02.07.2013 Aufrufe

Privatdozent Dr - Universität Leipzig

Privatdozent Dr - Universität Leipzig

Privatdozent Dr - Universität Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Prof. <strong>Dr</strong>. Burkhard Boemke<br />

<strong>Universität</strong> <strong>Leipzig</strong><br />

Politische Betätigung des Betriebsrats<br />

und Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers<br />

(BAG 17.03.2010 - 7 ABR 95/08 – NZA 2010, 1133 ff.)<br />

Unterlassungsanspruch gemäß § 74 II 3 Hs. 1 BGB<br />

A. Tatbestandsvoraussetzungen<br />

- Sie => § 74 II 2 BetrVG (Arbeitgeber und Betriebrat)<br />

- Parteipolitische Betätigung<br />

- Im Betrieb<br />

I. Arbeitgeber / Betriebsrat<br />

Gebot richtet sich an AG, BR als Organ sowie BRM in ihrer Eigenschaft als Amtsträger,<br />

es genügt, dass einer dagegen verstößt<br />

Hier: BR (+)<br />

II. Parteipolitische Betätigung<br />

1. Parteipolitische Betätigung<br />

= jede Betätigung für oder gegen eine politische Partei, wobei es sich nicht um eine<br />

Partei i. S. v. Art. 21 GG bzw. des Parteiengesetzes handeln muss, es genügt vielmehr<br />

eine politische Gruppierung, für die geworben oder die unterstützt wird<br />

Hier: Nein, zum Irak-Krieg, wohl (-)<br />

Schreiben des DGB-Vorsitzenden HH (-)<br />

zum Volksentscheid wohl (-)<br />

und Haltung des Hamburger Bürgermeisters?<br />

BAG (-)<br />

Aber: wird damit nicht kritisch zu einer Einstellung des Repräsentanten einer<br />

politischen Partei und damit der Partei als solches Stellung genommen?<br />

ErfK/Kania, § 74 BetrVG Rn. 25: „in einer Parteiendemokratie ist im Zweifel jede Politik<br />

Parteienpolitik“<br />

2. Allgemeinpolitische Betätigung


Weites Verständnis von Partei- i. S. v. Allgemeinpolitik<br />

Befürwortend BAG vom 12.06.1986 – 6 ABR 67/84:<br />

„Erfaßt wird von dem Verbot mithin auch das Eintreten für oder gegen eine bestimmte<br />

politische Richtung. Dabei ist jede politische Betätigung verboten, weil alle politischen<br />

Fragen, gleichgültig, ob es sich um solche der Außen- oder Innenpolitik, der<br />

äußeren oder inneren Sicherheit, der Kultur, der Arbeit oder der Freizeitgestaltung<br />

handelt, in den Bereich parteipolitischer Stellungnahmen fallen“<br />

Dagegen BAG vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08<br />

- Wortlaut, der nicht von „politisch“, sondern „parteipolitisch“ spricht<br />

- Ausfluss aus Art. 5 I GG<br />

Dagegen allgemeine Grundsätze<br />

Es entspricht st. Rspr., dass Art. 5 Abs. 1 GG verletzt ist, wenn Organe oder Repräsentanten<br />

eines zwangsverfassten Verbands außerhalb ihrer Zuständigkeit für den<br />

Verband allgemeinpolitische Meinungen kundgeben (vgl. BVerwG v. 12.05.1999 - 6<br />

C 10/98; OVG Berlin v. 15.01.2004 - 8 S 133.03 -; VG Münster v. 20.05.2009 - 9 K<br />

1076/07)<br />

Art. 5 I GG hilft nicht weiter, weil dieses Grundrecht nicht dem BR als Organ und<br />

auch nicht den BRM in ihrer Eigenschaft als Organmitglied zustehen!<br />

Verstoß gegen Verbot der parteipolitischen Betätigung<br />

III. Im Betrieb<br />

Inkl. Einrichtungen auf dem Betriebsgelände und Betriebsteile, aber auch solche Aktivitäten<br />

außerhalb des Betriebs, die in den Betrieb hineinwirken<br />

Hier (+): Bekanntmachungsbrett im Betrieb<br />

B. Rechtsfolge<br />

Unterlassungsanspruch?<br />

I. Wortlaut<br />

BAG vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08<br />

Die Vorschrift begründet zwar Verpflichtung der Betriebsparteien zu parteipolitischer<br />

Neutralität im Betrieb, bestimmt aber weder, dass bei Verstößen gegen diese Verpflichtung<br />

Unterlassung verlangt werden kann, noch lässt sich der Regelung entnehmen,<br />

wer Inhaber eines Unterlassungsanspruchs sein könnte (Rn. 26)<br />

Ulrici, jurisPR-ArbR 37/2010 Anm. 1<br />

Auch § 611 Abs. 1 BGB benennt im Wortlaut nur den jeweiligen Verpflichteten, nicht<br />

aber den korrespondierenden Berechtigten


II. Systematik<br />

BAG vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08<br />

Das Gesetzeskonzept des § 23 BetrVG sieht einen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers<br />

gegen den Betriebsrat nicht vor. Dieser ergäbe vollstreckungsrechtlich<br />

keinen Sinn, weil der Betriebsrat vermögenslos ist, sodass ihm gegenüber eine Androhung,<br />

Festsetzung oder Vollstreckung von Ordnungsgeld nicht in Betracht kommt.<br />

Der vom Bundesarbeitsgericht außerhalb des § 23 Abs. 3 BetrVG zur Sicherung bestimmter<br />

Mitbestimmungsrechte anerkannte allgemeine Unterlassungsanspruch des<br />

Betriebsrats (vgl. grundlegend 3. Mai 1994 - 1 ABR 24/93) gebietet es nicht, auch<br />

dem Arbeitgeber einen Unterlassungsanspruch gegen den Betriebsrat zuzubilligen.<br />

Anders als ein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers entspricht der - weitere -<br />

Unterlassungsanspruch des Betriebsrats dem strukturellen Konzept des § 23 BetrVG<br />

(Rn. 27)<br />

Ulrici, jurisPR-ArbR 37/2010 Anm. 1<br />

§ 23 Abs. 1 BetrVG ist als allgemeine Vorschrift in den Regelungen über die Amtszeit<br />

des Betriebsrats zu finden. Ihr kommt auf Grund dieser Stellung kaum eine Aussage<br />

über die Auslegung einer speziellen Regelung wie der des § 74 Abs. 2 Satz 3<br />

BetrVG zu. Überdies zeigt § 888 Abs. 3 ZPO deutlich, dass das Fehlen einer Vollstreckungsmöglichkeit<br />

das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs nicht<br />

zwingend ausschließt (BAG v. 22.07.1980 - 6 ABR 5/78 - AP Nr 3 zu § 74 BetrVG<br />

1972).<br />

III. Sinn und Zweck<br />

BAG vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08<br />

Sinn und Zweck des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gebieten keinen Unterlassungsanspruch<br />

des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat. Die Einhaltung des parteipolitischen<br />

Neutralitätsgebots durch den Betriebsrat würde durch einen Unterlassungsanspruch<br />

nicht gewährleistet, da ein Unterlassungstitel gegen den Betriebsrat wegen dessen<br />

Vermögenslosigkeit nicht vollstreckbar wäre (Rn. 28).<br />

Die Rechte des Arbeitgebers werden hierdurch nicht verkürzt. Bei groben Verstößen<br />

des Betriebsrats gegen seine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität kann der Arbeitgeber<br />

gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dessen Auflösung beantragen. Im Übrigen<br />

hat er bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Betätigung des<br />

Betriebsrats die Möglichkeit, deren Zulässigkeit unter den Voraussetzungen des §<br />

256 Abs. 1 ZPO im Wege eines Feststellungsantrags klären zu lassen. Einer entsprechenden<br />

gerichtlichen Feststellung kommt im Ergebnis die gleiche Wirkung zu<br />

wie einem Unterlassungstitel, da auch dieser gegenüber dem Betriebsrat nicht vollstreckbar<br />

wäre (rn. 29).<br />

Ulrici, jurisPR-ArbR 37/2010 Anm. 1<br />

Der Hinweis, dass die Ablehnung eines Unterlassungsanspruchs die Rechte des Arbeitgebers<br />

– und bei genauerer Betrachtung auch des Betriebsrats – im Hinblick auf<br />

die verbleibende Möglichkeit zum Feststellungsantrag nicht verkürzt, kann die Ablehnung<br />

eines Unterlassungsanspruchs nicht eigenständig tragen, sondern eine tragende<br />

Begründung lediglich gegen eine entsprechende Einwendung absichern.


Hiervon abgesehen übersieht das BAG, dass – jedenfalls wenn man folgerichtig<br />

auch einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ablehnt – zumindest dessen<br />

Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu ergreifen, verkürzt und er damit faktisch<br />

zur zeitweiligen Hinnahme weiterer Verstöße genötigt wird, weil feststellende Entscheidungen<br />

im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich unstatthaft sind.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!