RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
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90 Erste Berliner Jahre<br />
kommt das folgende in Betracht. Ich hatte, wenn ich in dieser<br />
Zeit das Wort 'Christentum' schrieb, die Jenseitslehre im Sinne,<br />
die in den christlichen Bekenntnissen wirkte. Aller Inhalt<br />
des religiösen Erlebens verwies auf eine Geistwelt, die für den<br />
Menschen in der Entfaltung seiner Geisteskräfte nicht zu erreichen<br />
sein soll. Was Religion zu sagen habe, was sie als sittliche<br />
Gebote zu geben habe, stammt aus Offenbarungen, die von<br />
außen zum Menschen kommen. Dagegen wendete sich meine<br />
Geistanschauung, die die Geistwelt genau wie die sinnenfällige<br />
im Wahrnehmbaren am Menschen und in der Natur erleben<br />
wollte. Dagegen wendete sich auch mein ethischer Individualismus,<br />
der das sittliche Leben nicht von außen durch Gebote<br />
gehalten, sondern aus der Entfaltung des seelisch-geistigen<br />
Menschenwesens, in dem das Göttliche lebt, hervorgehen lassen<br />
wollte.<br />
Was damals im Anschauen des Christentums in meiner Seele<br />
vorging, war eine starke Prüfung für mich. Die Zeit von meinem<br />
Abschiede von meiner Weimarer Zeit bis zu der Ausarbeitung<br />
meines Buches: 'Das Christentum als mystische<br />
Tatsache' ist von dieser Prüfung ausgefüllt...<br />
Ich fand das Christentum, das ich suchen mußte, nirgends in<br />
den Bekenntnissen vorhanden. Ich mußte mich, nachdem die<br />
Prüfungszeit mich harten Seelenkämpfen ausgesetzt hatte, selber<br />
in das Christentum versenken, und zwar in der Welt, in der<br />
das Geistige darüber spricht (...) Was im 'Christentum als mystische<br />
Tatsache' an Geist-Erkenntnis gewonnen ist, das ist aus<br />
der Geistwelt selbst unmittelbar herausgeholt (...) Auf das geistige<br />
Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha in<br />
innerster ernstester Erkenntnis-Feier kam es bei meiner Seelen-<br />
Entwickelung an» (636,270ff.).<br />
Welcher Christus ist es nun, den Steiner «bekennt»? Offensichtlich<br />
nicht der Christus, wie ihn die in ihrem Literalsinn und<br />
Gesamtzusammenhang verstandene Bibel und die daraus zusammengefaßten<br />
kirchlichen Bekenntnisse lehren. Klaus von<br />
Stieglitz hat in seiner Dissertation über «Die Christosophie<br />
Rudolf Steiners» die Andersartigkeit des Steinerschen Christusverständnisses<br />
nachgewiesen: