Broschüre "Billstedter Geschichtspfad - Rundweg Schiffbek"
Broschüre "Billstedter Geschichtspfad - Rundweg Schiffbek"
Broschüre "Billstedter Geschichtspfad - Rundweg Schiffbek"
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Billstedter</strong> <strong>Geschichtspfad</strong><br />
<strong>Rundweg</strong> Schiffbek<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
Bezirksamt Hamburg-Mitte<br />
Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung<br />
Fachamt Management des öffentlichen Raumes
2<br />
3<br />
4<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
Einleitung: <strong>Billstedter</strong> <strong>Geschichtspfad</strong> –<br />
Der <strong>Rundweg</strong> Schiffbek<br />
Station1: Der Luisenhof – Alterssitz von Johann Wilhelm<br />
von Archenholz<br />
Station 2: Strom, Gas und Wasser für Schiffbek<br />
Station 3: Von der Mühle zum Schleemer Park<br />
Station 4: Die „Jute“: Arbeitsstätte für 1.500 Menschen<br />
Station 5: Aus Billwärder wird Billbrook<br />
Station 6: Schiffbek: Dorf vor den Toren Hamburgs<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
Station 7: Billstedt im Nationalsozialismus<br />
Station 8: Die Entwicklung des <strong>Billstedter</strong> Zentrums<br />
Station 9: Schiffbek im Hamburger Aufstand<br />
Station 10: Das Schiffbeker Arbeiterquartier<br />
Station 11: Der Spökelberg: Burg, Villa und Fabrik<br />
Station 12: Sozialer Wohnungsbau der 1920er Jahre<br />
Kontakt: Geschichtswerkstatt Billstedt<br />
Impressum<br />
Bildnachweis
Editorial<br />
liebe <strong>Billstedter</strong>innen und <strong>Billstedter</strong>,<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
so etwas gibt es nur in Billstedt: interaktive Infotafeln, die an geschichtsträchtigen<br />
Orten von vergangenen Zeiten erzählen. Mit dreizehn solcher<br />
Tafeln ist jetzt der <strong>Billstedter</strong> <strong>Geschichtspfad</strong> eröffnet worden.<br />
Die Tafeln machen lokale Geschichte am Ort des Geschehens hautnah<br />
erlebbar – und öffnen den Blick für Vieles, was nicht sofort im Stadtbild<br />
erkennbar ist. Sie regen dazu an, sich mit der Vergangenheit des eigenen<br />
Stadtteils auseinander zu setzen – auch, um die Gegenwart besser zu<br />
verstehen.<br />
Ich wünsche mir, dass viele Familien, Schulklassen und Geschichtsinteressierte<br />
auf eine spannende Reise in die Historie von Billstedt gehen und<br />
dabei erkenntnisreiche Streifzüge erleben.<br />
Ob mit <strong>Broschüre</strong> oder Smartphone in der Hand – tauchen Sie ab in Billstedts<br />
Geschichte.<br />
Ihr<br />
Andy Grote<br />
Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte<br />
September 2012<br />
3
4<br />
EInlEItung<br />
<strong>Billstedter</strong> geschichtspfad – Der <strong>Rundweg</strong> Schiffbek<br />
Mit dem <strong>Rundweg</strong> Schiffbek wird anlässlich der 800-Jahrfeier von Schiffbek<br />
der erste Baustein des <strong>Geschichtspfad</strong>es Billstedt realisiert. Auf der<br />
BilleVue 5 wird der historische <strong>Rundweg</strong> erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.<br />
Der <strong>Rundweg</strong> verbindet zwölf Orte mit historischer Bedeutung<br />
für Schiffbek. Der etwa zwei- bis dreistündige Rundgang führt an der<br />
<strong>Billstedter</strong> Hauptstraße entlang und durch den Schleemer Park.<br />
Die in die Gehwege eingelassenen Metallplatten – 40 mal 40 Zentimeter<br />
groß – erzählen an zwölf Stationen in Billstedt und an einer weiteren Station<br />
in Kaltenbergen (Kamerun) aus der Vergangenheit der einzelnen Orte.<br />
Jede Platte ist mit einem sogenannten QR-Code ausgestattet, der mit der<br />
Website der Geschichtswerkstatt Billstedt verlinkt ist. Per Smartphone<br />
können so weitere Informationen aus dem Internet abgerufen werden.<br />
Die vorliegende <strong>Broschüre</strong> erläutert geschichtliche Hintergründe zu den<br />
einzelnen Stationen näher. Sie lädt ein, auf historischen Spuren den<br />
Stadtteil zu erkunden. Die <strong>Broschüre</strong> kann auch für Schulklassen z.B. im<br />
Geschichtsunterricht genutzt werden.<br />
Für die Zukunft sind regelmäßige Rundgänge auf dem <strong>Rundweg</strong> Schiffbek<br />
geplant. Eine mögliche Erweiterung des <strong>Geschichtspfad</strong>s um neue Stationen<br />
hängt v.a. davon ab, ob Sponsoren gefunden werden können.<br />
Das Konzept für den <strong>Billstedter</strong> <strong>Geschichtspfad</strong> wurde 2009 entwickelt<br />
und seit März 2012 umgesetzt. Für die Realisierung beauftragte das<br />
Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung im Bezirksamt Hamburg-Mitte<br />
die Kooperationspartner steg Hamburg mbH, SUPERURBAN und Ralph<br />
Ziegenbalg von der Geschichtswerkstatt Billstedt, der die Inhalte für die<br />
Infotafeln zusammengestellt und aufbereitet hat. Unterstützt wird das<br />
Projekt vom Fachamt Management des öffentlichen Raumes.<br />
Die Info-Platten in der Produktion: Modell vor dem Metallguss.<br />
Rechts: Historische Orte: Die 12 Stationen des <strong>Rundweg</strong>s Schiffbek
6 7<br />
5<br />
8<br />
4<br />
9<br />
10<br />
11<br />
3<br />
2<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
12<br />
1<br />
kartE: landEsBEtriEB gEoinformation und VErmEssung<br />
5
6<br />
1<br />
DER luISEnhof – AltERSSItz<br />
von JohAnn WIlhElm von<br />
ARchEnholz<br />
Ende des 18. Jahrhunderts befand sich der luisenhof im Besitz des<br />
Schriftstellers und verlegers Johann Wilhelm von Archenholz.<br />
Das Dorf Öjendorf grenzte unmittelbar an Schiffbek. Sein bedeutendstes Anwesen<br />
war der Öjendorfer Hof, der ab 1857 Luisenhof genannt wurde. Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts umfasste das Gut zweieinhalb Hufen (altes Flächenmaß),<br />
eine Kate, eine Schmiede und eine Schäferei. Außerdem verfügte es seit 1762<br />
über die Brauerei-Gerechtigkeit. Das im 19. Jahrhundert errichtete Gutshaus<br />
war zweigeschossig und wurde beiderseits von mehreren Wirtschaftsgebäuden<br />
gesäumt. In seinem Hauptgiebel befand sich eine Uhr, deren Glocke der<br />
Bevölkerung bis ins 20. Jahrhundert hinein zur zeitlichen Orientierung diente.<br />
Heutzutage ist alleine das parkartige Gutsgelände mit dem alten Baumbestand<br />
erhalten.<br />
Ab Ende des 18. Jahrhunderts befand sich der Öjendorfer Hof im Besitz des<br />
weitgereisten Schriftstellers und Verlegers Johann Wilhelm von Archenholz.<br />
1809 siedelte er vollends hierher über, 1812 verstarb er hier. Archenholz wurde<br />
1741 in der Nähe von Danzig geboren und schlug zunächst eine militärische<br />
Laufbahn in der preußischen Armee ein. Nach einer schweren Verwundung<br />
im Siebenjährigen Krieg wurde er 1763 entlassen. In den folgenden Jahren<br />
bereiste er zahlreiche europäische Länder. Während dieser Reisen begann er<br />
seine literarische Tätigkeit, die ihm zunehmend den Lebensunterhalt sicherte.<br />
Nachdem er sich 1780 eine dauerhafte Lähmung des Fußes zugezogen hatte,<br />
ließ er sich in Dresden nieder. Neben seiner Tätigkeit als Autor für wissenschaftliche<br />
Zeitschriften wurde er nun auch als Herausgeber aktiv: Ab 1782<br />
gab er die erfolgreiche Monatsschrift „Litteratur- und Volkskunde“ bzw. „Neue<br />
Litteratur- und Volkskunde“ heraus. Viele Beiträge verfasste er selbst; andere<br />
stammten von Literaten aus ganz Europa, um deren Kontakt er sich auf seinen<br />
Reisen immer bemüht hatte.<br />
1791 siedelt von Archenholz mit seiner Familie nach Paris über<br />
Im Jahre 1786 zog er nach Hamburg, da dort die Zensur weniger streng war.<br />
Nun veröffentlichte er seine Artikel auch nicht mehr anonym. Mit großer Begeisterung<br />
nahm er die französische Revolution auf. 1791 siedelte er gar mit<br />
seiner Familie nach Paris über und gründete die Zeitschrift Minerva, mit der er<br />
das deutsche Publikum über die Geschehnisse in Frankreich informieren wollte.<br />
Bereits im folgenden Jahr musste er das Land angesichts der politischen Lage<br />
wieder fluchtartig verlassen. Aufgrund einiger Veröffentlichungen drohte ihm<br />
die Hinrichtung.<br />
Er kehrte nach Hamburg zurück und setzte hier die Herausgabe der Minerva fort.<br />
Dieses Journal bestand über seinen Tod hinaus bis ins Jahr 1858. Die einzelnen<br />
Ausgaben umfassten etwa 200 Seiten. Der Inhalt bestand aus sachlichen,<br />
politischen Erörterungen, davon abgesetzten Kommentaren, detailgetreuen<br />
Kriegsberichten, historischen Abhandlungen über die Geschichte verschiedener<br />
Länder sowie einigen Literaturrezensionen und Gedichten.<br />
Neben seiner journalistischen und publizistischen Tätigkeit war Archenholz<br />
auch als Schriftsteller aktiv. Sein bekanntestes Werk ist die sehr anschauliche<br />
„Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland von 1756 bis 1763“,<br />
die 1791 erstmalig erschien. Aber auch seine Reiseberichte und die insgesamt<br />
19-bändigen „Annalen der britischen Geschichte der Jahre 1788-1796“ fanden<br />
ein großes Publikum.<br />
Der Luisenhof: Nach seiner Turmuhr richteten sich die Bauern in der Umgebung<br />
mit ihren Pausen- und Feierabendzeiten
2<br />
StRom, gAS unD WASSER<br />
füR SchIffBEk<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts halten technische gemeinschaftseinrichtungen<br />
für die Strom-, gas- und Wasserversorgung in Schiffbek Einzug.<br />
Im Oktober 1903 hielt die elektrische Stromversorgung in Schiffbek Einzug. Zu<br />
verdanken war dies dem Ingenieur Dr. Zieseniß, der am Schleemer Bach ein<br />
kleines Elektrizitätswerk errichtete, von dem heute noch die zugehörige Villa<br />
sowie eine Giebelwand der Maschinenhalle erhalten sind. Zunächst wurde mit<br />
dem Elektrizitätswerk vor allem eine Straßenbeleuchtung betrieben. Diese fiel<br />
allerdings recht spärlich aus und zog durch Versorgungsunterbrechungen immer<br />
wieder das Gespött auf sich. Nur die Hauptstraßen waren mit Laternen ausgestattet<br />
worden. Der Rothenbrückenweg, der täglich von vielen hundert Arbeitern<br />
auf ihrem Weg von und nach Billbrook genutzt wurde, war beispielsweise<br />
gar nicht bedacht worden. An der Möllner Landstraße endete die Beleuchtung<br />
am Schleemer Bach.<br />
Zu einer deutlichen Verbesserung in der Stromversorgung kam es, als die Berliner<br />
Aktiengesellschaft AGWEA Anfang 1908 das Elektrizitätswerk von Dr.<br />
Zieseniß für 350.000 Mark übernahm. Sie ersetzte die 25-kerzigen Kohlenfadenglühlampen<br />
durch 50-kerzige Osrambirnen, die Schiffbeks Straßenbeleuchtung<br />
nun nicht mehr hinter dem Hamburger Gasglühlicht zurückstehen ließen, und<br />
baute die Straßenbeleuchtung weiter aus. Außerdem startete die AGWEA eine<br />
Werbekampagne: Im Lokal-Anzeiger propagierte sie das elektrische Licht immer<br />
wieder als kostengünstige Alternative zu der in den Haushalten vorherrschenden<br />
Petroleumbeleuchtung und den Elektromotor als „das billigste Betriebsmittel<br />
für das Kleingewerbe.“<br />
Werbung im Lokalanzeiger: „Bade zu Hause! Bade mit Gas!“<br />
Doch die AGWEA beließ es nicht dabei, nur die Stromversorgung auszubauen.<br />
Sie schloß Schiffbek auch an das Gasnetz an. Bereits 1909 wurde mit der<br />
Verlegung der Leitungen begonnen, 1910 errichtete man auf dem Gelände des<br />
Elektrizitätswerks einen großen Gasbehälter. Das Gas selbst kam aus dem von<br />
der AGWEA betriebenen Gaswerk in Bergedorf und sollte in dem Gasometer<br />
zwischengespeichert werden. Auch diese technische Neuerung wurde kräftig<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
Von dem 1903 errichteten E-Werk am Schleemer Bach ist nur noch die denkmalgeschützte<br />
Villa erhalten<br />
beworben: Im Lokal-Anzeiger pries man gasbetriebene Warmwasserbereiter<br />
mit den Worten „Bade zu Hause! Bade mit Gas!“, im Elektrizitätswerk demonstrierte<br />
man die Vorzüge des Dampfwaschautomaten „Fix“ und bot Vorträge an<br />
zum Thema „Das Gas im modernen Haushalt unter besonderer Berücksichtigung<br />
des Kochens, Bratens und Backens“. Bis dahin hatte man in den Haushalten<br />
sowohl für die Warmwasserbereitung als auch zum Kochen massive Kohlenöfen<br />
verwendet, die mühselig befeuert werden mussten und eine Menge Dreck<br />
verursachten.<br />
Das Wasser stammte zunächst aus privaten Brunnen. Erst 1913 erhielt der Ort<br />
eine zentrale Wasserversorgung. Das Wasserwerk wurde am Öjendorfer Weg<br />
errichtet. Bauherr und Betreiber war die Gemeinde Schiffbek selbst. Die Motivation<br />
hierfür bestand vor allem in der damit verbundenen Verbesserung des<br />
Feuerlöschwesens. Gleichwohl die Gemeinde zugleich auch die Anlage einer<br />
Kanalisation sowie eines Klärwerks beschlossen hatte, mussten die Bewohner<br />
hierauf noch über 20 Jahre warten. Erst in den Jahren 1933 bis 1936 wurden<br />
sie im Rahmen von Notstandsarbeiten ins Werk gesetzt. Bis dahin wurden die<br />
Abwässer in teils offenen Rinnen und Gräben entlang der Straßen abgeleitet.<br />
7
8<br />
3<br />
von DER mühlE zum<br />
SchlEEmER PARk<br />
Am Schleemer Bach, kurz vor der mündung in die Bille, lagen über<br />
mehrere Jahrhunderte hinweg verschiedene mühlen.<br />
Die ersten Erwähnungen von Mühlen in Schiffbek stammen aus den Jahren<br />
1256 und 1276. Wie alle ihre Nachfolger dürften sie im unteren Bereich des<br />
Schleemer Baches, kurz vor der Mündung in die Bille, gelegen haben. Das<br />
nächste Mal wurden die Schleemer Mühlen in den 1640er Jahren aktenkundig.<br />
Nunmehr befanden sie sich im Besitz des Hamburger Kaufmanns Albert Block,<br />
der die Erlaubnis erhielt, seine beiden Kupfermühlen zu Papier- und Ölmühlen<br />
umzubauen und unterhalb des Teiches weitere Mühlen anzulegen, ausgenommen<br />
waren davon jedoch Korn- und Walkmühlen. Im Jahre 1644 errichtete er<br />
daraufhin eine Holzmühle mit zwei Mahlgängen für Brasilholz und Lohe, sein<br />
Sohn und Enkel fügten später eine Holz- bzw. Pulvermühle hinzu.<br />
Doch nicht immer ging es mit den Schleemer Mühlen aufwärts. Als das Anwesen<br />
im Jahre 1769 von dem Hamburger Kaufmann Jacob Schultze erworben<br />
wurde, war es offensichtlich in einem sehr baufälligen Zustand. Zum Kaufpreis<br />
von 21.000 Mark Banco musste er weitere 30.000 Mark für den Wiederaufbau<br />
der Mühlen aufwenden. Er legte eine Wachsbleiche an, errichtete an der Stelle<br />
einer bereits viele Jahre zuvor gesprengten Pulvermühle eine Papiermühle,<br />
die bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen sollte, und auch das Gutshaus,<br />
der Schleemer Hof, dessen Bild bis heute mit dem Schleemer Mühlenanwesen<br />
verbunden wird, soll aus dieser Zeit stammen. Denn es wird dem Hamburger<br />
Baumeister Ernst Georg Sonnin zugeschrieben, der von 1713 bis 1794 lebte.<br />
1792 wurde das Mühlenanwesen dann um eine Windmühle ergänzt, die an der<br />
heutigen Straßenecke Kapellenstraße/Oberschleems errichtet wurde. Dies war<br />
der ursprüngliche Verlauf der Möllner Landstraße; der gerade Durchstich von der<br />
Brücke über den Schleemer Bach zur Ecke Möllner Landstraße/Oberschleems<br />
erfolgte erst in den 1920er Jahren. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die<br />
Windmühle als Farbholzmühle genutzt, später dann zum Mahlen von Korn und<br />
Schrot. Im Jahr 1861 löste man sie aus dem Mühlenanwesen heraus. Von 1887<br />
Das Gutshaus Schleemer Hof, das vom berühmten Architekten Ernst-Georg<br />
Sonnin gestammt haben soll, wurde 1953 abgebrochen<br />
bis 1941 befand sie sich im Besitz der Familie Böhndel. Der neue Besitzer brach<br />
sie bereits im folgenden Jahr ab.<br />
Die Papiermühle wurde während des Ersten Weltkriegs abgebrochen<br />
Bei dem restlichen Mühlenkomplex, der neben dem Herrenhaus mit Lustgarten,<br />
einigen Nebengebäuden, der Wachsbleiche und der Papiermühle noch eine<br />
wassergetriebene Farbholzmühle umfasste, wurde das Bild im 19. Jahrhundert<br />
von zahlreichen Besitzerwechseln, Abtretungen, Teilungen und einem Verfall<br />
der Mühlen geprägt. Das nördlich der Möllner Landstraße gelegene Areal<br />
ging schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Besitz des Ingenieurs<br />
Zieseniß über, der die hier befindliche Mühle abbrach und an ihrer Stelle das<br />
Schiffbeker Elektrizitätswerk errichtete.<br />
Das Mühlengelände südlich der Möllner Landstraße kam 1910 an die Gemeinde<br />
Schiffbek, die es in einen öffentlichen Park umwandelte. Während die Papiermühle<br />
bereits in der Zeit des Ersten Weltkriegs abgebrochen wurde, nutzte man<br />
das alte Gutshaus in den 1920er Jahren als Arbeitsamt. In den 1930er Jahren<br />
folgte die Übernahme durch die NS-Frauenschaft und 1953 schließlich der Abriss<br />
des mittlerweile baufälligen Gebäudes. Der Park erfuhr seitdem mehrere<br />
grundlegende Renovierungen, zuletzt in den Jahren 2010/11.
4<br />
DIE „JutE“: ARBEItSStättE<br />
füR 1.500 mEnSchEn<br />
Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich Schiffbek zum Industriestandort.<br />
Allein die Jute-Spinnerei verfügte über 304 Webstühle.<br />
1883/84 wurde Schiffbek auf einen Schlag zum Fabrikort. In diesen Jahren errichtete<br />
die in Hamburg ansässige „Norddeutsche Jute-Spinnerei und Weberei<br />
A.G.“ am Ufer der Bille einen Großbetrieb für die Verarbeitung von Jute. In einer<br />
zeitgenössischen Publikation wird das Werk wie folgt beschrieben: „Die Bauten<br />
sind durchweg nur eingeschossig, die großen Säle der Spinnerei und Weberei<br />
mit Sheddächern, das Kesselhaus, die Appretur und der Batschraum mit Bogendächern<br />
aus Holzlatten. Die Fußböden sind aus schweren Sandsteinplatten<br />
hergestellt. Vier Galloway-Kessel zu je 120 Quadratmeter Heizfläche und ein<br />
Economiser, Betriebsmaschine von 800 Pferdekräften mit Haftseiltransmission.<br />
Schornstein 50 Meter hoch, 1,75 Meter Durchmesser. Dampfheizung in allen<br />
Räumen, Beleuchtung theils durch Oelgas, theils elektrisch.“<br />
Zu Beginn wurde der Betrieb mit 500 Arbeitskräften aufgenommen, 1890 waren<br />
es bereits 1150, bald noch der Wende zum 20. Jahrhundert mehr als 1500. Ein<br />
Großteil der Belegschaft waren Frauen und Jugendliche. Zum einen verfügten<br />
sie häufig über eine größere Fingergeschicklichkeit, die bei der Bedienung der<br />
Spinn- und Webmaschinen von Vorteil war. Zum anderen waren sie ausgesprochen<br />
günstige Arbeitskräfte. Gut lässt sich das an einem Tarif vom Ende des<br />
Jahres 1923 ablesen: Handwerker 36 Pfennige pro Stunde, Männer 30 Pfennige,<br />
Frauen 17 Pfennige und Jugendliche 6 Pfennige. Nachdem die wöchentliche<br />
Arbeitszeit noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei 60 Stunden gelegen hatte,<br />
sank sie in den 20er Jahren auf 48 Stunden.<br />
1890 verfügte das Werk über 5600 Spindeln, 304 Webstühle und 75 Dampfnähmaschinen.<br />
Im Vollbetrieb produzierte es zu dieser Zeit etwa 30.000 Säcke,<br />
40-45.000 Meter Gewebe und 22-25.000 Kilogramm Garn am Tag.<br />
Für die Arbeitskräfte errichtete die Jute eine große Arbeiterkolonie<br />
Die Jute konnte ihre Belegschaft zu Beginn unmöglich aus Schiffbek selbst re-<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
krutieren. 1880 zählte der gesamte Ort nur 980 Einwohner. Deshalb engagierte<br />
man Agenten, die vor allem in Osteuropa, insbesondere in polnischen, tschechischen<br />
und ungarischen Gebieten, junge Leute anwarben. Unter anderem<br />
begründeten diese Zuwanderer die noch heute große katholische Gemeinde<br />
Schiffbeks. Waren es 1885 erst drei Familien, so machte sie 1910 mit 3262<br />
Personen etwa ein Drittel der gesamten Bevölkerung des Ortes aus.<br />
Zur Unterbringung der Arbeitskräfte errichtete die Jute eine große Arbeiterkolonie.<br />
Neben zahlreichen Arbeiterwohnungen gehörte zu ihr auch ein großes<br />
zweigeschossiges Gebäude. Es diente als Kindergarten und Warteschule und<br />
zielte darauf, die Frauen ein Stück weit von ihren familiären Pflichten zu entbinden<br />
und als Arbeitskräfte zu gewinnen.<br />
Die Jute galt zwar als recht sozialer Arbeitgeber, doch auch hier gab es immer<br />
wieder Arbeitskämpfe. Besonders lange dauerte ein Streik im Sommer 1911:<br />
Damals ruhte der gesamte Betrieb für mehr als sieben Wochen.<br />
Bereits nach dem ersten Weltkrieg litt das Werk unter der Konkurrenz durch<br />
neue Fabriken, die in Indien, einem der Hauptanbaugebiete der Jute, entstanden<br />
waren. Daran änderte auch die Fusion mit mehreren anderen Betrieben im Jahr<br />
1923 nur wenig. Nach Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs baute<br />
man die Anlagen 1952 noch einmal auf. Doch schon sechs Jahre später schloss<br />
das Werk für immer seine Tore.<br />
1958 schloss die Jutespinnerei und -weberei endgültig ihre Tore<br />
9
10<br />
5<br />
AuS BIllWäRDER WIRD<br />
BIllBRook<br />
Sommerfrischen, Ausflugsdampfer, fabrikschlote – innerhalb von 100<br />
Jahren wandelt sich Billwärder zu Billbrook.<br />
Die Landschaft Billwärder war bereits 1395 unter die Herrschaft Hamburgs<br />
gekommen. Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sie sich zu einem der bevorzugten<br />
Orte für Sommerfrischen wohlhabender Hamburger. Die herrschaftlichen<br />
Anwesen verfügten vielfach über prächtige Gärten mit großen Orangerien, die<br />
weit über die Grenzen der Hansestadt bekannt waren.<br />
Als es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den besseren Kreisen Hamburgs in<br />
Mode kam, an der Elbchaussee zu residieren, wandelten sich viele Herrenhäuser<br />
am Billwärder Billdeich zu Ausflugslokalen. Das bedeutendste war der mächtige,<br />
1727 errichtete Bau bei der blauen Brücke, der bis ins 20. Jahrhundert die<br />
Gastwirtschaft „Billwärder Park“ beherbergte. Bis in diese Zeit verkehrten auch<br />
immer wieder Ausflugsdampfer aus der nahen Hansestadt zur unteren Bille.<br />
Ursache für das sinkende touristische Interesse war, dass sich die untere Bille<br />
zunehmend zu einem Industrierevier wandelte. Den Anfang hatte bereits 1846 -<br />
ebenfalls bei der blauen Brücke - eine chemische Fabrik gemacht, die als älteste<br />
chemische Fabrik Hamburgs gilt. Nachdem hier zunächst nur in einer kleinen<br />
Kate aus Gasabfällen Salmiak hergestellt worden war, entwickelte sie sich bis<br />
1889 zu einem bedeutenden Betrieb mit 300 Beschäftigten.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich lediglich fünf weitere Betriebe hinzugesellt:<br />
Eine Eisengießerei, eine weitere chemische Fabrik, eine Parfümerie- und Seifenfabrik,<br />
eine Öl- und Firnisfabrik sowie eine Wäscherei und Färberei. Hamburgs<br />
Anschluss an das Zollgebiet des Deutschen Reiches im Jahre 1888 beschleunigte<br />
diese Entwicklung dann erheblich. Nunmehr verging bis zum Ersten Weltkrieg<br />
kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens ein neuer Betrieb hinzukam. Zu den<br />
bedeutendsten zählten ein Metallwalzwerk mit seinem über 100 Meter hohen<br />
Schornstein und die 1908 eröffnete Zinkhütte, die bis zu 360 Arbeiter beschäftigte.<br />
Neue Kanäle, Straßen und Bahngleise: Billbrook entsteht<br />
Während sich diese Entwicklung bis Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend<br />
urwüchsig vollzogen hatte, griff nun die Stadt Hamburg gestaltend ein: Nachdem<br />
bereits in den 1890er Jahren die Bille verbreitert und ausgebaggert und die<br />
blaue Brücke erneuert worden war, bemühte man sich nun im großen Stil um die<br />
Bereitstellung neuer Flächen für Industriebetriebe. Das gesamte Areal zwischen<br />
der Bille im Norden, dem Dorf Moorfleet im Süden, dem Unteren Landweg im<br />
Osten und dem heutigen Tiefstackkanal im Westen wurde aufgehöht und durch<br />
Kanäle, Straßen und Bahngleise erschlossen. 1912 erhob die Stadt Hamburg das<br />
Gebiet zum eigenständigen Stadtteil Billbrook.<br />
Zahlreiche Arbeiter, die in den Billbrooker Fabriken tätig waren, wohnten im benachbarten<br />
Schiffbek. Um ihnen den Weg zur Arbeit zu erleichtern, errichteten<br />
die beiden Gemeinden Schiffbek und Billbrook im Jahr 1906 eine zusätzliche Fußgängerbücke.<br />
Bald bürgerte sich für sie die Bezeichung „Stinkbüdelsgang“ ein.<br />
Von den Billbrooker Betrieben gingen zum Teil massive Umweltbelastungen<br />
aus. Am gravierendsten waren die Ausdünstungen der Zinkhütte. Sie ließen die<br />
Vegetation am Schiffbeker Geesthang weitgehend absterben und schädigten<br />
massiv die Gesundheit der Bewohner.<br />
Neben chemischen Betrieben und einem Metallwalzwerk siedelte sich auch die<br />
Zinkhütte an
6<br />
SchIffBEk: DoRf voR DEn<br />
toREn hAmBuRgS<br />
Das Dorf Schiffbek wurde vermutlich nach der bis hierhin schiffbaren<br />
Bille benannt.<br />
Das Dorf Schiffbek wurde erstmalig im Jahre 1212 urkundlich erwähnt. Namensgebend<br />
war vermutlich die bis hierher schiffbare Bille, die in diesem Gebiet<br />
unmittelbar am Fuße des Geesthangs entlang fließt. Zugleich wurde seine<br />
Anlage dadurch begünstigt, dass hier von alters her ein Fernhandelsweg verlief.<br />
Bis 1864 stand Schiffbek als Teil Holsteins unter dänischer Herrschaft, ab 1867<br />
gehörte es zur neuen preußischen Provinz Schleswig-Holstein. 1927 wurde es<br />
dann mit den beiden Nachbargemeinden Kirchsteinbek und Öjendorf zur Großgemeinde<br />
Billstedt zusammengefasst, die durch das Groß-Hamburg-Gesetz von<br />
1937 in die Hansestadt eingemeindet wurde.<br />
Schiffbek war von Beginn an ein Straßendorf. Es erstreckte sich entlang der<br />
heutigen <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße und reichte unmittelbar von der Hamburger<br />
Grenze an der heutigen Legienstraße bis zur Abzweigung der Möllner Landstraße.<br />
Bereits 1835 war die <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße als Teil der Hamburg-Berliner<br />
Chaussee mit einem soliden Pflaster versehen worden. Auf der Südseite befanden<br />
sich die Bauernhäuser. Sie waren im Stil des niedersächsischen Hallenhauses<br />
gebaut und mit Stroh gedeckt. Im Südwesten, der vorherrschenden Windrichtung,<br />
wurden sie von prächtigen Bäumen umsäumt. Zur Bille hin verfügten<br />
sie über fruchtbare Gärten mit zahlreichen Obstbäumen. Auf der Nordseite<br />
lagen die Gebäude von Kätnern, anderen unterbäuerlichen Schichten und Gewerbetreibenden.<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Ort schließlich<br />
an beiden Enden von zwei größeren Gasthäusern gesäumt. Im Westen war<br />
dies das „Schleswig-holsteinische Wappen“. Bei ihm handelte es sich um ein<br />
großes Fachwerkhaus, vor dem zwei große schattenspendende Bäume standen.<br />
Außerdem befanden sich vor seinem Eingang auf Pfählen befestigte Eisengitter,<br />
die zum Anbinden der Pferde dienten. Das Lokal am östlichen Ende wurde vom<br />
Gastwirt Vocke betrieben.<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts lebten knapp 600 Menschen in Schiffbek<br />
Im Jahr 1634 waren in Schiffbek acht Höfe und elf Katen sowie insgesamt 96<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
Die heutige <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße auf Höhe des Legiencenters um 1900<br />
Einwohner gezählt worden. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl<br />
dann auf knapp 600 Menschen, die sich auf etwa 130 Haushaltungen in<br />
66 Gebäuden verteilten. Zu den Bauernfamilien hatten sich nun unter anderem<br />
mehrere Zollbedienstete, ein Chausseegeldeinnehmer, ein Gendarm, ein Oberpolizeidiener,<br />
ein Lehrer, einige Ärzte, Schmiede, Bäcker, Krüger, Höker, Tischler,<br />
Schneider und Schuster, jeweils ein Rademacher, Riemermeister, Mehlhändler<br />
und Torfschiffer sowie zahlreiche Arbeiter und Tagelöhner gesellt.<br />
Die Schiffbeker Feldmark ersteckte vom Nordrand des Dorfes bis zur Jenfelder<br />
Grenze. Im Jahre 1773 wurden die bis dahin bestehenden Gewannflure<br />
(in schmale Streifen aufgeteilte, von den Bauern gemeinsam urbar gemachte<br />
Felder) in Koppeln umgewandelt. Im Zuge dieser Verkoppelung erhielt der heutige<br />
Schiffbeker Weg seinen geraden Verlauf. Die Böden waren überwiegend<br />
sandig, wurden aber häufig durch Dünger ergiebig gemacht. Im 19. Jahrhundert<br />
herrschte der Kartoffelbau vor, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann<br />
überwiegend Getreide angebaut. Außerdem gab es entlang der Bille, im Bereich<br />
des Schiffbeker Moores sowie am Jenfelder und Schleemer Baches zahlreiche<br />
Weiden.<br />
11
12<br />
7<br />
BIllStEDt Im<br />
nAtIonAlSozIAlISmuS<br />
In Schiffbek, einer hochburg der Arbeiterbewegung, konnte die<br />
nSDAP nur schwer fuß fassen.<br />
Schiffbek hatte sich seit der Industrialisierung zur einer Hochburg der Arbeiterbewegung<br />
entwickelt, und auch Billstedt, zu dem es 1927 mit den Nachbargemeinden<br />
Kirchsteinbek und Öjendorf zusammengefasst worden war, war ein<br />
„roter“ Stadtteil. Bis in die Endzeit der Weimarer Republik hinein kamen die<br />
beiden Arbeiterparteien SPD und KPD hier bei den Wahlen zusammen auf mehr<br />
als 60 Prozent der abgegebenen Stimmen.<br />
Die NSDAP, die mit ihrer Machtergreifung im Jahr 1933 der ersten deutschen<br />
Demokratie ein Ende bereitete, hatte es dagegen schwer, hier Boden zu fassen.<br />
Mehrfach kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern,<br />
einmal wurde sogar auf einen <strong>Billstedter</strong> Nationalsozialisten geschossen.<br />
Einen nennenswerten Stimmanteil hatte die NSDAP in Billstedt erstmals bei<br />
den Reichstagswahlen im September 1930 mit 9,7 Prozent erzielt. Trotz massiver<br />
Propaganda und gleichzeitiger Unterdrückung von SPD und KPD kam sie bei<br />
den Reichstagswahlen im März 1933 in Billstedt nicht über 27,1 Prozent hinaus.<br />
Und auch bei der eine Woche später durchgeführten Wahl zum Gemeinderat<br />
war das Ergebnis nur unbedeutend besser.<br />
Die Schiffbeker Kirchen mussten die Hakenkreuz-Fahne hissen<br />
Gleichwohl folgte nun auch in Billstedt die Gleichschaltung, zunächst auf politischer<br />
Ebene. Da dies aufgrund des örtlichen Wahlergebnisses nicht leicht zu<br />
rechtfertigen war und man dieses auch nicht ganz ignorieren mochte, griffen<br />
die Nationalsozialisten zu einigen zweifelhaften Maßnahmen, um die Mehrheitsverhältnisse<br />
zu ihren Gunsten zu verschieben. Zuvor waren bereits zahlreiche<br />
Sozialdemokraten aus der Gemeindeverwaltung entfernt worden. Den<br />
langjährigen Gemeindevorsteher Heinrich Klink überzog man zudem mit zwei<br />
Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Aberkennung seiner Pensionsansprüche,<br />
die allerdings beide abschlägig beschieden wurden.<br />
Außerdem wandte sich die NSDAP der Gleichschaltung des gesellschaftlichen<br />
Lebens zu. Vereine und andere Organisationen wurden, wenn man sie nicht<br />
gleich auflöste, entweder mit neuen, linientreuen Vorständen versehen oder<br />
aber in nationalsozialistische Einrichtungen eingegliedert. Die Kirchen mussten<br />
die Hakenkreuz-Fahne hissen, von Kindern und Jugendlichen wurde die Mitgliedschaft<br />
in den Jugendorganisationen HJ und BDM erwartet, Nachbarschaften<br />
standen bald unter der Aufsicht von Blockwarten.<br />
Wer nicht ins nationalsozialistische Weltbild passte, wurde diskriminiert,<br />
schikaniert und mitunter erbarmungslos verfolgt. Bereits im April 1933 wurde<br />
mit an den Schaufenstern befestigten Transparenten zum Boykott jüdischer<br />
Geschäfte aufgerufen. Immer wieder kam es zu willkürlichen Verhaftungen. Die<br />
Sozialdemokratin Katharina Corleis kam unter ungeklärten Umständen in ihrer<br />
Zelle im KZ Fuhlsbüttel durch Erhängen zum Tode. Fiete Schulze, der Anführer<br />
der Schiffbeker Kommunisten im Hamburger Aufstand, wurde nach schweren<br />
Misshandlungen im Gefängnis in einem Aufsehen erregenden Schauprozess<br />
zum Tode verurteilt und mit dem Beil enthauptet. Mehrere jüdische Familien<br />
wurden während des Zweiten Weltkriegs deportiert und ermordet. Zahlreiche<br />
Stolpersteine erinnern mittlerweile in Billstedt an diese Opfer des nationalsozialistischen<br />
Terrors.<br />
Die jüdische Familie Laser vor ihrem Geschäft
8<br />
DIE EntWIcklung DES<br />
BIllStEDtER zEntRumS<br />
In den 1970er Jahren löst das Billstedt-center die <strong>Billstedter</strong><br />
hauptstraße als Einkaufszentrum des Stadtteils ab.<br />
Mit Schiffbeks Wandlung zum Arbeiterquartier entwickelte sich die heutige<br />
<strong>Billstedter</strong> Hauptstraße zu einer lebendigen Einkaufsstraße. In nahezu jedem<br />
Erdgeschoss befanden sich Ladengeschäfte. Ergänzt wurde dieses vielfältige<br />
Einzelhandelsangebot durch zahlreiche Lokale und zwei Kinos. 1914 erhielt<br />
Schiffbek Anschluss an die Hamburger Straßenbahn: Von Horn kommend<br />
verlängerte man die Gleise bis zur Gabelung von <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße und<br />
Möllner Landstraße. In den 1920er Jahren kamen dann einige Buslinien hinzu.<br />
Außerdem fand seit dieser Zeit auf dem bei der Einmündung des Schiffbeker<br />
Wegs gelegenen Marktplatz ein regulärer Wochenmarkt statt, der den bis dahin<br />
vorherrschenden Straßenhandel ablöste.<br />
Mit der Zeit wurde der zunehmende Autoverkehr jedoch zu einer Belastung.<br />
Bereits in den 1920er und 1930er Jahren wurde die Straße mehrfach verbreitert.<br />
Den Wochenmarkt verlegte man an die Möllner Landstraße, die Straßenbahnkehre<br />
wurde an die Einmündung des Schiffbeker Wegs verlagert. Weitere<br />
Beschädigungen erfuhr das Straßenbild durch ein umfangreiches Absterben<br />
der Alleebäume in den 1940er Jahren und etliche Bombentreffer während des<br />
Zweiten Weltkriegs.<br />
Das Billstedt-Center ist zunächst nur eine offene Ladenpassage<br />
Nach Kriegsende drängte das weiter anwachsende Verkehrsaufkommen auf<br />
eine grundlegende Neuordnung. Die Lösung wurde schließlich durch Billstedts<br />
Anbindung an das Hamburger Schnellbahnnetz geprägt. Als im September<br />
1969 einige hundert Meter nördlich der <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße die U-Bahn-<br />
Haltestelle Billstedt in Betrieb genommen wurde, weihte man gleichzeitig den<br />
unmittelbar anschließenden ersten Bauabschnitt des Billstedt-Centers ein. Es<br />
handelte sich dabei um eine offene Einkaufspassage mit Laubengängen und<br />
zahlreichen Geschäften, darunter Karstadt, die Kaufhalle und Schwedenpelz.<br />
An der <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße setze zugleich ein Niedergang ein. Zum einen lag<br />
das an der Konkurrenz durch das neue Einkaufszentrum. Zum anderen wurde das<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
Platz für Flaneure: Die <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße Ende der 1930er Jahre<br />
alte Zentrum noch mehr als bisher an den Erfordernissen des Straßenverkehrs<br />
ausgerichtet. Der Schiffbeker Weg wurde nun auf vier Fahrspuren verbreitert<br />
und über die Moorfleeter Brücke mit dem Industriegebiet Billbrook verbunden.<br />
Zwar verlagerte man die B5 in dieser Zeit von der <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße ans<br />
Ufer der Bille, doch angesichts des Schwerlastverkehrs, der jetzt den Stadtteil<br />
auf dem Weg von oder nach Billbrook passierte, brachte dies keine Entlastung.<br />
An die Stelle des <strong>Billstedter</strong> Knotens, auf dem sich bis 1968 die Straßenbahnendhaltestelle<br />
befunden hatte, trat nun eine riesige Kreuzung.<br />
Zu einem gewissen Abschluss kam die Zentrumsentwicklung Ende der 1970er<br />
Jahre. 1977 erweiterte man das Billstedt Center mit einem zweiten Baubschnitt<br />
bis an die Möllner Landstraße. Der Wochenmarkt musste hierfür um einige<br />
Meter nach Osten verlegt werden und wurde wenig später auf seiner Ostseite<br />
durch den Neubau eines Ärztehauses gefasst. Zugleich wurden der untere Teil<br />
des Öjendorfer Wegs und die Möllner Landstraße in eine Fußgängerzone umgewandelt.<br />
Den Verkehr nahm fortan die Reclamstraße auf, die man nun von<br />
der U-Bahn-Haltestelle um das <strong>Billstedter</strong> Zentrum herum bis zur <strong>Billstedter</strong><br />
Hauptstraße durchführte.<br />
13
14<br />
9<br />
SchIffBEk Im<br />
hAmBuRgER AufStAnD<br />
Im oktober 1923 ist Schiffbek zwei tage lang die hochburg des<br />
kommunistischen Aufstandes.<br />
Im Oktober 1923, in der Hochphase der Inflation, wollte die Kommunistische Partei<br />
Deutschlands (KPD) von Hamburg und Kiel aus einen gewaltsamen Umsturz<br />
versuchen. Obwohl die Aktion kurzfristig abgesagt wurde, schlugen die Hamburger<br />
Kommunisten am 23. Oktober los. Es wurden zahlreiche Polizeiwachen<br />
gestürmt und ganze Stadtviertel besetzt. Die Sicherheitskräfte benötigten zwei<br />
Tage, um den Aufstand niederzuschlagen. Es gab eine Vielzahl von Verletzten<br />
und Toten. Schiffbek war eine der Hochburgen des Aufstandes und entwickelte<br />
sich zur letzten Bastion der Umstürzler.<br />
Im Einzelnen verliefen die Auseinandersetzungen in Schiffbek wie folgt: Nachdem<br />
sich die Aufständischen in den frühen Morgenstunden des 23. Oktobers<br />
gewaltsam der Waffen der Einwohnerwehr bemächtig und den Polizeiposten<br />
überwältigt hatten, besetzten sie die Gemeindeverwaltung, das evangelische<br />
Gemeindehaus und das Postamt. Die Bevölkerung wurde durch Plakate über die<br />
Ziele des Umsturzes informiert.<br />
Bewaffnete Patrouillen zogen durch den Ort und versuchten, Arbeiter am Aufsuchen<br />
ihrer Arbeitsplätze zu hindern. Andere errichteten derweil Barrikaden.<br />
Am Rothenbrückenweg sowie in der heutigen <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße auf Höhe<br />
der Legienstraße und hinter der Einmündung des Schiffbeker Wegs riss man<br />
das Pflaster auf, um Schützengräben anzulegen. An der Möllner Landstraße blockierte<br />
man die Straße zudem durch quer gestellte Fahrzeuge, von Kirchsteinbek<br />
kommende Fahrzeuge wurden mit Waffengewalt zur Umkehr gezwungen. Für<br />
das leibliche Wohl der Aufständischen, deren Zahl auf 200 geschätzt wurde,<br />
sorgten derweil Frauen und Mädchen, die im evangelischen Gemeindehaus<br />
eine Volksküche eingerichtet hatten. Die Lebensmittel stammten dabei aus den<br />
Vorräten der Schulspeisung, das Brot wurde bei Schiffbeker Bäckern beschlagnahmt.<br />
Neun Personen starben bei den Auseinandersetzungen, darunter fünf<br />
Polizisten<br />
Kurz nach dem Mittag rückten die Sicherheitskräfte zum ersten Mal vor. Sie<br />
näherten sich von der Wandsbeker Seite sowie über die Billewiesen und wurden<br />
von den Aufständischen, die sich unter anderem auf Hausdächern und im Turm<br />
der evangelischen Kirche versteckt hatten, unter Beschuss genommen. Zwar<br />
gelang es der Polizei, bis zum jenseits der Abzweigung der Möllner Landstraße<br />
gelegenen Postamt vorzudringen, doch dann mussten sie sich aufgrund ihrer zu<br />
geringen Stärke zurückziehen. Neun Personen fanden bei diesen Auseinandersetzungen<br />
den Tod, darunter fünf Polizisten.<br />
Am folgenden Tag dauerte es wieder bis zum Mittag, ehe die Sicherheitskräfte<br />
angriffen. Zunächst überflogen zwei Flugzeuge den Ort, um sich ein Bild von der<br />
Lage zu verschaffen. Sie wurden von den Aufständischen ebenso beschossen<br />
wie die Sicherheitskräfte, die kurz darauf von einer Barkasse in den Schiffbeker<br />
Wiesen abgesetzt wurden. Als dann jedoch aus verschiedenen Richtungen Panzerwagen<br />
in den Ort eindrangen und mit Maschinengewehren das Feuer auf die<br />
Aufständischen eröffneten, brach der Widerstand zusammen.<br />
Der militärische Leiter der Schiffbeker KPD, Fiete Schulze, konnte nach Chile<br />
entkommen. Viele andere wurden verhaftet. Insgesamt wurde gegen 191<br />
Aufständische aus Schiffbek Anklage erhoben. Fast alle wurden für schuldig<br />
befunden und zu ein bis fünf Jahren Haft verurteilt.<br />
Aus dem Aufruf der Aufständischen: „Schließt Euch zusammen zum Schutz des<br />
Arbeiterstaates Deutschland“
10<br />
DAS SchIffBEkER<br />
ARBEItERquARtIER<br />
mit zunehmender Industrialisierung entwickelte sich in Schiffbek aus<br />
ungelernten Arbeitern ein proletarisches milieu.<br />
Mit Beginn der Industrialisierung wandelte sich Schiffbek binnen kurzer Zeit<br />
zum Arbeiterquartier. Hatte der Ort 1880 noch 980 Einwohner gezählt, waren<br />
es dreißig Jahre später fast zehnmal so viele. Mehr als drei Viertel davon waren<br />
ungelernte Fabrikarbeiter, die hier ein proletarisches Milieu entstehen ließen,<br />
wie man es auch in Arbeiterquartieren der nahen Hansestadt, etwa in Hammerbrook,<br />
Barmbek oder Eimsbüttel, vorfand.<br />
Den Anfang hatte die Arbeiterkolonie der 1883/84 errichteten Jutespinnerei<br />
und -weberei gemacht: Zum einen bestand sie aus den sogenannten „alten<br />
Spinnhäusern“, die sich oberhalb der direkt an der Bille gelegenen Fabrik<br />
zwischen der heutigen <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße und der Möllner Landstraße<br />
befanden, und den „neuen Spinnhäusern“, die sich nördlich davon anschlossen<br />
und etwa bis zur heutigen U-Bahn-Trasse reichten. Bei ersteren handelte es<br />
sich um zwei langgezogene eingeschossige Zeilenbauten, bei letzteren um vier<br />
zweigeschossige Blocks. Insgesamt umfassten sie 166 Wohnungen. Den „alten<br />
Spinnhäusern“ war zudem auf der Südseite ein zweigeschossiger Komplex vorgelagert,<br />
der tagsüber als Kindergarten diente und abends von den Arbeitern<br />
als Lesesaal genutzt werden konnte. Des Weiteren gab es ein Speisehaus mit<br />
Schlafsälen für unverheiratete Arbeiter und Arbeiterinnen. Ab 1896 errichtete<br />
man weiter östlich, rund um die heutige Straße Spökelbarg, eine kleine Siedlung<br />
mit Einzelhäusern für die Werkmeister. 1898 folgte schließlich gegenüber dem<br />
Kindergarten eine herrschaftliche Villa für den Werksdirektor. Heutzutage sind<br />
von der Arbeiterkolonie der „Jute“ alleine diese Villa, die Meisterhäuser am<br />
Spökelbarg und ein Ende der 1930er Jahre errichteter neuer Kindergarten in der<br />
<strong>Billstedter</strong> Hauptstraße erhalten.<br />
Wo einst die Spinnhäuser standen, verläuft heute die Reclamstraße<br />
Unmittelbar westlich an die alten Spinnhäuser schloss sich die ab 1883 errichtete<br />
neue Schiffbeker Volksschule an. Sie wurde bis ins 20. Jahrhundert<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
Das Arbeiterquartier zwischen heutiger <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße und<br />
Möllner Landstraße<br />
mehrfach erweitert und zählte 1914 schließlich nicht weniger als 1800 Schüler.<br />
Ebenso wie die Spinnhäuser fiel sie Ende der 1970er Jahre der Neugestaltung<br />
des <strong>Billstedter</strong> Zentrums zum Opfer. Auf dem ehemaligen Schulgelände befinden<br />
sich heute die <strong>Billstedter</strong> Polizeiwache sowie ein großer Wohnblock. Dort, wo<br />
einst die Spinnhäuser standen, verläuft heute die Reclamstraße.<br />
Rund um diesen Komplex aus Arbeiterkolonie der Jute und Volksschule entstanden<br />
um die Wende zum 20. Jahrhundert zahlreiche zwei- bis viergeschossige<br />
Arbeitermietshäuser. Im Westen reichte diese Bebauung über den heutigen<br />
Schiffbeker Weg hinaus unmittelbar bis an das alte Dorf Schiffbek heran, im<br />
Osten erstreckte sie sich bis über den Schleemer Bach. Während die Bauweise<br />
im inneren Bereich sehr eng war – mit geschlossenen Blockrändern und Terrassenhäusern<br />
und Gewerbebetrieben in den Höfen – wurde sie an den Rändern,<br />
gerade in Richtung Kirchsteinbek und jenseits der Möllner Landstraße, lockerer.<br />
Die Wohnungen selbst waren klein. Meist verfügten sie neben der Küche über<br />
zwei bis drei Zimmer. Bäder gab es keine, die Toiletten befanden sich am Treppenhaus<br />
oder aber im Hof. Da die Familien zum Teil vier und mehr Kinder hatten,<br />
waren die Verhältnisse oft sehr beengt.<br />
15
16<br />
11<br />
DER SPökElBERg:<br />
BuRg, vIllA unD fABRIk<br />
Der Spökelberg beheimatete eine Burg, eine villa und eine fabrik –<br />
und ist wohl der geschichtsträchtigste ort Schiffbeks.<br />
Der Spökelberg erlangte erstmals zu Beginn des 9. Jahrhunderts Bedeutung. In<br />
dieser Zeit wurde hier ein mehrere Meter hoher Wallring aus Erde aufgeworfen,<br />
dessen Krone mit Palisaden bewehrt war. Noch heute sind die Überreste<br />
des Walls gut zu erkennen. Der Durchbruch an der Nordseite wurde erst im 19.<br />
Jahrhundert hergestellt. Bis dahin befand sich der Zugang an der Südwestecke.<br />
Mutmaßlich sollte die Burg dazu dienen, die zu dieser Zeit etwa zehn Kilometer<br />
weiter westlich von den Franken errichtete Hammaburg, die Urzelle des heutigen<br />
Hamburgs, abzusichern. Für die Wahl des Standorts waren wohl zwei<br />
Faktoren ausschlaggebend. Zum einen lag der Spökelberg unmittelbar an der<br />
Fernhandelsstraße, die von alters her dem Nordrand des Elb-Urstromtals folgte<br />
und im Bereich der Hammaburg die Alster querte. Zum anderen handelte es sich<br />
beim Spökelberg um einen äußerst gut zu verteidigenden Ort: Er bildete nämlich<br />
einen Geestsporn, der im Süden unmittelbar an die Billeniederung grenzte, die<br />
im 9. Jahrhundert noch durch die normale Flut der Elbe überspült wurde, während<br />
im Osten das gleichfalls unwegsame Tal des Schleemer Baches anschloss.<br />
Gefahr drohte zu dieser Zeit insbesondere von den jenseits des heutigen Sachsenwaldes<br />
siedelnden Slawen.<br />
1225 wurde die Spökelburg von Hamburger Truppen geschleift<br />
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts spielte die Spökelburg dann in der Auseinandersetzung<br />
zwischen Dänen und Schauenburgern eine Rolle: Nachdem der<br />
dänische König Waldemar II. im Jahr 1201 den Schauenburgern ihre nördlich<br />
der Elbe gelegenen Besitzungen entrissen und Albrecht von Orlamünde aus dem<br />
Geschlecht der Askanier zum Grafen von Holstein und Stormarn erhoben hatte,<br />
setzte dieser die Spökelburg noch einmal instand. Nunmehr sollte sie zur Absicherung<br />
des dänischen Herrschaftsgebiets dienen. Doch diese Phase währte<br />
nicht lange: Bereits im Jahr 1225 wurde sie von Hamburger Truppen, die von der<br />
Schlacht bei Mölln zurückkehrten, wo sie den Schauenburger Adolf IV. erfolgreich<br />
bei der Rückeroberung seines Erblandes unterstützt hatten, geschleift.<br />
Karte der Burganlage auf dem Spökelberg<br />
In der Folgezeit verfiel der Ort wohl zusehends. Vermutlich geht sein heutiger<br />
Name ebenso auf diese Zeit zurück wie die Sage, dass dort eine goldene Wiege<br />
vergraben sei.<br />
Im Jahre 1865 errichtete dann der Unternehmer L.G.C. Ullner auf dem Spökelberg<br />
die Villa, die ihn noch heute krönt. 1870 wurde er Teilhaber der Firma Zipperling,<br />
Kessler & Co., wenig später ihr alleiniger Eigentümer. Das Unternehmen<br />
war darauf spezialisiert, Farbhölzer zu zermalen, und unterhielt zu diesem Zweck<br />
bereits zwei Mühlen in Wandsbek und am Lübschen Baum. 1876 folgte eine<br />
dritte, die direkt am Fuße des Spökelbergs errichtet wurde. Diese wurde mit<br />
Dampfkraft betrieben und war damit die erste Fabrik Schiffbeks. Die Zahl der<br />
Beschäftigten stieg von anfangs 17 über mehr als 70 im Jahr 1905 bis auf 200<br />
am Vorabend der Weltwirtschaftskrise.<br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs produzierte die Firma noch bis Anfang<br />
der 1970er Jahre am Fuße des Spökelbergs. Dann musste die Fabrik der neuen<br />
Trasse der B5 weichen, die direkt am Ufer der Bille entlang geführt wurde. Das<br />
Unternehmen siedelte daraufhin nach Ahrensburg um.
12<br />
SozIAlER WohnungSBAu DER<br />
1920ER JAhRE<br />
In den 1920er Jahren entstand in Schiffbek eines der besten Beispiele<br />
für das neue Bauen in hamburg.<br />
Bis zum Ende des Kaiserreichs gab es in Deutschland keinen großen Mangel an<br />
Wohnungen. Zwar waren die angebotenen Wohnungen häufig sehr klein, eng,<br />
dunkel und schlecht belüftet. Doch die Zahl der Wohnungssuchenden hielt sich<br />
in Grenzen.<br />
Mit Beginn der Weimarer Republik änderte sich dies auf dramatische Weise.<br />
Das hatte mehrere Gründe. Zum einen hatte der Wohnungsbau während des<br />
Krieges weitgehend geruht. Und auch nach Kriegsende kam er nur schwer<br />
wieder in Gang. Eine besondere Rolle spielte hierbei die Kohlenknappheit, die<br />
dazu führte, dass viele Ziegeleien nicht arbeiten konnten. Zum anderen hatten<br />
zahlreiche Kriegsteilnehmer während des Krieges oder aber nach Kriegsende<br />
geheiratet, was eine verstärkte Nachfrage nach Wohnungen nach sich zog.<br />
Und schließlich kamen die geburtenstarken Jahrgänge aus der Zeit nach der<br />
Jahrhundertwende nun bald ins heiratsfähige Alter.<br />
Auch der Schiffbeker Wohnungmarkt war nicht ansatzweise in der Lage, die<br />
Nachfrage zu befriedigen. Bis 1925 stieg die Zahl der Wohnungssuchenden<br />
auf 295, 1927 waren es bereits 347 und ein Jahr später 400. Eine nachhaltige<br />
Verbesserung der Lage versprach ein Projekt, das im Dezember 1927 vorgestellt<br />
wurde. Die gemeinnützige Baugesellschaft Selbsthilfe plante, auf einem 30.000<br />
Quadratmeter großen Grundstück zwischen Schleemer Bach und <strong>Billstedter</strong><br />
Mühlenweg einen Komplex mit insgesamt 270 Wohnungen zu errichten. Während<br />
die Wohnungen über zwei Zimmer und eine Fläche von 50 Quadratmetern<br />
verfügten, sahen die Planungen auch ein Gemeinschaftshaus mit modernen<br />
Waschküchen, Badeeinrichtungen und einem Kinderhort vor.<br />
Die modernen Backsteinfassaden waren schlicht, fast schnörkellos<br />
Der von den Architekten Berg und Paasche gemeinsam mit der Bauhütte Nord<br />
erarbeitete Entwurf sah eine weitgehend geschlossene Blockrandbebauung<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
vor, in deren Hof einige weitere Gebäude gestellt werden sollten. Er war ganz<br />
dem vom Bauhaus begründeten, sogenannten „Neuen Bauen“ der 1920er Jahre<br />
verpflichtet: Die bis zu viergeschossigen Baukörper verfügten sämtlich über<br />
Flachdächer. Die Fassaden waren schlicht, fast schnörkellos und in dunklem<br />
Backstein gehalten und wurden allein durch einheitliche Fensterbänder gegliedert.<br />
Lediglich an den Eingangsbereichen und an den Blockecken am Mühlenweg<br />
wollte man gestalterische Akzente setzen.<br />
Gleichwohl die Gemeinde das Vorhaben durch die Überlassung des Grundstücks<br />
in Erbpacht und die Bereitstellung von Hauszinssteuer-Hypotheken unterstützte,<br />
konnten infolge der Weltwirtschaftskrise lediglich die ersten beiden Bauabschnitte<br />
an Kapellenstraße und <strong>Billstedter</strong> Mühlenweg fertiggestellt werden.<br />
Doch auch so spricht der Kunsthistoriker Hermann Hipp von einem der besten<br />
Beispiele für das Neue Bauen in Hamburg.<br />
Ende der 1930er wurde die Anlage dann vervollständigt. Da das Neue Bauen<br />
jedoch nicht im Einklang stand mit den ästhetischen Vorstellungen der Nationalsozialisten,<br />
wich man massiv vom ursprünglichen Entwurf ab. An der Klinkstraße<br />
sowie im Straßenzug An der Schleemer Mühle entstanden nun mehrere<br />
Backsteinblocks mit Sattel- bzw. Walmdächern und zum Teil volkstümlichen<br />
Ornamenten im Eingangsbereich. An die Stelle der spannungsvollen Modernität<br />
im Entwurf von Berg und Paasche trat eine biedere, ganz traditionelle Bebauung.<br />
Der ursprüngliche Entwurf für die Bebauung am <strong>Billstedter</strong> Mühlenweg<br />
17
18<br />
geschichtswerkstatt<br />
Billstedt<br />
Postanschrift<br />
Geschichtswerkstatt Billstedt<br />
c/o Kultur Palast Hamburg<br />
Öjendorfer Weg 30a, 22119 Hamburg<br />
Büro<br />
Öjendorfer Weg 30, 22119 Hamburg<br />
Öffnungszeiten: 1. und 3. Dienstag im Monat, 17-19 Uhr<br />
info@geschichtswerkstatt-billstedt.de<br />
www.geschichtswerkstatt-billstedt.de<br />
Die Geschichtswerkstatt Billstedt besteht seit April 2007 und<br />
ist beim Kultur Palast Hamburg, dem Stadtteilkulturzentrum<br />
am Öjendorfer Weg, angesiedelt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt,<br />
die Geschichte des Stadtteils aufzuarbeiten und zugänglich zu<br />
machen.<br />
Dieses Ziel wird auf vielfältige Weise verfolgt: Es werden<br />
historische Bilder und Karten sowie Bücher, Filme und andere<br />
Dokumente zur Geschichte des Stadtteils gesammelt und<br />
systematisiert. Die im Besitz der Geschichtswerkstatt befindlichen<br />
Ausgaben der Lokalzeitung werden indiziert und so für<br />
eine schnelle Recherche aufbereitet. Weitere Informationen<br />
werden durch Zeitzeugeninterviews gesammelt und Ausstellungsprojekte<br />
verfolgt. Ferner ist angestrebt, Stadtteilrundgänge<br />
anzubieten. Über all diese Aktivitäten informiert die Homepage,<br />
auf der auch das im Aufbau befindliche Stadtteillexikon beheimatet<br />
ist.<br />
Gegenwärtig engagieren sich in der Geschichtswerkstatt etwa<br />
zehn <strong>Billstedter</strong> zwischen 18 und 70 Jahren. Weitere Mitstreiter<br />
sind willkommen.<br />
Der Busbahnhof auf dem alten Schiffbeker Knoten an der Einmündung des Schiffbeker<br />
Wegs in die <strong>Billstedter</strong> Hauptstraße
Impressum<br />
V.i.S.d.P.<br />
Bezirksamt Hamburg-Mitte | Sorina Weiland<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Klosterwall 8 | 20095 Hamburg<br />
www.hamburg-mitte.hamburg.de<br />
Texte: Ralph Ziegenbalg, Geschichtswerkstatt Billstedt<br />
Redaktion und Layout: www.superurban.de<br />
Bildnachweis: Geschichtswerkstatt Billstedt,<br />
außer S. 4 Galerie Mandos-Feldmann<br />
Entwicklungsraum BillstEdt i Horn<br />
19
KontaKt<br />
lea frisinger<br />
stadterneuerungs- und<br />
stadtentwicklungsgesellschaft<br />
Hamburg mbH (steg)<br />
telefon 040 43 13 93 58<br />
lea.frisinger@steg-hamburg.de<br />
susanne winch<br />
Bezirksamt Hamburg-mitte,<br />
fachamt stadt- und landschaftsplanung<br />
telefon 040 428 54 33 78<br />
susanne.winch@hamburg-mitte.hamburg.de