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Sand im Getriebe 38 - Attac Berlin

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Der Süden ist weit entfernt von der Möglichkeit, Kapital zu<br />

akkumulieren. Im Gegenteil er wird ausgeplündert.<br />

Argentinien beispielsweise war eines der reichsten Länder des<br />

Südens. Es hat inzwischen sowohl seinen Handel als auch den<br />

Kapitalmarkt rückhaltlos liberalisiert. Die gesamte industrielle<br />

Produktion und der Dienstleistungssektor wurden von US-<br />

Unternehmen übernommen. Als sich dann die Bankenkrise<br />

zuspitzte, wurde plötzlich sichtbar, dass der gesamte produktive<br />

Sektor schon lange ins Ausland transferiert worden war. Und<br />

bei den wenigen Unternehmen, die dem Land noch verblieben<br />

waren, flossen die Erträge in Wirklichkeit in die Kassen USamerikanischer<br />

Firmen. Seit 40, 50 Jahren wollen die<br />

Wirtschaftsexperten <strong>im</strong> Norden diesen Zusammenhang nicht<br />

zur Kenntnis nehmen. Sie haben niemals wirklich verstanden,<br />

was <strong>im</strong> Süden vor sich geht. Und auch die öffentliche Meinung<br />

in Europa wurde von diesen Volkswirtschaftlern grob<br />

getäuscht.<br />

Wäre denn ein am Keynesianismus orientierter, mehr auf die<br />

Stärkung der Nachfrage <strong>im</strong> Binnenmarkt ausgerichteter<br />

Ansatz den wirtschaftlichen Realitäten des Südens eher<br />

angemessen?<br />

Darin unterscheide ich mich von einigen meiner Freunde <strong>im</strong><br />

Süden, die sich als Neo-Keynesianer verstehen. Aber die<br />

Keynesianische Theorie verlässt nicht wirklich den Rahmen<br />

eines vom Norden dominierten Wirtschaftssystems.<br />

Tatsächlich hat Keynes hauptsächlich versucht, das<br />

britische Empire zu retten. Es gibt darin sicher einige positive<br />

Aspekte, so vor allem, dass man nicht alles dem Markt<br />

überlassen kann, dass der Staat eine gewisse Verantwortung für<br />

das wirtschaftliche Wohlergehen der Menschen trägt und<br />

deshalb die Produktion aktiv unterstützen sollte, wenn der<br />

private Sektor zu schwach dazu ist. Aber die Keynesianische<br />

Wirtschaftstheorie als solche muss bei der Aufgabe der<br />

Entwicklung <strong>im</strong> Süden versagen. Unsere Situation ist von der<br />

schrankenlosen Herrschaft des Nordens geprägt. Unsere<br />

Volkswirtschaften sind insbesondere in Afrika schon lange<br />

nahezu restlos in das Weltwirtschaftssystem integriert. Worin<br />

könnte der wirtschaftspolitische Spielraum etwa der<br />

Regierungen in Südafrika, S<strong>im</strong>babwe oder Senegal gegenüber<br />

der dominierenden Rolle des internationalen Kapitals noch<br />

bestehen? Welchen Sinn hätte eine keynesianische Strategie <strong>im</strong><br />

Senegal? Nein, dieser Ansatz ergibt keinen Sinn! Wir brauchen<br />

eine ganz andere Strategie, eine Strategie der Loslösung vom<br />

Westen.<br />

Aber denken Sie nicht, dass höhere Löhne beispielsweise in<br />

diesen Ländern, eine Nachfragestärkung, also doch eine Art<br />

von Entwicklung auslösen könnten?<br />

Nur die multinationalen Unternehmen könnten in unseren<br />

Volkswirtschaften höhere Löhne zahlen. Die einhe<strong>im</strong>ischen<br />

Unternehmen würden sofort ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

verlieren. Ihre Existenz auf dem Weltmarkt hängt völlig vom<br />

Billiglohnniveau in den Ländern des Südens ab. Nur ein<br />

Sonderfall wie das kommunistische China kann die billige<br />

Arbeitskraft dazu nutzen, um auf dem Weltmarkt erfolgreich zu<br />

sein und zugleich eine Basis für eigene Kapitalakkumulation zu<br />

schaffen. Für die meisten anderen Länder bedeutete eine<br />

Erhöhung des Lohnniveaus den Verlust von Marktanteilen. Die<br />

einzige Alternative ist deshalb die Schaffung eigener<br />

regionaler Märkte. Der erste Schritt ist es, den Transfer<br />

unserer Ressourcen zu vermindern. Wenn diese für den<br />

Binnenmarkt und nicht für den Export eingesetzt werden,<br />

können sie zu einer Erhöhung der einhe<strong>im</strong>ischen Kaufkraft<br />

<strong>Sand</strong> <strong>im</strong> <strong>Getriebe</strong> Nr.<strong>38</strong> Seite 15<br />

genutzt werden. Und dafür müssen wir ein ganzes Bündel<br />

alternativer ökonomischer Strategien entwickeln.<br />

Tatsächlich gibt es einen gewaltigen Kapitalfluss vom Süden<br />

in den Norden, demgegenüber die sogenannte Entwicklungshilfe<br />

eher wie ein Rinnsal anmuten muss. Was sind die<br />

Ursachen für diesen Kapitalverlust in der Peripherie?<br />

Der größte Teil dieses Kapitals fließt in der Form von<br />

Gewinnen aus dem Süden in den Norden. Ein Teil sind<br />

akzeptable, legit<strong>im</strong>e Erträge. Aber das Machtgefälle zwischen<br />

Nord und Süd führt auch zu überzogener Gewinnschöpfung, die<br />

sich in horrenden Erlösen niederschlägt. In Afrika<br />

beispielsweise liegen die durchschnittlichen Erträge USamerikanischer<br />

Unternehmen zwischen 30 und 40%, verglichen<br />

mit nur 10% <strong>im</strong> eigenen Land. Die erste Ursache für den<br />

Kapitalfluss von Süd nach Nord sind also die Bedingungen,<br />

unter denen die ausländischen Firmen in unseren Ländern<br />

operieren können, und die Rückführung überzogener Gewinne<br />

in den Norden. Die zweite Quelle sind Schuldenzahlungen.<br />

Afrika allein muss 400 Milliarden Dollars Schulden bedienen.<br />

Dritte Ursache sind die Austauschrelationen <strong>im</strong> Außenhandel.<br />

Die Bedingungen, zu denen wir unsere Güter auf dem<br />

Weltmarkt anbieten, haben sich in der Vergangenheit ständig<br />

verschlechtert. Wir haben dadurch mehr als den gesamten<br />

Gegenwert der vom Norden geleisteten Entwicklungshilfe<br />

wieder verloren. Dann spielt die Korruption in unseren<br />

Verwaltungen eine Rolle und der Transfer von Schwarzgeldern<br />

aus dem Süden in den Norden. Aber das ist fast<br />

vernachlässigbar <strong>im</strong> Vergleich zu den drei zuerst genannten<br />

Ursachen, die zu dem erheblichen Verlust an finanziellen<br />

Ressourcen führen, den unsere Länder erleiden.<br />

Welche Rolle spielen denn die Gewinntransfers der<br />

transnationalen Unternehmen in diesem Zusammenhang?<br />

Das ist die vierte Hauptursache für den Transfer finanzieller<br />

Ressourcen aus dem Süden in den Norden. Die Preisgestaltung<br />

der ausländischen Unternehmen unterliegt keinerlei Kontrolle.<br />

Bauteile oder Technologien für eine best<strong>im</strong>mte Fertigung<br />

werden zu überhöhten Preisen in die Entwicklungsländer<br />

gebracht, die Fertigprodukte zu Billigpreisen an Tochterfirmen<br />

<strong>im</strong> Ausland exportiert. Der Nettoexporterlös des Südens fällt<br />

auf diese Weise sehr gering aus, die Wertschöpfungskette ist<br />

nahezu vollständig in den Händen multinationaler Konzerne<br />

oder ihrer Agenten. Und sie nutzen dieses ohne jede äußere<br />

Kontroll- oder Überwachungsmöglichkeit funktionierende<br />

Verfahren, um den Süden zu plündern.<br />

Würden Sie sagen, dass die dominante Exportorientierung all<br />

dieser lokalen Volkswirtschaften <strong>im</strong> globalen wirtschaftlichen<br />

System der Hauptgrund für die Probleme <strong>im</strong> Süden ist?<br />

Das Allheilmittel der Exportorientierung, das der<br />

Internationale Währungsfond und die Weltbank in den letzten<br />

25 Jahren für den Süden entwickelt haben, hat uns in ein<br />

absolutes Desaster geführt. Die Ressourcen wurden ohne<br />

Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen <strong>im</strong> Süden<br />

verbraucht, nur um auf den hart umkämpften Exportmärkten<br />

konkurrieren zu können. Das hat schon in der Kolonialzeit<br />

begonnen, als die Kolonialherren unsere Bauern zwangen,<br />

exportfähige landwirtschaftliche Produkte anzubauen. Tabak,<br />

Baumwolle beispielsweise, die man ja bekanntlich nicht essen<br />

kann. Nach der Unabhängigkeit versuchten viele Länder <strong>im</strong><br />

Süden, Industrien aufzubauen, die sie von Importen unabhängig<br />

machen sollten. Und obwohl es in manchen Regionen zu<br />

Problemen kam, war das für die Entwicklung eine relativ

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