RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
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Wiener Jahre 51_<br />
nide» zu entwerfen. «Sie wollte das Gegenbild Gottes als das<br />
Urwesen darstellen, das in der grausamen, ideenlosen, zermalmenden<br />
Natur die für den Menschen sich offenbarende Macht<br />
ist. Sie sprach mit wahrer Genialität von dieser aus dem Abgrund<br />
des Seins herauf dieses Sein beherrschenden Gewalt. Ich<br />
ging tieferschüttert von der Dichterin weg. Die Größe, mit der<br />
sie gesprochen hatte, stand vor mir» (636,91).<br />
Steiners Reaktion darauf ist die Absage sowohl an den Pessimismus<br />
als auch an den traditionellen Gottesglauben - und im<br />
Gegenzug dazu die Inthronisation des freien, autonomen Menschen.<br />
In seinem 1886 veröffentlichten Aufsatz «Die Natur und<br />
unsere Ideale» sieht er den Kern zu seiner späteren «Philosophie<br />
der Freiheit» gelegt. Die Erhebung aus dem Pessimismus<br />
wird seiner Ansicht nach möglich, «wenn ich auf die Welt unseres<br />
Innern schaue (...) Ein erkennendes Wesen kann nicht unfrei<br />
sein. Es bildet die Gesetzlichkeit zuerst in Ideale um und<br />
gibt sich diese selbst zum Gesetze. Wir wollen endlich zugeben,<br />
daß der Gott, den eine abgelebte Menschheit in den Wolken<br />
wähnte, in unserem Herzen, in unserem Geiste wohnt. Er<br />
hat sich in voller Selbstentäußerung ganz in die Menschheit<br />
ausgegossen. Er hat für sich nichts zu wollen übrigbehalten,<br />
denn er wollte ein Geschlecht, das frei über sich selbst waltet.<br />
Er ist in der Welt aufgegangen (...) Es gibt einen 'Gott in der Geschichte'<br />
nicht; er hat aufgehört zu sein um der Freiheit der<br />
Menschen willen, um der Göttlichkeit der Welt willen (...) Die<br />
Menschheit ist die Lenkerin ihres eigenen Geschickes» (zit.<br />
nach Wehr 1993,72).<br />
Hier finden wir pantheistische Vorstellungen, die direkt auf<br />
den Atheismus hinauslaufen. Wo Gott tot ist, wird der autonome<br />
Mensch inthronisiert. Der Weg Steiners zu Nietzsche ist<br />
vorgezeichnet, die spätere Begegnung unabwendbar. Und doch<br />
hat Steiner zu diesem Zeitpunkt, wie er sagt, noch nichts von<br />
Nietzsche gelesen. Das sollte erst 1889 geschehen (636,139).<br />
Wie anders lauten hier die Aussagen der Heiligen Schrift!<br />
Marie Eugenie delle Grazie kommt ihnen mit ihrem Pessimismus<br />
im Blick auf die Welt viel näher als Steiner mit seinem humanistischen<br />
Optimismus, auch wenn delle Grazies Denk-