. Als Bogislaw das seinerseits ablehnte,<br />
glaubten die Dänen ihren Verdacht bestätigt.<br />
Das eine aber hatte Bogislaw durch die Waffenruhe während<br />
)er Verhandlungen erreicht: er hatte Wolgast wie<strong>der</strong> mit Lebensnit'teln<br />
versorgen Könnens.<br />
An eine Einnahme <strong>der</strong> Stadt war von dänischer Seite nicht zu<br />
'enken. Daher versuchten die Dänen den Verteidigern <strong>der</strong> Burg<br />
1) Ktl. c. 129. Wir verstehen darunter den 1. August, Petri Kettenfeier.<br />
3gl. Balt. Stud. N. I. 29, 100.<br />
2) Saxo 978 ff.. Ktl. c. 129. änn. Walä. ä. Q. 90, ^nn. 3orani, I^unä.,<br />
lven8., ^. 0. 91, Vetus dnron. Zialanci. 83^1 II 53.<br />
2) Nur Ktl. c. 129.<br />
4) Saxo 978 ff.<br />
5) Den Namen gibt Saxo. Dieser Erling ist nicht <strong>der</strong> früher erwähnte<br />
Zater des Königs Magnus Erlingson.<br />
e) Ktl. c. 129.
66 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
dadurch Zu schaden, daß sie die Umgegend verheerten. Als sie sich<br />
eine Durchfahrt bahnen wollten, rückten die Verteidiger zu kräftiger<br />
Abwehr vor^). Iwar wurden die Schiffe <strong>der</strong> Wolgaster zuerst<br />
durch die dänischen Bogenschützen zurückgetrieben, aber immer aufs<br />
neue rückten die Wolgaster gegen die dänischen Schiffe vor, sandten<br />
ihre Pfeile in die dänischen Besatzungen, erhoben am Ufer ein lautes<br />
Geschrei und drangen sogar in das kürzlich verlassene dänische Lager<br />
ein. Sie hatten aber die dänische Reiterei nicht bemerkt, die die<br />
Durchfahrt <strong>der</strong> Flotte am Ufer erwartete, und wurden nun, gänzlich<br />
unvorbereitet, zerstreut. Ihre Landsleute sahen dem Kampfe<br />
von den Wällen zu, konnten ihnen aber nicht Hilfe bringen.<br />
Die dänische 3lotte gelangte dann nach Usedom-). AIs die Bewohner<br />
Usedoms davon hörten, zündeten sie ihre vorstädtischen<br />
(8udulban08) Häuser an, um zu verhin<strong>der</strong>n, daß diese das Feuer<br />
in die Stadt trügen, wenn <strong>der</strong> Feind sie anzündete.<br />
Wi<strong>der</strong>standslos konnte <strong>der</strong> Dänenkönig das Land weit und<br />
breit verheeren. Absalon erhielt den Befehl, das Gebiet um Iulin<br />
zu verwüsten und die beiden Burgen an <strong>der</strong> Swine zu zerstören.<br />
Während er selber die Umgegend Iulins brandschatzte^), beauftragte<br />
er seinen Bru<strong>der</strong> Esbern, die Swineburgen anzugreifen. Von weitem<br />
schon verkündete den von Iülin Zurückkehrenden ein gewaltiger<br />
Rauch die Vernichtung <strong>der</strong> Swineburgen^). Auf Befehl des Königs<br />
wurden sie völlig dem Erdboden gleichgemacht. Selbst die Steine<br />
wurden aus den Fundamenten herausgerissen und ins Meer geworfen.<br />
Nachdem die ländliche Umgegend geplün<strong>der</strong>t war, zog König<br />
Knut noch einmal gegen Wolgast^). Am Petrimessetage (I.August)<br />
griff er die Feste vergeblich an, blieb dann noch sechs Tage vor <strong>der</strong><br />
Stadt liegen und mußte schließlich aus Mangel an Lebensmitteln<br />
abziehen. Bei <strong>der</strong> heimfahrt verfolgten ihn die Wenden und erschlugen<br />
6N Dänen.<br />
Knuts erster Wendenzug nach dem Tode seines Vaters, <strong>der</strong><br />
zweite des Jahres 1184, endete ziemlich unrühmlich. Glücklicher<br />
war <strong>der</strong> junge Dänenkönig bei <strong>der</strong> dritten dänischen Unternehmung<br />
1) Saxo 980.<br />
2) Saxo 981.<br />
2) Vgl. Sven Aggeson. 33^ I 141 und ^Q33 XXIX 36.<br />
4) Die Ktl. c. 129 spricht von zwei Vurgen an <strong>der</strong> Ilatzminni, die<br />
Absalon nie<strong>der</strong>brannte. Absalon kehrt dann wie<strong>der</strong> zum Könige fuor Wolgast)<br />
zurück.<br />
") Ktl. c. 129. Nach Saxo endet <strong>der</strong> )ug mit <strong>der</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Swineburgen.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 67<br />
des Jahres 1184^). Sieben Tage vor Michaelis ^) segelte die dänische<br />
Flotte nach Vorpommern und legte bei Strela an. Man stieg<br />
hier an Land, vereinigte sich mit den hilfstruppen, die von den<br />
Rügern gestellt waren^), und griff die Provinz Tribsees an>). Die<br />
Schiffe ließ man bei Strela Zurücks. Vielleicht zog das Heer denselben<br />
Weg wie im Jahre 1171. Man durchquerte den großen<br />
circipanischen Sumpfs), erreichte die urd3 Lubekinca (Lübchin, westlich<br />
von Tribsees in Mecklenburg) und wandte sich von hier aus<br />
in verschiedenen Abteilungen südlich auf Demmin zu. Die Bewohner<br />
(<strong>der</strong> Gegend um Gnoien?) wurden unvermutet überfallen. In<br />
einem großen Ort überraschte man friedlich schmausende Wenden,<br />
die einen feindlichen Angriff nicht erwarteten.<br />
Es erschien dem Dänenkönige aber zu gewagt, mit seinem aufgelösten<br />
Heere weiter vorzudringen. Daher befahl er den Rückmarsch<br />
nach Strela. Der königliche Befehl erreichte Absalon, als er bei<br />
einem reichen Ort ankamt). Durch eine geschickte Bewegung seiner<br />
30 Begleiter wußte er den Anschein einer sehr viel stärkeren Abteilung<br />
zu erwecken, so daß die Wenden in die Wäl<strong>der</strong> flüchteten<br />
and ihren Ort den Dänen preisgaben, die ihn dem Raube <strong>der</strong><br />
Flammen überließen. Mit großer Beute kehrte Absalons Raubmmmando<br />
zum Könige zurück, <strong>der</strong> bei Lubina^) übernachtet hatte").<br />
Nachdem auch die Umgegend dieses Ortes verheert war, durchvan<strong>der</strong>te<br />
man einen Sumpf, über den die Rüger eine Brücke<br />
') Saxo 981 ff.. Ktl. c. 129.<br />
-') Ktl. c. 129. Vgl. Balt. Stud. N. 3. 29. 100.<br />
3) Saxo gibt die Zahl 12 000 an. Nach Iabricius, M. Jb. 6. 21 hat<br />
tilgen 1837 nur 10 366 männliche Einwohner im Alter von 15—60 Jahren<br />
ehabt. Demnach muß Saxo die Iahl gewaltig überschätzt haben. 1924 zählte<br />
tilgen 57 200 Einwohner. Danach würde man höchstens an 18 000 Männer<br />
ln Alter von 15—60 Jahren denken können. Wenn die Dänen auch aus dem<br />
iigischen Festland Zuzug erhalten, so erscheint die Iahl noch reichlich hoch.<br />
Vie soll man eine so große Heeresmacht in diesem unwirtlichen Gelänge<br />
rnähren?<br />
4) Saxo 982. Die Knytlingasaga hat die Namen Tribu Äiz und Tribeden.<br />
3gl. Balt. Stud. N. 3. 29. 124 ff.<br />
5) Ktl. c. 129.<br />
6) Vgl. Balt. Stud. N. 3- 29. 127.<br />
68 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
schlagen mußten, und gelangte nach Strela zurück. Bereits am<br />
nächsten Morgen lichtete die Flotte die Anker zu einer Fahrt nach<br />
Iicker auf Mönchgut (Tikareyjar).i). Knut beabsichtigte, Wusterhusen<br />
(Voztrosu) anzugreifen, wurde aber durch ungünstige Winde<br />
von seinem Vorhaben abgehalten.<br />
Als Vogislaw den Aufenthaltsort <strong>der</strong> dänischen Flotte erfahren<br />
hatte, erschien er mit zwei Schiffen bei dem Könige und bat um<br />
Friedensverhandlungen^). Da Knut Verrat vermutete, lehnte er<br />
jegliche Verhandlungen ab. So mußte Vogislaw unterrichteter Dinge<br />
zurückkehren. Es dauerte aber nicht lange, dann waren die Lebensmittel<br />
<strong>der</strong> Dänen aufgezehrt, und die heimfahrt mußte angetreten<br />
werden.<br />
Ob Knut bei diesem Juge das Gebiet um Tribsees in Besitz<br />
genommen hat, wissen wir nicht. Die Quellen sagen darüber nichts.<br />
Im Frühjahr 1185 brach König Knui mit einem großen Heere<br />
zu einem neuen Wendenzuge auf, um die Schlappe des letzten<br />
Sommers wie<strong>der</strong> gutzumachen^). Absalon, Esbern und viele mächtige<br />
Männer nahmen daran teil. Man plün<strong>der</strong>te zuerst zu beiden<br />
Seiten <strong>der</strong> Peenemündung und fuhr dann, da die Durchfahrt bei<br />
Wclgast wahrscheinlich gesperrt war^), durch die Swine nach Groswin<br />
an dem Peeneflusse (in <strong>der</strong> Gegend um Anklam), das zerstört<br />
wurde"). In dieser armen Landschaft, die nicht einmal eine Stadt<br />
besaß und in <strong>der</strong> das Volk noch tief abergläubisch und unkriegerisch<br />
war, blieb man nur kurze Ieit, weil Futter- und Lebensmittelmangel<br />
sich bemerkbar machte und weil auch Iaromar, <strong>der</strong><br />
wie<strong>der</strong> mit rügischen hilfstruppen an diesem Kriegszuge teilnahm,<br />
aus dem Krummstab eines heidnischen Auguren Unglück voraussagte.<br />
Man schiffte nun mit <strong>der</strong> Flotte nach Iulin und wollte von<br />
hier aus das stark befestigte Kammin angreifen. Als man bei Iulin<br />
ankam, teilte man das Heer. Während die eine Abteilung aus<br />
Seelän<strong>der</strong>n und den Kriegern aus Schonen unter Alexan<strong>der</strong>, dem<br />
Schwestersohn Absalons"), mit rügischer Führung den geraden und<br />
kürzesten Weg (vielleicht zu Wasser) nehmen sollte, beabsichtigte <strong>der</strong><br />
1) Ktl. (I. 129. Nach Saxo 933 kommen die Dänen in den <strong>der</strong> Pcene<br />
am nächsten gelegenen Hafen.<br />
2) Nach Saxo 984 erscheinen nur Vogislaws Gesandte, nicht er selbst.<br />
^) Saxo 984 ff. und Ktl. c. 129.<br />
l) Ktl. c. 129. nicht bei Saxo.<br />
-') Nur Saxo 984. Die Knytlingasaga schließt an die Plün<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Landschaft bei Wolgast sogleich den Kampf bei Kammin (Steinborg) an.<br />
Vgl. über Groswin Balt. Stud. N. 3. 29. 137 ff.<br />
«) Saxo 985.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 69<br />
König mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Abteilung unter Führung von Ortskundigen<br />
auf <strong>der</strong> Festlandsseite vorzudringen.<br />
Alexan<strong>der</strong> gelangte ungesehen bis in die Nähe Kammins^), verriet<br />
aber durch Feuer seine Anwesenheit. Daraufhin machte Bogislaw.<br />
<strong>der</strong> geradem <strong>der</strong> Stadt war, einen Ausfall. Die Dänen wichen<br />
aber auf den Rat des kriegserfahrenen Esbern fortgesetzt zurück,<br />
um Vogislaw weiter von <strong>der</strong> Stadt abzulocken. Bogislaw folgte zunächst,<br />
vermutete aber schließlich einen Hinterhalt und befahl den<br />
Seinen die Rückkehr in die Stadt. Als Esbern das sah, wendete<br />
er auch um und setzte nun seinerseits den Wenden nach, die sich<br />
eiligst in die Stadt flüchteten. Bogislaw entging <strong>der</strong> Gefangenschaft<br />
nur dadurch, daß er sein Pferd im Stich ließ und laufend den Wall<br />
<strong>der</strong> Burg erreichte.<br />
Inzwischen war auch König Knut mit seiner Abteilung nach<br />
einer Irrfahrt durch entlegene Wäl<strong>der</strong> vor Kammin angekommen.<br />
Als er die 3este und den Wall betrachtete, kam die Geistlichkeit <strong>der</strong><br />
Stadt 2) in feierlicher Prozession, angetan mit priesterlichen Gewän<strong>der</strong>n,<br />
mit bloßen Füßen und zerknirschtem Gesicht zu ihm heraus<br />
und bat um Schonung <strong>der</strong> geistlichen Gebäude, die Knut sofort<br />
zusagte.<br />
Bald darauf erschienen auch Gesandte Bogislaws im dänischen<br />
Lagers. Sie wandten sich an Bischof Esbern und baten ihn, bei<br />
dem Könige und Absalon den Frieden zu vermitteln. Sie beteuerten<br />
immer wie<strong>der</strong> Bogislaws Aufrichtigkeit. Er würde innerhalb dreier<br />
Tage selbst zu einer Zusammenkunft erscheinen. Während Absalon<br />
noch großes Mißtrauen zeigte, war <strong>der</strong> König damit einverstanden,<br />
bemerkte aber, daß er dann noch die Landschaft und auch die Nie<strong>der</strong>lassung<br />
(boe; vicu8) bei <strong>der</strong> Burg plün<strong>der</strong>n wolle. Die Gesandten<br />
stellten das vollkommen in sein Ermessen,- nur baten sie ihn, die<br />
Gotteshäuser und die Gehöfte nahe bei ihnen zu verschonen.<br />
Noch am selben Tage durchzog <strong>der</strong> König raubend und brandschatzend<br />
die Provinz um Kammin und kehrte erst am nächsten<br />
Morgen zu seinen Schiffen zurück.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> festgesetzten Frist^) erschien darauf Bogislaw vor<br />
1) Ebd.. s. auch Sven Aggeson. 33K5 I 141.<br />
2) Saxo 985. Die Ktl. c. 129 berichtet, daß die Weiber aus den Gehöften<br />
vor <strong>der</strong> Stadt zum Könige kommen, sich ihm zu 3üßen werfen und<br />
ihn bitten, ihre Gehöfte zu verschonen.<br />
2) Ktl. c. 129. Nach Saxo 986 verhandelt Bogislaw persönlich mit Absalon<br />
uno Iaromar. Absalon lehnt aber eine Vermittlung bei dem Könige ab.<br />
4) Nach Saxo 987 wird Bogislaw im dänischen Lager von Absalon und<br />
Iaromar empfangen und zu König Knut geleitet.
70 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
déni Könige und wie<strong>der</strong>holte sein 3riedensgesuch persönlich. Unter<br />
schweren Bedingungen wurde ihm <strong>der</strong> Friede gewährt. Er mußte<br />
eine schwere Geldbuße zahlen — die Knytlingasaga^) spricht von<br />
3N0 Mark an den König. 800 Mark an Absalon —, sein Erbland<br />
vom Dänenkönige zu Lehen nehmen, einen jährlichen Tribut zahlen<br />
in <strong>der</strong> Höhe, wie ihn die Nüger entrichteten^), und* zur Bürgschaft<br />
des Vertrages die Söhne seiner besten Männer als Geiseln stellen^).<br />
Wenn man die Schwere <strong>der</strong> Bedingungen ansieht, dann kann man<br />
es verstehen, daß Bogislaw bei einem Gastmahl, das ihm Absalon<br />
gab, im Rausch Vergessenheit suchte^). Am folgenden Tage^) begab<br />
sich Vogislaw mit Gattin und Kin<strong>der</strong>n und den Vornehmsten des<br />
wendischen Adels auf Knuts Schiff und bat um Gnade. Während<br />
eines gewaltigen Gewittersturmes leistete er Knut kniend die Huldigung<br />
für das freie Land seiner Vaters.<br />
Pommern war ein dänisches Lehen geworden. Was König Waldemar<br />
in mehr als 20 Jahren erstrebt, was er durch seine zahlreichen<br />
Kriegszüge zu erreichen sich bemüht hatte, seinem Sohne gelang es.<br />
Knut hat das väterliche Iiel klar im Auge behalten. Ja, er lenkte<br />
seinen Blick noch weiter- denn seine Iüge führten ihn noch nach<br />
Finnland und Estland^). Er wollte Dänemark zur herrschenden<br />
Ostseemacht erheben.<br />
3u Ostern (13. April) 1186 fuhr Vogislaw zur feierlichen Lehnshuldigung<br />
nach Roeskildes). Ein Jahr später, am 18. März 1187").<br />
1) Ktl. c. 129. Saxo erwähnt nur, daß Vogislaw eine große Geldsumme<br />
zahlt.<br />
2) Saxo 988.<br />
2) Ktl. c. 129.<br />
4) Saxo 988.<br />
5) Ebd.<br />
6) Paul v. Nießen, Balt. Stud. N. 3. 17, 269, macht darauf aufmerksam,<br />
daß Vogislaw durch seine Unterstellung unter Dänemark dem Erben<br />
Kasimirs, Odolaus, dessen ganzen Besitz er an sich gerissen hatte, die etwaige<br />
Unterstützung durch Dänemark nahm. Vgl. Saxo 967 (Vogislaus) quem<br />
nuper iratris c^ececlentiZ orbitaz kereclem eifecerat. liber Odolaus haben wir<br />
nur ein urkundliches Zeugnis. Er wird als Ieuge in einer Urkunde <strong>der</strong> Herzogin<br />
Anastasia vom Todestage Bogislaws I., 18. März 1187, erwähnt,<br />
P<strong>UB</strong> l 106. Wir wissen über das Verhältnis des Odolaus zu Vogislaw l.<br />
gar nichts.<br />
7) änn. Walä. ä. l). 92 (1191 und 1197). änn. Zoram (1191), /Vnn.<br />
l^unä (1191 und 1197), ^. O. 93, und Vetus
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 71<br />
raffte ihn <strong>der</strong> Tod dahin. Noch auf seinem Sterbebette verpflichtete<br />
er seine Ratgeber, bei <strong>der</strong> Regelung seiner Erbschaft die Entscheidungen<br />
Knuts anzurufeni).<br />
Bald nach seinem Tode fuhren Bogislaws Ratgeber nach Dänemark,<br />
um hier König Knut über die Regelung <strong>der</strong> Nachfolge entscheiden<br />
zu lassen. Bei einer Zusammenkunft in Wordingborch an<br />
<strong>der</strong> SüdkUste Seelands wurde das Land unter Bogislaws Söhne,<br />
Bogislaw und Kasimir, geteilt und ihnen eine Vormundschaft bestellt<br />
2).<br />
Nicht viel später, wahrscheinlich schon im Jahre 1188, brachen<br />
Erbschaftsstreitigkelten in Pommern aus, die 1189 einen dänischen<br />
Kriegszug dorthin notwendig machten^). Es ist anzunehmen, daß<br />
die früher zur Vormundschaft bestellten Männer abgesetzt wurden;<br />
denn Knut bestimmte nun Iaromar von Rügen zum Vormund für<br />
Bogislaws Sühne. Vielleicht ist es dabei zum Kampfe gekommendenn<br />
die ^rm. >Valäem.^) berichten, daß 1190 Bursteburgh (Stettin)<br />
wie<strong>der</strong> aufgebaut worden ist^).<br />
In den folgenden Jahren beschäftigten Knut Kämpfe in Holstein<br />
und Unternehmungen nach Finnland und Estland. Iu einem dänischen<br />
Wendenzuge kommt es erst wie<strong>der</strong> kurz vor dem Ende des<br />
12. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Markgraf Otto II. von Brandenburg hatte sich einige Wendenstämme<br />
unterworfen^), die <strong>der</strong> Dänenkünig zu seinem Machtbereich<br />
rechnete. König Knut erblickte darin eine Mißachtung seiner 5)err-<br />
1) Ktl. c. 130.<br />
2) Die Knytlingasaga nennt die Söhne Bogislaws falsch Nikolaus und<br />
Heinrich. Vgl. P<strong>UB</strong> I S. 528 und 551.<br />
2) änn. Walä. ^. 0. 92, änn. ttxen3. ^. 0. 93, Vetus (ünron. 3ialanä.<br />
33M II 450.<br />
4) ä. D. 92.<br />
5) v. Riehen, Balt. Stud. N. I. 17, 273, will diese Zerstörung Stettins<br />
1176 erfolgt sein lassen (s. Balt. Stud. N. 3. 29, 95 ff.). Wir hören aber<br />
in unsern Quellen von einer Zerstörung nichts; schließlich könnte auch in 14<br />
bezw. 17 Jahren ein großer Teil, wenn nicht die ganze Stadt, wie<strong>der</strong> aufgebaut<br />
sein.<br />
e) Arnold VI 9, /^nn. Walä. (1198), Nestveä. 821—1300 ^.0.94 (N98),<br />
l.ul'6. (N98), K7en8. (1198), 4. Q. 95, und Vetuz dnron. 3ialancl. (1198)<br />
33^11 54. Vgl. auch Krabbo, Regesten <strong>der</strong> Markgrafen von Brandenburg<br />
504—507. Der Markgraf wird sich die Nachbarstämme unterworfen haben.<br />
Dann kommen die Gebiete des südlichen Mecklenburg (Parchim, Waren), die<br />
Landschaft Turne, vielleicht auch das Land Stargard und die Uckermark in<br />
Betracht. Pommern scheint damals von Brandenburg noch zu weit entfernt.<br />
Wir sind nicht <strong>der</strong> Meinung von Passow, Iorsch. zur Brand, und Preuß.<br />
Gesch. 14, 13, daß die Besetzung von Barnim eine Bedrohung des Dänen-
72 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
schaft und rüstete im Jahre 1198^) ein Heer aus. Rüger, Obotriten<br />
und Polaben kamen ihm zu Hilfe. Den Oberbefehl über das<br />
dänische Heer führte Bischof Peter von Roeskilde. Knut selbst<br />
blieb auf Moen zurück. Die dänische Flotte fuhr die Warnow hinauf2).<br />
Das erste Treffen war aber gleich ein vernichten<strong>der</strong> Schlag<br />
für die Dänen. Bischof Peter selbst geriet verwundet in die brandenburgische<br />
Gefangenschaft. Die Dänen hatten manchen Toten und<br />
Verwundeten zu beklagen. Unter den Toten befand sich auch Durbern,<br />
<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> des königlichen Kanzlers Peter. Unter diesen<br />
Umständen wurde das Unternehmen aufgegeben.<br />
Bischof Peter wurde anfangs in strenger Haft gehalten, weil<br />
Otto hoffte, ein großes Lösegeld für ihn zu erhalten. Schließlich<br />
gelang es Peter, durch Bestechung seines Wächters Ludolf aus <strong>der</strong><br />
Gefangenschaft zu entkommen^). — Der Winter 1198/99 war sehr<br />
streng. 3lüffe und Seen waren so fest zugefroren, daß man bequem<br />
hinübergehen konnte. In diefer grimmigen Kälte verwüsteten Otto<br />
von Brandenburg und Adolf von Holstein die Landschaft um Tribsees.<br />
Sie wären auch nach Rügen hinübergegangen, wenn nicht die<br />
Eisdecke durch eintretendes Tauwetter unsicher geworden wäre.<br />
Bei dieser Gelegenheit scheint auch das Kloster Dargun zerstört zu<br />
sein. Die Mönche wan<strong>der</strong>ten aus und gründeten 1199 das Kloster<br />
Eldena bei <strong>Greifswald</strong>.<br />
Der Kampf zwischen Holstein und Dänemark wogte noch einige<br />
Königs darstellt und daß dieser dacum zu den Waffen greift. Barnim entzog<br />
sich <strong>der</strong> Einflußsphäre von Dänemark doch wohl ganz.<br />
1) Die ^nn. Walcl. berichten Zu 1198, daß <strong>der</strong> Markgraf flieht (^arcnio<br />
tußit). Die Gefangennahme Bischof Peters von Roeskilde und die Aufgabe<br />
des dänischen Unternehmens scheinen uns doch für einen Sieg, nicht für eine<br />
Flucht des Markgrafen zu sprechen. Vgl. S. Passow, Die Okkupation und<br />
Kolonisierung des Barnim, Forschungen zur Brand, und Preuß. Gesch. 14,12.<br />
2) Mey, Iur Kritik Arnolds von Lübeck, S. 45. setzt für „O<strong>der</strong>" „Warncw"<br />
ein. Es handelt fich dabei um zwei Rezensionen des Textes. Mey<br />
stellt fest, daß „Warnow" in <strong>der</strong> ersten Fassung gestanden hat. Allerdings<br />
kommt man auf <strong>der</strong> Warnow nicht in das Gebiet des Markgrafen. Das ist<br />
aber auch auf <strong>der</strong> O<strong>der</strong> nicht möglich. Denn das Gebiet des Markgrafen von<br />
Brandenburg erreichte damals (um 1198) noch nicht die O<strong>der</strong>. Aber da<br />
Polaben, Obotriten und Nüger, nicht Pommern, aufgeboten wurden, scheint<br />
<strong>der</strong> Kriegsschauplatz an <strong>der</strong> Südgrenze des heutigen Mecklenburg gewesen zu<br />
sein. Dafür spricht auch <strong>der</strong> spätere Vorstoß des Markgrafen Otto gegen<br />
Tribsees. Der Flußlauf <strong>der</strong> Warnow führt gerade auf die Mitte <strong>der</strong> Nordgrenze<br />
<strong>der</strong> Mark Mark Brandenburg zu. Zur Mark rechnete damals die Altmark,<br />
die Priegnitz, das Havelland und die Zauche, vielleicht auch das Gebiet<br />
um Löwenberg.<br />
2) Arnold VI 9 und 4nn. Walcl. (1199) ä. 0. 94.
Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg. 73<br />
Jahre unentschieden hin und her. Als König Knut VI. im Jahre<br />
1202 starb, setzte Waldemar II., <strong>der</strong> Siegreiche, den Kampf fort.<br />
Noch einmal leuchtete <strong>der</strong> Stern <strong>der</strong> dänischen Großmacht in glänzen<strong>der</strong><br />
Pracht an den Gestaden <strong>der</strong> Ostsee auf. Gestützt auf 14N00<br />
Segels zwang Waldemar Adolf III. von Holstein, auf sein Land<br />
zu verzichten. Norwegen machte er tributpflichtig,- die Grafen von<br />
Schwerin mußten ihr Land aus seiner Hand zu Lehen nehmen. Gestützt<br />
auf 14>000 Segel trug Waldemar die rote 3lagge mit dem<br />
weißen Kreuz, den Danebrog, bis nach Estland und Ösel. Gestützt<br />
auf 14 NW Segel konnte Waldemar von Kaiser Friedlich II. die<br />
Anerkennung <strong>der</strong> neuen Grenzen seines Reiches erhalten (1214).<br />
In kurzer Ieit war Dänemark zu <strong>der</strong> Großmacht <strong>der</strong> Ostsee geworden,<br />
die von <strong>der</strong> Elbe, ja darüber hinaus, bis zum Bottnischen<br />
Meerbusen reichte, und <strong>der</strong> niemand zu wi<strong>der</strong>stehen wagte.<br />
Aber das große, glänzende Gebäude sollte bald zusammenstürzen,<br />
als <strong>der</strong> Bannerträger des Danebrogs gefangen wurde. Ein kleiner,<br />
unscheinbarer 3ürst, <strong>der</strong> Graf Heinrich von Schwerin, <strong>der</strong> nach seiner<br />
Rückkehr aus dem heiligen Lande seinen Bru<strong>der</strong> Gunzelin tot,<br />
dao Land in dänischen Händen fand, nahm den König Waldemar II.<br />
und seinen Sohn auf <strong>der</strong> Insel Lyö im Kleinen Belt am 7. Mai<br />
1223 gefangen und führte beide nach dem Schlosse Dannenberg.<br />
Und nun zeigte es sich, daß die dänische Machtstellung nur auf <strong>der</strong> '<br />
Persönlichkeit des gefangenen Königs beruhte. Sofort erhoben sich<br />
auf allen Seiten die unterjochten Völker, um die verhaßte Dänenherischaft<br />
abzuschütteln. Auch Kaiser Friedrich II. suchte die verlorenen<br />
Neichsteile wie<strong>der</strong> zu gewinnen und die Lehnspflicht des<br />
dänischen Königs wie<strong>der</strong> herzustellen. Waldemar II. mußte auf<br />
seine nordalbinglschen Besitzungen verzichten und die Lehnshoheit<br />
des Kaisers anerkennen. Gegen 40 NON Mark Lösegeld wurde er ^<br />
aus <strong>der</strong> Gefangenschaft entlassen. Zwar erkannte sein Reichsverwesel<br />
Albrecht von Orlamünde den Vertrag nicht an, wurde aber<br />
selbst im Januar 1225 bei Mölln geschlagen und gefangen. Wenn<br />
auch in einem späteren Vertrage vom 17. November 1225 (wahrscheinlich<br />
zu Schwerin) 2) die Lehnspflicht Waldemars gegen oas<br />
Reich nicht erwähnt wurde, so mußte er doch auf das Land zwischen<br />
Elbe und O<strong>der</strong> verzichten. Nur Rügen (und im fernen Osten Estland)<br />
blieb in seiner Hand. In einem neuen Kampfe suchte Waldemar<br />
das Verlorene wie<strong>der</strong>zugewinnen, wurde aber am 22. Juli 1227<br />
bei Bornhöved geschlagen und verwundet. Die Ditmarser Bauern<br />
1) Vgl. Loserth. Gesch. d. spät. Mittelalters S. 61.<br />
2) Vgl. dazu Usinger. Deutsch-dänische Gesch. S. 342 ff.
?4 Dänisch-wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg.<br />
hatten durch ihren Übertritt zu den Gegnern seine Nie<strong>der</strong>lage herbeigeführt.<br />
Infolge dieses Sieges kam Pommern unter die brandenburgische<br />
Lehnshoheiti). Hamburg. Lübeck und die Grafen von<br />
Holstein machten sich von <strong>der</strong> dänischen Herrschaft frei. Durch den<br />
Zusammenbruch <strong>der</strong> dänischen Großmacht wurde die Bahn für die<br />
Entwicklung <strong>der</strong> deutschen Städte an den Meeresküsten <strong>der</strong> Nordund<br />
Ostsee frei, wurde die Bahn frei für die Entwicklung <strong>der</strong> deutschen<br />
Hanse, die an <strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> Dänen als Vormacht in <strong>der</strong> Ostsee<br />
auftrat, bis sie schließlich den wie<strong>der</strong> erstarkten Mächten des<br />
Nordens und Westens und den neuen deutschen Territorialstaaten<br />
unterlag.<br />
i) Siehe Krabbo, Regesten <strong>der</strong> Markgrafen von Brandenburg Nr. 605.
Robert Prutz<br />
als<br />
Herausgeber des<br />
„Deutschen Museums" 1852—66<br />
Ein Beitrag<br />
zur<br />
Geschichte des deutschen Zeitschriftenwesens<br />
von<br />
Prof. Dr. Hans Prutz.
Am 30. Mai 1916 waren hun<strong>der</strong>t Jahre verflossen, seit Robert<br />
Prutz in Stettin das Licht <strong>der</strong> Welt erblickt hatte. Mit <strong>der</strong> Treue,<br />
welche auch <strong>der</strong> Dichter als einen <strong>der</strong> schönsten Iüge in dem Charakter<br />
seiner pommerschen Landsleute gefeiert hat, haben diese den<br />
Tag auch nicht vorübergehen lassen, ohne ihres berühmten Mitbürgers<br />
Andenken in einer beson<strong>der</strong>s feierlichen Weife pietätvoll<br />
zu ehren. Lebt doch fein Namen zufammen mit dem des ehrwürdigen<br />
Gefchichtsschreibers und Dichters Ludwig Giesebrecht (1796<br />
bis 1869) und dem des gefeierten Balladenkomponisten Karl Loewe<br />
(1782^-1872) fort in den Benennungen stattlicher Straßenzüge in<br />
dem neuen Teil <strong>der</strong> mächtig gewachsenen Stadt und klingt so inmitten<br />
des geschäftigen Alltagslebens immer wie<strong>der</strong> an das Ohr<br />
auch des gemeinen Mannes. Trotz <strong>der</strong> fchweren Ieit voller Kriegsnot<br />
und Sorgen aller Art vereinigte am Abend des Säkulartages<br />
eine wohlvorbereitete stimmungsvolle Feier, <strong>der</strong> auch die in Stettin<br />
heimisch gebliebenen Töchter und <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Ferne herbeigeeilte<br />
Sohn des Dichters bewegten Herzens beiwohnten, eine ebenso zahlreiche<br />
wie gewählte Gesellschaft in <strong>der</strong> mächtigen, würdig einfachen<br />
Aula 'des Bismarckrealgymnasiums. Um eine des Dichters Leben,<br />
Leiden und Wirken schil<strong>der</strong>nde gehaltvolle Festrede als Mittelpunkt<br />
gruppierten sich Deklamationen Prutzscher Gedichte und <strong>der</strong> Vortrag<br />
von Kompositionen von solchen, von denen manche ja geradezu<br />
Volkslie<strong>der</strong> geworden sind. Auch gab die Feier Anlaß zur Veröffentlichung<br />
eines zu weitester Verbreitung geeigneten Bändchens,<br />
in dem mit <strong>der</strong> Festrede ausgewählte Prutzfche Gedichte zu einer<br />
ansprechenden Erinnerungsgabe vereinigt sind^).<br />
Auch dieses Bändchen trägt das Gepräge seiner Entstehung aus<br />
einem zunächst nur lokalen Interesse, wie es <strong>der</strong> Prutzfeier den<br />
Ieitverhältnissen entsprechend eignete. Gerade diejenigen Seiten in<br />
dem Wirken des Dichters, welche, betrachtet man dieses im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Zeitgeschichte, um einerseits den Anregungen<br />
nachzugehen, die Prutz aus dieser empfing, und andrerseits den Einfluß<br />
festzustellen, den er seinerseits auf ihren Fortgang ausgeübt<br />
hat, beson<strong>der</strong>s stark hervortreten und als die bedeutendsten erscheinen,<br />
sind bei dieser Gelegenheit nur flüchtig berührt worden, an<strong>der</strong>e ganz<br />
i) Robert Prutz. Gedenkbuch aus Anlaß seines hun<strong>der</strong>tsten Geburtstags,<br />
den 30. Mai 1916. Stettin, Druck und Verlag von Iischer H Schmidt.<br />
1916.
?8 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
unerörtert geblieben. Auf sie näher einzugehen und sie gründlicher<br />
festzustellen, hätte es eines Rückblicks bedurft auf politische und<br />
literarische Gegensätze, die Deutschland ehedem Zerrissen und mit<br />
leidenschaftlichen Kämpfen erfüllten. Diese aber auch nur in <strong>der</strong><br />
Erinnerung neu aufleben zu lassen und dadurch Erörterungen hervorzurufen,<br />
welche den inneren Frieden und die geschlossene Einigkeit<br />
hätten gefährden können, <strong>der</strong>en wir vor allem bedurften, hat<br />
man auch bei dieser Gelegenheit wohlweislich vermieden, handelte<br />
es sich doch um Dinge, die Gott sei Dank abgetan sind und abgetan<br />
bleiben sollen, von so großem geschichtlichen Interesse sie auch noch<br />
sein mögen. Darüber aber wurden gerade diejenigen von seinen<br />
literarischen Leistungen, die Prutz zuerst bekannt gemacht hatten und<br />
auch weiterhin den Zeitgenossen beson<strong>der</strong>s im Gedächtnis geblieben<br />
waren, seine politischen Lie<strong>der</strong>, bei dieser Säkularfeier eben nur<br />
flüchtig in Erinnerung gebracht, gerade solche aber ganz mit Stillschweigen<br />
übergangen, mit denen er auf seine Ieit am stärksten<br />
und verdienstlichsten eingewirkt hat, wie namentlich seine langjährige<br />
Tätigkeit als Herausgeber des von ihm begründeten und mit ebenso<br />
viel Umsicht wie Energie geleiteten „Deutschen Museums".<br />
Wenn im folgenden <strong>der</strong> Versuch gemacht wird, diese Lücke auszufüllen,<br />
fo handelt es sich weniger um eine Vervollständigung des<br />
Bildes von Prutz' literarischer Persönlichkeit als um einen Beitrag<br />
zur Geschichte des deutschen Ieitschriftenwesens in <strong>der</strong> zweiten<br />
Hälfte des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts und damit <strong>der</strong> geistigen Gesamtentwicklung<br />
Deutschlands in einer beson<strong>der</strong>s wichtigen und ergebnisreichen<br />
Übergangszeit. Wurde doch damals die Saat ausgestreut,<br />
die in den folgenden fünfzig Jahren eine so reiche Ernte ergeben<br />
sollte. An dem damals entbrannten Kampf um die Befreiung des<br />
deutschen Geisteslebens von den Banden, welche ihm die bisher siegreiche<br />
Reaktion angelegt hatte, hat Prutz an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> von ihm<br />
für das Deutsche Museum gewonnenen gleichgesinnten Mitarbeiter<br />
hervorragenden Anteil genommen, dabei freilich auch in mehr als<br />
einer Hinsicht ein Martyrium auf fich nehmen müssen, wie es von<br />
einer solchen Tätigkeit damals kaum zu trennen war. Denn viel<br />
enger als heutzutage waren damals in den Anfängen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
deutschen Publizistik sachliche und persönliche Momente mit einan<strong>der</strong><br />
verquickt und mußten daher Freund und Feind gegenüber gleich<br />
restlos eingesetzt werden. Der Sache zum Siege zu verhelfen, ja<br />
zuweilen schon um ihr überhaupt eine Vertretung zu ermöglichen,<br />
durfte mutig auch die Person nicht geschont werden. Daher waren<br />
<strong>der</strong>artige Kämpfe damals nicht bloß heftiger, son<strong>der</strong>n auch gefähr-
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 79<br />
licher für die daran Beteiligten, mochten sie im ganzen auch ritterlicher<br />
geführt werden, namentlich wenn es sich um Fragen handelte,<br />
welche nach den Enttäuschungen von 1848/49 alle herzen beson<strong>der</strong>s<br />
stürmisch bewegten.<br />
Das heutige Geschlecht, das schreibende sowohl wie das lesende,<br />
d. h. die bedenklich angewachsene Iahl <strong>der</strong>er, welche als Publizisten<br />
auf die öffentliche Meinung einzuwirken berufen sein wollen, wie<br />
die noch viel gewaltiger gewachsene Masse <strong>der</strong>jenigen, auf welche<br />
dadurch irgendwie Einfluß geübt werden soll, kann sich kaum noch<br />
eine richtige Vorstellung machen von den Schwierigkeiten, welche<br />
es dabei damals zu überwinden gab. Kaum von den erstickenden<br />
Banden <strong>der</strong> Zensur befreit, aber noch immer möglichst kurz gehalten<br />
und oft planmäßig gehin<strong>der</strong>t, war die deutsche Publizistik den von<br />
<strong>der</strong> neuen Ieit gestellten großen Aufgaben eigentlich innerlich sowohl<br />
wie äußerlich nicht gewachsen. Noch bestand keine von den<br />
großen Revüen, die heute dem gebildeten Publikum eine kaum zu<br />
bewältigende 3ülle verschiedenartigster geistiger Nahrung zuführen<br />
und von dem Leben auf fast allen Gebieten in bequemer Übersicht<br />
ein Bild vermitteln können, wobei freilich nach altem herkommen<br />
<strong>der</strong> schönen Literatur noch immer verhältnismäßig <strong>der</strong> größte Raum<br />
zugestanden wird. Von den wenigen großen Zeitungen, welche<br />
Deutschland damals aufwies, waren nur einzelne, wie die „Augsburger<br />
Allgemeine" und die „Kölnische Zeitung" im Stande, das<br />
heute zu üppigster Entwicklung gediehene Feuilleton so zu pflegen,<br />
daß sie ihren Lesern fortlaufend ein Bild von dem geistigen Inhalt<br />
<strong>der</strong> Ieit geboten hätten. War doch auch die Technik des Buchdruckes<br />
damals noch nicht so hoch entwickelt, daß <strong>der</strong>artige Ansprüche an<br />
die Tagespresse hätten gestellt werden können.<br />
Wenn nun Prutz es unternahm, die in <strong>der</strong> deutschen Publizistik<br />
seiner Ieit klaffende Lücke auszufüllen, indem er ein Organ schuf,<br />
welches „neben <strong>der</strong> Literatur o<strong>der</strong> Kunst das gesammte öffentliche<br />
Leben zunächst Deutschlands zum Gegenstand ebenso gründlicher wie<br />
unabhängiger Erörterung machen sollte, um auf allen Gebieten den<br />
vernünftigen Fortschritt zu för<strong>der</strong>n", so wirkten auch dabei allgemeine<br />
und persönliche Momente zusammen, <strong>der</strong> Ieit überhaupt<br />
entspringende Anregungen, von denen wohl auch an<strong>der</strong>e betroffen<br />
wurden, ohne dadurch zu ähnlichem Vorgehen veranlaßt zu werden,<br />
führten ihn alsbald durch beson<strong>der</strong>e Anlagen und Neigungen nicht<br />
bloß, son<strong>der</strong>n auch durch die Verhältnisse gesteigert zu einem Unternehmen,<br />
bei dem auch eine gewisse traurige wirtschaftliche Notwendigkeit<br />
von entscheidendem Einfluß war.
80 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
I.<br />
Im Frühjahr 1849 wurde Prutz unter ausdrücklicher Anerkennung<br />
<strong>der</strong> maßvollen und besonnenen Haltung, die er in den Ereignissen<br />
des Jahres zuvor beobachtet hatte, zum außerordentlichen<br />
Professor <strong>der</strong> Literaturgeschichte an <strong>der</strong> Universität Halle ernannt,<br />
irotz seiner allgemein anerkannten Leistungen auf diesem Gebiete in<br />
ungewöhnlich provisorischer 3orm und sozusagen auf Probe und<br />
Wi<strong>der</strong>ruf. Die Stelle war nicht etatsmäßig' denn das Gehalt von<br />
500 Talern wurde aus <strong>der</strong> königlichen Schatulle gezahlt, konnte<br />
also je<strong>der</strong>zeit einbehalten werden. Wer mit den damals in Halle<br />
herrschenden politischen und kirchlichen Verhältnissen vertraut war,<br />
hätte meinen können, von einer unsichtbaren mächtigen Hand sei<br />
den: Dichter die Gunst, die ihm auf Fürsprache beson<strong>der</strong>s Alexan<strong>der</strong><br />
v. Humboldts von dem Minister v. Ladenburg ausgewirkt worden<br />
war. zum voraus nicht bloß um ihre Wirkung gebracht, son<strong>der</strong>n<br />
geradezu in ihr Gegenteil verkehrt worden. So großen Zulauf<br />
Prutz anfangs in seinen Kollegien hatte: unter dem alsbald einsetzenden<br />
und stetig wachsenden Druck, den die an <strong>der</strong> Universität<br />
allmächtige Reaktion ausübte, blieben die um ihre Stipendien, um<br />
den Ausfall ihrer Prüfungen und um ihr künftiges amtliches Fortkommen<br />
besorgten Studierenden bald aus und die Hoffnung auf eine<br />
geordnete, fruchtbare und befriedigende akademische Tätigkeit erwies<br />
sich als hinfällig. Von kollegialen Beziehungen, welche, wissenschaftlich<br />
anregend und för<strong>der</strong>nd, einen gewissen Ersatz hätten bieten können,<br />
war nicht die Rede. Dazu kam <strong>der</strong> Druck <strong>der</strong> äußeren Verhältnisse,<br />
welche durch ein jahrelanges unstätes Wan<strong>der</strong>leben ohne festen<br />
Rückhalt natürlich nicht gebessert worden waren. Fast zusammenbrechend<br />
unter dem Druck dieser Enttäuschungen erkrankte Prutz<br />
und mußte auf ein Jahr Urlaub nehmen, den er in Jena verbrachte.<br />
In dessen gesun<strong>der</strong> Luft und im Kreise <strong>der</strong> dortigen gleichgesinnten<br />
alten Freunde lichtete er sich wie<strong>der</strong> auf und faßte den Entschluß,<br />
wl^
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 81<br />
Wolfsohn (1820—55) war von israelitischen Eltern in Odessa geboren,<br />
hatte sich nach Vollendung seiner philosophischen <strong>Studien</strong> in<br />
Leipzig als feuriger Lyriker bekannt gemacht und dann, in Dresden<br />
lebend, um die Herstellung näherer Beziehungen zwischen <strong>der</strong> deutschen<br />
und <strong>der</strong> russischen Literatur bemüht, auch durch beifällig aufgenommene<br />
Vorlesungen über Literaturgeschichte ähnlich wie Prutz<br />
;u wirken gesucht. Doch erwies er sich seiner ganzen Richtung nach<br />
and nach seinem Temperament zu einer so vielseitigen und verantwortlichen<br />
Tätigkeit wie <strong>der</strong> Leitung einer so groß angelegten Ieitchrift<br />
bald nicht als geeignet und ist schon nach wenigen Monaten<br />
wvon zurückgetreten.<br />
Mag nun auch das Programm, auf Grund dessen das „Deutsche<br />
Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben",<br />
eit Neujahr 1852 erschien, von Prutz noch in Gemeinschaft mit<br />
Volfsohn festgestellt worden sein, so muß doch seine Durchführung<br />
lls das Werk allein von Prutz anerkannt und zugleich als eine un-<br />
>ewühnlich glänzende Leistung redaktioneller Tätigkeit bezeichnet<br />
oerden. Im Hinblick auf die Tatsache, daß es damals in Deutschand<br />
überhaupt an einem Organ fehlte, welches die verschiedenen,<br />
lurch eigene Organe vertretenen beson<strong>der</strong>en Interessen einheitlich<br />
u vertreten und zwischen ihnen zu vermitteln unternommen hätte,<br />
ind daß infolgedessen die deutsche Journalistik Gefahr lief, einen<br />
>er entwicklungsfähigsten Zweige unentwickelt zu lassen, wurde es<br />
ils die Bestimmung <strong>der</strong> neuen Zeitschrift bezeichnet, „dem geildeten<br />
Publikum einen neuen Mittelpunkt zu schaffen für seine<br />
iterarischen und künstlerischen Interessen und dieselben Grundätze,<br />
auf die alle politische Macht und Größe gegründet ist, auch<br />
m Gewande <strong>der</strong> wissenschaftlichen und belletristischen Journalistik<br />
ll das Gedächtnis zurückzurufen". Darin schon kam die praktischolitische<br />
und national-erziehende Tendenz zum Ausdruck, die Prutz<br />
üt dem „Deutschen Museum" verfolgen wollte „unter Benutzung<br />
lles dessen, was die Zukunft unseres von so schweren Enttäuchungen<br />
betroffenen Vaterlandes günstiger zu gestalten geeignet<br />
chien". Ausgeschieden war damit von vornherein, was dem Stoff<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> Behandlung nach einen ausgesprochen fachwissenschaftlichen<br />
Charakter trug, als in sein Gebiet gehörig dagegen alles in Anpruch<br />
genommen, was aus <strong>der</strong> Literatur, Kunst und Wissenschaft<br />
nd aus dem öffentlichen Leben Deutschlands sowie einzelner fremer<br />
Län<strong>der</strong> gebildete Leser zu fesseln irgend geeignet und würdig<br />
mr. Bestimmt, die Ergebnisse <strong>der</strong> strengen Wissenschaft unter Abhüttelung<br />
<strong>der</strong> Spuren des Staubes und des Schweißes <strong>der</strong> ge-
82 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
lehrten Arbeit möglichst zum Gemeingut <strong>der</strong> Gebildeten zu machen<br />
sollte das „Deutsche Museum" daher aus dem Gebiete <strong>der</strong> Theo<br />
logie, Philosophie und Jurisprudenz nur den Erscheinungen nach<br />
gehen, die für das Volksleben wichtig zu werden versptachen. Un<br />
so größere Beachtung werden die Naturwissenschaften, die Ge<br />
schichte und namentlich die Literaturgeschichte finden, demnächst di><br />
Altertumswissenschaft im weitesten Sinne des Wortes und di«<br />
Kunst auf allen Gebieten ihrer Tätigkeit, einschließlich <strong>der</strong> Bühne<br />
Verheißen wird dafür die Übung einer ästhetischen Kritik, welch«<br />
ihren Stolz darein setzt, Strenge <strong>der</strong> Grundsätze und Unparteilich<br />
keit des Urteils mit Milde und Würde <strong>der</strong> Darstellung zu ver<br />
binden. Was dann aber das neue Unternehmen gegenüber früherei<br />
und damals noch bestehenden am schärfsten zu kennzeichnen verhieß<br />
das war <strong>der</strong> starke Ton, <strong>der</strong> auf die Stellung gelegt wurde, di«<br />
es zum öffentlichen Leben einnehmen sollte, indem es die Staa<br />
und Gesellschaft berührenden 3ragen zu erörtern verhieß, also aucl<br />
noch das zu leisten, was damals nur einige wenige große Ieitungei<br />
leisteten. Die Tagesgeschichte nicht nur, son<strong>der</strong>n auch die National<br />
ükonomic und die Industrie sollten gleichmäßig behandelt und den<br />
Interesse und Verständnis <strong>der</strong> Leser nahegebracht werden. Si<br />
konnte freilich <strong>der</strong> produktiven Belletristik nur noch ein sehr be<br />
schränkter Raum zugestanden werden, und deshalb mußte das we<br />
nige, was an Gedichten, Novellen und Proben dramatischer Dich<br />
tung geboten werden konnte, einer strengen Prüfung unterworfei<br />
werden. Endlich sollten die neuen literarischen Erscheinungen il<br />
kurzen kritischen Referaten möglichst vollzählig verzeichnet werden<br />
Bei alledem, so wurde verheißen, sollte nicht eine laue Indifferen.<br />
herrschen, son<strong>der</strong>n festgehalten werden an den erhabenen Grundsätze!<br />
<strong>der</strong> Freiheit, des Rechts und <strong>der</strong> Sittlichkeit und ein energische<br />
haß gegen alles Schlechte, Unwahre und Gemeine, in aufrichtigen<br />
Patriotismus und treuer Hingabe an die Interessen deutscher Einig<br />
keit, Macht und Ehre. Denn nichts an<strong>der</strong>es erstrebe <strong>der</strong> herausgebe<br />
als die Ehre unserer Literatur und den Ruhm des deutschen Na<br />
mens. Das Programm schloß mit den Worten: „Möge es ge<br />
lingen, wenn die so heißersehnte politische Einheit uns einstweilei<br />
versagt bleiben soll, in dem „Deutschen Museum" wenigstens einet<br />
Sammelpunkt literarischer und künstlerischer Einheit herzustellen<br />
nicht um für jene zu entschädigen — wie wäre das möglich? —<br />
wohl aber auf sie vorzubereiten und den Weg zu ihr zu bahnen/<br />
Mit wie sicherem Blick Prutz die Bedürfnisse eines großer<br />
Teils des gebildeten deutschen Publikums erkannt hatte, welche!
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 83<br />
durch die Ereignisse <strong>der</strong> letzten Jahre zu lebhafterer und verständnisvollerer<br />
Teilnahme für die Erscheinungen des öffentlichen Lebens<br />
erweckt worden war, und wie richtig <strong>der</strong> Weg war, den er zu<br />
seiner Befriedigung einschlug, hat <strong>der</strong> Erfolg gelehrt, <strong>der</strong> dem „Deutschen<br />
Museum" alsbald zuteil wurde und ihm, rasch steigend, wählend<br />
des nächsten Jahrzehntes treu blieb. Die neue Zeitschrift, obgleich<br />
sie es verschmähte, zu ihren Lesern herabzusteigen, diese vielnehr<br />
zu sich emporzuheben trachtete, gewann schnell nicht bloß ein<br />
'zahlreiches und dankbares Publikum, son<strong>der</strong>n auch — was noch<br />
nehr sagen wollte und ihr Gedeihen beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>te — einen<br />
mgewöhnlich stattlichen Stamm von gleichstrebenden Mitarbeitern.<br />
Kaum einer von den Männern, welche damals in deutscher Dichung,<br />
Kunst und Wissenschaft einen Namen hatten o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> das<br />
iffentliche Leben allmählich stärker durchdringenden, freiheitlichen<br />
Lewegung eine Nolle spielten, fehlt darunter. Fast jede Nummer<br />
vi<strong>der</strong>legte vielmehr die anfängliche Behauptung <strong>der</strong> Gegner, das<br />
.Deutsche Museum" sei auf eine bestimmte politische Richtung einzeschworen<br />
und gehe nur darauf aus, dieser zur Herrschaft zu verjelfen.<br />
Abgesehen von den Vertretern <strong>der</strong> politischen und <strong>der</strong> kirchichen<br />
Reaktion, die sich selbstverständlich je<strong>der</strong> Gemeinschaft mit<br />
»er von ihnen verketzerten und bald leidenschaftlich verfolgten Ieitchrift<br />
enthielten, kam in dieser je<strong>der</strong> zu Wort, <strong>der</strong> etwas sachlich<br />
Vertvolles und den Fortschritt zu för<strong>der</strong>n Geeignetes mitzuteilen<br />
»atte, mochte auch gelegentlich <strong>der</strong> Herausgeber es für angezeigt<br />
»alten, seinen prinzipiell abweichenden Standpunkt durch eine kurze<br />
edaktionelle Bemerkung zu wahren. Mit berechtigter Befriedigung<br />
onnte daher Prutz am Schluß des ersten Jahrgangs feststellen, daß<br />
ein Aufruf zur Mitarbeit bei den bedeutendsten Dichtern, Geehrten<br />
und Publizisten fast über Erwarten lebhaften Wi<strong>der</strong>hall<br />
efunden habe: wohl hätten manche das Programm zu weit geaßt<br />
und nicht entschieden genug gefunden und darin einen belimmten<br />
Parteistandpunkt scharf ausgeprägt vermißt. Darauf antwortet<br />
er an <strong>der</strong> Spitze des zweiten Jahrgangs, mit dem das<br />
Deutsche Museum" in den Verlag von F. A. Brockhaus überging,<br />
lit <strong>der</strong> Erklärung, zur Ieit gebe es ja nur eine siegreiche Partei,<br />
ie <strong>der</strong> Pfaffen und Junker, denn die Konstitutionellen hätten ihre<br />
5ache im Stich gelassen und dadurch sich selbst aufgegeben. „Der<br />
bstrakten Parteien", so bemerkt er weiter, „haben wir schon genug,<br />
uch des Elends, Gott verzeih' es, des Elends, das infolge dieser<br />
lbstraktionen über das Vaterland kam, ist genug geschehen." Im<br />
Gegensatz zu den schnell fertigen Entwürfen <strong>der</strong> Weltverbesserer
84 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
bekennt Prutz, „in seiner Beschränktheit keinen an<strong>der</strong>n Weg zi<br />
wissen als den langsamen, mühseligen, <strong>der</strong> nach dem Wort de?<br />
Dichters:<br />
Juin Bau <strong>der</strong> Ewigkeiten<br />
Iwar Sandkorn nur zu Sandkorn reicht,<br />
Doch von <strong>der</strong> großen Schuld <strong>der</strong> Jetten<br />
Minuten, Tage. Jahre streicht.<br />
auch — wir hoffen es — von <strong>der</strong> Schuld unserer Knechtschaft."<br />
So wenig Prutz demnach in dieser Richtung den Wünschen un<br />
geduldig vorwärtsdrängen<strong>der</strong> Freunde nachgab und das „Deutsch<br />
Museum" eine entsprechend schärfere Tonart nicht anschlagen ließ<br />
so unverbrüchlich hielt es die weitherzigen Grundsätze fest, zu denei<br />
er sich im Gegensatz zu <strong>der</strong> herrschenden Reaktion und <strong>der</strong> von ih<br />
begünstigten Publizistik für das „Deutsche Museum" bekannt hattc<br />
und trug kein Bedenken, mit rücksichtslosem Freimut und unte<br />
Einsetzung seiner ganzen Persönlichkeit dieselben zu vertreten, j<br />
nach den Umständen in begeisterten Worten Recht und Freiheit ver<br />
teidigend o<strong>der</strong> mit beißendem Spott und bitterem Hohn die Gegne<br />
bloßstellend. Dadurch erhob er die politische o<strong>der</strong> literarische Fehd<br />
aus <strong>der</strong> Sphäre des Parteigezänks in die des Kampfes um er<br />
strebenswerte Ziele einer besseren nationalen Zukunft, welche de<br />
Lesern mahnend und ermutigend in Erinnerung zu bringen er kein<br />
Gelegenheit versäumte. Alle Zeit hielt er an dem Gelöbnis fesi<br />
mit dem er das Programm des „Deutschen Museums" <strong>der</strong>einst ge<br />
schlössen hatte, voll aufrichtigem Patriotismus und treuer Hin<br />
gebung an die Interessen <strong>der</strong> deutschen Einigkeit, Macht und Ehrc<br />
nichts erstreben zu wollen als die Ehre unserer Literatur und de<br />
Ruhm des deutschen Namens. Nur konnte er den Glauben an ein<br />
baldige Besserung <strong>der</strong> deutschen Zustände unter dem entmutigende<br />
Eindruck gewisser Vorgänge <strong>der</strong> folgenden Jahre doch nicht imme<br />
aufrecht erhalten. Dann machte patriotischer Unmut ihn zum eifern<br />
den Bußprediger, <strong>der</strong> auch sich selbst und seine Genossen nicht schontl<br />
son<strong>der</strong>n ebenfalls für die nicht endenwollenden Enttäuschungen ver<br />
antwortlich machte, wie z. B. in dem Nachruf, den er dem von de<br />
Reaktion ins Elend getriebenen und zu Grunde gegangenen Gusta<br />
Julius widmete, worin er sich in leidenschaftlichen Worten über di<br />
Elendigkeit <strong>der</strong> deutschen Zustände ergeht und die Klage um de<br />
früh zusammengebrochenen, hoffnungsvollen jungen Freund zu eine<br />
flammenden Anklage werden läßt gegen die eigene Partei, die i<br />
den Trümmern eines so zusammenbrechenden Daseins nur eine al!
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 85<br />
gemeine, unentwirrbare Verschuldung sehen wollte (Deutsches Mueum<br />
1853 II 313 ff.).<br />
Neu nicht sowohl durch die Verschiedenheit und den Umfang<br />
)er literarischen Gebiete, die es auszubauen unternahm, son<strong>der</strong>n auch<br />
)urch die Art, wie es dieselben zusammenzufassen und als Teile<br />
;iner großen Einheit in ihren Beziehungen zum öffentlichen Leben<br />
gleichmäßig pflegen wollte, knüpfte das „Deutsche Museum" doch<br />
mch an das an, was auf diesem Gebiet in Deutschland Herkümmich<br />
war, indem es ungeachtet <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> ihm gestellten Aufgaben<br />
doch <strong>der</strong> schönen Literatur <strong>der</strong> Gegenwart gewissermaßen den<br />
Vortritt ließ und in Anpassung an den Geschmack des Publikums,<br />
welches diese leichtere Kost nun einmal nicht ganz entbehren mochte,<br />
gelegentlich einen größeren Raum zugestand. Galt es doch nicht<br />
bloß in dem Bilde von Deutschlands geistigem Leben, welches das<br />
„Deutsche Museum" seinen Lesern bieten wollte, auch <strong>der</strong> zeitgenössischen<br />
deutschen Dichtung zu ihrem Rechte zu verhelfen, son<strong>der</strong>n<br />
auch aufstrebenden jüngeren Talenten den Weg in die Öffentlichkeit<br />
zu bahnen und in weiteren Kreifen wohlwollendes Gehör<br />
zu verschaffen. Das ist denn auch in reichstem Maße geschehen:<br />
fast alle die poetischen Talente, die während <strong>der</strong> nächsten Jahre als<br />
solche beson<strong>der</strong>s anerkannt wurden und Boden gewannen, sind zuerst<br />
durch das „Deutsche Museum" bekannt geworden. Die lange Reihe<br />
<strong>der</strong>selben durchgehend hat man gewissermaßen einen übersichtlichen<br />
Abriß <strong>der</strong> deutschen Dichtung <strong>der</strong> fünfziger Jahre des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
vor sich, vornehmlich <strong>der</strong> lyrischen, in <strong>der</strong> Prutz selbst eine<br />
zweite, erstaunlich produktive Jugend erlebte. Da erscheinen nach den<br />
Trägern längst berühmter Namen wie Emanuel Geibel, hoffmann<br />
v. 3allersleben, Julius Mosen, Georg Friedr. Daumer. Hebbel und<br />
Anastasius Grün, von denen gleich die ersten Nummern <strong>der</strong> Wochenschrift<br />
Proben ungedruckter Dichtungen brachten, fast vollzählig die<br />
Vertreter <strong>der</strong> jüngeren Generation, die unserer Literatur in <strong>der</strong><br />
Folge ihr Gepräge gegeben hat, um nur die bekanntesten zu nennen:<br />
Theodor Fontane. Karl Beck, Hacklän<strong>der</strong>, Gottfried Keller und<br />
Melchior Meyr, also nebeneinan<strong>der</strong> Sühne <strong>der</strong> Mark, Österreichs,<br />
<strong>der</strong> Schweiz und Bayerns, und weiter dann Arnold Schünbach,<br />
Julius Rodenberg, Ludwig Frankl. Julius Grosse, Alfred Träger,<br />
Theodor Storm, Bernhard Endrulat, Adolf Strodtmann, Hermann<br />
Lingg, Hans Hopfen, Emil Nittershaus, Rudolf Gottschall u. a. m.,<br />
ganz abgesehen von denen, welche, wie Moritz Carriere, Heinrich<br />
v. Treitschke, Ferdinand Gregorovius, Felix Dahn und Julius<br />
Braun, sich daneben auch in <strong>der</strong> Wissenschaft einen Namen erworben
86 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
haben. Noch viel größer freilich war die Zahl <strong>der</strong>jenigen, welche<br />
den im „Deutschen Museum" erschienenen Erstlingen ihrer Muse<br />
poetische Leistungen weiter nicht folgen ließen. Von Schriftstellerinnen<br />
dagegen hat nur die talentvolle Luise v. Galt, die Gattin<br />
Levin Schückings, mit einigen ansprechenden Novellen Aufnahme<br />
gefunden.<br />
Viel bedeuten<strong>der</strong> aber noch, schon weil von weit größerem Umfang<br />
und von weit nachhaltigerer Wirkung als <strong>der</strong> Einfluß, den<br />
das „Deutsche Museum" durch die För<strong>der</strong>ung aufstreben<strong>der</strong> Talente<br />
auf die Entwicklung unserer Literatur ausübte, wurde die hohe<br />
kritische Autorität, die es sich in kurzer Ieit erwarb. Mit unermüdlichem<br />
Eifer wurden von Prutz und seinem wohlorganisierten<br />
Stab von Mitarbeitern die einan<strong>der</strong> in fast erdrücken<strong>der</strong> Menge<br />
und Stetigkeit folgenden neuen Erscheinungen in dem Gebiete <strong>der</strong><br />
schönen Literatur möglichst rasch einer kritischen Besprechung unterzogen,<br />
wobei die verheißene wohlwollende und milde Beurteilung<br />
freilich zuweilen auf eine harte Probe gestellt wurde und nicht immer<br />
behauptet werden konnte. So sehr sie am Platz war, wo redliches<br />
Streben anzuerkennen und ein Talent zu ermutigen war, durfte sie<br />
nach Prutzens Ansicht nicht zugelassen werden, wo es Geschmacklosigkeit<br />
zu bekämpfen o<strong>der</strong> gar gefährliche Prinzipien zurückzuweisen<br />
galt. Das aber war damals dringend geboten gegenüber<br />
gewissen Erzeugnissen <strong>der</strong> Belletristik, welche in einem bedenklichen<br />
Gemisch von scheinheiliger Frömmigkeit und schlecht verhüllter Sinnlichkeit<br />
als Musterstücke einer Gattung gebrandmarkt werden mußten,<br />
die, von gewisser Seite begünstigt und ausgelobt, wie eine Art<br />
von Erbauungsbüchern von dem Schlage des damals anonym erschienenen<br />
Romans „rlritiz 5icut Deu8" Mode zu werden drohten<br />
und vom Publikum förmlich verschlungen wurden. Natürlich vermehrte<br />
diese Haltung des „Deutschen Museums" nicht bloß die<br />
Zahl seiner Gegner in <strong>der</strong> herrschenden Partei <strong>der</strong> Pfaffen und<br />
Junker, welche diefe Literatur beson<strong>der</strong>s begünstigten, son<strong>der</strong>n steigerte<br />
auch ihre Erbitterung und veranlaßte sie, jede Gelegenheit zu<br />
benutzen, um ihren haß gegen den Herausgeber zu betätigen.<br />
An solchen fehlte es lei<strong>der</strong> nicht. Lief doch <strong>der</strong> Herausgeber einer<br />
solchen Wochenschrift nur allzuoft Gefahr, durch einen unverschuldeten<br />
Zwischenfall die rechtzeitige Fertigstellung des fälligen Heftes<br />
gefährdet zu sehen, und mußte dann wohl o<strong>der</strong> übel selbst in die<br />
Lücke eintreten und sie aushilfsweise füllen. Daß dabei die Sache<br />
nicht so genau genommen und die Worte nicht so gewogen wurden,<br />
wie das sonst geschah, ist begreiflich und hatte Inkorrektheiten im
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 87<br />
Ausdruck o<strong>der</strong> Ungenauigkeiten in <strong>der</strong> Sache zur Folge. Die wenigen<br />
Male, wo auch Prutzen das begegnete, wurden von seinen<br />
Gegnern eifrigst ausgenutzt: eine solche Entgleisung wurde dargestellt<br />
als typisches Beispiel für die angeblich leichtfertige Art, in <strong>der</strong><br />
Prutz feines Amtes als Herausgeber walten follte. Das Üble war<br />
nur. daß folche literarifche Fehden damals immer gleich auf das<br />
politische Gebiet hinübergriffen und dort mit Hilfe <strong>der</strong> dazu immer<br />
nur allzu bereiten amtlichen Instanzen entfprechend ausgenutzt wurden.<br />
Darin lag auch die Bedeutung des nicht ganz unbegründeten<br />
und nicht ohne Witz ausgeführten Angriffs, den ein Anonymus<br />
— er bezeichnete fich selbst als einen „Giaur" — aus einem Anlaß<br />
<strong>der</strong> Art 1853 gegen Prutz als den „großen Pafcha von Halle" richtete.<br />
Er wurde erst später als das Signal erkannt, welches die<br />
reaktionäre Presse zum Sturmlauf gegen Prutz und sein an Ansehen<br />
zunehmendes Organ unternehmen sollte.<br />
Nun machte aber die umfangreiche und zuweilen schwer lastende<br />
Nezensententätigkeit, die an sich nicht eben viel Befriedigung gewähren<br />
konnte, doch nur einen kleinen Teil aus von <strong>der</strong> Arbeitslast,<br />
welche <strong>der</strong> Herausgeber des „Deutschen Museums" und seine ständigen<br />
Mitarbeiter zu tragen hatten, um <strong>der</strong> deutschen Literatur <strong>der</strong><br />
'Gegenwart völlig gerecht zu werden. Vielmehr unterzogen sie von<br />
Zeit zu Ieit den einen o<strong>der</strong> den an<strong>der</strong>n Iweig <strong>der</strong>selben einer gründlicheren<br />
monographischen Behandlung, wobei sie nicht bloß das<br />
neuerdings darin Geleistete einheitlich betrachteten, son<strong>der</strong>n auch<br />
dabei aufsteigende prinzipielle Fragen eingehend erörterten, um sich<br />
mit den aufkommenden neuen Richtungen auseinan<strong>der</strong>zusetzen und<br />
<strong>der</strong>en Berechtigung zu prüftn. Solche Beiträge wuchsen sich gelegentlich<br />
zu wertvollen <strong>Studien</strong> aus. die sachlich bleibenden Wert<br />
hatten und von dem Fachmann auch noch später nicht übersehen<br />
werden durften. In dieser Art beschäftigte sich Prutz selbst in dem<br />
ersten Jahrgang eingehend mit dem Drama <strong>der</strong> Gegenwart; <strong>der</strong><br />
ebenso scharffinnige wie geistvolle, zuweilen aber etwas manierierte<br />
Adolf Ttahr, einer <strong>der</strong> eifrigsten Mitarbeiter des „Deutfchen Museums",<br />
charakterisierte die mo<strong>der</strong>nen Romantiker; Karl Gutzkow<br />
polemisierte witzig gegen die „Blütenlesler", d. h. die Herausgeber<br />
<strong>der</strong> damals allzusehr in Aufnahme gekommenen Anthologien, und<br />
<strong>der</strong> Königsberger Philosoph Karl Rosenkranz machte Gutzkows eben<br />
erschienene „Ritter vom Geist" zum Ausgangspunkt für geistreiche<br />
Betrachtungen über den Roman als Kunstform.<br />
Über die Warenproduktion <strong>der</strong> Gegenwart aber, die doch nur<br />
ausnahmsweise einmal volle Befriedigung gewährte, wurde die er-
88 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
freulichere ältere Literatur im „Deutschen Museum" nicht vernachlässigt,<br />
vielmehr ihre Geschichte dauernd sorgsam gepflegt, sodaß<br />
seine lange Bän<strong>der</strong>eihe noch heute eine nicht zu erschöpfende Fundgrube<br />
dafür bietet und auch von dem Forscher nicht unbeachtet gelassen<br />
werden darf. Daß dabei die älteren Zeiten verhältnismäßig<br />
dürftig fortkamen, ist begreiflich- noch stand auch die Goetheforschung<br />
damals nicht fo hoch in <strong>der</strong> Gunst des Publikums wie heutigen<br />
Tages, wo sie bis zu einem gewissen Grade Modesache geworden<br />
ist und man zuweilen fast zweifeln möchte, ob sie wirklich noch soviel<br />
Nutzen stiftet und so großen Gewinn bringt, wie ihre Adepten<br />
meinen. Wohl aber bot gleich <strong>der</strong> erste Aufsatz, <strong>der</strong> das „Deutsche<br />
Museum" eröffnete und somit für ein Stück Programm gelten<br />
konnte, wertvolle Mitteilungen zu Goethes Leben aus <strong>der</strong> 3e<strong>der</strong><br />
des in Weimar heimischen hochverdienten Adolf Scholl, <strong>der</strong> es sich<br />
allezeit beson<strong>der</strong>s hat angelegen sein lassen, die großen Traditionen<br />
unserer klassischen Zeit auch in <strong>der</strong> Gegenwart zu Ehren zu bringen.<br />
Ahnliche Beiträge verdankte die Zeitschrift dem ebenso unermüdlichen<br />
wie als Fin<strong>der</strong> glücklichen und als Kritiker scharfsinnigen Guhrauer.<br />
Hermann Hettner behandelte geistvoll Goethes Verhältnis zum<br />
Sozialismus, während Heinrich Pröhle, <strong>der</strong> seinen heimischen harzbergen<br />
immer neue anziehende Seiten abgewann, Bürgers Verhältnis<br />
zu <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Dichtung zum Gegenstand einer anregenden<br />
Betrachtung machte. Diese gleich anfänglich eingeschlagene Richtung,<br />
welche <strong>der</strong> wissenschaftlichen Vergangenheit feines Herausgebers<br />
entsprach, hielt das „Deutsche Museum" auch in <strong>der</strong> Folge fest<br />
und hat dadurch auf weitere Kreise literarhistorisch anregend gewirkt<br />
in einer Zeit, in <strong>der</strong> das immer mächtiger andrängende politische<br />
Interesse die Teilnahme des gebildeten Publikums immer ausschließlicher<br />
in Anspruch nahm.<br />
Nichts jedoch lag <strong>der</strong> Leitung des „Deutschen Museums" dabei<br />
ferner als jene befangene nationale Einseitigkeit, welche die deutsche<br />
Literatur aus ihrem natürlichen, lebendigen Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />
gesamten Geistesentwicklung <strong>der</strong> europäischen Völker gelöst zu betrachten<br />
unternahm. Vielmehr wurden ihre Beziehungen zu den<br />
fremden Literaturen, die Anregungen, die sie von diesen empfing,<br />
und die Einwirkungen, die sie ihrerseits auf jene ausübte, nicht<br />
bloß vom geschichtlichen Standpunkt aus erwogen, son<strong>der</strong>n auch<br />
nach ihrem ästhetischen Wert und gelegentlich auch nach ihrer praktischen<br />
Bedeutung gewürdigt, um in dem einen Fall vor Überschätzung<br />
des einen zu warnen, in dem an<strong>der</strong>n auf das noch nicht<br />
hinreichend gewürdigte aufmerksam zu machen. Die großen Denker
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 89<br />
und Dichter Italiens brachte das „Deutsche Museum" seinen Lesern<br />
immer wie<strong>der</strong> nahe: Wolfsohn behandelte die Darstellung <strong>der</strong> Francesca<br />
da Nimini bei Dante, Gustav Diestel beschäftigte sich mit<br />
Petrarca, E. Ruth würdigte Alfieri als Tragiker und E. Cauer erneuerte<br />
das Andenken <strong>der</strong> Giovanni BattistaVico, während 5). Wellmann<br />
eine eingehende Charakteristik des Nomandichters Manzoni<br />
beisteuerte. In das Gebiet des spanischen Geisteslebens leitete <strong>der</strong><br />
junge Karl Frenze! hinüber durch eine vielversprechende Abhandlung<br />
über die Dramen Cal<strong>der</strong>ons. Die französische Literatur betrafen<br />
gleich in den ersten Jahrgängen Arbeiten von Löbell über die mo<strong>der</strong>ne<br />
Schaubühne und von hettner über den berühmten Baron<br />
o. Grimm. Auch die englische Literatur ging nicht leer aus: Wilhelm<br />
Hertzberg schrieb über Chaucer und gab Proben seiner vortrefflichen<br />
Übersetzung <strong>der</strong> (^anterbur^ "7a!e8, Schmidt schrieb über Tennyson<br />
und Deutschland und Büttner über Dickens als Geschichtschreiber.<br />
Nimmt man dazu die von Frie<strong>der</strong>ike Friedmann gebotenen Abersetzungsproben<br />
amerikanischer Lyrik sowie ähnliche Übertragungen<br />
aus dem Ungarischen und Russischen sowie eine Studie W. Hansens<br />
über das holländische Theater, so bekommt man einen Begriff von<br />
<strong>der</strong> Mannigfaltigkeit des „Deutschen Museums", welches damals<br />
allen Unternehmungen ähnlicher Art überlegen war.<br />
Der Begriff <strong>der</strong> Literatur war hier ebenso weit wie tief gefaßt<br />
als die Gesamtheit <strong>der</strong> Erscheinungen, in denen sich das geistige<br />
Leben <strong>der</strong> Nation betätigt. Daher wurden auch die Wissenschaften,<br />
natürlich unter Verzicht auf alle Fachspezialitäten, in regelmäßigen<br />
Berichten in ihren Fortschritten verfolgt. In keiner ist damals eine<br />
bedeutende Erscheinung an das Licht gekommen, zu <strong>der</strong> das „Deutsche<br />
Museum" nicht alsbald Stellung genommen und seinen Lesern alsbald<br />
Stellung zu nehmen ermöglicht hätte. Am wenigsten noch war<br />
das bei <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> Fall, <strong>der</strong>en allzu eifrige und zuweilen<br />
nicht ganz tendenzlose Pflege während des letzten Menschenalters<br />
eine gewisse Abkehr von ihr veranlaßt hatte. Doch fand auch sie<br />
durch Aufsätze von Moritz Carriere über Philosophie und Religion,<br />
von Julius Schaller über die Idee des Kosmos, von Eduard Ieller<br />
über Kuno Fischers Bacon von Verulam, von Jürgen Bona Meyer<br />
über den Stand des Streites über Seele und Leib angemessene Vertretung.<br />
Zudem griffen in das philosophische Gebiet manche von<br />
den zahlreichen Beiträgen hinüber, die <strong>der</strong> Kunst und Kunstgeschichte<br />
gewidmet waren. Denn das „Deutsche Museum" beschränkte sich<br />
nicht auf sachkundige Berichte über die Pflege <strong>der</strong> Kunst in den<br />
verschiedenen Zentren des geistigen Lebens in Deutschland, wie
90 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
Berlin. München, Dresden, son<strong>der</strong>n öffnete seine Spalten auch<br />
theoretischen Erörterungen und namentlich kunstgeschichtlichen <strong>Studien</strong>.<br />
Von den später gefeiertsten Kunsthistorikern hat mehr als<br />
einer die Erstlinge seiner Forschung den Lesern des „Deutschen Museums"<br />
bieten können, wie Ernst Förster in München, C. W. Waagen<br />
in Berlin, Anton Springer in Bonn, denen sich dann Ernst Gurlt,<br />
von <strong>der</strong> Eye, Friedrich Theodor Bischer und an<strong>der</strong>e würdig anschlössen,<br />
während sonst meist auf an<strong>der</strong>en Gebieten tätige Autoren,<br />
wie Melchior Meyr, Rosenkranz u. a. gelegentlich auch in kunstgeschichtlichen<br />
Fragen das Wort ergriffen. Selbst die Kunst <strong>der</strong><br />
Töne blieb nicht unbeachtet: eine Autorität wie Karl Vanck behandelte<br />
gleich in dem ersten Jahrgang die musikalischen Zustände<br />
<strong>der</strong> Gegenwart, Kohlandt schrieb über Klassiker und Romantiker<br />
<strong>der</strong> Musik und ein Ungenannter übte scharfe Kritik an den Zuständen<br />
<strong>der</strong> Berliner Oper. Selbstverständlich blieben wichtige musikalische<br />
Ereignisse auch des Auslands nicht unbesprochen, wie z. V.<br />
<strong>der</strong> gewaltige Skandal, zu dem in Paris die Erstaufführung von<br />
Richard Wagners Tannhäuser den Anlaß gab: ihn schil<strong>der</strong>te nicht<br />
bloß, son<strong>der</strong>n erklärte auch Paul Lindau in einer Reihe trefflicher<br />
Artikel.<br />
II.<br />
Den l'lbergang von dem Gebiete <strong>der</strong> Literatur und Kunst zu den<br />
Fachwissenschaften vermittelte auch für das „Deutsche Museum" die<br />
Altertumskunde. Da erscheint als Mitarbeiter August Boeckh,<br />
<strong>der</strong> berühmte Berliner Profefsor und tapfere Verfechter freiheitlicher<br />
Prinzipien, an <strong>der</strong> Spitze einer stattlichen Reihe von verdienten<br />
Philologen und Schulmännern, von denen Friedrich Hase<br />
die römische Satire behandelte, Karl Peter die römische Geschichte<br />
als Bestandteil <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Bildung, Lotholz die Weltanschauung<br />
des Aristophanes, Lotheisen die Parasiten in <strong>der</strong> römischen Komödie<br />
usw. Diese und ähnliche Arbeiten leiteten zur allgemeinen<br />
Kulturgeschichte hinüber, ,die begreiflicherweise beson<strong>der</strong>s eifrige Pflege<br />
fand, während eine lange Artikelreihe von Julius Braun von einem<br />
für jene Ieit ziemlich radikalen, ja fast revolutionären Standpunkt<br />
aus die Notwendigkeit gründlicher Reformen im Betrieb <strong>der</strong> Altertumskunde<br />
verlangte, die von den Archäologen und Philologen <strong>der</strong><br />
alten Schule nicht bloß mit Kopffchütteln aufgenommen, fon<strong>der</strong>n<br />
vielfach mit Entrüstung zurückgewiesen wurden, um ein Menschenalter<br />
später allgemein angenommen zu werden. Als ein eigentümliches<br />
Zusammentreffen, welches den auch auf diesem Gebiet mit<br />
einer gewissen Notwendigkeit waltenden inneren Zusammenhang zu
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 91<br />
erweisen geeignet ist, mag angeführt werden, daß <strong>der</strong> berühmte Münchener<br />
Fragmentist Jakob Philipp Fallmeraner, <strong>der</strong> die mo<strong>der</strong>nen<br />
Griechen des sie mit solchem Stolz erfüllenden Ruhmes <strong>der</strong> direkten<br />
Abstammung von den alten Hellenen beraubt hatte, im „Deutschen<br />
Museum" den Vortrag eingehend besprach, in dem <strong>der</strong> damals noch<br />
jugendliche Ernst Curtius den Schauplatz <strong>der</strong> nationalen Spiele <strong>der</strong><br />
Griechen in Olympia schil<strong>der</strong>te und zuerst den Gedanken anregte,<br />
die dort zu vermutenden Kunstwerke durch planmäßige Ausgrabungen<br />
an das Licht zu bringen.<br />
Dem lebhaften Interesse, welches das „Deutsche Museum" <strong>der</strong><br />
klassischen Altertumskunde zuwandte, <strong>der</strong>en Unentbehrlichkeit als<br />
Grundlage <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Bildung damals allerdings noch von niemand<br />
angezweifelt wurde, entsprang auch sein Streben nach Vermittlung<br />
einer lebendigen Anschauung von <strong>der</strong> Vergangenheit überhaupt:<br />
sie sollte seinen Lesern zum Verständnis <strong>der</strong> Gegenwart verhelfen.<br />
Dieses wurde weiterhin geför<strong>der</strong>t durch eine reiche Fülle<br />
von eigentlich geschichtlichen Abhandlungen, für welche verschiedene<br />
Formen gewählt wurden. Da fehlten nicht anziehende selbstbiographische<br />
Aufzeichnungen von bekannten Persönlichkeiten über bemerkenswerte<br />
Ereignisse aus ihrem Leben. An ihrer Spitze erscheint<br />
Varnhagen von Ense, freilich nicht ohne den ihm nun einmal eigenen<br />
schönrednerischen Wortschwall, mit einem Fragment aus seinen damals<br />
noch ungedruckten Denkwürdigkeiten, worin er erzählt, wie<br />
er durch eine eigentümliche Verkettung <strong>der</strong> Umstände bei Gelegenheit<br />
<strong>der</strong> Ermordung Kotzebues den Ereignissen nahegerückt, Ungewöhnliches<br />
hatte erleben können. Karl Rosenkranz bot als „Leben<br />
und Wissenschaft" in behaglichem Plau<strong>der</strong>ton Erinnerungen aus<br />
seiner Knaben- und <strong>Studien</strong>zeit, und Vauernfeld, <strong>der</strong> gefeierte Lustspieldichtcr,<br />
führte die allzu günstigen Vorstellungen auf das richtige<br />
Maß zurück, die man sich von <strong>der</strong> „alten guten Wiener Zeit" zu<br />
machen pflegte, Heinrich König aber gab feine Jugendgerichte als<br />
»Metamorphosen eines angehenden Studenten" zum besten und entwarf<br />
im Anschluß daran ein fesselndes Bild von den damaligen<br />
Zuständen in dem „goldenen Mainz". Aber auch von dem Leben<br />
bereits dahingegangener bedeuten<strong>der</strong> Zeitgenossen brachte das „Deutsche<br />
Museum" gelegentlich ausführliche Darstellungen.<br />
Legte es seinem Programm gemäß beson<strong>der</strong>en Nachdruck darauf,<br />
daß <strong>der</strong> Blick seiner Leser erweitert werde, indem es ihnen<br />
auch die Bekanntschaft mit fernen Län<strong>der</strong>n und fremden Kulturen<br />
vermittelte und dadurch zu befserem Verständnis und richtigerer<br />
Beurteilung <strong>der</strong> sie daheim umgebenden Verhältnisse anleitete, so
92 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
mußte auch <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>- und Völkerkunde in Verbindung mit <strong>der</strong><br />
Kulturgeschichte beträchtlicher Raum zugestanden werden. Reiseberichte<br />
aller Art und über die verschiedensten Gegenden, Schil<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> wirtschaftlichen und gesellschaftlichen sowie <strong>der</strong> geistigen<br />
und sittlichen Zustände <strong>der</strong> benachbarten Kulturlän<strong>der</strong> wie auch,<br />
solcher weitentlegener, damals noch selten besuchter Regionen machten<br />
in jedem Jahrgang einen bedeutenden Teil des Inhalts aus.<br />
Unter den Autoren finden wir die bekanntesten Vertreter dieser<br />
Literaturgattung und von den auf diesem Gebiete bemerkenswerten<br />
Neuheiten blieb keine unbesprochen. Der vielgereiste Moritz hartmann<br />
schil<strong>der</strong>te Holland, Südfrankreich und die Bretagne, Claire<br />
von Glümer Vearn, Kapper die südslawischen Län<strong>der</strong>, Buddeus<br />
Petersburg, Adolf Stahr Paris in den Herbsttagen, Ludwig Roß<br />
verschiedene Teile Griechenlands, Ludwig Steub das sonnige Etschtal,<br />
Ferdinand Gregorovius die malerische Küste seiner ostpreußischen<br />
Heimat usw. Ergänzend und belebend schlössen sich daran<br />
Schil<strong>der</strong>ungen und Mitteilungen von den Sitten und Gebräuchen<br />
weniger bekannter Stämme, von Volkslie<strong>der</strong>n und Sprichwörtern<br />
und ähnlichem Material. Nicht selten wurden dabei die Grenzen<br />
Europas verlassen. Denn auch die Fortschritte <strong>der</strong> Erdkunde wurden<br />
gewissenhaft verfolgt und den Lesern nach ihrer Bedeutung für<br />
Handel und Verkehr und für die Entwicklung <strong>der</strong> Kultur verständlich<br />
gemacht.<br />
Damit griff das „Deutsche Museum" allerdings eigentlich auf<br />
ein Gebiet hinüber, das sonst den Naturwissenschaften vorbehalten<br />
zu sein pflegt. Es darf feinem Leiter aber umfomehr zum Verdienst<br />
angerechnet werden, daß er, obgleich seinem Bildungsgänge nach<br />
ihnen fernstehend, doch alsbald die ungeheure Bedeutung richtig erkannte,<br />
welche die eben einsetzende gewaltige Entwicklung <strong>der</strong> Naturwissenschaften<br />
nicht bloß für das praktische, son<strong>der</strong>n für das gefamte<br />
geistige Leben demnächst gewinnen sollte. Auch hier wußte er für die<br />
allgemein verständliche Behandlung dieser oft schwierigen Gegenstände<br />
anerkannte Autoritäten zu gewinnen. So brachte das „Deutsche<br />
Museum" von dem berühmten Botaniker Schleiden nicht bloß<br />
einen interessanten Aufsatz über populäre Behandlung <strong>der</strong> Naturwissenschaften,<br />
son<strong>der</strong>n auch Artikel über die Nordpolexpeditionen<br />
und über die Fremdenpolizei in <strong>der</strong> Natur, von Carus Beiträge,<br />
die z. T. an das medizinische streiften, von Jessen solche zur Geschichte<br />
<strong>der</strong> Botanik, von dem Zoologen Burmeister eine Studie<br />
über Tauben und Hühner, von Giraud über die Gebirge des mittleren<br />
Europa und über die Physiognomik <strong>der</strong> Gebirge und da-
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 93<br />
zwischen dann von allem an<strong>der</strong>n abgesehen eine reizende humoristische<br />
Studie von Hermann Masius über den 3loh. Also auch nach dieser<br />
Seite wurde die Zeitschrift den weitgehendsten Ansprüchen gerecht<br />
und verfolgte gewissenhaft jede Anregung zur Erweiterung ihres<br />
Gesichtskreises. Wo irgend ein neuer Gedanke auftauchte, <strong>der</strong> bei<br />
ernster Prüfung lebens- und entwicklungsfähig befunden wurde, gab<br />
das „Deutsche Museum" seinen Vertretern alsbald Gelegenheit,<br />
ihn weiteren Kreisen bekannt zu machen und die sich daraus erschließenden<br />
Aussichten darzulegen. So hat, um nur ein Beispiel<br />
anzuführen, <strong>der</strong> Schöpfer <strong>der</strong> Völkerpsychologie, Lazarus, dort zuerst<br />
seine Ideen entwickeln, ihre Berechtigung und Bedeutung darlegen<br />
und die neue Wissenschaft in ihren Grundzügen feststellen<br />
können.<br />
Alles das aber war dem Herausgeber doch nicht Selbstzweck,<br />
son<strong>der</strong>n wurde von ihm ebenso geschickt wie geschmackvoll und erfolgreich<br />
in den Dienst <strong>der</strong> praktisch politischen und nationalerziehenden<br />
Richtung gestellt, welche seine Zeitschrift dem ihr zu Grunde<br />
liegenden Programm gemäß zu vertreten als ihre vornehmste Aufgabe<br />
ansah. Niemals verlor er die Beziehungen aus dem Auge,<br />
welche diese mit dem öffentlichen Leben im weitesten Sinn des<br />
Wortes verband. Der damit übernommenen Aufgabe gerecht zu<br />
werden, mußte freilich <strong>der</strong> Rahmen, in dem eine Wochenschrift auch<br />
bei <strong>der</strong> größten Vielseitigkeit und Beweglichkeit sich sonst zu halten<br />
pflegte, nach mehr als einer Seite durchbrochen und sowohl in bezug<br />
auf die Gegenstände, die behandelt wurden, als auch in bezug auf<br />
die Form, in <strong>der</strong> dies geschah, das Beispiel <strong>der</strong> großen Tagesblätter<br />
nachgeahmt werden. Das erfor<strong>der</strong>te einmal die beson<strong>der</strong>e Berücksich^<br />
tigung <strong>der</strong>jenigen wissenschaftlichen Gebiete, auf die bei <strong>der</strong> Erörterung<br />
politischer Fragen immer wie<strong>der</strong> zurückgegriffen werden<br />
mußte, also <strong>der</strong> Staats- und Volkswirtschaftslehre, und dann eine<br />
stete aufmerksame Verfolgung <strong>der</strong> Tagespolitik. Doch geschah auch<br />
dies nicht von einem bestimmten, scharf abgegrenzten Parteistandpunkt<br />
aus, son<strong>der</strong>n ganz im allgemeinen zum besten einer freiheitlichen<br />
nationalen Entwicklung, in Gemeinschaft mit allen Vorkämpfern<br />
einer solchen ohne Rücksicht auf Meinungsverschiedenheiten in Spezialfragen,<br />
gemäß <strong>der</strong> weitherzigen Fassung, welche das Programm<br />
des „Deutschen Museums" von Anfang an auszeichnete. So wurde<br />
dieses schnell <strong>der</strong> Sammelplatz für alle liberal und national denkenden<br />
Autoren, die sich nicht mit <strong>der</strong> Tagespresse befassen mochten.<br />
So konnten hier wichtige Fragen des öffentlichen Lebens unabhängig<br />
von je<strong>der</strong> unduldsamen Parteidoktrin von verschiedenen
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
Autoren und von verschiedenen Standpunkten aus behandelt werden,<br />
was für die Klärung <strong>der</strong> Meinungen ein großer Gewinn war und<br />
in mehr als einem 3all auch <strong>der</strong> politischen Praxis zugutekam.<br />
So sieht man beim Durchblättern <strong>der</strong> langen Bän<strong>der</strong>eihe fast alle<br />
die Fragen noch einmal an sich vorüberziehen, welche während <strong>der</strong><br />
fünfziger Jahre des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts die Öffentlichkeit beschäftigt<br />
haben. Auch hier fehlt von den Männern keiner, die an<br />
<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Dinge damals tätig beteiligt waren und auf<br />
ihren schließlichen Gang mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> bestimmend eingewirkt<br />
haben. Verhältnismäßig weniger stark vertreten sind unter den<br />
hierhergehörigen Aufsätzen solche, die sich mit <strong>der</strong> sozialen Frage<br />
beschäftigten, weil diese damals noch nicht so wie später im Brennpunkt<br />
des öffentlichen Interesses stand. Doch gab z. B. Anschütz<br />
Beiträge zur Philosophie <strong>der</strong> Gesellschaft, Anton Springer solche zur<br />
Naturgeschichte <strong>der</strong> Gesellschaft, Planck behandelte die soziale Frage<br />
auf deutschem Boden, Wcsenberg besprach soziale Anfänge in Westdeutschland,<br />
Seiffart warf „unromantische Blicke" auf den angeblichen<br />
Wohlstand im Mittelalter, schrieb über das Proletariat sonst<br />
und jetzt und über die Finanzen des Proletariates, hierher gehört<br />
auch die Abhandlung eines Ungenannten über das Judentum in <strong>der</strong><br />
Neuzeit. Weit beträchtlicher aber ist die Zahl <strong>der</strong> Aufsätze über<br />
eigentlich politische Fragen <strong>der</strong> Ieit. Auch betreffen diese nicht<br />
bloß deutsche o<strong>der</strong> nur europäische Angelegenheiten und greifen gelegentlich<br />
aus dem Gebiet <strong>der</strong> Politik in das <strong>der</strong> Kirche hinüber.<br />
So wird zu Beginn des Kleinkrieges eingehend <strong>der</strong> Streit um die<br />
heiligen Stätten dargelegt und dann die Stellung des Christentums<br />
im Osten unter russischem Schutz behandelt. Im allgemeinen aber<br />
überwiegen natürlich die deutschen und darunter wie<strong>der</strong> die preußischen<br />
Angelegenheiten. In letzteren ergriff nicht selten Prutz selbst<br />
das Wort und zwar gelegentlich in außerordentlich scharfem Ton.<br />
Unter seinen Mitarbeitern finden wir Vertreter <strong>der</strong> verschiedensten<br />
Richtungen: so bespricht <strong>der</strong> berühmte Fragmentist Fallmerayer die<br />
voraussichtliche weitere Entwicklung <strong>der</strong> Orientpolitik und Arnold<br />
Nuge geht mit <strong>der</strong> Politik Englands scharf ins Gericht.<br />
Voraussetzung jedoch für das volle Verständnis und den rechten<br />
Nutzen <strong>der</strong>artiger Arbeiten, die ganz <strong>der</strong> Tagespolitik galten und<br />
die Leser zu <strong>der</strong>en richtigem Verständnis und richtiger Beurteilung<br />
anleiten sollten, war es natürlich, daß diese über das politische Leben<br />
<strong>der</strong> Gegenwart dauernd auf dem laufenden erhalten wurden. Das<br />
aber war nur möglich durch eine für eine Wochenschrift nicht leicht<br />
zu beschaffende Fülle von Korrespondenzen nicht bloß aus den
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 95<br />
großen Zentren des öffentlichen Lebens, son<strong>der</strong>n auch aus den kleineren<br />
Orten, welche für engere, durch beson<strong>der</strong>e Interessen zusammengehaltene<br />
Kreise die Mittelpunkte bildeten und dadurch<br />
weiterhin doch auch für die Allgemeinheit Bedeutung erlangten.<br />
Solche brachte jede Nummer, und zwar augenscheinlich aus <strong>der</strong><br />
Fe<strong>der</strong> wohlunterrichteter Korrespondenten. Selbst von den größeren<br />
Zeitungen dürfte damals kaum eine über ein ähnlich reiches und zuverlässiges<br />
Material verfügt haben. Erinnert man sich, wie bescheiden<br />
im Vergleich mit den heute selbst an eine mittelgroße<br />
Tageszeitung gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen die Leistungen <strong>der</strong> Presse<br />
auf diesem Gebiete waren, so wird man erst recht die ungewöhnliche<br />
Größe <strong>der</strong> Leistungen des „Deutschen Museums" ermessen<br />
können.<br />
Es würde zu weit führen, wollten wir die lange Reihe <strong>der</strong><br />
Städte hier zusammenstellen, aus denen es teils regelmäßige, teils<br />
von Ieit zu Ieit. jedenfalls aber immer dann, wenn beson<strong>der</strong>e Ereignisse<br />
den Blick auf einen Ort gelenkt hatten, orientierende Mitteilungen<br />
sachkundiger Berichterstatter bringen konnte. In erster<br />
Linie galten diese natürlich den geistigen Bestrebungen, <strong>der</strong> Literatur<br />
und <strong>der</strong> Kunst. Neben dem am häufigsten erscheinenden Berlin<br />
waren da regelmäßig vertreten Wien, München, Dresden, Weimar,<br />
Oldenburg, Darmstadt und Altenburg, nicht min<strong>der</strong> aber auch Bremen,<br />
Leipzig. Breslau und Nürnberg. Beson<strong>der</strong>es Interesse wird<br />
den deutschen Universitäten zugewandt, von Bonn, Heidelberg, Jena,<br />
Halle, Erlangen und Kiel berichtet. Nicht übersehen wurden dann<br />
aber auch solche Landschaften und Ortlichkeiten, die infolge ihrer<br />
Lage und <strong>der</strong> in ihnen zusammenlaufenden beson<strong>der</strong>en Interessen<br />
die Teilnahme weiterer Kreise für ihre Zustände und <strong>der</strong>en Entwicklung<br />
beanspruchen konnten, wie Ostpreußen, das Wuppertal,<br />
die Danziger Nie<strong>der</strong>ung, das Fichtelgebirge und das Großherzogtum<br />
Posen. Aber noch viel weiter reichten des Herausgebers treffliche<br />
Verbindungen: nicht bloß in Siebenbürgen und aus Südtirol,<br />
auch aus Konstantinopel und New-Vork standen ihm solche zur<br />
Verfügung.<br />
An Vielseitigkeit des gediegenen Inhaltes, Weitherzigkeit <strong>der</strong><br />
vertretenen freiheitlichen Grundsätze, Folgerichtigkeit in <strong>der</strong>en besonnener<br />
Geltendmachung und Zuverlässigkeit und Schnelligkeit <strong>der</strong><br />
Berichterstattung über alles, was einen gebildeten Leser interessieren<br />
konnte, dürfte nach alledem dem „Deutschen Museum" zur Zeit<br />
seiner Blüte keine deutsche Wochenschrift gleichgekommen sein. Selbst<br />
feine Gegner haben diese Vorzüge anerkannt und daraus auch ihrer-
96 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
seits gelegentlich Vorteil gezogen. Deren Iahl aber wuchs in demselben<br />
Maße, wie die siegreiche Reaktion im Laufe <strong>der</strong> fünfziger<br />
Jahre ihre Herrschaft in Preußen befestigte und immer schrankenloser<br />
und willkürlicher ausübte. Infolgedessen wurde dem „Deutschen<br />
Museum", das unausgesetzt im Kampf gegen erbitterte Wi<strong>der</strong>sacher<br />
sich den Weg freizumachen suchen mußte, unwillkürlich das<br />
Gepräge einer gewissen Streitbarkeit aufgenötigt, die ihm ursprünglich<br />
nicht eigen gewesen war und dem Geschmack mancher Leser auf<br />
die Dauer nicht zusagte, wohl aber die reaktionäre Publizistik zu<br />
neuem Ansturm reizte. Hinter dieser aber standen nun erst recht die<br />
Organe <strong>der</strong> reaktionären Regierung, eifrig bestrebt, die Wochenschrift<br />
zu schädigen und ihrem Herausgeber Verlegenheiten aller Art<br />
zu bereiten. Daraus ergab sich für diesen eine nicht endenwollende<br />
Reihe von Konflikten, nicht bloß literarischer, son<strong>der</strong>n auch persönlicher<br />
und schließlich sogar amtlicher Natur. Der größte von diesen,<br />
<strong>der</strong> weithin Auffehen erregte, war ein Zusammenstoß mit Prutz'<br />
Hallenser Kollegen Heinrich Leo. Er ist so ganz ein Erzeugnis <strong>der</strong><br />
damaligen tiefkranken Ieit und spiegelt <strong>der</strong>en trostlose Verhältnisse<br />
zu deutlich wi<strong>der</strong>, um nicht auch hier kurz erwähnt zu werden, zumal<br />
er mittelbar auch die Schwierigkeiten, mit denen Prutz und<br />
sein Organ zu ringen hatten, beson<strong>der</strong>s hell beleuchtet erscheinen<br />
läßt, sie seiner Ieit aber in einer Weise steigerte, die schon damals<br />
zweifeln lassen konnte, ob sie auf die Dauer zu besiegen sein würden.<br />
Heinrich Leo, <strong>der</strong> Hallenser Professor <strong>der</strong> Geschichte und als<br />
Gelehrter nicht ohne Verdienste um seine Wissenschaft, in jungen<br />
Jahren ein eifriger Vurfchenschafter und als solcher einst in Gefahr,<br />
mit Sand in Untersuchung gezogen zu werden, war nicht bloß als<br />
Lehrer und Schriftsteller, son<strong>der</strong>n auch als volkstümlicher Agitator<br />
einer <strong>der</strong> eifrigsten Vorkämpfer <strong>der</strong> in Halle damals allmächtigen<br />
Reaktion, und liebte es, sich als folchen auch öffentlich zu bekennen.<br />
An den Umzügen, durch welche <strong>der</strong> „Preußenoerein" Königs Geburtstag<br />
beging, nahm er im blauen 3rack mit blanken Knöpfen<br />
mit dem Zylin<strong>der</strong> auf dem Kopf demonstrativ teil, laut einstimmend<br />
in das „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?". Als Vorkämpfer<br />
<strong>der</strong> gleichen Gefinnung schrieb er auch gelegentlich für das<br />
Organ des Preußenvereins „Das Volksblatt für Stadt und Land<br />
zur Belehrung und Unterhaltung". In ihm erschien 1853 ein Artikel,<br />
<strong>der</strong> einen allgemeinen Sturm des Unwillens veranlaßte und<br />
selbst von den Parteigenossen nicht gebilligt wurde. Im Hinblick<br />
auf die im Orient herrschende Gärung, welche den baldigen Ausbruch<br />
des Krieges erwarten ließ, leistete er sich darin ganz ungeheuerliche
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 97<br />
Ergüsse, indem er nicht nur die „Weißgesichter" als die eigentliche<br />
Frone und Blume des Gewächses <strong>der</strong> Menschheit feierte, son<strong>der</strong>n<br />
ne Ansicht vertrat, „das Streben, Kampf und Krieg sei von Anfang<br />
m die wahre natürliche 3orm des Lebens gewesen und Friede immer<br />
mr die Maske, hinter welcher sich <strong>der</strong> weit giftigere Krieg öer Veroesung<br />
verborgen habe". Daran hatte er den Wunsch geknüpft:<br />
.Gott erlöse uns von <strong>der</strong> europäischen Völkerfäulnis und schenke<br />
ms einen frischen, fröhlichen Krieg, <strong>der</strong> Europa durchtobt, die Bewlkerung<br />
lichtet und das skrofulöse Gesindel zerstört, das jetzt den<br />
kaum zu eng macht, um noch ein ordentliches Menschenleben in<br />
,er Stickluft führen zu können. Jetzt spielt noch die Kanaille <strong>der</strong><br />
nateriellen Interessen die große Rolle, wie die Fliege des Aesop,<br />
lie sich auf die Wagenrä<strong>der</strong> setzt und, wenn diese im schnellen Lauf<br />
»er Zeit Herumwirbeln, schreit: Seht nur, was für ein gewaltiger<br />
^erl ich bin." Die. allgemeine Entrüstung, welche dieser Artikel<br />
hervorrief — pries er doch unter an<strong>der</strong>en Kaiser Napoleon III. als<br />
,en „hecht im Karpfenteich", <strong>der</strong> den von ihm herbeigesehnten Krieg<br />
u entflammen auf dem Wege sei — brachte Prutz nachdrücklichst<br />
m „Deutschen Museum" zur Geltung in einem Artikel „Der kleine<br />
stataplan von Halle". Leo wurde darin mit einer vernichtenden<br />
schärfe des Spottes und einem donnernden Pathos sittlicher Entüstung<br />
zur Rede gestellt, wie sie in einer literarischen Streitschrift<br />
kademischer Kollegen bisher wohl kaum jemals zu Wort gekommen<br />
waren. Ließ doch schon das vorangestellte Motto in dieser<br />
)insicht etwas ganz Ungewöhnliches erwarten, nämlich die Worte<br />
us Shakespeares König Johann: „Du in <strong>der</strong> Haut des Löwen?<br />
Veg damit! häng' Dir ein Kalbsfell um Deine schnöden Glie<strong>der</strong>!"<br />
Inbarmherzig ging Prutz mit dem „kleinen Nataplan" ins Gericht<br />
md gab ihn dem allgemeinen Gelächter preis, in das auch von dessen<br />
Parteigenossen manche schadenfroh einstimmten. Die scheinheilige<br />
Verlogenheit seiner gewaltig tönenden, aber leeren Phrasen wurde<br />
n ihrer Gemeingefährlichkeit gebrandmarkt und mit beson<strong>der</strong>em<br />
Nachdruck auf die unerhörte Tatsache hingewiesen, daß <strong>der</strong> Urheber<br />
ines solchen skandalösen Machwerks ein Mann sei, <strong>der</strong> zum Lehrer<br />
»er akademischen Jugend berufen, doch ganz an<strong>der</strong>e Aufgaben zu<br />
ösen und demgemäß auch gegen Staat und Gesellschaft noch ganz<br />
»eson<strong>der</strong>e Pflichten zu erfüllen habe: durch die hier geübte Veretzung<br />
<strong>der</strong>selben habe er sich einer schweren Unsittlichkeit schuldig<br />
Macht. So unerhört scharf diese Abfertigung Leos durch Prutz war<br />
md so sehr dieser seiner Entrüstung die Iiigel hatte schießen lassen,<br />
o konnte doch für keinen Unbefangenen zweifelhaft sein, auf welcher
98 Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums".<br />
Seite für Recht und Sitte gestritten wurde. Die Sympathien aller<br />
unbefangen und besonnen urteilenden Gebildeten mußten sich Prutz<br />
zuwenden, wie denn auch <strong>der</strong> ungenannte Verfasser <strong>der</strong> gegen Prutz<br />
gerichteten Streitschrift „Robert Prutz, <strong>der</strong> kleine Pascha von Halle"<br />
mit seinen billigen Witzen, die nirgends den Kern <strong>der</strong> Sache trafen,<br />
offenbar nur geringen Eindruck gemacht und <strong>der</strong> Sache Leos nicht<br />
genützt hat.<br />
Umso nachdrücklicher nahm sich dieser die herrschende Reaktion<br />
an und konnte dabei natürlich wie<strong>der</strong> auf die Unterstützung <strong>der</strong><br />
Regierung rechnen. Es begann ein förmliches Kesseltreiben gegen<br />
das „Deutsche Museum" und seinen Herausgeber, den man auch<br />
noch von einer an<strong>der</strong>en Seite zu fassen suchte, indem ihm wegen<br />
angeblich straffälliger Äußerungen in <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Tchillerfeier in<br />
Leipzig gehaltenen Rede ein Prozeß angehängt wurde. Auf Schritt<br />
und Tritt gestört, gehin<strong>der</strong>t und bedroht, dabei natürlich von<br />
manchem bisherigen Mitarbeiter verlassen und selbst in seiner Iukunft<br />
bedroht, brach er unter <strong>der</strong> Last dieses ungleichen und aussichtslosen<br />
Kampfes fast zusammen und mußte im Sommer 1857<br />
einen längeren Urlaub nehmen, den er in <strong>der</strong> Nähe seiner pommerschen<br />
Vaterstadt verbrachte. In dieser Ieit <strong>der</strong> Muße, während <strong>der</strong>en<br />
er im Kreise alter Freunde aus dem vertrauten Boden <strong>der</strong> Heimat<br />
neue Kraft sog, reifte in ihm <strong>der</strong> Entschluß, den allmählich unerträglich<br />
gewordenen Verhältnissen in Halle endgültig den Rücken<br />
zu kehren: im Frühjahr 1858 siedelte er nach Stettin über, mit<br />
ihm natürlich auch das „Deutsche Museum". Aber so freundliche<br />
Aufnahme er dort fand, so mußte er sich doch bald überzeugen, daß<br />
die rasch aufblühende Handelsstadt, bei <strong>der</strong>en emsig tätiger Bürgerschaft<br />
die materiellen Interessen allen an<strong>der</strong>en vorgingen, zum Sitz<br />
einer literarischen Zeitschrift wenig geeignet sei. Sie gewährte <strong>der</strong>en<br />
Leiter doch nicht die vielseitige Anregung, <strong>der</strong>en er zur Erfüllung<br />
seiner Pflichten notwendig bedurfte. Auch die verhältnismäßige<br />
Entlegenheit des neuen Wohnsitzes hatte gewisse Mißstände zur<br />
Folge, nicht bloß insofern <strong>der</strong> Verkehr mit dem Druckort erschwert<br />
wurde und mehr Ieit kostete, son<strong>der</strong>n auch insofern, als die persönliche<br />
Berührung mit alten und neuen Mitarbeitern seltener möglich<br />
wurde, die in dem so bequem an <strong>der</strong> großen Straße durch<br />
Mitteldeutschland gelegenen Halle allezeit eine sehr rege gewesen war.<br />
Doch trugen auch noch an<strong>der</strong>e, allgemeinere Verhältnisse dazu<br />
bei, daß das „Deutsche Museum" einen immer schwereren Stand<br />
hatte. War doch eben damals die Iahl <strong>der</strong> Zeitschriften, welche<br />
ähnliche Ziele wie das „Deutsche Museum" mit ähnlichen Mitteln
Robert Prutz als Herausgeber des „Deutschen Museums". 99<br />
verfolgten, um einige sehr vielversprechende und vielleistende vermehrt<br />
worden. Vor allem aber wandte sich mit dem Beginn <strong>der</strong><br />
neuen Ära das Interesse <strong>der</strong> gebildeten Kreise so durchaus <strong>der</strong><br />
Politik zu, daß die Teilnahme für Literatur und Kunst eine wesentliche<br />
Abschwächung erfuhr, die Ansprüche aber, welche die große<br />
Masse <strong>der</strong> Leser zur Befriedigung ihrer politischen Interessen stellte,<br />
nur durch eine entsprechend höhere Entwicklung <strong>der</strong> Tagespresse<br />
befriedigt werden konnten. Dazu kam endlich, daß Prutz im Winter<br />
1860 auf 61 von einem Schlaganfall heimgesucht wurde, dessen<br />
körperliche Folgen nie ganz überwunden wurden und ihn nötigten,<br />
seiner Tätigkeit engere Grenzen zu ziehen. Trotz alledem versuchte<br />
Prutz den Platz noch zu behaupten, unterstützt von dem in die Redaktion<br />
eintretenden Karl Frenzel, einem <strong>der</strong> geistvollsten und vielseitigsten<br />
Berliner Publizisten, dem jedoch die immer mehr überwiegende<br />
Politik ebenfalls ferner lag. Die Wendung aber, welche<br />
diese bald darnach nahm und die zu <strong>der</strong> deutschen Krisis von 1866<br />
führte, entsprach durchaus nicht <strong>der</strong> politischen Überzeugung von<br />
Prutz: hat er sie doch sogar noch in poetischer Form entschieden bekizmpft.<br />
in jenen „Terzinen", welche den damaligen Kampf zwischen<br />
den beiden deutschen Mächten als einen Bru<strong>der</strong>krieg darstellten und<br />
ihm noch einmal ein strafgerichtliches Verfahren zuzogen.<br />
Alles das überzeugte den bisher mutig ausharrenden Schöpfer<br />
und Leiter des „Deutschen Museums" von <strong>der</strong> Aussichtslosigkeit<br />
einer Fortsetzung des Kampfes zur Behauptung <strong>der</strong> so lange Jahre<br />
tapfer verfochtenen Sache. Auch hatten die wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
die buchhändlerischen Bedingungen für ein <strong>der</strong>artiges Unternehmen<br />
wesentlich verän<strong>der</strong>t und bereiteten dessen Fortsetzung<br />
Schwierigkeiten, die nur mit großen Opfern zu überwinden gewesen<br />
wären. So wurde denn beschlossen, das Erscheinen des „Deutschen<br />
Museums" einzustellen, und im herbst 1866 nahm Prutz von dem<br />
ihm noch treugebliebenen Leserkreis in aller Form Abschied. Seine<br />
Wochenschrift aber gehörte nun <strong>der</strong> Geschichte des deutschen Ieitschriftenwesens<br />
an, wird aber in dieser für alle Ieit einen Ehrenplatz<br />
behaupten und als <strong>der</strong>einst in ihrer Art bahnbrechend im Gedächtnis<br />
<strong>der</strong> Fachgenossen fortleben.
Beiträge<br />
zur Heimatkunde Hinterpommerns )<br />
2. Das GeWerk <strong>der</strong> Vernsteindreher<br />
in Stolp<br />
Von Dr. Schuppius in Stolp<br />
i) Band I erschien im Verlage <strong>der</strong> Zentralstelle für die deutsche Personen-<br />
und Familiengeschichte in Leipzig unter dem Titel „Die Familien des<br />
Kirchspiels Mühenow 1626—1852".
Wer als Familienforscher an die Heimatkunde herantritt unter<br />
<strong>der</strong> Voraussetzung, daß die einzelnen Menschen einen wesentlichen<br />
Bestandteil <strong>der</strong> Heimat darstellen, wird notwendig dazu gedrängt,<br />
auch die Beziehungen zu untersuchen, in denen sie zu ihrer Heimat<br />
stehen und durch die sie maßgebend beeinflußt werden, mit an<strong>der</strong>en<br />
Worten: er wird Personengeschichte im engen Anschluß an die<br />
Heimatgeschichte treiben müssen; sobald ihn aber seine Untersuchungen<br />
in städtische Verhältnisse zurückführen, etwa in die Zeit vom<br />
ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
also in eine Zeit schärfster Umgrenzung einzelner Gesellschaftsgruppen,<br />
so wird er oft genug die Erfahrung machen müssen, daß<br />
die reine Personengeschichte unzulänglich o<strong>der</strong> gar unverständlich<br />
wird ohne genaueste Kenntnis dieser Gruppen, <strong>der</strong> Iünfte und<br />
Innungen, die die Einzelpersönlichkeit gewissermaßen aufsaugen, und<br />
so ist <strong>der</strong> weitere Schritt zur Untersuchung <strong>der</strong> Iunftgeschichte als<br />
Voraussetzung für zureichende Personengeschichte ohne weiteres gegeben.<br />
Wenn in den folgenden Ausführungen als Gegenstand des<br />
Versuchs einer solchen Iunftgeschichte gerade die Stolper Vernsteinarbeiter<br />
gewählt werden, so liegen dafür die verschiedensten Gründe<br />
vor: einmal die zahlenmäßige Bedeutung dieser Berufsgruppe, die<br />
zeitweise fast ein Fünftel <strong>der</strong> ganzen Ttolper Bürgerschaft in sich<br />
schloß: sodann die durch den Monopolcharakter des Bernsteins bedingte,<br />
in ihren Grundzügen fast kommunistisch anmutende Wirtschaftsform<br />
und die aus demselben Umstände heraus erwachsende<br />
Ausnahmestellung gegenüber den an<strong>der</strong>en Gesellschaftsgruppen und<br />
dem Staat; <strong>der</strong> durch fast zwei Jahrhun<strong>der</strong>te anhaltende Kampf um<br />
die soziale Stellung, <strong>der</strong> zu dem wohl einzig dastehenden Ergebnis<br />
führte, daß aus <strong>der</strong> einfachen Innung eine vornehme Iunft wurde;<br />
schließlich — und hier liegen schon die Berührungspunkte mit <strong>der</strong><br />
Allgemeingeschichte — die beson<strong>der</strong>e Eigenart des Bernsteinhandels,<br />
die das unbedeutende Landstädtchen Stolp mitten in den Welthandel<br />
hineinstellte und das Wohl und Wehe eines ansehnlichen Teils seiner<br />
Bürger von weltpolitischen Ereignissen abhängig sein ließ, die für<br />
den durchschnittlichen Deutschen <strong>der</strong> damaligen Ieit kaum mehr bedeuteten<br />
als willkommenen Stoff für „ein Gespräch von Krieg<br />
und Kriegsgeschrei". Die Tatsache endlich, daß nur sehr wenige<br />
Bernsteindreherinnungen bestehen konnten, daß auch diese wenigen
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
zum Teil frühzeitig verschwinden und schließlich durch die politische<br />
Entwicklung die Innungen in Stolp und Königsberg zu einer freilich<br />
oft nur wi<strong>der</strong>willig ertragenen Schicksalsgemeinschaft zusammengeschmiedet<br />
wurden, läßt eine Geschichte <strong>der</strong> Stolper Bernsteinarbeiter<br />
schon fast zu einer Geschichte <strong>der</strong> deutschen Bernsteinarbeiter<br />
überhaupt werden und somit zur Kenntnis dieses schon fast vergessenen<br />
Erwerbszweiges ein Weniges beitragen. — Daß die folgenden<br />
Ausführungen sich, abgesehen von den Kirchenbüchern <strong>der</strong><br />
Stolper Marienkirche, nur auf die Aktenbestände des hiesigen<br />
Stadtarchivs stützen, mag als ein Mangel erscheinen,- doch machen<br />
die äußeren Umstände eine Benutzung <strong>der</strong> Staatsarchive in Stettin<br />
und Berlin unmöglich, und so wird aus <strong>der</strong> Not eine Tugend,<br />
indem gezeigt werden kann, ob auch ohne großen wissenschaftlichen<br />
Apparat zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Heimatkunde ein Beitrag geliefert<br />
werden kann.<br />
-
^4'-,/" ^ >' ' ,."^<br />
Iunftgesetze und Zunftpolitik.<br />
Seit wann eine Bernsteindreherzunft o<strong>der</strong> besser gesagt — -innung<br />
in Stolp besteht, wird sich wohl nie ganz aufklären lassen.<br />
Wir find aber berechtigt anzunehmen, daß sie nicht viel jünger ist<br />
als die an<strong>der</strong>en Innungen und Iünfte, die wie z. B. die Gewandschnei<strong>der</strong><br />
von sich zu behaupten pflegen, daß sie ex lun6atitati8<br />
vorhanden seien- <strong>der</strong> Bernstein ist ja schon im Altertum Hauptausfuhrartikel<br />
<strong>der</strong> Ostseelän<strong>der</strong> gewesen, und es wäre unwahrscheinlich<br />
anzunehmen, daß die überall vorhandenen Bernsteinarbeiter sich<br />
nicht wie an<strong>der</strong>e Handwerker sehr bald zu Innungen zusammengetan<br />
hätten,- nach den vorliegenden Aktennotizen ging Königsberg hierin<br />
voran, und es folgte erst Danzig, dann auch die an<strong>der</strong>en größeren<br />
Städte des Küstengebietes, Elbing, Kolberg, Lübeck und Stolp. Wir<br />
dürfen es jedenfalls glauben, wenn im Protokollbuch von 1805 versichert<br />
wird, daß gewisse Gebräuche seit mehr als 300 Jahren beständen,<br />
denn schon <strong>der</strong> alte Name „Paternostermacher" beweist,<br />
daß die Innung bei Beginn <strong>der</strong> Reformation schon lange in <strong>der</strong><br />
Stadt ansässig war^). Iu <strong>der</strong> Zeit jedenfalls, aus <strong>der</strong> die ersten<br />
Akten vorliegen — 1579 — kann die Innung schon auf eine alte<br />
Aberlieferung zurückblicken, die auch damals schon gelegentlich benutzt<br />
wird, um sie gegen unliebsame Neuerungen ins 3eld zu führen,<br />
wie das im Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te gar nicht selten zu beobachten<br />
ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Innung<br />
damals, in den Jahren um 1570, gerade in einem gewissen Übergang<br />
zu sozusagen neuzeitlichen Gebräuchen begriffen war: die ersten<br />
Einträge im Iunftbuch sind noch plattdeutsch abgefaßt und verraten<br />
im Stil noch die Anlehnung an sehr alte, fast mittelalterlich anmutende<br />
Vorbil<strong>der</strong>, während dann ganz plötzlich <strong>der</strong> Übergang zur<br />
hochdeutschen Sprache auch an<strong>der</strong>e Ausdrucksformen mit sich dringt.<br />
Einige Beispiele sollen gleichzeitig die für die Einschreibung und<br />
Freisprechung <strong>der</strong> Jungen und die Erwerbung <strong>der</strong> Meisterschaft üblichen<br />
Bräuche veranfchaulichen.<br />
Anno 1570 vp Martini heft Casper Engelbrecht sinen jungen<br />
jochim wende angename schal iiij iare leren vnd heft gegewen ij gul-<br />
i) Bereits in einer aus <strong>der</strong> Zeit um 1490 stammenden Abschrift <strong>der</strong><br />
„3tatuta civitatis 3to1p" werden die Paternosterdreygere erwähnt, ein Beweis,<br />
daß die Entstehung des Gewerks weit zurück im Mittelalter liegt.
106 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
dene vnd iiij f. de va<strong>der</strong> schal den jungen ein. iar in <strong>der</strong> 1er?<br />
kleden vnd schal casper Engelbrecht en de andren dre iare kleden<br />
vnd wen he vdtgeleret heft schal em de meister ein erlick kledt gewen.<br />
O<strong>der</strong>:<br />
Anno 1573 den 22 Decembris welcher yst de drüdde dach vor<br />
hilligen Cryst hefft Hans Mileke affgedancket vnde vthgelert,<br />
vnde Vurtius Engelbrecht Danket ehm fines Lerendes halffen<br />
vnd Mileke dancket ehm wed<strong>der</strong> snnes Lerens halffen vnde ock<br />
<strong>der</strong> kledinge halffen. . .<br />
Schon zwei Jahre später sind die Einträge nach Sprache und Ausdruck<br />
vollkommen verän<strong>der</strong>t:<br />
Ao 1575 am 12 Decemb. hatt Casper Engelbrecht seinen Jungen<br />
Hansen Sommerfeldt ausgelernt gegeben, vnd hatt Hans<br />
Sommerfcldt feinem Lehrmeister Cafpar Engelbrechten abgedanket<br />
vnd angezeiget, das ehr Kleiding vnd alles was Ihm zugesaget<br />
zur genüge empfangen hotte, darauff ihn auch das werk zu einem<br />
gesellen erkennet hat, Es haben aber die Meister Hansen Sommerfeldt<br />
beschuldiget das er sich In seinen Lehr Jahren jegen seinen<br />
Meister mutwillig gehalten, Welches auch Sommerfeldt nicht zu<br />
abreden geweßen, <strong>der</strong>halben ihm aufferlegt dem werk 1 fl straff<br />
zu geben ....<br />
Der letzte Satz dieses Eintrags findet sich mit nur geringen Än<strong>der</strong>ungen<br />
bei je<strong>der</strong> Freisprechung eines Jungen- diese „Strafe" ist<br />
wohl nur eine durch die Überlieferung geheiligte, etwas verschleierte<br />
Gebühr für die Freisprechung, ebenso wie bei Erwerbung <strong>der</strong><br />
Meisterschaft in allen Fällen eine „Strafe" für mangelhafte Anfertigung<br />
des Meisterstücks verhängt wurde:<br />
Anno 1584 den 14 Iunius ist erschienen vor ein loblich werck<br />
Jakob Prutz vnd Gregor Ketelhodt alß pflegersleute vor Jochim<br />
Wotzegk. weill er voriges tages seine werk Kost gethan, haben<br />
sie gefragetob er an eßen vnd drinken den meistern genuglich vorgetragen<br />
hette: so haben die meister nntsamblich bekandt das sie/<br />
godt lob/genug bekomen: deß sie godt Ihren vorfarn vnd wogegen<br />
thun bedanken. — Vnd ist folgich sein Meisterstück besichtiget, ond<br />
befunden, das folchs mangellhafftig vnd woll hohe straff vorwirket,-<br />
so ist ihm durch vorbitt die straff gelin<strong>der</strong>t vnd zu 6 fl<br />
gelaßen. — Ist auch gefraget worden, ob Wotzegk Werkes gerechtigkeit<br />
zuwi<strong>der</strong> Stein gekauft habe. So ist nach <strong>der</strong> Ieit<br />
nichtes in dem fall straffbarliches befunden- da ein werk nachmal<br />
ethwas erfaren wurde: wollen fie sich das vorbehalten haben.—<br />
Sein werken geld nemblich 7 fl hat er verlegt vnd ist Ihme vom
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. IN?<br />
wordthabenden Altermahn Peter Kruse Im namen <strong>der</strong> heiligen<br />
Dreifaltigkeit, im namen d. vaters K s. vnd h. vnd im namen<br />
eines loblichen Werkes vorleten worden: auch . . . ihm die an<strong>der</strong>e<br />
werksrolle zu thun were erkennlich: das er sie thun soll ond will,<br />
^ctum ut 3upra.<br />
Die hier erwähnte „Werkkost" wird im allgemeinen sehr wichtig<br />
genommen und mit vieler Sorgfalt behandelt- es scheint sogar<br />
zur Regel gehört zu haben, daß am Tage vor dem Essen zwei Vertrauensleute<br />
aus <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Meister das zum Verzehren bestimmte<br />
Fleisch besichtigen mußten, wie das einigemale urkundlich<br />
bezeugt wird. Selbstverständlich gab auch die Werkkost gelegentlich<br />
Anlaß, Strafen zu verhängen und dadurch die Einkünfte des Gewerks<br />
zu verbessern. So 1578: Ist befunden: das die meister angewandt:<br />
das fleisch vnd kost weren unstrafflich i aber am abende<br />
weren vor Schafffleisch viele gele moren gespeiset worden: das dem<br />
werck vnleidlich vnd an<strong>der</strong>n zum abschern zu straffen. Etwa seit 1600<br />
wird diese Bewirtung <strong>der</strong> Innungsbrü<strong>der</strong> nicht mehr erwähnt und<br />
scheint abgeschafft zu sein. Ebenso geht etwa von diesem Zeitpunkt<br />
an die Einschreibung und Freisprechung <strong>der</strong> Jungen ohne festgelegte<br />
Formen vor sich. Bei <strong>der</strong> Erwerbung <strong>der</strong> Meisterschaft dagegen sind<br />
auch weiterhin sehr strenge Gebräuche und Vorschriften in Übung<br />
gewesen- zwar liegen aus dem Ende des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts keine<br />
genauen Angaben darüber vor, aber man darf annehmen, daß sie<br />
sich nicht sehr wesentlich von denen unterscheiden, die aus dem folgenden<br />
Eintrag im Iunftbuch so genau hervorgehen, daß eine weitere<br />
Besprechung überflüssig ist:<br />
Ao 1653 den 15 Decembris hatt Jochim Flotte in Versamblung<br />
E. E. gantzen Gewerks Versamblung bey seinem Schwager<br />
Daniel Litticke die Ieidt angesaget <strong>der</strong> Meisterschaft auff drey<br />
Jahr hat sein Alter gebührlichermaßen eingebracht, actum ut<br />
Anno 1655 vf Cantate hatt Jochim Floithe durch seine Pflegsleute<br />
Lorentz Geßlern an Daniel Lüttiken Stelle erbeten, vnd<br />
Jochim Iarke die erste eschung getahn vndt an <strong>der</strong>en staat entrichtet<br />
6 NTHlr.<br />
Anno 1655 den 21 Novembris hatt Jochim Floite durch seine<br />
Pflegßleute Lorentz Geßlern vnd Jochim Iarken die an<strong>der</strong>e<br />
Eschung gethan vnd an <strong>der</strong>en staht entrichtet 6 Nthlr.<br />
Anno 1656 vf Cantate hat Jochim Floite durch seine Pflegßleute<br />
Lerentz Geßlern vnd Daniel Lütke die dritte eschung gethan,<br />
vndt an <strong>der</strong>en staht entrichtet 6 Nthlr.
108 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Anno 1656 den 17 Augusti hatt Jochim 3loite durch seine<br />
Eschleute vmb seine Ieidtsetzung angehalten, vndt ist Ihme dieselbe<br />
per vota vf den 27 Septembris zugelaßen, alß dan er seil<br />
Meisterstücke verfertigen soll, auf den 3l) 7br soll ihm das gewercke<br />
verletzen werden, seine Beysitzer sein Jochim Berendt vndi<br />
Jochim Woitzech junior.<br />
Anno 1656 den 30 ten Septembris Ist Jochim 3loite, nachdem<br />
er alles was einem werckenbru<strong>der</strong> gebühret E. E. werckc<br />
gethan vndt geleistet, sein Meisterstück gefertiget, vnd waß mangel!<br />
daran befunden gestraffet ins Manual Register gesetzet, die Werks<br />
Kosten hat er wie oben gemeldet richtig gemachet, auch daß werkengeldt<br />
vndt daß Stuellgeldt eingerechnet mit 12 Rthlr richtig gemachet,<br />
6 reichßthaler seindt Ihme von einem Ehrbaren gewercke<br />
auß son<strong>der</strong>lichen Vhrsachen geschenket, welches sich aber keiner zur<br />
nachfolge zum behülffe anziehen soll. Vbrigens hat er E. E. gewercke<br />
mit einer Obligation versichert vndt darauff ist ihme im<br />
Nahmen d. heiligen Dreyfaltigkeit, im Nahmen Vnsers Negierenden<br />
Churfürsten vnd Herren vndt entlich im Nahmen E. E. Gewerckß<br />
daß Gewerke vorleßen vndt für einen vollkommenen<br />
Gewerckßbru<strong>der</strong> vf vndt angenommen worden, seine Pflegsleute<br />
sein gewesen Jochim Grabo vnd Daniel Litke. actum ut supra.<br />
Diese Vorschriften — dreijährige Wartezeit und drei heischungen<br />
— werden wohl seit undenklichen Zeiten in <strong>der</strong> Innung bestanden<br />
haben. Trotzdem machte sich bereits gegen Ende des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
das Bedürfnis geltend, sie erneut festzulegen, und zwar im<br />
Zusammenhang mit einem Vorgang, <strong>der</strong>, wenn man ihn <strong>der</strong> durch<br />
die Zeitumstände gegebenen Färbung entkleidet, ganz ähnlich sich<br />
auch etwa im Jahre 1925 zugetragen haben könnte: die räumlich<br />
so nahe beieinan<strong>der</strong> sitzenden Innungen in Kolberg, Stolp, Elbing<br />
und Danzig standen in einem wirtschaftlichen Wettkampf, dessen<br />
Aussichten für beide Teile ungewiß waren,- Danzig war von <strong>der</strong><br />
Natur insofern bevorzugt, als die Handelswege von dem eigentlichen<br />
Bernsteinland Ostpreußen an ihm vorüber führten, es also<br />
die Möglichkeit hatte, die Vernsteinzufuhr zu den an<strong>der</strong>en Orten<br />
je<strong>der</strong>zeit zu beaufsichtigen und zu stören, wenn auch wohl nicht ganz<br />
zu unterbinden,- dafür konnten die an<strong>der</strong>en Iünfte ihm durch Zahlung<br />
höherer Löhne die notwendigen Arbeitskräfte, die Gesellen, abspenstig<br />
machen, <strong>der</strong>en Anzahl naturgemäß überhaupt nur gering<br />
war und nicht gut vermehrt werden konnte, weil sie durch die Menge<br />
des zu verarbeitenden Bernsteins bedingt war, dieser Bernstein aber<br />
nur in ziemlich geringen und obendrein von allen möglichen Zufällig-
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 1l)9<br />
leiten abhängigen Mengen beschafft werden konnte. Bei dieser<br />
Sachlage blieben nur freundschaftliche Vereinbarungen mit dem<br />
Ziel, zunächst einmal die Innungsgesetze an den einzelnen Orten<br />
einan<strong>der</strong> anzugleichen, dann aber vor allen Dingen durch einheitliche<br />
^ohntarife eine gleichmäßige Verteilung <strong>der</strong> Arbeitskräfte zu erreichen,<br />
wodurch gleichzeitig innerhalb je<strong>der</strong> Innung <strong>der</strong> einzelne<br />
Meister vor unlauterem Wettbewerb seiner Mitmeister geschützt<br />
werden sollte. Diese Vereinbarung wurde festgelegt in <strong>der</strong> Gewerkswlle<br />
von 1584: daß zum mindesten Stolp sich daran nicht ganz freiwillig<br />
beteiligte, son<strong>der</strong>n nur gezwungen unter dem Druck von Erwägungen,<br />
die den vorstehenden recht ähnlich waren, beweist <strong>der</strong><br />
Lrief, mit dem die Stolper Innung vom Bürgermeister und Rat<br />
die Bestätigung <strong>der</strong> neuen Gewerksrolle erbittet:<br />
Achtpar Ehrbare vnd Wollweise Burgemeister vnd Nadt großgünstige<br />
Herren Nach Erpietung vnserer zu je<strong>der</strong> Ieit pflichtschuldigen<br />
vnd gehorsamen diensten können wir Ewer Achtpare<br />
Weißheit vnvermeldet nicht laßen. Das vor schwerer Ieit die Barnsteindreyer<br />
<strong>der</strong> dreier stete, alß Elbing, Stolp vnd Collberge, durch<br />
vnseren Kauffherrn Pawell Iaßken, auff welchem all vnser Handell<br />
vnd narung stehet, gen Danzigk sein vorschrieben worden<br />
zu dem ende, weill allerhandt vnrichtigkeit vnd fast schedliche<br />
Anordnung biß dahero eingenßen, das zu abschaffung <strong>der</strong>oselben<br />
vntereinan<strong>der</strong> sich daselbst nothäfftiglichen zu vn<strong>der</strong>reden hetten.<br />
Wan nhun wir des Herrn Pawell Iaßken in <strong>der</strong>o betrachtung,<br />
das wir zu vortsetzung vnseres Handwerkes Gelde vnd Stein<br />
von Ihme haben müßen, seinem Willen nicht wie<strong>der</strong>streben können<br />
vnd ohn sein Iuthun vnser handtwerk im geringsten zu<br />
nutze geprauchen, viel weniger, so weit wir mit arbeit vnd gesinde<br />
befur<strong>der</strong>t sein wollen, vns von den an<strong>der</strong>n Stetten alß<br />
Danzigk Elbing vnd Colleberge nicht absun<strong>der</strong>n mugen, so sein<br />
vnserer Öldesten Iwey vff dieselbe Ieit gen Danzigk abgesandt,<br />
Vnd haben zwar, in <strong>der</strong> gemeine werks Iusammenkunfft, nicht<br />
an<strong>der</strong>s gehört, noch vernommen, dan das etzliche puncta vnd articull,<br />
so zu gemeinem ersprießlichem gedey, wolfart bestem wachstumb<br />
vnsers Handtwerks guter ordnung vnd erhaltung deßelben<br />
in schriffte berahmet, auffgefaßet vnd son<strong>der</strong>lich durch vermeltes<br />
Herrn Pawell Iaßken vnsers Kauffherrn vor sein eigen perßon<br />
Iuthun (in erwegung das sie allen vier Steten samptlich Ihrem<br />
handtwerk zuweglich vnd dienstlich zu sein befunden worben) vff<br />
fernere Confirmation geeiniget vnd vorglichen: Dan da wir stolpischen<br />
meistere vns von den an<strong>der</strong>n dreien steten abson<strong>der</strong>ten,
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
vnd nicht halten würden, was bewilliget, so haben wir nicht gewißers<br />
anfangklich das wir vom Kauffherrn noch we<strong>der</strong> Stein<br />
noch gelde bekommen, Zum an<strong>der</strong>n, so würde vnsere gesinde<br />
von den an<strong>der</strong>n meistern <strong>der</strong> dreier stete durchaus nicht gefür<strong>der</strong>t,<br />
würden alß etzlich Zum bedellstabe geraten. So ist auch Ewer<br />
A. w., auch menniglichen dieser stad neben vns wißentlich, das<br />
vnsere Handtwerk nicht ist wie an<strong>der</strong>e, die allhie zu Stolp zur<br />
nothurfft Ihre warhe zu markte bekommen, was Ihnen zu ihrem<br />
handtwerke notigk, auch wie<strong>der</strong>umb zu markte Ihres gefallens<br />
verkauffen. Beson<strong>der</strong>n wir müßen zu mherem durch pitte vom<br />
Herrn den Barnstein an vnd also auch wie<strong>der</strong>umb von uns<br />
bringen, so ist auch hell vnd clar am tage, was vor böse vnrichtigkeit<br />
vnordnung, uppicheit vnd wildes rohes leben vnsere gesellen<br />
Hieselbst zu Stolp sich zu forn unternommen vnd befleißigen,<br />
Vnd nirgendt an<strong>der</strong>s, dan dahero, das sie ihre meistere<br />
gezwungen, so weit sie ihre arbeit lenger wolten gefür<strong>der</strong>t sehen,<br />
das Ihnen gelde vber gelde vnd vberflüßig vorgestrecket werden<br />
muhe, welchs dan mit mußichgange, feilende, graßaten gehn tagk<br />
vnd nacht vorbraßet vnd vorthan wart. Vnd wan Ihnen von<br />
meistern gelde abgesagt, wan sie schon genung schuldigk, lieffen<br />
sie davon Zum Vhönhasen vnd dohin, wo sie sicher weren, vnd<br />
müßen die meistere also in Schaden vnd großer vngelegenheit<br />
satzen bleiben, dahero sie an Ihrem handtwerke vnd bürgerlicher<br />
narung merklich sein vorkurzet wurden ....<br />
In heutiges Deutsch übertragen heißt das, wenn man auch<br />
zwischen den Zeilen liest: wir sind unschuldig an dieser neuen Organisation,<br />
aber wir müssen tun, was uns <strong>der</strong> mächtige Paul Ießke<br />
als Vertreter von Danzig vorschreibt, denn sonst schneidet er uns<br />
den Kredit ab und läßt uns keinen Bernstein mehr zukommen- davon<br />
abgesehen ist allerdings eine einheitliche Regelung <strong>der</strong> Lohnfrage<br />
nötig, denn unter den jetzigen Verhältnissen können die Gesellen<br />
machen, was sie wollen, und bringen uns täglich in die ärgsten Unannehmlichkeiten.<br />
Die Gewerksrolle selbst, die von nun an für alle Verhältnisse<br />
innerhalb <strong>der</strong> Innung auf viele Jahrzehnte hinaus von grundlegen<strong>der</strong><br />
Wichtigkeit bleiben sollte, lautet (in einer Abschrift aus<br />
etwa <strong>der</strong> Mitte des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts) wörtlich wie folgt:<br />
Puncta und Articuli, so durch die Bernsteindreher in den vier<br />
Städten: nemblich Dantzig, Elbing, Stolp und Colberg in<br />
Ihrer Rolle zusammen gewilliget, und umb Confirmation<br />
dehroselben Bey <strong>der</strong> hohen Obrigkeit unterschiedlich un<strong>der</strong>-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 111<br />
thäniglichen anzuhalten einhelligen sich beschlossen und berahmet.<br />
Ium Ersten solle sich kein Meister erdreisten einem gesellen mehr<br />
alß eine Mark vorzustrecken, bey <strong>der</strong> Büß eines Stein wachs;<br />
Im 3all aber die ehehaffte noht erfor<strong>der</strong>te, so soll <strong>der</strong> Meister<br />
Solches dem Löbl. wercke bey obberührter Straffe anzumelden<br />
schuldig seyn, und sich beym Löblichen werke erkundigen, ob ein<br />
Werk mehr als eine Mark Betreffendem vorzustrecken gestahten<br />
wolle, hiernegst soll <strong>der</strong> Geselle von seinem Meister abzutrehten<br />
o<strong>der</strong> Uhrlaub zu nehmen nicht macht haben, es sey den daß er<br />
dem Meister solch vorgestrecktes Geld gäntzlich abgearbeitet habe.<br />
Wo aber <strong>der</strong> Gesell sich hierin beschwehrt zu seyn vermeinte, mag<br />
ers dem Löblichen Werk ankündigen, alßdan soll in <strong>der</strong> Sache<br />
ferner nach Erkundigung <strong>der</strong> Eltesten gemittelt und gehandelt<br />
werden.<br />
Ium an<strong>der</strong>n soll sich niemand erdreisten Ja keinen Stein den<br />
Vühnhasen zu Arbeiten geben viel weniger zu verkauffen Bey<br />
Poen zehn Mark, seyn Iwey hun<strong>der</strong>t groschen Polnisch, in den<br />
Pommerschen Städten aber hun<strong>der</strong>t und achzig Schilling Lübisch,<br />
die helffte <strong>der</strong> Obrigkeit und die an<strong>der</strong>e einem Löblichen Werke.<br />
Ium dritten soll auch kein Bru<strong>der</strong> mehr Gesellen halten den<br />
drey und drey Lehrjungen bey <strong>der</strong> Büß eines Stein wachs.<br />
Ium Vierten Niemand soll einen Gesellen <strong>der</strong> auß an<strong>der</strong>n<br />
Öhrtern o<strong>der</strong> Landen herkümbt aufnehmen o<strong>der</strong> Ihm ja keine<br />
Arbeit verleihen, es sey den daß <strong>der</strong>selbige Gesell guten schriftlichen<br />
Beweiß bey den Alterleuten vorgetragen und angezeiget,<br />
daß er von seinem Meister auffrichtig und redlich geschieden sey,<br />
bey <strong>der</strong> Büß eines Stein Wachses.<br />
Ium 3ünfften Es sollen auch die Gesellen wie von alters<br />
hero gebräuchlich sich des Morgens zwischen Vieren und 3ünffen<br />
bey des Meisters Werkstähte finden lassen, und des abends vor<br />
glock neun von <strong>der</strong> Arbeit auffzuhören schuldig seyn, So offt<br />
einer hiewie<strong>der</strong> nachlätzigk befunden und <strong>der</strong> Meister sich deßen<br />
beym Löbl. werk beschwehren würde, so soll er unerläßig ein<br />
Pfundt Wachs verfallen seyn.<br />
Ium Sechsten soll <strong>der</strong> Meister dem Gesellen, <strong>der</strong> seiner Hand<br />
Wohl gerahten kann, nicht mehr als Acht groschen bey einem<br />
Stein Wachs zum Wochlohn zu geben verpflichtet seyn,- den<br />
an<strong>der</strong>n aber, die so wohl nicht arbeiten können, die Woche 3ünf,<br />
Sechs o<strong>der</strong> Sieben Groschen, wie von alters gewesen und nicht<br />
darüber bey obgemeldeter Buße.
112 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Ium Siebenden, Nachdehm auch befunden, das Ihärlichen die<br />
wahre gar ring gemacht, und zuletzt für Kaufmanns Guht nicht<br />
bestehen kann und die Meistere an <strong>der</strong> Gewicht merklich verkürtzet<br />
worden, und solches alles auß dem 3eyerabendt, so man<br />
den Gesellen und Lehrjungen pflag zu geben, entsproßen, <strong>der</strong>owegen<br />
soll solcher 3eyerabendt gantz und gar auffgehoben und<br />
abgeschaffet seyn bey straff fünff Mark. Es soll aber dennoch<br />
den Gesellen zugelaßen seyn des Morgens eine Stunde vor<br />
Vieren sowohl auch auff den abend nach Neune eine Stunde o<strong>der</strong><br />
zwo Schankgeldt zu verdienen und sollen von jedem Pfundt auffzuschneiden<br />
o<strong>der</strong> auffzubohren einen Groschen, und von jedem<br />
Pfundt auffzudrehen Vier Groschen haben und nicht darüber.<br />
Ium achten, Damit diese unsere Rolle und Ordnung in Guter<br />
Achtung, Ehren und Würden, auch je<strong>der</strong>e Puncte und Artikel!<br />
in gutem frischem gedächtniß gehalten möge werden, und damit<br />
sich niemand seiner unwißenheit zu entschuldigen habe, so soll<br />
Sie jährlichen alle Quatember in Gegenwärtigkeit Meister und<br />
Gesellen von Wort zu wort vorgelesen werden- welcher Altermann<br />
hierinnen nachläßig befunden wird, <strong>der</strong> soll ohne alle Mittel<br />
verbüßen einen halben Stein Wachs und darzu wie vorgemeldet<br />
die Rolle lesen laßen- Würde aber je einer von Meistern und<br />
Gesellen außenbleiben und nicht die ehehaffte noht vorhanden,<br />
soll Er unerläßig drey Pfundt Wachs Verfallen seyn.<br />
Anlangend den Siebenden Artikel! wegen des Feyerabends,<br />
so in unserer Rolle klehrlich enthalten welcher nun steht und<br />
vest von Meistern soll und muß gehalten werden, damit nun<br />
unter den Gesellen allerley mißoerstandt abgethan und auffgehoben<br />
und bey<strong>der</strong>seits Meister und Gesellen Willfahren und<br />
gedeihen mögen, so ist eine gewisse Ordnung und Mo<strong>der</strong>ation<br />
getroffen worden, folgen<strong>der</strong> gestalt.<br />
Vom gemeinen Raugenstein solle ein je<strong>der</strong> Geselle von Sechzehn<br />
Pfunden auszuschneiden zum Wochenlohn acht groschen<br />
haben, schneidet einer darüber, soll Ihme von jedem Pfunde<br />
Laut unserer Rolle ein groschen gegeben werden, die an<strong>der</strong>n,<br />
welche nicht so wohl arbeiten können, sollen von vierzehn Pfunden<br />
Sieben Groschen, von Iwolff Pfunden Sechs grofchen und von<br />
zehen Pfunden fünff groschen zum Wochlohn haben. Vom gemeinen<br />
Stein zu Bohren soll ein je<strong>der</strong> Geselle von einundzwanzig<br />
Pfunden zum Wochenlohn acht groschen haben, welcher darüber<br />
arbeiten kann, soll Ihme Laut unserer Rolle nach Pfunden gelohnet<br />
werden, von Neunzehn Pfunden auffzubohren, Sieben
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 113<br />
groschen, und von Siebenzehn Pfunden Sechs groschen, von<br />
funffzehen Pfunden fünff groschen. Gemeine Rundwerk anlangende<br />
soll <strong>der</strong> Gesell von fünffthalb Pfunden aufzudrehen<br />
Juin Wochlohn Acht groschen haben, maß einer darüber arbeiten<br />
wird, soll Laut unserer Nolle gelohnet werden, wen aber das<br />
^Schockwerk ausgesiebet wirdt, soll ein je<strong>der</strong> anstaht <strong>der</strong> fünffthalben<br />
Pfunden auffzudrehen sechs Pfundt haben. Diejenigen so<br />
nicht so wohl arbeiten können, sollen durch die Bank von gemeinem<br />
Stein von vier Pfund auffzudrehen Sieben groschen,<br />
von vierthalb Pfund sechs groschen und von drey Pfundt fünff<br />
groschen haben.<br />
Waß aber den groben Stein anlangendt, Item gar kleinen<br />
und geringen, sowohl auch das Iortwerk, wird ein je<strong>der</strong> Meister<br />
in dehme wohl selbst wißen die Gleichheit zu halten.<br />
Dieweil den nun die Gesellen durchauß sich nicht zu beschwehren,<br />
sintemal Ihnen eine große Mo<strong>der</strong>ation zum besten<br />
geschehen, und soviel gestattet, damit Sie Schankgeldt verdienen<br />
und gute vollkommene Gewicht machen können, da Sie den<br />
selbst guhtwillig, und ungleich mehr wohl etzliche Pfunde, alß<br />
diese jetzige unsere Rolle vermeldet, zum Feyerabend zu nehmen<br />
pflagen. Derowegen soll allen und jeglichen ernstlich aufferleget<br />
seyn, daß sie hinferner die Arbeit und gewichte vollenkömlich<br />
mit allem Fleiß und guter achtung machen sollen. Würde einer<br />
hier wie<strong>der</strong> thun, und die Arbeit schleuniger weiß umb seines<br />
Nutzens und frommens willen von den Händen schlagen, wie<br />
(Gott beßere es!) vorhin geschehen, <strong>der</strong>jenige soll nach Erkenntniß<br />
des Löbl. Werkes gestraffet, und gleichwohl den Abbruch <strong>der</strong><br />
vollkommenen Gewichte zu bezahlen schuldig seyn, wornach sich<br />
ein je<strong>der</strong> zu richten habe.<br />
Item so ein Geselle sich bey die Böhnhasen begeben würde,<br />
sich aber folgends eines Beßern bedächte und wie<strong>der</strong>umb vom<br />
Löbl. Werck gnade begehrte, soll <strong>der</strong>selbe zehen Mark zur Straff<br />
geben, seyn in den Pommerschen Städten fünff thaler, drey<br />
und zwantzig Lubisch Schillinge, würde er aber sein eigen o<strong>der</strong><br />
uff seine Hand arbeiten, soll er Zwantzig Mark verfallen seyn,<br />
und soll sich hiernebenst verwilligen und verschreiben laßen: So<br />
er hinfür dieser Verwilligung noch auff die Bühnhaserey erdristen<br />
würde, daß er des Werkes zu längeren Tagen wolle bestanden<br />
und verlustig seyn.<br />
Item welcher Meister o<strong>der</strong> Geselle mit einem Böhnhasen würde<br />
Gemeinschaft halten, mit Ihm eßen o<strong>der</strong> Trinken o<strong>der</strong> in die<br />
8
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Häuser zu sich aufnehmen, Und er deßen keine rechtmäßige Ursach<br />
hätte, soll er fünff Mark zur Straff verfallen seyn.<br />
Item welcher Geselle geböhnhaset o<strong>der</strong> bey einem Böhnhasen<br />
gearbeitet hätte, soll kein Meister Ihm Arbeit verleihen, Er<br />
habe den solches Vorhin verbüßet, und soll hinfort kein werk<br />
solche Böhnhasen in Straff zu nehmen befugt seyn, den nur<br />
daßelbige <strong>der</strong> die Verbrechung geschehen, bey doppelter Poen, so<br />
dem Böhnhasen gesetzt, und sollen demnach dieselbigen Öhrter,<br />
da Sie geböhnhaset, zu verweisen schuldig seyn, und alda sich<br />
straffen lassen.<br />
Item Welcher Geselle bey den Ehrbarn vieren Städten als<br />
Dantzig, Elbing, Stolp und Colberg künfftiger Zeit meister zu<br />
werden gesonnen wäre, <strong>der</strong> soll sich zu vor auff die Meisterschaft<br />
schreiben laßen, und bey Einem meister drey gantze jähre dienen,<br />
und die Zeit außstehen und zum ersten Quatember die erste<br />
heischung thun. und auffs an<strong>der</strong>e Quatember das Meisterstück<br />
in des Altermanns Hause machen und ein Pfundt Bernstein<br />
auffarbeiten, Darumb zu erfahren, ob Er Kauffmansguht machen<br />
könne, würde er aber mit dem Meisterstück nicht bestehen, so<br />
soll ers beßer lernen, und über ein Vierteljahr wie<strong>der</strong>kommen<br />
und ein neues arbeiten, Imgleichen soll es auch mit den Meistersühnen<br />
mit dem Meisterstück zu machen verstanden werden, Anlangend<br />
aber die Ieit auszustehen sollen sie nicht verpflichtet<br />
seyn, sonst sollen auch alle meister Kin<strong>der</strong>, es seyn Söhne o<strong>der</strong><br />
Töchter, das halbe werk quiht und frey haben.<br />
Item Es foll auch hinferner kein Gesell auff die Meisterschaft<br />
geschrieben werden, Er sey denn seines Alters vollenkommen<br />
fünff und zwantzig Jahr alt, damit Er zu seinen mündigen<br />
Jahren kommen möge gegens daß er seyn Meisterstück machen soll.<br />
Item nachdem man augenscheinlich gesehen, daß die Gesellen,<br />
so bißhero sich auff die Meisterschafft haben schreiben laßen,<br />
Ium Mehrentheil Ihre Ieit mit müßig gehen zu bringen und<br />
außstehen. und also ihres gefallens Leben, das den unfer Roll<br />
gar zu wie<strong>der</strong> gehandelt ist, dem aber entgegen zu kommen, so<br />
soll hinfort, welcher Gesell sich auff die Meisterschafft will schreiben<br />
lassen, folgen<strong>der</strong> Gestalt und Condition solches geschehen,<br />
alß nemblich, daß er laut unserer Rolle fleißig dienen und seines<br />
Meisters Welkstädte nicht versäumen will, auch eine Woche bey<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n gantz treulich arbeiten, Im 3all es einem auß beweglichen<br />
und erheblichen Ursachen Vorkehme, daß er seiner billigen<br />
Gescheffte halber seines meisters arbeit ein o<strong>der</strong> etzliche Tage
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 115<br />
versäumen müße, so soll es mit wißen und willen des Altermanns<br />
o<strong>der</strong> seines Kompans geschehen, und soll <strong>der</strong> Gesell solche Tage<br />
o<strong>der</strong> wochen, wieviel sich <strong>der</strong>er zugetragen, seinem Meister nachzudienen<br />
schuldig seyn. Imgleichen da Er in Leibes Schwachheit<br />
gerahten würde und seines Meisters Arbeit nicht fortsetzen könte,<br />
soll er solche Zeit nachzudienen verpflichtet sein,- Begebe es sich<br />
auch daß <strong>der</strong> Meister keinen stein hätte und dem Gesellen nicht<br />
genugsam arbeit verschaffen könte, So soll <strong>der</strong>selbige Gesell nach<br />
Erkäntniß des Löblichen Werkes bey einen an<strong>der</strong>n Bru<strong>der</strong> versetzt<br />
werden, jedoch seiner Zeit unverkürtzet. Dieß alles soll<br />
ein je<strong>der</strong> Geselle selbst Persöhnlich, wen er geschrieben wirdt,<br />
vorm Löblichen Werke verwilligen und annehmen bey seinem<br />
wahren treu und Ehren steht und fest zu halten, Im 3all er<br />
aber alßdan seiner eigenen Verwilligung zugegen handeln würde,<br />
und Er mit Wahrheit durch seinen Meister, zween Brü<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />
Gesellen deßen überzeuget, so soll Er seiner Zeit, welche er vorhin<br />
gearbeitet hätte, .gantz und gar bestanden seyn, und nicht<br />
darauff fachen o<strong>der</strong> darauff fachen laßen,- Es foll auch ein jeglicher<br />
Meister auff feinen geschriebenen gesellen gute achtung<br />
geben, und all die Tage und Wochen, soviel sich <strong>der</strong> zugetragen,<br />
darin <strong>der</strong> geselle durch seine geschaffte o<strong>der</strong> Ehehaffte noht,<br />
wie ob angemeldet, verhin<strong>der</strong>t were worden, alle Quatember einen<br />
tag bey dem an<strong>der</strong>n schriftlich o<strong>der</strong> mündlich vor <strong>der</strong> Eltesten<br />
Tifche zu verlautbahren fchuldig feyn,- Und <strong>der</strong> Altermann foll<br />
dem Schreiber befehlen, folches ins gedenkbuch zu verschreiben,<br />
damit <strong>der</strong> Gefelle feine Zeit Laut <strong>der</strong> Nolle vollenkömblich außdiene,<br />
auff daß unsere Rolle nicht mag geschwächet, beson<strong>der</strong>n<br />
vielmehr bey Ihren Kräften und Würden erhalten werden. Im<br />
3all <strong>der</strong> Meister in dem würde nachläßig seyn, o<strong>der</strong> solches verschweigen<br />
und den gesellen guhtwillig übersehen wolte, und durch<br />
zween Meistere o<strong>der</strong> sonst redliche Leute mit <strong>der</strong> Warheit überzeiget<br />
würde, so soll <strong>der</strong> meister zween Stein Wachs verbüßen,<br />
o<strong>der</strong> nach Gelegenheit <strong>der</strong> Sache unerläßig gestraffet werden,<br />
wovon die Obrigkeit die Helffte, die an<strong>der</strong>e einem Löblichen<br />
Werke.<br />
Item wen ein Lehrling das Handwerk zu erlernen zugefagt<br />
wirdt, fo foll <strong>der</strong> Meister bey seinen Eltern o<strong>der</strong> Freunden sich<br />
seines alters erkundigen und nebenst den Lehrjahren sein alter<br />
in <strong>der</strong> Jungen Buch verschreiben laßen.<br />
Item nachdem auch befunden, daß auff unferm Handwerk<br />
wenige Gefellen, und dieselbigen, fo noch vorhanden, fich zu
116 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
dehnen Meistern, da sie ihren freyen willen haben mögen, schlagen<br />
und unterdeßen die an<strong>der</strong>n, Gott beßere es, Nahrung müßen<br />
Loß sitzen, welches den gar unfreundlich und durchaus nicht recht<br />
ist. Derowegen so hinferner ein Bru<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Witwe sich gegenst<br />
einem Löblichen Werke beklagen würde, daß er keinen Gesellen<br />
hätte und doch eines benöhtiget, so soll das Löbliche Werk nach<br />
Gottes Befehlg und umb Christlicher Brü<strong>der</strong>licher Liebe willen<br />
denselbigen ihren lieben Mitgenoßen keineswegs nicht unterwegen<br />
laßen, son<strong>der</strong>n vielmehr so es immer müglichcn mit einem Gesellen<br />
versorgen, jedoch <strong>der</strong>gestalt, so ein Bru<strong>der</strong> zween o<strong>der</strong> drey<br />
Gesellen hätte, so soll <strong>der</strong>selbe ein Christlich Brü<strong>der</strong>lich mitleiden<br />
tragen, und eine Ieit lang drey o<strong>der</strong> vier Wochen nach gelegenheit<br />
<strong>der</strong> Sachen einen Gesellen guhtwillig und gerne fahren<br />
laßen, weil solches eine Ehrbarliche und Löbliche und Zierliche<br />
Tugend ist, auch ein Christlich Gottseeliges werk seinem Nebenbru<strong>der</strong><br />
gutes zu erzeigen; So haben wir alle sämbtlich und son<strong>der</strong>lich<br />
auß reiffen wohlbedachtem Verstande und treuer hertzlicher<br />
brü<strong>der</strong>licher Liebe entschloßen, daß solches müge gehalten und ins<br />
werk gestellet werden.<br />
Letzlich welches Werk <strong>der</strong> Ehrbaren Vier Stadt alß Dantzig,<br />
Elbing, Stolp und Colberg dieser obangeschriebenen und verwilligten<br />
Artikeln o<strong>der</strong> Punkte nicht obliegen und solche thun<br />
wollen o<strong>der</strong> abtrünnig würde, daßelbige soll unerläßig fünff<br />
und zwantzig ungerische Gülden verfallen seyn, und darzu ihr<br />
gesinde nicht gefor<strong>der</strong>t werden biß so lang die Verwürkte Straff,<br />
so offt es geschieht, Vollkomlich ist erleget worden; Welches wir<br />
uns den allesambt und son<strong>der</strong>lich in Gegenwertigkeit des Ehren<br />
Vesten und Wohlweisen Herren Pawell Iäßken gewilliget und<br />
solch gemeldete Straff in die Hospital, darein ein je<strong>der</strong> geseßen.<br />
zu geben Verordnet, alß nemblich das Werk von Dantzig soll und<br />
will Ihre Brüche zum Hospital im heil. Leichnam geben, Von<br />
Elbing zu St. Elisabeth daselbst, Von Stolp in Ihren Gasthoff,<br />
und von Colberg in Ihr Kirchhauß und kleinen heylig Geist.<br />
Geschehen und gegeben in Dantzig den Achtzehenden des Monahts<br />
Ianuarii im Jahr nach Christi unsers Herrn und Seeligmachers<br />
Gebührt ein Tausend fünffhun<strong>der</strong>t und Vier und achzig.<br />
Wenn man sich neuzeitlicher Ausdrücke bedienen will, haben<br />
wir hier also eine den größten Teil <strong>der</strong> damaligen Vernsteinindustrie<br />
umfassende Arbeitgeberorganisation mit genauer Regelung des Arbeitsverhältnisses,<br />
Iestsetzung einheitlicher Tarife, Regelung <strong>der</strong><br />
Uberstunden'frage (diese freilich in einem <strong>der</strong> Ieit angemessenen Ge-
Das Gewerkt <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 117<br />
wande) und Bestimmung einer Konventionalstrafe für Zuwi<strong>der</strong>handlungen.<br />
Dementsprechend war auch die weitere Entwicklung <strong>der</strong><br />
Frage ganz ähnlich wie heute in gleich gelagerten Fällen. Zunächst<br />
brach unter den Gesellen eine heftige Empörung aus, lei<strong>der</strong><br />
ohne daß wir wissen, welche Punkte <strong>der</strong> neuen Rolle beson<strong>der</strong>s beanstandet<br />
wurden. Vermutlich haben sie sich geweigert, unter den<br />
neuen Bedingungen zu arbeiten. In einer Eingabe an Bürgermeister<br />
und Nat (exrnb. 5 octlobnZ ao 1584), die 22 Unterschriften trägt,<br />
beschweren sie sich bitter über die Gegenmaßnahmen <strong>der</strong> Meister:<br />
sie seien zu Michaelis zusammengetreten, hätten beschlossen, ihnen<br />
keine Arbeit zu geben und „sich untereinan<strong>der</strong> verbunden, daß kein<br />
Meister den gesellen Hausen o<strong>der</strong> hegen, viel weniger ein bißen<br />
brode o<strong>der</strong> trunk biehr reichen solle". Also eine Aussperrung in<br />
aller Form, die zunächst auch den gewünschten Erfolg gehabt zu<br />
haben scheint- die Unruhe unter den Gesellen wühlte jedoch weiter:<br />
<strong>der</strong> Geselle Hans Böhme wiegelte die übrigen Gesellen auf, reichte<br />
eine förmliche Beschwerde über die Meister beim Rat <strong>der</strong> Stadt<br />
ein. und diese wurden daraufhin (proä. 30. ^artii ao 1585) im Rat-<br />
Hause zu Protokoll vernommen. Jetzt konnten sie sich aber schon<br />
darauf berufen, daß die angefochtene Rolle inzwischen (äe dato<br />
Stettin, 12. Dezember 1584) von Herzog Johann Friedrich bestätigt<br />
worden sei, mithin Gesetzeskraft erlangt habe, drehten den<br />
Spieß um und drohten, den Gesellen Böhme für weiteren Schaden<br />
haftbar zu machen. Damit scheinen die Gemüter sich beruhigt zu<br />
haben. Daß die wesentlichen Bestimmungen <strong>der</strong> neuen Rolle nicht<br />
nur auf dem Papier stehen blieben, beweisen wenigstens hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> so verabscheuten Böhnhaserei (<strong>der</strong> Beschäftigung bei nicht<br />
zünftigen Bernsteinarbeitern) einige Urkunden aus den nächsten<br />
Jahren, wo Gesellen, die in den gerügten Fehler verfallen waren,<br />
sich reumütig beim Gewerk zurückmeldeten. Mindestens in einem<br />
Falle wurde einem Gesellen die beschlossene Geldstrafe auferlegt<br />
und er „genugsam verwarnet: da er hinwie<strong>der</strong>umb sich vff die bonhaserei<br />
begeben wurde (das er nicht zu thun angelobet), so soll er<br />
lange Zeiten des Werkes verfallen sein". In einem an<strong>der</strong>en Falle,<br />
wo ein Geselle aus dringen<strong>der</strong> Not beim Böhnhasen gearbeitet hatte,<br />
finden wir sogar noch einen Hinweis auf die bindende Verpflichtung<br />
gegenüber den an<strong>der</strong>en Vertragsorten, „so die an<strong>der</strong>n stets in solchen<br />
feilen die straffe lin<strong>der</strong>n würden, so wolte ein loblich werk itzig<br />
Gregor Weyern seine Verwirkung auch lin<strong>der</strong>n". Das ist allerdings<br />
<strong>der</strong> erste und für fast ein Jahrhun<strong>der</strong>t zugleich auch <strong>der</strong> letzte Hinweis<br />
darauf, daß eine Verabredung zwischen den vier Städten
118 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
bestand, denn von einer im Jahre 1632 geschlossenen Vereinbarung<br />
haben wir lei<strong>der</strong> keine nähere Kenntnis. Soviel ist sicher, daß die<br />
Bestimmungen <strong>der</strong> Vereinbarung von 1584 keineswegs immer eingehalten<br />
wurden; vor allem scheint die Festlegung des Lohnes von<br />
den Meistern unbequem empfunden worden zu sein, denn es bildete<br />
sich die Sitte aus, daß einzelne Meister diese Bestimmung umgingen<br />
und unter scheinbarer 3esthaltung des Höchstlohnes ihren Gesellen<br />
unter den unverfänglichen Bezeichnungen Geschenk, Biergeld, übriger<br />
Wochenlohn u. ä. doch eine höhere Bezahlung zukommen ließen.<br />
Daß daneben während des Dreißigjährigen Krieges und feiner Wirren<br />
allerhand in Vergessenheit geriet und überdies die vor dem<br />
Kriege getroffenen Lohnabmachungen infolge <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Kaufkraft<br />
des Geldes gegenstandslos geworden waren, ist selbstverständlich.<br />
Es mußten also neue Abmachungen getroffen werden, um die<br />
früheren Verhältnisse wie<strong>der</strong>herzustellen, und so wurde denn nach<br />
längeren Verhandlungen am 5. Mai 1661 „in welchem Jahre vorhero<br />
Unß <strong>der</strong> Allerhöchste Gott auß lauter unverdienter Gnaden<br />
einen ewigen Frieden dieser Lande Preußen Zwischen beyden<br />
Krohnen Polen und Schweden verliehen" eine Versammlung <strong>der</strong><br />
Gewerksbevollmächtigten aus Danzig, Elbing und Stolp nach Danzig<br />
einberufen, „umb daselbst ein undt an<strong>der</strong>e Contraversion, so<br />
etwa bey wehren<strong>der</strong> Kriegs Unruhe, und sonst an<strong>der</strong>er Mißhelligkeiten,<br />
so woll wegen Meister undt Gesellen entstanden", ein für<br />
alle Mal zu beseitigen. Das Ergebnis dieser Versammlung war eine<br />
schriftlich nie<strong>der</strong>gelegte und von allen Bevollmächtigten unterschriebene<br />
Vereinbarung, die in fünf kurzen Sätzen den Gesellenlohn und<br />
die Behandlung <strong>der</strong> zum Böhnhasen überlaufenden Gesellen regelt<br />
und für den Abertretungsfall Geldstrafen festsetzt- kennzeichnend<br />
für die Ungunst <strong>der</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse, vielleicht auch für<br />
eine langsam beginnende Lockerung <strong>der</strong> strengen Innungsbräuche ist<br />
eine Iusatzbestimmung, daß ein Geselle, <strong>der</strong> aus Not gezwungen<br />
sei, zum Bühnhasen zu gehen, das dem Altermann vorher anzeigen<br />
müsse, damit <strong>der</strong> nach Möglichkeit Abhilfe schaffen könne. Diese<br />
Vereinbarung war den Stolper Meistern ersichtlich zu allgemein<br />
gehalten und ihren beson<strong>der</strong>en Verhältnissen nicht hinreichend angepaßt,-<br />
schon wenige Jahre später, am Tage Cantate Anno 1670,<br />
wurde innerhalb des Stolper Gewerks eine Ergänzung beschlossen,<br />
die sich diesmal ausdrücklich gegen die Gesellen richtet, „nachdehm<br />
unter den Gesellen eine solche böße Unordnung eingerißen, daß<br />
theils Gesellen Ihren Meistern etzliche Wochen langk herumbgehen,<br />
etzliche aus großem Vnverstande, Theils auch auß Ubermuth, Theils
Das Gewerb <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 119<br />
auß Faulheit/: Wan Ein Meister noch maß zu arbeiten hatt, so<br />
wollen sie nicht arbeiten, Wan aber <strong>der</strong> liebe Gott vnß den Segen<br />
des Barnsteins entziehet, so will mancher gern arbeiten, Vndt dan<br />
hatt ein gutter Ehrlicher Meister selber nichtes, Vndt kan auch für<br />
geldt nicht maß bekommen. Ja es wißen auch die Gesellen nicht<br />
waß Rolle vndt Gerechtigkeit in sich hatt. noch maß ein ehrlicher<br />
Meisterstandt belangen thut, welches in keiner Stadt alß Dantzig,<br />
Elbing undt Lübeck gelitten Wirdt, dan wan da ein Geselle einen<br />
Montagk machet, so wirdt ihme <strong>der</strong>selbige von seinem Lohn abgezogen/Theils<br />
Gesellen Können nicht viel arbeiten vndt seindt doch<br />
so undiscret daß sie viell Lohn fo<strong>der</strong>n alß <strong>der</strong> beste Geselle, <strong>der</strong><br />
in seiner arbeit bestehen kann; welches doch die Nolle nicht im<br />
Munde führet: den so lauten die Wordt in <strong>der</strong> Rolle: darnach alß<br />
ein geselle arbeiten kan, soll er auch gelohnet werden". Nach diesem<br />
letzteren an sich gewiß richtigen Grundsatz wurde verfahren und<br />
eine Bestimmung ausgearbeitet, nach <strong>der</strong> ein Geselle nur dann den<br />
vereinbarten höchstlohn bekam, wenn er eine bestimmte Menge<br />
Bernstein verarbeitete, während für die, die weniger leisteten o<strong>der</strong><br />
schlechtere Arbeit lieferten, geringere Löhne festgesetzt wurden. Je<strong>der</strong><br />
Geselle, <strong>der</strong> sich einfallen ließe, einen „ganzen Montag" zu machen,<br />
wurde mit einer Geldstrafe von einem Gulden polnisch bedroht;<br />
dazu wurde den Gesellen eine bisher wohl nur in mündlicher Überlieferung<br />
vorhandene Verpflichtung ausdrücklich auferlegt: sie sollen<br />
„die Lehrjungens woll zur Arbeit haltten vndt mit guttem Exempel,<br />
Wercken vndt Sitten auch gutten Vermahnungen vorkommen, wie<br />
eß einem Ehrbahren Gesellen geziemet vndt gebühren will". Vollkommen<br />
neu gegenüber den früheren Bräuchen war die Bestimmung,<br />
daß ein Geselle nur nach vierteljährlicher Kündigung aus <strong>der</strong> Arbeit<br />
treten sollte, nachdem er nachgewiesen, daß er seinem Meister nichts<br />
mehr schuldig sei. Auf Rechnung <strong>der</strong> durch den Krieg bedingten<br />
sittlichen Verwil<strong>der</strong>ung können wir wohl die Schlußbestimmung<br />
setzen, daß Meister und Gesellen bei Streitigkeiten erst dann vor<br />
Gericht gehen dürfen, wenn ein Versuch, vor <strong>der</strong> Gewerksversammlung<br />
eine gütliche Einigung zu erzielen, gescheitert ist. In<br />
früheren Jahren kamen wohl auch Streitigkeiten, sogar Prügeleien<br />
zwischen den Meistern vor, wurden aber durch eine einfache Geldbuße<br />
erledigt, ohne daß darum viel Aufhebens gemacht wurde. —<br />
Es wird niemanden überraschen, daß trotz dieser energischen Vorschriften<br />
die Klagen über die Gesellen und beson<strong>der</strong>s über ihren<br />
Lebenswandel nicht abreißen. Noch 1711 z. B. wurde in einer<br />
Gewerksversammlung feierlich beschlossen, auch die Gesellen zu
12l) Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
einem ordentlichen Leben zu erziehen und deshalb jeden mit einer<br />
Geldstrafe zu belegen, <strong>der</strong> nach IN Uhr abends nach Hause käme<br />
o<strong>der</strong> sich gar erdreiste, die ganze Nacht auszubleiben. Ob es viel<br />
geholfen hat, steht dahin- in dieser Ieit hatte die Innung bereits mit<br />
an<strong>der</strong>en Schwierigkeiten zu kämpfen, denen gegenüber die Gesellenfrage<br />
doch sehr an Wichtigkeit verlor. Nach <strong>der</strong> Vereinigung Ostpreußens<br />
mit Brandenburg war für das Stolper Gewerk auch<br />
Königsberg mit seiner stark entwickelten Bernsteinindustrie näher<br />
gerückt, doch hatten sich die gegenseitigen Beziehungen von Anfano<br />
an nicht sehr günstig gestaltet, indem jedes <strong>der</strong> beiden Gewerke die<br />
beim an<strong>der</strong>en ausgelernten Jungen und Gesellen nicht einstellen<br />
wollte,- daraus entstanden allerhand Schwierigkeiten für die Gesellen,<br />
die nach uraltem Brauch vor Erlangung <strong>der</strong> Meisterschaft<br />
zwei Jahre auf Wan<strong>der</strong>schaft gewesen sein mußten und auf Königsberg<br />
um so mehr angewiesen waren, als die Kolberger Zunft vermutlich<br />
bereits eingegangen war. Um die daraus erwachsenden Miß-<br />
Helligkeiten zu beseitigen, wurde am 12. Mai 1683 zwischen beiden<br />
Gewerken in Königsberg ein Vergleich geschlossen: beide nehmen<br />
die vom an<strong>der</strong>n ausgelernten Jungen ohne weiteres in Arbeit.<br />
Königsberg verzichtet auf das Recht, daß je<strong>der</strong> Meister zwei Lehrjungen<br />
halten darf, allerdings mit <strong>der</strong> Einschränkung, daß det<br />
Meister berechtigt sein soll, einen neuen Jungen anzunehmen, wenti<br />
<strong>der</strong> eine vorhandene „in seinen letzten Jahren stehet", also eine<br />
sehr dehnbare Bestimmung. Beide Gewerke verpflichten sich, gewisse,<br />
in Stolp schon bestehende Regeln über die Lebensführuno<br />
und Böhnhaserei <strong>der</strong> Gesellen zu beachten,- für Stolp neu sind zwei<br />
Vorschriften, die das Ausleihen <strong>der</strong> Lehrjungen und das heirater<br />
<strong>der</strong> Gesellen verbieten, ebenso die Feststellung, daß die Verarbeitung<br />
<strong>der</strong> Elensklauen zur Vernsteindreherkunst gehöre. Bemerkenswert<br />
schließlich ist <strong>der</strong> Absatz 12 des Vertragstextes, <strong>der</strong> die Iremden<br />
(d. h. die Stolper), die in Königsberg Meister werden wollen, vor<br />
<strong>der</strong> Teilnahme am Bernstein ausschließt und ihnen einen Anteil<br />
nur für den 3all in Aussicht stellt, daß <strong>der</strong> Innung vom Kurfürsten<br />
mehr Bernstein geliefert werden sollte. — Dieser Vertrac<br />
kennzeichnet das gegenseitige Verhältnis <strong>der</strong> beiden Gewerke ir,<br />
einer Ieit, wo Königsberg noch im vollen Genusse des ostpreußischen<br />
Bernsteins stand und mit fühlbarer Verachtung auf den unbedeutenden<br />
Nebenbuhler in Stolp herabsah: es ist nicht mit einem<br />
Wort die Rede davon, daß etwa ein Königsberger auf den Gedanken<br />
kommen könnte, in Stolp Meister zu werden, währent<br />
Königsberg sich dahingehende Versuche <strong>der</strong> Stolper höflich verbitte)
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 121<br />
und wohl mehr zum Schein von Bedingungen abhängig macht, mit<br />
<strong>der</strong>en Eintritt damals nicht zu rechnen war. Als einziges Ergebnis<br />
bleibt die Vereinbarung, daß künftig beide Gewerbe die beim an<strong>der</strong>n<br />
Vertragsteilnehmer ausgelernten Lehrlinge in Arbeit nehmen wollen,<br />
und diese Vereinbarung wurde zwar dem Buchstaben nach eingehalten,<br />
aber praktisch dadurch umgangen, daß man von den zuwan<strong>der</strong>nden<br />
Gesellen ein erhebliches Eintrittsgeld for<strong>der</strong>te, das<br />
sie oft genug nicht bezahlen konnten und erst" mühsam abarbeiten<br />
mußten. Es wurden also sehr bald wie<strong>der</strong> neue Verhandlungen<br />
erfor<strong>der</strong>lich, die schließlich zu persönlichen Besprechungen in Königsberg<br />
und am 3. 11. 1702 zu einem schriftlichen Vertrage führten.<br />
Diesmal war völlige Gleichberechtigung die Grundlage, indem beide<br />
Gewerbe sich verpflichten, die Gesellen des an<strong>der</strong>en ohne Eintrittsgeld<br />
unbeschränkt in Arbeit zu nehmen und zur Meisterschaft zuzulassen,<br />
außerdem eine ..Gnadenzulage" an Bernstein, die etwa eins<br />
von ihnen erhielte, mit dem an<strong>der</strong>en zu teilen; durch eine Iusatzbestimmung.<br />
daß Stolp und Königsberg Gesellen aus Lübeck.<br />
Danzig und Elbing nicht einstellen durften, wurden so die beiden<br />
damals preußischen Bernsteingewerke zu einer Einheit zusammengeschmiedet,<br />
die die ganze Entwicklung <strong>der</strong> Bernsteinindustrie hätte<br />
maßgebend beeinflussen können, wenn. . . <strong>der</strong> Vertrag von 1702<br />
gehalten worden wäre. Zwar nahmen die Künigsberger die von<br />
Stolp kommenden Gesellen ohne weiteres in Arbeit und ließen sie<br />
auch Meister werden, wie Daniel und Lorenz Güßler und Friedrich<br />
Roggenbuck,- die Stolper Meister dagegen erhoben nach wie vor<br />
von den Königsberger Gesellen eine als „Strafe" bezeichnete Abgabe<br />
bis zur höhe von 20 Mark, und merkwürdigerweise ließ sich<br />
Königsberg, soweit aus den Akten ersichtlich, dies Verfahren wi<strong>der</strong>spruchslos<br />
gefallen. 17 Jahre nach dem Vergleich von 1702, vermutlich<br />
Anfang 1719, ging nun von Königsberg <strong>der</strong> Versuch aus,<br />
die mit Stolp getroffenen Abmachungen auch auf die Gewerke in<br />
Danzig, Elbing und Lübeck auszudehnen, d. h. im wesentlichen das<br />
fortzusetzen, was auf Anregung von Danzig im Jahre 1584 begonnen<br />
worden war. Die genannten Werke zeigten grundsätzliches<br />
Einverständnis, abgesehen von gewissen nebensächlichen Bedingungen,<br />
die Danzig stellte, knüpften aber den Abschluß eines förmlichen Vertrages<br />
an die Voraussetzung, daß die seinerzeit zwischen Stolp und<br />
Königsberg getroffenen Vereinbarungen tatsächlich rechtskräftig seien.<br />
Als nun aber Königsberg in Stolp um eine formelle Bestätigung<br />
des Vertrages von 1702 nachsuchte, erging unter dem 29. 6. 1719<br />
eine Antwort, die uns ebenso wie damals den Königsbergern nicht
122 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
recht verständlich ist: es sei wohl richtig, daß seinerzeit die Alterleute<br />
Joachim Vanselow und Jürgen Gößler ein <strong>der</strong>artiges Abkommen<br />
geschlossen hätten- sie seien aber nicht bevollmächtigt gewesen,<br />
hätten auch den Vertrag nur mit ihrem eigenen Petschaft und<br />
nicht mit dem Innungssiegel gesiegelt- das Gewerk hätte ihn deshalb<br />
auch „niemahlen ratihabieret noch einige notice jemahlen davon<br />
gehabt", und man könne ihm nicht verdenken, wenn es jetzt von ihm<br />
nichts wissen wolle. — Es läßt sich schwer sagen, was die Stolper<br />
Meister zu diesem eigenartigen Schritt veranlaßt hat. Daß bei Abschluß<br />
des Vergleichs von 1702 genügende Vollmachten von beiden<br />
Seiten verlangt und gefor<strong>der</strong>t wurden, wissen wir aus den Akten,<br />
sodaß dieser Teil <strong>der</strong> Stolper Behauptungen sicher unrichtig istwir<br />
wissen auch, daß die Urschrift des Vergleichs im Innungsarchiv<br />
sorgfältig aufbewahrt wurde, also sicher mehr bedeutete als eine<br />
private Abmachung <strong>der</strong> Alterleute; es bleibt nur die eine Tatsache,<br />
daß <strong>der</strong> Vergleich nicht das Innungssiegel trägt, und diesen Umstand<br />
benutzte die Innung, um sich von einer 3essel frei zu machen,<br />
die sie aus unklaren Gründen als unbequem empfand. Die Königsberger<br />
Meister waren jedenfalls über den Abfall ihrer Bundesgenossen<br />
so entrüstet, daß sie sich sofort an den König von Preußen<br />
wandten und unter Darlegung des Tatbestands um Abhilfe baten.<br />
Von dem nun beginnenden Schriftwechsel ist uns lei<strong>der</strong> nur <strong>der</strong> Endbescheid<br />
vom 11. Januar 1720 erhalten. Darin erklärte <strong>der</strong> König,<br />
die Stolper seien in <strong>der</strong> ganzen 3rage von den Danzigern aufgehetzt<br />
worden und zunächst einmal bei Androhung von 30 fl.<br />
Strafe zur Erfüllung des Vergleichs von 1702 anzuhalten- im<br />
übrigen sei es durchaus zu loben, daß eine Vereinbarung unter<br />
sämtlichen Bernsteingewerken herbeigeführt werden solle; Elbing<br />
und Lübeck wären leicht dazu zu bringen, einen Vergleich nach dem<br />
Vorbild Stolps zu schließen,- wenn Danzig dann noch Schwierigkeiten<br />
mache, müsse es gezwungen werden; wenn alle an<strong>der</strong>en Gewerke<br />
keine Danziger Gesellen einstellen und ihren eigenen Leuten<br />
das Arbeiten in Danzig verbieten würden, würde Danzig, das seine<br />
meisten Gesellen aus Stolp beziehe, wohl nachgeben und „von selbst<br />
zu Vereinigung und Än<strong>der</strong>ung seiner ungereimten Capricen schreiten".<br />
Über den Ausgang <strong>der</strong> ganzen Streitsache wissen wir nur,<br />
daß Gesellen aus Lübeck, Danzig und Königsberg fortan ohne weiteres<br />
angenommen und zur Meisterschaft zugelassen wurden (Elbing<br />
scheint sehr bald eingegangen zu sein). Im übrigen ist die Ieit<br />
außenpolitischer Verhandlungen für Stolp jetzt abgeschlossen, indem<br />
durch die staatliche Regelung <strong>der</strong> Vernsteinverteilung. über die später
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 123<br />
zu reden sein wird, Danzig und Lübeck ausscheiden und die Beziehungen<br />
zu Königsberg auf eine vollkommen neue Grundlage gestellt<br />
werden. Aus dieser neuen Grundlage entwickelt sich dafür eine<br />
Zeit sozusagen innerpolitischer Schwierigkeiten, die die ganze Aufmerksamkeit<br />
<strong>der</strong> führenden Geister <strong>der</strong> Innung erfor<strong>der</strong>ten. Die<br />
staatliche Zuteilung einer erheblichen Menge Bernsteins zu einem<br />
billigen Preise im Verein mit <strong>der</strong> gerade in jenen Jahren zum<br />
ersten Male durchgefochtenen Entscheidung über die gesellschaftliche<br />
Einordnung <strong>der</strong> Innung und das Recht des freien Handels<br />
ließ selbstverständlich die Zugehörigkeit zu einer so vielversprechenden<br />
Gemeinschaft als wünschenswert erscheinen, und die natürliche Folge<br />
war ein unerwarteter Zustrom sowohl von Lehrlingen als auch von<br />
fremden Gesellen, die in Stolp die Meisterschaft erlangen wollten.<br />
Im Anfang mag das noch den Wünschen <strong>der</strong> Innung entsprochen<br />
haben, doch sehr bald wurde <strong>der</strong> Andrang zu groß, und man mußte<br />
sich zu durchgreifenden Maßnahmen entschließen, um einer weiteren<br />
Vermehrung <strong>der</strong> Iunftbrü<strong>der</strong> vorzubeugen, da bei <strong>der</strong> unverän<strong>der</strong>lichen<br />
Menge des zur Verfügung stehenden Bernsteins von einer<br />
gewissen Grenze an jede Neuzulassung eine Schädigung <strong>der</strong> schon<br />
vorhandenen Meister bedeutete. Man begnügte sich zunächst damit,<br />
die Aufnahme von Lehrlingen zu erschweren, indem man das Einschreibegeld,<br />
das noch um 170N 1/2 Taler betragen hatte. 1739 auf<br />
15, 1756 sogar auf 20 Taler erhöhte, die Lehrzeit, die bis dahin<br />
ziemlich willkürlich bestimmt worden war, ein für alle Mal auf<br />
sechs Jahre festsetzte; auch die geistigen Anfor<strong>der</strong>ungen, die an die<br />
neuen Lehrlinge zu stellen waren, wurden erhöht durch einen Beschluß<br />
vom Jahre 1739, nach dem <strong>der</strong> Altermann jeden neuen Lehrling<br />
prüfen sollte, ob er „in seinem Christentuhm gegründet, den<br />
Catechismo fertig außwendig, gutt leßen und schreiben könne". Das<br />
genügte aber offensichtlich nicht und so wurde schon im nächsten<br />
Jahre 1740 ein Beschluß <strong>der</strong> Innung gefaßt, <strong>der</strong> alle bisherigen<br />
Bedingungen von Grund aus umstieß: bis auf weiteres keinen Gesellen<br />
mehr „auf die Jahre zu schreiben", d. h. keinen nicht aus <strong>der</strong><br />
Innung hervorgegangenen Gesellen mehr zur Meisterschaft zuzulassen;<br />
bei neuen Meisterschaften immer die Meistersöhne zu bevorzugen<br />
und vor allen Dingen die Zahl <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> nicht über 50<br />
gehen zu lassen (ursprünglich waren es etwa 15 gewesen, 1643 22,<br />
1726 bereits 34). Die Meister kamen also notgedrungen zu <strong>der</strong><br />
noch heute nicht allzuweit verbreiteten Erkenntnis, daß ein Naturprodukt,<br />
das nicht beliebig herstellbar o<strong>der</strong> vermehrbar ist. nur zum<br />
Schaden <strong>der</strong> Beteiligten dem unbeschränkten Wettbewerb im Handel
124 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
unterworfen werden kann. Es läßt sich denken, daß dieser Beschluß<br />
in den Kreisen <strong>der</strong> Nächstbeteiligten lebhafte Entrüstung und Wi<strong>der</strong>spruch<br />
hervorrief- wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt ist. so gewinnt<br />
man doch deutlich den Eindruck, daß er undurchführbar blieb,<br />
und deshalb wurde er zehn Jahre später, 1751, dahin erweitert,<br />
daß seine Bestätigung durch den König von Preußen nachgesucht<br />
werden sollte, wodurch er gewissermaßen Gesetzeskraft erhielt- demnach<br />
wurde auch verfahren, doch wurden während <strong>der</strong> etwas langwierigen<br />
Verhandlungen noch vier Meister zugelassen, sodaß nunmehr<br />
die Iahl <strong>der</strong> Iunftglie<strong>der</strong> endgültig auf 54 festgelegt wurde.<br />
Da aber ein gewisser Nachwuchs gesichert sein mußte, zerfielen die<br />
Iunftglie<strong>der</strong> fortan in zwei scharf getrennte Klassen: die zum Bezüge<br />
des Bernsteins berechtigten Meister (o<strong>der</strong> Meisterwitwen), die Partizipanten<br />
und die Expectanten, die zwar auch die Meisterschaft<br />
gewonnen hatten, aber zum Bernsteinbezuge und damit zu einer<br />
selbständigen Existenz erst gelangen konnten, wenn einer <strong>der</strong> Partizipanten<br />
ausgeschieden, gestorben o<strong>der</strong>, was allerdings sich nur einmal<br />
ereignet hat, verzogen war. Ob nun die Meister voraussahen,<br />
daß durch die neue Einrichtung bei wie bisher unbeschränktem Iuzuge<br />
frem<strong>der</strong> Gesellen unangenehme Streitigkeiten innerhalb <strong>der</strong><br />
Iunft entstehen würden o<strong>der</strong> ob sie, weniger weitschauend, nur erreichen<br />
wollten, daß <strong>der</strong> Bernstein sozusagen in <strong>der</strong> Familie bliebe,<br />
steht dahin- jedenfalls zielten ihre weiteren Maßnahmen deutlich<br />
darauf ab, alle fremden Elemente fernzuhalten. Iu diesem Zwecke<br />
wurde noch 1751 beschlossen, für die nächsten sechs Jahre keinen<br />
Lehrling mehr einzuschreiben, eine Vorschrift, die sich nur gegen<br />
Fremde richtete, da schon seit langer Ieit die Zunftsühne nicht mehr<br />
unter den Lehrlingen geführt wurden- als trotzdem ein Meister<br />
einen Jungen annahm und trotz schwerer Strafandrohung nicht wie<strong>der</strong><br />
entlassen wollte, mußte die Iunft doch einsehen, daß ein Meister<br />
ohne Lehrling nicht recht arbeiten könne, und än<strong>der</strong>te die Bestimmung<br />
dahin, daß ein Meister, <strong>der</strong> noch keinen Lehrling habe, einen<br />
einstellen dürfe, daß aber beim Einschreiben 20, beim Ausschreiben<br />
IN Taler erhoben werden sollten. Um darüber hinaus noch das<br />
Übergewicht <strong>der</strong> Iunftfamilie — wenn man dies Wort einmal anwenden<br />
darf — zu sichern, wurde 1753 zusätzlich beschlossen, daß<br />
ein Iunftsohn schon mit 23 Jahren zur Expectanz gelangen könne,<br />
ein in <strong>der</strong> Iunft ausgelernter Geselle, <strong>der</strong> nicht Iunftkind sei, erst<br />
mit 25 Jahren und dann auch erst, wenn er eine Wartezeit von<br />
zwei Jahren überstanden habe (<strong>der</strong> letztere Iusatz fiel 1773 weg).<br />
Das Eintrittsgeld von 50 Talern, wie es jetzt neu festgesetzt wurde,
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 125<br />
war zur Hälfte bei Erlangung <strong>der</strong> Expectanz, zur Hälfte bei Beginn<br />
<strong>der</strong> Beteiligung am Bernstein zu zahlen. Diese Bestimmungen,<br />
die theoretisch jeden Iuzug frem<strong>der</strong> Elemente ausschlössen, hatten<br />
freilich eine Lücke infofern, als nach altem Herkommen ein Geselle,<br />
<strong>der</strong> ein Iunftkind o<strong>der</strong> eine Iunftwitwe heiratete, felbft die<br />
Rechte eines Iunftkindes erlangte, denn nun brauchte ein zuwan<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />
3remdgefelle nur eine <strong>der</strong> immer vorhandenen Iunftwitwen<br />
zu heiraten, um trotz aller Erfchwerungen das volle Iunftrecht zu<br />
gewinnen, und tatfächlich ereigneten fich folche heiraten jetzt fo oft,<br />
daß gegen gewiffe Auswüchfe eingeschritten werden mußte. Das<br />
ließ 'fich allerdings anfänglich wohl noch nicht voraussehen. Es verging<br />
auch noch eine Reihe von Jahren, in denen auf Innehaltung<br />
<strong>der</strong> neuen Bestimmungen sorgfältig geachtet wurde; insbeson<strong>der</strong>e<br />
über die Einhaltung <strong>der</strong> sechsjährigen Lehrzeit wurde eifersüchtig<br />
gewacht, und es kam dieserhalb, wie im Ialle des Pastorensohnes<br />
Joh. Jakob Banselow aus Gr. Silkow, zu erbitterten Streitigkeiten.<br />
Noch nach 1750 scheint die Iunft fogar die Einrichtung einer<br />
Sterbekafse getroffen zu haben, die für jeden 3all eine Summe von<br />
3N Talern vorsah und erst um 1805 aufgelöst wurde. Daneben fieht<br />
man aber doch fchon in mancher. Hinsicht ein Abweichen von den<br />
alten Gewohnheiten: bisher hatten nach uraltem herkommen die<br />
jüngsten Meister die Pflicht, bei Beerdigungen von Iunftglie<strong>der</strong>n<br />
den Sarg zu tragen,- 1764 wurde dem eben zum Kommerzienrat<br />
ernannten neuen Meister Joh. Ernst Klebang gestattet, diese Pflicht<br />
durch Zahlung eines Geldbetrages abzulösen. Früher konnten nur<br />
gelernte Bernsteinarbeiter Iunftmitglie<strong>der</strong> werden: jetzt wurden die<br />
verschiedensten Persönlichkeiten, denen die Iunft zu Dank verpflichtet<br />
war o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Dienste sie meinte einmal in Anspruch nehmen zu<br />
können, als Ehrenmitglie<strong>der</strong> mit wenn auch beschränktem Iunftrecht<br />
aufgenommen. Überhaupt scheint <strong>der</strong> Geist innerhalb <strong>der</strong> Iunft<br />
langsam an<strong>der</strong>s zu werden,- früher gab es wohl auch Streitereien,<br />
aber sie waren nicht weiter schwer zu nehmen,- jetzt, nach 175N, hören<br />
wir immer wie<strong>der</strong> von unliebsamen Auftritten, Schimpfereien, Beleidigungen<br />
und Verdächtigungen <strong>der</strong> Iunfttribunen, schweren Verstößen<br />
gegen die Iunftgefetze u. ä. Iwar genügte meist die einfache<br />
„Ezkludierung", d. h. die Ausschließung von allen Iunftveranstaltungen.<br />
als Bestrafung, aber mehr als einmal war doch die Zuflucht<br />
zu den öffentlichen Gerichten notwendig, wie umgekehrt auch mehrfach<br />
einzelne Meister die Hilfe <strong>der</strong> Gerichte gegen die Iunft in<br />
Anspruch nahmen. Das gehört aber schon zu den Erscheinungen des<br />
Nie<strong>der</strong>gangs, die später zu besprechen sind.
126 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Der soziale Aufstieg.<br />
Die Bernsteinarbeiter in Stolp — und an<strong>der</strong>swo — haben von<br />
allem Anfang an in dem gesellschaftlichen Gefüge ihrer Stadt eine<br />
eigenartige Son<strong>der</strong>stellung gehabt: auf <strong>der</strong> einen Seite waren sie<br />
einfache Handwerker, indem ihrer Hände Arbeit ihnen den nötigen<br />
Lebensunterhalt gab; auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aber unterschieden sie<br />
sich sehr wesentlich von an<strong>der</strong>en Handwerkern, die, wie oben berührt,<br />
einfach ihre Ware auf den Markt bringen und das, was sie<br />
zu ihrer Arbeit brauchen, auf dem gleichen Markt kaufen können;<br />
denn ihre Ware mußte, vermutlich ursprünglich durch verwickelte<br />
Kreditoperationen, aus dem Ausland bezogen werden, und die fertigen<br />
Bernsteinsachen mußten auf einem ähnlich verwickelten Wege<br />
ins Ausland, zum Teil in überseeische Län<strong>der</strong> verfrachtet werden.<br />
Die Bernsteinarbeiter waren also zu einem guten Teil ihres Wesens<br />
Kaufleute und standen als solche <strong>der</strong> vornehmen und viel beneideten<br />
Iunft <strong>der</strong> Kaufleute und Gewandschnei<strong>der</strong> näher als den einfachen<br />
Gewerken. Ob da schon im Mittelalter gelegentlich bei ihnen <strong>der</strong><br />
Wunsch hervorgetreten ist, dieser Tatsache Rechnung zu tragen und<br />
die Erhöhung <strong>der</strong> Iunft anzustreben, wissen wir nicht,- es scheint<br />
aber festzustehen, daß <strong>der</strong>artige Gedankengänge ihnen durchaus bewußt<br />
waren. Beweis dafür ist die nachstehende Urkunde vom 21. Oktober<br />
1534, die älteste, die uns überhaupt von den Vernsteindrehern<br />
in Stolp Kunde bringt und die wir im Wortlaut anführen müssen,<br />
weil sie später immer wie<strong>der</strong> herangezogen wird:<br />
Wir Barnim von Gottes Gnaden hertzog zu Stettin, Pommern,<br />
<strong>der</strong> Kaßuben und Wenden, 3llrst zu Rügen, Graff zu<br />
Gutzkow, vor Uns, Unsere Erben und Nachkommende herrschafft,<br />
thun kundt vor Männiglich, Nachdem Wir aus beweglichen Uhrsachen<br />
ein gemein öffentlich Edict außgehen laßen, darin wir<br />
verordnet, daß diejenigen, so in Unsern Städten sitzen und handtwerks<br />
Nahrung genießen und brauchen, des Brauwerks zu<br />
Schenken und Verkauffen sich enthalten sollen. Alß ferner Inhalts<br />
deßelben Edicts uns die Ehrsamen Unser Untersaßen und<br />
Lieben getreuen, alle und jegliche Verwandten des Bernsteindreher-Werks<br />
o<strong>der</strong> Gildes <strong>der</strong> Paternostermacher Unser Stadt<br />
Stolp in Vertröstung gestanden, daß Sie durch obberührts Unser<br />
Edict nicht sollen begriffen werden mit Anzeigunge dieser und<br />
an<strong>der</strong>er Uhrsachen, daß Ihr Handtwerk nicht zur Nothdurfft<br />
Unser gemeinen Landtschafft außgerichtet, auch den gedreneten<br />
Bernstein bey den Unsern nicht vertreiben o<strong>der</strong> verkauffen<br />
mögen, Und das demnach Ihre Gilde <strong>der</strong> Kauffmanns-Handlung
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 12?<br />
viele näher, als dem rechten und Arth handtwerks Nahrunge<br />
wehre und geachtet seyn soll, und Uns in Untertänigkeit angefallen,<br />
hierauff Erklährunge zu thun und Sie ihres rechtes genießen<br />
zu laßen. Demnach haben Wir mit vorhergehendem Rath<br />
und gebührlicher Betrachtung dieser Sachen erklähret, daß vorberührte<br />
Verwandten des Gildes und Werkes <strong>der</strong> Paternostermacher<br />
o<strong>der</strong> Bernsteindreher in und durch obgemeldte Unser Edict<br />
und Ordnungen, damit den handtwerken das Brauen verbothen,<br />
nicht sollen begriffen o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong>selben Ordnung versaßet o<strong>der</strong><br />
verbunden, son<strong>der</strong>n Ihnen frey vorbehalten feyn, gleich den<br />
an<strong>der</strong>n, so sich Kauffmanns Handlunge <strong>der</strong> gemeinen Stadt Nahrung<br />
außerhalben die gemein handtwerk üben, Brauwerk zum<br />
Kauff und verschenken ohne männigliches Verhin<strong>der</strong>unge und<br />
Eintrag zu genießen und zu gebrauchen, Erklähren auch abgemeldt<br />
Unser Edict vorberührter Gestalt, in Krafft und Macht<br />
dieses Unsers Brieffes, mit fernerem Anhange, daß die Paternoster<br />
Macher, wenn Sie brauen, wie Stadt-Recht und Gewohnheit<br />
ist, werden, daß Sie damit in Unser Edict nit fallen,<br />
dagegen gehandelt, nit geachtet, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Straffe deßelben entfreyet<br />
werden und seyn sollen, hieben an und über sein gewest<br />
die Edlen, Wohlgeborenen und Ehrbaren Unsere Räthe und<br />
Liebe Getreue Jürgen Grafs von Eberstein u. Herr zu Neugardten.<br />
Achim Molzan Unser hoff Marschalk und Bartholomäus<br />
Schwave Unser Cantzler. Datum Rügenwalde Mittwochs<br />
nach Lucae im Jahre nach Christi Gebührt Tausendt Viffhun<strong>der</strong>t<br />
und vier und dreißig. Uhrkündlich mit Unserm anhangenden Insiegell<br />
befestiget.<br />
Ob diese einer späteren Zeit entstammende Abschrift den Wortlaut<br />
<strong>der</strong> Urkunde genau wie<strong>der</strong>gibt, lassen wir dahingestellt- <strong>der</strong><br />
Sinn ist jedenfalls zweifelsfrei erhalten und bedeutet klar, daß die<br />
Vernsteinarbeiter sich schon damals als Kaufleute fühlten und vom<br />
Landesfürsten auch als solche anerkannt wurden. Diese Tatsache<br />
wurde noch unterstrichen durch eine 40 Jahre später ergehende<br />
herzogliche Verfügung, die ebenso wie die vorstehende grundlegend<br />
für die spätere Stellung <strong>der</strong> Bernsteinarbeiter wurde:<br />
Von Gottes Gnaden Wir Johannes 3rie<strong>der</strong>ich hertzog zu<br />
Stettin, in Pommern, <strong>der</strong> Kaßuben und Wenden, Fürst zu Rügen<br />
und Grafs zu Gutzkow. Groß Ehr und Ehrsahme, Liebe, Getreue,<br />
auß dem verschloßenen habet Ihr zu ersehen auf <strong>der</strong> Elter<br />
Leute, Güldemeister und gemeine Iunfft Brü<strong>der</strong> <strong>der</strong> Paternostermacher<br />
übergebene Supplikation in Unserer Stadt Stolp In
128 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Sachen Verkleinerung Ihres Standes, und Kley<strong>der</strong> Tragen zu<br />
verordnen Unterthänigst gebehten, also wirdt Zum Urtell erteilet:<br />
Weil Supplikanten von Uns, Fürstlicher Obrigkeit, Privilegium<br />
haben, nebst an<strong>der</strong>en Kauff-Leuten zu handeln mit Bier<br />
Brauen, verschenken, und verführen, auch sonsten vor Ihren<br />
Bernstein Waaren zu Waßer und Zu Lande, an Perlen, Kleinodigen,<br />
Goldt und Silber, Sampt und Sende aus frembden Län<strong>der</strong>n,<br />
in Unser Landt gebracht wird, und Sie deswegen mit nichten<br />
unter die an<strong>der</strong>n Handtwerks-Leute gerechnet werden können.<br />
Allso befehlen Wir Euch hiemit allererst und bey 300 Nthllr.<br />
Straffe, die Supplicanten bey Ihren Privilegien zu schützen,<br />
gleich an<strong>der</strong>en Kaufs Leuten Ihre Ehre gönnen, an Kley<strong>der</strong><br />
Tragen in Ihren Ehren Tagen an Sampt und Seyde zugelassen<br />
seyn.<br />
Wornach Ihr Euch zu richten habet. Gegeben in unserer Stadt<br />
Alten Stettin den 20 ten Maji Anno 1574.<br />
An Burgemeister und Nath in Unser Stadt Stolp.<br />
Aus dieser Anerkennung ihres Kaufmannsstandes haben jedoch<br />
die Bernsteinarbeiter einstweilen noch keine Folgerungen gezogen.<br />
Als im Jahre 1623 <strong>der</strong> damals regierende Herzog von Pommern<br />
bestimmte, daß die vorhandenen acht Gewerke — die hauptgewerke,<br />
wie sie von da an hießen — für ewige Zeiten erhalten bleiben<br />
sollten, haben sie sich trotz <strong>der</strong> angeführten Privilegien ruhig darein<br />
gefunden. Wenn man die kurz danach — 1626 — beginnenden<br />
Taufregister <strong>der</strong> Pfarrkirche in Stolp durchsieht, hat man auch<br />
durchaus den Eindruck, daß sie sich als Handwerker fühlten, denn<br />
zu Paten ihrer Kin<strong>der</strong> baten sie fast ausschließlich an<strong>der</strong>e Handwerker,<br />
ganz ausnahmsweise einen Brauer, niemals ein Mitglied<br />
<strong>der</strong> Kaufmanns- und Gewandschnei<strong>der</strong>zunft, <strong>der</strong> sie doch nach ihren<br />
Privilegien gleich geachtet werden sollten. Erst lange nach dem<br />
Dreißigjährigen Kriege trat hierin eine Än<strong>der</strong>ung ein, und zwar<br />
wurde <strong>der</strong> Stein ins Rollen gebracht durch eine im Jahre 1678<br />
erlassene „Polizei- und Klei<strong>der</strong>-Ordnung" <strong>der</strong> Stadt Stolp, in <strong>der</strong><br />
die Bernsteindreher „fast in die letzte Klasse <strong>der</strong> Handwerker" gesetzt<br />
wurden, also eine fast genaue Wie<strong>der</strong>holung des Vorgangs von<br />
1574. Wie damals ließen sich die Bernsteinarbeiter diese Zurücksetzung<br />
nicht gefallen und wandten sich unter Hinweis auf ihre Privilegien<br />
direkt an den Kurfürsten in Berlin, <strong>der</strong> denn auch ohne<br />
weiteres verfügte, daß man ihnen alles gönnen solle, was sonst den<br />
Kaufleuten zukomme. — Es wäre müßig darüber nachzudenken,<br />
ob diese Entscheidung nun wirklich eine Art Beschluß herbeigeführt
-<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 129<br />
hat des Inhalts, daß die Bernsteinarbeiter nun auch praktisch die<br />
Folgerungen aus <strong>der</strong> erneut erfolgten Anerkennung ihrer Kaufmannseigenschaft<br />
ziehen wollten- soviel steht fest, daß dies Jahr 1678<br />
den Beginn einer langjährigen Periode fast immerwähren<strong>der</strong> Kämpfe<br />
bezeichnet, die alle in jener Richtung zielten. Wenn wir auch über<br />
viele Einzelheiten nicht unterrichtet sind, so können wir doch den<br />
wesentlichen Gang <strong>der</strong> Ereignisse festhalten. Am Anfang steht eine<br />
Beschwerde an Bürgermeister und Rat (exkibit. 19. 8. 1685), in<br />
<strong>der</strong> Stadtgildemeister und sämtliche Alterleute <strong>der</strong> Hauptgewerke<br />
bitten, das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher zu einer Erklärung darüber<br />
anzuhalten, ob sie bei den acht Hauptgewerken bleiben wollten.<br />
Darauf erhielt im üblichen Geschäftsgang <strong>der</strong> Oberdiener des Rats<br />
den Auftrag, den Bernsteinarbeitern diese Beschwerde vorzulegen<br />
und sie zu einer Vernehmung auf den 7. 9. zu laden. Die Beklagten<br />
waren aber durchaus nicht geneigt, dieser Auffor<strong>der</strong>ung zu folgen,<br />
gaben vielmehr zur Antwort, <strong>der</strong> Oberdiener solle E. E. Rat grüßen,<br />
die Meister seien zum Teil nicht zu Hause und würden zum Teil<br />
noch verreisen, könnten also nicht kommen. Hierauf geschah längere<br />
Zeit nichts,- erst ein Jahr später konnte <strong>der</strong> Stadtgildemeister von<br />
einer mündlichen Erklärung des Altermanns Lorenz Gößler belichten,<br />
sie hätten an sich nichts gegen die Hauptgewerke, wollten<br />
aber lieber für sich bleiben und stellten anheim, irgend eines <strong>der</strong><br />
Nebengewerke, Tischler o<strong>der</strong> Kürschner, an ihrer Stelle unter die<br />
Hauptgewerke einzureihen. Daraufhin erneut Vorladung auf den<br />
23. 8. 1686, <strong>der</strong> die Bernsteindreher diesmal Folge leisteten. Aus<br />
<strong>der</strong> Verhandlung wurde aber nicht viel,- die Bernsteindreher betonten<br />
auf Befragen, daß sie „die Gewerke für ehrliche Leute halten", erklärten<br />
dann nach einigem Hin und Her, sie „bitten clilation und<br />
wollen vor <strong>der</strong> verabscheidung noch ihre notturfft beybringen". Endlich<br />
drei Tage später kam dann eine nähere Erklärung, und zwar<br />
schriftlich mit <strong>der</strong> Begründung, daß bei <strong>der</strong> Verhandlung im Rathause<br />
vielleicht nicht alles protokolliert sei: es sei ihnen zugemutet<br />
worden, mit den an<strong>der</strong>en Gewerken um die Bestätigung <strong>der</strong> Brauprivilegien<br />
einzukommen und dabei sowohl den Gewerken als auch<br />
den brauenden Zünften die Unkosten vorzuschießen- das hätten sie<br />
mit Rücksicht auf ihr SpezialPrivileg von 1534 nicht nötig und<br />
wollten darum nicht bei den Hauptgewerken bleiben,- im übrigen<br />
hätten sie früher nie zu den Hauptgewerken gehört, seien nur freiwillig<br />
eingetreten, weil ihr Altermann 3rahme (<strong>der</strong> 1611 Meister<br />
wurde) zum Stadtgildemeister gewählt worden sei, und könnten demnach<br />
auch je<strong>der</strong>zeit freiwillig wie<strong>der</strong> austreten. Nun vergingen aber-
130 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
mals etwa vier Monate, bis endlich in einer neuen Verhandlung am<br />
20. 12. 1686 ein Vergleich geschlossen wurde des Inhalts, daß die<br />
Bernsteindreher bei den Hauptgewerken blieben, daß aber ihre Brauprivilegien<br />
nicht angetastet werden sollten. Damit war jedoch <strong>der</strong><br />
Streit noch durchaus nicht erledigt, denn die Bernsteindreher taten<br />
nichts, um sich den an<strong>der</strong>en Gewerken wie<strong>der</strong> zu nähern, und es<br />
bedurfte noch einer scharfen Verfügung vom 21. 11. 1687 mit Androhung<br />
von 20 fl. Strafe, um sie endlich doch zum Nachgeben zu<br />
bewegen. Sachlich hatten die Bernsteindreher jedenfalls erreicht,<br />
was zu erreichen war, denn die erneute Anerkennung des uralten<br />
Brauplivilegs war sicher auch wirtschaftlich durchaus gewinnbringend-<br />
nun kam es darauf an, auch das Handelsprivileg wie<strong>der</strong><br />
lebendig zu machen, das in <strong>der</strong> oben angeführten Verfügung von<br />
1574 schon recht scharf umrissen ist. In welchem Umfange die Bernsteinarbeiter<br />
damals Handel getrieben haben, wissen wir nicht; daß<br />
sie es getan haben, ergibt sich unwi<strong>der</strong>leglich aus den Akten. Schon<br />
sehr bald entstand aus diesem Anlaß auch <strong>der</strong> erste öffentliche Streit:<br />
die Kaufleute und Gewandschnei<strong>der</strong> strengten einen Prozeß an gegen<br />
den Brauer Daniel Bleibe! und die Bernsteindreherin Güßler<br />
(Lorenz G's Witwe), weil sie sich wi<strong>der</strong>rechtlich den Handel mit<br />
Leinwand angemaßt hätten; es entwickelte sich nun ein ungemein<br />
langwieriger Prozeß, <strong>der</strong> erst zugunsten <strong>der</strong> Kaufleute entschieden<br />
wurde, dann infolge <strong>der</strong> Berufung <strong>der</strong> Beklagten sich lange hinzog<br />
und erst 1703 auf Grund eines Rechtsgutachtens <strong>der</strong> Universität<br />
Rinteln zugunsten <strong>der</strong> Kaufleute endgültig entschieden wurde. Dadurch<br />
ließen sich jedoch die Bernsteindreher nicht stören, son<strong>der</strong>n<br />
handelten ruhig weiter mit Leinwand,- nach ihren Gebräuchen war<br />
zwar die Witwe Gößler ein Glied ihres Gewerks, aber sie verschanzten<br />
sich hinter die Tatsache, daß sie bei Beginn des Prozesses<br />
bereits mit einem Brauer verlobt gewesen sei und zogen daraus den<br />
Schluß, daß die Entscheidung in dem Prozeß gegen Bleibet und<br />
Konsorten sie nichts angehe. Trotz dieser offensichtlichen Mißachtung<br />
einer Gerichtsentscheidung vergingen noch fast 20 Jahre, aus denen<br />
wir von irgendwelchen Streitigkeiten nichts hören; erst im Mai<br />
1723 brach wie<strong>der</strong> offene 3ehde aus, indem plötzlich, anscheinend<br />
ohne vorhergehende Warnung, <strong>der</strong> Rat <strong>der</strong> Stadt die auf <strong>der</strong> Bleiche<br />
liegende Leinwand <strong>der</strong> Bernsteindreher beschlagnahmen ließ. Die<br />
nun folgenden Verhandlungen im einzelnen zu schil<strong>der</strong>n, würde zu<br />
weit führen, und sie sollen deshalb nur insoweit berührt werden,<br />
als sie die damaligen Verhältnisse in Stolp in ihren Beziehungen<br />
zu den Bernsteindrehern beleuchten. — Die Bernsteindreher erhoben
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 131<br />
zunächst beim Magistrat Einspruch gegen die Beschlagnahme, wurden<br />
aber abgewiesen mit <strong>der</strong> Begründung, daß ihre Eingabe nicht<br />
von einem Prokurator unterzeichnet, also ungültig sei. Daraufhin<br />
wandten sie sich sofort an den König mit <strong>der</strong> sehr bezeichnenden<br />
Klage, daß sie für ihre Eingabe keinen Prokurator bekommen könnten,<br />
da die in Stolp ansässigen Prokuratoren ebenso wie die meisten<br />
Magistratsmitglie<strong>der</strong> Angehörige <strong>der</strong> Gewandschnei<strong>der</strong> seien. Dieser<br />
Vorwurf wird im großen und ganzen wohl richtig sein, und es berührt<br />
uns heute etwas seltsam, wenn wir z. B. den Namen des<br />
Landrats Kohlhardt in jenen Jahren bald unter amtlichen Schriftstücken<br />
gegen die Bernsteindreher, bald unter Eingaben <strong>der</strong> Gewandschnei<strong>der</strong>zunft<br />
lesen. Sie führten dann weiter aus, daß sie<br />
nicht nur nach ihren Privilegien zum Handel berechtigt seien, son<strong>der</strong>n<br />
sogar durch die Eigenart des Bernsteinhandels dazu gezwungen<br />
wären, wenn sie überhaupt lebensfähig bleiben wollten.<br />
In dieser Eingabe wird zum ersten Male die Bezeichnung „Bernsteinhändler"<br />
gebraucht. Der Erfolg <strong>der</strong> Eingabe war eine Verfügung<br />
des Königs, die Bernsteindreher in ihrem Leinwandhandel<br />
in je<strong>der</strong> Weise zu schützen. Nun erst ließ sich <strong>der</strong> Magistrat herbei,<br />
einen Termin pro ju3tikicatione arre3ti anzusetzen, in dem er aber<br />
den Erlaß des Königs unberücksichtigt ließ und den Bernsteindrehern<br />
anheimgab, „ihre notturft in die Kgl. Regierung vorzubringen". Die<br />
nun folgenden Schriften und Gegenschriften sind weniger durch<br />
ihren Inhalt bemerkenswert als durch die 3orm, <strong>der</strong>en sich die<br />
Parteien gegeneinan<strong>der</strong> bedienen: während die Bernsteindreher<br />
bemerken, die Gegner hätten ihre Gründe bereits acl nau3?am ugque<br />
wie<strong>der</strong>holt, rächen sich die Gewandschnei<strong>der</strong> durch den freundlichen<br />
Einwurf, bezüglich <strong>der</strong> Einwände ihrer 3einde gelte das Sprichwort:<br />
„canl8 reciit 26 vomitum", und „sie wollten nur das, was sie<br />
bereits früher aufs Tapet gebracht, wie<strong>der</strong>käuen und ruminieren<br />
und also immerweg bey <strong>der</strong> alten Leyer bleiben!" Der Ausgang <strong>der</strong><br />
Sache war jedenfalls so, wie er nach den Privilegien zu erwarten<br />
war; die Bernsteinhändler, wie man sie jetzt nennen kann, erhielten<br />
das Recht des Leinwandhandels; eine Revision zu erreichen, scheiterte<br />
an dem formalen Grunde, daß es sich hier um die Auslegung<br />
von Privilegien, also um eine Polizeisache handele, und somit Revision<br />
unstatthaft sei; und als die Gewandschnei<strong>der</strong> trotzdem an<br />
den König direkt gingen, erhielten sie nur den Bescheid — 16. 9.<br />
1724 —, daß die Vernsteinhändler das Recht hätten, Leinwand<br />
außer Landes zu verkaufen, während den Gewandschnei<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
inländische Handel überlassen bleiben sollte. Damit war wie<strong>der</strong> ein<br />
9*
132 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
großer Schritt vorwärts getan, und noch während <strong>der</strong> Prozeh<br />
schwebte, entwickelte sich ein neues Verfahren, das, diesmal vou<br />
den Vernsteinhändlern selbst und zwar sicher aus erhöhtem Geltungsbedürfnis<br />
heraus unternommen, wie<strong>der</strong> dazu beitrug, ihre gesellschaftliche<br />
Stellung trotz vielfacher Anfeindung zu stärken. Es<br />
muß vorausgeschickt werden, daß die Bernsteinhändler wie alle<br />
an<strong>der</strong>en Gewerke seit langer Ieit, angeblich seit 1500, bestimmte<br />
Plätze in <strong>der</strong> Marienkirche innehatten. Jetzt traten sie Anfang<br />
1724 — exliibit. in cori8e38u 3enatu3 8. 2. 1724 — an Bürgermeister<br />
und Rat mit dem Ersuchen heran, ihnen zu gestatten, daß<br />
sie wegen des starken Anwachsens ihrer Mitglie<strong>der</strong>zahl auf eigene<br />
Kosten über dem Gestühl <strong>der</strong> Alterleute einen neuen Chor erbauten.<br />
Daß dieser Antrag von Bürgermeister und Rat, die, wie wir wissen,<br />
meist zur Gewandschnei<strong>der</strong>partei gehörten, also zur Ieit Prozeßgegner<br />
<strong>der</strong> Bernsteinhändler waren, nicht gerade günstig aufgenommen<br />
wurde, läßt sich denken. Es wurde zunächst überhaupt<br />
keine Antwort erteilt. Dagegen erging schon drei Tage später ein<br />
Schreiben <strong>der</strong> Stadtgildemeister an den Rat, daß dieser Antrag nur<br />
„ex nimia 8uperbia" <strong>der</strong> Bernsteinhändler entstanden sei, außerdem<br />
undurchführbar, weil <strong>der</strong> geplante neue Chor ihnen das Licht wegnehmen<br />
würde und einige von ihnen ohnehin schon Brillen tragen<br />
müßten! Die Bernsteinhändler wie<strong>der</strong>holten am 31. 3. ihren Antrag,<br />
und als ihnen mitgeteilt wurde, sie könnten ja einen Chor<br />
über ihrem eigenen Stand bauen lassen, wandten sie sich kurzerhand<br />
an das Konsistorium, das ihren Antrag genehmigte o<strong>der</strong> doch wenigstens<br />
günstig aufnahm und einen Bericht <strong>der</strong> Kirchenvorsteher<br />
einfor<strong>der</strong>te. Nun flammte die Entrüstung hell empor, und es begann<br />
ein wahres Trommelfeuer von Gegeneingaben, zunächst von<br />
einer großen Reihe namentlich unterzeichneter Bürger, dann von<br />
Bürgermeister und Rat und von den Gildemeistern und Hauptgewelken-<br />
wenn man sieht, daß unter den einzelnen Bürgern Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Brauerzunft sind, die den Bernsteindrehern wegen ihres<br />
Brauprivilegs durchaus nicht gewogen waren, und daß zu den<br />
Unterzeichnern <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Eingaben immer <strong>der</strong> schon genannte<br />
Landrat Kohlhardt gehört, werden einem die tieferen Gründe dieses<br />
Vorgehens klar- es half aber nichts, denn schon im August 1724<br />
wurden Amtshauptmann und Präpositus angewiesen, den Bau des<br />
neuen Chors zu gestatten. Diese Entscheidung entfesselte eine neue<br />
Flut von Eingaben, bei <strong>der</strong> sich zu den Gildemeistern und Alterleuten<br />
noch die Kürschner und Böttcher gesellten, aber auch das<br />
blieb erfolglos, obwohl die Gildemeister und Alterleute noch ver-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 133<br />
suchten, durch Verleumdung einzelner Bernsteinhändler einen Keil<br />
in die Reihen ihrer Gegner zu treiben. Nur insofern wurde ein<br />
Scheinerfolg erzielt, als <strong>der</strong> juristische Einwurf des Nates, daß das<br />
ihm zustehende Recht <strong>der</strong> Verfügung über die Sitzplätze verletzt sei,<br />
den Anlaß gab, ein Nechtsgutachten <strong>der</strong> Universität Rostock einzuholen,<br />
das aber <strong>der</strong> Ansicht des Konsistoriums beitrat. Reizvoll ist<br />
auch hier wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ton <strong>der</strong> bei<strong>der</strong>seitigen Eingaben, in denen freilich<br />
die Bernsteinhändler nicht mehr wie früher schimpfen, son<strong>der</strong>n<br />
die Gegner durch überlegene Ironie abzutun suchen; so war einer <strong>der</strong><br />
oft etwas lächerlichen Gegengründe <strong>der</strong>. daß <strong>der</strong> neue Chor eine<br />
3euersgefahr für den in <strong>der</strong> Kirche untergebrachten städtischen<br />
Privilegienkasten bedeute, worauf die Antwort erging: „<strong>der</strong> Chor<br />
wird den Privilegienkasten nicht anzünden, und wenn in dem Kasten<br />
soviel Feuer verborgen wäre, als Implorati in ihrem Gemüte gegen<br />
uns erhitzen, so würde die ganze Kirche in Asche gelegt werden".<br />
Der neue Chor ist dann auch anscheinend sehr bald gebaut worden.<br />
Kaum war in dieser Sache die letzte Entscheidung getroffen, als<br />
auch schon ein Gegenstoß <strong>der</strong> Gewandschnei<strong>der</strong> erfolgte, die wir ja<br />
in jener Zeit mit Bürgermeister und Rat gleichsetzen können; am<br />
11. 10. 1725 erging eine Eingabe an den König, die Bernstein-<br />
Händler wollten sich von den acht Hauptwerken separieren, „nicht<br />
mehr als ein Gewerk und Meister, son<strong>der</strong>n als eine Iunft und<br />
Herren consi<strong>der</strong>iret seyn". Daraufhin erfolgte sofort eine Königliche<br />
Verordnung, die Bernsteindreher sollten bei den hauptgewerken<br />
bleiben wie bisher o<strong>der</strong> ,,cau8a3 quare non binnen 14 Tagen anzeigen",<br />
hier folgt lei<strong>der</strong> eine bedauerliche Lücke in den Akten,<br />
sodaß wir nicht wissen, was die Vernsteinhändler auf diese Verordnung<br />
hin unternommen haben; es steht aber fest, daß sie im<br />
Jahre 1729 zum ersten Male amtlich als Iunft anerkannt wurden,<br />
hieraus entstand nun aber sofort ein neuer Streit, und zwar diesmal<br />
mit den Brauern, die sich dadurch benachteiligt fühlten, daß<br />
die Bernsteinhändler den Anspruch erhoben, ihnen im Range voranzugehen.<br />
Auch diesmal hat offenbar <strong>der</strong> mehrfach genannte Kohlhardt<br />
eine unerfreuliche Rolle gespielt, denn er erhielt von seiner<br />
vorgesetzten BeHürde am 12. 7. 1730 einen ernsten Verweis ..seine<br />
Autorität in Sachen, welche sein Ambt concerniren. beßer zu mainteniren".<br />
widrigenfalls man „genötiget werden dörffte, Ihm einen<br />
Adjunctum zu setzen". Nach <strong>der</strong> ganzen Sachlage mußte das Unternehmen<br />
<strong>der</strong> Brauer erfolglos bleiben und wurde zunächst beendet<br />
durch eine Verfügung vom 18. 10. 1730, daß die Bernsteinhändler<br />
früher privilegiert seien als die Brauer und ihnen also vorangingen.
134 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Wie üblich haben sie dann versucht, alle erdenklichen Rechtsmittel<br />
einzulegen, doch wurde auch dieser Versuch endgültig erledigt durch<br />
eine Verfügung des Königs vom 19. 8. 1733, daß es bei <strong>der</strong> Verordnung<br />
vom Jahre 1678 bleiben müsse und die Bernsteinhändler<br />
den höheren Rang behielten. Jedoch war die Ruhe, in <strong>der</strong> die Vernsteinhändler<br />
sich ihrer endlich erkämpften Rangerhöhung und <strong>der</strong><br />
Handelsrechte erfreuen konnten, nur scheinbar- allerdings, solange<br />
Friedrich Wilhelm I. lebte, geschah nichts gegen sie, nachdem dessen<br />
Stellungnahme wie<strong>der</strong>holt unzweideutig ausgesprochen war. Kaum<br />
aber hatte Friedrich <strong>der</strong> Große den Thron bestiegen, von dessen<br />
Regierungsantritt ja viele den Beginn einer an<strong>der</strong>en Ieit erwarteten,<br />
als ihre beiden Gegner, die Gewandschnei<strong>der</strong> wie die Brauer,<br />
noch einen letzten Versuch machten, Vorteile für sich zu erringen.<br />
Den ersten Schritt taten die Brauer, indem sie, offenbar in <strong>der</strong><br />
Hoffnung, daß <strong>der</strong> junge König sich leicht werde leiten lassen, am<br />
16. 11. 1740 eine Abordnung von zwei Mitglie<strong>der</strong>n nach.Berlin<br />
schickten und dem König direkt Vortrag halten ließen- dabei verstanden<br />
sie es recht geschickt, ihre eigentlichen Absichten zu verbergen.<br />
Sie klagten erst darüber, daß die Brauordnung vom Dezember 1739,<br />
die ihnen die Benutzung von Braupfannen vorschrieb, bei ihren beschränkten<br />
Verhältnissen nicht durchführbar sei, verbreiteten sich<br />
dann eingehend über die schlechte Lage des Braugewerbes in Stolp<br />
im allgemeinen und erwähnten erst ganz zum Schluß wie beiläufig,<br />
die Hauptschuld daran liege in <strong>der</strong> Tatsache, daß manche Handwerker,<br />
wie z. B. beson<strong>der</strong>s die Bernsteindreher, auch die Brauerei<br />
trieben, obwohl sie das gar nicht nötig hätten. Sie hatten sich aber<br />
doch verrechnet, wenn sie glaubten, daß <strong>der</strong> König die Angelegenheit<br />
sofort zu ihren Gunsten entscheiden würde- er erließ zwar eine<br />
„einstweilige Verfügung", wie wir heute sagen würden, die den<br />
Bernsteinhändlern das Brauen verbot, beauftragte aber gleichzeitig<br />
den Magistrat in Stolp, festzustellen, inwieweit die Bernsteindreher<br />
etwa das ju3 contraäicenäi hätten. Der nun folgende Schriftwechsel<br />
ist interessant durch die haarspalterische Art, mit <strong>der</strong> die Brauer<br />
ihre For<strong>der</strong>ung verteidigten. Mittelpunkt des Streites war nicht<br />
mehr und nicht weniger als ein Komma, indem die Brauer im Wortlaut<br />
des alten Privilegs, „... nebst an<strong>der</strong>en Kaufleuten zu handeln,<br />
mit Bier zu brauen usw." die Nechtmäßigkeit des Kommas bestritten,<br />
das handeln nur auf das Vierbrauen bezogen und behaupteten,<br />
die Bernsteinhändler hätten nur die Vrauereigerechtigkeit<br />
<strong>der</strong> Kaufleute, nämlich gar keine. Als sie damit nicht durchdrangen,<br />
behaupteten sie, das Privilegium von 1534 verlange, daß die Bern-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 135<br />
steindreher, wenn sie brauen wollten, auch ordentliche Brauer werden<br />
müßten und erklärten sich damit zufrieden, wenn nur alle Bernsteinhändler<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Brauerzunft würden. Daß diese For<strong>der</strong>ung<br />
doch recht unlogisch war, indem <strong>der</strong> von ihnen behauptete unlautere<br />
Wettbewerb <strong>der</strong> Bernsteinhändler dadurch nicht aus <strong>der</strong> Welt geschafft<br />
wurde, wurde ihnen in einer Gegenschrift unangenehm klar<br />
gemacht; die Bernsteinhändler gingen sogar zum Gegenangriff vor<br />
und bewiesen durch namentliche Verzeichnisse, daß <strong>der</strong> überwiegende<br />
Teil <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Brauerzunft sich durchaus nicht vom Brauen<br />
ernährte, son<strong>der</strong>n von allen möglichen an<strong>der</strong>en Berufen, Buchbin<strong>der</strong>ei,<br />
Tabakspinnerei. Wundarznei u.a.m.; sie behaupteten sogar,<br />
daß <strong>der</strong> Haß <strong>der</strong> Brauer darin seine Wurzel habe, daß die Bernsteinhändler<br />
ein beson<strong>der</strong>s in Danzig sehr beliebtes Bier herstellten,<br />
das die Brauer nicht fertig brächten. Wie um zu beweisen, daß diese<br />
Behauptung begründet sei, erließ gerade in jener Ieit, kurz vor<br />
Entscheidung des Brauprozesses, <strong>der</strong> Magistrat, den wir immer noch<br />
als einen Verbündeten <strong>der</strong> Brauer und Gewandschnei<strong>der</strong> betrachten<br />
dürfen, an den Bernsteinhändler Tesler ein Verbot, sogenanntes<br />
Dickbier zu brauen und die Anweisung, sich mit <strong>der</strong> Herstellung<br />
von Weißbier zu begnügen- dies Verbot wurde jedoch durch eine<br />
sehr scharfe Verfügung des Königs wie<strong>der</strong> aufgehoben, und wenige<br />
Tage später — 19. 5. 1741 — wurde auch <strong>der</strong> Brauereistreit endgültig<br />
zugunsten <strong>der</strong> Bernsteinhändler entschieden. — Wenige Wochen<br />
nach <strong>der</strong> Audienz <strong>der</strong> Brauer beim König, am 4. 1. 1741, erschienen<br />
auch die Kaufleute und Gewandschnei<strong>der</strong> auf dem Plan mit einer<br />
Eingabe an den König, die inhaltlich mit <strong>der</strong> Eingabe <strong>der</strong> Brauer<br />
soweit übereinstimmt, daß an einer Zusammenarbeit <strong>der</strong> beiden<br />
Iünfte nicht zu zweifeln ist: <strong>der</strong> Handel Stolps gehe immer mehr<br />
zurück, jedoch nicht wegen <strong>der</strong> schlechten Zeiten, son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong><br />
schlechten Polizei, die kein Auge dafür habe, daß je<strong>der</strong> Handel<br />
treibe, <strong>der</strong> es nur wolle, insbeson<strong>der</strong>e die Bernsteindreher: durch<br />
diesen Wettbewerb werde die ganze Stadt ruiniert, alle Bürger<br />
würden gedrückt und ver<strong>der</strong>bt. Es sei aber eine Kleinigkeit, den<br />
vom König gewünschten Aufschwung des Handels zu erreichen,<br />
wenn nur den Bernsteindrehern <strong>der</strong> freie Handel verboten würde.<br />
Iur Abwehr bedienten sich die Bernsteinhändler <strong>der</strong> gleichen Taktik<br />
wie im Streit mit den Brauern,- sie gaben zu, daß <strong>der</strong> Seehandel<br />
Stolps sehr zurückgegangen sei, wiesen aber darauf hin, daß die<br />
früheren Hauptausfuhrartikel, Holz und Getreide, nicht mehr in<br />
<strong>der</strong> nötigen Menge zur Verfügung ständen, indem die Wäl<strong>der</strong><br />
größtenteils geschlagen seien und das Getreide jetzt im Inlande
136 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
verbraucht würde, daß also die Beweisgründe <strong>der</strong> Kaufleute durchaus<br />
nicht stichhaltig seien- dann aber brachten sie eine lange Liste<br />
von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kaufmannszunft, die allen möglichen Berufen<br />
nachgingen, nur nicht dem Kaufmannsberuf, und deshalb durch einen<br />
Wettbewerb im Handel durchaus nicht geschädigt werden konnten.<br />
Auf die Einzelheiten aller dieser in ihrer Länge etwas ermüdenden<br />
Verhandlungen kann hier nicht weiter eingegangen werden. Das<br />
En<strong>der</strong>gebnis war jedenfalls ein voller Sieg <strong>der</strong> Bernsteinhändler,<br />
indem am 3. 4. 1742 an die Kriegs- und Domänenkammer in<br />
Köslin eine Königliche Verfügung erging mit folgendem Wortlaut:<br />
„. . . nachdem wir bey denen von den sämbtlichen Bernsteinhändlern<br />
zu Stolp in dem Copenlichen Veyschluß vorgestelleten zum theil<br />
auch bereits in eurem allerunterthänigsten Bericht v. 18. Dec. a. p.<br />
angeführten umbständen Allergnädigst resolviret, daß die Supplicanten<br />
nach dem Inhalt ihrer Privilegien und rechtskräftigen Urteln<br />
Kauffleute und Bernsteinhändler genennet und betitult werden sollen,-<br />
alß habt ihr Euch darnach zu achten, auch den Commissarium<br />
loci und den Stolpischen Magistrat ebenso zu bescheiden". Damit<br />
war trotz mancher Anfeindungen und Schwierigkeiten die Entwicklung<br />
abgeschlossen, die durch das Privilegium von 1534 eingeleitet<br />
worden war, und den tatsächlichen Verhältnissen war endlich durch<br />
Anerkennung <strong>der</strong> Rangerhöhung Rechnung getragen. Die Bernsteinhändler<br />
in Stolp hatten damit eine gesellschaftliche Stellung<br />
erreicht, die die ihrer Berufsgenossen in an<strong>der</strong>en Städten weit überragte<br />
und sie unter die vornehmsten Bürger Stolps einreihte. Da<br />
mag es ihnen doppelt schmerzlich gewesen sein, daß sie in dem Streit<br />
um ein an<strong>der</strong>es Vorrecht, das z. V. die Königsbergs Bernsteinarbeiter<br />
besaßen, bei aller Anstrengung doch nicht den Erfolg hatten,<br />
<strong>der</strong> nach ihrer Ansicht ihnen gebührt hätte. Doch hier müssen wir<br />
zum besseren Verständnis noch wie<strong>der</strong> einige Jahrzehnte zurückgreifen.<br />
In den ersten Jahren des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts scheint die<br />
gewaltsame Anwerbung von Rekruten für das preußische Heer einen<br />
beson<strong>der</strong>s großen Umfang angenommen und auch die Bernsteinalbeiter<br />
in Stolp sehr peinlich betroffen zu haben. Wenigstens<br />
wandte sich die Iunft im Jahre 1706 direkt an den König mit <strong>der</strong><br />
Bitte, sie mit <strong>der</strong> Werbung zu verschonen: sie müßten den Bernstein,<br />
den sie höchstens dreimal im Jahre bekämen, „zu befo<strong>der</strong>ung Ihrer<br />
kümmerlichen Nahrung" jedesmal sofort verarbeiten und brauchten<br />
dazu dringend ihre Gesellen. Diese Beweisführung mußte <strong>der</strong><br />
König anerkennen, zumal ja <strong>der</strong> Staat damals an <strong>der</strong> Verarbeitung<br />
des aus seiner noch verhältnismäßig neuen „Bernsteinadministration"
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 13?<br />
gewonnenen Bernsteins stark interessiert war, und es erging eine<br />
Kabinettsordre vom ?. 10. 1706, daß in Zukunft je<strong>der</strong> Bernsteindreher<br />
o<strong>der</strong> Bernsteindreherswitwe einen Gesellen vor je<strong>der</strong> Werbung<br />
zum Militärdienst sicher haben d'ürfe. Dies „Protectorium"<br />
wurde nun so wie das Privilegium von 1554 <strong>der</strong> Ausgangspunkt<br />
einer Reihe von Beschwerden,- hierbei hatten es die Bernsteinhändler<br />
nun aber nicht mehr mit den Iivilbehörden zu tun, son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong><br />
viel härteren und rücksichtsloseren Militärgewalt, hinter <strong>der</strong> ja im<br />
damaligen Preußen sehr viel an<strong>der</strong>es zurückstehen mußte, und so<br />
blieb <strong>der</strong> Sieg durchaus nicht immer auf ihrer Seite, obwohl die<br />
Iivilbehörden ihnen gewöhnlich ihre Unterstützung liehen. Der erste<br />
uns bekannte <strong>der</strong>artige Streit ereignete sich bereits 1726, lei<strong>der</strong> ohne<br />
daß wir seine Vorgeschichte kennen. Da schreibt am 11. 7. 1726<br />
<strong>der</strong> Amtshauptmann v. Kameke an den Oberst v. Thiele: General<br />
Grumbkow habe auf Befehl des Königs angeordnet, daß alle eingezogenen<br />
Bernsteinarbeiter entlassen würden; er — <strong>der</strong> Oberst —<br />
habe befohlen, alle bis auf zwei zu entlassen, aber darüber hinaus<br />
wolle auch <strong>der</strong> Hauptmann v. Vreitenbach seine Leute nicht hergeben;<br />
demnach müsse eingeschritten werden, damit die Bernsteindreher<br />
wie<strong>der</strong> arbeiten könnten, denn neue Gesellen kämen aus<br />
Angst vor <strong>der</strong> Werbung nicht mehr zu ihnen. Darauf antwortet<br />
<strong>der</strong> Oberst kurz und bündig, <strong>der</strong> Hauptmann v. Breitenbach würde<br />
angewiesen, seine Leute herzugeben; die beiden an<strong>der</strong>en Leute hätten<br />
schon die Revue mitgemacht und müßten wohl Soldat bleiben; die<br />
Bernsteindreher täten besser, nur kleine Leute zu Gesellen zu<br />
nehmen. Lei<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong> Sache nicht bekannt; wir wissen<br />
nur, daß Anfang 1727 die Bernsteindreher sich beim König darüber<br />
beschwerten, daß die beiden Leute immer noch nicht entlassen seien,<br />
und daß <strong>der</strong> König den Oberst v. Thiele zum Bericht auffor<strong>der</strong>te.<br />
Im ganzen muß das Protectorium von 1706 wohl anerkannt sein,<br />
denn in einem neuen 3all von 1742 konnten sich die Bernsteinhändler<br />
darauf berufen; auf ihre Veranlassung beschwerte sich damals<br />
die Kriegs- und Domänenkammer in Mös'lin beim Generalmajor<br />
de la Motte, daß er einen Stolper Bernsteinarbeitergesellen<br />
gewaltsam zum Soldaten gepreßt habe, und drohte mit einer Beschwerde<br />
beim König, sofern <strong>der</strong> Mann nicht sofort entlassen würde;<br />
über den Ausgang des Handels wissen wir nichts. Das Jahr 1746<br />
brachte eine Erleichterung insofern, als <strong>der</strong> König in einer Verfügung<br />
vom 31. 10. (an den Fürsten von Dessau?) bestimmte,<br />
daß von nun an Sühne von Kaufleuten, Rentnern, Künstlern,<br />
Fabrikanten usw. von allem Militärdienst befreit sein sollten. Als
138 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
nun im Jahre 1755 wie<strong>der</strong> ein Geselle zum Militär eingezogen<br />
worden war, stellten die Bernsteinhändler den Antrag, wenn nicht<br />
alle Gesellen, so doch die Zunftsöhne vom Dienst frei zu lassen.<br />
Unglücklicherweise aber hatte dieser Geselle, Joh. Paul Gerner,<br />
das Maß von 5 3uß ? Zoll, war also ein immerhin stattlicher<br />
Soldat, und das beeinflußte die Entscheidung zu seinen Ungunsten.<br />
Zwar schrieb <strong>der</strong> zuständige General v. Ieetz, daß er seine Entlassung<br />
angeordnet habe, aber <strong>der</strong> König, <strong>der</strong> irgendwie davon erfuhr,<br />
verfügte, daß Gerner Soldat bleiben und gleich nach <strong>der</strong><br />
Exerzierzeit beurlaubt werden sollte. Das veranlaßte die Bernsteinhändler<br />
zu einer neuen Eingabe an den König direkt „zur eigenhändigen<br />
Erbrechung", in <strong>der</strong> sie bitter darüber klagten, daß fremde<br />
Gesellen schon lange nicht mehr zu ihnen kämen und ihre eigenen<br />
Söhne sich aus Furcht vor <strong>der</strong> Werbung heimlich entfernten, sodaß<br />
sie in einer sehr unangenehmen Lage wären und dringend bitten<br />
müßten, den Erlaß von 1746 zu erneuern. Der gehoffte Erfolg<br />
blieb wie<strong>der</strong> aus. Nach einer uns unbekannten Kabinettsordre vom<br />
3. 11. 1763 scheinen schon damals wie<strong>der</strong> Bernsteinarbeiter in<br />
größerer Zahl eingezogen worden zu sein,- sicher ist, daß Anfang<br />
1764 mindestens vier Gesellen wie<strong>der</strong> Militärdienst taten. Diesmal<br />
benutzten die Bernsteinhändler die Gelegenheit <strong>der</strong> Leipziger Messe,<br />
um ihr Mitglied, den schon genannten Kommerzienrat Klebang,<br />
direkt zum König nach Potsdam zu schicken, wo sie zugleich noch<br />
eine später Zu behandelnde Bitte einzubringen hatten. Klebang stellte<br />
dem König mündlich und schriftlich die Schwierigkeiten feiner Iunftbrü<strong>der</strong><br />
sehr beweglich vor, bat um Entlassung <strong>der</strong> vier Leute und<br />
grundsätzliche Befreiung <strong>der</strong> Gesellen und erreichte sofort Erfüllung<br />
aller Wünsche; allerdings war <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Militärbehörden<br />
doch so stark, daß es noch drei Monate später eines sehr energischen<br />
Einschreitens <strong>der</strong> Kriegs- und Domänenkammer beim Generalmajor<br />
v. Ramin bedurfte, ehe auch <strong>der</strong> letzte <strong>der</strong> vier Gesellen entlassen<br />
wurde. Kaum war das erreicht, als auch schon eine neue Gefahr<br />
drohte, die beträchtliche Aufregung hervorrief: <strong>der</strong> zuständige General<br />
hatte angeordnet, daß alle Vernsteinarbeitergesellen gemessen und<br />
„enrolliert" werden sollten. Darin sah die Zunft einen schweren Eingriff<br />
in ihre Rechte und beschwerte sich sofort beim Kriegs- und<br />
Domänenrat v. Sendlitz, reichte auch ein neues Gesuch beim König<br />
ein, ihre Gesellen und Lehrlinge dienstfrei zu lassen. Diesmal klärte<br />
sich die Sache freilich leichter, indem es sich nicht um eine Einziehung<br />
handelte, son<strong>der</strong>n nur um eine Revision des Kantons und Feststellung<br />
aller dienstfähigen jungen Leute, aber man kann den Bern-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 139<br />
steinhändlern nur beistimmen, wenn sie auch hierin eine Zuwi<strong>der</strong>handlung<br />
gegen die bisherigen Verfügungen sahen. Dementsprechend<br />
berichtete auch <strong>der</strong> Kriegsrat Culemann, es sei das beste, die Lehrlinge<br />
und Gesellen <strong>der</strong> Vernsteinhändler grundsätzlich freizumachen;<br />
aber trotzdem wurden schon einige Monate später wie<strong>der</strong> zwei Gesellen<br />
durch Soldaten gewaltsam von <strong>der</strong> Arbeit geholt, gemessen<br />
und enrolliert. Das gleiche Jahr 1765 brachte außerdem noch eine<br />
ganze Reihe weiterer Streitigkeiten mit den Militärbehörden, in<br />
denen die Iunft immer wie<strong>der</strong> gezwungen war, ihre Rechte zu verteidigen,<br />
und zwar durch Verschulden des schon genannten Klebang.<br />
Über diesen ist im Zusammenhange <strong>der</strong> jetzigen Erzählung einiges<br />
zu sagen: Anfang 1765 hatte er Streit mit seinem Gesellen bekommen,<br />
hatte versucht, diesen zu ermorden, und war deshalb wegen<br />
attentati komiciäii und injuriarum atroci83imarum verklagt worden;<br />
er verzog daraufhin von Stolp, wohnte meist in <strong>der</strong> Gegend<br />
von Danzig und wurde von <strong>der</strong> dortigen Behörde 1782 auf eine<br />
Anfrage <strong>der</strong> Bernsteinkammer in Königsberg für geistesgestört erklärt.<br />
Nach einem in den Akten vorliegenden Privatbrief an die<br />
Iunft aus dem Jahr 1783 ist diese Annahme sicher gerechtfertigt.<br />
Dieser Klebang also suchte sich für die von <strong>der</strong> Iunft ausgehende<br />
Anzeige zu rächen und meldete <strong>der</strong> Wahrheit zuwi<strong>der</strong> dem Regiment<br />
in Köslin, daß sein ehemaliger Geselle außer Landes gehen wolle,<br />
was natürlich zur 3olge hatte, daß ein Haftbefehl gegen diesen erging<br />
und die Iunft alle Mühe hatte, die Sache wie<strong>der</strong> ins Gleichgewicht<br />
zu bringen. Kaum war das erledigt, erging eine neue Anzeige,<br />
offenbar wie<strong>der</strong> von Klebang, daß die 1764 aus dem Heere<br />
entlassenen vier Gesellen inzwischen sämtlich ins Ausland gegangen<br />
seien o<strong>der</strong> ihren Beruf gewechselt hätten; die 3olge war eine langwierige<br />
Untersuchung, in <strong>der</strong> im einzelnen nachgewiesen werden<br />
mußte, wo jene vier Leute sich zur Ieit aufhielten. Es ist unter<br />
diesen Umständen begreiflich, daß auch die nächste Anfechtung im<br />
Jahre 1771 auf eine Verleumdung des Klebang zurückgeführt<br />
wurde, und zwar, was auf die Art <strong>der</strong> Beziehungen zwischen Militär-<br />
und Iivilbehörden ein bezeichnendes Licht wirft, von dem<br />
Kriegsrat v. Seydlitz, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Iunft in einem vertraulichen Briefe<br />
schrieb: <strong>der</strong> Oberst v. Iitzewitz habe geäußert, er glaube an die Privilegien<br />
<strong>der</strong> Iunft erst, wenn sie ihm auf dem Rathaus vorgelegt<br />
worden seien, und werde ihre Leute doch enrollieren lassen. Kurz<br />
nach diesem Briefe erschien Oberst v. Iitzewitz wirklich in Stolp und<br />
brachte die Iunft gleich in große Verlegenheit durch die Behauptung,<br />
daß sie zwei Soldatenkin<strong>der</strong> als Lehrlinge eingestellt habe; von ihm
140 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
rührt wohl auch ein Bericht an den König her, <strong>der</strong> die eben schon<br />
erwähnten Verleumdungen wie<strong>der</strong>holt, behauptet, daß von den<br />
Iunftglie<strong>der</strong>n 13 ein an<strong>der</strong>es Handwerk und 14 überhaupt nichts<br />
trieben, und durchblicken läßt, daß die Iunftsöhne nur zum Schein<br />
sich in die Zunftlisten einschreiben ließen, um durch Ausnutzung des<br />
Privilegs dem Militärdienst zu entgehen. Durch eingehende Vernehmung<br />
<strong>der</strong> ganzen Iunft konnte die Haltlosigkeit dieser Beschuldigungen<br />
nachgewiesen werden, und nun endlich wurde durch eine<br />
Verfügung vom März 1772 abschließende Klarheit gebracht, indem<br />
verfügt wurde, daß nur die Iunftsühne vom Militärdienst befreit<br />
werden sollten und auch nur dann, wenn sie wirklich das Handwerk<br />
ihrer Väter übten. Trotz dieser durchaus unmißverständlichen Anordnung<br />
wurden bereits 1783 wie<strong>der</strong> vier Zunftsöhne, die in Danzig<br />
in Arbeit standen, verhaftet und gewaltsam nach Köslin zum Regiment<br />
transportiert- zwar mußten sie bald wie<strong>der</strong> frei gegeben werden,<br />
aber die Transportkosten wurden von <strong>der</strong> Zunft eingezogen.<br />
Da also gegen die Macht <strong>der</strong> Militärbehörden nicht anzukommen<br />
war, mußte die Zivilbehörde insoweit nachgeben, als sie mit <strong>der</strong><br />
Iunft ein Abkommen vereinbarte.' je<strong>der</strong> Gesell, <strong>der</strong> auf Wan<strong>der</strong>schaft<br />
ging, mußte einen Paß bei sich führen, <strong>der</strong> das Iunftfiegel<br />
trug- die Zunft hatte dann die Aufgabe, alle sechs Monate eine<br />
Liste einzureichen, aus <strong>der</strong> <strong>der</strong> Aufenthalt eines jeden Gesellen hervorging.<br />
Damit war in dieser Frage ein gewisser Abschluß erreicht,<br />
<strong>der</strong> trotz aller Rückschläge und aller überstandenen Schwierigkeiten<br />
doch schließlich einen deutlichen Vorteil für die Iunft gegenüber<br />
an<strong>der</strong>en Berufsklassen ergab. Zwar bestand seit 1746 schon das erwähnte<br />
Militärbefreiungsprivileg für Söhne von Kaufleuten und<br />
ähnlichen wirtschaftlich hochstehenden Gruppen, aber die Bernsteinhändler<br />
waren, wie wir noch sehen werden, trotz des mühsam erstrittenen<br />
Titels „Kaufleute" mindestens zu einem erheblichen Teil<br />
doch nur kleine Handwerker, die sich kümmerlich genug von ihrer<br />
Hände Arbeit ernährten und ohne die Unterstützung <strong>der</strong> ganzen<br />
Zunft niemals auf eine Militärbefreiung ihrer Söhne hätten Anspruch<br />
erheben können. Der Aufstieg <strong>der</strong> Iunft war also erst mit<br />
dieser letzten Einigung endgültig abgeschlossen, wobei wir uns freilich<br />
vor Augen halten müssen, daß in <strong>der</strong> Entwicklung eines lebendigen<br />
Organismus Aufstieg und Abstieg kaum je in sich abgeschlossene<br />
und zeitlich scharf abgrenzbare Erscheinungen sind, son<strong>der</strong>n daß oft<br />
genug auf <strong>der</strong> einen Seite noch von Aufstieg gesprochen werden<br />
kann, während auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en die Wurzeln und Anfänge des<br />
Nie<strong>der</strong>ganges bereits klar am Tage liegen.
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 141<br />
Bernsteinbeschaffung und Bernsteinhandel.<br />
Wenn wir auch aus dem 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t nur sehr<br />
Ipärliche Urkunden gerade über diesen Punkt besitzen, können wir<br />
ms doch wenigstens von <strong>der</strong> Beschaffung des Bernsteins ein ziemiches<br />
BNd machen. Die Iunft (wie wir <strong>der</strong> Kürze halber nun<br />
mmer sagen wollen) ist offenbar von Anfang an, wenn auch wohl<br />
unbewußt, von <strong>der</strong> Erwägung ausgegangen, die später im Jahre<br />
l?42 eine Rolle spielte, daß man den Bernstein bei feinem offenbaren<br />
Monopolcharakter nicht dem freien Wettbewerb überlassen<br />
5önne, weil sonst immer die Gefahr bestand, daß ein Meister dem<br />
m<strong>der</strong>en den wenigen vorhandenen Stein wegkaufte und ihn dadurch<br />
)er Arbeitslosigkeit überlieferte. Demnach wurde wohl schon in<br />
sehr früher Zeit eine Bestimmung erlassen des Inhalts, daß kein<br />
Meister für fich Bernstein kaufen dürfe, son<strong>der</strong>n daß unter allen<br />
Umständen <strong>der</strong> Stein von <strong>der</strong> Iunft bezogen werden müsse,- wir<br />
können das unter an<strong>der</strong>em daraus schließen, daß in <strong>der</strong> durch einen<br />
Zufall erhaltenen Iunftrechnung von 1575 eine Summe verbucht ist,<br />
die ein Meister wegen Steinkaufs bezahlen mußte. Die Iunft hatte<br />
dann ihrerfeits die Aufgabe, den gekauften Stein so unter die einzelnen<br />
Meister und <strong>der</strong>en etwa vorhandene Witwen zu verteilen,<br />
daß alle gleichmäßig berücksichtigt wurden. Um allen Mißbräuchen<br />
vorzubeugen, wurde weiter bestimmt, daß kein Meister über den<br />
Stein, den er von <strong>der</strong> Iunft gegen Bezahlung erhalten hatte, frei<br />
verfügen durfte; er durfte ihn unter keinen Umständen verkaufen<br />
o<strong>der</strong> verkaufen lassen, und wenn er aus irgend einem Grunde nicht<br />
in <strong>der</strong> Lage war, ihn selbst zu verarbeiten, durfte er ihn wohl bei<br />
einem Iunftbru<strong>der</strong> in Arbeit geben, mußte aber die fertige Ware<br />
zurücknehmen, wenn er es nicht von Anfang an vorzog, den Stein<br />
gegen entsprechende Entschädigung zur Verteilung an die Iunft<br />
abzuliefern. Dabei scheint <strong>der</strong> einzelne Meister nicht einmal einen<br />
Rechtsanspruch auf Belieferung mit Bernstein gehabt zu haben, denn<br />
die Iunft konnte ihm ohne weiteres seinen Anteil entziehen, wie<br />
das mehrfach geschehen ist; ebenso war es verboten, den Bernsteinanteil<br />
im voraus zu verpfänden, und mindestens einmal ist beim<br />
Bankerott eines Iunftbru<strong>der</strong>s das Verlangen <strong>der</strong> BeHürden, den<br />
jeweils eingehenden Bernsteinanteil in die Konkursmasse zu geben,<br />
von <strong>der</strong> Iunft mit Erfolg abgelehnt worden. Es war alfo eine<br />
höchst eigenartige Wirtschaftsform, für die sich im deutschen Iunftleben<br />
wohl kaum ein zweites Beispiel finden lassen dürfte: unbeschränktes<br />
Privateigentum wurde <strong>der</strong> Stein erst durch die Verarbeitung,<br />
und eine Bevorzugung eines Iunftbru<strong>der</strong>s vor den an-
142 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
<strong>der</strong>en war wenigstens in <strong>der</strong> Theorie ausgeschlossen, sodaß zum mindesten<br />
in <strong>der</strong> Idee alle Iunftbrü<strong>der</strong> wirtschaftlich gleichgestellt waren.<br />
Daß die Dinge sich praktisch ganz an<strong>der</strong>s entwickelten und schließlich<br />
die Unterschiede in <strong>der</strong> sozialen Lage zwischen den einzelnen<br />
Iunftglie<strong>der</strong>n geradezu auffallend groß waren, hat seine Ursache in<br />
an<strong>der</strong>en Zusammenhängen, auf die später noch eingegangen werden<br />
soll.<br />
Bezüglich <strong>der</strong> Art, wie die Iunft den nötigen Bernstein beschaffte,<br />
find wir für die ersten Jahrhun<strong>der</strong>te auf Vermutungen<br />
angewiesen. Offenbar find fchon damals wie auch fpäter zwei<br />
verschiedene Wege zu unterscheiden. Die Hauptmasse des Steins<br />
kam naturgemäß aus Ostpreußen über Danzig. und wie <strong>der</strong><br />
Schriftwechsel bei Gelegenheit des Abkommens von 1584 zeigt,<br />
hatte die Iunft in Danzig einen Vertrauensmann, <strong>der</strong> den Stein<br />
aufkaufte und die Kaufsumme solange kreditierte, bis die nötigen<br />
Gel<strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong> Iunft aufgebracht worden waren. Kleinere<br />
Mengen Bernstein kamen aus Pommern, teils von <strong>der</strong> Küste, teils<br />
auch aus dem Inland, auf verschiedenen Wegen nach Stolp und<br />
wurden von <strong>der</strong> Iunft aufgekauft und verteilt, hierüber besitzen<br />
wir eine lei<strong>der</strong> etwas verstümmelte Urkunde aus dem Jahre 1643.<br />
Am 14. 2. teilten die Gildemeister in <strong>der</strong> Iunftverfammlung mit.<br />
daß zwar von jeher eine Abmachung bestehe, daß <strong>der</strong> vom pommerfchen<br />
Strand entfallende Stein an alle Meister verteilt werden<br />
solle, daß aber kürzlich die Meister Christian Geers und Hans<br />
Wegener am Strande getroffen worden feien, wie sie erhebliche<br />
Mengen Stein für fich selbst einkauften. Daraufhin wurde einstimmig<br />
folgen<strong>der</strong> Beschluß gefaßt und unterschrieben: es sollen in<br />
Zukunft immer drei Meister zusammen an den Strand reisen, aufkaufen,<br />
soviel sie bekommen können, und das Ergebnis <strong>der</strong> Iunft<br />
abliefern, „damit <strong>der</strong>selbe einem jedweden Mitbru<strong>der</strong> nach aävenant<br />
seiner Iulage an gelde, so vorher colligiret vnd zusammengebracht<br />
werden muß, eingetheilet werden kann". Die Iunftbrü<strong>der</strong> verpflichten<br />
sich gegenseitig, nicht auf den Einkauf zu reifen, auch von<br />
benachbarten Edelleuten, Bauern usw. nichts zu kaufen o<strong>der</strong> kaufen<br />
zu lassen, <strong>der</strong> Stein ..nehme sich, woher er wolle, er werde außgepflüget.<br />
außgegraben. o<strong>der</strong> hin und wie<strong>der</strong> an den Waßern o<strong>der</strong><br />
Schleußen gefunden". Daß trotz diefer Abmachung die Iunftgesetze<br />
immer wie<strong>der</strong> durchbrochen wurden und <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Meister<br />
versuchte, sich durch privaten Ankauf von Bernstein einen Vorteil vor<br />
seinen Iunftbrü<strong>der</strong>n zu verschaffen, wifsen wir zur Genüge. Nachdem<br />
Übergänge hinterpommerns und Ostpreußens an Kurbrandenburg trat
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 143<br />
m Verhältnis <strong>der</strong> Iunft zum Bernstein eine entscheidende Än<strong>der</strong>ung<br />
nn, ohne daß wir jedoch den Zeitpunkt genau festlegen können. Iur<br />
3eit <strong>der</strong> ersten Abmachung zwischen Stolp und Königsberg. 1683.<br />
scheint Königsberg allein ein gewisses Bezugsrecht auf den ostpreußischen<br />
Stein gehabt zu haben- dagegen sprechen 1702 bereits<br />
beide Teile von <strong>der</strong> Möglichkeit einer staatlichen Zulage an Bernstein,<br />
sodaß zwischen beiden Jahren <strong>der</strong> Augenblick liegen muß, von<br />
dem an beiden Zünften <strong>der</strong> Bernstein in einem bestimmten Mengenverhältnis<br />
geliefert wurde; möglicherweise ist das Jahr 1696, in dem<br />
durch Einrichtung des sog. Bernsteingerichts eine schärfere Organisierung<br />
<strong>der</strong> Bernsteinverwaltung eingeführt wurde, auch das Jahr<br />
<strong>der</strong> neuen Steinverteilung. Von jetzt an müssen Verhandlungen<br />
hin und her gegangen sein, die wir zwar nicht kennen, die aber nach<br />
aller unserer Erfahrung dadurch bedingt waren, daß jede <strong>der</strong> in<br />
Frage kommenden Parteien mehr Stein haben wollte, als bisher.<br />
Endlich wurde ein vorläufiger Abschluß erzielt durch ein -Neskript<br />
vom N. 2. 1726, nach dem <strong>der</strong> in Ostpreußen entfallende Stein zu<br />
gleichen Teilen an die Königsberger, die Stolper und die „Fremden",<br />
d. h. die Danziger. Elbinger und Lübecker ausgegeben werden<br />
sollte. Diese Lösung enthielt zweifellos eine gewisse Ungerechtigkeit,<br />
indem sie die Auslän<strong>der</strong> den preußischen Untertanen gleich<br />
stellte; es erfolgte also sehr bald Wi<strong>der</strong>spruch, und schon am 3. 6.<br />
1729 kam die endgültige Regelung: die Stolper behielten das bisherige<br />
Drittel, während den Künigsbergern das Recht zugesprochen<br />
wurde, neben ihrem bisherigen Drittel auch den Anteil <strong>der</strong> Fremden<br />
zu beziehen, wenn sie die gleichen Preise zahlten als diesepraktisch<br />
bekamen also von jetzt an die Königsberger zwei Drittel<br />
und die Fremden nichts, hiermit waren ersichtlich beide Teile einverstanden,<br />
denn abgesehen von einem wenig energischen Versuch<br />
<strong>der</strong> Stolper, im Jahre 1747 eine Erhöhung ihres Anteils zu erreichen,<br />
hören wir nichts von Unzufriedenheit. Es konnte alfo das<br />
etwas verwickelte Verfahren <strong>der</strong> Bernsteinteilung in Ruhe ausgebaut<br />
werden. Der durch den Strandinspektor gesammelte Stein<br />
wurde bei <strong>der</strong> Bernsteinkammer in Königsberg abgeliefert,- dort<br />
fand jährlich an drei verschiedenen Terminen, zu Lichtmeß, Iohanni<br />
und Michaelis, die aber nicht regelmäßig eingehalten wurden, eine<br />
„Sortierung" statt, indem unter Aufsicht <strong>der</strong> Behörde von den<br />
Ältesten <strong>der</strong> Königsberger Iunft <strong>der</strong> Stein in die verschiedenen<br />
Sorten eingeteilt wurde; dabei unterschied man nach <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong><br />
einzelnen Stücke: 1. den Sortimentstein, d. h. die ungewöhnlich<br />
großen Stücke, die entwe<strong>der</strong> im ganzen als Seltenheiten verkauft
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
wurden o<strong>der</strong> zur Herstellung größerer Arbeiten dienten (<strong>der</strong> Inventurstücke),<br />
2. den Tonnenstein, 3. den Fernitz, 4. den Sandstein,<br />
5. den Schluck, wobei die Anzahl <strong>der</strong> auf ein Lot gehenden<br />
Stücke für die Einteilung maßgebend war. Der Sortimentstein<br />
war ein für alle Mal von <strong>der</strong> Verteilung ausgeschlossen und wurde<br />
an den Meistbietenden versteigert, wobei recht hohe Beträge erzielt<br />
wurden,- wir wissen, daß die Stolper Iunft gelegentlich ihren<br />
Agenten in Königsberg beauftragt hat, bis zu 15N0 Taler für die<br />
Tonne zu bieten, wobei allerdings die Frage offen bleibt, wieviel<br />
Bernstein in einer Tonne enthalten war. Die übrigen Sorten wurden<br />
nach dem festgesetzten Verhältnis zwischen beide Iünfte geteilt<br />
und nach einem vorher durch Schätzung ermittelten Preise bar bezahlt.<br />
Das dazu nötige Geld wurde <strong>der</strong> Stolper Iunft von einem<br />
Königsberger Handelshause, lange Ieit von <strong>der</strong> Firma Simpson,<br />
zur Verfügung gestellt. Sobald außerdem die zur Sortierung und<br />
Verteilung kommende Bernsteinmenge in Stolp bekannt wurde,<br />
was manchmal schon einige Tage o<strong>der</strong> Wochen vor <strong>der</strong> Sortierung<br />
<strong>der</strong> Fall war, wurde jedem Zunftglied sein Geldanteil mitgeteilt<br />
und <strong>der</strong> ganzen Zunft die Auffor<strong>der</strong>ung übermittelt, das Geld<br />
innerhalb von acht Tagen an die Tribunen einzuzahlen, die es<br />
dann sofort nach Königsberg abführten. Sobald <strong>der</strong> verteilte Stein<br />
entwe<strong>der</strong> von einem Agenten <strong>der</strong> Zunft o<strong>der</strong> von einem eigens nach<br />
Königsberg entsandten Meister übernommen war, wurde er in von<br />
<strong>der</strong> Iunft gelieferte Säcke verpackt und gewöhnlich zur See nach<br />
Danzig verfrachtet, von wo er zu Wagen nach Stolp gebracht wurde.<br />
Letztere Aufgabe wurde lange Ieit einem Privatunternehmer übertragen-<br />
nachdem aber dabei Diebstähle und Unregelmäßigkeiten vorgekommen<br />
waren, wurde 1766 <strong>der</strong> Iunftbru<strong>der</strong> G. I. Iarcke mit<br />
dem Transport betraut, dem für jede Tour nach Danzig ein Taler<br />
zugesichert wurde, daneben noch das Futtergeld für die Pferde,<br />
wenn längeres Warten nötig wurde- 1769 wurde außerdem noch<br />
ein Betrag von 20 Groschen für jede Tonne Bernstein bewilligt.<br />
War <strong>der</strong> Stein dann endlich in Stolp angekommen, wurde er in<br />
Gegenwart <strong>der</strong> ganzen Iunft ausgepackt und in soviel gleiche Teile<br />
geteilt, als Iunftglie<strong>der</strong> vorhanden waren- wenn die einzelnen Teile<br />
nicht gleich gemacht werden konnten, wurde nach einem Beschluß<br />
von 1745 <strong>der</strong> Überschuß zugunsten <strong>der</strong> Iunftwitwen verwandt, die<br />
„keine bürgerlichen koneribuz tragen", alfo an <strong>der</strong> Steinverteilung<br />
keinen Anteil hatten- gleichzeitig gab die Verteilung Gelegenheit,<br />
von <strong>der</strong> Iunft eine etwa nötig werdende Umlage zu erheben, indem<br />
eine bestimmte Menge Bernstein von <strong>der</strong> Verteilung zurückbehalten
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 145<br />
und dann zum allgemeinen Nutzen innerhalb <strong>der</strong> Iunft verkauft<br />
wurde. Lei<strong>der</strong> läßt sich nicht genau feststellen, wieviel Bernstein<br />
aus Königsberg geliefert wurde, ein llbelstand, über den seinerzeit<br />
schon die Kriegs- und Domänenkammer klagte. Als Einheitsmah<br />
galt die Tonne, geteilt in 96 Stof zu je 12 Lot- das Gewicht <strong>der</strong><br />
Tonne war aber nicht ein für alle Mal festgelegt und schwankte<br />
vermutlich sehr je nach Art des mit <strong>der</strong> Tonne gemessenen Steins;<br />
einmal wird das Gewicht <strong>der</strong> Tonne zu 143 Pfund angegeben,<br />
doch kann man das wohl nicht verallgemeinern. Wenn wir deshalb<br />
z. B. hören, daß in den Jahren 1758—1762 rund 640 Tonnen<br />
Bernstein aller Sorten eingebracht wurden, so können wir mit<br />
dieser Iahl noch nicht sehr viel anfangen. Die einzigen verwertbaren<br />
Zahlen besitzen wir aus dem Jahr 1788, wo einem Iunftbru<strong>der</strong><br />
sein Bernsteinanteil für drei Jahre nachgeliefert werden mußte:<br />
er erhielt für diese Zeit 22 Pfund 26 Lot Tonnenstein, 4 Pfund<br />
12 Lot Tonnenknübel, 86 Pfund 24 Lot Schluck und 357 Pfund<br />
14 Lot Sandstein, also immerhin Ziemlich beträchtliche Mengen.<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Erträge an Bernstein von Jahr<br />
zu Jahr schwankten und gegen Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts überhaupt<br />
sehr zurückgingen; so liegt z. B. eine Bescheinigung des Strandinspektors<br />
von Palmnicken vor, nach <strong>der</strong> die Iunft in den Jahren<br />
1718/20 für 30 507 Taler Bernstein bezogen hatte, während die<br />
Bernsteinrechnung für 1809 nur 2936 Taler 3 Pf. nachweist,<br />
Unterschiede, die bei Berücksichtigung <strong>der</strong> verschiedenen Währungsoerhältnisse<br />
noch stärker ins Gewicht fallen. Allerdings kann man<br />
bei Zahlenangaben, die aus <strong>der</strong> Iunft stammen, nicht gut an dem<br />
Verdacht vorbeikommen, daß diese Iahlen je nach dem vorliegenden<br />
Iweck umgedichtet worden sind- auch die Regierung in Köslin<br />
hat gelegentlich erwähnt, daß die Iunft sich nie in ihre Geldwirtschaft<br />
hineinsehen ließe, um nicht allzusehr mit Steuern belästigt<br />
zu werden,- soviel ist sicher, daß die Iunft gelegentlich recht erhebliche<br />
Ausgaben hatte, die we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Iunftrechnung erscheinen<br />
noch durch Anleihen gedeckt wurden, und das auch in Jetten, in<br />
denen sie herzbeweglich klagte, sie sei an den Bettelstab gebracht,<br />
und viele Mitglie<strong>der</strong> hätten nicht mehr als nötig sei, um eben ihre<br />
Blöße zu bedecken. Iu diesem Punkt wird später noch ein Wort<br />
zu sagen sein. — Der Bernsteinfang in Pommern war nie auch<br />
nur annähernd so ergiebig als in Ostpreußen,- er wurde infolgedessen<br />
auch nicht vom Staate ausgeübt, son<strong>der</strong>n ganz o<strong>der</strong> geteilt<br />
ebenso wie die Bernsteingräberei an Privatunternehmer verpachtet.<br />
In den Jahren 1756/62 hatte die Stolper Iunft den Strand von<br />
10
146 Das Gewerb <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Leba bis ans Kolberger Gebiet für jährlich 20 Taler übernommendas<br />
Unternehmen muß ihr von Anfang an zweifelhaft erschienen<br />
sein, denn es beteiligte sich nur etwa ein Dutzend Meister daran.<br />
Über das Ergebnis wissen wir gar nichts- eine aus den erwähnten<br />
Gründen nicht ganz zuverlässige Meldung besagt, daß die Iunft<br />
dabei viel Geld zugefetzt hätte, wobei noch bemerkt wird, daß ihr<br />
Nachfolger, <strong>der</strong> Kaufmann Boje aus Rügenwalde, darüber bankerott<br />
geworden sei.<br />
Die friedliche Entwicklung <strong>der</strong> Jahre feit 1729 erfuhr eine<br />
empfindliche Störung durch die politischen Verhältnisse. Im Jahre<br />
1758 wurde Königsberg, ebenso wie später Stolp, von den Russen<br />
besetzt, und die Bernsteinlieferungen hörten auf. Stolp sah sich dadurch<br />
genötigt, einen Abgesandten nach Königsberg zu schicken, um<br />
Klarheit zu erhalten. Nach dem recht temperamentvollen Bericht<br />
dieses Abgesandten hatte sich in Königsberg folgendes zugetragen:<br />
er gmg zunächst zum russischen Gouverneur v. Korff und hatte den<br />
Eindruck, daß dieser zum Entgegenkommen bereit sei,- dann wurde<br />
aber durch die Königsberger Iunft in Gegenwart des Bürgermeisters<br />
eine Besprechung herbeigeführt, in <strong>der</strong>en Verlauf einer <strong>der</strong><br />
Iunftbrü<strong>der</strong> äußerte, Königsberg sei jetzt russisch und habe mit<br />
Stolp nichts mehr zu tun- am nächsten Tage soll auch eine Abordnung<br />
von Frauen <strong>der</strong> Königsberger Meister beim Gouverneur<br />
gewesen sein, und dieser ließ sich soweit beeinflussen, daß er <strong>der</strong><br />
Entscheidung auswich und erklärte, er werde schriftlich Bescheid<br />
erteilen, diesen Bescheid aber niemals gab. Inwieweit diese Darstellung<br />
richtig ist, sei dahingestellt. Aktenmäßig steht folgen<strong>der</strong><br />
Hergang fest: am 19. 10. 1758 reichten die Stolper an die Bernsteinkammer<br />
in Königsberg ein Gesuch um Zuteilung des Steines<br />
ein,- die Kammer beauftragte den Magistrat, bei <strong>der</strong> Königsberger<br />
Iunft anzufragen, ob sie gegen die Zuteilung von Stein an die<br />
Stolper etwas einzuwenden habe, und am 8. 11. erging nach Stolp<br />
<strong>der</strong> Bescheid, da <strong>der</strong> Kammer nicht bekannt sei, ob Stolp den<br />
Huldigungseid geleistet und Kriegskontribution gezahlt habe, könne<br />
seinem Gesuch nicht stattgegeben, son<strong>der</strong>n müsse anheimgestellt werden,<br />
die Entscheidung des russischen Generalgouverneurs Neichsgrafen<br />
v. 3ermor einzuholen. Damit war die Frage von vornherein<br />
entschieden, denn daß v. Iermor unter solchen Umständen für Stolp<br />
eintreten würde, war kaum zu erwarten. Seine Antwort auf die<br />
Bitte <strong>der</strong> Iunft lautete auch entsprechend: er glaube ganz gern,<br />
daß die Stolper Iunft früher Bernstein von Königsberg bekommen<br />
habe, wun<strong>der</strong>e sich aber nicht, daß die Kammer nichts mehr liefern
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
;önne, „indem je<strong>der</strong>mann sattsahm überzeiget sein wird, daß Saison<br />
je Querre solches nicht erlaubet". Es wurde auch während <strong>der</strong><br />
zanzen Dauer <strong>der</strong> Besetzung kein Bernstein mehr nach Stolp geliefert.<br />
Die einseitige Stellungnahme <strong>der</strong> Königsberger Behörden<br />
gegen die Stolper Iunft, die schon bei den Verhandlungen von<br />
1758 auffiel, trat noch unangenehmer in Erscheinung, als nach Beendigung<br />
<strong>der</strong> Besetzung Stolp den begreiflichen Wunsch hatte,<br />
irgendwie für die Verluste <strong>der</strong> letzten Jahre entschädigt zu werden.<br />
Auf den Antrag <strong>der</strong> Iunft vom 18. 9. 1762, den eingehaltenen<br />
Stein zu erstatten, verfügte <strong>der</strong> König schon am 30. 9., das Gesuch<br />
sei durchaus billig, da es den Stolpern im Kriege sehr viel schlechter<br />
ergangen sei als den Königsbergern, und die Kammer in Königsberg<br />
solle Bericht einreichen. Dieser Bericht erfor<strong>der</strong>te beträchtliche<br />
Zeit, denn die Kammer mußte erst die Ansicht <strong>der</strong> Künigsberger<br />
Iunft einholen, die mitteilte, ihnen sei <strong>der</strong> Tonnenstein<br />
während <strong>der</strong> Besetzung vorenthalten und nach Petersburg geschickt<br />
worden, sodaß sie die Herausgabe nur mit vielen Kosten hätten erreichen<br />
können: nun erst konnte die Kammer berichten, daß die<br />
Königsberger von dem Bernstein keinen Vorteil gehabt hätten, da<br />
das Sortiment nach Petersburg geschickt worden sei. Der<br />
Erfolg dieses Berichts war eine Verfügung des Königs an die<br />
Stolper Iunft, daß Königsberg an <strong>der</strong> Zurückhaltung des Bernsteins<br />
keine Schuld trage und deshalb von einer Rückerstattung<br />
nicht die Rede sein könne. Bereits im nächsten Jahre, 1763, hatte<br />
die Iunft Gelegenheit, den eben abgelehnten Antrag zu wie<strong>der</strong>holen,<br />
als <strong>der</strong> König bei einer Besichtigungsreise in Kolberg Befehl gab,<br />
<strong>der</strong> Stolper Bernsteinhändlerzunft mit allen Mitteln wie<strong>der</strong> aufzuhelfen.<br />
Diesmal scheint <strong>der</strong> König über die Verhältnisse besser<br />
unterrichtet gewesen zu sein, denn er bemerkte, die Königsberger<br />
Iunft habe es im Kriege ohnehin am besten gehabt, weil sie ihren<br />
Stein „denen Russen aufs theuerste angegeben" und befahl Herreichung<br />
eines genauen Berichts über die Menge des in den Kriegsjahren<br />
eingekommenen und <strong>der</strong> Königsberger Iunft überlassenen<br />
Steins (6. 10. 1763). Dieser Bericht ließ in einer auch damals unerhörten<br />
Weise auf sich warten; am 12. 1. 1764 mußte <strong>der</strong> König<br />
an seine Erledigung erinnern lassen, und erst im März 1764. also<br />
nach mehr als fünf Monaten, wurde ein eingehen<strong>der</strong> Bericht des<br />
Strandinspektors vorgelegt. Und nun ergab es sich, daß <strong>der</strong> Bericht<br />
<strong>der</strong> Kammer von 1762 unrichtig war, indem keineswegs <strong>der</strong> ganze<br />
Tonnenstein o<strong>der</strong> das ganze Sortiment an die Russen abgeliefert<br />
worden war, son<strong>der</strong>n nur sehr kleine Mengen, insgesamt noch nicht
148 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
I0/0, von einzelnen beson<strong>der</strong>s genannten Personen <strong>der</strong> russischen<br />
Verwaltung angefor<strong>der</strong>t worden waren, während die Königsberger<br />
Iunft die Hauptmasse erhalten hatte. Es war also die Entscheidung<br />
von 1762 zu Unrecht ergangen, und um den Anfor<strong>der</strong>ungen bei<strong>der</strong><br />
Iünfte gerecht zu werden, wurde bestimmt, daß Königsberg von<br />
dem zuviel erhaltenen Stein wenigstens ein Drittel an Stolp zu<br />
liefern hätte (29. 4. 1764). Damit war Stolp jedoch nicht einverstanden,<br />
schickte sofort den bereits mehrfach erwähnten Kommerzienrat<br />
Klebang nach Potsdam zum König und erwirkte, daß<br />
ihnen von jetzt an die Hälfte des in Ostpreußen entfallenden Bernsteins<br />
zugebilligt wurde. Königsberg erhob hiergegen begreiflicherweise<br />
lebhaftesten Einspruch, konnte aber nicht durchdringen und<br />
wurde immer wie<strong>der</strong> abgewiesen, zuletzt 1767 mit <strong>der</strong> Begründung,<br />
„wie das Stolp'sche Bernstein-Dreher-Gewerk ebenso conZiäerable<br />
als das Königsberg'sche, und daher billig ist, daß es mit diesem in<br />
Ansehung des Bürnsteins gleiche Vortheile genieße". — Seit diesem<br />
Bernsteinstreit von 1764 ist die Iunft nie wie<strong>der</strong> auf längere Zeit<br />
in den ruhigen Genuß des Steins gekommen,- es folgte vielmehr<br />
eine Periode fast ständiger Reibungen und Schwierigkeiten, die die<br />
Iunft dauernd in Atem hielt und schließlich in <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong><br />
Bernsteinadministration ihren Abschluß fand. Die preußische Regierung<br />
hatte, verwöhnt durch eine Reihe von Jahren mit etwa gleichbleibendem<br />
Bernsteinertrag, den Fehler begangen, diesen Bernsteinertrag<br />
als eine unverän<strong>der</strong>liche Grüße zu betrachten, und ihn deshalb<br />
mit einer feststehenden Summe in ihren Einnahmeetat eingestellt-<br />
als nun in den siebziger Jahren des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>der</strong><br />
Ertrag an Bernstein dauernd geringer wurde, entstanden selbstverständlich<br />
Fehlbeträge im Etat, und <strong>der</strong> bekanntlich sehr sparsame<br />
König suchte nach Wegen, um die dem Staat so entgehenden Geldmittel<br />
wie<strong>der</strong> einzubringen. So entstand zuerst und zwar im Dezember<br />
1776 <strong>der</strong> Gedanke, die Bernsteinernte am Strande von<br />
Memel bis Pillau zu verpachten und zwar entsprechend dem Ertrage<br />
des Jahres 1776/77 für eine jährliche Pachtsumme von 17 100<br />
Talern, zu <strong>der</strong> noch eine rückzahlbare Kaution von 5000 Talern<br />
treten sollte. Merkwürdigerweise wurden die Vorbereitungen zu<br />
dieser Verpachtung von den damit betrauten Beamten, die wohl<br />
<strong>der</strong> Kammer in Königsberg nicht fern standen, so heimlich betrieben,<br />
daß die Stolper Iunft. die an <strong>der</strong> Neuordnung doch sehr erheblich<br />
interessiert war. von dem ganzen Plan erst so spät und zwar durch<br />
einen Privatbrief Kenntnis erhielt, daß sie kaum noch Ieit hatte,<br />
die bereits für die Ieit vom 19. 1. bis 26. 2. 1777 angesetzten
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 149<br />
Pachttermine wahrzunehmen. Die Iunft wandte sich beschwerdeührend<br />
an den König, <strong>der</strong> das ihr gegenüber beliebte Verfahren<br />
jwar mißbilligte, aber in <strong>der</strong> Sache selbst fest blieb und sie damit<br />
röstete, daß sie bei gleichem Geb.ot vor an<strong>der</strong>en Pachtlustigen den<br />
Vorzug haben sollten, und daß im übrigen <strong>der</strong> Pächter verpflichtet<br />
vürde, allen Bernsteinarbeitern das nötige Material zu billigem<br />
sireise zu liefern. Die Iunft hatte fich also wohl o<strong>der</strong> übel mit <strong>der</strong><br />
reuen Lage abzufinden, und da auch die Königsberger durch die<br />
)rohende Verpachtung benachteiligt wurden, waren beide, die sich<br />
)och noch vor wenigen Jahren bitter bekämpft hatten, nun durch<br />
)ie Verhältnisse gezwungen, sich zu versöhnen und sogar Hand in<br />
s)and zu arbeiten. Dabei muß sich freilich Königsberg an den Ver-<br />
.at <strong>der</strong> Stolper vom Jahre 1719 erinnert haben, denn es ging in<br />
nner Weise vorsichtig vor, die ohne diese Vorgeschichte hätte beeidigend<br />
wirken müssen: zwei Vertreter <strong>der</strong> Stolper Iunft hatten<br />
n Königsberg vereinbart, daß die beiden Iünfte geschlossen vorgehen,<br />
aber die Stolper die Vertretung ihrer Sache beim König<br />
übernehmen sollten, weil sie bessere Beziehungen in Berlin hätten;<br />
;s wurde also eine Vollmacht nach Stolp geschickt, <strong>der</strong>en Absendung<br />
ülerdings zwei Königsberger Meister wi<strong>der</strong>sprachen- schon am Tage<br />
)arauf kam ein Brief <strong>der</strong> Alterleute von Königsberg nach Stolp<br />
)es Inhalts, die erste Vollmacht habe kein Iunftsiegel, sei also ungültig<br />
und solle einstweilen ohne beson<strong>der</strong>e Anweisung nicht benutzt<br />
Derden; damit war Stolp mit seinen eigenen Waffen geschlagen und<br />
nußte in Geduld abwarten, bis aus Königsberg <strong>der</strong> weitere Vorschlag<br />
kam, daß Stolp die eben erhaltene, ungültige Königsberger<br />
Vollmacht zusammen mit einer eigenen Gegenvollmacht an einen<br />
Mittelmann in Königsberg senden sollte, <strong>der</strong> eine neue Vollmacht<br />
)er Königsberger erhalten und dann beide Urkunden gegeneinan<strong>der</strong><br />
austauschen würde! Immerhin hatte das Zusammengehen bei<strong>der</strong><br />
Iünfte Erfolg. Nachdem bereits an zwei Pachtterminen kein Bieter<br />
erschienen war, meldeten sich auf dem dritten Vertreter bei<strong>der</strong> Iünfte,<br />
erklärten aber, kein Gebot abgeben zu wollen, weil sie nicht das<br />
aütige Geld hätten und außerdem die verlangte Pachtsumme bei den<br />
augenblicklich durch Kriege in <strong>der</strong> Türkei gestörten Absatzverhältlüssen<br />
einen Verlust von mindestens 7000—8000 Talern bedeute;<br />
sie blieben auch fest trotz <strong>der</strong> Drohung des anwesenden Ministerialrates,<br />
daß dann eben <strong>der</strong> Bernstein an den Meistbietenden verkauft<br />
werden müsse. Als so die Verpachtung <strong>der</strong> Bernsteinfischerei undurchführbar<br />
blieb, gab <strong>der</strong> König schließlich nach und beließ es<br />
bei dem bisherigen Verfahren. Es vergingen aber nur wenige Jahre,
150 Das Gewerkt <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
bis <strong>der</strong> Zusammenhalt bei<strong>der</strong> Iünfte erneut auf die Probe gestellt<br />
wurde. Im preußischen Etat für 1781 war ein Fehlbetrag von<br />
10 000 Talern entstanden, und um ihn zu decken, mußte wie<strong>der</strong> einmal<br />
<strong>der</strong> Bernstein herangezogen werden- da aber die Verpachtung<br />
<strong>der</strong> Bernsteinfischerei 1777 sich nicht hatte durchführen lassen, sollte<br />
diesmal <strong>der</strong> gesammelte Stein an den Meistbietenden versteigert<br />
werden. Gegenvorstellungen, die sich hauptsächlich in <strong>der</strong> Richtung<br />
bewegten, daß die sonstigen Liebhaber, insbeson<strong>der</strong>e die inländischen<br />
und „armenianischen" Juden, sehr viel höhere Preise anlegen könnten,<br />
weil sie den rohen Stein ins Ausland' brächten, während die<br />
Preise für fertige Bernsteinwaren mit Rücksicht auf die vielfach<br />
bestehenden Einfuhrzölle nicht wesentlich gesteigert werden könnten,<br />
nutzten nichts. Die beteiligten Iünfte waren also wie<strong>der</strong> einmal auf<br />
gemeinsames Porgehen angewiesen, das dadurch erleichtert wurde,<br />
daß Stolp für eine Reihe von Monaten einen bevollmächtigten Vertreter<br />
nach Königsberg schickte. Durch Besprechungen <strong>der</strong> Iünfte<br />
untereinan<strong>der</strong> und mit den hauptsächlich in Betracht kommenden<br />
Händlern wurde eine Art Ringbildung erzielt, und bei <strong>der</strong> endlich<br />
am 15. 3. 1782 abgehaltenen Versteigerung erhielten die Iünfte<br />
den Zuschlag auf ein Gebot, das nur unwesentlich höher lag als <strong>der</strong><br />
bisher erzielte Preis. Der Zuschlag bedurfte jedoch <strong>der</strong> Bestätigung<br />
des Königs, und da inzwischen ein jüdischer Händler aus Altholland<br />
bei Danzig sich in einer Immediateingabe bereit erklärt hatte, 1000<br />
Taler über Höchstgebot zu zahlen, wurde diese Bestätigung nicht erteilt,<br />
son<strong>der</strong>n ein neuer Versteigerungstermin angeordnet. Dieser<br />
Befehl entfesselte wie<strong>der</strong> eine Flut von Eingaben bei<strong>der</strong> Iünfte, die<br />
aber ganz nutzlos erschienen, als plötzlich sozusagen im letzten Augenblick<br />
<strong>der</strong> schon angesetzte Termin aufgehoben und die Verteilung<br />
des Bernsteins in <strong>der</strong> althergebrachten Weise angeordnet wurde.<br />
Die Vorgeschichte dieses Stimmungswechsels ist uns in den Akten<br />
erhalten und wirft ein bezeichnendes Licht auf die vielen unterirdischen<br />
Wege, die <strong>der</strong> Stolper Iunft zur Erreichung ihrer Iiele<br />
damals zur Verfügung standen. Die Iunft hatte sich in ihrer Not<br />
an den aus <strong>der</strong> Stadtgeschichte auch sonst bekannten Präpositus<br />
Haken in Stolp gewandt, <strong>der</strong> ihr seit 1772 als Ehrenmitglied angehörte.<br />
Haken war Mitglied <strong>der</strong> „Gesellschaft <strong>der</strong> naturforschenden<br />
Freunde" und stand als solches in Briefwechsel mit dem in Berlin<br />
sehr bekannten und einflußreichen Grafen Borcke, mit dem er<br />
schon mehrfach naturgeschichtliche Merkwürdigkeiten ausgetauscht<br />
hatte- in einem Briefe brachte er nun wie zufällig die Rede auf<br />
Bernsteinsachen, und es ergab sich, daß Graf Borcke gern ein Stück
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 151<br />
von Bernstein durchflossenes holz und ein Bernsteinstück, in dem<br />
ein Wassertropfen eingeschlossen war, besessen hätte: haken konnte<br />
ihm diese Merkwürdigkeiten durch Vermittlung <strong>der</strong> Iunft natürlich<br />
leicht besorgen und benutzte die Gelegenheit, ihm die schwierige<br />
Lage <strong>der</strong> Bernstemarbeiter in lebhaften Farben zu schil<strong>der</strong>n,- ein<br />
ähnliches Schreiben ging auch an den Minister v. Hertzberg, und<br />
nun war auf einmal in Berlin das Interesse für die Bernsteinarbeiter<br />
geweckt, und es dauerte nicht mehr lange, bis auch <strong>der</strong><br />
König in <strong>der</strong> gewünschten Richtung beeinflußt war. Es ist überhaupt<br />
eine interessante Aufgabe, zu untersuchen, mit welchen Mitteln<br />
mindestens die Stolper Iunft in jener Zeit arbeitete, um ihre<br />
Wünsche durchzusetzen und sich den Geschäftsgang zu erleichtern.<br />
Daß bei ^)en Bernsteinsortierungen erhebliche „Douceurs" an alle<br />
beteiligten Beamten bis hinauf zum Strandinspektor gezahlt wurden,<br />
scheint allgemein bekannt gewesen zu sein, denn die dafür verausgabten<br />
Summen wurden offen genannt. Es ist schon weniger<br />
klar, an welche Stelle in Königsberg alljährlich Lebensmittel geschickt<br />
wurden, bald Lachse, bald einige Dutzend Gänsebrüste, bald<br />
frische Gänse, Backobst u. a. m. Daneben bestanden aber noch dunkle<br />
Beziehungen nach Berlin, Potsdam und Stettin, die aber meist so<br />
vorsichtig behandelt wurden, daß sogar in den Akten, die doch aus<br />
<strong>der</strong> Iunft nicht hinausgingen, die Unterschriften <strong>der</strong> betreffenden<br />
Persönlichkeiten ausgeschnitten wurden. Soweit man sich überhaupt<br />
ein Bild machen kann, hatte die Iunft im Kabinett und bei <strong>der</strong><br />
Kammer in Stettin Vertrauensleute, die ihnen Abschriften o<strong>der</strong><br />
wenigstens Inhaltsangaben aller sie betreffenden Verfügungen fertigen<br />
mußten, auch wenn es sich um vertrauliche Urkunden handelte;<br />
diese Leute mußten natürlich entsprechend entlohnt werden. Daneben<br />
wurde anscheinend auch bei höheren Beamten nicht ganz selten Bestechung<br />
versucht und durchaus nicht immer zurückgewiesen,- es ist<br />
nur ein sicherer Fall bekannt, wo ein Beamter einen Lachs, den<br />
ihm die Iunft überreichen ließ, ablehnte. Es gingen also dauernd<br />
Sendungen aller Art nach Berlin, meist Lachse, Gänse, Neunaugen,<br />
Schnaps, manchmal auch nur „Viktualien" und zwar letztere in<br />
sehr erheblichen Mengen, denn die Ausgaberechnung weist hierfür<br />
mehrfach Beträge von 44 Talern nach. Auch Geldsummen wurden<br />
gezahlt und unter <strong>der</strong> Marke „an einen Glücksbeför<strong>der</strong>er <strong>der</strong> Iunft"<br />
in <strong>der</strong> Iunftrechnung in Ausgabe gestellt. Daß z. B. nach dem Eingreifen<br />
des Präpositus haken <strong>der</strong> Minister v. Hertzberg ein Damebrett<br />
aus Bernstein erhielt und die Annahme in einem Dankschreiben<br />
bestätigte, sei nur nebenbei erwähnt. — Es war nach <strong>der</strong> Erfahrung
152 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
von 1740 von vornherein anzunehmen, daß <strong>der</strong> Thronwechsel <strong>der</strong><br />
Stolper Zunft neue Anfechtungen bringen würde, indem die Königsberger<br />
versuchen würden, von dem neuen Herren auch eine neue<br />
Entscheidung zu ihren Gunsten zu erreichen. So brachte denn auch<br />
das Jahr 1786 einen Antrag <strong>der</strong> Königsberger, die Verordnung von<br />
1764 aufzuheben und ihnen wie<strong>der</strong> wie früher zwei Drittel des ostpreußischen<br />
Bernsteins zuzubilligen. Dieser Antrag wurde freilich<br />
abgelehnt, aber er war nun <strong>der</strong> Anlaß zu einem sich jahrelang hinziehenden<br />
Streit, <strong>der</strong> einen merkwürdigen Einblick in das Verhältnis<br />
zwischen dem Staat und den beiden Zünften in Stolp und<br />
Königsberg gewährt, vielleicht auch in die Rechtsverhältnisse jener<br />
Zeit überhaupt. 1788 wurde auf einen neuen Antrag <strong>der</strong> Königsberger<br />
verfügt, daß in Zukunft <strong>der</strong> Bernstein nach <strong>der</strong> Kopfzahl<br />
<strong>der</strong> vorhandenen Meister verteilt werden, also Stolp 54 und Königsberg<br />
68 Anteile erhalten sollte. Darüber herrschte große Entrüstung<br />
bei <strong>der</strong> Stolper Zunft, und mit <strong>der</strong> ihr eigenen übertriebenen Ausdrucksweise<br />
erklärte sie. bei <strong>der</strong> neuen Verteilungsweise unbedingt<br />
zugrunde gehen zu müssen. Diese Erklärung bereitete <strong>der</strong> Behörde<br />
offenbar erhebliches Kopfzerbrechen, denn sie brauchte nahezu zwei<br />
Jahre, ehe sie nach reiflichem Aktenstudium zu dem Ergebnis kam,<br />
daß schon nach <strong>der</strong> Abmachung von 1702 und noch mehr nach <strong>der</strong><br />
Kabinettsordre von 1764 beide Zünfte gleichberechtigt seien, sodaß<br />
die Verteilung des Bernsteins zu gleichen Teilen unabän<strong>der</strong>lich bleiben<br />
müsse, hiergegen empörten sich nun wie<strong>der</strong> die Königsberger<br />
und fühlten ihrerseits den Nachweis, daß sie bei dieser Verteilungsart<br />
an den Bettelstab kommen müßten. Die Behörde in Berlin<br />
hatte daraufhin offenbar nicht den Mut. bei ihrer Entscheidung zu<br />
bleiben, son<strong>der</strong>n schlug <strong>der</strong> Stolper Zunft ein „Temperament" vor:<br />
es sollten in Zukunft von dem eingehenden Bernstein von je neun<br />
Teilen vier nach Stolp und fünf nach Königsberg fallen,- dabei<br />
wurde den Stolpern nahegelegt, doch lieber diesmal nachzugeben,<br />
denn, wenn sie hartnäckig blieben, würden die Königsberger doch<br />
wie<strong>der</strong> den König mit ihren Bitten bestürmen, und es sei sehr fraglich,<br />
ob <strong>der</strong> dann bei seiner jetzigen Meinung bliebe. Die Stolper<br />
ließen sich aber nicht fangen, wiesen vielmehr nach, daß das Verhältnis<br />
4 : 5 fast genau so groß sei wie 54 : 68. und die Behörde<br />
mußte nach einem neuen Kompromiß suchen. Diesmal tauchte <strong>der</strong><br />
Gedanke auf. es bei <strong>der</strong> Verteilung nach <strong>der</strong> Kopfzahl zu lassen,<br />
dafür aber <strong>der</strong> Königsberger Zunft aufzugeben, solange keinen<br />
neuen Meister einzustellen, bis die Zahl <strong>der</strong> Zunftglie<strong>der</strong> auch dort<br />
auf 54 gesunken sei. Das stieß wie<strong>der</strong> auf lebhaftesten Einspruch
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 153<br />
bei den Künigsbergern, die, und wohl mit Recht, betonten, daß die<br />
durch diese Maßnahme geschädigten Gesellen sich vermutlich dicht<br />
hinter <strong>der</strong> Grenze nie<strong>der</strong>lassen und einen blühenden Schmuggelhandel<br />
entwickeln würden. In dieser Not verfiel die Regierung auf ein<br />
salomonisches Urteil: es solle bei <strong>der</strong> Verteilung zu gleichen Teilen<br />
sein Bewenden haben,- da aber 1702 und 1764 nur von dem aus<br />
<strong>der</strong> See gefischten Stein (sog. Seestein) die Rede sei, inzwischen<br />
aber auch im Bergbau Bernstein gewonnen werde (Bergstein),<br />
sollten sich die Stolper mit <strong>der</strong> Hälfte des Seesteins begnügen,<br />
die Künigsberger aber außerdem noch den Bergstein haben. Der<br />
Erfolg dieser gutgemeinten Maßregel war allerdings unerwartet,<br />
denn nun beschwerten sich beide Teile, die Königsberger, weil <strong>der</strong><br />
Bergstein doppelt so teuer sei als <strong>der</strong> Seestein, die Stolper, weil<br />
<strong>der</strong> Bergstein so beson<strong>der</strong>s gut und für ihre Zwecke unersetzlich sei<br />
(was sich übrigens bei einer Untersuchung durch unparteiische Sachverständige<br />
als falsch herausstellte). Jetzt endlich wurde die Negierung<br />
energisch- sie befahl, durch Verbilligung des Bergsteins<br />
und Verteuerung des Seesteins einen Einheitspreis für den ganzen<br />
Bernstein zu bilden und die gesamte Bernsteinernte zu gleichen Teilen<br />
an die feindlichen Zünfte auszugeben. Wi<strong>der</strong>spruch nutzte diesmal<br />
gar nichts, und beide Teile mußten sich Zufrieden geben,- Stolp versuchte<br />
freilich noch insoweit einen kleinen Vorteil für sich herauszuschlagen,<br />
als es behauptete, von Königsberg seit 1764 um insgesamt<br />
81 Tonnen Bernstein verkürzt zu sein, die es unbedingt erstattet<br />
haben müsse, aber das half ihm nichts, und nun trat im<br />
Verhältnis bei<strong>der</strong> Zünfte endlich Ruhe ein. Damit ist das Kapitel<br />
<strong>der</strong> Bernsteinbeschaffung im wesentlichen erledigt bis auf einen erneuten<br />
Versuch <strong>der</strong> Zunft, durch Pachtung des pommerschen Strandes<br />
ihre Einkünfte an Stein zu verbessern. 1795 wurde die pommersche<br />
Strandpacht frei, und die Zunft stellte den Antrag, ihr<br />
für die neue sechsjährige Pachtperiode den Strand zu den bisherigen<br />
Bedingungen zu überlassen- die Negierung ging darauf ein und gab<br />
<strong>der</strong> Zunft auf. einen Vertragsentwurf einzureichen, deutete dabei<br />
an, daß die Zunft gut täte, auch die Bernsteingräberei in Pommern<br />
mit zu pachten. In dem Entwurf, <strong>der</strong> eine Iahrespacht von 208<br />
Talern für den Strand von Leba bis zur Peene vorfah, stellte die<br />
Zunft zwei Bedingungen: 1. in allen Stranddürfern je zwei Leute<br />
zur Einsammlung und Ablieferung des Steins zu verpflichten und<br />
die Pachtbedingungen auf Kosten <strong>der</strong> Zunft gedruckt bekannt zu<br />
geben,- 2. allen Juden den Handel mit rohem Bernstein zu verbieten.<br />
3ür die Bernsteingräberei bot die Zunft jährlich 30 Taler,
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
wie sie sagte, nicht um die Grabung auszubeuten, son<strong>der</strong>n nur im<br />
die Konkurrenz fernzuhalten, und wurde abgewiesen. Der Vertrags<br />
entwurf wurde im wesentlichen genehmigt, doch die zweite Be<br />
dingung gestrichen. Damit war die Iunft nicht einverstanden, unter<br />
schrieb den Vertrag nur unter Vorbehalt und stellte im herbst 17N<br />
die Pachtzahlung plötzlich ein, sodaß die Negierung sich gezwunger<br />
sah, nachzugeben. Die Ausnutzung <strong>der</strong> Strandpacht machte <strong>der</strong> Iunfi<br />
sehr erhebliche Schwierigkeiten, und es zeigte sich wie<strong>der</strong> einmal<br />
daß eine Zwangswirtschaft gleichviel welcher Art sich auf die Dauei<br />
nicht durchführen läßt. Zunächst gelang es <strong>der</strong> Regierung nicht, u<br />
den Stranddörfern auch nur einen Mann zu finden, <strong>der</strong> sich bereit<br />
erklärt hätte, das Sammeln des Bernsteins zu übernehmen, unt<br />
auch die mit dem Bernsteinfischen betrauten Leute waren nicht dazr<br />
zu bringen, den gefundenen Stein für den gebotenen sehr niedriger<br />
Preis abzuliefern, son<strong>der</strong>n zogen es vor, ihn für gutes Geld an du<br />
Schleichhändler abzugeben, die ständig am Strande erschienen; du<br />
Iunft versuchte hier Wandel zu schaffen, indem sie einigen Accise<br />
beamten die Oberaufsicht übertrug und gegen ein Monatsgehalt vor<br />
IN Talern einen berittenen Strandwächter anstellte, aber auch damii<br />
erreichte sie nichts. Wenn die Bevollmächtigten den Strand bereisten,<br />
um die Bernsteinernte einzuheimsen, fanden sie entwede,<br />
nichts o<strong>der</strong> nur sehr wenig, nie aber größere Stücke, son<strong>der</strong>n nur du<br />
schlechten Sorten, die niemand hatte kaufen wollen,- dafür härter<br />
sie umso mehr von den Schleichhändlern, die nach jedem stärkerer<br />
Wind in Haufen an den Strand kamen und jedes nur irgend wert<br />
volle Stück aufkauften. Trotzdem scheint die Iunft bei <strong>der</strong> Strand<br />
pacht auf ihre Kosten gekommen zu sein, denn sie erneuerte <strong>der</strong><br />
Vertrag 1801 und 1807- wie groß <strong>der</strong> Ertrag war, läßt sich aller<br />
dings nicht feststellen, da Bücher darüber nicht erhalten sind, viel<br />
leicht auch aus durchsichtigen Gründen nicht geführt wurden. Du<br />
Unternehmungslust <strong>der</strong> Iunft ging sogar soweit, daß sie 180^<br />
beschloß, die Bernsteingrabung in den Amtern Bütow und Rügen<br />
walde zu übernehmen; freilich wissen wir nicht, ob ein Pachtvertrag<br />
abgeschlossen ist. Daß die Bernsteingrabung nicht sehr aussichtsvol<br />
war. ersehen wir aus einem etwas später liegenden Ereignis, da;<br />
zweckmäßig hier seinen Platz findet. 1832 bot die Stadt Stolp de!<br />
Iunft die Bernsteingräberei auf dem Kämmereigut Krussen an<br />
und die Iunft bildete sofort aus ihrer Mitte eine Art Aktiengesell<br />
schaft, um das neue Unternehmen möglichst sicher zu begründen<br />
Einen ganzen Monat lang wurden Probegrabungen betrieben, du<br />
zwar viel Geld kosteten, aber nur 2V2 Pfund Bernstein im Wert
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 155<br />
von 6 Talern einbrachten. Trotzdem verlor die Iunft den Mut<br />
nicht- als aber auch <strong>der</strong> ganze Sommer 1833 verging, ohne daß<br />
nur ein Körnchen Bernstein gefunden worden wäre, gab sie das<br />
Unternehmen auf und trat von ihrem Vertrage zurück.<br />
Aber den Handel mit Bernsteinwaren, den die Iunft trieb,<br />
haben wir aus den bekannten Gründen keine rechte Übersicht. Ihr<br />
Haupterzeugnis waren wohl von jeher, wie schon <strong>der</strong> alte Name<br />
„Paternostermacher" besagt, Bernsteinkugeln, Korallen genannt, wie<br />
man sie früher zum Rosenkranz gebrauchte. Daneben wurden schon<br />
in früher Ieit an<strong>der</strong>e Gegenstände hergestellt, wie z. B. ein uns erhaltenes<br />
Bruchstück <strong>der</strong> Gewerksrolle von 1550 den Gesellen die<br />
Herstellung von Würfeln, Löffeln und ähnlichen Dingen für eigene<br />
Rechnung verbietet. Derartige Gegenstände, später, wie schon oben<br />
erwähnt, Inventurstücke genannt, haben aber nie eine Rolle gespielt<br />
und wurden nur auf Bestellung angefertigt- die Iunft scheint auch<br />
hierin Bedeutendes geleistet zu haben,- wir kennen an solchen Inventurstücken<br />
z. B. das schon erwähnte Damebrett, eine Medaille<br />
auf den Seidenbau, die ein Minister bekam, dann 3ruchtkürbchen,<br />
Flacons, Vasen, Dosen, Ohrgehänge usw. In Königsberg wird<br />
einmal ein Meister mit dem Namen „Inventierer" bezeichnet, was<br />
wohl besagen will, daß er nur Inventurstücke herstellte, doch scheint<br />
das ein Einzelfall geblieben zu sein. Die Korallen stellen wohl<br />
immer die Hauptmasse aller Bernsteinerzeugnisse dar. Da, wie einmal<br />
in den Akten sehr richtig bemerkt wird, die sämtlichen Bürger<br />
von Stolp zusammen noch nicht einen einzigen Bernsteinarbeiter<br />
ernährt haben würden, mußten diese Korallen im Auslande abgesetzt<br />
werden. Wir können das kaum besser schil<strong>der</strong>n als mit den<br />
Worten des Präpositus haken: „<strong>der</strong> Wert des Bernsteins hängt<br />
vom Luxu und zwar größtenteils vom Luxu geschmackloser Nationen<br />
ab; denn die meiste daraus verfertigte Arbeit besteht in großen und<br />
kleinen, klaren und trüben Korallen, wovon nicht <strong>der</strong> 5N ste Teil in<br />
Europa bleibet, das übrige geht alles nach <strong>der</strong> Levante und findet<br />
im mittäglichen China, Egipten und Afrika auch zum Theil erst in<br />
Amerika den Ort seiner Bestimmung. Diese fremden Nationen<br />
bezahlen die Korallen erstaunend teuer". Dem wäre nur hinzuzusetzen,<br />
daß es drei Torten Korallen in verschiedenen Größen gab,<br />
und daß eine Lieferung, wenn sie richtig bezahlt werden wollte, alle<br />
drei im gleichen Mengenverhältnis enthalten mußte. Wir dürfen<br />
wohl annehmen, daß ein <strong>der</strong>artiger Ausfuhrhandel bereits in den<br />
ersten Anfängen <strong>der</strong> Iunft bestanden hat, können aber lei<strong>der</strong> keine<br />
Einzelheiten angeben. Später, in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 18. Jahr-
156 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Hun<strong>der</strong>ts, hören wir gelegentlich von dem Handel, den die Iunft<br />
nach „Italien, Ägypten, <strong>der</strong> Barbarei und Sachsen" betreibt, aber<br />
das wird nur allgemein erwähnt, nicht im einzelnen geschil<strong>der</strong>t. Vermutlich<br />
dürfen wir aber das, was wir über den Handel am Ende<br />
des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts hören, verallgemeinern und können darum<br />
auf weitere Beschreibungen verzichten. Nur zu einem kleinen Teil<br />
ging <strong>der</strong> Handel von Stolpmünde direkt über See, weil <strong>der</strong> Hafen<br />
in Stolpmünde damals so schlecht war, daß die Schiffe draußen auj<br />
<strong>der</strong> Reede beladen werden mußten. Immerhin sind z. B. im Sommer<br />
1781 für 8000 Taler Bernsteinwaren von Stolpmünde ausgegangen.<br />
Der Rest ging zum Teil, wenn Schiffsverbindung vorhanden<br />
war, mit <strong>der</strong> Post nach Hamburg o<strong>der</strong> Amsterdam und<br />
von dort weiter über See. Außerdem besuchten die Bernsteinhändler<br />
regelmäßig die Messen in Leipzig, Vraunschweig und Frankfurt<br />
a. M., wo sie ihre Ware an die ausländischen Händler absetzten,<br />
hier wurden vermutlich auch die Geschäfte geschlossen, die<br />
direkte Warenlieferungen nach Mailand, Turin, Livorno, Konstantinopel,<br />
Warschau usw. zur 3olge hatten. Viele Jahrzehnte hindurch<br />
besaß die Iunft auch eine eigene Nie<strong>der</strong>lage in Livorno, von<br />
wo aus die Ware weiter nach <strong>der</strong> Levante verschifft wurde. Gelegentlich<br />
<strong>der</strong> Streitigkeiten 1780/90 werden auch Aleppo und<br />
Smyrna als direkte Ausfuhrorte genannt, doch kann das auch eine<br />
durch die Umstände erklärte Übertreibung sein. Immer — und das<br />
ist grundsätzlich wichtig — waren es nur sehr wenige Iunftglie<strong>der</strong>,<br />
meist nur fünf o<strong>der</strong> sechs, die an dem Ausfuhrhandel beteiligt<br />
waren .und den wohl recht erheblichen Gewinn einsteckten. Dabei<br />
wurden für damalige Zeiten sehr große Werte umgesetzt. So wird<br />
1781 festgestellt, daß die Firma Riemer's Erben im Ausland für<br />
16 000 Taler Ware hatte und ebensoviel in Stolp, eine an<strong>der</strong>e<br />
Firma in Holland für 4000. auf den Messen für 12 000 Taler.<br />
Eine Übersicht über den Gesamthandel <strong>der</strong> Iunft gibt nachstehende<br />
Tabelle:<br />
Jahr M e n g e in P f u n d W e r t in Talern<br />
1 7 8 2 / 8 3 . . . . 6 4 3 7 . . . . 2 0 6 7 7<br />
1 7 8 3 / 8 4 . . . . 4 9 4 1 . . . . 1 4 5 5 0<br />
1 7 8 4 / 8 5 . . . . 4 8 4 7 . . . . 15 2 9 6<br />
1 7 8 5 / 8 6 . . . . 4 6 1 3 . . . . 15 7 2 8<br />
1 7 8 6 / 8 7 . . . . 5 8 0 9 . . . . 1 8 0 8 1<br />
1 7 8 7 / 8 8 . . . . 5 3 1 7 . . . . 1 6 7 3 0<br />
1 7 8 8 / 8 9 . . . . 3 6 1 6 . . . . 1 0 4 8 4<br />
1 7 8 9 / 9 0 . . . . 4 7 1 9 . . . . 1 5 1 1 1
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 157<br />
Jahr Menge in Pfund Wert in Talern<br />
1790/91 . . . . 4 4 2 1 . . . . 1 2 9 9 7<br />
1791/92 . . . . 4 0 2 8 . . . . 1 2 9 2 1<br />
1792/93 . . . . 5 3 8 4 . . . . 1 5 6 6 1<br />
1793/94 . . . . 5 1 7 6 . . . . 1 6 4 5 0<br />
1794/95 . . . . 5203 . . . . 1 6 2 7 1<br />
1795/96 . . . . 6 0 1 6 . . . . 1 8 0 1 1<br />
1796/97 . . . . 6282 . . . . 2 0 3 2 2<br />
1797/98 . . . . 6 9 0 4 . . . . 2 6 5 5 9<br />
1798/99 . . . . 4 3 0 4 . . . . 1 6 1 9 7<br />
1799/00 . . . . 4 1 0 6 . . . . 1 5 8 7 7<br />
^ 1 8 0 0 / 0 1 . . . . 3 9 9 4 . . . . 1 5 4 8 0<br />
1801/02 . . . . 4 2 7 7 . . . . 1 4 2 1 5<br />
1802/03 . . . . 3 6 5 6 . . . . 1 3 3 9 9<br />
1803/04 . . . . 3 0 9 4 . . . . 1 2 9 9 8<br />
Vergleicht man mit diesen Zahlen, daß z. B. die gesamte über<br />
3tolpmünde gehende Ausfuhr, die wohl den größeren Teil <strong>der</strong> Ausuhr<br />
des östlichen Hinterpommern darstellte, nach Abrechnung des<br />
Lernsteins im ^Sommer 1781 weniger als 100 000 Taler betrug,<br />
o sieht man erst recht deutlich, welche erhebliche Rolle die Bernsteinlusfuhr<br />
in jener Zeit spielte. Allerdings zeigt <strong>der</strong> immer sehr stark<br />
chwankende Wert des verfrachteten Bernsteins, auf welcher unicheren<br />
Grundlage <strong>der</strong> ganze Handel aufgebaut war und wie empindlich<br />
er sich gegenüber Störungen <strong>der</strong> verschiedensten Art verfielt,<br />
und man begreift, daß die Iunft schon 1723 immer wie<strong>der</strong><br />
)arauf hinwies und hinweisen mußte, daß die Eigenart ihres han-<br />
)els es ihnen unmöglich machte, ohne einen Ausgleich durch sonstigen<br />
Nebenerwerb zu leben. Allein schon eine über längere Wochen anhaltende<br />
ungünstige Witterung konnte die Bernsteinernte und danit<br />
die Ausfuhr sehr erheblich herabsetzen, wie das z. B. für 1788/89<br />
iekannt ist. sodaß <strong>der</strong> Händler immer höchstens annähernd voraussehen<br />
konnte, über welche Warenmengen er verfügen würde. Bei<br />
dem weiten Weg, den die fertige Ware bis in ihre Bestimmungslän<strong>der</strong><br />
zurückzulegen hatte, bestand immer die Gefahr einer Störung<br />
durch politische Verwicklungen, noch mehr durch Kriege in<br />
den Bestimmungslän<strong>der</strong>n selbst, so angeblich, wenigstens nach einer<br />
Behauptung <strong>der</strong> Iunft, 1739/40 durch einen Krieg in Persien,<br />
hieraus erklärt sich wohl großenteils <strong>der</strong> Rückgang des Handels<br />
um die Jahrhun<strong>der</strong>twende, wo die ständigen politischen Unruhen<br />
im Mittelmeergebiet den Absatz hin<strong>der</strong>ten, und obendrein in dem<br />
Hauptausfuhrhafen Livorno eine Seuche ausbrach. Auch an<strong>der</strong>e
158 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Verhältnisse waren in Betracht zu ziehen- so verschwindet etwa seit<br />
1790 Konstantinopel aus <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> Bestimmungsorte, weil die<br />
Türkei ein Einfuhrverbot für verarbeiteten Bernstein erlassen hatte.<br />
Überhaupt scheint gegen Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts in vielen<br />
Staaten sich <strong>der</strong> Grundsatz durchgesetzt zu haben, die fertigen Bernsteinwaren<br />
mit einem hohen Einfuhrzoll zu belegen und dafür die<br />
Einfuhr des Rohbernsteins zu begünstigen, um die eigene Industrie<br />
zu unterstützen,- daher stammte wohl in <strong>der</strong> Hauptsache die Angst<br />
<strong>der</strong> beteiligten Illnfte vor einer freihändigen Versteigerung des Bernsteins<br />
o<strong>der</strong> einer Verpachtung <strong>der</strong> Bernsteinernte, weil das Ausland<br />
für rohen Bernstein natürlich fehr viel höhere Preise anlegen konnte<br />
als sie selbst, sodaß sie fürchten mußten, keinen Stein mehr zu bekommen.<br />
Alles in allem kann man wohl annehmen, daß es damals<br />
in Preußen keinen an<strong>der</strong>en Erwerbszweig gab, <strong>der</strong> in so<br />
starker Abhängigkeit von dem politischen Gedeihen des Auslandes<br />
stand, und man kann darum wohl das sich oft etwas unschön auswirkende<br />
Bestreben <strong>der</strong> Iunft, ihre wirtschaftliche Stellung zu<br />
verbessern und zum Ausgleich für alle Schwierigkeiten möglichst<br />
viel Bernstein M bekommen, in etwas verstehen und entschuldigen.<br />
Nie<strong>der</strong>gang und Ende.<br />
Wer die 3rage des Nie<strong>der</strong>gangs <strong>der</strong> Stolper Bernsteinhändlerzunft<br />
nur oberflächlich betrachtet, könnte leicht zu dem Schluß<br />
kommen, daß den Anstoß dazu die Aufhebung <strong>der</strong> Zunftordnung<br />
von 1809 gegeben habe. Ein solches Urteil wird <strong>der</strong> Sachlage aber<br />
sicher nicht gerecht. Einmal bedeutete die Aufhebung <strong>der</strong> Zunftordnungen<br />
überhaupt durchaus nicht eine plötzlich eintretende Katastrophe,<br />
son<strong>der</strong>n nur die endlich einmal notwendig werdende Aufhebung<br />
einer längst erstarrten und innerlich unmöglich gewordenen<br />
Gesellschaftsform, wie denn überhaupt das Absterben einer so verwickelten<br />
Wesenheit, wie eine Iunft sie darstellt, nicht durch einen<br />
äußeren Anlaß allein herbeigeführt werden kann, son<strong>der</strong>n nur aus<br />
einer Reihe <strong>der</strong> verschiedensten zusammentreffenden Einzelwirkungen<br />
erklärt werden kann. Sodann aber konnte gerade unsere Iunft,<br />
wenn sie ihre bisherige genossenschaftliche Grundlage beibehielt und<br />
den Ieitverhältnissen entsprechend än<strong>der</strong>te, auch nach Aufhebung <strong>der</strong><br />
Zunftordnungen ruhig weiter bestehen,- <strong>der</strong> Monopolcharakter des<br />
Bernsteins hätte ihr sehr wohl gestattet, unter Ausnutzung ihrer<br />
Verbindungen und vieljährigen Erfahrungen soviel Bernstein regelmäßig<br />
an sich zu bringen, daß <strong>der</strong> jetzt nicht mehr verbotene Wettbewerb<br />
<strong>der</strong> „Böhnhasen" ihr nicht ernsthaft hätte schaden können,-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 159<br />
gerade in dieser Möglichkeit liegt ja die Ausnahmestellung dieser<br />
Zunft, die sie von den übrigen Zünften und Innungen grundlegend<br />
mterfcheidet. Daß die Iunft trotzdem zugrunde ging, muß alfo auf<br />
ieferliegende Schäden in ihrem Aufbau zurückgeführt werden, und<br />
)ier kommt auch <strong>der</strong> volkswirtschaftlich nicht Gebildete ohne weieres<br />
zu zwei gleichgerichteten Erwägungen. Es wurde fchon einnal<br />
angedeutet, daß die Iunft sich über den Monopolcharakter des<br />
Lernsteins und die wirtschaftlichen Folgerungen, die daraus gezogen<br />
werden mußten, nie recht klar gewesen ist. Infolgedessen<br />
lerabsäumte sie es, die Iahl <strong>der</strong> am Bernstein beteiligten Iunftzlie<strong>der</strong><br />
in ein Verhältnis zum Bernstein zu bringen, das den einzelnen<br />
Meister noch lebensfähig sein ließ, und als nach 1726 <strong>der</strong> gesicherte<br />
Bezug einer verhältnismäßig großen Bernsteinmenge die<br />
3ahl <strong>der</strong> Iunftglie<strong>der</strong> rasch in die höhe trieb, war es zu spät, um<br />
)en 3ehler wie<strong>der</strong> gut zu machen- <strong>der</strong> Anteil des Einzelneu war<br />
>o bescheiden geworden, daß er kaum zum Leben hinreichte, und<br />
>r wurde noch kleiner, als um 1773 herum <strong>der</strong> Bernsteinfang ansing,<br />
ammer weniger einträglich zu werden. Man sieht das am besten<br />
in <strong>der</strong> Tatsache, daß eigentlich erst in dieser Zeit Bankerotte einzelner<br />
Iunftglie<strong>der</strong> bekannt werden und bald durchaus nicht mehr zu<br />
den Seltenheiten gehören. Die Einführung <strong>der</strong> Expektanten war<br />
von vornherein unglücklich, denn man verabsäumte, <strong>der</strong>en Iahl<br />
irgendwie zu begrenzen, und so standen bald den 54 Partizipanten<br />
bis zu 30 Expektanten gegenüber, die zwar als Iunftglie<strong>der</strong> gerechnet<br />
wurden, aber keine Möglichkeiten zu einer wirtschaftlich<br />
selbständigen Lebensführung hatten und oft 10—15 Jahre in abhängiger<br />
Lohnarbeit verbringen mußten, ehe sie in den Genuß des<br />
kärglichen Bernsteinanteils kamen. Das wäre aber vielleicht noch<br />
erträglich gewesen ohne den zweiten Grundfehler, den die Iunft begangen<br />
hatte. Es wäre nur eine logische Weiterführung des bei<br />
Errichtung <strong>der</strong> Iunft offenbar unklar vorhandenen Genossenschaftsgedankens<br />
gewesen, wenn auch <strong>der</strong> Verkauf <strong>der</strong> fertigen Bernstemwaren<br />
von det Iunft in die Hand genommen und <strong>der</strong> Ertrag je<br />
nach den gelieferten Arbeiten an die einzelnen Meister verteilt worden<br />
wäre. Diese Weiterführung unterblieb jedoch, und es war offenbar<br />
jedem Meister überlassen, seine Ware nach eigenem Gutdünken<br />
auf den Markt zu bringen- <strong>der</strong> Markt lag aber bekanntlich nicht in<br />
Stolp, son<strong>der</strong>n im fernen Ausland, mindestens auf den Messen in<br />
Leipzig usw., und um dort Handel treiben zu können, brauchte <strong>der</strong><br />
Meister nicht nur Kenntnisse, die nicht jedem zu Gebote standen,<br />
son<strong>der</strong>n auch Geld und Kredit, <strong>der</strong> letzten Endes nur auf eigenem
160 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Besitz gegründet sein konnte. Es wird also wohl schon früh die<br />
Notwendigkeit dahin geführt haben, daß die meisten Iunftglie<strong>der</strong><br />
sich damit begnügten, die Ware anzufertigen, während nur einige<br />
wenige, die im Besitz <strong>der</strong> nötigen Mittel waren, die Messen aufsuchten<br />
und Beziehungen zum weiteren Ausland anknüpften. Vielleicht<br />
— wir haben davon keine nähere Kenntnis — haben sie<br />
anfangs die Fertigwaren ihrer weniger vermögenden Iunftbrü<strong>der</strong><br />
nur in <strong>der</strong>em Auftrage verkauft- sehr bald kam es aber dahin, daß<br />
diese Bessergestellten ihren Iunftbrü<strong>der</strong>n die Waren abkauften und<br />
damit auf eigene Rechnung Handel trieben. An sich wären freilich<br />
aus dem reinen Bernsteinhandel solche Kapitalanhäufungen bei Einzelnen<br />
nicht ohne weiteres zu erklären, da ja alle Meister die gleiche<br />
Bernsteinmenge bezogen- das Recht des freien Handels jedoch mit<br />
allen möglichen Waren brachte es mit sich, daß einzelne Meister<br />
allein dadurch das Abergewicht erlangten, und diese sind es vermutlich<br />
auch gewesen, die den eigentlichen Bernsteingroßhandel trieben.<br />
Die Tatsache, daß im Jahre 1726 kaum die Hälfte aller Zunftglie<strong>der</strong><br />
ein eigenes haus besaß, beweist, daß schon damals reiche und arme<br />
Meister nebeneinan<strong>der</strong> vorhanden waren. Je kleiner die auf den<br />
einzelnen entfallende Bernsteinmenge wurde, um so größer mußte<br />
auch die Zahl <strong>der</strong>er werden, die notgedrungen auf eigenen Handel<br />
verzichteten, und so sehen wir im letzten Viertel des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
ein sehr eigenartiges Bild: nach außen hin eine geschlossene<br />
Zunft gleichberechtigter Meister, die 80 und mehr Personen und<br />
damit wohl sicher mehr als ein Viertel aller Bürger umfaßte- nach<br />
innen eine scharfe Scheidung in wenige — fünf bis sieben — wohlhabende<br />
Großhändler, zahlreiche noch eben selbständige Meister, die<br />
aber nur für die Großhändler arbeiten und durchaus von <strong>der</strong>en<br />
Wohlwollen abhängig sind, und schließlich — die Mehrzahl aller<br />
Iunftglie<strong>der</strong> — gewöhnliche, unselbständige Lohnarbeiter, die, wie<br />
ein spaterer Bericht <strong>der</strong> Regierung in Köslin besagt, „das Los <strong>der</strong><br />
Dürftigkeit mit fast allen Lohnarbeitern teilen". Erst aus <strong>der</strong><br />
Kenntnis dieser Verhältnisse wird uns manches verständlich, was<br />
uns die Protokollbücher <strong>der</strong> Zunft und die Akten berichten: <strong>der</strong><br />
verzweifelte Kampf <strong>der</strong> Expektanten um die dringendsten Lebensnotwendigkeiten,<br />
<strong>der</strong> mehrfach zu Prozessen gegen die Zunft führte<br />
und in dem Ausweg, irgend eine Zunftwitwe selbst mit sieben erwachsenen<br />
Kin<strong>der</strong>n zu heiraten, nur um in den Besitz des kümmerlichen<br />
Bernsteinanteils zu kommen, einen tragisch anmutenden Ausdruck<br />
findet- die vielen Streitigkeiten unter den Partizipanten, die<br />
sich immer um wirkliche o<strong>der</strong> vermeintliche Verkürzung am Bern-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 161<br />
stein drehen i schließlich eine allgemein gereizte Stimmung, die sich<br />
oft in Beleidigungsprozessen Luft machte und mehr als einmal<br />
die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Behörden auf sich zog. Es mag sein, daß<br />
eine Kabinettsordre von 18N4. die bestimmte, daß ein Geselle<br />
auch außer <strong>der</strong> Reihe rezipiert werden könne, wenn er ein Vermögen<br />
von wenigstens 500 Talern habe, hier noch beson<strong>der</strong>s verstimmend<br />
gewirkt hat- jedenfalls sehen wir in zeitlichem Zusammenhang<br />
mit dieser Verfügung zwei verschiedene Ereignisse: erstens eine<br />
Abän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Iunftbräuche, indem von jetzt an zu allen Beratungen<br />
<strong>der</strong> Iunft — fog. kleine Iunft — auch ein aus vier Mitglie<strong>der</strong>n<br />
bestehen<strong>der</strong> Ausschuß <strong>der</strong> Expektanten zugezogen werden<br />
solle, zweitens eine erneute Beschwerde <strong>der</strong> Expektanten wegen <strong>der</strong><br />
Art dei. Bernsteinverteilung. Bei <strong>der</strong> Bearbeitung dieser Beschwerde<br />
machte <strong>der</strong> Landrat den Vorschlag, daß in Zukunft für alle Iunftivitwen,<br />
die ja nach altem Brauch das Bernsteinbezugsrecht ihrer<br />
Männer behielten, ein für allemal 14 Anteile festgelegt und <strong>der</strong><br />
Nest an die Expektanten ausgegeben werden solle. Damit war die<br />
Iunft begreiflicherweife nicht einverstanden und gelangte zu einem<br />
Gegenvorschlag, daß nämlich die Witwen, die ihren Anteil nicht<br />
selbst verarbeiten könnten, ihn dem jeweils ältesten Expektanten<br />
gegen Provision zur Verarbeitung überlassen sollten. Dieser Gegenvorschlag<br />
erfolgte Ende des Jahres 1805. In welcher Form nun diese<br />
Frage weiter behandelt worden ist, bleibt lei<strong>der</strong> unbekannt; ziemlich<br />
überraschend für uns ergeht am 14. 5. 1806 eine Kabinettsordre,<br />
die Expektantenliste sofort zu schließen. Es ist allerdings möglich,<br />
daß diese Ordre mit jenem Streit nichts zu tun hatte, son<strong>der</strong>n in<br />
Zusammenhang stand mit den schon bekannten Bestrebungen des<br />
Staates, den Bernstein gewinnbringen<strong>der</strong> auszunutzen als bisher;<br />
auf jeden Fall nahm sie eine Entwicklung vorweg, die sich aus den<br />
Verhältnissen notwendig ergeben mußte, denn nach dem Kriege von<br />
1806/07 mußte Preußen unter allen Umständen seine Einkünfte<br />
erhöhen, und so erging unter dem 11. 5. 1808 eine Kabinettsordre<br />
des Inhalts, daß die Administration des ostpreußischen Bernsteins<br />
aufhören solle, hätte dieser Schlag eine in sich geschlossene, einige<br />
Iunft im Sinne etwa des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts getroffen, so wäre<br />
er wohl durch entsprechende Maßnahmen überwunden worden,- so<br />
aber war die Zunft in ihren wesentlichen inneren Lebensbedingungen<br />
bereits unterhöhlt, und somit bedeutete diese Kabinettsordre praktisch<br />
das Ende, ein Jahr bevor die Zunftordnungen überhaupt aufgehoben<br />
wurden, denn mit dem billigen, regelmäßigen Bernsteinbezug<br />
verschwand selbstverständlich auch die immerhin noch ansehn-
162 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
liche Schicht <strong>der</strong> selbständigen Meister, die ihren eigenen Stein verarbeiteten,<br />
und die Iunft bestand nur noch aus einigen wenigen<br />
kapitalkräftigen Persönlichkeiten, die den Stein kaufen konnten,<br />
und vielen unselbständigen Handwerkern, die gegen kümmerlichen<br />
Lohn fremden Stein verarbeiteten, ohne Ausficht, jemals zur Selbständigkeit<br />
zu kommen. — Die weitere Entwicklung <strong>der</strong> Iunft<br />
foll nur kurz gestreift werden. Etwa gleichzeitig mit jener Kabinettsordre<br />
von 1808 wurde in Erwägungen darüber eingetreten, ob die<br />
Iünfte ein Anrecht auf Bernstein hätten, alfo für feinen Verlust<br />
entfchädigt werden müßten. Die Negierung for<strong>der</strong>te Nechtsgutachten<br />
von dem Geh. Iustizrat v. Morgenbeffer und dem Geh.<br />
Staatsrat 3rese ein, und beide kamen übereinstimmend zu dem<br />
Ergebnis, daß den Zünften ein Anrecht auf den Stein zustehe. Infolgedessen<br />
erging am 22. 6. 1808 eine Verfügung, daß nach einem<br />
sechsjährigen Durchschnitt <strong>der</strong> Unterschied des Marktpreises von<br />
dem von den Zünften gezahlten Preis für Rohstein festgestellt und<br />
einer zu leistenden Entschädigungszahlung zugrunde gelegt werden<br />
solle. Trotz des wie<strong>der</strong>holten Einwandes <strong>der</strong> Königsberger Negierung,<br />
daß solche Ermittelungen undurchführbar seien, wurde doch<br />
eine Entschädigungssumme von 3000 Talern jährlich für beide<br />
Iünfte für richtig gehalten,- auf Stolp entfiel alfo ein Iahresbetrag<br />
von 1500 Talern, <strong>der</strong> in gleichen Teilen zunächst an die 54 eigentlichen<br />
Iunftglie<strong>der</strong> und fpäter nach <strong>der</strong>en Absterben an die bis einschließlich<br />
1805 aufgenommenen Exvektanten gezahlt werden sollte.<br />
Inzwischen war die Verpachtung des Bernsteinfanges ausgeschrieben<br />
worden, und mit dem 1. 12. 1811 ging die Ausbeutung <strong>der</strong> Bernsteinschätze<br />
für zunächst zwölf Jahre gegen eine jährliche Iahlung<br />
von 11000 Talern an die Firma Schnei<strong>der</strong>
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 163<br />
für Rohstein in seinem eigenen Handel nicht mehr wettbewerbsfähig<br />
zu sein, mag dahingestellt bleiben. Soviel ist sicher, daß aus<br />
den ersten Jahren nach <strong>der</strong> Verpachtung keinerlei Klagen vorliegen.<br />
Erst 1820 richtete die Iunft eine Eingabe an den Oberpräsidenten<br />
von Pommern, die die durch die Bernsteinverpachtung <strong>der</strong> Iunft<br />
drohenden Gefahren in beweglichen Worten schil<strong>der</strong>te. Die Eingabe<br />
ging zur Berichterstattung an den Regierungspräsidenten von<br />
Köslin, <strong>der</strong> am 24. 7. 1822 antwortete. Dieser sehr bemerkenswerte<br />
Bericht besagt im wesentlichen Folgendes: die Bernstein-<br />
Händler haben die Gewohnheit, über ihren Geschäftsbetrieb nie<br />
etwas Bestimmtes auszusagen, um nicht in ihren Abgaben erhöht<br />
zu werden,- beson<strong>der</strong>s seit <strong>der</strong> Verpachtung des Bernsteinregals ist<br />
es ihr stetes Bestreben, ihr Gewerbe als ein im Verfall begriffenes<br />
darzustellen und deshalb ihren Absatz als möglichst gering anzugeben.<br />
Aus diesen Gründen ist <strong>der</strong> Wert des von ihnen eingekauften Rohsteins<br />
und <strong>der</strong> fertig abgelieferten Waren nicht sicher festzustellen.<br />
Soviel steht fest, daß <strong>der</strong> Bernstein oft in ganzen Wagenladungen<br />
nach Stolp kommt, daß noch 1821 ein Danziger Haus einen Agenten<br />
mit Sortimentstücken im Werte von 30 000 Talern nach Stolp<br />
gehen ließ. Die Iunft hat selbst angegeben, daß sie 1820 5332.<br />
1821 3037 Pfund fertige Waren hergestellt hat, doch muß man<br />
diese Zahlen mit Vorsicht aufnehmen- die Jahre 1820/21 waren<br />
überdies durch die politischen Unruhen in <strong>der</strong> Türkei, Italien und<br />
Griechenland sehr ungünstig, während jetzt vor allem durch die neu<br />
aufgenommenen Handelsverbindungen über England und Bordeaux<br />
die Verhältnisse sich gebessert haben,- die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Iunft in<br />
Livorno soll leer sein. Die Iunft macht also noch immer recht bedeutende<br />
Geschäfte, und man kann ihren Umsatz auf nicht viel unter<br />
100 000 Taler schätzen. Alles in allem, „die Iunft wird sich bei<br />
dem stattfindenden Verhältnis lediglich zu beruhigen haben". Aus<br />
diesem ungewöhnlich klaren Bericht ersieht man ohne weiteres, daß<br />
auch die Entziehung <strong>der</strong> früheren Bernsteinlieferungen die wirtschaftliche<br />
Lage <strong>der</strong> Iunft als solcher keineswegs verschlechtert hatte;<br />
man kann dabei ohne weiteres <strong>der</strong> Ansicht <strong>der</strong> Regierung beitreten,<br />
daß die Iunft bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung ihrer Lage mindestens stark übertrieb,-<br />
bei Abfassung des Berichts lag z. B. eine Meldung <strong>der</strong> Iunft<br />
vor, daß an <strong>der</strong> Verarbeitung des Steins 79 Personen teilnahmen,<br />
daß aber vor <strong>der</strong> Verpachtung die Iahl doppelt so groß gewesen sei;<br />
in Wirklichkeit aber ist diese Iahl nie über 84 hinausgegangen. —<br />
Als dieser Bericht erstattet wurde, nahte sich die erste Pachtperiode<br />
des Bernsteinfanges ihrem Ende, und die Iunft befchloß einen Ver-<br />
11*
164 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
such Zu machen, um wie<strong>der</strong> in ihre früheren Rechte eingesetzt zu<br />
werden. Zu diesem Zwecke schickte sie eine Abordnung von zwei<br />
Mitglie<strong>der</strong>n erst zum Oberpräsidenten nach Stettin und. von diesem<br />
mit Empfehlungsbriefen versehen, weiter nach Berlin- es gelang<br />
dieser Abordnung sogar, eine Audienz bei dem damals den Konig<br />
vertretenden Kronprinzen zu erreichen, <strong>der</strong> sie sehr gnädig anhörte<br />
und sofort einen Bericht <strong>der</strong> Negierung in Königsberg anfor<strong>der</strong>te.<br />
Dieser sehr eingehende Bericht kommt zu einem für uns erstaunlichen<br />
Ergebnis: die Zünfte hätten viele Jahre lang ein Monopol<br />
in Bernstein gehabt, infolgedessen die eigentliche Bernsteinarbeit teils<br />
ganz aufgegeben, teils in hohem Grade vernachlässigt- wenn die<br />
Stolper Zunft jetzt wie<strong>der</strong> wie früher den Stein regelmäßig zu billigen<br />
Bedingungen haben wolle, so tue sie das nur, um den so bequemen<br />
Handel mit rohem Bernstein wie<strong>der</strong> aufnehmen zu können,<br />
zumal sie nach altem Brauch die Sortierung des Steins selbst vorgenommen<br />
und dadurch auch den Preis <strong>der</strong> Ware selbst bestimmt<br />
habe. Dieser Bericht, <strong>der</strong> nur durch einen <strong>der</strong> bekannten unterirdischen<br />
Kanäle zur Kenntnis <strong>der</strong> Stolper kam, ist nach unserer<br />
Kenntnis in allen wesentlichen Punkten falsch,- we<strong>der</strong> hatten die<br />
Zünfte ein Monopol, da <strong>der</strong> Sortimentstein immer frei gehandelt<br />
wurde, noch handelten sie vorzugsweise mit Rohstem, noch konnten<br />
sie den Preis des von ihnen gekauften Steins selbst bestimmen, da<br />
doch die Sortierung unter <strong>der</strong> Aufsicht erfahrener Staatsbeamter<br />
geschah. Trotzdem fand er beim König Glauben, und in einer<br />
Kabinettsordre vom 2. 4. 1823 wurde <strong>der</strong> Antrag <strong>der</strong> Stolper abgelehnt<br />
mit <strong>der</strong> Begründung, sie hätten früher in <strong>der</strong> Hauptsache<br />
mit Rohstem gehandelt, hiermit hatte die Zunft sich abzufinden.<br />
Wenige Jahre später, 1827, schrieb ein Landtagsabgeordneter an<br />
die Zunft, <strong>der</strong> Kronprinz habe ihn beauftragt, die Ansicht <strong>der</strong> Zunft<br />
über Mittel zu ihrer Aufhilfe einzuholen- allerdings könnten Vorschläge<br />
nur dahin gehen, ob ihr bei einer Neuverpachtung <strong>der</strong> Arbeitsstein<br />
zum Taxwert überlassen werden könne o<strong>der</strong> ob sie selbst zu<br />
billigen Bedingungen die Pacht übernehmen wolle. Die Zunft bejahte<br />
beide Fragen unter gewissen Bedingungen, und <strong>der</strong> Finanzminister<br />
berichtete darüber vorläufig an die Negierung in Königsberg,<br />
indem er als Verkaufspreis den früher üblich gewesenen<br />
Preis ^ 25"/o vorschlug. Königsberg lehnte ab: eine Verpachtung<br />
des Bernsteins an die Zunft käme nicht in Frage, da die nötige<br />
Kaution schwerlich sichergestellt werden könne, und <strong>der</strong> Preis des<br />
Bernsteins ließe sich nicht sicher im voraus bestimmen. Nun zog<br />
sich auch Berlin zurück, es kam noch zu einem lebhaften Brief-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 165<br />
Wechsel mit <strong>der</strong> Königsberger Iunft und sogar zu einer Immediateingabe<br />
an den König, aber alles ohne Erfolg; alle Versuche scheiterten<br />
an <strong>der</strong> Tatsache, daß die Königsberger Iunft sich mit überwiegen<strong>der</strong><br />
Mehrheit gegen eine Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> alten Verhältnisse<br />
aussprach und Son<strong>der</strong>bestimmungen für nur eine <strong>der</strong><br />
beiden Iünfte abgelehnt wurden (30. 7. 1829). Von nun an führte<br />
die Iunft eigentlich nur noch ein Scheinleben. Bis 1829 mag noch<br />
mancher von den alten Meistern und früheren Expektanten gehofft<br />
haben, doch noch in das frühere regelmäßige Bezugsrecht einzutreten,<br />
und anscheinend in dieser Hoffnung hat sich auch noch eine Reihe<br />
neuer Iunftglie<strong>der</strong> gefunden. Jetzt, wo alle Hoffnungen auf Bernstein<br />
geschwunden waren, verlor die Iunft auch den letzten Rest von<br />
Anziehungskraft: wer nicht vermögend war, konnte es trotz des<br />
Meistertitels doch nur zum abhängigen Lohnarbeiter bringen, und<br />
wer Geld besaß, konnte es an<strong>der</strong>swo ebensogut verzehren wie in<br />
Stolp, auch wenn er Bernsteinhändler blieb. So sehen wir denn in<br />
ganz kurzer Ieit alle noch vorhandenen Bindungen innerhalb <strong>der</strong><br />
Iunft verloren gehen. Die Meister wollten sich nicht recht dazu bequemen,<br />
ihre Lehrlinge anzumelden, weil das nur unnötige Unkosten<br />
bereitete, aus den Gesellen wurden Gehilfen, <strong>der</strong>en innerer<br />
Zusammenhalt lediglich durch eine Gehilfenkrankenkasse gegeben<br />
war, und auch die Iunftsühne legten ersichtlich keinen Wert mehr<br />
darauf, die regelrechte Ausbildung durchzumachen und den Meistertitel<br />
zu erwerben. Nachdem längere Jahre kein neuer Meister mehr<br />
eingetreten war, wurden zum letzten Male im Jahre 1847 noch<br />
einige neue Iunftglie<strong>der</strong> aufgenommen, aber nur <strong>der</strong> Form halber,<br />
ohne daß irgendwelche Vorbedingungen erfüllt waren: einer hatte<br />
lediglich ein Jahr im väterlichen Geschäft gelernt, wurde als Lehrling<br />
gleichzeitig ein- und ausgeschrieben und sofort in die Iunft aufgenommen,<br />
an<strong>der</strong>e, bis zu 3? Jahre alt, waren nie Geselle gewesen.<br />
Es hat den Anschein, als wenn auch <strong>der</strong> Bernsteinhandel<br />
immer weiter zurückging, vielleicht weil <strong>der</strong> Absatz von Bernsteinkorallen<br />
überhaupt weniger verlangt wurde, vielleicht, weil infolge<br />
Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arbeiter <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> Bernsteinverarbeitung<br />
an<strong>der</strong>swohin verlegt wurde. Das uns erhaltene Bruchstück<br />
eines Entwurfsbuchs eines Bernsteinhändlers aus den Jahren 1841<br />
bis 1843 verzeichnet nur noch Handelsverbindungen mit <strong>Greifswald</strong>,<br />
Swinemünde, Pasewalk. Lublinitz und Czenstochau, daneben<br />
noch Gelegenheitsbestellungen aus Breslau und Schwäbisch Gmünd,<br />
aber nichts mehr von dem früheren glanzvollen Überseehandel, und<br />
mutet auch in <strong>der</strong> Geringfügigkeit <strong>der</strong> einzelnen Posten — bis
166 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
höchstens 170 Taler — etwas kümmerlich an. So wird denn auch<br />
das Protokollbuch <strong>der</strong> Iunft immer inhaltsloser- man begnügte<br />
sich meist mit einer einzigen Sitzung im Jahre, denn es war ja<br />
nichts zu verhandeln außer <strong>der</strong> Iahresrechnung und <strong>der</strong> Verpachtung<br />
<strong>der</strong> wenigen noch nicht verkauften Län<strong>der</strong>eien <strong>der</strong> Iunft. Je mehr<br />
die Meister aussterben, um so leerer wird das Protokollbuch- die<br />
Sitzungen erfolgen in immer größeren Abständen, alle zwei, drei,<br />
fünf und mehr Jahre- immer kleiner wird die Zahl <strong>der</strong> Unterschriften<br />
unter den Protokollen und schließlich sind es nur immer<br />
noch zwei Meister, die die Rechnung beglaubigen. Ehe auch diese<br />
sterben, muß über das Iunftoermögen eine Verfügung getroffen<br />
werden, das alle die Jahre hindurch treulich bewahrt worden warso<br />
wurden denn 1884 die letzten noch gebliebenen Wiesen an den<br />
Magistrat aufgelassen, 1885 die vorhandenen Gel<strong>der</strong> und Wertpapiere<br />
im Gesamtbetrage von rund 3750 «M dem Stadtkämmerer<br />
übergeben und die Zunft geschlossen.<br />
Die Zunftglie<strong>der</strong>.<br />
Die Darstellung <strong>der</strong> Zunftgeschichte wäre nicht vollständig ohne<br />
eine Berücksichtigung <strong>der</strong> Menschen, die zu <strong>der</strong> Iunft gehörten und<br />
Träger ihrer Geschichte waren, ebenso wie ja auch zu einer Ttadtgeschichte<br />
die Geschichte <strong>der</strong> einzelnen Gesellschaftsgruppen dieser<br />
Stadt notwendig gehören sollte. Wenn nun auch zu den Zunftglie<strong>der</strong>n<br />
im strengen Sinne nur die Meister gehören, so ist man doch<br />
berechtigt, auch die Lehrlinge und Gesellen zu erwähnen, die einen,<br />
weil sie, zum großen Teil aus Stolp und dessen Umgebung hervorgegangen,<br />
später vielfach den Stamm für die Zunftmeister in den<br />
an<strong>der</strong>en Bernstein verarbeitenden Städten abgaben, die an<strong>der</strong>en, weil<br />
sie umgekehrt zu einem Teil von diesen an<strong>der</strong>en Städten herkamen,<br />
dann in Stolp sitzen blieben und so die schicksalsmäßige Verbindung<br />
aller dieser Städte noch beson<strong>der</strong>s betonen halfen. Nicht nur <strong>der</strong><br />
reine 3amilienforscher wird daran gelegentlichen Gewinn haben,<br />
son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> hoffentlich einmal erstehende Bearbeiter <strong>der</strong> deutschen<br />
Bernsteinindustrie vor allen Dingen,- schon aus den verhältnismäßig<br />
bescheidenen Akten <strong>der</strong> Stolper Zunft sieht man, wie die Bernsteinarbeiter<br />
wan<strong>der</strong>ten,- wie etwa Angehörige <strong>der</strong> alten Etolper 3amilie<br />
Roggenbuk als Bernsteinarbeiter nach Königsberg kommen und von<br />
dort einen Zweig nach Petersburg entsenden- wie etwa die 3amilie<br />
Güßler (besser wohl in <strong>der</strong> üblichen und auch in Stolp früher angewandten<br />
3orm Gehler: so im Kirchenbuch von 1628 „Lorenz<br />
Geßler <strong>der</strong> Schwabe") im Anfang des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts in einigen
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Mitglie<strong>der</strong>n nach Königsberg kommt, <strong>der</strong>en Söhne dann wie<strong>der</strong> in<br />
Stolp Meister werden: wie Heinrich Pogenter in Lübeck gelernt<br />
hat, in Stolp als Fremdgeselle erscheint und dann, Jahrzehnte<br />
später, uns als Altermann <strong>der</strong> Königsberger Iunft wie<strong>der</strong> begegnet.<br />
Wir brauchen das nicht näher auszuführen, um die Anführung<br />
<strong>der</strong> nun folgenden Liste zu rechtfertigen. Es sei ihr nur als<br />
Erklärung zugesetzt, daß die Jahreszahlen das Jahr bedeuten, in dem<br />
<strong>der</strong> Genannte zuerst als Lehrling, Gesell und Meister erscheint. Erw.<br />
--- erwähnt, Kb. ^ Kirchenbuch. Ortsname bezeichnet die Herkunft.<br />
(Die durch stärkeren Druck hervorgehobenen Namen finden sich<br />
bereits im ältesten Kirchenbuch <strong>der</strong> Marienkirche 1626/52).<br />
Name<br />
Achtmbnn, Gabriel<br />
Gabriel<br />
Karl Friedrich<br />
Alberti. David Gottlieb<br />
Albrecht, Michael<br />
Joachim<br />
Michael<br />
Joh. Paul<br />
Christ. Daniel<br />
Johann<br />
Andrews, Daniel<br />
Angel. Karl Heinrich<br />
Arndt, Joh. Friedrich<br />
Arnold, Ludwig<br />
Martin<br />
Friedrich<br />
Joh. Friedrich<br />
Gottfried<br />
Jakob Ludwig<br />
Samuel Ludwig<br />
David Ludwig<br />
Georg Christian<br />
Christian Gottfried<br />
Johann Friedrich<br />
Johann Gottfried<br />
Friedrich Ludwig<br />
Junge<br />
1734<br />
1763<br />
1592<br />
1694<br />
1695<br />
1743<br />
1843<br />
1829<br />
1842<br />
1710<br />
1716<br />
1722<br />
1727<br />
1751<br />
Iunggesell<br />
1740<br />
1769<br />
1598<br />
1701<br />
1702<br />
1749<br />
1721<br />
1728<br />
1739<br />
1733<br />
1750<br />
1751<br />
1755<br />
1757<br />
1754<br />
1765<br />
1766<br />
Fremdgesell<br />
1780<br />
1814<br />
1795<br />
1700<br />
1757<br />
Meister<br />
1720<br />
1730<br />
1735<br />
1742<br />
1754<br />
1756<br />
1763<br />
1763<br />
1765<br />
1766<br />
1768<br />
1771
168 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Ernst Ludwig<br />
Ernst Wilhelm<br />
Karl Friedrich<br />
Johann Ludwig<br />
Friedrich Ludwig<br />
Johann Ludwig<br />
Friedrich Wilhelm<br />
Friedrich Heinrich<br />
Gottfried Ludwig<br />
Johann Ferdinand<br />
Karl Gottfried<br />
Friedrich Wilhelm<br />
August<br />
Augustin, Wilhelm<br />
Bahr, Johann<br />
Baltzer, Michael<br />
Bardener, Hans<br />
Barenslies, Lorenz<br />
Bartz, Johann<br />
Bauer.PaulFerdinand<br />
Beinck ^ Bönke. Hans<br />
Michael<br />
Becker, Matthes<br />
Bergmann, Jakob<br />
Verholz, Joachim<br />
Jakob<br />
Peter<br />
Jakob<br />
Lorenz<br />
Jakob<br />
Lorenz jun.<br />
Daniel<br />
Heinrich<br />
Daniel Friedrich<br />
Michael<br />
Junge<br />
1849<br />
1743<br />
1659<br />
1678<br />
1724<br />
1656<br />
1594<br />
1760<br />
Iunggesell'<br />
1762<br />
1786<br />
1788<br />
1789<br />
1792<br />
1793<br />
1798<br />
1798<br />
1799<br />
1800<br />
1749<br />
erw. 1584<br />
erw. 1694<br />
1729<br />
1699<br />
1704<br />
1730<br />
1766<br />
Fremdgesell<br />
?1804<br />
1786<br />
1708<br />
1811<br />
1723<br />
Meister<br />
1779<br />
1779<br />
1790<br />
1793<br />
1797<br />
1798<br />
1800<br />
1802<br />
1803<br />
1805<br />
1805<br />
1818<br />
1755<br />
1707<br />
Kb. 1640<br />
erw. 1643<br />
tKb. l629)<br />
1648<br />
1667<br />
1669<br />
1669<br />
1706<br />
1718
Name<br />
Lerkhan, Joachim<br />
Heinrich<br />
Heinrich<br />
Berkner, Urban<br />
3ernd(Behrent).hans<br />
Joachim<br />
Salomon<br />
Georg<br />
Leßke, Hans<br />
Bewersdorf, Michael<br />
Christian<br />
Veyer, Martin<br />
Ioachtln<br />
Christ. Friedrich<br />
Lin<strong>der</strong>, Johann<br />
Virkenfeld.Fr.Wilhelm<br />
Birnbaum, Joh. Friedr.<br />
Joh. Heinrich<br />
Vischof, Michael<br />
Blesin. Barthel<br />
Vliesener, Christoph Fr.<br />
Friedrich<br />
Vlock, Andreas<br />
Böhme, Hans<br />
Böhmer, Joh. Samuel<br />
Ephraim<br />
Karl Ludwig<br />
Karl Gottfried<br />
Jak. Gottlieb Ferd.<br />
Aug. Ferdinand<br />
Ludw. Wilhelm<br />
Fr. Wilhelm<br />
Boitin, Martin<br />
Boje, Friedrich<br />
Gottfried<br />
Jakob Friedrich<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 169<br />
Junge<br />
1661<br />
1676<br />
1662<br />
1670<br />
1766<br />
1723<br />
1666<br />
1674<br />
1571<br />
1753<br />
1595<br />
1727<br />
1753<br />
Iunggesell<br />
1744<br />
erw. 1584<br />
1754<br />
1715<br />
1729<br />
erw. 1584<br />
1778<br />
erw. 1584<br />
1755<br />
1759<br />
1789<br />
1808<br />
1819<br />
1804<br />
1824<br />
1732<br />
1725<br />
Fremdgesell<br />
1696<br />
1706<br />
1708<br />
1742<br />
1752<br />
(aus<br />
Königsberg)<br />
1752<br />
Meister<br />
1712<br />
1755<br />
Kb. 1627<br />
erw. 1643<br />
1762<br />
1756 König.b.<br />
1786<br />
1585<br />
1767<br />
1793<br />
1822<br />
Rügenwalde<br />
1736
170 Das Gewerk <strong>der</strong> Veinsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Johannes<br />
Martin Friedrich<br />
Joh. Gottfried<br />
Voldt. Nikolaus<br />
Joh. Jakob<br />
Nikolaus<br />
Daniel<br />
Joachim<br />
Andreas<br />
Joh. Gottlob<br />
Bolduan, Daniel<br />
Martin<br />
Michael 3r.<br />
Bönke -- Beinck<br />
3r. Wilhelm<br />
Joh. Ludw. Wilhelm<br />
Aug. Friedrich<br />
Bork, Hans<br />
Vorkmann, Dietrich<br />
Bottke, Andreas<br />
Bratz, Hans<br />
Braun. Michael<br />
Salomon<br />
Bre<strong>der</strong>, Georg<br />
Jakob<br />
Jürgen<br />
Adam<br />
Georg<br />
Jakob<br />
Joh. Friedrich<br />
Joh. Georg<br />
Brock, Andreas<br />
Heinrich<br />
Broker, Joachim<br />
Brunke, Daniel<br />
Buchholz. Jakob<br />
Buhlke. Jakob<br />
Junge<br />
1667<br />
1671<br />
1570<br />
1603<br />
1713<br />
1678<br />
1575<br />
1590<br />
1658<br />
1584<br />
1666<br />
1671<br />
1687<br />
Iunggesell<br />
1768<br />
1784<br />
1732<br />
1755<br />
1704<br />
1807<br />
1812<br />
1701<br />
1704<br />
1735<br />
1743<br />
1782<br />
1786<br />
Fremdgesell<br />
1769<br />
1750<br />
Meister<br />
1776<br />
1689<br />
1718<br />
1729<br />
1729<br />
1735<br />
1679<br />
1682<br />
1785<br />
1818<br />
1820<br />
erw. 1643<br />
1639<br />
1681<br />
1715<br />
1743<br />
1753<br />
1784
Name<br />
Bulle, Martin<br />
Busack. Matthes<br />
Busch. Johann<br />
Paul<br />
Joh. Benjamin<br />
Buschlaff, Lorenz<br />
Christian<br />
Buth. Johann<br />
Biitow, Loreng<br />
Büttner. Wilhelm<br />
Rudolf<br />
Butzke. Klaus<br />
Christin. Seter<br />
Cziminski. Christ. Ernst<br />
Dalentzke. Gottfried<br />
Dalstren. Jakob<br />
Damerow, Jürgen<br />
Damm, Joh. Hermann<br />
Dentler, Martin<br />
David Benjamin<br />
Nathanael Gottlieb<br />
Joh. Ernst<br />
Dering, Joh. Ludwig<br />
Fr. Ferdinand<br />
von Dillenz, Gä<strong>der</strong>t<br />
Döle, Friedrich<br />
Dominik, Jürgen<br />
Domke, Erdmann<br />
Doße. Aug. Gottlieb'<br />
Drabenburg, Tiburtius<br />
Dreyer, Daniel<br />
Drewes, Jürgen<br />
Hans<br />
Martin<br />
Dumröse, Peter<br />
Duntz. Joh. Ernst<br />
Dufch. Martin<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 171<br />
Junge<br />
1688<br />
1715<br />
1723<br />
1738<br />
1584<br />
1846<br />
1847<br />
1570<br />
1679<br />
1723<br />
1661<br />
1612<br />
1716<br />
1605<br />
1585<br />
1662<br />
1665<br />
Iunggesell<br />
1728<br />
1716<br />
erw. 1694<br />
Fremdgefell<br />
1703<br />
1700<br />
1735<br />
1790<br />
1801<br />
1766<br />
1792<br />
1790<br />
1746<br />
1754<br />
1766<br />
1706<br />
1804<br />
1802<br />
1732<br />
Meister<br />
Lübeck<br />
Stolp<br />
1657<br />
Lübeck<br />
1579<br />
erw.1614<br />
erw.1575<br />
Danzig
172 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Eggert, Hans<br />
Ehlert. Karl<br />
Eickstä'dt. Johann<br />
Eilfradt, Christ.Friedr.<br />
Engelbrecht, Peter<br />
Tiburtius<br />
Kaspar<br />
Martin<br />
Thomas<br />
Jakob<br />
Gregor<br />
Engel(hardt), Friedrich<br />
Engelke, Samuel<br />
Paul Friedrich<br />
Paul Samuel<br />
Joh. Paul<br />
Ernst, Joh. Anton<br />
Ewig. David Peter<br />
3abricius, Theodor<br />
Falkenburg. Abraham<br />
Fe<strong>der</strong>, Hermann August<br />
Gottfried Hermann<br />
Karl Christoph<br />
Fentzke, Jürgen<br />
Feßling, Christoph<br />
Fetzer, Samuel Benj.<br />
3ilmow, Johann<br />
Flehmer. Mart. Friedr.<br />
Fleinert. Mart. Friedr.<br />
Fleischer, Hermann<br />
Joh. Christoph<br />
IM (3loit), Hans<br />
Joachim<br />
Joachim<br />
Jakob<br />
Jakob<br />
Jakob<br />
Junge<br />
1852<br />
1572<br />
1680<br />
1746<br />
1672<br />
1847<br />
1688<br />
1664<br />
1613<br />
1725<br />
1706<br />
1699<br />
1607<br />
1668<br />
Iunggesell<br />
erw. 1584<br />
erw. 1584<br />
erw. 1584<br />
1716<br />
1748<br />
1694<br />
1730<br />
1715<br />
1704<br />
1742<br />
Fremdgesell<br />
1703<br />
1796<br />
1769<br />
1732<br />
1764<br />
1770<br />
1801<br />
1758<br />
1708<br />
Meister<br />
Stolp<br />
erw. 1569<br />
erw. 1570<br />
erw. 1585<br />
erw. 1594<br />
Kb. 1632<br />
Kb. 1632<br />
1662<br />
1724<br />
Stolp<br />
Lübeck<br />
1618<br />
Kb. 1632<br />
1656<br />
1710<br />
1750
Name<br />
Flöter. Joh. Gottfr.<br />
Forch. Joh. Ludwig<br />
Joh. Jakob<br />
Joh. Gottfried<br />
Karl Friedrich<br />
Christ. Ludwig<br />
Wilhelm<br />
3rahme, Salomon<br />
Paul<br />
Heinrich<br />
Franke, Christ. Daniel<br />
Freyschmidt, Hermann<br />
Friede, Klemens<br />
Heinrich Wilhelm<br />
Fromke, Martin<br />
Frutz, Joachim<br />
Gaffel, David<br />
Goers, Hans<br />
Hans<br />
Christian<br />
Hans<br />
Michael<br />
Joachim<br />
Hans <strong>der</strong> Jüngste<br />
Hans<br />
Michael<br />
Hans<br />
Andreas Erdmann<br />
Joh. Erdmann<br />
Joh. Friedrich<br />
Andreas Erdmann<br />
Emanuel Gottfr.<br />
Fr. Wilhelm<br />
Gerdner, Peter<br />
Gerike, Joachim<br />
Gerke, Johann<br />
Andreas<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Ltolp. 173<br />
Junge<br />
1735<br />
1841<br />
1716<br />
1757<br />
1733<br />
1676<br />
1654<br />
1658<br />
1732<br />
Iunggesell<br />
1741<br />
1772<br />
1775<br />
1779<br />
1825<br />
1705<br />
Kb. 1634<br />
1694.<br />
1694<br />
1723<br />
1737<br />
1760<br />
1754<br />
1784<br />
1788<br />
Kb. 1649<br />
Kb. 1643<br />
1694<br />
1739<br />
Fremdgesell<br />
1803<br />
1764<br />
Meister<br />
1750<br />
1778<br />
1782<br />
1784<br />
1611<br />
erw. 1643<br />
Kb.1649<br />
Königeberg<br />
Stolp<br />
erw.1575<br />
1577<br />
1617<br />
Kb. 1637<br />
1668<br />
1671<br />
1702<br />
1706<br />
1731<br />
1745<br />
1762<br />
1790<br />
1795
174 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Ludw. Wilhelm<br />
Adolf Achilles<br />
Wilhelm Ludwig<br />
Fr. Reinhard<br />
Benjamin Friedrich<br />
Gerade, Karl Ferdin.<br />
Gerlach, Friedrich<br />
Christoph<br />
Gerner, Peter<br />
David<br />
Joh. Paul<br />
Gert. Konrad<br />
Giebe, Joh. Ernst<br />
Joh. Friedrich<br />
Ernst Heinrich<br />
Joh. Jakob<br />
Christ. Gottlieb<br />
Martin Gottfried<br />
Wilhelm August<br />
Karl Ludwig<br />
Giese. Michael Christ.<br />
Gildemeister, Peter<br />
Gill. Christian<br />
Gläser. Gabriel<br />
Glende. Karl<br />
Glaß. Christoph<br />
Gnaß, Erdmann<br />
Gödde. Hans<br />
Paul<br />
Golding. Joh. Friede.<br />
Goltz (Gatz?).<br />
Jakob Joachim<br />
Gößler, Lorenz<br />
Lorenz<br />
Philipp<br />
Daniel<br />
George<br />
Junge<br />
1755<br />
1850<br />
1672<br />
1747<br />
1723<br />
1660<br />
1738<br />
1662<br />
1846<br />
1596<br />
1603<br />
1713<br />
1616<br />
Iunggesell<br />
1742<br />
1752<br />
1731<br />
1766<br />
1782<br />
1786<br />
1795<br />
1798<br />
1805<br />
1745<br />
erw. 1584<br />
1719<br />
1694<br />
Fremdgesell<br />
1735<br />
1768<br />
1796<br />
1752<br />
1752<br />
1740<br />
1804<br />
1708<br />
1754<br />
1803<br />
Meister<br />
Lübeck<br />
Königsberg<br />
Königsberg<br />
1652<br />
1747 Könlgsb.<br />
1773<br />
1786<br />
1791<br />
1801<br />
1803<br />
1822<br />
Labuhn<br />
Königsberg<br />
Kb. 1627<br />
1660<br />
1668<br />
1670<br />
Name<br />
Paul<br />
Bartel<br />
Lorenz<br />
David jun.<br />
Lorenz<br />
Daniel<br />
Gregor<br />
Lorenz Daniel<br />
Georg Wilhelm<br />
Daniel<br />
Joh. Lorenz<br />
Gabriel<br />
Daniel ^<br />
Joh. Gottlieb<br />
Daniel Wilhelm<br />
3r. Lorenz Jakob<br />
3rabow, Jonas<br />
Friedrich<br />
Daniel<br />
Dionys<br />
Martin<br />
Heinrich<br />
Thèmes<br />
Jürgen<br />
Martin<br />
David sen.<br />
David jun.<br />
Matthias<br />
Heinrich<br />
Thomas<br />
Zranow, Ferdinand<br />
Zriißer. Christian<br />
Zrohn, Bartholomäus<br />
Zroth. Albert Friedr.<br />
Irube, Joh. Quirinus<br />
Nrulich, Johann<br />
Vrumbkow, Christian<br />
Das Gewelk dei Bernsteindrehei in Stolp. 175<br />
Junge<br />
1697<br />
1590<br />
1592<br />
1607<br />
1616<br />
1671<br />
1694<br />
1713<br />
1847<br />
1731<br />
1595<br />
1746<br />
1665<br />
Iunggesell<br />
1694<br />
1700<br />
1702<br />
1705<br />
1705<br />
1714<br />
1719<br />
1750<br />
1767<br />
erw. 1584<br />
1698<br />
1718<br />
1716<br />
1822<br />
1751<br />
Fremdgesell<br />
1729<br />
1742<br />
1743<br />
1772<br />
1751<br />
Meister<br />
1697<br />
1705<br />
1707<br />
1718<br />
1722<br />
1731 Königsb.<br />
1733<br />
Königsb.<br />
Königsb.<br />
1754<br />
1773<br />
erw.1575<br />
1590<br />
Kb. 1635<br />
Kb.1633<br />
1689<br />
1689<br />
Stolp
176 Das Gewerk <strong>der</strong> Beinsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Gründler, Joh. Gottlieb<br />
Gunde. Joh. Paul<br />
Joh. Georg<br />
Paul Friedrich<br />
David Gottlieb<br />
Gützlaff. Michael<br />
Georg Christian<br />
Karl August<br />
August 3r.<br />
Hacht, Matz<br />
Andreas<br />
Hafemann, Ioh.>Heinr.<br />
Hahn, Michael<br />
hack, Philipp<br />
hänn. Heinrich<br />
Hanneke, Hans<br />
har<strong>der</strong>, Georg '<br />
harlann, Jakob<br />
Friedrich<br />
Joh. Ludwig<br />
Joh. Ir. Vogislaw<br />
Karl Gotthard<br />
Hartmann, Gottfried<br />
hartsch, Gustav<br />
Hasenpusch, KarlGeorg<br />
Friedrich<br />
Haverkamp, David<br />
heidemann, Dionys<br />
Hein, Lorenz<br />
heitz, Heinrich Julius<br />
Heckendorf, Christian<br />
Gottfried<br />
Ernst<br />
Christ. Samuel<br />
hecksel. Gustav<br />
Heller, Ioh.Dietr.Wilh.<br />
Joh. Wilhelm<br />
Junge<br />
1709<br />
1688<br />
1781<br />
1590<br />
1737<br />
1660<br />
1583<br />
1725<br />
1747<br />
1772<br />
1769<br />
1724<br />
1770<br />
1849<br />
1850<br />
1656<br />
1603<br />
1839<br />
1725<br />
1757<br />
1852<br />
1761<br />
Iunggesell<br />
1750<br />
1763<br />
1767<br />
1694<br />
1777<br />
1809<br />
1743<br />
1731<br />
1778<br />
1775<br />
1731<br />
1776<br />
erw. 1584<br />
1762<br />
1743<br />
Fremdgesell<br />
1765<br />
1700<br />
1735<br />
1802<br />
1804<br />
1733<br />
1752<br />
1743<br />
Meister<br />
DllNzlg<br />
1726<br />
1765 f 1802<br />
1772<br />
1784*15.4.59<br />
erw. 1575<br />
1751<br />
Königsberg<br />
1782<br />
Stolp<br />
Stolp<br />
Stolp<br />
1737 Könlgsb.<br />
Vütow<br />
1743 Königsb.<br />
1766
Name<br />
3r. Wilhelm<br />
G. Christ. Gottl.<br />
Emanuel Gottfr.<br />
Emanuel Gottfr.<br />
Adolf<br />
hempel, Alexan<strong>der</strong><br />
hendeler. Martin<br />
hendewerk, Bernhard<br />
Adam Joachim<br />
Joh. Friedrich<br />
Gottfried<br />
3r. Wilhelm<br />
Henning. Tewes<br />
Hering. Daniel Gottl.<br />
Hermann. Ioh.Gottliob<br />
hertwig. Christian<br />
hendenreich, Adam<br />
hiffer. Christian<br />
Hildebrandt, Martin<br />
Martin<br />
Martin Jakob<br />
Joh. Gottlieb<br />
Karl Ephraim<br />
hinrich. Hans<br />
hoffmann. Joh. Fr.<br />
höhne, Joh. Heinrich<br />
holtz, Tropfolus<br />
höppner, Martin<br />
Horn, Jakob<br />
Joh. Peter<br />
hübener. Paul<br />
hundebier.KarlFriedr.<br />
hüppers, Peter Gustav<br />
Jäger, Karl<br />
Iandeke, Joachim jun.<br />
Ianson. Peter Jakob<br />
Iantz. Wilhelm<br />
Das Gemerk dei Beinsteindreher in Stolp. 177<br />
Junge<br />
1596<br />
1711<br />
1692<br />
1733<br />
1677<br />
1682<br />
1718<br />
1667<br />
1676<br />
1665<br />
1719<br />
1723<br />
1696<br />
1849<br />
1845<br />
Iunggesell<br />
1770<br />
1777<br />
1778<br />
1812<br />
1700<br />
1733<br />
1742<br />
1773<br />
1739<br />
1717<br />
1746<br />
1730<br />
Fremdgesell<br />
1793<br />
1696<br />
1780<br />
1783<br />
1785<br />
1764<br />
1792<br />
1801<br />
Meister<br />
1777 1-1305<br />
1783 5 1808<br />
1783 1-1816<br />
1820<br />
1823<br />
1711<br />
1740<br />
1 749 f 1794<br />
1781<br />
1683<br />
1726<br />
1745<br />
erw. 1643<br />
1738<br />
erw.1575<br />
Stolp<br />
12
178<br />
Name<br />
Ianzen, Joh. Gottlieb<br />
Georg Ernst<br />
Albert Friedrich<br />
Ferd. David<br />
Gustav Eduard<br />
Iarke, Balzer<br />
Joachim<br />
Jürgen<br />
Friedrich<br />
Joachim<br />
Lorenz Georg<br />
Salomon<br />
Gottl. Salomon<br />
Georg Jakob<br />
Iasch. Martin<br />
Abraham Gottwald<br />
Iendrzejewski,<br />
Paul Theodor<br />
Ifer(dt), Jürgen<br />
Joost. Martin Gottfr.<br />
Iudatz, Hans Peter<br />
Junge, Jürgen<br />
Daniel Jürgen<br />
Kaffert, Joh. Friedrich<br />
Kagel, Georg<br />
Karsten, Hans<br />
Kart. Gottlieb<br />
Kautz, Heinrich<br />
Kegler. Joh. Erdmann<br />
Keitsch. Joh. Christian<br />
Joh. Friedrich<br />
Ketelhut, Gregor<br />
Peter<br />
Daniel<br />
Klebang. Joh. Ernst<br />
Klein. Johann<br />
Klemann, Peter<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindrehei in Stolp.<br />
Junge<br />
1825<br />
1827<br />
1831<br />
1711<br />
1732<br />
1661<br />
1768<br />
1699<br />
1716<br />
1699<br />
1737<br />
1572<br />
1841<br />
1715<br />
1781<br />
1571<br />
1595<br />
1733<br />
1718<br />
Iunggesell<br />
1827<br />
1694<br />
1694<br />
1715<br />
1719<br />
1724<br />
1741<br />
1745<br />
1737<br />
1774<br />
1722<br />
1719<br />
1702<br />
1742<br />
1720<br />
1810<br />
1738<br />
Fremdgesell<br />
1801<br />
1782<br />
1812<br />
1708<br />
1756<br />
1790<br />
1814<br />
Meister<br />
1805<br />
1847 * 1810<br />
1590<br />
Kb. 1649<br />
. 1696<br />
1701<br />
1727<br />
1729<br />
1750<br />
1753 f1785<br />
1782<br />
Gr. Silkow<br />
1730<br />
1791<br />
1820<br />
1590<br />
1614<br />
1764 1-1784
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 179<br />
Name Junge<br />
Klemke, Peter Martin<br />
Klemm. Rudolf<br />
Klenzendorf, Hans<br />
Klötkow, Joachim<br />
Kliivetasche, Gottfried<br />
Kontze, Matz<br />
Knack, Jürgen<br />
Lorenz<br />
Georg<br />
Joh. Ludwig<br />
Kniephoff, Joh. Erdm.<br />
Knips, Jürgen<br />
Kollpack, Johann<br />
König, Christ. Emanuel<br />
Kopeke, Christoph<br />
Kopnitz, Jakob<br />
Koschnik, August Karl<br />
Koß, Peter<br />
Kotz(e), Peter<br />
Heinrich<br />
Ewald<br />
Peter<br />
Kowitzke, Peter<br />
Kramer, Hans<br />
Karl Ehrenfried<br />
Krause, Jürgen<br />
Peter<br />
Kraut, Hans<br />
Krebs, Andreas<br />
Johann<br />
Wilhelm<br />
Joachim<br />
Christoph<br />
Joachim Andreas<br />
Georg Friedrich<br />
Christoph<br />
Daniel Friedrich<br />
1836<br />
1692<br />
1654<br />
1678<br />
1704<br />
1753<br />
1672<br />
1569<br />
1715<br />
1850<br />
1657<br />
1652<br />
1652<br />
1654<br />
1667<br />
1661<br />
1710<br />
1671<br />
Iunggesell<br />
1698<br />
1732<br />
erw. 1694<br />
1760<br />
1721<br />
erw. 1584<br />
erw. 1584<br />
1703<br />
1709<br />
1704<br />
1748<br />
1746<br />
Fremdgesell<br />
1793<br />
1732<br />
1736<br />
1705<br />
1804<br />
1732<br />
1696<br />
1757<br />
1788<br />
Meister<br />
Stolp<br />
1717<br />
1741<br />
1575<br />
Königsberg<br />
Kb.1640<br />
1733 Könlg<br />
1681<br />
1718<br />
1754
180 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Krefeld. Jakob<br />
Kreplin, Hans<br />
Jakob Heinrich<br />
Gottfried<br />
Jürgen<br />
Peter<br />
David<br />
Georg Wilhelm<br />
Kröppin, Nikolaus<br />
Kröß, Lorenz<br />
Krüger, Hermann<br />
Kruse, Peter<br />
Joachim<br />
Timotheus<br />
Martin<br />
Hans<br />
Lorenz Gustav<br />
Krutt. David<br />
Kuhlmey.<br />
Joh. Christoph<br />
Karl Ludwig<br />
Gottlieb<br />
Kurschelt. Jakob<br />
Kutscher. Martin<br />
Martin Fr.<br />
Ladendorf, Martin<br />
Lafrenz (Laurenz).<br />
Daniel<br />
Daniel (Sohn)<br />
Thomas<br />
Joachim<br />
Emanuel<br />
Lahmann, Lorenz<br />
Lamarche,<br />
Johann Heinrich<br />
Lambrecht, Jakob<br />
Junge<br />
1709<br />
1766<br />
1661<br />
1845<br />
1590<br />
1594<br />
1617<br />
1659<br />
1718<br />
1716<br />
1582<br />
1769<br />
1609<br />
Iunggesell<br />
1721<br />
1726<br />
1731<br />
1736<br />
1732<br />
1773<br />
erw. 1694<br />
1721<br />
1714<br />
1724<br />
erw. 1694<br />
erw. 1694<br />
1776<br />
Fremdgesell<br />
1696<br />
1744<br />
1744<br />
1773<br />
1765<br />
Meister<br />
1697<br />
1737<br />
1782<br />
erw. 1570<br />
1611<br />
Königsberg<br />
Königsberg<br />
Königsberg<br />
1770 f 18,2<br />
1591<br />
1624<br />
erw. 1643<br />
(Kb. 1630)<br />
1658<br />
1696<br />
1655<br />
1782
Name<br />
Ephraim<br />
W. Theodor<br />
Landwehr. Daniel<br />
Lange, Peter<br />
Martin<br />
Philipp<br />
Johann<br />
Joh. Jakob<br />
Rudolf Gotthilf<br />
Joh. Lorenz<br />
Ernst Friedrich<br />
3r. Benjamin<br />
Jakob Gotthilf<br />
Joh. Jakob<br />
Joh. Friedrich<br />
Ernst W. Ferdinand<br />
Karl<br />
Langhof. Daniel<br />
Lehmann,<br />
Andreas Christian<br />
Lemke, Hans<br />
Lenz. Andreas<br />
Michael Christian<br />
Martin Ernst<br />
Theodor<br />
v. Lepel. Julius<br />
Lewark. Jakob<br />
Linsch. Franz<br />
Lohmann. Gabriel<br />
Lockelt. Ernst Peter<br />
Losch (Losky?). Jakob<br />
Lubitz. Friedrich<br />
Lü<strong>der</strong>s. Johann<br />
Lückstädt. Joh. Daniel<br />
Lull. Ernst<br />
Lüllwitz. Peter<br />
Lustenau.Matth.Christ.<br />
Das Gewerb <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Junge<br />
1825<br />
1654<br />
1661<br />
1732<br />
1730<br />
1613<br />
1771<br />
1572<br />
1721<br />
1841<br />
1842<br />
1842<br />
1671<br />
1826<br />
1715<br />
1696<br />
1711<br />
1584<br />
1697<br />
Iunggesell<br />
1739<br />
1739<br />
1735<br />
1770<br />
1772<br />
1773<br />
1774<br />
1778<br />
1801<br />
1805<br />
1820<br />
1777<br />
1727<br />
1801<br />
1831<br />
1719<br />
1701<br />
1717<br />
1702<br />
Fremdgesell<br />
1718<br />
1767<br />
1723<br />
1696<br />
1740<br />
Meister<br />
erw. 1643<br />
1579<br />
1748<br />
1751 f'783<br />
1777<br />
1779 f 1807<br />
1779<br />
1782<br />
1783<br />
1818<br />
1774<br />
1809<br />
Stolp<br />
Rügenwalde<br />
Reiß<br />
Stolp<br />
Lübeck
182 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Liitke, Jürgen<br />
Daniel<br />
Hans<br />
Joachim<br />
Lütkens. Samuel<br />
Machandel, Franz Jak.<br />
Mahler, Friedrich<br />
Fr. Gotthard<br />
Joh. Friedrich<br />
Malchin, Thomas<br />
Malter. Friedrich<br />
Mandau, Heinr. Gottl.<br />
Mantz, Hans<br />
Mantzke, Markus<br />
Martin<br />
Hans<br />
David<br />
Martin<br />
Martin Erdmann<br />
Marquart, Peter<br />
Märten, Jürgen<br />
Marchs,Christ.Gottlieb<br />
Mariens, Harm<br />
Maß, Joachim<br />
Moritz<br />
Jakob<br />
Matties, Joh. Friedrich<br />
Medenow, Benedikt<br />
Meich, F. Chr. Gottfr.<br />
Meiß, Joachim<br />
Mellentin,<br />
Karl Emanuel<br />
Sal. Benjamin<br />
Mentzel, Kaspar Heinr.<br />
Mertens, Hermann<br />
Hermann<br />
K. Gottfr. Rudolf<br />
Junge<br />
1611<br />
1733<br />
1730<br />
1770<br />
1658<br />
1654<br />
1664<br />
1671<br />
1669<br />
1578<br />
1583<br />
1737<br />
1717<br />
Iunggefell<br />
1735<br />
1766<br />
1777<br />
1754<br />
1742<br />
1703<br />
1723<br />
1739<br />
1779<br />
Fremdgesell<br />
1705<br />
1752<br />
1794<br />
1792<br />
1706<br />
1753<br />
1794<br />
1794<br />
Meister<br />
1622<br />
1650<br />
1658<br />
1666<br />
1769<br />
1783<br />
1579<br />
1686<br />
1719<br />
erw.1612<br />
erw. 1570<br />
erw. 1570<br />
erw. 1570<br />
1754<br />
1711<br />
1746<br />
1785
Name<br />
Karl Friedrich<br />
Mewes, Andreas<br />
Thomas<br />
Peter<br />
Thomas<br />
Lorenz<br />
Andreas<br />
Meyer, Karl<br />
Joh. Friedrich<br />
Michaelis. Peter ^<br />
Mileke (Mklke), Hans<br />
Bartholomäus<br />
K. Ferdinand<br />
Joh. Wilhelm<br />
h. Gottlieb<br />
Ferdinand<br />
Eduard<br />
Wilhelm<br />
Albert<br />
Wilh. Eduard<br />
Fr. Ludwig<br />
Miesner,<br />
Gotthilf Benjamin<br />
Mirow. Karl<br />
Miß, Jürgen<br />
Hans<br />
Hans<br />
Mißmann, Heinrich<br />
Gregor Heinrich<br />
Lorenz Georg<br />
Joh. Heinrich<br />
Paul Friedrich<br />
Mitzlaff, Peter<br />
Michael<br />
Mix, Friedrich<br />
Möller, Kaspar<br />
Lorenz<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 183<br />
Junge<br />
1614<br />
1662<br />
1668<br />
1696<br />
1715<br />
1570<br />
1765<br />
1820<br />
1820<br />
1825<br />
1831<br />
1847<br />
1656<br />
1660<br />
1702<br />
1715<br />
1733<br />
1722<br />
1596<br />
1614<br />
Junggesell<br />
1812<br />
1743<br />
1771<br />
1795<br />
1798<br />
1807<br />
1824<br />
1824<br />
1825<br />
1827<br />
1703<br />
1709<br />
1744<br />
1752<br />
1774<br />
1784<br />
1721<br />
Fremdgesell<br />
1753<br />
1791<br />
Meister<br />
1649<br />
1681<br />
Stralsund<br />
1778<br />
1803<br />
1804<br />
1818<br />
Stolp<br />
1717<br />
1751<br />
1762<br />
1782<br />
1789<br />
1732<br />
Kb. 1629
184 Das Gewerll <strong>der</strong> Beinsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Ernst<br />
Hans<br />
Hans<br />
Moritz, Joh. Friedrich<br />
Müller, Christ. Heinrich<br />
Joh. Michael<br />
Karl<br />
MUntzer. Georg Friedr.<br />
Musinsky, Joachim<br />
Philipp<br />
Naumann, Joh. Christ.<br />
Nauwold (Neuwald),<br />
Gregor<br />
Neitzke, Michael<br />
Friedrich<br />
K. 3. Gottlieb<br />
Neudorff, Joh. Karl<br />
Neue (Noye!), Peter<br />
Neuenmark, Michael<br />
Neumann, Jürgen<br />
Mich. Christian<br />
Friedlich<br />
Niemann, Ephraim<br />
Nipkow, Gregor<br />
Noll, Christian Fr.<br />
Nünke, Philipp<br />
Obesicht, Friedrich<br />
Offt, Thomas<br />
Lorenz<br />
Otto, Wilh. Eduard<br />
Pagel (Pauli), Joachim<br />
Gregor<br />
Peter<br />
Pantel, Hans<br />
Pape, Karl<br />
Papke. Daniel Peter<br />
Päth, Karsten<br />
Junge<br />
1671<br />
1700<br />
1701<br />
1841<br />
1707<br />
1703<br />
1660<br />
1680<br />
1786<br />
1825<br />
1656<br />
1660<br />
1723<br />
1735<br />
1846<br />
1660<br />
1746<br />
1656<br />
1578<br />
1585<br />
1825<br />
1617<br />
1725<br />
1612<br />
1741<br />
1751<br />
1569<br />
Iunggesell<br />
1704<br />
1820<br />
1728<br />
1741<br />
1752<br />
1731<br />
1748<br />
1756<br />
Fremdgesell<br />
1744<br />
1783<br />
1732<br />
1756<br />
1804<br />
1696<br />
1769<br />
Meister<br />
1825<br />
Danzlg<br />
1786<br />
Occalih<br />
Danzlg<br />
1735<br />
1750<br />
Stolp<br />
Stolp<br />
1584<br />
1735
Das Gewerkt <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 185<br />
Name Junge<br />
Theodor<br />
pelzet. Konst. Christ.<br />
Pelow (Below?),<br />
Samuel<br />
Peterschenn, Ioh.Benj.<br />
K. Christian<br />
Peterson. Samuel<br />
Peuter (Poiter ^<br />
Pütter?). Martin<br />
Jakob<br />
Jürgen<br />
Pieper. Michael<br />
Pogenter, Joh. Heinrich<br />
Pohl. Martin<br />
Pollex. Joh. Friedrich<br />
Polzm, David<br />
Pöppel. David<br />
Pöte. Karsten<br />
Priebe, Johann<br />
Friedrich<br />
Priitz, Jakob<br />
Martin<br />
Hans<br />
Johann<br />
Joh. Ernst<br />
Puitkammer, Ludwig<br />
Quoß, Peter<br />
Räch. Michael<br />
Joh. David<br />
Radecke, Johann<br />
Rahn, Martin<br />
Johann<br />
Rathbe, Gottfried<br />
Joh. Ludwig<br />
Neichow. Joh. Peter<br />
Reinholts. Philipp<br />
Reckow, David<br />
1845<br />
1655<br />
1676<br />
1579<br />
1607<br />
1715<br />
1612<br />
1786<br />
1713<br />
1749<br />
1842<br />
1656<br />
1671<br />
1823<br />
1571<br />
1733<br />
1765<br />
1745<br />
1661<br />
1726<br />
1734<br />
1751<br />
1727<br />
Iunggesell<br />
erw.1694<br />
1722<br />
1755<br />
1738<br />
1770<br />
l742<br />
1754<br />
1757<br />
Fremdgesell<br />
1801<br />
1752<br />
1792<br />
1735<br />
1707<br />
1800<br />
Meister<br />
Gr. Sllkow<br />
1595<br />
1606<br />
Lübeck<br />
1658<br />
1578<br />
Stolp<br />
1577<br />
Gr.Tuchen<br />
1751
186 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Riemer, Ewald<br />
Ewald<br />
Jürgen<br />
Ewald<br />
David<br />
Joh. Georg<br />
Friedrich<br />
Georg Ewald<br />
Ring, Joh. Wilhelm<br />
Nisch, Jakob<br />
Nißke (^ Risch).<br />
Salomon<br />
Jakob<br />
Rister, Jonas<br />
Robitz, David<br />
Roggenbub, David<br />
Lorenz<br />
Iosua<br />
Friedrich<br />
Ewald<br />
Iosua<br />
Daniel<br />
Friedrich<br />
Iosua<br />
Rohde, Gregor<br />
Gregor<br />
Peter<br />
Jakob<br />
Michael<br />
Christian<br />
Hans<br />
Gregor<br />
Jakob<br />
Joachim Gregor<br />
Jürgen<br />
Rolike, Joachim<br />
Noloff. Daniel<br />
Junge<br />
1616<br />
1665<br />
1680<br />
1693<br />
1658<br />
1669<br />
1584<br />
Iunggesell<br />
erw. 1694<br />
erw.1694<br />
1720<br />
1716<br />
Kb. 1633<br />
erw.1694<br />
1701<br />
1714<br />
1724<br />
1725<br />
erw. 1584<br />
erw.1694<br />
erw.1694<br />
erw.1694<br />
1723<br />
1728<br />
erw. 1584<br />
Fremdgesell<br />
1755<br />
1735<br />
1751<br />
Meister<br />
erw. 1643<br />
1661<br />
1688<br />
1698<br />
1699<br />
1723<br />
1728<br />
1730<br />
Kb. 1641<br />
1668<br />
1696<br />
erw. 1643<br />
Kb. 1651<br />
1663<br />
1692<br />
Königsberg<br />
1622<br />
1664<br />
1694<br />
1698<br />
1699
Name<br />
Nosenau, Johann<br />
Christoph<br />
Nößke, Salomon<br />
Nubenow, Hans<br />
Nuhc, Nikolaus<br />
Johann<br />
dunkel, Paulus<br />
Nutz. Jakob<br />
Nutnig, Simon<br />
Zachs, August<br />
Sam. August<br />
Joh. Friedrich<br />
Ernst Gotthilf<br />
Joh. Gottfried<br />
Heinrich Moritz<br />
L. Gottlieb<br />
Jakob Wilhelm<br />
Daniel Benjamin<br />
August Friedrich<br />
Zakolowski. H.Eduard<br />
2altzmann, Friedrich<br />
Iarkow, Joh. Christian<br />
Laß, Peter<br />
2cheil, Jürgen<br />
Lcheper, Jakob<br />
Ichildtmann. N.<br />
Ichlicht, Jakob<br />
Lchmeling,<br />
Bartel Ludwig<br />
Johann<br />
Michael Ernst<br />
Schmidt, Jakob<br />
Michael<br />
Gottfried<br />
Friedrich<br />
Karl Ludwig<br />
Joh. Gottfried<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Beinsteindiehei in Stolp. 187<br />
Junge<br />
1669<br />
1583<br />
1835<br />
1656<br />
1612<br />
1609<br />
1667<br />
1709<br />
Iunggesell<br />
1720<br />
Kb. 1633<br />
1763<br />
1766<br />
1768<br />
1762<br />
1773<br />
1773<br />
1780<br />
erw. 1584<br />
1704<br />
Fremdgesell<br />
1743<br />
1754<br />
1716<br />
1724<br />
1728<br />
1772<br />
1779<br />
1708<br />
1716<br />
1751<br />
1808<br />
1812<br />
Meister<br />
Königsberg<br />
erw. 1575<br />
1735<br />
1770<br />
1771<br />
1773<br />
1786<br />
Bütow<br />
1661<br />
1687<br />
erw. 1594<br />
1810Danzig
188 Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Schmidtbauer, Daniel<br />
Schönert, Joachim<br />
Schönfeld. M. 3. Albert<br />
Schöpe, Hans<br />
Heinrich<br />
Schöps, Johann<br />
Joh. Gottlieb<br />
Ephraim Gabriel<br />
Joh. Benjamin<br />
Joh. Karl<br />
Karl Wilhelm<br />
Benj. Kornelius<br />
Ephraim Gabriel<br />
Ephraim Jakob<br />
Schott, Joachim<br />
Schrö<strong>der</strong>, Peter<br />
Jonas<br />
Hans<br />
Jakob<br />
Thieß<br />
Joh. Ludwig<br />
Joh. Friedrich<br />
Joh. Jakob<br />
Joh. Gottlieb<br />
Schrothaber. Kaspar<br />
Schuffert, Joachim<br />
Martin<br />
Joachim<br />
heinr. Ludwig<br />
Schulz, Hans<br />
Lorenz<br />
Gregor<br />
Thomas<br />
Joh. Friedrich<br />
Joachim<br />
Erdmann<br />
Ioach. Christian<br />
Junge<br />
1657<br />
1711<br />
1826<br />
1604<br />
1660<br />
1670<br />
1661<br />
1672<br />
1673<br />
1675<br />
1680<br />
1745<br />
1594<br />
1666<br />
1674<br />
1784<br />
1659<br />
1720<br />
1745<br />
1733<br />
Iunggesell<br />
1719<br />
1790<br />
1726<br />
1740<br />
Fremdgesell<br />
1716<br />
1742<br />
1766<br />
1770<br />
1776<br />
1782<br />
1786<br />
1797<br />
?1751<br />
1782<br />
1786<br />
1787<br />
1716<br />
1751<br />
Meister<br />
Stolp<br />
Danzig<br />
1786 f 1814<br />
1797<br />
1578<br />
erw.1643<br />
(Kb. 1633)<br />
1729<br />
1746 1-1783
Name<br />
Georg Friedrich<br />
Michael Friedrich<br />
Fr. Gottlob<br />
Bogislaw Gotthard<br />
Karl Friedrich<br />
Joh. Andreas<br />
Joh. Friedrich<br />
Gottlob Ferdinand<br />
Georg Friedrich<br />
Salomon Philipp<br />
Wilhelm<br />
Bertram<br />
Schiinemann, Timoth.<br />
Schwärm, Heinrich<br />
Schwartau, Joh. Gottl.<br />
Schwarz. Hans Peter<br />
Karl Daniel<br />
Joh. George<br />
Schwe<strong>der</strong>, Ernst<br />
Schwolow, Melchior<br />
Schwuchow, Barthol.<br />
Martin<br />
Seidler. K. Gottl. Ferd.<br />
Senger, David<br />
Severin, Johann<br />
Sievert. Erdmann<br />
Simonis, Joh. Kaspar<br />
Smola. Albrecht<br />
Sombre, Franz<br />
Sommerfeld, Hans<br />
Sonnenburg, Joh. Dan.<br />
Sorgenfrey, Martin<br />
Joachim<br />
Specht, Heinrich<br />
Sperling, Michael<br />
Spiegelberg, Peter<br />
Peter<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Junge<br />
1748<br />
1771<br />
1824<br />
1825<br />
1742<br />
1718<br />
1670<br />
1576<br />
1579<br />
1658<br />
1711<br />
1727<br />
1712<br />
1571<br />
Iunggesell<br />
1750<br />
1752<br />
1777<br />
1778<br />
1785<br />
1785<br />
1789<br />
1799<br />
1747<br />
erw.itz94<br />
1715<br />
1717<br />
erw. 1584<br />
1731<br />
Fremdgesell<br />
1770<br />
1801<br />
1733<br />
1782<br />
1752<br />
1767<br />
1801<br />
1718<br />
1794<br />
1721<br />
1718<br />
1717<br />
Meister<br />
1756<br />
1764<br />
1782 1-1816<br />
1790<br />
1790<br />
1795<br />
1830Ieseritz<br />
Ieseritz<br />
1740 Königsb.<br />
erw.1575<br />
Kb. 1640<br />
1670
190 Das Gewcrk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Ioh. Benjamin<br />
Ioh. Gottlieb<br />
Spitzhut. Ioh. Gottfr.<br />
Ioh. Gottlieb<br />
Sprönger. Friedrich<br />
Spruth.AndreasErdm.<br />
Karl Friedrich<br />
Andreas Erdmann<br />
Georg Friedrich<br />
Benjamin Gottlieb<br />
Friedrich Wilhelm<br />
Ttadtlän<strong>der</strong>,<br />
Ioh. Christian<br />
Ioh. Jakob<br />
Emanuel<br />
Ioh. Dan. Gottlob<br />
Stahl. Timoth. Christ.<br />
Standig. Steffen<br />
Starkow,<br />
Martin Gottrau<br />
Christ. Gottselig<br />
Steffen. Joachim<br />
Stein, Friedrich<br />
Steinert. Ioh. David<br />
Steingra'ber, Gottlieb<br />
Georg Leonhard<br />
Stiefler. Gottfried<br />
Stiege!, 5). Ludwig<br />
Karl Gottlieb<br />
Stilau. Christoph<br />
Ttoffenberg, Christoph<br />
Hans<br />
Peter<br />
Stolzenberg,<br />
Martin Friedrich<br />
Streich, Heinrich<br />
Streit, Jakob Friedrich<br />
Junge<br />
1729<br />
1745<br />
1765<br />
1749<br />
1746<br />
1750<br />
1755<br />
1752<br />
1612<br />
1603<br />
1666<br />
1747<br />
Iunggesell<br />
1733<br />
1764<br />
1776<br />
1778<br />
1809<br />
1751<br />
1755<br />
1792<br />
1752<br />
1756<br />
1761<br />
erw. 1584<br />
erw. 1694<br />
Kb. 1640<br />
1754<br />
Fremdgesell<br />
1786<br />
1792<br />
1769<br />
1785<br />
1716<br />
1812<br />
1709<br />
?1758<br />
1745<br />
1749<br />
1696<br />
1749<br />
Meister<br />
1742<br />
1782<br />
1785<br />
1818<br />
1765 Stolp<br />
1797<br />
erw. 1575<br />
Kb. 1652<br />
1776 Stolp<br />
1615 1-1655
Name<br />
2trelow, Martin<br />
2tnger, Jakob Daniel<br />
2tützke, Jürgen<br />
Georg Friedrich<br />
Joh. Friedrich<br />
Georg Wilhelm<br />
Georg Friedrich<br />
August Georg<br />
Ltiiwe, Gottfried<br />
Daniel<br />
Christian Ewald<br />
Peter<br />
Joachim Christian<br />
Joh. Christian<br />
Zyger, Jakob<br />
Gregor<br />
Hans<br />
Tasch. Peter<br />
Taschener. Furgus<br />
Tesler(Teschler).hans<br />
Jakob<br />
David<br />
David Friedrich<br />
Jakob Nikolaus<br />
Joh. David<br />
Jakob Gottlob<br />
Paul Gottfried<br />
Bernhard<br />
Georg Gottfried<br />
Joh. Andreas<br />
Karl (Paul?) Fr.<br />
Benj. 5). Georg<br />
Jakob Gottlieb<br />
August Gottfried<br />
Georg Gottfried<br />
Ernst Em. Wilhelm<br />
David Fr. Ernst<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 191<br />
Junge<br />
1733<br />
1699<br />
1676<br />
1687<br />
1707<br />
1711<br />
1723<br />
1742<br />
1575<br />
1577<br />
1578<br />
1596<br />
1603<br />
1707<br />
1712'<br />
Iunggesell<br />
1738<br />
1719<br />
1754<br />
1764<br />
1795<br />
1805<br />
1715<br />
1729<br />
1748<br />
1730<br />
1716<br />
1743<br />
1748<br />
1744<br />
1744<br />
1752<br />
1755<br />
1752<br />
1773<br />
1777<br />
1782<br />
1782<br />
1785<br />
1785<br />
1792<br />
1795<br />
Fremdgesell<br />
Meister<br />
1689<br />
1729<br />
1771<br />
1802<br />
1818<br />
1726<br />
1737<br />
Stolp<br />
1737<br />
1721<br />
1725<br />
1748 *1725<br />
1751<br />
1753<br />
1755<br />
1760 t 1809<br />
1764<br />
1782<br />
1785<br />
1788 *i?«4<br />
1789<br />
1790<br />
1797 1- 1846<br />
1802
192 Das Gewerll <strong>der</strong> Beinsteindrehei in Stolp.<br />
Name<br />
August Friedrich<br />
Karl<br />
Feld. Wilhelm<br />
Fr. Gottlieb<br />
Gottlieb Wilhelm<br />
Tentt. Gottfried<br />
Thewing,<br />
Gottlob Leberecht<br />
Thiede, Joh. Georg<br />
Ludwig<br />
Benj. Gotthold<br />
Ernst Gottlieb<br />
Joh. August<br />
Friedrich<br />
Louis<br />
Thiedemann. Jakob<br />
Fr. Siegmund<br />
Thösing.TheodorGottl.<br />
Thunn. Joh. Gottfried<br />
Thürbächer, Wilhelm<br />
Timmermann, Hans<br />
Timmreck, Wilhelm<br />
Tolles, Ferdinand<br />
Tomek, Friedrich<br />
Andreas<br />
Tomholt. Martin<br />
Tonn, Hans<br />
David<br />
Tomm, Peter<br />
Törner, Daniel<br />
Johann<br />
David<br />
Joh. Samuel<br />
Joh. Gottlieb<br />
Trappe, Ieremias<br />
Treichel, Christ. David<br />
Vahl, Joh. Ernst<br />
Junge<br />
1724<br />
1768<br />
1826<br />
1831<br />
1572<br />
1680<br />
1850<br />
1820<br />
1699<br />
1603<br />
1603<br />
1655<br />
<<br />
1699<br />
1725<br />
1734<br />
Iunggesell<br />
1819<br />
1820<br />
1820<br />
1819<br />
1825<br />
1729<br />
1773<br />
1823<br />
1836<br />
erw. 1584<br />
erw. 1694<br />
1824<br />
1739<br />
Fremdgesell<br />
1752<br />
1764<br />
1769<br />
1779<br />
1765<br />
1787<br />
1767<br />
1708<br />
1714<br />
1726<br />
1733<br />
1754<br />
1764<br />
Meister<br />
1822<br />
1822<br />
1822<br />
1830<br />
1847 * 1813<br />
1765 Köniysb.<br />
1782 Stolp<br />
* 1816<br />
1770 Könlgsb.<br />
1618<br />
Danzig<br />
Danzig<br />
1710
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 193<br />
Name Junge<br />
Paul Gideon<br />
Van<strong>der</strong>sey, Jak. Lorenz<br />
Vanselow, David<br />
Joachim<br />
David 3r.<br />
Daniel<br />
Christ. Lorenz<br />
Jakob<br />
Joh. Gottfried<br />
Joh. Jakob<br />
Venlahn. Paul<br />
Vieck, Michael<br />
Gregor<br />
Viereck, Christ.Emanuel<br />
Joh. Friedrich<br />
Kasimir Gottlieb<br />
Liermann, Michael<br />
Burkhard<br />
Vietzke, Ewald<br />
Johann<br />
Joachim 3r.<br />
Vitter. Johann<br />
Lottert. Ernst<br />
Loy, Andreas<br />
Wagner, Joh. Samuel<br />
Wahren, 3r. Wilhelm<br />
Nartag, Martin<br />
Nartenberg, Asmus<br />
Naher, Joachim<br />
Watz. Joh. Karl<br />
watzon(Watson),Iak.<br />
Gottlieb<br />
Wedell. 3r. Nikolaus<br />
Vegner, Gregor<br />
Hans<br />
Tewes<br />
1745<br />
1667<br />
1669<br />
1728<br />
1735<br />
1762<br />
1579<br />
1659<br />
1670<br />
1605<br />
1613<br />
1681<br />
1735<br />
1580<br />
1595<br />
1769<br />
1723<br />
1612<br />
1572<br />
1678<br />
1694<br />
1848<br />
1600<br />
1608<br />
Iunggesell<br />
1750<br />
1718<br />
1740<br />
1729<br />
1767<br />
erw. 1584<br />
1741<br />
1778<br />
1780<br />
1741<br />
1740<br />
1729<br />
Fremdgesell<br />
1756<br />
1767<br />
1736<br />
1801<br />
1790<br />
Meister<br />
-<br />
1681<br />
1740<br />
1777<br />
Gr. Silkuw<br />
1686<br />
1746<br />
1784<br />
1787<br />
1590<br />
1616<br />
1623<br />
13
194 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Joh. Ernst<br />
Karl Ferdinand<br />
Weichbrodt, Joachim<br />
Joachim<br />
Weißbrenner. Michael<br />
Weißmann, Jakob<br />
Michael Friedrich<br />
Joh. Jakob<br />
Fr. Wilhelm<br />
Joh. Friedrich<br />
Weltzien. Gottschalk<br />
Wendt, Joachim<br />
Samuel<br />
Wendorf, Nikolaus<br />
Werner, Heinrich<br />
Wernick. Mich. Gottlieb<br />
Joh. Friedrich<br />
Paul Bernhard<br />
Peter Gottlieb<br />
Westphal, Christian<br />
Martin<br />
Martin<br />
H. Enoch<br />
Michael Fr.<br />
Karl Heinrich<br />
Heinrich<br />
Karl August<br />
5). Wilhelm<br />
Ludwig<br />
Karl Theodor<br />
Adalb. Joh. Th.<br />
Karl Heinrich<br />
Heinrich<br />
Weyer, Gregor<br />
Joachim<br />
Wenmer,<br />
Christian Eilhelm<br />
Junge<br />
1784<br />
1681<br />
1726<br />
1738<br />
1749<br />
?1570<br />
1713<br />
1737<br />
1744<br />
1750<br />
1658<br />
1696<br />
1717<br />
1724<br />
1841<br />
1836<br />
1580<br />
1605<br />
Iunggesell<br />
-<br />
1791<br />
1723<br />
1743<br />
1755<br />
1718<br />
1743<br />
1750<br />
1759<br />
1700<br />
1729<br />
1769<br />
1776<br />
1803<br />
1821<br />
Fremdgesell<br />
1754<br />
1772<br />
1790<br />
1786<br />
1735<br />
1708<br />
1735<br />
1780<br />
1809<br />
1819<br />
1814<br />
Meister<br />
Königsberg<br />
17i)7<br />
1762<br />
1791<br />
1793<br />
Lübeck<br />
! 577<br />
1712<br />
Lübeck<br />
174!<br />
1782-<br />
1818<br />
1818<br />
1825<br />
1847 * 1819»<br />
1847 * ,82l<br />
-
Name<br />
Wiedemann, Michael<br />
Wies. Christian<br />
Viller, Paul<br />
Hans<br />
Gregor<br />
Elias<br />
Joachim<br />
Vilke, Martin<br />
Vindmüller. Kasimir<br />
Ernst<br />
Virt. Christian<br />
David Gottlieb<br />
Litt. Peter<br />
Erdmann<br />
vittbeck, Friedrich<br />
Vltzke. Michael<br />
voyke, Albrecht<br />
Michael<br />
Christoph<br />
Loker, Daniel<br />
Locket, Jakob August<br />
volff. Karl Joh.<br />
Lortmann.K.Fr.Wilh.<br />
August<br />
votzeg, Joachim<br />
Joachim<br />
Joachim<br />
Joachim jun.<br />
Peter<br />
Jakob<br />
Jakob<br />
Peter<br />
Peter Friedrich<br />
Michael Ernst<br />
Joh. G. Ferdinand<br />
5utschkn.<br />
Heinrich Gottfried<br />
Das Gewerk <strong>der</strong> Vernsteindreher in Stolp. 195<br />
Junge<br />
1660<br />
1718<br />
1612<br />
1720<br />
1723<br />
1751<br />
1771<br />
1584<br />
1670<br />
1660<br />
1698<br />
1662<br />
1667<br />
1576<br />
1766<br />
1825<br />
1836<br />
1602<br />
1608<br />
1776<br />
Iunggesell<br />
1592<br />
Kb. 1642<br />
1724<br />
1725<br />
1777<br />
erw. 1584<br />
1772<br />
1720<br />
1725<br />
1762<br />
1766<br />
1798<br />
1784<br />
Fremdgesell<br />
1708<br />
1758<br />
1751<br />
Meister<br />
Kb. 1641<br />
INützenow<br />
1681<br />
erw.1575<br />
verm. 5. 5. 1650<br />
Stolp<br />
Stolp<br />
1584<br />
1617<br />
erw. 1656<br />
Kb. 1648<br />
1692<br />
1729<br />
1734<br />
beerdigt 2S.3.1760<br />
1779<br />
Symbow<br />
13*
196 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Name<br />
Iaddach, David<br />
Jakob<br />
Joh. Lorenz<br />
K. Christian<br />
Fr. Ludwig<br />
K. Heinrich<br />
K. Friedrich<br />
Zan<strong>der</strong>, Jakob<br />
Peter<br />
Emanuel<br />
Georg Lorenz<br />
Ieitz, Christian<br />
Iopp, Anton<br />
Iiihlke, Jakob<br />
Ad. herm. Alex.<br />
Heinrich<br />
Zumm, Hermann<br />
Junge<br />
1700<br />
1717<br />
1834<br />
1661<br />
1734<br />
1673<br />
1831<br />
1847<br />
Iunggesell<br />
1723<br />
1724<br />
1819<br />
1741<br />
1770<br />
erw. 1694<br />
1836<br />
Fremdgesell<br />
1770<br />
1801<br />
1709<br />
Meister<br />
1778 1- 1823<br />
1810<br />
1847<br />
erw. 1575<br />
1751<br />
1779<br />
Stolp<br />
Stolp<br />
Die Frage nach <strong>der</strong> sozialen Herkunft aller dieser Einzelpersonen<br />
läßt sich begreiflicherweise nur infoweit beantworten, als fie am<br />
Stolp stammen. Aus dem Kirchenbuch läßt fich feststellen, daß sei<br />
1626 wenigstens mehrere Familien immer und in allen in Stoli<br />
bleibenden Zweigen nur Bernsteinarbeiter gewefen find, fo di<br />
Wotzeg, die Bre<strong>der</strong> und Verholz. Die übrigen gehören, foweit si<br />
neu in die Iunft eintraten, überwiegend dem Handwerkerstand<br />
an: die Noggenbuk waren von jeher Bäcker, die Spruth und di<br />
Schuffert Schmiede, die Westphal ursprünglich Schuster, die Arnol!<br />
noch spät im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t teilweise Gerber. Erst mit <strong>der</strong> Er<br />
Hebung des Gewerks zur Iunft kommen auch Angehörige de<br />
höheren Stände hinzu, beson<strong>der</strong>s Pfarrerskin<strong>der</strong>; fchon die beidei<br />
Windmüller waren die Söhne des Pastors in Mützenow. Joh<br />
Jakob Vanfelow stammte aus dem Pfarrhaufe in Gr. Silkoir<br />
Wutfchky aus Symbow, <strong>der</strong> jüngere Zan<strong>der</strong> aus Stolp: <strong>der</strong> älter<br />
Zan<strong>der</strong> war vermutlich ein Bru<strong>der</strong> des aus Stargard stammende<br />
Archidiakonus Zan<strong>der</strong>, ebenfo wie <strong>der</strong> älteste Lange, <strong>der</strong> Meiste<br />
wurde, wohl ein Bru<strong>der</strong> des gleichnamigen Archidiakonus wm<br />
als dieser letztere, noch als unbekannter Kandidat, zur Wahl zm
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 197<br />
Archidiakonus stand, verfaßte die Zunft ein Wahlprotokoll, in dem<br />
er einstimmig gewählt wurde. Einige Lehrlinge entstammten <strong>der</strong><br />
Gewandschnei<strong>der</strong>zunft, <strong>der</strong> ältere Stadtlan<strong>der</strong> wird sogar als Offizierssohn<br />
bezeichnet. Vermutlich suchten die Meister auch ihre Ehefrauen<br />
aus entsprechenden Kreisen- soweit die Trauregister erhalten<br />
sind, d. h. seit 1732, finden wir wenigstens ungemein oft Pastoren<br />
als Brautväter angegeben- daneben allerdings stehen nach wie vor<br />
die eingesessenen Handwerker, und einmal wird sogar eine Bauerntochter<br />
aus einem benachbarten Dorf zur Ehegefährtin erkoren,<br />
hier spielen ersichtlich schon die früher geschil<strong>der</strong>ten Verhältnisse<br />
hinein, als <strong>der</strong>en Folge sich innerhalb <strong>der</strong> Zunft scharf getrennte<br />
soziale Schichten entwickelten, die ihrerseits auch die Ehewahl beeinflussen<br />
mußten. — Wenn man nun die Meister nach ihrer zeitlichen<br />
Reihenfolge zusammenstellt, so macht man eine merkwürdige<br />
Beobachtung: im 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t sind die einzelnen Namen,<br />
ganz im groben betrachtet, ungefähr gleich verteilt- zwar sind einzelne,<br />
wie die Riemer o<strong>der</strong> Boldt, zeitweise etwas stärker vertreten,<br />
aber keine Familie kann das Übergewicht erlangen. Mit dem Beginn<br />
des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts än<strong>der</strong>t sich das ziemlich plötzlich,- daß<br />
einzelne <strong>der</strong> alten Familien verschwinden, ist natürlich und zum<br />
Teil, wie bei den Riemer und Gößler, durch den sozialen Aufstieg<br />
zu erklären, <strong>der</strong> die Familien in akademische Berufe abdrängte;<br />
dagegen sieht man, daß die zahlreich hinzukommenden neuen Familien<br />
sich mit wenigen Ausnahmen nicht halten können, meist nach<br />
einer o<strong>der</strong> zwei Generationen wie<strong>der</strong> verschwinden, und daß dafür<br />
zwei Familien, die Arnold und die Tesler, sich so stark vermehren,<br />
oaß in dem Zeitraum von 1730—1820 die Mitglie<strong>der</strong> dieser beiden<br />
Familien fast ein Fünftel aller überhaupt vorhandenen Meister<br />
stellen, hierfür eine zureichende Erklärung zu finden, dürfte kaum<br />
möglich sein- immerhin ergeben sich aber doch einige Gesichtspunkte,<br />
die vielleicht an einem größeren Material zu einer Lösung führen<br />
könnten. Wenn wir uns die Trau- und Taufregister <strong>der</strong> zuständigen<br />
Marienkirche durchsehen — von 1732 an, bis wohin die Trauregister<br />
zurückgehen, bis 1825, wo vermutlich alle bis 1806, also<br />
bis zur Schließung <strong>der</strong> Zunft, eingegangenen Ehen erfaßt find —,<br />
so müssen wir zunächst m den Trauregistern eine ganze Anzahl<br />
Meister vermissen,- einzelne davon sind auswärts getraut, denn<br />
das Taufregister verzeichnet ihre Kin<strong>der</strong>,- es bleiben aber immerhin<br />
noch rund 20 Meister übrig, die in keinem <strong>der</strong> beiden Register zu<br />
finden sind; daß sie nicht verzogen sind, beweist oft genug schon das<br />
Iunftprotokoll, das ihren Tod vermerkt: auch war Verzug eines
198 Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp.<br />
Meisters ein sehr seltenes Ereignis, das in dem einzigen bekannten<br />
Fall im Innftprotokoll ausdrücklich vermerkt wurde- daß alle zwanzig<br />
kin<strong>der</strong>los verheiratet waren, ist auch nicht gerade wahrscheinliches<br />
bleibt also nur die Annahme, daß sie unverheiratet geblieben<br />
sind. Alle diese Leute sind nach 1752 zur Meisterschaft gelangt,drei<br />
sind von auswärts zugezogene „Fremdgesellen" gewesen o<strong>der</strong><br />
doch Angehörige von Familien, <strong>der</strong>en Namen wir hier zum ersten<br />
Male in den Iunftregistern finden- eine ganze Reihe <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
gehört Familien an, die man versucht wäre als „müde" zu bezeichnen:<br />
die Kin<strong>der</strong>zahl bei ihnen ist im ganzen gering, und das<br />
letzte Mitglied, das <strong>der</strong> Iunft angehört, bleibt Junggeselle. Die<br />
Familie Tesler stellt zu diesen Unverheirateten kein Mitglied, die<br />
Familie Arnold, soweit die bei den mangelhaften Kirchenbucheinträgen<br />
unsicheren Vornamen einen Schluß gestatten, nur zwei!<br />
Die Betrachtung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl wird uns hier vielleicht noch einen<br />
Schritt weiterführen. Wir finden für den erwähnten Zeitraum bei<br />
148 Meistern 197 Eheschließungen.- die vielen mehrfachen Ehen<br />
mögen auch hier, wie sonst überall, die durchschnittliche Kin<strong>der</strong>zahl<br />
herabgedrückt haben, da zweite Ehen erfahrungsgemäß in späterem<br />
Alter geschlossen werden und deshalb weniger fruchtbar sind. Auffallend<br />
oft begegnen wir aber einer Iunftwitwe als Braut, und eine<br />
Zählung ergibt 32 bei 197 Eheschließungen insgesamt. Berechnet<br />
man nun die Km<strong>der</strong>zahl aus den Ehen mit Iunftwitwen getrennt<br />
von den übrigen Ehen, so findet sich bei den Iunftwitwen ein Durchschnitt<br />
von 1,7, bei den an<strong>der</strong>en von 2,95. Im einzelnen besagt das.<br />
daß die Ehen mit Zunftwitwen ganz auffallend oft kin<strong>der</strong>los<br />
blieben- da im wesentlichen die Erpektanten und unter ihnen beson<strong>der</strong>s<br />
die von auswärts kommenden darauf angewiesen waren,<br />
Iunftwitwen zu heiraten, ist es erklärlich, daß vielfach ihr Name<br />
in <strong>der</strong> Iunft mit ihnen aussterben mußte, hier haben wir also,<br />
und diesmal in greifbaren Iahlen ausgedrückt, eine neue und zwar<br />
die vielleicht verhängnisvollste Folge <strong>der</strong> falschen Bernsteinwirtschaft<br />
und <strong>der</strong> Einrichtung <strong>der</strong> Expektantenliste, die in unheilvoller<br />
Weise BernsteinbeZug und Eheschließung verkuppelte und so die<br />
Zukunft <strong>der</strong> ganzen Iunft an ihrer empfindlichsten Stelle, an ihren<br />
Kin<strong>der</strong>n, schädigte und bedrohte. Freilich muß noch ein Zweites<br />
hinzukommen, um diese Schädigung so recht wirksam werden zu<br />
lassen, und das ist weniger faßbar: eine gewisse Lebenskraft <strong>der</strong><br />
Sippe, das Gegenteil zu dem, was oben die „müden" Familien genannt<br />
wurde, und das sich in hoher Kin<strong>der</strong>zahl bei den Mitglie<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Familie ausdrückt, die keine Witwen heiraten- das wird oer-
Das Gewerk <strong>der</strong> Bernsteindreher in Stolp. 199<br />
ständlich bei Betrachtung <strong>der</strong> Tester z. B., bei denen von zwölf<br />
Ehemännern drei infolge <strong>der</strong> Erheiratung einer Iunftwitwe kin<strong>der</strong>los<br />
bleiben: die an<strong>der</strong>en haben dafür um fo mehr Kin<strong>der</strong> und können<br />
den Schaden wie<strong>der</strong> ausgleichen; o<strong>der</strong> bei den Sachs hinterläßt<br />
<strong>der</strong> erste Namensträger in <strong>der</strong> Iunft sieben Sühne, von denen vier<br />
die Meisterschaft erlangen; einer heiratet eine Iunftwitwe und bleibt<br />
kin<strong>der</strong>los, aber die drei an<strong>der</strong>en haben zusammen immer noch neun<br />
Kin<strong>der</strong>. Es wäre nun eine <strong>der</strong> wichtigsten Aufgaben <strong>der</strong> sozialen<br />
Genealogie, einmal festzustellen, durch welche Umstände die größere<br />
o<strong>der</strong> geringere Lebenskraft einer Familie bedingt wird, o<strong>der</strong> wenigstens<br />
woran man sie außerhalb <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl erkennen kann;<br />
lei<strong>der</strong> ist unser Material zu klein und infolge <strong>der</strong> Unzulänglichkeit<br />
<strong>der</strong> Kirchenbücher zu wenig durchgearbeitet, um in dieser Richtung<br />
irgendwie beweisende Schlüsse zu ziehen. Einigemale — so bei den<br />
Boje, Gößler, hendewerk — können wir freilich beobachten, daß<br />
in <strong>der</strong> Generation vor dem Verschwinden des Namens aus <strong>der</strong><br />
Iunft das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mitglied <strong>der</strong> Familie sich einem akademischen<br />
Beruf zuwendet; das bedeutet aber auch nicht mehr als die<br />
alte Erfahrung, daß recht oft sozialer Aufstieg mit einem Rückgang<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zahl parallel geht und kann uns hier nicht weiterbringen.<br />
Im ganzen werden wir uns also bescheiden müssen und uns damlt<br />
begnügen, einige Bausteine zu sammeln, die später bei größeren<br />
Arbeiten Verwendung finden können.
Johannes Graf Lilljenstedts<br />
Grabdenkmal in <strong>der</strong> Marienkirche<br />
zu Stralsund<br />
Non<br />
Prof. Dr. Otto Schmitt-Greifslvllld<br />
(mit 4 Abbildungen nach Aufnahmen des kunstgoschichtlichen Seminars<br />
<strong>der</strong> Universität <strong>Greifswald</strong>)
Wie die pommersche Kunst <strong>der</strong> nachmittelalterlichen Ieit überhaupt,<br />
so harrt auch die Stralsun<strong>der</strong> Barockplastik noch <strong>der</strong> Erforschung.<br />
Die Iahl <strong>der</strong> erhaltenen Denkmäler ist dabei größer,<br />
ils man gemeinhin annimmt, und es findet sich Gutes, ja Bestes<br />
)arunter. Ob freilich die in Stralsund und seinem künstlerischen<br />
Hinterland, also namentlich im vorpommerschen Küstengebiet und auf<br />
NUgen erhaltenen Bildwerke des 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts alle<br />
oon einheimischen, d. h. Stralsundischen Künstlern ausgeführt sind<br />
o<strong>der</strong> ob sich darunter Importwerke auswärtiger Meister finden, das<br />
wird sich erst sagen lassen, wenn einmal das Denkmälermaterial<br />
systematisch gesammelt und die Archive gründlich durchforscht sind,<br />
und von beidem sind wir noch' weit entfernt. Jedenfalls muß in<br />
einer Stadt, die sich immer durch Weite des Blicks ausgezeichnet<br />
hat und schon im Mittelalter eine starke Aufnahmefähigkeit gegenüber<br />
frem<strong>der</strong> Kunst und fremden Künstlern aufweist, auch für die<br />
3olgezeit mit weitreichenden künstlerischen Verbindungen gerechnet<br />
werden. Das wenige, was wir bis jetzt über die Stralsun<strong>der</strong> Kunst<br />
<strong>der</strong> ersten Hälfte des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts wissen, muß zur Porsicht<br />
mahnen, alle in Stralsund erhaltenen Denkmäler für bodenständige<br />
Arbeit zu halten: als man sich im Jahr 1700 entschloß, an Stelle<br />
des mittelalterlichen Lettners und Kreuzaltars <strong>der</strong> Nikolaikirche<br />
einen neuen Chorabschluß und Altar zu errichten, gewann man<br />
keinen geringeren als den führenden Berliner Architekten und Bildhauer<br />
Andreas Schlüter (1664—1714) für die Anfertigung des<br />
Entwurfs. Die Ausführung wurde aber einheimischen Künstlern,<br />
insbeson<strong>der</strong>e dem Stralsun<strong>der</strong> Bildhauer Thomas Phalert übertragen,<br />
und so entstand jenes großartige Werk, das in dem schönen<br />
Innenraum <strong>der</strong> ehrwürdigen Kirche vielleicht das vernehmlichste<br />
Wort spricht. Während in diesem 3all also wenigstens die Ausführung<br />
in den Händen Stralsun<strong>der</strong> Meister lag, ist ein an<strong>der</strong>es,<br />
kaum min<strong>der</strong> bedeutendes Monument sowohl im Entwurf wie <strong>der</strong><br />
Ausführung nach reiner Import. Wir meinen das Grabmal des<br />
schwedischen Grafen Lilljenstedt in <strong>der</strong> Marienkirche zu Stralfund,<br />
das bedeutendste Grabdenkmal <strong>der</strong> Barockzeit auf pommerschem
204 Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal.<br />
Boden, das auf Grund einer seither nicht beachteten Inschrift ak<br />
Werk des nie<strong>der</strong>ländischen Bildhauers Joh. Bapt. Havery anzu<br />
sehen ist^).<br />
Der schwedische Staatsmann Johannes Graf von Lilljenstedt, dei<br />
auch als Dichter einen Namen hat, wurde am 14. Juni 1655 in<br />
<strong>der</strong> Nähe von Vjörneborg in Finnland als Sohn des bürgerlichen<br />
Pfarrherrn Paulus Simonis Naumannus geboren. Er studierte n<br />
.^bo und Upsala und trat dann in den schwedischen Staatsdienst ein,<br />
um eine auch für diese Zeit außerordentlich glänzende Laufbahn zu<br />
durcheilen, die ihm die höchsten Amter und Würden <strong>der</strong> schwedischen<br />
Krone einbrachte. 1690 wurde er geadelt, 1713 in den Ireiherrnstand<br />
und 1719 zum Grafen Lilljenstedt erhoben. 1705 wurde er<br />
Vizepräsident und 1727 nach mehrjähriger Verwendung im diplomatischen<br />
Dienst Präsident des obersten schwedischen Gerichtshofs<br />
in Wismar. Als solcher starb er am 26. September 1732 auf seinem<br />
Schloß Dioitz bei Barth im Kreise 3ranzburg^).<br />
Lilljenstedt verbrachte einen erheblichen Teil seines Lebens aus<br />
deutschem Boden, in den damals schwedischen Provinzen des Ostseegebietes.<br />
Bestattet wurde er in <strong>der</strong> Marienkirche zu Stralsund,<br />
wo man ihm noch im gleichen Jahr 1732 sein Grabmal errichtete.<br />
Seine bereits 1729 verstorbene Gattin Margarete von Tornflnchj<br />
ist in <strong>der</strong> gleichen Gruft beigesetzt^).<br />
Das durch Größe, Kostbarkeit des Materials und künstlerischen<br />
Wert ausgezeichnete Monument ist in die zweite Chorkapelle <strong>der</strong><br />
Marienkirche, vom südlichen Querschiffflügel aus gerechnet, eingebaut.<br />
Die Gruftanlage von 2,25 m höhe füllt die trapezförmige<br />
Kapelle in voller Breite und Tiefe. Ihre gemauerte und verputzte<br />
3assade wird durch Pilaster in fünf 3el<strong>der</strong> eingeteilt und oben<br />
durch ein breites Gesims abgeschlossen- im Mittelfeld sitzt eine<br />
5) Kurz erwähnt von E. v. Haselberg, Baudenkmäler des Reg.-Bez.<br />
Stralsund, Heft 5, 1902. S. 439. Die Künstlerinschrift hat unabhängig von<br />
mir auch Prof. Dr. A. E. Vrinckmann-Köln festgestellt.<br />
") Aber Schloß Dioitz, das Lilljenstedt umgebaut und erweitert hat. vgl.<br />
Baudenkmäler des Reg.-VeZ. Stralsund, Heft 1, 1881. S. 21.<br />
^) Über Lilljenstedts Leben vgl. die kurzen Artikel<br />
5mki 1913, Bd. V. Sp. 971 f.. und XarcliZk f^miljebok 16. 1912. Sp. 529.<br />
Eine Selbstbiographie ist in I^nm^ar ut^iina ai ett Tällzkap i ^bo 1775<br />
veröffentlicht, eine ausführliche Würdigung wird von Prof. I. I. Mikkola<br />
in Helsingfors vorbereitet. Vgl. seinen kurzen Aufsatz in Otavan )oulu 1923.
Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal. 205<br />
niedrige, vermauerte Türöffnung, hinter <strong>der</strong> vermutlich die Sarkophage<br />
<strong>der</strong> beiden Ehegatten stehen. — Der Raum über dem Gruftbau<br />
ist durch ein prächtiges schmiedeeisernes Gitter, dessen überhöhter<br />
Mittelteil eine zweiflüglige Tür aufnimmt, nach vorn abgeschlossen.<br />
In diesem Raum erhebt sich, dicht an die Außenwand<br />
<strong>der</strong> Kapelle herangeschoben und infolge des Gitters vom Chorumgang<br />
aus nur ungenügend sichtbar, das Grabdenkmal. Iwei<br />
gemauerte Stufen führen zu einem mächtigen Prunksarkophag von<br />
fast 1,50 m höhe empor, auf dem die Gestalt des Grafen Lilljenstedt<br />
mit erhobenem und nach vorn gewandtem Oberkörper ruht. Der<br />
linke Arm ist auf ein Kissen gestützt, die rechte Hand nach einem<br />
nackten Engelknaben ausgestreckt, <strong>der</strong> zu Füßen des Grafen einen<br />
Schild mit dem schwedischen Wappen hält^); zwischen beiden wird<br />
ein aufheulen<strong>der</strong> Jagdhund sichtbar^). Diese ganze Gruppe besteht<br />
aus einem einzigen weißen Marmorblock von 1,86 m Breite, während<br />
für den Sarkophag schwarzer Marmor verwendet ist. hinter<br />
<strong>der</strong> Figurengruppe erhebt sich auf zweistufigem Sockel ein Aufbau<br />
aus weißem Marmor: Eine große Inschriftplatte wird von schräg<br />
gestellten Pilastern und einem Bogen gerahmt, in dessen Scheitel<br />
eln geflügelter Totenschädel sitzt. Die Pilaster sind mit Insignien<br />
von Krieg, Handel und Wissenschaft geschmückt. Bekrönt wird <strong>der</strong><br />
Aufbau von dem großen Lilljenstedtschen Wappen, das zwei Löwen<br />
halten. Eine gemauerte und verputzte Wand in Gestalt eines Vorhangs,<br />
<strong>der</strong> von einem knaufartigen Baldachin ausgeht und seitlich<br />
aufgenommen ist, bildet den Hintergrund und füllt den unteren<br />
Teil des Kapellenfensters in voller Breite aus.<br />
Die große Inschrift über <strong>der</strong> Hauptgruppe bezieht sich auf den<br />
Grafen, eine zweite, die auf einem rechteckigen, aus dem Prunksarkophag<br />
vorstehenden Block eingegraben ist und die unmittelbare<br />
Fortsetzung <strong>der</strong> oberen bildet, gilt seiner Gattin. Im Folgenden<br />
gebe ich zunächst den lateinischen Originaltext, dann eine Übersetzung^).<br />
^) Die linke Hand des Putto und Daumen und Zeigefinger <strong>der</strong> erhobenen<br />
Hand des Grafen sind abgebrochen,- vielleicht nahm <strong>der</strong> Graf eine Urkunde<br />
(Adclsoiplom?) aus den Händen des Knaben entgegen.<br />
^) Der Hund ist wohl eine naturalistische und zugleich pathetische Umdeutung<br />
<strong>der</strong> bei mittelalterlichen Grabmälern in Erinnerung an den Psalm 91,13<br />
(bei Luther) häufig zu 3iißen <strong>der</strong> Verstorbenen angebrachten Tiere.<br />
") Die Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Inschriften bei I. C. Dähnert, Pommersche Bibliothek<br />
(1754) III S. 326 ist nicht ganz genau.
206 Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal.<br />
IN<br />
1732 OI^ 26. 3^P^^ML^. Vil?<br />
1655 l)I^ 14<br />
P0^3I<br />
^82. DI^ 13. ^l^V,<br />
OIXVI^^. ^" 1729<br />
24 /^.Q., ^^^«0N^ 3^11<br />
VIXI^,<br />
: XI. V. 25: DIXI^ ^<br />
I^/
Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal. 207<br />
Der Erlauchte<br />
Ausgezeichnete<br />
Herr<br />
Johannes Graf von Lilljenstedt<br />
Freiherr von Anoila.<br />
Erbherr in Divitz, Langenhanshagen.<br />
Irauendorf, Iatel, Gummelnes.<br />
Lensoe, Iohannesberg etc.<br />
Des schwedischen Reiches Senator und des obersten<br />
königlichen Gerichtshofs in Wismar Präsident,<br />
geboren in <strong>der</strong> finnländischen Stadt Björneborg am 14. Juni 1655<br />
gestorben auf seinem Schloß Divitz am 26. September 1732:<br />
Ein Mann, hervorragend durch seltene Geistesgaben<br />
durch vielseitige Tätigkeit und Verdienste um sein Vaterland,<br />
den Wissenschaften über den Durchschnitt <strong>der</strong> Gelehrten ergeben<br />
und. damit ihm gar nichts fehle, auch ausgezeichnet als Dichter<br />
' in griechischer, lateinischer und in seiner Muttersprache,<br />
ruht hier hochbetagt<br />
nach ruhmreichen Arbeiten im Dienste von vier Königen<br />
innerhalb und außerhalb seines Vaterlandes<br />
und nach einem fromm und klug verbrachten Leben<br />
> mit seiner Gattin<br />
<strong>der</strong> erlauchten 3rau<br />
Margaretha von Tornflycht<br />
geboren zu Stockholm am 13. Mai 1682<br />
gestorben auf Schloß Divitz am 24. August 1729.<br />
einer 3rau. die ihr ganzes Leben hindurch für ihr Geschlecht<br />
und ihren Stand eine Zierde und ein Beispiel war.<br />
Joh. Xl. V. 25: Jesus sprach zu ihr: Ich<br />
bin die Auferstehung und das Leben- wer an mich<br />
glaubet, <strong>der</strong> wird leben, ob er gleich stürbe.
208 Johannes Graf Lilljenftedts Grabdenkmal.<br />
Außer diesen Inschriften ist schließlich noch die Signatur des<br />
Künstlers zu erwähnen, die sich am Kissen unter dem linken Arm<br />
des Grafen findet: ). L. Xaverv inven(i)t et lecit 1732, zu deutsch:<br />
I. V. Lavery hat (dieses Werk) erfunden und ausgeführt 1732.<br />
Johann Baptist Lavery ist 1697 in Antwerpen geboren und<br />
lernte zunächst in <strong>der</strong> Werkstatt seines Vaters Albert, eines wenig<br />
bekannten Antwerpener Bildhauers. Nach längerem Studium in<br />
Italien ließ er sich im Haag nie<strong>der</strong>, wo er 1742, also in verhältnismäßig<br />
jungen Jahren starb^). Lavery ist vor allem auf dem Gebiet<br />
des Grabmals und <strong>der</strong> Bildnisbüste tätig gewesen, hat aber<br />
auch Architekturplastik und Kleinfiguren (aus Elfenbein usw.) hervorgebracht.<br />
Werke seiner Hand finden sich namentlich im Haag,<br />
in Haarlem, Amsterdam und zahlreichen an<strong>der</strong>en holländischen Orten.<br />
Vorübergehend scheint sich <strong>der</strong> Meister auch in Deutschland aufgehalten<br />
zu haben. Im Landesmuseum zu Kassel werden außer einer<br />
Marmorbüste des Landgrafen Friedrichs I. von Hessen-Kassel (1738)<br />
nicht weniger als acht Tonmodelle von Favern aufbewahrt, <strong>der</strong>en<br />
größerer Teil vermutlich als Gartenfiguren ausgeführt werden<br />
sollte^). Wahrscheinlich ist Xavern auch in Ttralsund gewesen. Die<br />
geschickte Art, in <strong>der</strong> das Lilljenstedt-Grabmal <strong>der</strong> Architektur eingefügt<br />
ist, weist darauf hin, daß sich <strong>der</strong> Künstler an Ort und<br />
Stelle umgesehen hat. Ob aber die Ausführung in Stralsund erfolgte,<br />
bleibt einstweilen ungewiß- das Denkmal könnte im Haag<br />
hergestellt, auf dem Wasserweg nach Stralsund verschickt und hier<br />
nach einer Skizze des Meisters aufgerichtet sein"). Lei<strong>der</strong> sind wir<br />
im einzelnen überhaupt sehr schlecht über Xaverys Leben und Tätigkeit<br />
unterrichtet. Die kunstgeschichtliche Literatur pflegt zwar, so-<br />
') Die in <strong>der</strong> Literatur gelegentlich vertretene Annahme, <strong>der</strong> Meister habe<br />
bis 1752 gelebt, stimmt nicht. In einem Testament vom 9. Juli 1744 vermachen<br />
oer Amsterdamer Maler Jakob de Witte und seine Gattin einen<br />
Teil ihres Vermögens an Iosepha und Jakob Tavery, Kin<strong>der</strong>n des verstorbenen<br />
(!) Bildhauers I. B. Xavery, die in ihrem Hause wohnen. Vgl.<br />
Quellenstudien zur holt. Kunstgeschichte Bd. VII (Kiinstlerinoentare 3. Teil)<br />
Haag. 1917, S. 755.<br />
s) Ein weiteres Modell, die Fesselung des Marsyas darstellend, wuröe<br />
dem Meister nicht ohne Wi<strong>der</strong>spruch zugeschrieben, weshalb ich hier und in<br />
folgendem davon absehe. — Iac. Hoffmeister, Gesammelte Nachrichten über<br />
Künstler und Kunsthandwerker in Hessen (Hannover 1885) S. 155 nennt<br />
Faoern „Bildhauer Zu Cassel".<br />
9) Marchals Angabe, Lavery habe für Wi s m ar das Grabmal des<br />
Grafen Lelienth al geschaffen, beruht offenbar auf einer Verwechslung<br />
mit dem Stralsun<strong>der</strong> Lilljenstedt-Monument, das anscheinend als Werk<br />
Faverys doch nicht ganz vergessen war.
Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal. 209<br />
weit sie die nie<strong>der</strong>ländische Bildhauerkunst des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
ausführlicher behandelt, seinen Namen und auch das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Werk seiner Hand zu erwähnen, aber es fehlt noch an einer monographischen<br />
Behandlung des Künstlers und einer systematischen<br />
Veröffentlichung seiner Arbeiten. Weitaus das meiste ist noch niemals<br />
abgebildet, ja anscheinend überhaupt noch nicht aufgenommen,<br />
sodaß es einstweilen ein hoffnungsloses Unternehmen wäre, die<br />
kunstgeschichtliche Stellung und die künstlerische Entwicklung des<br />
Meisters auch nur in den größten Linien andeuten zu wollen. Nur<br />
zu <strong>der</strong> Bewertung, die Xavery in <strong>der</strong> kunstgeschichtlichen Literatur<br />
gefunden hat. sei hier kurz Stellung genommen. Das abschätzige<br />
Urteil, das Paul Vitry^) fällt, in dem er von alle^orie3 333e?<br />
dana1e3 und bu3te3 oikicie^ 333e? meäj0cre3 spricht, ist zweifelsohne<br />
zu hart. Xavery ist gewiß keiner <strong>der</strong> ganz Großen im Reich<br />
<strong>der</strong> Bildhauerkunst, aber mindestens seine Porträts und seine Putten<br />
gehören zu den besseren <strong>der</strong> Ieit. und von seinen zahlreich erhaltenen<br />
Modellen hat A. E. Brinckmann mit Recht in sehr anerkennendem<br />
Ton gesprochen"). Ein abschließendes Urteil über den Künstler<br />
wird aber erst gefällt werden können, wenn einmal seine Werke<br />
sorgfältig gesammelt und in guten Abbildungen veröffentlicht sind.<br />
Dazu wollen die vorliegenden Zeilen anregen, damit zugleich in bescheidenem<br />
Maße den Anfang machen.<br />
")) Bei Andre Michel, »iätoire cie 1'^rt Bd. VII. 1. S. 354. Paris 1923.<br />
n) Die Ansicht van Gel<strong>der</strong>s 1 .,voos een figuur van 6en tweeclen ran^,<br />
voor een 6er beäten onäer 6e kunztenaarz, 6ie wij toen beraten, rna^ nij<br />
tocn xeker clocll^aan" trifft zweifellos das Richtige.
Anhang.<br />
Verzeichnis <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Literatur erwähnten Werke des Bildhauers<br />
I. B. Xavery (1697—1742).<br />
Vorbemerkung: Der Redaktion oon Thieme-Beckers Künstlerlexikon<br />
bin ich für den Nachweis <strong>der</strong> Laoery-Literatur zu großem<br />
Dank verpflichtet. Ich habe alles erreichbare Material eingesehen,<br />
aber mit geringen Ausnahmen nur wenig Brauchbares gefunden.<br />
Um an<strong>der</strong>en die gleiche Arbeit Hu ersparen, gebe ich im Folgenden<br />
eine Zusammenstellung <strong>der</strong> mir aus literarischen Erwähnungen bekannt<br />
gewordenen Arbeiten Haverys, für <strong>der</strong>en Authentizität ich<br />
mich allerdings nicht in allen Fällen verbürgen kann. Die datierten<br />
Denkmäler sind in chronologischer Ordnung an die Spitze gestellt,<br />
es folgen die, <strong>der</strong>en Aufenthaltsort bekannt ist, in alphabetischer<br />
Reihe- zum Schlüsse werden die Werke unbekannten Aufenthaltsortes<br />
genannt. Den einzelnen Denkmälern füge ich die wichtigste<br />
Literatur in abgekürztem Iitat bei- ausführliche Literaturangaben<br />
im Folgenden. „Abb." bedeutet, daß das betreffende Werk in <strong>der</strong><br />
angeführten Quelle abgebildet ist.<br />
G. K. Nagler, Neues allgemeines Kiinstlerlerikon Bd. 22 München 1852).<br />
S. 162.<br />
Georg G alla nd. Geschichte <strong>der</strong> holländischen Baukunst und Bildnerei,<br />
Frankfurt a. M. 1890, E. 360 und passim.<br />
Edmond Marchal, l^a sculpture et les (.nefs-d'oeuvre de l'ortevrerie Zeltes,<br />
Brüssel 1895, S. 476.<br />
Alfred von Wurzbach, Nie<strong>der</strong>ländisches Künstlerlcxikon II, 1910, S. 562.<br />
H. E. van Gel<strong>der</strong>, >Verk van oucle ttaa^cke Leelcinouxvers, ^Neciecleelm^en<br />
van 6en clienst voor Kunden en >veten3cn3priel, 6er 55emeente<br />
'Z-QsIvennI^e. II, Nr. 2. 1920, S. 55 ff.<br />
A. E. Vrinckmann. Varock-VozZetti III, 3rankfurt a. M. 1925, S. 64 ff.<br />
und Tafel 31—86.<br />
A. E. Vri n ckm ann , Varockskulptur sHnnob. d. Kunstwissenschaft) S. 385.<br />
1. Amsterdam, Rijksinuseum, Ilußgott, Tonmodell. 172l). Adb. Brinckmann<br />
III, Taf. 31.<br />
2. Heusden ^Holland), Grabmal des Barons von Iriesheim.<br />
Galland. Marchal, v. Wurzbach. Vgl. Nr. 3.
Johannes Graf Lilljenstedts Grabdenkmal. 211<br />
3 A m st ero a m , Rijksmuseum, Tonmodell zum Grabmal Heusden. 1728,<br />
Abb. A. E. Vrinckmann. Barockskulptur S. 385. van Gel<strong>der</strong>. (Nach<br />
einer von <strong>der</strong> Direktion des Rijksmuseums freundlichst zur Perfügung<br />
gestellten Photographie zu schließen, bildet das Modell eine interessante<br />
Parallele zum Grabmal Lilljenstedt.)<br />
4. Amsterdam, Retrospektive Ausstellung 1883, Faun und Faunin.<br />
Elfenbeinstatuetten, 1729. Christ. Scherer, Elfenbeinplastik seit <strong>der</strong> Renaissance.<br />
Leipzig 1902, S. 45. (Identisch mit Zwei von Nagler erwähnten<br />
Elfenbeinstatuetten' die 1817 verkauft wurden?)<br />
5. Haag, Mauritshuis, Viiste des Statthalters Wilhelm IV., 1733. Vgl.<br />
Nr. 8 Nagler, Marchai. Vitry (bei A. Michel), v. Wurzbach.<br />
6. Haag. Rathaus, Giebelrelief. Nagler, Galland, Marchal. v. Wurzbach,<br />
van Gel<strong>der</strong>.<br />
7. Haag, Gemeente-Museum, Tonmodell zum Giebelrelief am Rathaus<br />
(Nr. 6). 1734. van Gel<strong>der</strong>. Abb.<br />
8. Haag. Mauritshuis. Büste <strong>der</strong> Gattin des Statthalters Wilhelm lV.,<br />
. 1736. Vgl. Nr. 5. Nagler, Marchal. Vitry (bei A. Michel), v. Wurzbach.<br />
9. Cassel, Landesmuseum. Sechs Putten (Vier Jahreszeiten, Luft. Wasser).<br />
Tonmodelle. 1737. Brinckmann III. Taf. 32—34 (Abb.). und Bauund<br />
Kunstdenkmäler im Rcg.-Vez. Lasset VI (Cassel-Stadt. Cassel 1923),<br />
Taf. 217 (Abb.)<br />
11). Cassel. Landesmuseum. Büste Landgraf Wilhelms VIII., Tomnodell.<br />
1737. Vrinckmann III, Taf. 35 (Abb.), und Bau- und Kunstdenkmäler<br />
Taf. 482 (Abb.).<br />
11. Cassel, Landesmuseum, Büste Landgraf Friedrichs I., Tonmodell.<br />
Brinckmann III. Taf. 35 (Abb.). und Bau- und Kunstdenkmäler Taf. 482<br />
(Abb.). Vgl. Nr. 12.<br />
12. Cassel, Landcsmuseum, Büste Landgraf Friedrichs I. (Königs von<br />
Schweden), Marmor-Ausführung, 1738. Brinckmann lU. 2. 69 (Abb.),<br />
und Bau- und Kunstdenkmäler Taf. 480 (Abb.). Vgl. Nr. 11.<br />
13. Haag. Gemeente-Museum, Iwei Karyatiden (Diana und Herkules).<br />
Tonmodelle. 1740. van Gel<strong>der</strong> S. 58 (Abb.). Brinckmann III 3. 71<br />
(Abb.).<br />
14. Haag?, Privatbesitz. Iwei Karyatiden (Juno und Jupiter), in enger<br />
Anlehnung an Nr. 13. van Gel<strong>der</strong> S. 60 (Abb.).<br />
1. Breda, Statue des Mars, ehemals vor dem Kastell aufgestellt. Nagler.<br />
Galland. Marchal, v. Wurzbach.<br />
2. Dongjum (Friesland), Grabmal des Sicco von Goslinga und seiner<br />
Gattin. Oalland, v. Wurzbach.<br />
3. Haag, Grabmal oes Admirals Landgrafen von Hessen-Philippsthal,<br />
f 1721. Galland, v. Wurzbach.<br />
4. Haag, Statthalterpalais. Oraniensaal, Relief mit Apollo und Diana.<br />
Marchal.<br />
5. H a arle m, St. Bavo, Relief zur Erinnerung an die Stiftung <strong>der</strong><br />
Orgel. Nagler, Galland. Marchal (,1730"). v. Wurzbach.
212 Johannen Graf Lilljenstedts Grabdenklnal.<br />
0. Paris, Coll. Irancois Ilameng, Büste eines Herrn. ,,l_e3 ^rts<br />
Nr. 165, S. 7. und Nr. 167. S. 21 (Abb.). (Identisch mit einer <strong>der</strong> unter<br />
(^ 1—4 genannten Büsten?)<br />
7. Tiel (Gel<strong>der</strong>n), Grootekerk. Grabmal des Varons Steoen »an Wel<strong>der</strong>cn,<br />
f 1709. Galland, Marchai, n. Wurzbach.<br />
8. W y ck e l (3riesland), Kirche. Grabmal des Ingenieurs Menno van Toehoorn,<br />
f 1704. Galland (als fraglich), ri. Wurzbach.<br />
9. 3 cnning h (Gel<strong>der</strong>n), Kirche, Grabmal des Generals Graf rwn Hompesch.<br />
Marchai.<br />
1. Büste des holländischen Staatssekretärs Iagel. Nagler.<br />
2. Büste des Prinzen Eugen non Saooyen. Marchai.<br />
3. Büste des Herzogs von Malborough. Marchai.<br />
4. Büste des Malers Balthasar Dcnner. Nagler, Marchal.<br />
5. Zwölf kleine Palmholzfiguren. 'Nagler. 1817 versteigert.<br />
6. „Zahlreiche Skulpturen für die Gärten und Paläste des Prinzen Wilhelms<br />
IV." Wurzbach. Bgl. ^ 5 und 8 und L 4.
Tafel I<br />
^tralsund, Marienkirche:<br />
Grabmal Dos Grafen Lilljenstcdt von Z. V.
Tafel II<br />
59<br />
.^. "
,7)
Verlag Leon Sauniers Buchhandlung in Stettin.<br />
Mönchenstraße 12-13.<br />
Hie Mister und Master <strong>der</strong> Nrovinz Dommern<br />
von Gehelmrat Dr. Hoogeweg.<br />
Dieses Klosterbuch umfaßt alle Stifter und Klöster Pommerns, auch die<br />
Ritterorden, und gibt auf Grund aller erreichbaren Archivalien und sonstigen<br />
Quellen und unter Benutzung <strong>der</strong> einschlägigen Literatur eine Darstellung <strong>der</strong><br />
Geschichte jedes einzelnen Klosters von <strong>der</strong> Gründung bis zur Aufhebung.<br />
Da <strong>der</strong> gesamte urkundliche Stoff bearbeitet ist, wird das Buch auch für den<br />
Fachmann nach dem Jahre 1325, dem Schluhjahr des Pomm. Nrkundenbuches,<br />
viel Neues bieten und vielleicht noch für lange Zeit die einzige Quelle bleiben.<br />
Band I 46 Bogen mit 2 Karten brosch. 13 M., Halbleinen gbd.<br />
15 M., Ganzleinen gbd. 16.50 IN.<br />
Band II 66 Bogen stark mit 2 Karten, brosch. 15,50IM., Halbleinen<br />
18,50 3N., Ganzleinen 19,50 M.<br />
Glisabeth, Drinzesstn von Mrauufchweig,<br />
eine ungekrönte preußische Hrinzesstn<br />
von Professor Dl. O. Altenburg.<br />
Auf Grund eines umfangreichen Quellenmaterials behandelt <strong>der</strong> Verfasser<br />
zum ersten Mal das Schicksal <strong>der</strong> früh geschiedenen Gemahlin König Friedrich<br />
Wilhelms II.; ihre langjährige Verbannung in Stettin bietet wertvolle Beiträge<br />
zum gesellschaftlichen und geistigen Leben des 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Halbleinen gbd. 3.30 M.<br />
Heimatkunde und Mimätschutz.<br />
Ein Verzeichnis wichtiger Schriften, vornehmlich Pommern betreffend.<br />
Herausgegeben vom Bund Heimatschuß Landesverein Pommern E. V.<br />
Bearbeitet von R. Nesch, Stettin.<br />
Ein Wegweiser und Ratgeber durch die reiche Literatur unserer Heimatprovinz.<br />
Für jedes Sachgebiet ist aus dem sehr umfangreichen Schrifttum<br />
das Wesentliche und Empfehlenswerte herausgehoben. Brosch. 0,50 M.<br />
Goldaten und Garnisonen in Hommern und im Mezirk<br />
des ll. Armeekorps<br />
von Albedyll.<br />
Männer, die einst mit Stolz und Freude den Rock eines <strong>der</strong> pommerschen<br />
Truppenteile getragen haben, leben noch und werden sich die Treue und<br />
Anhänglichkeit an ihr altes Regiment, an ihre alte Truppe bewahren. Für<br />
sie in erster Linie ist dieses Buch bestimmt, das ihnen Erinnerungen an ihre<br />
alten Truppenteile bringen soll. Aber nicht nur <strong>der</strong> Truppe soll gedacht<br />
werden, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Städte, in denen die pommerschen Regimenter und<br />
Formationen in Garnison gestanden haben. Kart.3,50M.,Halbleinen 4,503K.<br />
Hie älteren Mettiner Mraßennamen im Kahmen <strong>der</strong><br />
älteren Otadtentwickelunn<br />
von Lemcke-Fredrlch. 2. verm. Auflage.<br />
Der neue Herausgeber gibt entsprechend <strong>der</strong> fortgeschrittenen Forschung,<br />
an <strong>der</strong> er selbst starken Anteil hat, soviel Neues und soviel mehr, daß <strong>der</strong><br />
Umfang des Werkes sich verdoppelt hat. Beson<strong>der</strong>s erweitert sind die Teile<br />
über die ältere Entwicklung <strong>der</strong> Naugeschichte <strong>der</strong> Stadt. Neu sind die Pläne<br />
und Ansichten. — Die Arbeit gilt mit Recht als eine <strong>der</strong> besten wissenschaftlichen.<br />
Kart. 2,80 M., Halbleinen 3,60 M.
Von <strong>der</strong> Gesellschaft für Pommersche Geschichte und<br />
Altertumskunde sind herausgegeben in Leon Sauniers Buchhandlung<br />
in Stettin:<br />
I. Fnventar <strong>der</strong> Baudenkmäler Wommerns.<br />
Teil l:<br />
Die Baudenkmäler ües Aegierungs-Bezirks Strslsund.<br />
Bearbeitet von G. von Haselberg.<br />
Kreise Franzburg 2,— M., <strong>Greifswald</strong> 4,— M., Grimmen 2,— M.,<br />
Rügen* und Stralsund 5,— M.<br />
Teil ll:<br />
Die Ball- und Kunstöenkmäler des Aegierungs-<br />
Bezirks Stettin.<br />
Bearbeitet von H. Lemcke.<br />
Band I KreiseDemmin*, Anktam*, Uckermünde 5,— M. und Usedom-<br />
Wollin*. Band II Kreise Randow*, Greifenhagen 8,— M. und<br />
Pyrih 8,— M., Anhang Pyrißer Weizacker 10,— M. Band III<br />
Kreise Saßig 7,— M., Naugard 7,— M. und Regenwalde 10,— M.<br />
Band IV Kreis Greifenberg 10,— M., Kreis Kammin in Vorbereitung.<br />
Band V Das Königliche Schloß in Stettin 7,— 3N.<br />
Teil III:<br />
Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungs-<br />
Bezirks Köslin.<br />
Bearbeitet von L. Vöttger und H. Lemcke.<br />
Band I Kreise Köslin und Kolberg-Körlin*, Beigard*, Schlawe*.<br />
Band II Kreis Stolp*, Kreise Nütow und Lauenburg 10,— M. —<br />
Jedes Heft auch einzeln.<br />
Sämtliche Hefte nur brosch. erhältlich.<br />
* Die mit einem Stern versehenen Hefte sind vergriffen.<br />
II. Knellen zur pommerschen Oeschichte.<br />
1. Das älteste Stadtbuch <strong>der</strong> Stadt Garz a. R. Herausgegeben<br />
von G. von Rosen. 1885. Nrosch. 4,— M.<br />
2. Urkunden und Copiar des Klosters Neuenkamp. Herausgegeben<br />
von F. Fabricius. 1891. Brosch. 6,— M.<br />
3. Das Rügische Landrecht des Matthäus Normann.<br />
Herausgegeben von G. Frommhold. 1896. Brosch. 7,— M.<br />
4. Johannes Bugenhagens Pomerania. Herausgegeben von<br />
O. Helnemann. 1900. Brosch. 7,— M.<br />
5. l^iber beneNciorum des Karthäuserklosters Marienkron<br />
bei Rügenwalde. Bearbeitet von Hugo Lemcke. 1922.<br />
Brosch. 10,- M.<br />
Die Alte Folge <strong>der</strong> <strong>Baltische</strong>n <strong>Studien</strong> weist schon starke<br />
Lücken auf. Die Neue Folge <strong>der</strong> <strong>Baltische</strong>n <strong>Studien</strong> ist bis<br />
auf Band 15 und 23 lieferbar.