RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE

RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE

04.07.2013 Aufrufe

78 Weimarer Zeit daß selbst Nietzsche in den Augen Steiners nicht radikal genug war. So bezeichnet Steiner es in seinem 1895 veröffentlichten Buch «Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit» als verhängnisvoll, daß der «Philosoph mit dem Hammer» an Schopenhauer anstatt an den Künder eines absoluten Individualismus, Max Stirner, anknüpfte. Hätte er dies getan, dann wäre er noch viel weiter vorgeprescht, denn Stirners «auf sich selbst gestellte(r), nur aus sich heraus schaffende(r) Eigner ist Nietzsches Übermensch» (621, 99). Steiner findet bei Stirner etwas, was bei Nietzsche fehlt: «die allseitig entwickelten Lebenskräfte, die ungehemmt ihrer Naturtendenz folgen». Bei Stirner atme man «in noch reinerer Luft als bei Nietzsche» (39, 255). Vielleicht hängt es mit diesen radikalen Ansichten Steiners zusammen, daß ihm die angestrebte Dozentur in Jena 1895 endgültig versagt bleibt. Steiner gibt seinem Vorgesetzten, Bernhard Suphan, die Schuld, dem die Nietzsche-Begeisterung wie auch die Philologie-Feindlichkeit seines Mitarbeiters sicher nicht verborgen geblieben waren. In einem Brief an Pauline und Ladislaus Specht vom 23.12.1895 entlädt Steiner seinen ganzen Haß über Suphan: «Nun ist zweifellos, daß nach dem, was ich geleistet habe, diese Privatdozentur ein Pappenstiel sein müßte von Seiten derer, die sie mir zu gewähren haben. Nun aber steht dem entgegen, daß ich hier einen Mann zum Vorstand (Direktor des Archivs) habe, der seit Jahren bemüht ist, mich als Null erscheinen zu lassen (...) Ich weiß jetzt, daß ich in dem Augenblick, als ich hierherging, verraten und verkauft war. Ich muß die Weimarer Jahre einfach für verloren geben. Nur wer die Dinge aus der Nähe gesehen hat, weiß, welche ekelerregende Atmosphäre ein kleiner Fürstenhof um sich verbreitet.» Und er fügt in geradezu prophetischer Weise hinzu: «Ich werde mein Ziel doch erreichen. Ich muß es eben ohne Weimar. Wie, das wird sich finden» (39, 273). Doch bald türmen sich weitere Widerstände auf.

Weimarer Zeit 79 1896: Streit mit Elisabeth Förster-Nietzsche Im Spätsommer 1896 wird die Nietzsche-Bibliothek von Naumburg nach Weimar gebracht, um später dem Goethe- Schiller-Archiv eingegliedert zu werden. Da geht plötzlich das Gerücht durch die Zeitungen, Rudolf Steiner sei an der Herausgabe von Nietzsches Werken beteiligt. Dies führt zu schlimmen Mißverständnissen zwischen ihm sowie Elisabeth Förster-Nietzsche und dem Herausgeber Fritz Koegel, den Steiner schon 1895 in Naumburg kennengelernt hatte. Steiner dementiert. Im «Lebensgang» äußert er rückblickend: «Eine Zeitlang habe ich mit dem Herausgeber von Nietzsches Werken, Fritz Koegel, viel verkehrt. Manches auf die Nietzsche-Ausgabe Bezügliche haben wir durchgesprochen. Eine offizielle Stellung im Nietzsche-Archiv oder zur Nietzsche- Ausgabe habe ich nie gehabt. Als Frau Förster-Nietzsche mir eine solche anbieten wollte, führte gerade das zu Konflikten mit Fritz Koegel, die fortan mir jede Gemeinsamkeit mit dem Nietzsche-Archiv unmöglich machten» (636,192). Der Konflikt zwischen Steiner, Koegel und der Schwester Nietzsches erreicht seinen Höhepunkt im Dezember 1896, als diese hinter dem Rücken Koegels, mit dem sie sich offensichtlich zerstritten hat, Steiner an dessen Stelle setzen möchte. Eine Fülle von Briefen aus dieser Zeit belegt das unglückliche Dreierverhältnis dieser Personen und das Leiden Steiners unter dieser Situation. So klagt er am 10. Dezember seiner Geliebten, Anna Eunike, die inzwischen nach Berlin umgezogen ist, in einem Brief: «Die Dinge, die Frau Förster macht, sind einfach unerhört. Sie will mit den Menschen spielen, wie es ihr beliebt» (39, 306). Und am 14.12.: «Diese Frau ist imstande, das frivolste Spiel mit Menschenleben zu treiben, das auszudenken ist. Dabei dreht sie die Worte im Munde herum, sagt in einem Satze fünf Unwahrheiten, verletzt die Leute, maskiert ihre eigentlichen Absichten immer und spielt stets das unschuldig verfolgte Opfertier» (39,308). Trotz solcher Übertreibungen dürfte Steiners im Zorn geschriebene Charakterisierung doch ein Körnchen Wahrheit ent-

Weimarer Zeit 79<br />

1896: Streit mit Elisabeth Förster-Nietzsche<br />

Im Spätsommer 1896 wird die Nietzsche-Bibliothek von<br />

Naumburg nach Weimar gebracht, um später dem Goethe-<br />

Schiller-Archiv eingegliedert zu werden. Da geht plötzlich das<br />

Gerücht durch die Zeitungen, Rudolf Steiner sei an der Herausgabe<br />

von Nietzsches Werken beteiligt. Dies führt zu schlimmen<br />

Mißverständnissen zwischen ihm sowie Elisabeth Förster-Nietzsche<br />

und dem Herausgeber Fritz Koegel, den Steiner<br />

schon 1895 in Naumburg kennengelernt hatte. Steiner dementiert.<br />

Im «Lebensgang» äußert er rückblickend:<br />

«Eine Zeitlang habe ich mit dem Herausgeber von Nietzsches<br />

Werken, Fritz Koegel, viel verkehrt. Manches auf die Nietzsche-Ausgabe<br />

Bezügliche haben wir durchgesprochen. Eine<br />

offizielle Stellung im Nietzsche-Archiv oder zur Nietzsche-<br />

Ausgabe habe ich nie gehabt. Als Frau Förster-Nietzsche mir<br />

eine solche anbieten wollte, führte gerade das zu Konflikten mit<br />

Fritz Koegel, die fortan mir jede Gemeinsamkeit mit dem<br />

Nietzsche-Archiv unmöglich machten» (636,192).<br />

Der Konflikt zwischen Steiner, Koegel und der Schwester<br />

Nietzsches erreicht seinen Höhepunkt im Dezember 1896, als<br />

diese hinter dem Rücken Koegels, mit dem sie sich offensichtlich<br />

zerstritten hat, Steiner an dessen Stelle setzen möchte. Eine<br />

Fülle von Briefen aus dieser Zeit belegt das unglückliche<br />

Dreierverhältnis dieser Personen und das Leiden Steiners unter<br />

dieser Situation. So klagt er am 10. Dezember seiner Geliebten,<br />

Anna Eunike, die inzwischen nach Berlin umgezogen<br />

ist, in einem Brief: «Die Dinge, die Frau Förster macht, sind<br />

einfach unerhört. Sie will mit den Menschen spielen, wie es ihr<br />

beliebt» (39, 306). Und am 14.12.: «Diese Frau ist imstande,<br />

das frivolste Spiel mit Menschenleben zu treiben, das auszudenken<br />

ist. Dabei dreht sie die Worte im Munde herum, sagt in<br />

einem Satze fünf Unwahrheiten, verletzt die Leute, maskiert<br />

ihre eigentlichen Absichten immer und spielt stets das unschuldig<br />

verfolgte Opfertier» (39,308).<br />

Trotz solcher Übertreibungen dürfte Steiners im Zorn geschriebene<br />

Charakterisierung doch ein Körnchen Wahrheit ent-

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