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ARD - Brights - Die Natur des Zweifels

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Farben:<br />

Schwarz: bei der <strong>ARD</strong> unberücksichtigte Interviewpassagen<br />

Rote Namenszüge: Textpassagen, die im Original-Interview an anderer Stelle als im <strong>ARD</strong> Interview<br />

stehen<br />

Grün: Unterschiedliche Übersetzungen, aber weitgehende inhaltliche Übereinstimmung<br />

Grau: Ursprüngliche Stelle im <strong>ARD</strong> Interview, an der die verschobenen Passagen standen<br />

<strong>ARD</strong><br />

www. Russlandonline.ru<br />

Neun Minuten Interview mit Wladimir Putin<br />

im Wortlaut<br />

"Mit Europa und den USA endet die Welt<br />

nicht"<br />

Thomas Roth: Herr Ministerpräsident, nach<br />

der Eskalation in Georgien sieht das Bild in<br />

der internationalen Öffentlichkeit so aus –<br />

damit meine ich Politik, aber auch Presse:<br />

Russland gegen den Rest der Welt. Warum<br />

haben Sie Ihr Land mit Gewalt in diese<br />

Situation getrieben?<br />

Wladimir Putin: Ich bin überzeugt, dass das<br />

Ansehen eines jeden Lan<strong>des</strong>, das im Stande<br />

ist, das Leben und die Würde der Bürger zu<br />

verteidigen, eines Lan<strong>des</strong>, das eine<br />

unabhängige Außenpolitik betreiben kann,<br />

dass das Ansehen eines solchen Lan<strong>des</strong><br />

mittel- oder langfristig steigen wird.<br />

Umgekehrt: Das Ansehen der Länder, die in<br />

der Regel die Interessen anderer Staaten<br />

bedienen, die die eigenen nationalen<br />

Interessen vernachlässigen – unabhängig<br />

davon, wie sie das auch erklären mögen –,<br />

wird sinken.<br />

"Unser Land wird nicht in Isolation<br />

Nachfolgend die Übersetzung <strong>des</strong> Interviews der<br />

<strong>ARD</strong>, welches im russischen Fernsehen gezeigt<br />

wurde<br />

Roth: Sehr geehrter Herr Premierminister. Nach der<br />

Eskalation der Situation in Georgien herrscht im<br />

Westen die öffentliche Meinung vor, nicht nur in der<br />

Politik, sondern auch in den Medien und unter<br />

anderen Menschen, dass sie mit Gewalt eine Situation<br />

aufgebaut haben: Russland gegen den Rest der Welt.<br />

Putin: Was meinen Sie, wer hat diesen Krieg<br />

begonnen?<br />

Roth: Der letzte auslösende Vorfall war der Angriff<br />

Georgiens auf Zchinwali.<br />

Putin: Ich danke Ihnen für diese Antwort. Das ist die<br />

Wahrheit. So war es. <strong>Die</strong>ses Thema werden wir noch<br />

etwas genauer besprechen. Ich will nur anmerken,<br />

dass nicht wir diese Situation geschaffen haben. Jetzt<br />

zur Frage <strong>des</strong> Ansehens Russlands. Ich bin<br />

überzeugt, dass das Ansehen je<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, das in<br />

der Lage ist, das Leben und die Würde seiner Bürger<br />

zu verteidigen, eines Lan<strong>des</strong>, das in der Lage ist, eine<br />

unabhängige Außenpolitik zu realisieren, dass das<br />

Ansehen eines solchen Lan<strong>des</strong> in der Welt mittel- und<br />

langfristig immer wachsen wird. Und umgekehrt wird<br />

das Ansehen solcher Länder, die es zur Regel<br />

gemacht haben die außenpolitischen Interessen<br />

anderer Länder zu bedienen und die eigenen<br />

nationalen Interessen dabei zu vernachlässigen,<br />

unabhängig davon wie sie das begründen, sinken.


geraten"<br />

Roth: Sie haben die Frage trotzdem noch<br />

nicht beantwortet, warum Sie die Isolation<br />

ihres ganzen Lan<strong>des</strong> riskiert haben…<br />

Putin: Ich dachte, geantwortet zu haben,<br />

aber wenn sie zusätzliche Erklärungen<br />

brauchen, das mache ich. Unser Land, das<br />

die Würde und den Stolz unserer Bürger<br />

verteidigen kann, und die außenpolitischen<br />

Verpflichtungen im Rahmen der<br />

Friedensstiftung erfüllen kann, wird nicht in<br />

Isolation geraten. Mit Europa und den USA<br />

endet die Welt nicht<br />

Roth: Sie haben trotzdem die Frage nicht<br />

beantwortet: Warum haben sie das Risiko der<br />

Isolation ihres Lan<strong>des</strong> auf sich genommen?<br />

Putin: Mir kam es so vor, als hätte ich eine Antwort<br />

gegeben. Aber wenn weitere Erläuterungen<br />

erforderlich sind, so werde ich sie liefern. Ich denke,<br />

dass ein Land, in diesem Fall Russland, das in der<br />

Lage ist die Ehre und Würde seiner Bürger, ihr Leben<br />

zu schützen, seine internationalen Verpflichtungen im<br />

Rahmen der Friedensmission zu erfüllen, dass so ein<br />

Land nicht in die Isolation geraten wird, was auch<br />

immer unsere Partner im Rahmen <strong>des</strong> Blockdenkens<br />

in Europa oder USA sagen. Europa und USA sind<br />

noch nicht die ganze Welt.<br />

Und umgekehrt will ich noch einmal unterstreichen,<br />

wenn irgendwelche Staaten der Meinung sind, dass<br />

sie ihre eigenen nationalen Interessen missachten<br />

können, indem sie die Interessen anderer Staaten<br />

bedienen, außenpolitische Interessen. Das Ansehen<br />

dieser Länder, wie auch immer sie ihre Haltung<br />

erklären mögen, wird in der Welt allmählich sinken. In<br />

diesem Zusammenhang, wenn europäische Länder<br />

die außenpolitischen Interessen der USA bedienen<br />

möchten, so werden sie dadurch nach meiner<br />

Meinung nichts gewinnen.<br />

Betrachten wir jetzt unsere internationalen<br />

Verpflichtungen. Nach internationalen Vereinbarungen<br />

haben sich die russischen Friedenstruppen<br />

verpflichtet die Zivilbevölkerung Südossetiens zu<br />

schützen. Erinnern wir uns jetzt an das Jahr 1995 - an<br />

Bosnien. Wie wir alle wissen: <strong>Die</strong> europäischen<br />

Friedenstruppen, die durch niederländische Truppen<br />

vertreten waren, haben eine der Konfliktparteien<br />

gewähren lassen und erlaubten dieser Konfliktpartei<br />

ein ganzes Wohngebiet zu zerstören. Es wurden<br />

hunderte Menschen getötet und verletzt. Das Problem<br />

und die Tragödie von Srebrenica sind in Europa gut<br />

bekannt. Wollten sie etwa, dass wir uns genauso


Roth: Herr Ministerpräsident, Kritiker sagen,<br />

Ihr eigentliches Kriegsziel war gar nicht, nur<br />

die südossetische Bevölkerung – aus Ihrer<br />

Sicht – zu schützen, sondern zu versuchen,<br />

den georgischen Präsidenten aus dem Amt<br />

zu treiben, um den Beitritt Georgiens über<br />

kurz oder lang zur NATO zu verhindern. Ist<br />

das so?<br />

Putin: Das stimmt nicht, das ist eine<br />

Verdrehung der Tatsachen, das ist eine<br />

Lüge. Wenn das unser Ziel gewesen wäre,<br />

hätten wir den Konflikt begonnen.<br />

Aber das hat Georgien gemacht.<br />

Jetzt gestatte ich mir, an die Tatsachen zu<br />

erinnern.<br />

Nach der nicht legitimen Anerkennung <strong>des</strong><br />

Kosovo haben alle erwartet, dass wir<br />

Südossetien und Abchasien anerkennen.<br />

Alle haben darauf gewartet und wir hatten ein<br />

moralisches Recht darauf.<br />

Wir haben uns zurückgehalten. Ja, mehr<br />

noch, wir haben das geschluckt.<br />

Und was haben wir bekommen? Eine<br />

Eskalation <strong>des</strong> Konfliktes. Überfall auf unsere<br />

Friedensstifter. Überfall und Vernichtung der<br />

friedlichen Bevölkerung in Südossetien.<br />

Das sind Tatsachen, die angesprochen<br />

wurden.<br />

verhalten hätten? Fort gegangen wären und den<br />

georgischen Truppen die Möglichkeit gegeben hätten<br />

die Einwohner von Zchinwali zu töten?<br />

Roth: Ihre Kritiker sagen, dass das Ziel Russlands<br />

nicht der Schutz der Zivilbevölkerung war, sondern<br />

der Versuch den Präsidenten Saakaschwili<br />

abzusetzen, Georgien weiter zu <strong>des</strong>tabilisieren, und<br />

somit den Beitritt Georgiens zur NATO zu verhindern.<br />

Ist das so?<br />

Putin: Das ist nicht so. Das ist einfach eine<br />

Verdrehung von Tatsachen. Das ist eine Lüge. Wenn<br />

das unser Ziel gewesen wäre, hätten wir<br />

wahrscheinlich diesen Konflikt begonnen.<br />

Doch wie sie selbst gesagt haben, die georgische<br />

Seite hat diesen Konflikt begonnen.<br />

Jetzt erlaube ich mir, die Fakten der neueren<br />

Geschichte in Erinnerung zu rufen.<br />

Nach der unrechtmäßigen Entscheidung über die<br />

Anerkennung der Unabhängigkeit <strong>des</strong> Kosovo haben<br />

alle erwartet, dass Russland die Unabhängigkeit<br />

Südossetiens und Abchasiens anerkennt. Es ist doch<br />

wirklich so, dass alle diese Entscheidung Russlands<br />

erwartet hatten. Und wir hatten ein moralisches Recht<br />

darauf, aber wir haben es nicht getan. Wir haben uns<br />

mehr als nur zurückhaltend benommen. Ich werde das<br />

nicht weiter ausführen, wir haben es in Wirklichkeit<br />

einfach nur geschluckt.<br />

Und was haben wir im Gegenzug bekommen? Eine<br />

Eskalation <strong>des</strong> Konflikts, einen Angriff auf unsere<br />

Friedenstruppen, den Überfall auf die Zivilbevölkerung<br />

Südossetiens und ihre Vernichtung.<br />

Sie kennen doch die Fakten, was dort vorgefallen ist<br />

und schon veröffentlicht wurde. Der französische<br />

Außenminister war in Nordossetien und hat dort die<br />

Flüchtlinge getroffen. Auch Augenzeugen erzählen,<br />

dass georgische Truppen mit den Panzern Frauen<br />

und Kindern überfahren haben, die Menschen in ihre


Das sind die Menschen, die ihr Land in die<br />

Katastrophe getrieben haben, die georgische<br />

Führung hat das mit eigenen Aktionen<br />

gemacht. <strong>Die</strong> Staatlichkeit <strong>des</strong> eigenen<br />

Lan<strong>des</strong> torpediert.<br />

Solche Menschen sollten keinen Staat<br />

führen, ob groß oder klein. Wären sie<br />

anständige Personen, sollten sie unbedingt<br />

zurücktreten.<br />

Häuser getrieben und dort lebendig verbrannt haben.<br />

Georgische Truppen, als sie Zchinwali eingenommen<br />

haben, warfen einfach so im Vorbeigehen in die Keller<br />

der Wohnhäuser, wo sich Frauen, Kinder und Alte<br />

versteckt hielten, Handgranaten. Was ist das, wenn<br />

nicht ein Genozid?<br />

Jetzt zu der georgischen Führung. Menschen, die ihr<br />

Land auf diese Katastrophe zugesteuert haben. <strong>Die</strong><br />

georgische Führung unterstützte durch ihr Handeln<br />

die Auflösung der territorialen und staatlichen<br />

Integrität Georgiens.<br />

Solche Menschen haben aus meiner Sicht kein Recht<br />

einen Staat zu lenken, weder einen kleinen noch<br />

großen. Wenn sie anständige Menschen wären,<br />

müssten sie sofort selbstständig zurücktreten.<br />

Roth: Das ist nicht ihre Entscheidung, sondern eine<br />

georgische Entscheidung.<br />

Putin: Natürlich. Aber wir kennen auch<br />

Präzedenzfälle anderer <strong>Natur</strong>. Erinnern wir uns, wie<br />

amerikanische Truppen im Irak einmarschiert sind und<br />

was sie mit Saddam Hussein dafür gemacht haben,<br />

dass er einige schiitische Dörfer vernichtet hat. Hier in<br />

den ersten Stunden der Kampfhandlungen wurden<br />

vollständig 10 ossetische Dörfer auf dem Gebiet<br />

Südossetiens zerstört.<br />

Roth: Herr Premierminister. Fühlen sie sich aufgrund<br />

dieser Vorkommnisse berechtigt auf das Gebiet eines<br />

souveränen Staates einzudringen, das heißt: Nicht in<br />

der Konfliktzone zu bleiben, sondern souveränes<br />

Gebiet zu bombardieren. Ich sitze heute hier neben<br />

ihnen nur dank eines Zufalls. 100 Meter von mir<br />

entfernt, in einem Wohngebiet Goris, ist eine Bombe<br />

explodiert. Eine Bombe, die von ihrem Flugzeug<br />

abgeworfen wurde. Ist das nicht eine Verletzung <strong>des</strong><br />

internationalen Rechts, nämlich dass sie de-facto ein<br />

kleines Land besetzt haben? Woher nehmen sie


dieses Recht?<br />

Putin: Natürlich, haben wir ein Recht darauf ...<br />

Roth: Ich will nochmal darauf hinweisen: <strong>Die</strong> Bombe<br />

ist auf ein Wohnhaus abgeworfen worden.<br />

Putin: Selbstverständlich haben wir im Rahmen <strong>des</strong><br />

internationalen Rechts gehandelt. Der Angriff auf<br />

unsere Friedenstruppen, das Töten unserer<br />

Friedenstruppen und unserer Bürger - das alles wurde<br />

von uns eindeutig als ein Angriff auf Russland<br />

gewertet. In den ersten Stunden der<br />

Kampfhandlungen wurden durch georgische Angriffe<br />

sofort einige Dutzend unserer Soldaten getötet. <strong>Die</strong><br />

südliche Stellung unserer Friedenstruppen wurde<br />

durch georgische Panzer umzingelt, die ein direktes<br />

Feuer auf sie eröffnet haben. Als unsere<br />

Friedenstruppen versucht haben, militärisches Gerät<br />

aus den Garagen zu holen, wurden sie mit "Grad"<br />

Raketenwerfern beschossen. 10 Menschen, die sich<br />

in der Abstellhalle befanden, sind sofort getötet<br />

worden. Sie sind lebendig verbrannt.<br />

Ich bin noch nicht fertig. Danach griff die georgische<br />

Luftwaffe verschiedene Punkte in Südossetien an,<br />

nicht in Zchinwali, sondern im Zentrum von<br />

Südossetien selbst. Wir waren gezwungen dazu<br />

überzugehen die Feuerstellungen, die sich nicht in der<br />

Konfliktzone und auch jenseits der Sicherheitszone<br />

befanden, anzugreifen. Doch es waren Orte, von wo<br />

aus die georgischen Truppen gesteuert wurden und<br />

die dazu dienten, russische Truppen und unsere<br />

Friedenstruppen anzugreifen.<br />

Roth: Aber ich habe doch gesagt, dass Wohnhäuser<br />

bombardiert worden sind. Vielleicht verfügen sie nicht<br />

über die ganzen Informationen?<br />

Putin: Ich bin vielleicht nicht komplett informiert. Hier<br />

sind auch Fehler im Verlaufe der Militäroperation


Roth: Der französische Außenminister<br />

Kouchner hat viele Sorgen geäußert in den<br />

letzten Tagen, als Minister der<br />

Ratspräsidentschaft. Er hat auch die Sorge<br />

geäußert, dass der nächste Konfliktherd um<br />

die Ukraine beginnt, nämlich um die Krim,<br />

um die Stadt Sewastopol. Ist die Krim das<br />

nächste Ziel, der Sitz der<br />

Schwarzmeerflotte?<br />

Putin: Sie sagten das nächste Ziel. Wir<br />

haben auch hier kein Ziel gehabt. Deshalb ist<br />

es nicht korrekt, so zu reden.<br />

Und, wenn Sie gestatten, dann bekommen<br />

Sie eine zufriedenstellende Antwort: <strong>Die</strong> Krim<br />

ist kein kritisches Territorium, da hat es<br />

keinen ethnischen Konflikt gegeben, im<br />

Unterschied zum Konflikt zwischen<br />

Südossetien und Georgien. Und Russland<br />

hat längst die Grenzen der heutigen Ukraine<br />

anerkannt. Im Grunde genommen haben wir<br />

die Grenzverhandlungen abgeschlossen. Da<br />

bleiben nur Demarkationsangelegenheiten,<br />

das ist eine technische Angelegenheit. Und<br />

eine solche Frage riecht nach Provokation.<br />

Da gibt es innerhalb der Krim komplizierte<br />

denkbar. Erst vor kurzem hat die US-Luftwaffe<br />

angeblich Taliban angegriffen und auf einen Schlag<br />

beinah einhundert Zivilisten getötet. Das ist die erste<br />

Möglichkeit. Aber die zweite ist wahrscheinlicher. Es<br />

ist so, dass die georgische Seite die<br />

Feuerleitstellungen, die Leitstellen der Luftwaffe und<br />

Radaranlagen öfters gerade in Wohngebieten<br />

stationiert hat. Sie hat das getan mit dem Ziel die<br />

Einsatzmöglichkeiten unserer Luftwaffe zu begrenzen,<br />

indem es die Zivilbevölkerung und sie zu Geiseln<br />

machte.<br />

Roth: Der Außenminister Frankreichs, das gerade die<br />

EU-Präsidentschaft bekleidet, Herr Kouchner hat vor<br />

kurzem seine Besorgnis verkündet, dass die Ukraine<br />

zum nächsten Krisengebiet werden könnte. Genauer<br />

die Halbinsel Krim und die Stadt Sewastopol, die eine<br />

Basis der russischen Schwarzmeerflotte ist. Sind die<br />

Krim und Sewastopol das nächste Ziel für Russland?<br />

Putin: Sie sagten: Nächstes Ziel. Wir hatten auch im<br />

aktuellen Konflikt kein Ziel. Daher denke ich, von<br />

irgendeinem nächsten Ziel zu reden ist einfach nicht<br />

korrekt. Das ist das Erste.<br />

Roth: Schließen sie das aus?<br />

Putin: Wenn sie mir erlauben zu antworten, dann<br />

werde ich alles erklären. <strong>Die</strong> Krim ist kein strittiges<br />

Gebiet. Dort gab es keinen ethnischen Konflikt, im<br />

Gegensatz zu Südossetien und Georgien. Und<br />

Russland hat vor langer Zeit die Grenzen der heutigen<br />

Ukraine anerkannt. Wir haben im Grunde unsere<br />

Gespräche über die Grenzen beendet. Es geht um<br />

Demarkationsfragen, aber das sind schon technische<br />

Dinge. <strong>Die</strong> Frage über irgendwelche ähnliche Ziele<br />

Russlands gegenüber Ukraine riecht für mich sehr<br />

nach einer Provokation.<br />

Dort, innerhalb der Gesellschaft, auf der Krim, finden


Prozesse, Krim-Tataren, ukrainische<br />

Bevölkerung, russische Bevölkerung, also<br />

slavische Bevölkerung. Das ist aber ein<br />

internes Problem der Ukraine.<br />

Es gibt einen Vertrag über die Flotte bis<br />

2017.<br />

Roth: Wo stehen wir? Ist es nur eine Eiszeit,<br />

ist es schon ein kalter Krieg, hat das<br />

Wettrüsten schon begonnen oder schließen<br />

sie alles aus?<br />

Putin: Russland strebt keinerlei<br />

Verschiebungen an, keinerlei Spannungen.<br />

Obwohl auch das sein kann. Wir wollen<br />

gutnachbarschaftliche, partnerschaftliche<br />

Beziehungen unterhalten.<br />

"Wir wollen einheitliche Regeln für alle"<br />

schwierige Prozesse statt. Dort gibt es Probleme mit<br />

den Krimtataren, der ukrainischen Bevölkerung, der<br />

russischen Bevölkerung, allgemein der slawischen<br />

Bevölkerung. Aber das ist eine innenpolitische<br />

Angelegenheit der Ukraine selbst.<br />

Wir haben einen Vertrag mit der Ukraine über den<br />

Aufenthalt unserer Flotte dort bis zum Jahre 2017 und<br />

wir werden uns an dieses Abkommen halten.<br />

Roth: Ein anderer Außenminister, dieses mal der<br />

britische, Herr Millbrand äußerte seine Bedenken,<br />

dass ein neuer Kalter Krieg beginnt. Ein neuer<br />

Rüstungswettlauf. Wie würden sie die Situation<br />

einschätzen? Stehen wir jetzt an der Grenze zu einer<br />

neuen Eiszeit, einem neuen Kalten Krieg, dem Beginn<br />

eines neuen Rüstungswettlaufs? Wie sehen sie das?<br />

Putin: Wissen sie, es gibt so einen Witz: Wer schreit<br />

als erster: Haltet den <strong>Die</strong>b? - Derjenige, der gestohlen<br />

hat.<br />

Roth: Der Außenminister von Großbritannien.<br />

Putin: Das haben sie so gesagt. Wunderbar. Es ist<br />

eine Freude mit ihnen zu reden. Aber sie haben es<br />

gesagt. Im Ernst strebt Russland keine Zuspitzung der<br />

Lage an. Wir wollen gute, nachbarschaftliche und<br />

partnerschaftliche Beziehungen mit allen. Wenn sie<br />

erlauben, werde ich sagen, was ich darüber denke. Es<br />

gab die Sowjetunion und den Warschauer Pakt. Und<br />

es gab sowjetische Truppen in Deutschland. Im<br />

Grunde muss man ehrlich sagen, das waren<br />

Besatzungstruppen, die in Deutschland nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg als Verbündete getarnt geblieben<br />

sind. <strong>Die</strong>se Besatzungstruppen haben das Land<br />

verlassen. <strong>Die</strong> Sowjetunion ist zerfallen, der<br />

Warschauer Pakt existiert nicht mehr. <strong>Die</strong> Bedrohung<br />

seitens der UdSSR gibt es nicht mehr. Aber die<br />

NATO, die amerikanischen Truppen, sind in Europa<br />

geblieben. Warum? Dafür, um Ordnung im eigenen<br />

Bündnis zu schaffen, mit eigenen Verbündeten, dafür,


Roth: <strong>Die</strong> Europäische Union in Brüssel<br />

wird über Russland reden. Es wird wohl auch<br />

über Sanktionen gegen Russland zumin<strong>des</strong>t<br />

geredet werden, möglicherweise werden sie<br />

beschlossen. Macht Ihnen das irgend eine<br />

Art von Sorge oder ist Ihnen das egal, weil<br />

Sie sagen, die Europäer finden sowieso nicht<br />

zu einer Stimme?<br />

Putin: Würde ich sagen, wir pfeifen drauf, es<br />

ist uns egal, würde ich lügen. Natürlich<br />

verfolgen wir alles sehr aufmerksam.<br />

Wir hoffen, dass der gesunde<br />

Menschenverstand triumphieren wird, und<br />

wir glauben, dass eine nicht politisierte,<br />

sondern objektive Einschätzung der<br />

Ereignisse gegeben wird. Wir hoffen auch,<br />

dass die Aktionen der russischen<br />

Friedensstifter unterstützt werden und die<br />

Aktionen der georgischen Seite, dieser<br />

Verbrecher, sanktioniert werden.<br />

Roth: Herr Ministerpräsident, müssen Sie<br />

sich in Wirklichkeit nicht entscheiden? Sie<br />

wollen auf der einen Seite auf eine intensive<br />

Zusammenarbeit mit Europa nicht verzichten,<br />

Sie können es meines Erachtens<br />

wirtschaftlich auch gar nicht, andererseits<br />

wollen Sie trotzdem nach eigenen russischen<br />

Spielregeln spielen. Also auf der einen Seite<br />

ein Europa der gemeinsamen Werte, die Sie<br />

auch teilen müssen, andererseits spielen Sie<br />

nach russischen Spielregeln. Bei<strong>des</strong><br />

zusammen geht aber nicht…<br />

um sie im Rahmen der Blockdisziplin zu halten,<br />

braucht man eine äußere Bedrohung. Iran kann diese<br />

Rolle nicht ganz ausfüllen. Man ist gewillt, die alten<br />

Feindbilder in Form von Russland wieder zu beleben.<br />

Aber keiner in Europa hat heute Angst.<br />

Roth: Am Montag findet eine außerordentliche<br />

Sitzung <strong>des</strong> EU-Rates in Brüssel statt. Dort wird über<br />

Russland, über Sanktionen gegenüber Russland<br />

beraten. Zumin<strong>des</strong>t werden diese Themen<br />

besprochen. Wie reagieren sie darauf? Ist ihnen das<br />

egal? Gehen sie davon aus, dass die sich die EU<br />

sowieso nicht einig wird?<br />

Putin: Wenn ich sagen würde, dass uns das egal ist<br />

oder wir dem gegenüber gleichgültig sind, so hätte ich<br />

gelogen. Natürlich ist uns das nicht egal.<br />

Selbstverständlich werden wir aufmerksam verfolgen,<br />

was dort vor sich geht. Wir hoffen einfach, dass der<br />

gesunde Menschenverstand gewinnt. Wir hoffen, dass<br />

eine objektive und nicht politisierte Einschätzung der<br />

Geschehnisse, die in Südossetien und Abchasien<br />

vorgefallen sind, stattfinden wird. Wir hegen die<br />

Hoffnung, dass die Aktionen der Friedenstruppen<br />

Unterstützung finden und die Handlungen der<br />

georgischen Seite, die diese verbrecherische Aktion<br />

durchgeführt hat, verurteilt werden.<br />

Roth: In diesem Zusammenhang möchte ich sie<br />

fragen: Wie wollen sie folgen<strong>des</strong> Dilemma lösen? Auf<br />

der einen Seite ist Russland daran interessiert, mit der<br />

EU zusammenzuarbeiten. Es kann auch nicht anders<br />

handeln angesichts der wirtschaftlichen Aufgaben, die<br />

es sich selbst gestellt hat. Auf der anderen Seite will<br />

Russland nach eigenen, russischen Regeln spielen.<br />

Das heißt, einerseits die Anerkennung der<br />

gemeinsamen europäischen Werte, andererseits - die<br />

Entschlossenheit nach eigenen russischen Regeln zu<br />

spielen. Aber man kann nicht diese beiden Seiten in<br />

Einklang bringen.


Putin: Wir wollen nicht nach irgendwelchen<br />

besonderen Spielregeln spielen. Wir wollen,<br />

dass alle nach einheitlichen völkerrechtlichen<br />

Regeln vorgehen. Wir wollen nicht, dass<br />

diese Begriffe manipuliert werden, in einer<br />

Region die Regeln, in einer anderen die<br />

Regeln. Wir wollen einheitliche Regeln.<br />

Einheitliche Regeln, die die Interessen aller<br />

Teilnehmer berücksichtigen.<br />

"Wir haben die Anerkennung <strong>des</strong> Kosovo<br />

geschluckt"<br />

Roth: Herr Ministerpräsident, Kritiker sagen,<br />

Ihr eigentliches Kriegsziel war gar nicht, nur<br />

die südossetische Bevölkerung – aus Ihrer<br />

Sicht – zu schützen, sondern zu versuchen,<br />

den georgischen Präsidenten aus dem Amt<br />

zu treiben, um den Beitritt Georgiens über<br />

kurz oder lang zur NATO zu verhindern. Ist<br />

das so?<br />

Putin: Das stimmt nicht, das ist eine<br />

Verdrehung der Tatsachen, das ist eine<br />

Lüge. Wenn das unser Ziel gewesen wäre,<br />

hätten wir den Konflikt begonnen. Aber das<br />

hat Georgien gemacht. Jetzt gestatte ich mir,<br />

an die Tatsachen zu erinnern. Nach der nicht<br />

legitimen Anerkennung <strong>des</strong> Kosovo haben<br />

alle erwartet, dass wir Südossetien und<br />

Abchasien anerkennen. Alle haben darauf<br />

gewartet und wir hatten ein moralisches<br />

Recht darauf. Wir haben uns zurückgehalten.<br />

Ja, mehr noch, wir haben das geschluckt.<br />

Und was haben wir bekommen? Eine<br />

Eskalation <strong>des</strong> Konfliktes. Überfall auf unsere<br />

Friedensstifter. Überfall und Vernichtung der<br />

friedlichen Bevölkerung in Südossetien. Das<br />

sind Tatsachen, die angesprochen wurden.<br />

Das sind die Menschen, die ihr Land in die<br />

Putin: Wissen sie, wir haben nicht vor nach<br />

irgendwelchen besonderen Regeln zu spielen. Wir<br />

wollen, dass alle nach gleichen Regeln handeln, die<br />

da heißen - Internationales Recht. Wir wollen jedoch<br />

nicht, dass diese Begriffe von irgendwem manipuliert<br />

werden. In einer Region der Welt spielen wir nach<br />

diesen Regeln, in einer anderen - nach anderen. Nur<br />

damit es unseren Interessen entspricht. Wir wollen,<br />

dass die Regeln einheitlich sind, dass die Interessen<br />

aller internationaler Akteure berücksichtigt werden.<br />

Roth: Auf diese Weise wollen sie sagen, dass die EU<br />

in verschiedenen Regionen der Welt nach<br />

unterschiedlichen Regeln spielt, die nicht dem<br />

internationalem Recht entsprechen.<br />

Putin: Genau das! Wie wurde der Kosovo anerkannt?<br />

Man hat die territoriale Integrität eines Staates<br />

komplett vergessen. Man hat auch die UNO-<br />

Resolution 1244 vergessen, die der Westen selbst<br />

unterstützt hat. Dort durfte man es tun, in Abchasien<br />

und Ossetien jedoch nicht! Warum?<br />

Roth: Das heißt Russland ist der einzige<br />

Schiedsrichter <strong>des</strong> internationalen Rechts? Alle<br />

anderen werden manipuliert? Sie nehmen es einfach<br />

nicht wahr. Sie haben andere Interessen oder es ist<br />

ihnen egal. Habe ich sie richtig verstanden?<br />

Putin: Sie haben mich falsch verstanden. Haben sie<br />

die Unabhängigkeit <strong>des</strong> Kosovo anerkannt? Ja oder<br />

Nein?<br />

Roth: Ich persönlich ... ich bin ein Journalist.<br />

Putin: Nein, die westlichen Länder.<br />

Roth: Ja.<br />

Putin: Im Grunde haben alle sie anerkannt. Aber


Katastrophe getrieben haben, die georgische<br />

Führung hat das mit eigenen Aktionen<br />

gemacht. <strong>Die</strong> Staatlichkeit <strong>des</strong> eigenen<br />

Lan<strong>des</strong> torpediert. Solche Menschen sollten<br />

keinen Staat führen, ob groß oder klein.<br />

Wären sie anständige Personen, sollten sie<br />

unbedingt zurücktreten.<br />

Roth: Der französische Außenminister<br />

Kouchner hat viele Sorgen geäußert in den<br />

letzten Tagen, als Minister der<br />

Ratspräsidentschaft. Er hat auch die Sorge<br />

geäußert, dass der nächste Konfliktherd um<br />

die Ukraine beginnt, nämlich um die Krim,<br />

um die Stadt Sewastopol. Ist die Krim das<br />

nächste Ziel, der Sitz der<br />

Schwarzmeerflotte?<br />

Putin: Sie sagten das nächste Ziel. Wir<br />

haben auch hier kein Ziel gehabt. Deshalb ist<br />

es nicht korrekt, so zu reden. Und, wenn Sie<br />

gestatten, dann bekommen Sie eine<br />

zufriedenstellende Antwort: <strong>Die</strong> Krim ist kein<br />

kritisches Territorium, da hat es keinen<br />

ethnischen Konflikt gegeben, im Unterschied<br />

zum Konflikt zwischen Südossetien und<br />

Georgien. Und Russland hat längst die<br />

Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt. Im<br />

Grunde genommen haben wir die<br />

Grenzverhandlungen abgeschlossen. Da<br />

bleiben nur Demarkationsangelegenheiten,<br />

das ist eine technische Angelegenheit. Und<br />

eine solche Frage riecht nach Provokation.<br />

Da gibt es innerhalb der Krim komplizierte<br />

Prozesse, Krim-Tataren, ukrainische<br />

Bevölkerung, russische Bevölkerung, also<br />

slavische Bevölkerung. Das ist aber ein<br />

internes Problem der Ukraine. Es gibt einen<br />

Vertrag über die Flotte bis 2017.<br />

"Wir betrachten das als georgisches<br />

Territorium"<br />

wenn sie in dem Fall anerkannt wurde, erkennt doch<br />

die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens an.<br />

Es gibt keinen Unterschied. Es gibt keinen<br />

Unterschied zwischen diesen beiden Fällen. Das ist<br />

ein ausgedachter Unterschied. Dort gab es einen<br />

ethnischen Konflikt - und hier gab es einen ethnischen<br />

Konflikt. Dort gab es Verbrechen praktisch auf beiden<br />

Seiten - und hier. Wahrscheinlich kann man sie<br />

finden. Dort hat man die Entscheidung getroffen, dass<br />

diese Völker nicht in einem Staat zusammenleben<br />

können - und hier wollen sie nicht in einem Staat<br />

leben. Hier gibt es keinen Unterschied, und alle<br />

verstehen das. Das ist alles nur Gerede. Um die<br />

unrechtmäßigen Entscheidungen zu decken. Das ist<br />

das Recht <strong>des</strong> Stärkeren. Und damit kann sich<br />

Russland nicht einverstanden erklären. Herr Roth, sie<br />

leben schon lange in Russland. Sie sprechen<br />

ausgezeichnet Russisch, beinahe akzentfrei. Dass sie<br />

mich verstanden haben, ist nicht verwunderlich. Das<br />

freut mich sehr. Doch ich würde mir wünschen, dass<br />

mich auch meine europäischen Kollegen verstehen,<br />

die sich am ersten September versammeln und über<br />

diesen Konflikt beraten werden. <strong>Die</strong> Resolution 1244<br />

wurde verabschiedet? Ja, sie wurde verabschiedet.<br />

Dort wurde die territoriale Integrität Serbiens explizit<br />

erwähnt. Man hat dann diese Resolution einfach in<br />

den Papierkorb geschmissen, sie einfach vergessen.<br />

Man hat versucht sie umzudeuten. Man konnte sie in<br />

keiner Weise umdeuten. Also hat man sie einfach<br />

vergessen. Warum? Man hat es so im Weißen Haus<br />

befohlen und alle haben gehorcht. Wenn europäische<br />

Länder auch weiterhin so ihre Politik gestalten wollen,<br />

dann werden wir wohl über europäische<br />

Angelegenheiten mit Washington verhandeln müssen.<br />

Roth: Ich verstehe, was sie gesagt haben. Können wir<br />

ohne Übersetzer weitermachen?<br />

Putin: Sicher.


Roth: Wo sehen Sie die Aufgabe von<br />

Deutschland in dieser Krise?<br />

Putin: Wir haben zu Deutschland sehr gute<br />

Beziehungen, vertrauensvolle Beziehungen,<br />

sowohl politische als auch ökonomische. Als<br />

wir mit Herrn Sarkozy gesprochen haben, bei<br />

seinem Besuch hier, haben wir gesagt, dass<br />

wir keinerlei Territorien in Georgien wollen.<br />

Wir werden uns in die Sicherheitszone<br />

zurückziehen, die in den früheren<br />

internationalen Abkommen vereinbart wurde.<br />

Aber da werden wir auch nicht ewig bleiben.<br />

Wir betrachten das als georgisches<br />

Territorium.<br />

Unsere Absicht besteht nur darin, die<br />

Sicherheit zu gewährleisten und es nicht so<br />

zu machen, dass da Truppen und<br />

Kriegsgerät heimlich geballt werden. Und zu<br />

verhindern, dass da die Möglichkeit eines<br />

neuen Konfliktes entsteht.<br />

Dann begrüßen wir die Teilnahme von<br />

Beobachtern der EU, der OSZE und natürlich<br />

auch Deutschlands. Wenn die Prinzipien der<br />

Zusammenarbeit geklärt sind.<br />

Roth: Danke. Ich würde gerne eine Frage stellen, die<br />

die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen<br />

betrifft. Unabhängig davon was es aktuell für<br />

Einschätzungen und Vorschläge gibt. Unter<br />

Berücksichtigung der besonderen Beziehungen<br />

zwischen unseren Ländern: Kann Deutschland in<br />

dieser Situation eine bestimmte Vermittlerrolle<br />

übernehmen?<br />

Putin: Wir haben mit Deutschland sehr gute, sehr<br />

vertrauensvolle Beziehungen - sowohl im Bereich der<br />

Politik, als auch im Bereich der Wirtschaft. Als wir mit<br />

Herrn Sarkozy während seines Besuches in Moskau<br />

gesprochen haben, haben wir ihm deutlich gemacht,<br />

dass wir georgisches Territorium nicht annektieren<br />

wollen und dass wir natürlich Gebiete verlassen<br />

werden, wo wir uns heute befinden. Wir werden uns in<br />

die Sicherheitszone zurückziehen, die in den früheren<br />

internationalen Vereinbarungen definiert worden ist.<br />

Aber auch dort wollen wir nicht ewig bleiben. Wir sind<br />

der Ansicht, dass das georgisches Territorium ist.<br />

Unser Ziel besteht darin, die Sicherheit in dieser<br />

Region zu gewährleisten und einen geheimen<br />

Truppenaufmarsch zu verhindern, wie es dieses mal<br />

passiert ist. Bewaffnung, Technik, wir wollen Ansätze<br />

für einen neuerlichen bewaffneten Konflikt<br />

unterbinden.<br />

Und in diesem Zusammenhang kann ich sagen, dass<br />

eine Beteiligung an diesen Maßnahmen der<br />

internationalen Beobachtern aus OSZE, der EU und<br />

auch aus Deutschland von uns nur begrüßt werden<br />

würde. Es müssen nur die Prinzipien der<br />

Zusammenarbeit definiert werden.<br />

Roth: Heißt das, dass sie in jedem Fall ihre Truppen<br />

zurückziehen werden?<br />

Putin: Natürlich. Das Wichtigste für uns ist die


Sicherheit in diesem Gebiet zu gewährleisten. In der<br />

nächsten Phase Südossetien zu helfen ihre Grenzen<br />

zu sichern. Es gibt für uns dann keinen Grund, uns in<br />

der Sicherheitszone aufzuhalten. Im Laufe dieser<br />

Arbeit würden wir eine Zusammenarbeit mit<br />

europäischen Strukturen und der OSZE nur begrüßen.<br />

Roth: Angesichts der Krise, die es aktuell sicherlich<br />

gibt, in den Beziehungen zu den USA, zur EU:<br />

Welchen Beitrag können sie leisten, um diese Krise zu<br />

deeskalieren?<br />

Putin: Erstens, ich habe darüber gestern mit ihren<br />

Kollegen von CNN gesprochen. Mir scheint es so,<br />

dass in einem hohen Maße diese Krise unter anderem<br />

durch unsere amerikanischen Freunde im Rahmen<br />

<strong>des</strong> Wahlkampfes dort provoziert worden ist. Das ist<br />

natürlich eine Nutzung der administrativen<br />

Ressourcen in ihrer bedauernswertesten Form, um<br />

den Vorsprung eines der Kandidaten zu<br />

gewährleisten. In diesem Fall <strong>des</strong> Kandidaten der<br />

regierenden Partei.<br />

Roth: Haben sie Fakten, die das belegen?<br />

Putin: Wir haben eine Analyse der Situation. Wir<br />

wissen, dass sich in Georgien viele amerikanische<br />

Militärberater aufhielten. Es ist sehr schlecht eine<br />

Seite eines ethnischen Konflikts zu bewaffnen und sie<br />

danach dazu anzustiften, diese ethnischen Proleme<br />

mit Waffengewalt zu lösen. Das ist, wie es scheint,<br />

einfacher als langjährige Verhandlungen zu führen<br />

und nach Kompromissen zu suchen. Jedoch ist das<br />

ein gefährlicher Weg. <strong>Die</strong> Entwicklungen der letzten<br />

Wochen haben das bestätigt. <strong>Die</strong> Instruktoren, Lehrer<br />

im weitesten Sinne <strong>des</strong> Wortes, Personal, das mit<br />

Ausbildung der Truppe beschäftigt ist. Wo muss sich<br />

dieses Personal aufhalten? Auf Übungsgelände, in<br />

den Kasernen und in den Lehreinrichtungen, und wo<br />

waren sie? In der Konfliktzone. Alleine das legt die


Vermutung nahe, dass die US-Administration über die<br />

Vorbereitung der Militäroperation informiert war und<br />

mehr noch, wahrscheinlich an dieser Operation teil<br />

nahm. Ohne den Befehl von der höchsten Stelle<br />

hatten US-amerikanische Bürger kein Recht, sich in<br />

der Konfliktzone aufzuhalten. In der Sicherheitszone<br />

durften sich nur die Einwohner, die Beobachter der<br />

OSZE und die Friedenstruppen befinden. Wir haben<br />

jedoch dort Spuren von US-Bürgern gefunden, die<br />

weder zur ersten, noch zur zweiten oder zur dritten<br />

Kategorie gehörten. Das ist schon eine Frage. Warum<br />

die Führungsriege der USA den Aufenthalt der US-<br />

Bürger dort erlaubt hat, vor allem, da diese US-Bürger<br />

kein Recht hatten sich in der Sicherheitszone<br />

aufzuhalten? Wenn sie dies jedoch erlaubt hat, dann<br />

entsteht bei mir der Verdacht, dass es dem Zweck<br />

dienen sollte, einen kleinen, siegreichen Krieg zu<br />

inszenieren. Und wenn das nicht klappen sollte - dann<br />

aus Russland ein Feindbild zu basteln um auf dieser<br />

Grundlage eine Mobilisierung der Wähler um einen<br />

der Präsidentschaftskandidaten zu erreichen.<br />

Natürlich <strong>des</strong> Kandidaten der Regierungspartei, weil<br />

über solche Ressourcen nur die Regierungspartei<br />

verfügen kann. Das sind meine Überlegungen und<br />

Annahmen. Das ist ihre Sache - dem zuzustimmen<br />

oder auch nicht. Aber diese Überlegungen haben ihre<br />

Daseinsberechtigung, weil wir in der Konfliktzone<br />

Spuren der Anwesenheit von US-Staatsangehörigen<br />

entdeckt haben.<br />

Roth: Dann die letzte Frage, die ich ihnen gerne<br />

stellen würde und die mich selbst sehr interessiert.<br />

Sind sie nicht der Meinung, dass sie persönlich sich in<br />

der Falle eines autoritären Staates befinden? In dem<br />

jetzt existierenden System bekommen sie die<br />

Informationen von ihren Geheimdiensten, sie<br />

bekommen Informationen aus verschiedenen Quellen,<br />

unter anderem von höchsten Ebenen der Wirtschaft.<br />

Aber sogar die Massenmedien haben manchmal<br />

Angst etwas zu sagen, was dem widerspricht, was sie<br />

hören wollen. Ist es nicht vielleicht so, dass das von


ihnen aufgebaute System ihnen den Blick versperrt,<br />

wirklich die Prozesse zu sehen, die heute in Europa,<br />

in anderen Ländern stattfinden?<br />

Putin: Sehr geehrter Herr Roth. Sie haben unser<br />

politisches System als ein autoritäres charakterisiert.<br />

Sie haben im Verlaufe unserer heutigen Diskussion<br />

mehrmals auf gemeinsame Werte hingewiesen. Wo<br />

und was sind diese Werte?<br />

Es gibt grundlegende Prinzipien. Zum Beispiel das<br />

Recht auf Leben. Es gibt in den USA die To<strong>des</strong>strafe,<br />

bei uns in Russland gibt es das nicht, auch bei euch in<br />

Europa gibt es keine To<strong>des</strong>strafe. Heißt das, dass sie<br />

vorhaben beispielsweise die NATO zu verlassen, weil<br />

es keine vollkommene Übereinstimmung der Werte in<br />

den USA und Europa gibt? Nehmen wir jetzt diesen<br />

Konflikt, den wir gerade besprochen haben. Ist ihnen<br />

etwa nicht bekannt was in Georgien in den letzten<br />

Jahren passierte? Der mysteriöse Tod <strong>des</strong> Ministers<br />

Tschwania. <strong>Die</strong> Unterdrückung der Opposition. <strong>Die</strong><br />

gewaltsame Auflösung der oppositionellen<br />

Demonstration im November letzten Jahres. <strong>Die</strong><br />

Durchführung der nationalen Wahlen praktisch unter<br />

den Bedingungen <strong>des</strong> Ausnahmezustan<strong>des</strong>. Dann<br />

diese verbrecherische Aktion in Ossetien mit<br />

mehreren Toten. Und dennoch ist es natürlich ein<br />

demokratisches Land, mit dem man einen Dialog<br />

führen muss und es in die NATO, vielleicht auch in die<br />

EU aufnehmen muss. Und wenn ein anderes Land<br />

seine Interessen schützt - einfach das Recht seiner<br />

Bürger auf Leben, Bürger die angegriffen worden sind.<br />

Bei uns sind achtzig Menschen sofort nach dem<br />

Angriff getötet worden. 2000 Zivilisten sind dort tot.<br />

Und wir haben kein Recht das Leben unserer Bürger<br />

zu schützen? Und wenn wir unser Leben schützen,<br />

dann nimmt man uns die Wurst weg? Haben wir die<br />

Wahl - zwischen der Wurst und dem Leben? Wir<br />

wählen das Leben, Herr Roth.<br />

Jetzt zu einem anderen Gut – der Pressefreiheit.


Sehen sie sich an, wie diese Ereignisse in den Medien<br />

der USA, die zu den Leuchtfeuern der Demokratie<br />

gehören und auch in Europa dargestellt werden. Ich<br />

war in Peking, als dieser Konflikt entfacht wurde. Es<br />

begann schon der massive Beschuss von Zchinwali,<br />

es gab schon Bodenoperationen der georgischen<br />

Truppen, viele Opfer - und niemand hat etwas von<br />

den Vorfällen berichtet. <strong>Die</strong> <strong>ARD</strong> schwieg und auch<br />

alle amerikanischen Sender schwiegen als wäre<br />

nichts passiert - Stille. Kaum hatten wir den Aggressor<br />

zurückgedrängt, ihm die Zähne ausgeschlagen, kaum<br />

hatte er seine amerikanische Bewaffnung fallen<br />

gelassen und ist überstürzt geflüchtet - haben alle sich<br />

sofort an internationales Recht und an aggressives<br />

Russland erinnert. Alle hatten sofort ein<br />

Gesprächsthema.<br />

Jetzt noch einmal zu der Wurst, der Wirtschaft. Wir<br />

wollen normale wirtschaftliche Beziehungen zu allen<br />

unseren Partnern. Wir sind ein sehr zuverlässiger<br />

Partner. Wir haben immer unsere Verpflichtungen<br />

erfüllt. Als wir das Pipelinesystem in die<br />

Bun<strong>des</strong>republik Anfang der 60er gebaut haben, haben<br />

auch damals unsere Partner jenseits <strong>des</strong> Atlantiks den<br />

Deutschen geraten diesem Projekt nicht<br />

zuzustimmen. Sie müssten das wissen. Doch damals<br />

hat die Führung Westdeutschlands eine richtige<br />

Entscheidung getroffen und dieses System wurde<br />

zusammen mit der UdSSR gebaut. Heute ist es eine<br />

der zuverlässigsten Quellen der Energieversorgung<br />

Deutschlands. 40 Milliarden Kubikmeter Gas bekommt<br />

Deutschland jährlich. Im letzten Jahr und in diesem<br />

Jahr auch. Wir garantieren das. Lassen sie uns die<br />

Sache globaler sehen. Wie sieht unser Export in die<br />

europäischen Länder und auch in die USA aus? Zu<br />

mehr als 80% sind das Ressourcen - Öl, Gas, Holz,<br />

Metalle und Dünger. Das ist alles, was von der<br />

Weltwirtschaft und auch von der europäischen<br />

Wirtschaft nachgefragt wird. Das sind alles Dinge, die<br />

auf den Weltmärkten sehr gut verkauft werden<br />

können.


Wir haben auch Möglichkeiten im Hightech-Bereich.<br />

Doch sind diese Möglichkeiten bisher sehr begrenzt.<br />

Und trotz der Vereinbarungen mit der EU, sagen wir<br />

mal im Bereich der Kernenergie und der<br />

entsprechenden Brennstoffe, wird der europäische<br />

Markt unrechtmäßig vor uns verschlossen. Übrigens<br />

aufgrund der Haltung unserer französischer Freunde.<br />

Aber sie wissen davon, wir haben lange mit ihnen<br />

darüber diskutiert.<br />

Aber wenn jemand diese Beziehungen zerstören<br />

möchte, können wir nichts dagegen tun. Wir wollen<br />

das nicht. Wir hoffen sehr darauf, dass unsere Partner<br />

weiterhin ihre Verpflichtungen so erfüllen werden, wie<br />

wir unsere Verpflichtungen erfüllt haben und in<br />

Zukunft erfüllen werden. Das ist das, was unseren<br />

Export betrifft. Was jedoch ihren Export angeht, also<br />

für uns Import ist, so ist Russland ein großer und<br />

zuverlässiger Markt. Ich weiß jetzt nicht genau die<br />

Zahlen, aber die Importe beispielsweise der<br />

deutschen Maschinenbauprodukte nehmen von Jahr<br />

zu Jahr zu. <strong>Die</strong>se Zahlen sind heute einfach sehr<br />

groß. Wenn jemand an uns nichts mehr verkaufen<br />

will? Dann werden wir diese Produkte woanders<br />

besorgen. Wer profitiert davon? Ich weiß es nicht.<br />

Wir wollen eine objektive Analyse der Situation. Wir<br />

hoffen, dass der gesunde Menschenverstand und die<br />

Gerechtigkeit siegen werden. Wir sind ein Opfer der<br />

Aggression. Wir hoffen auf die Unterstützung unserer<br />

europäischen Partner.<br />

Roth: Herzlichen Dank für dieses Interview Herr<br />

Premierminister.<br />

Putin: Vielen Dank.

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