Sand im Getriebe 38 - Attac Berlin
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PARIS (Eigener Bericht) - Militärstrategen<br />
der Europäischen Union präzisieren die von<br />
<strong>Berlin</strong> angestoßene EU-Sicherheitsstrategie<br />
und ziehen einen atomaren Erstschlag in<br />
Betracht. Bereits die von <strong>Berlin</strong> initiierte<br />
EU-Militärdoktrin - die erste in der<br />
Geschichte der EU - sieht die Möglichkeit<br />
zur Führung von Angriffskriegen<br />
(,,Präventivkriegen") ausdrücklich vor. In<br />
einem jetzt vorgelegten ,,European Defence<br />
Paper", das unter Mitwirkung eines<br />
ehemaligen deutschen Staatssekretärs<br />
erarbeitet wurde, werden der EU-<br />
Erstschlagstrategie auch Atomwaffen<br />
zugeordnet. In die Präventivkriegsoption<br />
könnten britische und französische<br />
Nuklearstreitkräfte ,,explizit oder <strong>im</strong>plizit"<br />
einbezogen werden, heißt es.<br />
Ult<strong>im</strong>ativ<br />
Bei dem ,,European Defence Paper"<br />
handelt es sich um ein von den EU-<br />
Regierungen in Auftrag gegebenes<br />
konzeptionelles Dokument zur<br />
Europäischen Militärpolitik. Es soll die<br />
Anwendung der 2003 beschlossenen<br />
,,Europäischen Sicherheitsstrategie" 1)<br />
präzisieren. Die Autoren der Studie - eine<br />
Gruppe hochrangiger Militärberater -<br />
fordern eine energische, unverzügliche und<br />
umfassende Aufrüstung der EU. Ziel müsse<br />
sein, den Status einer zur Führung von<br />
Angriffskriegen fähigen Weltmacht zu<br />
erreichen: ,,Sharing more global<br />
responsibilities (...), and taking on a<br />
preventive engagement strategy are<br />
ambitious goals that will stay unfulfilled if<br />
the current gap between ends and means<br />
persists." 2) Die Außenminister der EU<br />
werden sich demnächst mit diesem<br />
Dokument befassen und konkrete<br />
Entscheidungen über Stand und<br />
Perspektiven der militärischen Optionen<br />
fällen.<br />
Zentral<br />
Verantwortet wird das Strategiepapier vom<br />
Institute for Security Studies (ISS), das bis<br />
2001 für den europäischen Militärpakt<br />
Westeuropäische Union (WEU) arbeitete.<br />
Seit der Übertragung der operativen<br />
Funktionen der WEU an die EU fungiert es<br />
als autonomes EU-Institut. Dominiert wird<br />
es vom deutsch-französischen Machtkartell:<br />
In Paris angesiedelt, steht das ISS seit<br />
Oktober 1999 unter der Leitung von Nicole<br />
Gnesotto, die zuvor be<strong>im</strong> offiziösen<br />
französischen think tank ,,Institut français<br />
des Relations internationales" tätig war.<br />
Stellvertretender Direktor ist Burkard<br />
Schmitt, ehemaliger SPD-Mitarbeiter in der<br />
sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung. In Schmitts<br />
EU-Militärstrategie:<br />
Studie sieht den Einsatz von Atomwaffen vor.<br />
Verantwortungsbereich fallen<br />
Aufrüstungsstrategien der EU - ,,nuclear<br />
issues" inklusive. In seinen<br />
Veröffentlichungen fordert der deutsche<br />
,,senior research fellow", die<br />
waffenproduzierenden Industrien der EU-<br />
Mitgliedsstaaten müssten einer zentralen<br />
Rüstungsbeschaffungsdirektive unterstellt<br />
werden (,,should be subject to a specific<br />
defence procurement directive"). 3) Das ist<br />
mit der Einigung auf eine ,,Europäische<br />
Verteidigungsagentur" inzwischen<br />
beschlossene Sache. 4)<br />
Unvermeidlich<br />
Der angestrebten Rüstungs-Zentralisierung<br />
sind aber wegen des Widerstrebens einiger<br />
Staaten <strong>im</strong>mer noch Grenzen gesetzt -<br />
insbesondere wenn es um<br />
Massenvernichtungswaffen geht. 5) Der<br />
deutsche Waffenexperte Schmitt hält daher<br />
eine Debatte über diese Beschränkungen für<br />
unvermeidlich. 6) Auch <strong>Berlin</strong>er Militärs<br />
und Regierungsberater sondieren seit<br />
einiger Zeit atomare Optionen und fordern<br />
von der Bundesregierung eine Konzeption<br />
zur Überwindung der noch bestehenden<br />
Widerstände gegen die beabsichtigte<br />
,,Nuklearmacht Europa". 7) So forderte die<br />
CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
(KAS) Anfang 2004 eine ,,Neuausrichtung<br />
des teilweise überkommenen<br />
Völkerrechtsverständnisses". Es müsse die<br />
,,Zulässigkeit von Präventivschlägen"<br />
festgestellt und ein Angriffskrieg mit<br />
Atomwaffen legit<strong>im</strong>iert werden, heißt es<br />
bei der KAS: ,,Selbst die nukleare<br />
Präemption ist eine zumindest theoretisch<br />
vorstellbare Option." 8) In einem deutschfranzösischen<br />
Strategiepapier wurden zur<br />
selben Zeit konkrete Vorschläge für den<br />
gemeinsamen Einsatz von Atomwaffen<br />
unterbreitet. Das Papier schlägt vor,<br />
Widerstände taktisch zu umgehen, um<br />
dennoch ,,alle Stufen der Eskalationsleiter<br />
abzurufen (...), bis hin zur Drohung eines<br />
Einsatzes nuklearer militärischer Mittel".<br />
Urheberin des Papiers war die ,,Deutsche<br />
Gesellschaft für Auswärtige Politik",<br />
Mitverfasser das erneut hervorgetretene<br />
,,Institut français des relations<br />
internationales". 9)<br />
Explizit oder <strong>im</strong>plizit<br />
Die Vorstellung eines nuklearen<br />
Angriffskrieges ist jetzt auch auf<br />
europäischer Ebene verankert worden.<br />
Lothar Rühl, ehemaliger Staatssekretär <strong>im</strong><br />
deutschen Verteidigungsministerium und<br />
Mitautor des ,,European Defence Paper",<br />
stellt zufrieden fest, dass das Thema<br />
,,Präemption/Prävention" in dem<br />
Dokument zwar vorwiegend unter dem<br />
<strong>Sand</strong> <strong>im</strong> <strong>Getriebe</strong> Nr.<strong>38</strong> Seite 33<br />
Aspekt von Kriegseinsätzen mit<br />
konventionellen Streitkräften und<br />
operativen Spezialkräften behandelt wird.<br />
,,Immerhin" werde aber die Möglichkeit<br />
erwähnt, britische und französische<br />
Nuklearstreitkräfte ,,explizit oder <strong>im</strong>plizit"<br />
einzubeziehen. 10) In der Tat heißt es in dem<br />
Strategiepapier bezüglich der<br />
Kriegsszenarien der künftigen EU-<br />
Streitmacht: ,,[W]e have not avoided<br />
presenting scenarios in which the national<br />
nuclear forces of EU member states<br />
(France and the United Kingdom) may<br />
enter into the equation either explicitly or<br />
<strong>im</strong>plicitly." 11)<br />
1) s. auch EU-Strategie: ,,Präventivkriege"<br />
weltweit und Aktionspläne<br />
2) Institute for Security Studies, European<br />
Union: European defence. A proposal for a<br />
White Paper; Paris, May 2004, ISBN 92-<br />
9198-056-0 (www.iss-eu.org), S. 13. Weiter<br />
heißt es: ,,These goals call for rapidly<br />
deployable and long-term sustainable forces,<br />
they <strong>im</strong>ply a better integration of civilian and<br />
military missions; they are based on the<br />
assumption of a more autonomous Union in<br />
defence matters (...). The credibility of<br />
Europe's strategy will ult<strong>im</strong>ately be based on<br />
its capacity to fulfil these ambitions."<br />
3) Burkard Schmitt: The European Union and<br />
armaments. Getting a bigger bang for the<br />
Euro; Chaillot Paper 63 - August 2003<br />
(www.iss-eu.org), S. 55<br />
4) s. auch Wettbewerbsdruck und Das Ende<br />
einer ,,Zivilmacht"<br />
5) ,,Nuclear, radiological, biological and<br />
chemical products should continue to be<br />
excluded from European rules". Burkard<br />
Schmitt: The European Union and armaments.<br />
Getting a bigger bang for the Euro; Chaillot<br />
Paper 63 - August 2003 (www.iss-eu.org), S.<br />
55<br />
6) Nuclear weapons: A new Great Debate<br />
(Edited by Burkard Schmitt); Chaillot Paper<br />
48 - July 2001 (www.iss-eu.org), S. 168<br />
7) s. auch Hintergrundbericht:<br />
Atombomben für Deutsch-Europa<br />
8) s. auch Krieg ist Frieden<br />
9) s. auch Strahlender Abgrund<br />
10) Lothar Rühl: Lücke zwischen Mittel und<br />
Zweck. Das ,,European Defence Paper";<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.10.2004<br />
11) Institute for Security Studies, European<br />
Union: European defence. A proposal for a<br />
White Paper; Paris, May 2004, ISBN 92-<br />
9198-056-0 (www.iss-eu.org), S. 68<br />
http://www.german-foreignpolicy.com//de/news//article/1097359200.php<br />
s. auch<br />
http://www.<strong>im</strong>i-online.de<br />
http://friedenstreiberagentur.de<br />
http://www.unikassel.de/fb10/frieden/themen/Europa/Welcome.ht<br />
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