RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
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74 Weimarer Zeit<br />
«Da lag der Umnachtete mit der wunderbar schönen Stirne,<br />
Künstler- und Denkerstirne zugleich, auf einem Ruhesofa. Es<br />
waren die ersten Nachmittagsstunden. Diese Augen, die im Erloschensein<br />
noch durchseelt waren, nahmen nur noch ein Bild<br />
der Umgebung auf, das keinen Zugang zur Seele mehr hatte (...)<br />
Und so stand vor meiner Seele: Nietzsches Seele wie schwebend<br />
über seinem Haupte, unbegrenzt schön in ihrem Geisteslichte;<br />
frei hingegeben geistigen Welten, die sie vor der Umnachtung<br />
ersehnt, aber nicht gefunden; aber gefesselt noch an<br />
den Leib, der nur so lange von ihr wußte, als diese Welt noch<br />
Sehnsucht war» (636,189).<br />
Von Nietzsche empfängt Steiner im Blick auf die Ausbildung<br />
der Anthroposophie vor allem zwei Impulse: die Idee vom<br />
Übermenschen und eine weitere Bestätigung seiner Vorstellung<br />
von der Reinkarnation. Beide Gedanken werden z.B. in<br />
Nietzsches bekanntestem Werk «Also sprach Zarathustra» -<br />
stilistisch und inhaltlich eine Art Gegenbuch zum Johannes-<br />
Evangelium - in dichterisch packender Form ausgeführt. So<br />
läßt Nietzsche seinen Zarathustra ausrufen:<br />
«Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser<br />
Gott war eure größte Gefahr. Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst<br />
wieder auferstanden. Nun erst kommt der große Mittag, nun<br />
erst wird der höhere Mensch - Herr! Verstandet ihr dies Wort,<br />
o meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird euren Herzen<br />
schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der<br />
Höllenhund? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun<br />
erst kreißt der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun<br />
wollen wir- daß der Übermensch lebe» (Nietzsche 1985,274).<br />
Und gegen die christliche Ethik der Nächstenliebe wie auch<br />
gegen die Schopenhauersche Mitleidsethik gerichtet, betont er:<br />
«Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein erstes und<br />
einziges - und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der<br />
Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste (...) 'Der Mensch<br />
ist böse' - so sprachen mir zum Tröste alle Weisesten. Ach,<br />
wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen<br />
beste Kraft.» Gemeint ist das Streben des Menschen nach<br />
seiner Selbsterhöhung, das in der Bibel als böse und als Wesen