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Sand im Getriebe 38 - Attac Berlin

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Die dritte Säule des Altermondialismus<br />

Für global handlungsfähige Gewerkschaften als soziale Gegenmacht<br />

Voraussetzung für eine soziale Weltwirtschaftsordnung sind<br />

Gewerkschaften, die dem global agierenden Kapital Paroli<br />

bieten können, indem sie sich selber global organisieren und zu<br />

einer starken und solidarischen Gegenmacht werden.<br />

Von einer solchen Vision sind die heutigen Gewerkschaften in<br />

Deutschland wie in anderen Ländern weit entfernt. In den<br />

letzten 20 Jahren, in denen zunehmend absehbar war, wie stark<br />

nur national agierende Gewerkschaften durch die ökonomische<br />

Globalisierung in die Enge getrieben werden würden, haben die<br />

Gewerkschaften ihr Problem unterschätzt und ignoriert<br />

(„Globalisierung gab es schon <strong>im</strong>mer“) es klein geredet<br />

(betroffen seien lediglich die schlecht qualifizierten<br />

ArbeitnehmerInnengruppen), haben mit einem Schlingerkurs<br />

zwischen Opposition und Anpassung an die Standortlogik<br />

versucht zu überleben und haben auf ihre vor allem<br />

globalisierungsbedingten Organisationskrisen <strong>im</strong> wesentlichen<br />

betriebswirtschaftlich mit Fusionen zu riesigen aber national<br />

begrenzten Multibanchengewerkschaften ( statt multinationaler<br />

Branchengewerkschaften) reagiert.<br />

Das Prinzip der Gewerkschaften ist, die Konkurrenz all<br />

derer, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen<br />

sind, zu begrenzen, möglichst auszuschließen. Globalisierung<br />

betrifft nicht nur Waren- und Finanzmärkte, sondern auch die<br />

Arbeitsmärkte: es konkurrieren die Opel-ArbeiterInnen in<br />

Rüsselshe<strong>im</strong> und Bochum gegen die in Schweden, Portugal,<br />

Polen und Detroit. In Standortrankings konkurrieren deutsche<br />

mit schottischen und indischen IT-SpezialistInnen, usw. Auf<br />

einem zunehmend global best<strong>im</strong>mten Arbeitsmarkt können<br />

national begrenzt handelnde Gewerkschaften letztlich nicht<br />

funktionieren, weil sie ihr Prinzip des Konkurrenzausschlusses<br />

nicht in Kraft setzen können.<br />

Zwar sympathisieren die Gewerkschaften und viele<br />

GewerkschafterInnen mit der globalisierungskritischen<br />

Bewegung, unterstützen Aufrufe und Kampagnen und<br />

Demonstrationen. Ihr eigentliches Gewicht aber, das einer<br />

ökonomischen Gegenmacht, bringen sie in diese Bündnisse<br />

nicht ein, weil sie es nicht haben, bzw. <strong>im</strong> Begriff sind es<br />

zunehmend zu verlieren.<br />

Umgekehrt ist die globalisierungskritische Bewegung auf<br />

handlungsfähige Gewerkschaften angewiesen. Neben den<br />

beiden Säulen der Antikriegsbewegung und der globalen<br />

Ökologiebewegung braucht der Altermondialismus als dritte<br />

Säule Gewerkschaften, die <strong>im</strong> ökonomischen Zentrum des<br />

globalen Kapitalismus eine Gegenmacht darstellen.<br />

Ziel grenzüberschreitend agierender Gewerkschaften ist nicht<br />

die Wahrung von Besitzständen der ArbeitnehmerInnen der<br />

einen Länder (Deutschland oder Europa) gegen oder auf kosten<br />

der Interessen der ArbeitnehmerInnen anderer Länder, sondern<br />

der Kampf gegen einen globalen Dumpingwettbewerb, bei<br />

dem alle nur verlieren können - die ArbeitnehmerInnen hie wie<br />

Bernd Riexinger, Werner Sauerborn<br />

<strong>Sand</strong> <strong>im</strong> <strong>Getriebe</strong> Nr.<strong>38</strong> Seite 31<br />

dort, genauso wie die Erwerbslosen und Prekarisierten hier wie<br />

dort.<br />

Europa ist für die Gewerkschaften ein ambivalenter<br />

Zwischenschritt. Einerseits ist Europa ein Schritt aus er<br />

nationalen Befangenheit, andererseits droht es (s. Lissabon-<br />

Strategie) eine neue Plattform für eine erweiterte Form der<br />

Standortkonkurrenz zu werden. Maßstab für die<br />

Organisationsentwicklung der Gewerkschaften sind nicht<br />

nationale oder supranationale Grenzen, sondern die<br />

Branchengrenzen, innerhalb derer die Konkurrenz stattfindet.<br />

Der Weg der Gewerkschaften zu einer in diesem Sinne<br />

handlungsfähigen Organisationsform ist weit und voller<br />

Hürden, als da sind: ganz unterschiedliche nationale<br />

Organisationsmodelle sowie Sprach- und Kulturbarrieren, aber<br />

er ist unausweichlich. Offen ist, ob es dabei eine Kontinuität aus<br />

den jetzigen Apparaten und Organisationen heraus geben wird<br />

oder ob sich neue Gewerkschaften, hervorgegangen aus<br />

apparatkritischen globalen Netzwerken oder eine Mischform<br />

aus beidem entwickeln werden.<br />

ATTAC international jedenfalls muss die Rolle des Förderers<br />

und Forderers und vielleicht auch etwas des Geburtshelfers<br />

global organisierter Gewerkschaften einnehmen.<br />

In den Gründerjahren, <strong>im</strong> Verlauf der Entwicklungsgeschichte<br />

des Kapitalismus, wie auch jetzt unter den Bedingungen des<br />

global entfesselten Kapitalismus gilt: funktionsfähige<br />

Gewerkschaften bringen den Kapitalismus an seine Grenze:<br />

entweder er erweist sich als anpassungsfähig in dem er<br />

Mindeststandards an sozialer Gerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit<br />

entwickelt oder er scheitert an diesem Kriterium. Dann<br />

werden die Gewerkschaften zu einem wichtigen<br />

Brückenkopf in eine postkapitalistische Gesellschaft.<br />

Insofern kann sich die stärkere Wahrnehmung der Bedeutung<br />

von Gewerkschaften für eine alternative Weltwirtschaftsordnung<br />

– und vor allem für den Weg dorthin – beruhigend und<br />

vermittelnd auf das Spannungsverhältnis zwischen reformorientierten<br />

GlobalisierungskritikerInnen und GlobalisierungsgegnerInnen<br />

bzw. AntikapitalistInnen innerhalb von ATTAC<br />

auswirken.<br />

Stuttgart , 24. Oktober 2004<br />

Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des Verdi-Bezirks<br />

Stuttgart; Werner Sauerborn ist Referent für Grundsatzfragen<br />

des Verdi-Landesbezirks Baden-Würtemberg.<br />

Ausführlich befindet sich ihr Text "Gewerkschaften in der<br />

Globalisierungsfalle" <strong>im</strong> Sozialismus-Supplement 10/2004 (40<br />

Seiten, 4,20 € http://www.sozialismus.de/socialist/)

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