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Pressemappe spielzeiteuropa - Berliner Festspiele

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Inhaltsverzeichnis<br />

Luc Bondy | Cruel and Tender<br />

Heiner Goebbels | Eraritjaritjaka –<br />

Musée des phrases (Museum der Sätze)<br />

Béla Pintér | Roncsolt Kópia (Zerkratztes Zelluloid)<br />

János Mohácsi | Csak egy szög (Nur ein Nagel)<br />

John Jesurun<br />

Shatterhand Massacree – Riderless Horse<br />

Chang in a Void Moon / Episode #58<br />

Philoktetes<br />

Robert Lepage | The Busker’s Opera<br />

Wanda Golonka | An Antigone<br />

Ausstellungen<br />

Emilio García Wehbi<br />

Philoktet-Projekt: Lemnos in Berlin<br />

Licht! Ljus! Lumière!<br />

10 Installationen – 6 Künstler/innen<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo


CRUEL AND TENDER<br />

von Martin Crimp<br />

nach „Die Trachinierinnen“ von Sophokles<br />

Regie – Luc Bondy<br />

Bühne – Richard Peduzzi<br />

Kostüme – Rudy Sabounghi<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo<br />

Mit Kerry Fox, Joe Dixon, Toby Fisher, Georgina Ackerman, Jessica Claire,<br />

Lourdes Faberes, Nicola Redmond, Michael Gould, David Sibley, Aleksandar Mikic u.a.<br />

Produktion<br />

Wiener Festwochen, Young Vic, London, und Chichester Festival Theatre<br />

In Koproduktion mit Théâtre des Bouffes du Nord, Paris, Ruhrfestspiele Recklinghausen,<br />

TNP, Villeurbanne und Festival d’Automne à Paris<br />

6. – 9. Oktober | 20 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln | Dauer 120 Min (keine Pause)


Luc Bondy | Cruel and Tender<br />

Fasziniert von Sophokles’ selten gespielter Tragödie „Die Trachinierinnen“ über den antiken<br />

Helden Herakles und seine Frau Deianeira, regte Luc Bondy den englischen Dramatiker Martin<br />

Crimp zu einem neuen Stück an, das den Stoff in eine unheimliche Gegenwart transponiert.<br />

An einem Verbannungsort im Niemandsland in der Nähe eines großen Flughafens (im Original:<br />

Trachis) wartet Amelia (Deianeira) auf die Heimkehr des heldenhaften Generals (Herakles).<br />

Isoliert im Kreis ihrer fürsorglichen Angestellten schwanken ihre Gefühle zwischen Erwartung,<br />

Hoffnung und Sorge. Nachrichten aus der Außenwelt bekommt sie nur von Besuchern aus der<br />

hohen Politik und den Medien. Die Rückkehr des Generals, der durch die Berichte als zentrale<br />

Gestalt immer gegenwärtig ist, obwohl er erst im letzten Drittel die Bühne betritt, scheint<br />

bevor zu stehen. Doch es gibt schlimme Gerüchte: Hat er bei seinem Anti-Terroreinsatz in<br />

Afrika Kriegsverbrechen begangen? Um dies zu entkräften, schickt der General zwei junge<br />

Menschen aus dem Krisengebiet zu Amelia, Laela und ihren kleinen Bruder, angeblich Überlebende<br />

eines Massakers. Sie soll ihnen ein neues Zuhause geben. Oder ist Laela seine neue<br />

Geliebte, wegen der er eine ganze Stadt in Brand gesetzt hat? Amelia schickt ihm ein Nessos-Hemd<br />

der eigenen Art: Wie in der antiken Vorlage entpuppt sich, was als Liebeszauber<br />

gemeint ist, als tödliches Gift.<br />

In der Hauptrolle von Luc Bondys Uraufführungsinszenierung – seiner ersten englischen<br />

Regiearbeit – spielt die neuseeländische Filmschauspielerin Kerry Fox, bekannt geworden u.a.<br />

durch Jane Campions Film „An Angel at My Table“ und hoch gelobt für ihre Rolle in Patrice<br />

Chéreaus „Intimacy“.


Biografi e<br />

Luc Bondy<br />

Geboren am 17.7.1948 in Zürich, Sohn des Publizisten François Bondy. Verbrachte einen Teil<br />

seiner Kindheit in Frankreich. Nach dem Besuch der Pantomimenschule von Jacques Lecoq<br />

gab er sein Debüt am Théâtre Universitaire International in Paris, wo er mit Erfolg eine<br />

Novelle von Gombrowicz für das Theater adaptierte.<br />

1969 Regieassistent am Hamburger Thalia Theater. 1971 erste Inszenierung in Deutschland:<br />

„Narr und Nonne“ von Stanislaw Witkiewicz am Jungen Theater Göttingen. Es folgten<br />

Arbeiten in Hamburg, Nürnberg, Düsseldorf, Wuppertal und Darmstadt. Durchbruch 1973 mit<br />

Edward Bonds „Die See“ am Münchner Residenztheater (Theatertreffen Berlin 1974). 1974–<br />

76 Hausregisseur am Schauspiel Frankfurt; in der Folge übernimmt er die Regie zahlreicher<br />

Stücke an der von Peter Stein geleiteten <strong>Berliner</strong> Schaubühne, 1981/82 auch am Schauspiel<br />

Köln. 1984 erste Regiearbeit in Frankreich mit Schnitzlers „Terre étrangère“ („Das weite<br />

Land“) am Théâtre des Amandiers, Paris-Nanterre (für diese Inszenierung wurde er mit dem<br />

Deutschen Kritikerpreis, Abteilung Theater, ausgezeichnet).<br />

1976 Debüt als Opernregisseur mit Alban Bergs „Wozzeck“ an der Hamburgischen Staatsoper,<br />

1978 folgt dort „Lulu“. Seit 1986 zahlreiche Operninszenierungen, die u. a. bei den<br />

Wiener Festwochen (1986 Mozarts „Così fan tutte“, 1990/91 „Don Giovanni“, 2000 Verdis<br />

„Macbeth“, 2002 Brittens „The Turn of the Screw“) und den Salzburger <strong>Festspiele</strong>n (1992/<br />

93 Strauss’ „Salome“, Musikalische Leitung Christoph von Dohnányi; 1995/96 Mozarts „Le<br />

nozze di Figaro“, Musikalische Leitung Nikolaus Harnoncourt) zu sehen sind. Bondys letzte<br />

Opernarbeit, „Hercules“ von Georg Friedrich Händel (Musikalische Leitung William Christie),<br />

hatte im Juli 2004 beim Festival in Aix-en-Provence Premiere.<br />

Von 1985 bis 1987 war Bondy Mitglied in der neuen Dreier-Direktion an der <strong>Berliner</strong> Schaubühne<br />

nach dem Rücktritt von Peter Stein. Danach arbeitete er wieder als freier Regisseur,<br />

blieb der Schaubühne jedoch fest verbunden. Ab dem Sommersemester 1997 bis Juni 2001<br />

hatte er eine Gastprofessur für Regie am Max-Reinhardt-Seminar inne.<br />

Vom September 1997 bis Juni 2001 war Luc Bondy Schauspieldirektor, seit 1. Juli 2001 ist er<br />

Intendant und alleiniger Künstlerischer Leiter der Wiener Festwochen.


Wichtige Theaterinszenierungen (Auswahl)<br />

1973 „Die See“ von Edward Bond, Residenztheater München<br />

1974 „Glaube, Liebe, Hoffnung“ von Ödön von Horvath, Schauspielhaus Hamburg<br />

1982 „Kalldewey Farce“ von Botho Strauß (Adaption), Schaubühne Berlin, Uraufführung<br />

1984 „Terre étrangère“ („Das weite Land“) von Arthur Schnitzler, Theatre des Amandiers,<br />

Paris-Nanterre<br />

1985 „Triumph der Liebe“ von Marivaux, Schaubühne Berlin<br />

1989 „Die Zeit und das Zimmer“ von Botho Strauß, Schaubühne Berlin, Uraufführung<br />

1990 „Das Wintermärchen“ von Shakespeare, Schaubühne Berlin<br />

1992 „Schlußchor“ von Botho Strauß, Schaubühne Berlin („Inszenierung des Jahres“)<br />

1993 „Das Gleichgewicht“ von Botho Strauß bei den Salzburger <strong>Festspiele</strong>n, Uraufführung<br />

1994 „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ von Peter Handke, Schaubühne Berlin<br />

1995 „Der Illusionist“ und „Träumen wir!“ von Sacha Guitry, Schaubühne Berlin<br />

1996 „Jouer avec le feu“ von August Strindberg,Théâtre Vidy-Lausanne<br />

1998 „Phèdre“ von Jean Racine, Théâtre Vidy-Lausanne (Wiener Festwochen 1998)<br />

1998 „Figaro lässt sich scheiden“ von Ödön von Horváth für die Wiener Festwochen<br />

(eingeladen zum <strong>Berliner</strong> Theatertreffen 1999)<br />

1999 „En attendant Godot“ von Samuel Beckett, Théâtre Vidy-Lausanne/Wiener Festwochen<br />

2000 „Die Möwe“ von Anton Tschechow, Wiener Festwochen / Burgtheater Wien<br />

(ausgezeichnet mit dem ersten Wiener Theaterpreis NESTROY und ausgewählt zur besten<br />

deutschsprachigen Aufführung)<br />

2000 „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza, Burgtheater (Akademietheater) Wien,<br />

Uraufführung<br />

2001 „Auf dem Land“ von Martin Crimp, Schauspielhaus Zürich<br />

2002 „Unerwartete Rückkehr“ von Botho Strauß, <strong>Berliner</strong> Ensemble, Uraufführung<br />

2004 „Cruel and Tender“ von Martin Crimp nach Sophokles’ „Die Trachinierinnen“, Young Vic,<br />

London, Uraufführung<br />

Spielfi lme<br />

1980 „Die Ortliebschen Frauen“ (Grand Prix du Jeune Cinéma, Festival d’Hyères 1981)<br />

1987 „Das weite Land“ nach Arthur Schnitzler<br />

2004 „Ne fais pas ça!“ (französisch-deutsche Koproduktion, Drehbuch Philippe Djian in<br />

Zusammenarbeit mit Luc Bondy)<br />

Publikationen<br />

Luc Bondy: Das Fest des Augenblicks, Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997<br />

Luc Bondy: Wo war ich? Einbildungen, Ammann Verlag, Zürich, 1998<br />

C. Bernd Sucher: LUC BONDY Erfi nder, Spieler, Liebhaber, Residenz Verlag, Edition<br />

Burgtheater, Salzburg und Wien 2002


Biografi e<br />

Kerry Fox<br />

Geboren in Wellington, Neuseeland.<br />

Bekannt wurde Kerry Fox bei uns 1990 durch ihre Hauptrolle in dem Film „An Angel at My<br />

Table“ („Ein Engel an meiner Tafel“) von Jane Campion, eine Künstlerbiografi e über die neuseeländische<br />

Schriftstellerin Janet Frame.<br />

Nach ihrer Mitwirkung in Danny Boyles „Shallow Grave“ („Kleine Morde unter Freunden“,<br />

1994) spielte sie erneut eine Hauptrolle in dem hoch gelobten „Welcome to Sarajevo“ (1997)<br />

von Michael Winterbottom. 2001 schließlich folgte die Hauptrolle in „Intimacy“ von Patrice<br />

Chéreau, für die sie bei den <strong>Berliner</strong> Filmfestspielen 2001 den Silbernen Bären als beste<br />

Schauspielerin gewann.<br />

Weitere Filme mit Kerry Fox u.a.:<br />

Gillian Armstrongs Familiendrama „The Last Days of Chez Nous“ („Wege der Liebe“, 1991)<br />

mit Bruno Ganz, Michael Tuchners Drama „The Sinking of the Rainbow Warrior“ („Anschlag<br />

auf die ‚Rainbow Warrior’“, 1992) mit Jon Voight und Sam Neill, Elaine Proctors „Friends“<br />

(„Eine Freundschaft“, 1993), John Reids Thriller „Taking Liberties“ („Der unsichtbare Tod“,<br />

1993), Moira Armstrongs Liebesfi lm „A Village Affair“ („Eine unerhörte Affäre“, 1994) mit<br />

Jeremy Northam, Michael Blakemores Literaturverfi lmung „Country Life“ („Der Besuch aus<br />

England“, 1994), Paul Seeds Liebesdrama „Verbotene Leidenschaft“ (1995), David Attwoods<br />

Ehedrama „Saigon Baby“ (1995). 1996 drehte sie mit Richard Harris einen Film in Kenia („To<br />

Walk With Lions“) und stand 1998 mit Stephen Dillane und Jude Law in Po-chih Leongs<br />

Horrordrama „The Wisdom of Crocodiles“ („Die Weisheit der Krokodile“) vor der Kamera.<br />

Als Theaterschauspielerin ist Kerry Fox neben Wellington und Sydney eng der Londoner<br />

Theaterszene verbunden, wo sie unter anderem am New Ambassadors Theatre („In Flame“),<br />

am Royal Court Theatre („I Am Yours“) und am Donmar Warehouse Theatre („The Maids“)<br />

auf der Bühne stand. „Cruel and Tender“ ist ihre erste Arbeit mit der Young Vic Theatre<br />

Company.


Martin Crimp<br />

Biografi e<br />

1956 in Dartford/Kent geboren, studierte in Cambridge englische Literatur. Er ist einer der<br />

erfolgreichsten Vertreter der neuen britischen Dramatik („new writing“) und Autor zahlreicher<br />

Theaterstücke, die, in viele Sprachen übersetzt, weltweit aufgeführt werden.<br />

Seine ersten Werke wurden am Orange Tree Theatre in Richmond I London uraufgeführt:<br />

Auf sein Debüt Living Remains (1982) folgten dort 1984 Four Attempted Acts, 1987 Defi nitely<br />

the Bahamas, 1988 Der Handel mit Clair (Dealing With Clair), eine verstörende Satire auf das<br />

Maklergeschäft, und 1989 Spiel mit Wiederholungen (Play With Repeats).<br />

Mit No One Sees the Video, das in der unwirklichen Welt der Marktforschung angesiedelt ist,<br />

schrieb Crimp 1990 sein erstes Stück für das Londoner Royal Court Theatre, das auch die<br />

Uraufführungen seiner weiteren Stücke zeigte: 1991 Das stille Kind (Getting Attention), das<br />

bereits 1987 entstanden war und in dem Crimp anhand des Themas Kindesmisshandlung<br />

erstmals das heutige Großstadtleben untersucht, 1993 Der Dreh (The Treatment), für das er<br />

den John Whiting-Dramatikerpreis erhielt, und 1997 Angriffe auf Anne (Attempts on Her Life).<br />

Crimp hat außerdem eine Reihe von preisgekrönten Hörspielen geschrieben und Übersetzungen<br />

und Bearbeitungen veröffentlicht, darunter Le Misanthrope nach Molière, 1997<br />

Bernard-Marie Koltès’ Roberto Zucco (Royal Shakespeare Company) und im selben Jahr für<br />

Simon McBurneys Complicite Eugene Ionescos Die Stühle (Royal Court Theatre), das 1998<br />

auch am New Yorker Broadway lief. Martin Crimp lebt mit seiner Frau, einer Mathematikerin,<br />

und seinen drei Kindern in der Nähe von London.<br />

Theaterstücke<br />

CRUEL AND TENDER, nach Sophokles’ „Die Trachinierinnen“, Premiere: 13. Mai 2004,<br />

Young Vic Theatre, London, Regie Luc Bondy<br />

FACE TO THE WALL, Premiere: Royal Court Theatre, London, März 2002<br />

THE COUNTRY („Auf dem Land“), Premiere: Royal Court Theatre, London, Juni 2000<br />

ATTEMPTS ON HER LIFE („Angriffe auf Anne“), Premiere: Royal Court Theatre, London, März<br />

1997<br />

THE TREATMENT („Der Dreh“), Premiere: Royal Court Theatre, London, April 1993; im Public<br />

Theatre, New York, Oktober 1993<br />

GETTING ATTENTION (geschrieben 1987), Premiere: West Yorks Playhouse und Royal Court<br />

Theatre Upstairs, 1991, Regie Jude Kelly<br />

NO ONE SEES THE VIDEO, Premiere: Royal Court Theatre Upstairs, 1990, Regie Lindsay<br />

Posner


PLAY WITH REPEATS, Premiere: Orange Tree Theatre, London 1989, Regie Sam Walters<br />

DEALING WITH CLAIR, Premiere: Orange Tree Theatre, London 1988, Regie Sam Walters<br />

DEFINITELY THE BAHAMAS, Premiere: Orange Tree Theatre, London 1987, Regie Alec<br />

McCowen<br />

FOUR ATTEMPTED ACTS, Premiere: Orange Tree Theatre, London 1984<br />

LIVING REMAINS, Premiere: Orange Tree Theatre, London 1982<br />

Übersetzungen / Bearbeitungen<br />

THE FALSE SERVANT (Die falsche Zofe) von Marivaux, englische Fassung (Premiere 1. Juni<br />

2004, Royal National Theatre, London)<br />

THE MERRY WIDOW (Die lustige Witwe), Neuübersetzung für die MET, Februar 2000<br />

THE TRIUMPH OF LOVE (Triumph der Liebe) von Marivaux, englische Fassung (Almeida<br />

Theatre, September 1999)<br />

THE MAIDS (Die Zofen) von Jean Genet, Übersetzung (Young Vic, London, Juli 1999)<br />

ROBERTO ZUCCO von Bernard-Marie Koltès, englische Fassung (Royal Shakespeare<br />

Company, November 1997)<br />

THE CHAIRS (Die Stühle) von Eugene Ionesco, Übersetzung (Complicite / Royal Court,<br />

London, November 1997)<br />

THE MISANTHROPE (Der Misanthrop), eine Version (Young Vic, London, Februar 1996;<br />

CSC Theatre, New York, 1999, in den Hauptrollen Uma Thurman und Roger Rees)


DIE ZEIT | 22/2004<br />

Aiii! Papa ist ein Mörder<br />

„Cruel and Tender“: Luc Bondy und Martin Crimp aktualisieren Sophokles in London<br />

von Robin Detje<br />

In den Trachinierinnen, einer frühen und weniger beliebten Tragödie des Sophokles, entpuppt<br />

sich der große Held und Eroberer Herakles als Schwein. Nur um seine Frau mit einer Jüngeren<br />

betrügen zu können, vernichtet er eine Stadt und ihre Bewohner. Hinter politischen und<br />

militärischen Vorwänden verbergen sich die niedersten Motive: Gekränktheit und Geilheit von<br />

monströsen Ausmaßen. Mit keinem Stück könnte man dieser Tage eine genauere Punktlandung<br />

im Hier und Jetzt vollbringen und dem stolzen westlichen Kulturkreis, dessen Kreuzzug<br />

gegen den Terror sich als Terrorfeldzug zur Erschließung neuer Pornodrehorte entlarvt hat,<br />

besser Furcht und Schrecken vor sich selbst lehren.<br />

Sophokles’ Tragödie besteht aus einer Reihe eher steifer Verlautbarungen im öffentlichen<br />

Raum. Sie erzählt von der unglücklichen Verknüpfung des Barbarischen mit dem Edlen, von<br />

der Mühsal des Zivilisationsprozesses und seinen Rückschlägen, von der Fehlbarkeit, Sterblichkeit<br />

und sogar Schuldfähigkeit hoch verehrter Halbgötter. Dem Herakles, Befehlshaber eines<br />

Massakers aus Lust, der sich gewiss keinem internationalen Strafgerichtshof unterworfen<br />

hätte, wird durch seinen Gott Sophokles mit Hilfe eines vor langer Zeit ermordeten Kentauren<br />

ein gerechter Tod bereitet. Die Gattin operiert als Vollstreckerin, unwissentlich, weshalb sie<br />

sich das Leben nimmt. Vor dem Tod, der die Erfüllung eines Orakels bedeutet, verdonnert<br />

Herakles seinen Sohn dazu, die eroberte Geliebte zu heiraten und sichert so nach militärischen<br />

und privaten Blutbädern den Fortbestand der Vaterlinie. Schuld und Blut zum Trotz, die<br />

Sippe muss überleben – wozu die selbst nicht schuldlosen Götter weise nicken.<br />

Martin Crimps Neufassung mit dem Titel Cruel and Tender aktualisiert das Original, und Luc<br />

Bondy inszeniert sein Stück am kleinen Londoner Young Vic im klassischen Stil des bürgerlichen<br />

Trauerspiels mit ein paar grotesken Elementen. Aus Herakles wird ein General im Krieg<br />

gegen den Terror (zur Zeit Schwarzafrika), aus seinem Herold ein Minister, der pausenlos am<br />

Handy hängt. Herakles’ Sturz ist ein inszenierter Politskandal; er stirbt nicht, er wird abgeführt<br />

und droht mit der Veröffentlichung seiner Tagebücher. Die Grundstruktur aus Botenberichten<br />

und Monologen bleibt bei allen Neuerungen erhalten, was zu einem Krieg zwischen antikem<br />

Pathos und modernen Sitzelementen führt. Er geht nicht gut für diesen Abend aus.<br />

Luc Bondy, der Intendant der Wiener Festwochen, die als Koproduzent fungieren, ist ein Spezialist<br />

für bürgerlich zartes Begehren und eine feine Theaterwelt, die man mit spitzen Fingern<br />

beklatschen muss. Nun sieht er sich plötzlich mit roher Gewalt konfrontiert.


Er verlegt sie ins Private, in ein über Eck gestelltes grünliches Apartment, in die Welt von Wer<br />

hat Angst vor Virginia Woolf. Hier wird vor allem eine Ehekrise ausagiert, von nervösen und<br />

gebildeten Wesen, denen die altgriechisch-tragödische, von den Göttern bestimmte Verantwortung<br />

für das große Ganze fremd ist. Der moderne Mensch lässt sich nicht so leicht in<br />

Sippen-Erhaltungshaft nehmen. Weder der Bühnenbildner Richard Peduzzi noch der Regisseur,<br />

noch der Autor fi nden Bilder für den Raum des Öffentlichen. Erst im dritten Teil lauern<br />

die Medien vor der Tür auf den in seiner Schuld gefangenen General, und man muss seinen<br />

Abgang für sie inszenieren.<br />

So beginnt Kerry Fox als Generalsgattin Amelia den Abend in angemessener Weise im Allerprivatesten:<br />

im Bett. Intimacy hieß ihr Film, den sie mit Patrice Chereau gedreht hat. Sie<br />

ist eine Darstellerin von fl eischlicher Wucht und beginnt mit ihrem ersten Satz einen großen<br />

Zornes- und Verzweifl ungsgesang, der bis zu ihrem letzten Abgang nicht mehr nachlässt.<br />

Niemand kommt dagegen an. Ob sie nun hingerissen ist oder sich nicht traut, Luft zu holen<br />

– sie setzt kein einziges Mal ab und wirkt wild entschlossen, den Abend ganz allein zu<br />

schultern. Amelias Sohn James (Toby Fisher) ist ein Schnösel und Nichtsnutz; ihre Trainerin,<br />

Haushälterin und Kosmetikerin – Amme und Chor in weiblicher Dreifaltigkeit – belagern sie<br />

gutmütig und feindselig. In dieser stacheligen Welt hat ein General eigentlich nichts mehr zu<br />

melden. Und auch dass diese Frau später aus Versehen zur Mörderin ihres untreuen Gatten<br />

wird, glaubt man ihr nicht. Hier heult Medea! Diese Kraft kennt keinen Zufall. Diese Frau, die<br />

ganz zu Beginn erklärt, sie wolle kein Opfer sein, würde selbst zuschlagen. Der Selbstmord<br />

mit Autoabgasen ist kein angemessenes Ende für sie. Und die Entzauberung des vergifteten<br />

Kentaurenbluts zum chemischen Kampfstoff aus dem Labor gehört zu den platteren Einfällen<br />

des Autors.<br />

Wir mögen Generäle heute nicht mehr so. Es fi ele uns schwer, sie uns als Sohn des Zeus und<br />

als Helden vorzustellen. Halbgöttergleich wäre eher ein Medienjongleur und spin doctor wie<br />

Alistair Campbell, Tony Blairs aus dem Amt geschiedener Medienberater. Einer, der sich die<br />

Macht nimmt und lacht, wenn er sie wieder verliert, unheimlich, bedrohlich und fl irrend zugleich.<br />

So einer ist bei Martin Crimp Jonathan, ein Minister der Regierung, der erst versucht,<br />

die Untaten des Generals vor Amelia zu verheimlichen, und dann eiligst General und Skandal<br />

wieder loswerden muss. Aber obwohl er mehr zu sagen hat als Sophokles’ unehrlicher Herold<br />

Lichas, erlaubt Crimp ihm in seiner Griechentreue dennoch nicht, die Heldenrolle im Stück zu<br />

übernehmen und die eigentlichen Schlachten zu schlagen.<br />

Georgina Ackerman spielt Laela, das exotische Objekt der Begierde, und verrät ihre Rolle<br />

nicht an den Ethno-Kitsch. Sie ist die freundlichste und sachlichste Sexbombe, die man je<br />

gesehen hat. Der General tritt uns bei Bondy nackt entgegen, entblößt bis auf ein paar blutige<br />

Verbände und tropfende Schläuche. Es gibt keinen mythischen Glorienschein mehr, den wir<br />

ihm aus dem Publikum zuwerfen könnten und der die Erniedrigung wieder wettmachte.


Joe Dixon spielt den General fauchend und mit vorgeschobener Unterlippe in einem ein-dimensionalen<br />

Kraftakt. Bondy stößt ihn in eine Heldenrichtung, für die wir weder Auge noch<br />

Verständnis mehr haben. Außerdem muss Dixon es mit der Stemmleistung seiner geradezu<br />

dämonisch übermächtigen Kollegin Fox aufnehmen, deren Figur sich bei seinem Auftritt leider<br />

schon umgebracht hat. So bleibt er im Kampf mit ihr allein. Crimps und Bondys Methode der<br />

Aktualisierung wirkt allzu oft wie ein Versuch, sich vor den Herausforderungen der Sophokles-Tragödie<br />

zu drücken. Die Regie weicht sogar der hohen Sprache aus, mit der Crimp sein<br />

Stück geschmückt hat: Manches große Wort, das Kerry Fox an die Wände des Bühnenbilds<br />

richtet, putzt ihr Personal gleich wieder naturalistisch auf.<br />

Martin Crimps Sprache aber ist das eigentliche Ereignis dieser Uraufführung, poetisch und<br />

schwül und tänzerisch und kalt. Jeder Anfall der Figuren ist wie abgezirkelt, und in ihrer höchsten<br />

Erregung fallen dann irgendwelche Worte aus der Alltagswelt über sie her, mit denen sie<br />

nichts anfangen können. Das sind große Brüche, die von der Inszenierung leider geschäftig<br />

und geschickt – auch feinfühlig und liebevoll – geglättet werden.<br />

Den Versuch war es wert, und der Schauwert der Veranstaltung ist bei allen Verlusten noch<br />

immer groß. Man kann das ganze Spektakel in seinem Aktualisierungsfuror kabarettistisch<br />

fi nden und gar nicht sehen wollen, weil man Anstand für Gutmenschentum hält. Aber da wir<br />

aus den Nachrichten wissen, dass wir so sind, wie wir uns hier über die Bühne lügen, werden<br />

wir uns so darstellen lassen müssen, was dem Stück und der Aufführung am Ende doch noch<br />

mit angemessener Gewalt, mit Blut, Schweiß und Tränen gelingt.<br />

Bei der Londoner Premiere saß der Halbgott im Publikum, von geradezu übermenschlichem<br />

Glanz und doch ganz nah, mitten unter den Theaterbürgern: Jude Law, der Hollywoodstar.<br />

Mächtig, aber nicht allmächtig, und immer vom Absturz bedroht. Sicher schuldbeladen. Eben<br />

aus dem Bild auf der griechischen Vase gestiegen. Eine schöne Projektionsfl äche. Mensch<br />

und Sinnbild zugleich; diesmal für das, was an Sophokles nicht aktualisierbar war.


Neue Zürcher Zeitung | 25. Mai 2004<br />

Dunkle Kriegssouvenirs<br />

Luc Bondy mit Martin Crimps „Cruel and Tender“<br />

von Barbara Villiger Heilig<br />

Falschmeldung. Der englische Dramatiker Martin Crimp liefere mit «Cruel and Tender» das<br />

erste Stück über den Irak-Krieg, stand in einem Begleittext. Das stimmt nicht nur nicht, weil<br />

Elfriede Jelinek mit ihrem «Bambiland» schneller war. Es stimmt vor allem deshalb nicht,<br />

weil es in Crimps Neufassung der sophokleischen «Trachinierinnen» zwar um Krieg geht, das<br />

Stück aber weder strategische Handlungen noch politische Fehlentscheide zum Thema hat.<br />

Sondern, genau wie bei Sophokles, die Schicksale zweier Menschen, deren Liebe der Krieg<br />

zerstört. Aus Deianira und Herakles, dem mythischen Paar, werden Amelia und «der General»,<br />

Leute von heute mit Gefühlen von immer. Crimp hat den Mythos nicht «aktualisiert». Mythen,<br />

das ist ja ihre Kraft, sind ewig «aktuell». Sie erzählen Grundlegendes der menschlichen Erfahrung,<br />

das sich in jeder Zeit wiederholt.<br />

Wenn die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist, dann folgt ihr die Liebe auf dem Fuss.<br />

«Love and truth» gehören zusammen, erklärt Amelia dem anpasserisch-karrieresüchtigen Regierungsfunktionär<br />

namens Jonathan, der ihr vorlügt, die mitgebrachte junge Schwarze sei ein<br />

vom siegreichen General gerettetes Opfer. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser Laela um<br />

des Generals Geliebte, für die er, so stellt sich heraus, eine Stadt dem Erdboden gleichmachte.<br />

Der Held - ein kriegsverbrecherischer Womanizer?<br />

In der Uraufführungsinszenierung von Luc Bondy, einer englischen Produktion (bzw. Koproduktion<br />

diverser internationaler Partner), die kurz nach London am Sonntag bei den Wiener<br />

Festwochen Premiere hatte, kommen weder Helden noch Sieger vor, nur Verlierer: Täter, die<br />

mehr oder weniger schuldhaft zu Opfern werden. Das Politische - der kriegerische Hintergrund<br />

- stellt den Rahmen von schicksalhafter Bedingung und Bedingtheit her, welcher hier<br />

Menschen zusammen- oder besser auseinander führt. Von action keine Rede. Die Geschichte<br />

läuft linear ab, der antiken Vorlage auch darin treu. Dramatisch in höchstem Mass ist sie dennoch.<br />

Das Drama ereignet sich, langsam und spannungsvoll, erst im Niedergang der überragenden<br />

Amelia von Kerry Fox; dann, ein Abspann mit Höhepunkt, im peinvoll-jämmerlichen<br />

Auftritt des grandiosen Generals von Joe Dixon. Zwei unglaubliche Schauspieler.<br />

Trägheit und Bedrohung<br />

Der Rest des Ensembles liefert ihnen freilich mehr als Stichworte. Die Nebenrollen sorgen für<br />

eine emotional verdichtete Atmosphäre zwischen Trägheit und Bedrohung, die sich unheimlich<br />

entfaltet im Übergangszuhause der wartenden Generalsgattin. Richard Peduzzis Mehrzweck-


aum mit zusammengewürfelter Sitzgruppe, Fitnessmaschinen, einem Doppelbett und einem<br />

gut bestückten Bar-Rolltischchen fängt die unaufgeräumte Stimmung ein. Drei Angestellte<br />

(Sophokles‘ Chor), zuständig für Haus- und Körperpfl ege, kümmern sich lieber um eigene<br />

Belange. Sie schwatzen, rauchen, kichern - auf minimale komische Einlagen mag Bondy auch<br />

in der Tragödie nicht verzichten -, während Amelia redet. Trotz ihrer quasi professionellen Gefasstheit<br />

teilen sich Unbehagen, Überreiztheit, Vorahnungen mit. Welche Frau würde sich wohl<br />

einfach freuen auf das Wiedersehen mit einem Mann, der jahrelang als Krieger hauptamtlich<br />

verrohte? (Hier wird die Tagesaktualität, sprich Irak, tatsächlich relevant: für die Bebilderung<br />

unserer Vorstellungswelt.)<br />

Das Verhängnis naht in Gestalt zweier Boten. Richard (David Sibley), ein versoffener Journalist<br />

- der Krieg schont niemanden -, und besagter Jonathan (Michael Gould), geschniegelt und<br />

stets passend - d. h. unpassend - krawattiert, bringen neben widersprüchlichen Nachrichten<br />

auch die schwarze Laela (Georgina Ackermann) und ihren kleinen Bruder mit, der möglicherweise<br />

ihr Sohn ist - denn, so sagt die undurchdringliche junge Fremde ohne Umschweife, ein<br />

Mann kann mehrere Gemahlinnen haben.<br />

Kerry Fox wankt. Eine Frau in den - wie man sagt - besten Jahren, trotz Campingumständen<br />

nach Bedarf in der Lage, gepfl egt zu erscheinen (die Kostüme, salopp oder elegant, stammen<br />

von Rudy Sabounghi); ein kluger Kopf, ein lebhaftes Wesen. Ein Gesicht, das die Maske der<br />

guten Erziehung und des richtigen Benehmens augenblicksweise und spontan ablegen kann,<br />

wenn es ums Ganze geht. Eine mutige Person. Jetzt beschliesst sie zu kämpfen. Nicht gegen<br />

die Nebenbuhlerin; sondern für die Liebe. Kerry Fox‘ Amelia erweckt einerseits den Eindruck,<br />

dies sich selbst und ihrem Mann zu schulden; fast gedankenlos mechanisch reagiert sie. Anderseits<br />

verrät ihr schneller Refl ex eine Blindheit, die damit zu tun haben muss, dass man vor<br />

Illusionen gern die Augen schliesst. - Selten leitet uns ein Impuls allein. Bondys Meisterschaft,<br />

vielschichtige Handlungsmotivationen ins Spiel gleichsam einzuschleusen - das Werweissen<br />

genauso wie die kopfscheue Denkverweigerung und alle fein nuancierten Mischstadien -,<br />

bringt gerade diese Darstellerin unvergleichlich an die Oberfl äche des Sichtbaren. Sie balanciert<br />

in hellwacher Trance. Oder sie fällt, gepackt von Hysterie, aus der Rolle - was aber nie<br />

den völligen Kontrollverlust bedeutet.<br />

Unmoral statt Katharsis<br />

Indessen: Das ominöse Zaubermittel, gesandt in der Absicht, den General für die zivile Normalität<br />

zurückzugewinnen, richtet ihn zugrunde. In fl ammend rotem Cocktailkleid sitzt Amelia<br />

da; sie sackt, während der halbwüchsige Sohn (Toby Fisher) den Hergang rapportiert, hinter<br />

ihrem erstarrenden Blick zusammen. Die Leere, welche in ihr und um sie aufplatzt, saugt sie<br />

zugleich weg von der Welt. Amelias Verzweifl ung, ton- und bewegungslos, ist von heftigster<br />

Wucht. Aus. Ein Weinglas wird in den Händen zermalmt. Kerry Fox erhebt sich - es ist, als


würde ihr Körper sie hochziehen -; dann schwankt sie geistesabwesend den Möbeln entlang,<br />

sie betastend, als ginge es um die greifbare Vergewisserung, dass solche Dinge zu einem<br />

Dasein zählen, in dem Amelia nichts mehr zu suchen braucht.<br />

Und nun der General. Als Krüppel an Leib und Seele schiebt sich Joe Dixon auf die Szene.<br />

Im zynischen Satyrspiel nach dem tragischen Schluss zieht ein Urinkatheter den ehemaligen<br />

Weiberhelden ins Grausam-Lächerliche. Nicht bloss das Gift, nein: der Krieg hockt ihm im<br />

Nacken. Er äfft den herkulischen Soldaten von einst nur mehr nach. Vom Rollstuhl aus erteilt<br />

der verstümmelte Feldherr Befehle und grabscht nach Frauenfl eisch. Das Zerrbild der Macht,<br />

widerlich und erbärmlich, führt die Deformation des Menschen zur Marionette vor. Unerbittlich<br />

ätzt die Ironie. Auf eine Katharsis verzichtet Crimp. Die Moral oder Unmoral der Zeitläufte liegt<br />

ihm näher: Es gibt kein Heimkommen aus dem Krieg. Neu ist das nicht; wahr leider schon<br />

- und, dank dieser Aufführung, glasklar und messerscharf erörtert. Theater der Unausweichlichkeit.


DIE ZEIT | 20/2004<br />

Hass, Wut, Liebe, That‘s it<br />

In Martin Crimps Theaterstück „Cruel and Tender“ verbindet die Schauspielerin Kerry Fox<br />

Tragisches und Triviales. Ein Probenbesuch in London<br />

von Katja Nicodemus<br />

Sie war die Schriftstellerin Janet Frame in Jane Campions Film An Angel at My Table. Mit<br />

knallroter Perücke spielte sie eine junge Frau, die in der Psychiatrie zerrüttet und fast umgebracht<br />

wird. In Michael Winterbottoms Welcome to Sarajewo verzweifelte Kerry Fox als britische<br />

Journalistin an den Bürgerkriegsgräueln, und in Patrice Chéreaus Film Intimacy spielte<br />

sie eine Ehefrau, die sich in eine obsessive sexuelle Beziehung mit einem Fremden stürzt. In<br />

dieser Körperstudie zeigte sie eine brutale Nacktheit und schreckte auch vor pornografi schen<br />

Szenen nicht zurück. „Manche Leute sagen, dass ich einen Hang zu schwierigen Rollen habe“,<br />

sagt Kerry Fox. Sie sitzt in der Kantine des Londoner Young Vic Theaters und rührt abwesend<br />

in einer undefi nierbaren Fertigsuppe. „Aber das ist völliger Quatsch. Wenn man diesen Job so<br />

ernst nimmt wie jeden anderen, dann gibt es sowieso keine leichten Rollen.“<br />

Unter der Regie von Luc Bondy probt sie gerade die Hauptrolle in Cruel and Tender. Das<br />

Stück des zeitgenössischen britischen Autors Martin Crimp ist eine freie Adaption von Sophokles’<br />

Die Trachinierinnen und verschränkt die Tragödie der betrogenen Ehefrau mit dem kriegerischen<br />

Chaos der Weltpolitik. Kerry Fox spielt Amelia, die Frau eines Generals, der einen<br />

Terroreinsatz irgendwo in Afrika leitet. In der Ferne begeht dieser Mann Kriegsverbrechen und<br />

zerstört eine ganze Stadt, um sich seiner afrikanischen Geliebten zu bemächtigen.<br />

Wenn Fox auf der Bühne steht, im weißen Kleid, das ein wenig zu eng ist, wenn sie beim Warten<br />

in sich selbst hineinblickt, und um sie herum das übliche Gewusel eines Probenbeginns<br />

herrscht, dann könnte man sie leicht übersehen. Luc Bondy zeigt einem Darsteller, wie er sein<br />

Zuckerglas zerschlagen soll, der kleine Theaterraum riecht nach Farbe und heißen Scheinwerfern,<br />

und das verzogene Hündchen der Pressedame kläfft einen Bühnentechniker an. Als die<br />

Probe endlich beginnt, herrscht immer noch keine Ruhe, aber Fox spricht einfach los, leise<br />

und klar, als wolle sie sich die Stille erspielen. Die Bühne ist ihr Wohnzimmer, ein Raum, in<br />

dem schon die Gegenstände heimtückisch die Tragik eines Ehefrauenlebens erzählen. Hier<br />

Laufband, Hanteln und Gymnastikball. Dort ein Fernseher, die Bar, leere Weinfl aschen,<br />

Erdnüsse. „Schönes Kleid“, sagt ihr Sohn im Stück, „aber etwas zu eng.“<br />

Martin Crimp, der Autor, ist bei den Proben dabei. Mit langen grauen Haaren und einem<br />

bordeauxfarbenen Rollkragenpullover sieht er aus, wie sich ein Autor einen Autor vorstellt. In<br />

seinem Stück wird sich Amelia an ihrem Mann, dem treulosen Terrorbekämpfer, rächen, indem<br />

sie ihm ein chemisch vergiftetes Hemd schickt. Man kann sich fragen, ob der kriegerische


Zeitgeist hier nicht ein wenig reißerisch in eine antike Tragödie hineingepresst wird. Andererseits<br />

stellt man sich solche Fragen nicht, wenn Kerry Fox auf der Bühne steht. Ihre Amelia ist ein verlorenes,<br />

verbittertes Wesen, einsam unter Dienstboten, unbehaglich in einem nicht mehr ganz jungen<br />

Körper. In der Figur schwingen Tragik und Triviales mit, die Geschichte der großen Verlotterten und<br />

Frustrierten, von Blanche Dubois über Sue Ellen bis zu den Rollen der späten Liz Taylor. Als sich<br />

Kerry Fox auf dem Gipfel der Verzweifl ung mit Wein zuschüttet und dem Sohn die Wahrheit über<br />

den Vater und Betrüger ins Gesicht schleudert, ist es totenstill im Bühnenraum. Auch Luc Bondy<br />

wirkt nur mehr wie ein gebannter Zuschauer der eigenen Inszenierung. „Diese Frau hat 18 Jahre<br />

lang auf ihren Mann gewartet, der in der Ferne war“, sagt Fox in der Kantine. „Sie wurde verraten.<br />

Ihre Liebe und ihre Wut sind so bodenlos wie ihr Hass. That’s it.“<br />

Sie spricht langsam und lächelt, als wolle sie sich für jede Festlegung der Figur entschuldigen.<br />

Tatsächlich scheint sie Amelias Gefühle auf der Bühne genauso wenig zu durchschauen wie der<br />

Zuschauer. In ihrem Gesicht bleibt etwas Rätselhaftes, Undefi nierbares. Mysteriöse Abgründigkeit<br />

prägte auch ihre Rolle in Intimacy. Wie von Geisterhand geführt steht Kerry Fox in Patrice Chéreaus<br />

Film immer wieder vor der Haustür des einsamen Barkeepers. Der wortlose Sex wird in diesem Film<br />

zum Medium, zur Sprache zweier Verlorener, die sich über den Körper des anderen zunächst einmal<br />

selbst erkunden. „Intimacy“, sagt Kerry Fox, „war ein Schock. „Für die britische Presse war ich nur<br />

die Frau, die vor Patrice Chéreaus Kamera den Schwanz eines Typen in den Mund nahm. Menschen,<br />

die den Film nie gesehen hatten, nannten mich in der Zeitung eine Hure.“<br />

Fox wuchs in Neuseeland auf und gelangte über Australien nach England. Seit zwölf Jahren lebt sie<br />

in London und staunt immer noch über die Sexfi xiertheit der britischen Öffentlichkeit. „Schauen Sie<br />

sich an, wie jetzt die Affäre von David Beckham durchdekliniert wird. Ist es nicht erstaunlich, dass<br />

man einen so kontroversen und komplexen Film wie Intimacy hier letztlich auf die Frage reduziert<br />

hat, ob Mark Rylance und ich nun echten Sex hatten oder nicht? „<br />

Kino und Theater, sagt Fox, seien Orte, an denen sich eine Gesellschaft letztlich über sich selbst<br />

verständige. „Warum sollte man sich da nicht auch als Schauspielerin ein bisschen Meinung leisten?“<br />

Sie nimmt eher beiläufi g Stellung, ruhig und entschieden. Versonnen blickt sie in die inzwischen<br />

kalte Kantinenbrühe, kritisiert den Rassismus der Australier und den Bellizismus der britischen<br />

Regierung. Sie lobt Cruel and Tender, weil Crimps Stück zeige, dass ein Krieg, egal in welch<br />

fernen Regionen man ihn führe, immer in das Land des Urhebers zurückkehre. „Amelia“, sagt sie<br />

„führt den Krieg an der Heimatfront weiter. Es gefällt mir, dass sie chemische Waffen, die im Irak nie<br />

gefunden wurden, verwendet, um sich an ihrem Mann zu rächen.“<br />

Nach der Pause lässt Bondy eine Szene proben, in der Amelia von ihrem aufgebrachten Sohn angegriffen<br />

wird. Immer wieder bekommt Fox ein Kissen ins Gesicht geschlagen, wird auf den Boden<br />

geworfen, gewürgt. 10-, 15-mal. Einmal ist der Darsteller zu ungestüm und tut ihr weh. Bondy eilt<br />

herbei, der junge Mann entschuldigt sich, wird rot. Kerry Fox lacht. Beim nächsten Mal wandelt sie<br />

den Text ein wenig ab. „Pass auf!“, sagt sie, „deinen Vater hab ich schon vergiftet.“


von Heiner Goebbels<br />

nach Texten von Elias Canetti<br />

Konzeption, Regie und Musik – Heiner Goebbels<br />

Bühne und Lichtdesign – Klaus Grünberg<br />

Live-Video – Bruno Deville<br />

Kostüme – Florence von Gerkan<br />

Sounddesign – Willi Bopp<br />

Dramaturgie, Mitarbeit Regie – Stephan Buchberger<br />

mit André Wilms und dem Mondriaan-Quartett, Amsterdam<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo<br />

Eraritjaritjaka –<br />

Musée des phrases (Museum der Sätze)<br />

Produktion Théâtre Vidy-Lausanne E.T.E.<br />

In Koproduktion mit schauspielfrankfurt, Migros Kulturprozent,<br />

T & M – Odéon Théâtre de l’Europe, Wiener Festwochen und <strong>spielzeiteuropa</strong> I <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Mit Unterstützung der Stiftung Landis & Gyr<br />

Gefördert vom Programme Culture 2000 (UTE – Union des Théâtres de l’Europe, Réseau Varèse)<br />

12. – 14. November | 20 Uhr | Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln | Dauer 1 Std 30 Min


Heiner Goebbels | Eraritjaritjaka – Museum der Sätze<br />

In seinem neuesten Stück fügt der Komponist und Regisseur Heiner Goebbels virtuos Klänge<br />

und Bilder mit Texten Elias Canettis zu einem szenischen Gesamtkunstwerk zusammen. Das<br />

„Canetti-Projekt“ ist der letzte Teil einer Trilogie mit dem französischen Schauspieler André<br />

Wilms; wieder ist das Thema die Wahrnehmung und Weltaneignung des Einzelnen, wie sie<br />

sich in Tagebucheintragungen und Notizen äußert, in diesem Fall Canettis. In kurzen, scharf<br />

pointierten Sätzen nimmt der 1994 verstorbene Literaturnobelpreisträger die Menschen und<br />

ihr Verhältnis untereinander ins Visier, die Sprache, die Musik, die Tätigkeit des Dirigenten,<br />

die kleinen Gewohnheiten und Eitelkeiten, das lächerliche Diktat der Ordnung. Neben Textpassagen<br />

aus den mehrbändigen „Aufzeichnungen“ der 40er bis 90er Jahre („Die Provinz des<br />

Menschen“, Die Fliegenpein“ u.a.) und aus „Masse und Macht“ begegnet man auch der Hauptfi<br />

gur aus Canettis einzigem Roman „Die Blendung“, dem pedantischen Einzelgänger Professor<br />

Kien. Den rätselhaften Titel „Eraritjaritjaka“ fand Goebbels ebenfalls bei Canetti. Er bezeichnet<br />

in Aranda, einer Sprache australischer Ureinwohner, einen Gemütszustand „voller Verlangen<br />

nach etwas, was verloren gegangen ist“.<br />

Das Amsterdamer Mondriaan-Quartett liefert die Musik zu diesem hochkonzentrierten Abend.<br />

Gespielt wird Streichquartett-Literatur hauptsächlich des 20. Jahrhunderts, u. a. von Schostakowitsch,<br />

Ravel, George Crumb, und von Heiner Goebbels selbst.


Biografi e<br />

Heiner Goebbels<br />

Heiner Goebbels, geboren am 17.08.1952, ist Komponist und Regisseur. Er studierte Soziologie<br />

und Musik und lebt in Frankfurt am Main.<br />

In den siebziger Jahren Aufnahmen und Konzerte mit dem Sogenannten Linksradikalen<br />

Blasorchester (76-81), dem Goebbels/Harth-Duo (76-88) und dem Art-Rock-Trio Cassiber<br />

(82-92). Zur selben Zeit komponierte er hauptsächlich Filmmusik sowie Musik für Theater-<br />

und Ballettproduktionen (für Hans Neuenfels, Claus Peymann, Matthias Langhoff, Ruth<br />

Berghaus, das Ballett Frankfurt und andere).<br />

In den 80er Jahren begann er eigene Hörstücke zu verfassen, die oft auf Texten von Heiner<br />

Müller basierten („Verkommenes Ufer“, „Die Befreiung des Prometheus“, „Wolokolamsker<br />

Chaussee“ u.a.)<br />

1986 erarbeitete er zusammen mit Michael Simon die Musiktheater-Stücke „Newton‘s<br />

Casino“ (1990) und „Römische Hunde“ (1991) am TAT/Theater am Turm in Frankfurt.<br />

Seit 1988 komponiert Goebbels für das Ensemble Modern und das Ensemble Intercontemporain.<br />

1994 entstand „Surrogate Cities“, eine 90minütige Komposition als Auftragswerk<br />

der Alten Oper Frankfurt (Uraufführung an der Jungen Deutschen Philharmonien, Dirigent:<br />

Peter Rundel. Im Auftrag der Donaueschinger Musiktage komponierte er 1996 „Industry &<br />

Idleness“ (Uraufführung: Radiokamerorkest Hilversum, Dirigent: Peter Eötvös). „Walden“ für<br />

ein erweitertes Orchester komponierte er 1998 für die erste Tournee des neu gegründeten<br />

Ensemble Modern Orchester (Dirigent: Peter Eötvös).<br />

1993 schuf er das Musiktheater-Stück „Ou bien la débarquement désastreux“ , das er selber<br />

in Paris inszenierte. 1995 entstand ein weiteres Stück mit Musik und Texten, „Die Wiederholung<br />

/ La Reprise“ basierend auf Motiven von Kierkegaard, Robbe-Grillet und Prince (Uraufführung<br />

in Frankfurt (Theater am Turm / Bockenheimer Depot). ein weiteres Musiktheater-<br />

Stück, „Schwarz auf Weiss“ entstand am TAT in Frankfurt 1996, ein Stück für 18 Musiker des<br />

Ensemble Modern. Es wurde von Arte aufgezeichnet, aufgenommen für BMG und SWF und<br />

wird immer noch in Europa und in Übersee gezeigt.


1998 entstand ein zweites Solostück für den Schauspieler André Wilms: „Max Black“, das<br />

im selben Jahr in Lausanne am Théatre Vidy-ETE uraufgeführt wurde, und zusammen mit<br />

dem Ensemble Modern erarbeitete er zu Hanns Eislers 100. Geburtstag „Eislermaterial“ - ein<br />

Bühnenkonzert (Uraufführung 1998 in München).<br />

2000 entstanden in Lausanne das Stück „Hashirigaki“ und in Straßburg das Bühnenkonzert<br />

„...même soir“ mit der Gruppe Les Percussions de Strasbourg.<br />

2002 inszenierte Heiner Goebbels seine erste Oper „Landschaft mit entfernten<br />

Verwandten“, die im Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> im Februar 2003 zu sehen war (eine<br />

Koproduktion mit den <strong>Berliner</strong> Festwochen).<br />

Heiner Goebbels war 1997/98 Gastprofessor an der Musikhochschule Karlsruhe; seit 1999<br />

hat er eine Professur am Institut für angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-<br />

Universität Gießen inne.<br />

Er ist Mitglied der Akademie der darstellenden Künste in Frankfurt/Main und der Akademie<br />

der Künste in Berlin.<br />

Die Arbeit von Heiner Goebbels wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem<br />

Hörspielpreis der Kriegsblinden (1985, 1992, 1995), dem Hessischen Kulturpreis (1993), dem<br />

Europäischen Theaterpreis (2001) und der Goethe-Plakette (2002).<br />

„Eraritjaritjaka – Museum der Sätze“, das mittlerweile dritte Solostück mit dem Schauspieler<br />

André Wilms und dem Mondriaan Quartet aus Amsterdam – eine Koproduktion mit<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong> | <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> – hatte im Frühjahr 2004 im Théâtre Vidy-Lausanne<br />

Premiere.


Neue Zürcher Zeitung | 23. April 2004<br />

Schachtelsystem<br />

Ein Canetti-Stück von Heiner Goebbels in Lausanne<br />

von Sabine Haupt<br />

Rätsel können aufklären, auch wenn sie ungelöst bleiben. Denn es ist die Arbeit am Geheimnis,<br />

das Setzen, Ent- und Versetzen von Sprach- und Tonzeichen, wodurch Dynamik entsteht.<br />

Erkenntnisse erwachsen aus dem Zusammenspiel von Momenten, nicht aus einer wie auch<br />

immer gearteten Gesamtbedeutung. Das neue, im Lausanner Théâtre de Vidy uraufgeführte<br />

Musik- Theaterstück von Heiner Goebbels signalisiert diese Einsicht schon in seinem unaussprechlichen<br />

Titel: «Eraritjaritjaka». Kein Zauberwort, sondern eine Redewendung südaustralischer<br />

Aborigines, die - so Elias Canettis eigene, aus seinen Aufzeichnungen «Die Fliegenpein»<br />

(1992) stammende Defi nition - eine obsessive Sehnsucht nach dem Verlorenen bezeichnet.<br />

Es geht um Trauer, um Melancholie, in deren Sog man augenblicklich durch ein vom Amsterdamer<br />

Mondriaan Quartet mit äusserster Konzentration vorgetragenes Streichquartett<br />

von Schostakowitsch gerät. Eine schwarz gekleidete Figur betritt den Rand eines aus Licht<br />

geformten weissen Blattes - oder ist es die Oberfl äche eines Spiegels, auf dem sich bald<br />

Schritte, Wörter und Töne abzeichnen? Wie ein Pendel wirft sie ihren Schatten in die Runde,<br />

schwingt im und gegen den Rhythmus der Musik. Licht, Körper und Stimme pendeln sich ein<br />

in den Klang der Streicher. Frappierend an dieser Szenerie (Bühnenbild: Klaus Grünberg) sind<br />

zunächst die streng geometrischen Linien, eine Topographie, in der Bewegung allein durch<br />

die Choreografi e von Kontrasten entsteht; schwarz und weiss, positiv und negativ, oben und<br />

unten: Polaritäten, gehalten vom langen Atem der Töne.<br />

Auch diese jüngste Zusammenarbeit mit dem elsässischen Schauspieler André Wilms ist<br />

einem Verhängnis der Moderne auf der Spur: der alles bestimmenden, alles durchdringenden<br />

Ordnung. Während Wilms sich als Dirigent, Demagoge und Tierbändiger ins Spiel bringt,<br />

kommentieren Passagen aus Canettis «Masse und Macht» deren tyrannische, einem «Schachtelsystem<br />

der Geheimnisse» verpfl ichtete Gesetze und Partituren. Die Musiker und das Tier -<br />

eine roboterhafte Mutation aus Kanone und Pavian - gehorchen, doch nur für kurze Zeit. Dann<br />

ist der Wort-Dirigent wieder allein vor leeren Stühlen und imaginären Klängen. Ihm bleiben<br />

«nur diese Striche auf dem gelblichen Papier».<br />

Und nun beginnt der erstaunlichste Teil der gesamten Dramaturgie: Goebbels reisst die Wände<br />

ein, zieht seinen Darsteller weg von der Bühne, hinein in einen Strudel sich gegenseitig<br />

kommentierender Ebenen. Wilms nimmt Hut und Mantel und verlässt das Theater.


Medienwechsel: Ein Vorhang öffnet sich, und das zuvor im Miniaturformat auf die Bühne<br />

gestellte Haus erscheint in voller Grösse. Zunächst als zweidimensionale Leinwand mit aufgemalten<br />

Fenstern, auf die das weitere Geschehen projiziert wird, später als riesenhafter Adventskalender,<br />

dessen Türchen sich allmählich öffnen und dabei den Blick in die Zimmer und<br />

auf den im Haus umherstreifenden Kameramann (Live-Video: Bruno Deville) freigeben. Dessen<br />

Beobachtungen führen uns hinter die Fassade.<br />

Wir betreten ein Geisterhaus, eine spleenige Parallelwelt, konkret: die Wohnung einer dem<br />

Sinologen Kien, jenem pedantischen Büchernarr aus Canettis Roman «Die Blendung»,<br />

nachempfundenen Figur. Deren Alltag, in all seiner akkurat orchestrierten Kleinlichkeit, mit<br />

all seinen intimen Verrichtungen und Bewegungen, verrückt und verzerrt die Kamera nun zu<br />

monströser Überdeutlichkeit. Am Schreibtisch durchmessen die Bleistifte ihren abgezirkelten<br />

Spielraum, eine Schreibmaschine klimpert ein paar Takte, und in der Küche steigern sich<br />

Schneebesen und Pfeffermühle zum Crescendo. Der einsame Esser verschlingt seine eigenen<br />

Spuren, sauber, appetit- und rückstandslos. Fenster öffnen sich und verdoppeln das Bild,<br />

Frauen- und Kinderstimmen aus dem Off geistern durchs Haus: Wir sind mitten im Film, umgeben<br />

von Bild- und Wortassoziationen, geblendet von kontrapunktisch angeordneten Textund<br />

Musikcollagen. Doch wo genau sind wir? Befi nden wir uns in einer von Jean<br />

Cocteau halluzinierten Unterwelt, oder ist es die groteske Pedanterie eines Jacques Tati, die<br />

jede Bewegung in unheimliche Ferne rückt?<br />

Von der Bühne in den Film, vom Film zurück auf die Bühne: Figuren, Stimmen und Töne wechseln<br />

den Ort und das Medium, als sei die Grenzüberschreitung ihr eigentliches Ziel. Und alles<br />

geschieht mit wahrhaft somnambuler Leichtigkeit und Virtuosität, nichts ist vorhersehbar,<br />

doch alles völlig einleuchtend. Hätte das Wort «Genie» nicht einen so pompösen Unterton,<br />

hier wäre es durchaus mal am Platz.


Frankfurter Allgemeine Zeitung | 22. April 2004<br />

Unaufgeräumte Memoiren eines Dachbodens-Klangmuseum der Sätze<br />

„Eraritjaritjaka“ von Heiner Goebbels nach Elias Canettis Aufzeichnungen am Théâtre Vidy in<br />

Lausanne uraufgeführt<br />

von Wolfgang Sandner<br />

Was ist ein Komponist? Wer der Etymologie vertraut, wird ihn als Zusammenfüger charakterisieren.<br />

Fragt sich nur, was er zusammenfügt. Für Thomas Manns Adrian Leverkühn war - auch<br />

wenn das die konservativen Musikfreunde ganz anders sehen - die Welt noch in Ordnung. Ein<br />

Komponist setzt eigene Werke aus den zwölf Tönen des temperierten Systems zusammen.<br />

John Cage war das zuwenig. Für ihn machte der Komponist das ganze klingende Universum<br />

hörbar. Aber seitdem La Monte Young einen Holzsplitter aus einem Bösendorfer-Flügel<br />

als „Klavierstück“ ausgab, ist kompositorisch nichts mehr, wie es einmal war. Jetzt können<br />

Richard Wagner und Herr Bösendorfer zu Komponisten, der „Ring“ und ein Konzertfl ügel gleichermaßen<br />

zu Gesamtkunstwerken erklärt werden. Aber vielleicht ist das ja gut so.<br />

Was ist ein Musiktheaterstück? Wenn man es historisch betrachtet, ist es ein Werk für die<br />

Bühne, in dem gesungen, gesprochen, gespielt und vielleicht auch getanzt wird. Für den Erfi nder<br />

des musikalischen Dramas war das zuviel. Gesprochene Dialoge? Das gab es im vorrevolutionären<br />

Singspiel. Tanz? Das war nur welscher Tand. Die totale musikalische Dramatisierung<br />

mußte her. Aber da war noch zuviel überkommene Hierarchie vorhanden: Die Musiker unten<br />

im Orchestergraben spielten Instrumente, die Sänger oben sangen, der Dirigent auf erhöhtem<br />

Podest achtete darauf, daß nur das erklang, was der Komponist zuvor zusammengefügt hatte.<br />

Seit es das Instrumentale Theater und die antiautoritäre Bewegung auch in der Musik gibt,<br />

hat das ein Ende. Jetzt spielen die Sänger Instrumente, das Orchester sitzt auf der Bühne, der<br />

Dirigent greift trällernd ins Geschehen ein, und alle können nicht nur, sie müssen ihren kompositorischen<br />

Beitrag leisten.<br />

Was ist ein Künstler? Machen wir‘s kurz: nicht mehr nur der Erfi nder schöner Dinge.<br />

Eklektizismus und Objet trouvé, Siebdruck und Playback, Zitat und die Theorie der offenen<br />

Form haben den Wert des Originals in Frage gestellt. Der Künstler unter der Kuppel des einundzwanzigsten<br />

Jahrhunderts ratlos? Durchaus nicht, sondern fi ndig.<br />

Man kann Heiner Goebbels als einen Komponisten von Musiktheaterstücken bezeichnen.<br />

Auch als Künstler im Sinne des erweiterten Komponisten-Musiktheater-Künstler-Begriffs:<br />

Er setzt Töne und Wörter, Bilder, Bewegung und Licht zusammen, die nicht unbedingt von<br />

ihm stammen müssen. Er verbindet alles in einer von ihm ausgehenden, aber nicht auf ihn<br />

beschränkten Inszenierung. Er ist der moderne Zusammenfüger schlechthin. Und einer der


anregendsten obendrein. Jetzt hat er für das Théâtre Vidy- Lausanne, an dem zuvor schon<br />

zwei andere Musiktheaterstücke von ihm - „Max Black“ und „Hashirigaki“ - herausgekommen<br />

waren, ein neues Werk geschrieben: „Eraritjaritjaka“, ein „Museum für Sätze“.<br />

Wer Werke von Heiner Goebbels kennt, wird auch dieses unschwer als von ihm stammend<br />

identifi zieren können, auch wenn die Töne vorwiegend von Schostakowitsch und Ravel, von<br />

Gavin Bryars und George Crumb, von Johann Sebastian Bach, Giacinto Scelsi und Alexeij<br />

Mossolov stammen und die Texte bis hin zum kryptischen Titel aus der Sprache der Aborigines<br />

ausschließlich den Schriften von Elias Canetti entnommen wurden. Aber wie er das alles<br />

mit Hilfe seines Lieblingsschauspielers, des sprachvirtuosen Elsässers André Wilms, in Gesten<br />

umsetzt, wie er zwischen umfassender Optik und akustischen Zeichen sinnfällige Verbindungen<br />

schafft, das kennt man eigentlich nur von ihm, und es weist ihn eben wirklich als originellen<br />

Komponisten mit dem Material anderer aus.<br />

Und das geht so: Die vier Mitglieder des holländischen „Mondriaan Quartet“ betreten in<br />

dunkler Kleidung die leere Bühne des Theaters und beginnen zu spielen, als sei man in einem<br />

Kammermusikabend. Nichts deutet auf ein kommendes Musiktheaterstück hin, alles auf ein<br />

ausgedehntes Streichquartettprogramm. Aber weil man auf Theater konditioniert ist, beginnt<br />

man die Bewegungen der vier Musiker auf ihre Dramaturgie hin zu beobachten. Man spürt,<br />

wie die musikalischen Phrasen sich in Armbewegungen fortsetzen, man sieht, wie die Kopfbewegung<br />

des ersten Geigers das melodische Thema an den zweiten Geiger weitergibt. Und<br />

plötzlich, im gleichschwingenden Rhythmus aller vier Instrumentalisten erkennt man auch den<br />

musikalischen Höhepunkt des Stückes. Wie Goebbels hier die Erwartungshaltung des Publikums<br />

nutzt, um etwas von der Struktur der Musik zu vermitteln, das erinnert an die unorthodoxen<br />

Ausstellungskonzepte von John Cage: Wenn eine griechische Vase mit Krieger-Darstellungen<br />

in eine Vitrine mit polynesischen Schrumpfköpfen gestellt wird, beginnt das Objekt<br />

ganz andere Geschichten zu erzählen als in einer Sammlung ausschließlich antiker Kunstgegenstände.<br />

Unvermittelt erheben sich die Musiker, nehmen ihre Stühle und treten in den Bühnenhintergrund.<br />

Aber die Musik, die sie gespielt haben, setzt sich als Tonbandzuspielung fort, wird geräuschhafter,<br />

immer heftiger, als würde Papier oder Stoff zerrissen. Mit dem Geräusch taucht<br />

eine erleuchtete Linie wie jene zur Markierung von Notausgängen in Flugzeugen auf, wird mit<br />

zunehmendem Geräusch allmählich breiter, als würde jemand gewaltsam die Dunkelheit auf<br />

dem Bühnenboden zerreißen, um sie in eine quadratische Lichtfl äche zu verwandeln. Solche<br />

Wechselspiele zwischen optischen und akustischen Zeichen charakterisieren das ganze<br />

Stück.


André Wilms beginnt französische Texte von Canetti zu sprechen und mit Bewegungen zu<br />

dramatisieren: Texte aus seinen umfangreichen Aufzeichnungen, aus dem Roman „Die Blendung“<br />

und aus dem Essay-Band „Masse und Macht“; Beobachtungen menschlichen Verhaltens,<br />

Canettis „minima corporalia“, die auf groteske und zugleich unmittelbar einleuchtende<br />

Weise in Bilder verwandelt werden. Wenn etwa aus Canettis „Provinz des Menschen“ jener<br />

eindrucksvolle Passus über das Verhältnis zu Tieren rezitiert wird, fährt ein kleiner, ferngesteuerter<br />

Roboter auf die Bühne, ein „elektrisches Insekt“, wie es geradewegs aus George Crumbs<br />

Komposition „Black Angels“ stammen könnte: „Immer wenn man ein Tier genau betrachtet,<br />

hat man das Gefühl, ein Mensch, der drin sitzt, macht sich über einen lustig.“<br />

Heiner Goebbels, sein Lichtdesigner Klaus Grünberg, die für Kostüme verantwortliche Florence<br />

von Gerkan und Bruno Deville, für das Live-Video verantwortlich, gehen sparsam mit<br />

Requisiten und Zeichen um. Aber jede Aktion ist mit anderen Momenten der Darstellung<br />

so verknüpft, daß das Geschehen einen sogähnlichen Komplexitätsgrad bis zum Schwindel<br />

annimmt. André Wilms zieht etwa in der Mitte des eineinhalbstündigen, pausenlosen Stückes<br />

(nur mit Streichquartettbegleitung) seinen Mantel an und verläßt das Theater, gefolgt von<br />

der Video-Kamera, die seinen Gang durch den Vorraum des Theaters, die Fahrt mit dem Taxi<br />

durch Lausanne, schließlich seine Wohnung bis zum unaufgeräumten Dachboden fi lmt und<br />

auf ein auf der Bühne als Kulisse dienendes Haus projiziert. Das Theaterstück ist unvermutet<br />

zum Film geworden. Aber die Handlung scheint in „real time“ abzulaufen, das Fernsehen in der<br />

Wohnung bringt die Nachrichten vom Dutroux-Prozeß, die Uhr zeigt dieselbe Stunde wie jene<br />

im Theater, Wilms reißt das Kalenderblatt des Tages ab. Da öffnet sich das Fenster des Hauses<br />

auf der Bühne, man sieht den leibhaftigen André Wilms, wie er Schreibmaschine schreibt,<br />

während das Video dieselbe Szene projiziert. Wo sind wir? Im Theater? Im Film? Was ist Wirklichkeit,<br />

was Fiktion? Bachs „Kunst der Fuge“ als Begleitmusik zur Lichtspielszene macht das<br />

Verwirrspiel komplett. Goebbels versucht, das Geheimnis unserer Realität zu enziffern, ohne<br />

es zu lüften. Es ist ihm gelungen.


Deutschlandfunk | 21. April 2004<br />

Eraritjaritjaka<br />

von Joachim Johannsen<br />

Der Frankfurter Musiker und Regisseur Heiner Goebbels, der immer für eine Überraschung<br />

gut ist, macht es diesmal schon vor dem Eintritt in sein magisches Universum spannend. Was<br />

sagt man an der Kasse, wenn ein Werk «Eraritjaritjaka» heisst? Das ist leichter zu sagen als zu<br />

schreiben, aber vor dem Aussprechen muss man es erst einmal korrekt gelesen haben. Das<br />

Adjektiv aus Aranda, der Sprache der australischen Ureinwohner, ist der Titel der neuesten<br />

Komposition von Heiner Goebbels. Das 6-minütige Stück für Streichquartett bezeichnet einen<br />

Zustand «voller Verlangen nach etwas, das verloren gegangen ist».<br />

In der anderthalbstündigen Produktion des Théâtre Vidy Lausanne werden dem Zuschauer<br />

allerdings alle Wünsche erfüllt. Die unermüdliche Brutstätte zeitgenössischen Theaters direkt<br />

am Ufer des Genfer Sees gibt unter der Ägide von Direktor René Gonzalez wieder einmal den<br />

Startschuss für eine Welttournee. Die geheimnisvolle Chemie des Ortes setzt offenbar die<br />

Naturschönheit der Alpenlandschaft direkt in raffi nierte Kunstschönheit um. Das Setting der<br />

Veranstaltung ist die strenge, konventionelle Atmosphäre eines Quartettabends. Was Schostakovitsch,<br />

Ravel und anderen für vier Streicher schrieben, wird aber schnell aufgebrochen.<br />

Ein Monsieur im grauen Dreiteiler tut Dinge, die man nicht tun sollte, er redet dazwischen, er<br />

redet drauf auf die Musik. Was er sagt, hat Niveau, er wirft philosophische Brocken in die Pausen<br />

und auf die Noten, er ringt um Weltverständnis und Selbstverständnis.<br />

Beide Tätigkeiten sind legitim, das Spiel aus der Partitur wie das Nachdenken über den Lauf<br />

der Welt, nur: müssen sie denn gleichzeitig stattfi nden? Aber kein Ordnungsruf erschallt, denn<br />

der Widerstreit der Disziplinen ist gewollt, das ist der Kampf der Künste um neues Zusammenwirken<br />

- Streichkultur gegen Sprechkultur. Der Tarif des Abends ist ausgegeben. Den<br />

Streithähnen wird der schwarze Boden unter den Füssen weggezogen, das weisse Nichts tut<br />

sich auf, das weisse Rauschen des leeren Bandes. Der sprechende Mann hält einen bissigen<br />

Vortrag über die Allmacht des Dirigenten, das Quartett hat Tacet, eine weisse Hausfassade<br />

fährt herunter. Vorne links an der Rampe holt ein Kameramann den Schauspieler ab, wir sind<br />

ihn los, den Störenfried, aber da taucht er schon wieder auf, überlebensgross. Die Bilder der<br />

verschwundenen Kamera werden auf die Hauswand projiziert.<br />

Wir sehen, wie der Schauspieler André Wilms durch das Theaterfoyer stürmt, im Taxi durch<br />

Lausanne fährt, eine Zeitung kauft, seine enge Wohnung betritt. Dort wird der grosse Teilhaber<br />

am Weltgeist zum kleinen Normalbürger, der Zwiebeln schneidet, ein Omelett kocht und<br />

Tagesschau guckt. Heiner Goebbels drängt die locker gesammelten Texte von Elias Canetti,


dem Literaturnobelpreisträger 1981, zusammen zu einer Momentaufnahme, dem Porträt des<br />

Künstlers als alternder Mann. Der einsame Wolf macht seine Einsamkeit noch grösser, indem<br />

er sie minutiös beschreibt.<br />

Dann plötzlich sitzt das bekannte Streichquartett in seiner Bibliothek. Das kann nicht sein.<br />

Denn die drei Herren und die eine Dame des Amsterdamer Mondriaan-Quartetts sind doch<br />

bei uns im Theater geblieben und haben den Echtzeitausfl ug des Philosophen mit ihrem Ritt<br />

durch die Quartettliteratur des 20. Jahrhunderts begleitet.<br />

Wir sind dem Illusionskünstler Heiner Goebbels und seinem langjährigen Bühnen- und Lichtdesigner<br />

Klaus Grünberg voll auf den Leim gegangen. Was uns weit entfernt erschien, war<br />

ganz naheliegend. Das Kino war doch nur Theater auf der Leinwand. Verblüffung macht sich<br />

breit, befreiendes Gelächter. Verblüffung über die Fallgruben in der glatten Oberfl äche, über<br />

soviel Musik im Sprechtheater, über soviel Frechheit im Seriösen, über das Erhabene im Banalen,<br />

über das Einfache, das kompliziert erzählt wird, über das Komplizierte, das genial einfach<br />

zu entschlüsseln ist. Heiner Goebbels hat sich diesmal als Komponist zurückgenommen, umso<br />

glänzender sehen wir ihn als theatralischen Gesamtkunstwerker bestätigt.


Béla Pintér and Company / Ungarisches Nationaltheater Budapest<br />

Musikdrama von Benedek Darvas und Béla Pintér<br />

Regie – Béla Pintér<br />

Musik – Benedek Darvas<br />

Bühne – Péter Horgas<br />

Kostüme – Mari Benedek<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo<br />

Roncsolt Kópia (Zerkratztes Zelluloid)<br />

mit Éva Csatári, Éva Enyedi, Sarolta Nagy-Abonyi, Tünde Szalontay, Sándor Bencze, Tamás Deák, Béla Pintér,<br />

László Quitt, József Szarvas, Szabolcs Thuróczy, József Tóth<br />

Musiker Antal Kéménczy, Bertalan Veér, Gábor Pelva, László Nyíri, István Kerti, Géza Román, Mátyás Veér,<br />

György Póta, Leitung Pál Bencsik<br />

Mit Unterstützung des Ungarischen Kulturministeriums, NKA – Nationaler Kulturfonds, Stadt Budapest<br />

und Budapester Herbstfestival<br />

20. + 21. November | 20 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Deutsche Erstaufführung<br />

In ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln | Dauer 80 Min (keine Pause)


Béla Pintér | Roncsolt Kópia (Zerkratztes Zelluloid)<br />

Der Abend des 20. April 1942, eine Gruppe ungarischer Soldaten kurz vor dem Einrücken an<br />

die Front. Mit einem Ball werden sie Abschied von ihren Frauen feiern. Ihr Blick ist vertrauensvoll<br />

in die Zukunft gerichtet. Sie sind überzeugt, dass der Krieg bald zu Ende ist und ein neues<br />

Europa, eine neue Welt entstehen wird. Rivalitäten untereinander, mörderischer Fanatismus<br />

und das Auftauchen des jüdischen Zwangsarbeiters Heincz werfen düstere Schatten auf die<br />

Szenerie.<br />

„Roncsolt Kópia“ (wörtlich übersetzt „Beschädigte Kopie“) evoziert die Atmosphäre eines<br />

Schwarz-Weiß-Films aus der Vorkriegszeit. Die emotional aufgeladene Musik, die Filmschnulzen<br />

aus diesen Jahren mit Marschmusik und spätromantischen Klängen à la Puccini<br />

kombiniert, steht im starken Kontrast zu den streng choreografi erten, reduzierten Bewegungen<br />

der Akteure auf der Bühne. Das Thema dieser „Soldatenoper“ rührt an eine dunkele Saite<br />

der ungarischen Geschichte: den Pakt mit Nazi-Deutschland vor dem Hintergrund des eigenen<br />

Nationalismus und Antisemitismus und die Beteiligung an der Russlandoffensive 1942, die<br />

mit dem Tod Hunderttausender ungarischer Soldaten im russischen Winter endete. Anhand<br />

einiger Einzelschicksale und deren persönlicher Tragödien, Liebes- und Eifersuchtsdramen,<br />

entwickelte der 34-jährige Autor und Regisseur Béla Pintér in enger Zusammenarbeit mit<br />

seiner Truppe und dem Komponisten Benedek Darvas dieses Stück über eine Ära und die<br />

Menschen, die in ihr lebten.<br />

Béla Pintér and Company ist eine der kreativsten und erfolgreichsten unabhängigen Gruppen<br />

Ungarns. Ihre Produktion „Bauernoper“ wurde mit dem Ungarischen Kritikerpreis 2003 als<br />

„beste Musiktheaterproduktion des Jahres“ ausgezeichnet. Seither arbeiten sie als Gast am<br />

Nationaltheater Budapest, wo auch dieses Stück entstand.


Biografi e<br />

Béla Pintér<br />

geboren am 21.9.1970 in Budapest<br />

Schauspieler, Regisseur, Dramatiker<br />

1987 beginnt Pintér seine Karriere als Schauspieler in der freien Theatergruppe ARVISURA<br />

1987–1998 arbeitet er als Schauspieler mit verschiedenen freien Theatergruppen<br />

1998 Gründung seiner eigenen Kompanie am SZKÉNÉ THEATER. Er beginnt zu schreiben<br />

und bei seinen eigenen Theaterstücken Regie zu führen, arbeitet jedoch weiterhin gleichzeitig<br />

als Schauspieler, sowohl bei anderen Gruppen als auch in seinen eigenen Produktionen.<br />

1998–2000: In den ersten drei Jahren ihres Bestehens gewinnt Béla Pintér and Company<br />

(Pintér Béla és Társulata) dreimal den Ungarischen Kritikerpreis für „die beste freie Theaterproduktion<br />

des Jahres“.<br />

2000 erhält Pintér ein Stipendium für Dramatik und einen Preis der Ungarischen Tageszeitung<br />

Népszabadság als „talentiertester junger Theatermacher des Jahres“.<br />

2000–2003: Eine feste, dauerhafte Kompanie mit stetigen Mitgliedern bildet sich heraus.<br />

2003 erhält Pintér für seine Arbeit einen Preis vom Präsidenten der Ungarischen Republik.<br />

Das Stück „Parasztopera“ („Bauernoper”) gewinnt den Ungarischen Kritikerpreis als „beste<br />

Musiktheaterproduktion des Jahres”.<br />

2004 gelingt der Gruppe mit den Produktionen „Parasztopera“ („Bauernoper”) und „Roncsolt<br />

Kópia“ („Zerkratztes Zelluloid“) der internationale Durchbruch.


Béla Pintérs Stücke und Inszenierungen<br />

„Népi Rablét“ (Allgemeine Knechtschaft), 1998<br />

„Kóház-Bakony“, 1999<br />

„A Sehova Kapuja“ (The Gate to Nowhere or Jeff Howe is Witless), 2000<br />

„Öl, butít!“ (Trink und stirb!), 2001<br />

„Parasztopera“ (Bauernoper), 2002<br />

„Roncsolt Kópia“ (Zerkratztes Zelluloid), 2003<br />

„The Queen of the Cookies», 2004<br />

Alle diese Stücke produziert und gespielt von Béla Pintér and Company.


Niemandsland: Béla Pintér and Company<br />

von Krisztina Kovács, Dramaturgin<br />

Béla Pintér and Company versetzen ihrem Publikum Tiefschläge, es liegt ihnen halb k. o. zu<br />

Füßen. Die meisten kommen wieder, sehen sich dieselbe Produktion immer und immer wieder<br />

an, sind nach der zehnten Vorstellung noch hell begeistert und verlieben sich in die Spieler<br />

und ihr Theater. Die Company, gegründet 1998, spielt regelmäßig vor ausverkauftem Haus.<br />

Obwohl es jedes Jahr eine neue Produktion in ihrem Repertoire gibt, ist ihr erstes Stück „Népi<br />

Rablét“ („Allgemeine Knechtschaft“ – der ungarische Titel ist ein Anagramm von Béla Pintérs<br />

Name) so populär wie am Tag der Uraufführung. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Company<br />

ein eigenes Publikum herangezogen, aber vielleicht ist auch das Gegenteil richtig: Ein<br />

Publikum hat geholfen, ein neues Theater zur Welt zu bringen. Auch wenn einige Theaterkritiker<br />

ihre liebe Not mit den Aufführungen haben und ihre Reaktionen manchmal harsch ausfallen,<br />

sprechen die Auszeichnungen, die der Company bisher verliehen wurden, eine andere<br />

Sprache. Schon dreimal wurden Stücke mit dem Preis der ungarischen Theaterkritik als „beste<br />

unabhängige Produktion“ bedacht; 2003 bekam „Parasztopera“ („Bauernoper“) diesen Preis<br />

als die „beste Musiktheater-Produktion des Jahres“. Dies zeigt, dass auch professionelle Betrachter<br />

Béla Pintér & Co. für eine der wichtigsten und innovativsten Gruppen im freien Theater<br />

halten.<br />

Die jungen Mitglieder der Company konnten oder wollten nicht an der Budapester Akademie<br />

für Theater und Film studieren. Ihre Theatererfahrungen stammen aus ihrer Zeit in unterschiedlichen<br />

freien Gruppen wie Arvisura, Utolsó Vonal und Artus in den 80er und 90er Jahren.<br />

Nach ein paar zufälligen (oder unvermeidlichen) Begegnungen auf der Bühne und einigen<br />

gemeinsamen Produktionen entschieden sich rund zwölf Menschen zur Gründung einer freien<br />

Gruppe. Das Szkéné Theater, eine Gastspielbühne in der Technischen Universität Budapest,<br />

und sein Leiter János Regős boten ihnen ihren Raum zur Realisierung ihrer künstlerischen<br />

Absichten an. Heute haben sie im Szkéné Theater eine „ständige Residenz“, eigentlich ein<br />

Widerspruch in sich, und liefern sozusagen das Rückgrat des Haus-Spielplanes. Béla Pintér<br />

and Company proben hier vom Frühling bis zum Herbst und bringen ihre Uraufführungen<br />

heraus. Jeden Monat gibt es hier 10 bis 15 Aufführungen von alten oder neuen Produktionen.<br />

So hat die Gruppe zwar kein eigenes Haus und ist auch nicht für das Gesamtprogramm<br />

des Szkéné Theaters verantwortlich, aber sie fi ndet sich in einer sicheren Arbeitsumgebung,<br />

wo sich niemand in ihre künstlerische Freiheit einmischt. Radikale Experimente, hartnäckige<br />

Kämpfe und rigide Arbeitsdisziplin haben Früchte getragen. Dank ständig wachsenden Erfolgs<br />

und Anerkennung kommt die Company in den Genuss von höherer öffentlicher Förderung.


Der Leiter der Gruppe, Béla Pintér, ist der Regisseur der Stücke, die er selbst schreibt und<br />

in denen er auch als Schauspieler mitwirkt. Pintér fügt der Palette des ungarischen Theaters<br />

eine neue Farbe hinzu. Als Autodidakt lässt er sich von seinen Intuitionen leiten und ist inzwischen<br />

ein Theaterprofi geworden. Seine Herkunft und Bildung haben nichts mit dem Theater<br />

zu tun, und doch ist er ein unendlich kreativer, sensibler, überlegter und äußerst kritischer<br />

Autor, Regisseur, Schauspieler, gesegnet mit einer guten Portion Humor. Ein seltenes Talent.<br />

Pintérs Theaterpraxis war von Anfang an weit entfernt von der stark politisierten, in sich<br />

widersprüchlichen realistischen Theatertradition Ungarns vor dem Regimewechsel. Er begann<br />

in der Szkéné, welche zur Zeit der achtziger Jahre das einzige Theater in Budapest war, an<br />

dem wichtige Off-Theaterarbeiten aus West- und Mitteleuropa zu sehen waren. Tanz- und<br />

Bewegungstheater und experimentelle Gruppen zeigten dort ihre Produktionen und veranstalteten<br />

Workshops. Sie zielten nicht auf realistische Authentizität. Sie benutzten theatralische<br />

Ausdrucksformen, die sich radikal von den Codes des ungarischen Theaters der damaligen<br />

Zeit unterschieden: beispielsweise durch ihre Betonung der schieren Körperlichkeit, durch ihre<br />

Bewegungs- und Tanzsprache, durch die Stilisierung oder durch eine Art refl ektierendes, sich<br />

selbst wahrnehmendes Spiel, das immer eine gewisse Distanz beinhaltet. Zu diesem Zeitpunkt,<br />

Pintér war noch Schauspieler, lernte er viel aus diesen Begegnungen; genauso wurde<br />

er damals von einigen wenigen ungarischen Regisseuren beeinfl usst (wie zum Beispiel Sándor<br />

Zsótér), die sich vom Fluch des Realismus und den ständigen politischen Anspielungen – und<br />

dem augenzwinkernden heimlichen Einverständnis mit dem Zuschauer – befreiten und auf der<br />

Suche waren nach einer anderen Form des Theatermachens, nach einer anderen Form von<br />

Kommunikation. […]<br />

In den sechs Produktionen der Béla Pintér Company, die in der Zeit von 1998 bis 2003 entstanden,<br />

begann sich eine klare Linie abzuzeichnen. Ein spezifi scher Stil, ein einheitlicher<br />

Kanon der Form und die immer wiederkehrenden kulturellen Querbezüge verbinden diese<br />

Arbeiten. Außer in ihrer neusten Produktion „Roncsolt Kópia“ („Zerkratztes Zelluloid“) 1 spielen<br />

immer wieder Elemente aus der Volksmusik und ungarische Volkstänze eine große Rolle, allerdings<br />

treten sie auf neue, unübliche, kritische und ironische Weise in Erscheinung. In den Aufführungen<br />

entthronen Musik und Tanz die Vorherrschaft der Sprache, sie übernehmen statt<br />

ihrer die Funktion der Erzählung. Aber keine der Folklore-Elemente wirken als sinnentleerte<br />

Reproduktion: Jede Geste, jedes Lied, jede Melodie, jedes Motiv, sogar der kleinste Teil eines<br />

Kostüms defi niert sich über eine neue Bedeutung, da der Kontext, in dem sie erscheinen, sich<br />

verändert hat. Obwohl der Regisseur und die Schauspieler sich mit diesem Hintergrund identifi<br />

zieren, bauen sie keine eindeutig traditionellen Elemente in ihre Vorstellungen ein.


Sie bedienen sich einer dekonstruktivistischen Methode und kombinieren Tradition mit fremden<br />

oder alltäglichen Ausdrucksformen. Dasselbe tun sie mit der Sprache, so dass sich der<br />

volltönende Text, gesprochen mit heftigem Akzent, fast unmerklich mit modernen Ausdrücken<br />

und Redewendungen vermischt. Das Vokabular ihrer Zitate und Anspielungen bezieht sich<br />

nicht allein auf die Folklore; es mischt sich mit Motiven aus fremden soziokulturellen Codes,<br />

und das Ganze hüllt sich in die alles überschwemmenden Restfetzen einer Massenkultur. So<br />

schaffen sie eine surreale Bühnenwelt, eine Mischung aus Authentizität und Kitsch, und bewegen<br />

sich immer entlang der Grenzlinie zwischen Traum und Wirklichkeit. Die Gruppe ist nicht<br />

nur im Besitz einer eigenen Theatersprache, sie beherrscht auch die Tricks der theatralischen<br />

Postmoderne. Die traditionelle lineare Form der Erzählung wird aufgebrochen durch eine<br />

Kombination verschiedener Zeitdimensionen mit fi ktiven Welten sowie durch eine fi lmische<br />

Schnitttechnik und die fragmentarische Form der Stücke. […]<br />

„Roncsolt Kópia“ (wörtlich übersetzt: „beschädigte Filmkopie“) ist wie das vorangegangene<br />

Stück „Parasztopera» („Bauernoper“) 2 eine Art Musiktheater. Dieses Mal allerdings mischen<br />

Regisseur und Komponist die Klänge der spätromantischen Oper mit den Melodien von ungarischen<br />

Filmschlagern der 40er Jahre. Zu diesem Zweck musste das Orchester vergrößert<br />

werden. In der „Bauernoper» kamen hauptsächlich Saiteninstrumente aus Transsylvanien zum<br />

Einsatz, wie Geige, Cello, Kontrabass und Spinett. In „Zerkratztes Zelluloid» erfordern die Filmmelodien<br />

der damaligen Zeit ein Arrangement von Klavier, Klarinette, Trompete und Posaune<br />

zusätzlich zu Geige und Bass. Im Lichte von Pintérs früheren Arbeiten erscheint „Zerkratztes<br />

Zelluloid» als Wagnis. Zum ersten Mal verzichtet die Gruppe auf folkloristische Elemente. Sie<br />

meiden ihr familiäres Milieu aus Tänzen, Liedern und Text, fast als hätten sie ihre Muttersprache<br />

verlernt. Mittels des dramaturgischen Einsatzes von Filmmontage-Techniken haben sie,<br />

mehr noch als in den Arbeiten zuvor, zu einer streng-formalen, stilisierten und stark visuellen<br />

Theatersprache gefunden, die an die Schwarzweiss-Filme aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

erinnert. […]<br />

Thema und Aufführungsstil von „Roncsolt Kópia“ haben in Ungarn heftige Diskussionen<br />

ausgelöst. Obwohl die Gruppe immer mit sensibler Treffsicherheit sich selbst und der Gesellschaft<br />

einen Spiegel vorgehalten hat, haben Béla Pintér and Company noch nie den Finger<br />

auf eine solche, noch immer aktuelle Wunde gelegt. […]<br />

Fußnoten<br />

1 In Ungarn ist die Aufführung auch unter dem Titel „Gyévuska“ gespielt worden (nach dem russischen<br />

Wort „Djewuschka“: Mädchen), dem Titel eines bekannten ungarischen Vorkriegs-Chansons.<br />

2 „Parasztopera“ von Béla Pintér and Company wird in diesem Herbst auf verschiedenen Festivals in<br />

Tschechien, England und Holland gezeigt; im Juni 2005 wird die Aufführung voraussichtlich auch beim<br />

Festival Theater der Welt in Stuttgart zu sehen sein.


Csak egy szög (Nur ein Nagel)<br />

von Márton Kovács, István Mohácsi und János Mohácsi<br />

Regie – János Mohácsi<br />

Musik – Márton Kovács<br />

Dramaturgie – István Eörsi<br />

Bühne – Zsolt Khell<br />

Kostüme – Edit Szűcs<br />

Choreografi e – Richárd Tóth<br />

Licht – Tamás Bányai<br />

Mit Schauspielern und Musikern des Csiky Gergely Theaters, Kaposvár<br />

Produktion Csiky Gergely Theater, Kaposvár<br />

26. + 27. November | 19 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Deutsche Erstaufführung<br />

In ungarischer Sprache mit deutscher Simultanübersetzung | Dauer 4 Std.<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo


János Mohácsi | Csak egy szög (Nur ein Nagel)<br />

„Nichts haben wir gestohlen, nur einen Nagel / Aus der blutenden Handfl äche Jesus’“, heißt es<br />

in dem ungarischen Roma-Volkslied, das der Titel zitiert. In acht teils realistischen, teils absurden<br />

Einzelepisoden spannt das Stück einen Bogen über 2000 Jahre Geschichte der Zigeuner,<br />

vom Auszug aus Indien über Auschwitz bis in die unmittelbare Gegenwart. Die Rollen der fast<br />

40 Darsteller wechseln von Szene zu Szene, nur drei Figuren tauchen immer wieder auf: „Onkel<br />

Karl“ (Karcsi bácsi; ein typischer Zigeunername in Ungarn), seine Frau und Gott.<br />

Zusammengehalten wird die aktionsreiche Revue durch hochexplosive Live-Musik und die<br />

dichte Choreografi e.<br />

Auch diese zweite ungarische Produktion, beide sind bei <strong>spielzeiteuropa</strong> zum ersten Mal<br />

außerhalb Ungarns zu sehen, wird von einem starken Ensemble getragen. Wiederum geht es<br />

um ein – nicht nur – in Ungarn höchst brisantes Thema: die so genannte „Roma-Frage“ bzw.<br />

um die Vorurteile und Abwertungen, unter denen diese Minderheit seit Jahrhunderten zu<br />

leiden hat. Entstanden ist das Stück in der kollektiven Arbeitsweise, für die das Kaposvárer<br />

Csiky Gergely Theater mittlerweile auch über die Grenzen Ungarns hinaus bekannt geworden<br />

ist. Die erste Text- und Spielfassung des Regisseurs János Mohácsi, einem der wichtigsten<br />

Erneuerer des heutigen ungarischen Theaters, und seines Bruders István erlebte während des<br />

Probenprozesses zahlreiche Änderungen. Am Ende hat jeder Darsteller die Konfl ikte, die er<br />

auf der Bühne zeigt, selbst mitformuliert. Dieses Ensemble-Bewusstsein zeichnet die Arbeiten<br />

des Regisseurs János Mohácsi in besonderem Maße aus.


Biografi e<br />

János Mohácsi<br />

János Mohácsi, geb. 1959, ist einer der wichtigsten Erneuerer des heutigen ungarischen<br />

Theaters. Seit fast 20 Jahren ist er an dem in Ungarn sehr bekannten Csiky Gergely Theater<br />

in Kaposvár engagiert, zunächst arbeitete er dort als Schauspieler und Regieassistent.<br />

Seine Inszenierungen gehen nie unbemerkt an Publikum und Kritik vorbei, da er einer der<br />

wenigen ungarischen Theatermacher ist, der die Stoffe so bearbeitet, dass sie in einem<br />

aktuellen Gegenwartsbezug stehen. Mohácsi hat ein starkes Gespür für die Dinge, mit<br />

denen sich die Menschen in seiner Umgebung herumschlagen, und er regt sein Ensemble<br />

immer dazu an, Ko-Autoren und Ko-Regisseure der Inszenierungen zu werden. In einem<br />

Land, das auf eine starke Tradition des Regietheaters zurückblickt, ist das alles andere als<br />

selbstverständlich.<br />

János Mohácsi ist in den letzten Jahren für seine Inszenierungen mit zahlreichen Preisen<br />

ausgezeichnet worden, so für Feydeaus Ein Floh im Ohr, Kálmáns Die Csárdásfürstin oder<br />

Millers Hexenjagd – um jeweils ein Beispiel aus den verschiedenen Genres zu nennen. Es<br />

gelingt ihm immer, auch bei den altbekannten Klassikern einen neuen Blickwinkel, eine neue<br />

Wahrheit zu entdecken. Eines seiner letzten Stücke, inspiriert von Joseph Hellers We Bombed<br />

in New Haven, hatte allerdings eine traurige Aktualität: In der Nähe Kaposvárs waren<br />

einige Jahre die IFOR/SFOR Truppen stationiert, und man konnte manchmal Flugzeuge<br />

starten sehen, die Belgrad ansteuerten. Diese Bombardierung hatte in breiten Bevölkerungskreisen<br />

in Ungarn leidenschaftliche Reaktionen ausgelöst, vielleicht mehr als jede andere<br />

politische Debatte der letzten zehn Jahre.<br />

In Nur ein Nagel refl ektieren János Mohácsi und sein Bruder István ein weiteres akutes<br />

Problem innerhalb der EU. Sie schufen ein beinahe vierstündiges Stück mit verrückter, hochexplosiver<br />

Live-Musik und einer großartigen Choreografi e.


Über János Mohásci und seine Bühnenvision „Nur ein Nagel“<br />

von István Eörsi<br />

János Mohácsi, geboren 1959, wurde wie viele andere bedeutende Persönlichkeiten des heutigen<br />

ungarischen Theaters nie an die ungarische Schauspielakademie aufgenommen – wahrscheinlich<br />

weil er bereits als junger Mensch unerträglich originell war. So sollte er einmal für<br />

eine Aufnahmeprüfung eine Verfolgungsszene erfi nden und inszenieren, und er löste diese<br />

Aufgabe durch einander jagende, verfolgende und voreinander fl üchtende Lichtstrahlen. Die<br />

Professoren der Jury waren der Meinung, er eigne sich nicht für die Akademie, weil er sich als<br />

Regisseur zu sehr für technische Vorgänge und nicht für Menschen interessiere.<br />

1983 wurde Mohácsi als Schauspieler und Regieassistent ans Kaposvárer Csiky Gergely<br />

Theater engagiert. Kaposvár, eine Stadt mit rund achtzigtausend Einwohnern im Südwesten<br />

Ungarns, war der Ort, wo junge, begabte Regisseure und Schauspieler, fern der Kontrolle von<br />

Kulturbehörden und Zensur, in den siebziger und achtziger Jahren ein altmodisches Landestheater<br />

in ein wichtiges, vielschichtiges, gesellschaftskritisches Theater umgestalteten. Dieses<br />

Theater war modern, aber nicht avantgardistisch, und legte großen Wert auf eine kollektive<br />

Spielweise, auf Massenszenen mit Musik und Tanz, auf Aufführungen, in denen starke Schauspieler<br />

und hervorragend ausgebildete Laien einander ergänzten.<br />

Als Regisseur hat János Mohácsi diese Tradition radikal weitergeführt. Er erarbeitete natürlich<br />

auch „normale“ Inszenierungen – zum Beispiel Dürrenmatts Romulus der Große, Arthur Millers<br />

Hexenjagd oder Goldonis Kaffeehaus –, die er mehr oder weniger unverändert auf die Bühne<br />

brachte. Nicht selten benutzte er aber die Stoffe, um die ihnen innewohnenden verlogenen<br />

Konventionen bloßzustellen. Seine Csárdásfürstin zum Beispiel entlarvte die national-ungarische,<br />

zur Mythologie hochstilisierte Attitüde des Landadels als ekelhafte und lächerliche<br />

Lüge. Am Ende der Aufführung stehen alle Figuren, mitten unter ihnen der Konteradmiral und<br />

Reichsverweser von 1920 bis 1945, Miklós Horthy, sowie der kommunistische Herrscher Ungarns<br />

von 1956 bis 1989, János Kádár, auf einem Kriegsschiff, mit dem sie allesamt untergehen.<br />

In einer späteren Arbeit, die, inspiriert von Joseph Hellers We Bombed in New Haven, den<br />

Titel Wir bombardierten Kaposvár trägt, schlägt – nachdem die Zuschauer die Bombenwerfer<br />

über der Stadt vorher im Film verfolgen konnten – zum Schluss der Aufführung eine letzte<br />

Bombe ins Theater ein, und in der totalen Finsternis verbreitet sich beißender Rauchgeruch.<br />

Die letzte Inszenierung Mohácsis mit dem Titel Nur ein Nagel – ein Zitat aus einem ungarischen<br />

Roma-Volkslied („Nichts haben wir gestohlen, nur einen Nagel / Aus der blutenden<br />

Handfl äche Jesus’“) – führt die mittlerweile vertraute kollektive Spielweise von Kaposvár noch


einen Schritt weiter. Auch hier steht das Ensemble im Mittelpunkt, auch hier könnten sich<br />

die großartigen Leistungen der Protagonisten ohne die aktive Präsenz des Ensembles nicht<br />

entfalten. Aber diesmal ist nicht nur das Spiel, sondern auch der Text Ergebnis einer kollektiven<br />

Vergnügung und Anstrengung. Das Stück besteht aus realistischen und halb-absurden<br />

Szenen über wirkliche und fi ktive Roma. Die Szenen werden durch den eigenartigen Stil des<br />

Spiels aneinander geknüpft. Hinter diesem Stil verbirgt sich die Empörung der Künstler: In Ungarn<br />

ist die „Roma-Frage“ politisch und sozial eine blutende Wunde, die allgemein verbreitete<br />

Anti-Roma-Stimmung und rassistische Verhaltungsweisen treten seit der Wende offen und<br />

aggressiv zutage. Deshalb ist die Aufführung – auch ohne aktuelle Anspielungen – so unheimlich<br />

aktuell. János Mohácsi und sein Bruder István lieferten zu jeder Szene einen Text, der sich<br />

im Laufe des Probenprozesses gründlich veränderte. Aber nicht nur einzelne Sätze, auch die<br />

Handlung bekam manchmal eine andere Wendung. Die Schauspieler haben also zu Recht das<br />

Gefühl, dass sie auf der Bühne Konfl ikte darstellen, die sie selbst mitformuliert haben. Dieses<br />

Ensemblebewusstsein ist ein Teil der künstlerischen Wirkung der Aufführung, auch wenn sich<br />

die szenischen Einfälle der Mitwirkenden erst durch die starke Hand des Regisseurs zu einer<br />

Welt mit scharfen Konturen fügen. Jenseits von Optimismus und Pessimismus, und ohne<br />

didaktische Vereinfachung, stehen am Ende ein komplexes Bild und eine schwere Aufgabe vor<br />

uns.


John Jesurun<br />

SHATTERHAND MASSACREE – RIDERLESS HORSE<br />

1.+ 3. Dezember | 20 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Seitenbühne<br />

CHANG IN A VOID MOON / EPISODE #58<br />

2. + 4. Dezember | 20 Uhr<br />

3. Dezember | 22 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Uraufführung<br />

PHILOKTETES<br />

10. + 11. Dezember | 19 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Seitenbühne<br />

Uraufführung<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo


Shatterhand Massacree – Riderless Horse<br />

von John Jesurun<br />

Regie – John Jesurun<br />

Lichtdesign – Jeff Nash<br />

Mit Valerie Charles, Sanghi Choi, Jason Lew u.a.<br />

1. + 3. Dezember | 20 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Seitenbühne<br />

In englischer Sprache | Dauer 60 Min<br />

Dank an Ellen Stewart, La Mama, Kiki Martins, Carmen Mehnert, Irene Young, Kirk Winslow,<br />

Kaiitheater, Danspace<br />

Eine Familie im mythischen Westen Amerikas. Der Sohn wurde als Kind verstoßen, er soll alle<br />

Tiere und Pfl anzen der Farm vernichtet haben. Vermutlich lebte er danach mit Wölfen zusammen.<br />

Seine Heimkehr löst unterschiedliche Reaktionen aus. Während die Schwester den verlorenen<br />

Bruder freudig begrüßt, fürchten die Eltern weitere Katastrophen. Was einst geschah<br />

provoziert durch die einander widersprechenden Erinnerungen schwerste Familienkonfl ikte,<br />

die noch dazu von einer sich ankündigenden Wolfsattacke überschattet werden (in Anlehnung<br />

an Hitchcocks „Die Vögel”).<br />

Jesuruns Stück behandelt unter dem Western-Titel einen zentralen Topos des amerikanischen<br />

Dramas: die Familie als Kernbild der Gesellschaft. Doch im Gegensatz zur psychologisch realistischen<br />

Tradition, die von Eugene O’Neill über Arthur Miller zu Sam Shepard führt, liefert das<br />

Familiendrama „Shatterhand Massacree“ eine surrealistische Sicht auf den alten amerikanischen<br />

Traum vom unabhängigen Leben auf der Farm. Jesurun bedient sich sowohl bei Überlieferungen<br />

von in der Pionierzeit verstoßenen Kindern als auch bei François Truffauts<br />

„L’enfant sauvage“ (Der Wolfsjunge), der die Legende vom Wolfskind in der Gegenwart lebendig<br />

gehalten hat.<br />

Das 1987 im New Yorker Theater The Kitchen uraufgeführte Stück wird bei <strong>spielzeiteuropa</strong><br />

nach 17 Jahren wieder gezeigt. Es ist eine der wichtigsten Inszenierungen Jesuruns und<br />

demonstriert die typische Bildsprache des Video-Theaterpioniers auf herausragende Weise.


CHANG IN A VOID MOON / EPISODE #58<br />

von John Jesurun | Uraufführung<br />

Regie – John Jesurun<br />

Lichtdesign – Jeff Nash<br />

Technische Leitung – Richard Connors<br />

Mit Valerie Charles, Sanghi Choi, John Hagan, Donna Herman, Anna Köhler, Annie Labois, Jason<br />

Lew, Rebecca Moore, Susanne Strenger, Helena White u.a.<br />

2. + 4. Dezember | 20 Uhr<br />

3. Dezember | 22 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

In englischer und deutscher Sprache | Dauer 80 Min<br />

Dank an Ellen Stewart, La Mama, Kiki Martins, Carmen Mehnert, Irene Young, Kirk Winslow,<br />

Kaiitheater, Danspace<br />

Die „Chang”-Serie ist die längste Theater-Soap der Welt. Sie begann 1979 als Kurzfi lm, bald darauf<br />

ging ihrem Schöpfer John Jesurun das Geld für Filmproduktionen aus, und er brachte die Geschichte<br />

auf die Bühne. Im New Yorker Pyramid Club, eigentlich ein Ort für Punk-Konzerte, liefen von Juni<br />

1982 bis April 1983 die ersten 36 Folgen. Der Rhythmus der einzelnen Produktionen war unerbittlich<br />

– am ersten Tag: Schreiben, am zweiten, vierten und sechsten Tag: Proben, am siebten Tag:<br />

Premiere – und gleich wieder alles von vorn. Schauspieler, die wegen anderer Verpfl ichtungen dem<br />

Wochendienst nicht nachkommen konnten, wurden gefi lmt und per Monitor in die Aufführung eingefügt.<br />

So entstand das interaktive Video-Theater, das zwanzig Jahre später zu einem Markenzeichen<br />

des Zeitgenössischen auf der Bühne wurde.<br />

Die vielfach verästelte und ziemlich surreale Geschichte um Chang – in 25 Jahren Laufzeit längst zu<br />

einem mächtigen Parallel-Universum gewuchert – entzieht sich einem Versuch der Zusammenfassung.<br />

Chang ist Geschäftsmann, genießt in 52 Ländern der Erde diplomatische Immunität und<br />

steht unter dem titelgebenden astrologischen Zeichen des „leeren Monds“. Er war einmal mit<br />

Contessa Isabella verheiratet, hat Kinder und Kindeskinder – die Genealogie ist ungefähr so übersichtlich<br />

wie der griechische Götterhimmel. Die Handlung, die sich über die ganze Erde spannt, rast<br />

durch alle Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Für Berlin wird eigens Folge 58 entstehen: Changs alte<br />

Bekannte Mrs. Fangitu hat einmal für eine <strong>Berliner</strong> Bank gearbeitet. Außerdem war sie Modedesignerin<br />

und mit Dr. Ibanez liiert, und mit dem rätselhaften Geschäftsmann Chang hat sie bereits in<br />

den vierziger Jahren schwerkriminelle Deals abgewickelt...


PHILOKTETES<br />

von John Jesurun<br />

Regie – John Jesurun<br />

Lichtdesign – Jeff Nash<br />

Technische Leitung – Richard Connors<br />

Mit Jason Lew u.a.<br />

10. + 11. Dezember | 19 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Seitenbühne<br />

Uraufführung<br />

In englischer Sprache | Dauer 60 Min<br />

Dank an Ellen Stewart, La Mama, Kiki Martins, Carmen Mehnert, Irene Young, Kirk Winslow,<br />

Kaiitheater, Danspace<br />

Philoktet wurde vom Griechenheer auf dem Weg nach Troja wegen einer stinkenden Wunde<br />

am Fuß auf der Insel Lemnos zurückgelassen. Fast zehn Jahre lebt er dort in elender Einsamkeit<br />

– bis Odysseus und sein Begleiter Neoptolemos ihn wieder für den Krieg gewinnen<br />

wollen. Denn Philoktet besitzt den Bogen des Herakles und dessen nie fehlende Pfeile, ohne<br />

die Troja, einem Seherspruch zufolge, nicht besiegt werden kann.<br />

Wie in der gleichnamigen Tragödie von Sophokles setzt Jesuruns „Philoktetes“ mit dem<br />

Besuch der beiden Krieger auf Lemnos ein. Ist es nur die Wunderwaffe des Ausgestoßenen,<br />

die sie zu ihm führt? Philoktetes gibt vor, ein anderer zu sein – der, den sie suchten, sei tot.<br />

Drei ausgebrannte Militärs belagern sich gegenseitig, mit Täuschungsmanövern, aggressiven<br />

Sprüchen von Tod und Unterwelt, in einem Nebel aus Drogen und Alkohol. Die Sprache fl immert<br />

zwischen Antike und Gegenwart: Dieser „Philoktetes“ kennt alle Zeiten, in denen Krieger<br />

an ihrem Handwerk degenerieren, anstatt im hellen Licht des Heldentums zu stehen.<br />

Jesurun schrieb das Stück 1993 für Ron Vawter, einem der wichtigsten Schauspieler der<br />

Wooster Group. Wegen Vawters frühem Tod kam die mit ihm als Philoktet geplante Uraufführung<br />

nicht mehr zustande. „Philoktetes“ ist ein weiteres wichtiges Beispiel für Jesuruns<br />

bühnengestaltenden Einsatz von Videomonitoren.


PHILOKTETES<br />

von John Jesurun (1983)<br />

Auszug aus dem Originaltext<br />

[Eine deutsche Übersetzung des Stücktextes von „Philoktetes“ (übersetzt von Anna Köhler)<br />

wird von den <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong>n für die Aufführungen im Dezember herausgegeben.]<br />

LISTEN TO ME<br />

PHILOKTETES:<br />

Listen to me, I‘m telling you something.<br />

So that you‘ll learn the value of suffering,<br />

The joy of sacrifi ce and patience, murder and<br />

manslaughter.<br />

So that you‘ll learn to speak the language of<br />

the dead.<br />

Once again its time for you to shut up.<br />

Belly up to the buzzsaw.<br />

Gravitational collapse, Blackleg, Yankee pot<br />

roast.<br />

Stop crying. You should be happy.<br />

Listen to me, I‘m telling you something.<br />

You tell someone else and they‘ll tell someone<br />

else.<br />

This is what Philoktetes told me.<br />

This is his suicide note, his poison-pen letter.<br />

First, I‘ll give the clue, then the story, then<br />

the real story.<br />

First what they saw, then what was seen,<br />

Then what was.<br />

The cadaver will direct the autopsy,<br />

A talking corpse narrating,<br />

A dead horse talking, a dead foot walking.<br />

Philoktetes is dead. I was looking at him outside.<br />

He had one fl y on him. But that fl y was tiny,<br />

triumphant.


ODYSSEUS:<br />

You have been found neither guilty nor innocent but<br />

you have been found.<br />

PHILOKTETES:<br />

Stop crying.<br />

NEOPTOLEMUS:<br />

What‘s that dripping ?<br />

PHILOKTETES:<br />

Blood, urine, pieces of marijuana,<br />

Carbon monoxide.<br />

I‘m sorry that he‘s dead, all right ?<br />

Once again it‘s time for you to shut up.<br />

NEOPTOLEMUS:<br />

What‘s that moving ?<br />

PHILOKTETES:<br />

A salamander come to eat the turnips.<br />

I had wanted to tell you about my deep and<br />

unrelenting and unequivocal disbelief and unbelief<br />

in everything.<br />

But now I have changed my mind.<br />

Do you understand that ?<br />

NEOPTOLEMUS:<br />

What‘s that dripping ?<br />

PHILOKTETES:<br />

Crocodile tears. I‘d like to read a nice book now and<br />

then with a story in the middle that goes nowhere.<br />

Don‘t you understand ?<br />

He‘s been murdered, killed.<br />

His head hit a bullet.<br />

Habeas corpus, a talking corpse. […]


John Jesurun<br />

Biografi e<br />

John Jesurun lebt als Dramatiker, Regisseur und Bühnenbildner in New York. Seine Werke<br />

kombinieren sprachliche Aspekte mit Elementen aus Film, Architektur und Medienkunst.<br />

Seine exlodierenden Erzählungen verhandeln eine große Spannbreite von Themen und<br />

erforschen das Verhältnis von Form und Inhalt. Sie hinterfragen das traditionelle Verständnis<br />

von verbaler, visueller und nicht-materieller Wahrnehmung.<br />

Jesurun wurde 1951 in Battle Creek, Michigan, geboren. Er machte seinen BA am Philadelphia<br />

College of Art 1972, seinen Masters-Abschluss in Bildhauerei in Yale 1974. Von 1976 bis<br />

1979 arbeitete er für den Fernsehsender CBS, für den er den Inhalt von TV-Programmen<br />

analysierte. Von 1979 bis 1982 war er als Assistant Producer der Dick Cabett Show tätig,<br />

er produzierte in dieser Zeit Shows über John und Mackenzie Phillips, John Hammond Sr.,<br />

Odetta und Tito Puente. Zwischen 1975 und 1981 schrieb und produzierte er vier Kurzfi lme,<br />

die bei Festivals und in alternativen Kulturzentren gezeigt wurden.<br />

Seine Theaterlaufbahn begann Jesurun im Pyramid Club (Lower East Side, New York) mit<br />

seinem bahnbrechenden Fortsetzungs-Stück CHANG IN A VOID MOON, das mittlerweile 56<br />

Episoden umfasst. 1985 gewann es einen Bessie Award. Seit 1984 hat er mehr als 20 weitere<br />

Stücke geschrieben, aufgeführt und entworfen, darunter die Medien-Trilogie DEEP SLEEP<br />

(1986 mit einem Obie Award als bestes Stück ausgezeichnet), WHITE WATER, BLACK MA-<br />

RIA, DOG‘S EYE VIEW, NUMBER MINUS ONE, RED HOUSE, SHATTERHAND MASSACREE,<br />

SUNSPOT, EVERYTHING THAT RISES MUST CONVERGE, BLUE HEAT, IRON LUNG, POINT<br />

OF DEBARKATION, SLIGHT RETURN, PHILOKTETES, LUMIERE, OJO CALIENTE, JOAN<br />

D‘ARK, PEARLY IRIDESCENT FAUST/HOW I ROSE, BARDO und SNOW.<br />

Mit seiner eigenen Theatergruppe hat er ausgedehnte Tourneen durch Europa und die<br />

Vereinigten Staaten absolviert. Namhafte Bühnen haben seine Stücke aufgeführt, u. a. das<br />

La Mama, The Kitchen, das Walker Arts Center, das Wexner Center, INTAR, das Mickery<br />

Theater und das Theater am Turm, Frankfurt/Main. Jesurun wurde zu zahlreichen wichtigen<br />

Festivals eingeladen, u. a. den Wiener Festwochen, dem Granada Festival, dem Festival<br />

Printemps du Théâtre in Paris, Eurokaz Zagreb, dem Bogota International Theater Festival<br />

und dem Spoleto-Festival USA.


Jesurun wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und erhielt bedeutende<br />

Stipendien, u. a. mehrmals vom National Endowment for the Arts (NEA), zudem das<br />

Playwright‘s Fellowship der Rockefeller Foundation, das Guggenheim Fellowship, das New<br />

York Foundation for the Arts Fellowship, das Foundation for Contemporary Performance Arts<br />

Fellowship und eine U.S.-Mexico Creative Artist‘s Residency. 1996 wurde er mit einem der<br />

prestigeträchtigsten Förderungen in den USA überhaupt, dem MacArthur Fellowship, ausgezeichnet.<br />

Jesurun hat seine Werke selbst in Italienisch, Deutsch, Spanisch und Japanisch aufgeführt.<br />

Er hat an der Goethe Universität in Frankfurt/Main unterrichtet, wie auch an der Justus<br />

Liebig Universität in Gießen, an DASARTS in Amsterdam, der New York University, der Tokio<br />

University und der Kyoto University of Art and Design.<br />

Er hat mit vielen verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet, u. a. mit Molissa Fenley,<br />

Christian Marclay, Frank Maya, Ron Vawter und Jeff Buckley. FAUST/HOW I ROSE (National<br />

Company of Mexico) und WHITE WATER wurden von dem gefeierten mexikanischen<br />

Regisseur Martin Acosta in Mexico City aufgeführt. Außerdem hat Jesurun das Bühnenbild<br />

und die Filminstallationen für die konzertante Aufführung von Roy Nathansons Jazz Suite<br />

„Fire at Keaton’s Bar and Grill“ mit Debby Harry und Elvis Costello entworfen, die im St.<br />

Ann’s in Brooklyn und der Royal Festival Hall in London gezeigt wurde. Zur Zeit arbeitet er<br />

an einer japanischen Version von Philoktetes mit der Noh-Theater Legende Hideo Kanze, die<br />

im Mai 2005 in Kyoto erstaufgeführt wird.


ArtForum | October 1999<br />

John Hagan on John Jesurun<br />

von John Hagan<br />

Chang in a Void Moon, John Jesurun‘s „living fi lm serial,“ played at the Pyramid Club, at 101<br />

Avenue A, every Monday night at nine-thirty and eleven for a year, starting in June 1982. It<br />

was perhaps the fi rst of many „episodic plays“ to appear in New York downtown theater, and<br />

it came about when Jesurun, lacking funds to produce his fi lm scripts, decided to stage them<br />

instead.<br />

The decision to offer me the role of Chang, a nefarious businessman with international connections<br />

and „diplomatic immunity in 52 countries,“ resulted from Jesurun‘s desire to<br />

double-cast the part in order to relieve the actress playing it from the weekly responsibility.<br />

The production formula rarely varied: We performed on Monday; Jesurun wrote a new script<br />

on Tuesday; we met at his apartment to read it on Wednesday and Friday. Basic staging was<br />

done at the Pyramid on Sunday, often to be modifi ed up until the moments before the show<br />

began. The next day, the process would start again.<br />

Each episode consisted of many short scenes (and the occasional marathon one), with<br />

repartee sometimes beginning or ending midsentence in fi lmlike jump cuts. Rich in description<br />

and allusions (history, geography, rock bands), Chang‘s demented dialogue was also<br />

highly structured, in almost musical fashion, with constant repetitions and variations - making<br />

the language as diffi cult to pin down as the elusive Chang himself. The scripts outrageously<br />

traversed time and space, and sheets were posted backstage during the show, reminding us<br />

not only what scene was next, but what country and century it took place in.<br />

If the scripts brooked no spatiotemporal restraints, the real-life practicalities of space, time,<br />

and budget necessitated, and may even have fostered, a simple and rather ingenious stagecraft,<br />

based on the use of large white foamcore boards. Each episode contained a number of<br />

„cinematic“ effects, the most famous of which were „aerial shots“ created by placing actors<br />

on their sides, stomachs, and backs atop specially built platforms, so that the audience felt as<br />

if they were watching the action from a bird‘s-eye view. Between scenes, actors scrambled to<br />

new positions. „Fast and fl at“ was Jesurun‘s preferred acting style, which went well with the<br />

minimalist staging, and while there were exceptions to this method, a minimum of emotion at<br />

maximum speed could be helpful in getting through a typical script.


As I recall it from a distance, we performed amid a buzz of drink orders and conversations,<br />

in a haze of cigarette smoke from offstage and on, and with spectators cramming the<br />

entrance that separated us from the front room where drag queens danced on the bar to<br />

pulsating music. After a year, Jesurun moved on to stage longer works in larger spaces. But<br />

sporadically since then (most recently, but not fi nally, in 1997), he has produced new episodes<br />

of Chang at other clubs and performance spaces around town, lending a slightly nomadic<br />

quality to a show that many will forever associate with the „cocktail lounge“ on Avenue A.<br />

John Hagan ist Schauspieler und Autor und lebt in New York.


The Busker’s Opera<br />

frei nach The Beggar’s Opera von John Gay und Christoper Pepusch<br />

Regie und Bühne – Robert Lepage<br />

Adaptation des Originaltexts – Kevin McCoy, Robert Lepage<br />

Musikalische Leitung – Martin Bélanger<br />

Dramaturgie – Kevin McCoy<br />

Kostüme – Yasmina Giguère<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo<br />

Komponiert, arrangiert und gespielt von Frédérike Bédard, Martin Bélanger, Julie Fainer, Claire Gignac,<br />

Frédéric Lebrasseur, Véronika Makdissi-Warren, Kevin McCoy, Steve Normandin, Marco Poulin, Jean René<br />

Produktion Ex Machina, Quebec City<br />

In Koproduktion mit Festival Montréal en Lumière, La Filature – Scène Nationale de Mulhouse,<br />

Maison des Arts, Créteil, Robert and Margrit Mondavi Center for Performing Arts, UC Davis Théâtre de Caen,<br />

Théâtre Royal de la Monnaie, Brüssel, Change Performing Arts, Mailand, und <strong>spielzeiteuropa</strong> I <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Mit freundlicher Unterstützung der Kanadischen Botschaft in Berlin<br />

8. + 9. Dezember | 20 Uhr<br />

10. + 11. Dezember | 21 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Deutsche Erstaufführung | In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln | Dauer 2 Std 15 Min


Robert Lepage | The Busker’s Opera<br />

Im London des Jahres 1728 trafen John Gay und Christopher Pepusch mit ihrer Satire auf die<br />

korrupte Gesellschaft, die zugleich eine Parodie auf die damals hochmoderne Italienische<br />

Oper war, den Nerv ihrer Zeit. „The Beggar’s Opera“ wurde zur Sensation – und dient nun seit<br />

fast 300 Jahren immer wieder neu als Vorlage, so Brecht/Weill für ihre „Dreigroschenoper“.<br />

Robert Lepage und seine zehn Darsteller – Schauspieler, Musiker, Sänger und ein DJ – interpretieren<br />

die Geschichte für ein heutiges Publikum. Man begegnet den bekannten Charakteren,<br />

Macheath und seinen Geliebten Polly und Lucy, der Nutte Jenny, genauso Mr. and Mrs.<br />

Peachum, aber sie gehören nicht zur kriminellen Unterwelt sondern zur Unterwelt des Musikbusiness:<br />

Es sind Musiker, aufstrebende Stars, Groupies, Agenten, Plattenbosse und andere<br />

Repräsentanten der Unterhaltungsindustrie – und Prostituierte. Wie ihr Vorbild beginnt die<br />

„Busker’s Opera“ (engl. „busker“: Straßenmusikant) in London, wechselt aber schnell über den<br />

Atlantik nach New York, reist dann von Atlantic City gegen Süden, nach New Orleans, bevor<br />

sie den Ort ihrer letzten Bestimmung erreicht: Huntsville, Texas. Auf dieser Reise streift sie die<br />

unterschiedlichsten Musikstile: Ska, Reggae, Jazz, den Broadway Showstil, Rock, Blues, Country,<br />

Tango, Disco, Rap und auch klassische Melodien des Originals von 1728.<br />

Die „Busker’s Opera“ erzählt vom Straßenmusiker und den Haien, die versuchen, alle Macht<br />

über Aufstieg und Erfolg in den Händen zu halten, und von der künstlerischen Freiheit, die<br />

dann entsteht, wenn die Dampfwalze der Musikindustrie vorübergerollt ist.


Biografi e<br />

Robert Lepage<br />

Robert Lepage, frankokanadischer Visionär und kultureller Botschafter seines Landes, gilt<br />

inzwischen weltweit als bedeutender Theater- und Filmregisseur, Bühnenbildner, Autor und<br />

Performer. Seine vielfältige und originelle Herangehensweise hat die Grenzen des Theaters<br />

erweitert, auch dank seines souveränen Umgangs mit neuen Technologien. Seine Werke,<br />

die meist vom alltäglichen Leben inspiriert sind, haben eine ganze Generation von Künstlern<br />

und Theaterschaffenden beeinfl usst.<br />

Geboren 1957 in Québec, hatte sich Robert Lepage schon sehr früh für Geographie interessiert,<br />

er träumte sogar davon, Professor zu werden. Doch seine Interessen für die Kunst<br />

führten ihn zu seiner größten Leidenschaft, zum Theater. 1975, im Alter von 17 Jahren, begann<br />

er ein Studium am Conservatoire d‘Art Dramatique de Québec. Nach einem Aufenthalt<br />

in Paris (1978) war er die folgenden zwei Jahre als Schauspieler, Autor und Theaterregisseur<br />

bei verschiedenen Produktionen tätig, bevor er seine eigene Gruppe gründete, das Théâtre<br />

Repère.<br />

1984 schuf er mit „Ciculations“ ein erstes größeres Werk, mit dem er in ganz Kanada gastierte<br />

und das die Auszeichnung „beste kanadische Produktion“ der Quinzaine Internationale<br />

de Théâtre de Québec erhielt. Im folgenden Jahr wurde er mit „The Dragon‘s Trilogy“ (das<br />

die <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> als Remake im Rahmen der letztjährigen Festwochen präsentierten)<br />

auch im Ausland bekannt. Danach entstanden „Vinci“ (1986), „Polygraph“ (1987-1990) und<br />

„Tectonic Plates (1988-1990).<br />

Von 1989 bis 1993 war Lepage künstlerischer Leiter des Französischen Theaters des<br />

National Arts Center in Ottawa. Zur selben Zeit entstand sein erstes Solostück („Needles<br />

and Opium“, 1991-1993/1994-1996).<br />

Lepages Arbeiten zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie nach der Uraufführung<br />

über einen längeren Zeitraum hinweg weiterentwickelt und zum Teil auch umbesetzt<br />

werden. Es folgten die Shakespeare-Trilogie „Coriolan“, „Macbeth“ und „La Tempête“ (1992-<br />

1994) und „A Midsummer Night‘s Dream (1992). Lepage war der erste nordamerikanische<br />

Regisseur, der ein Shakespeare-Stück am Londoner Royal National Theatre inszenierte.


1994 machte er einen wichtigen Schritt, indem er seine eigene multidisziplinäre Produktionscompany<br />

„Ex Machina“ gründete. Als künstlerischer Leiter führte er sein neues Team<br />

in einen längeren kreativen Prozess, aus dem das international hochgelobte mehrstündige<br />

Theaterepos „Seven Streams of the River Ota“ (1994), „La songe d‘une nuit d‘étè“ (1995)<br />

und sein drittes Solostück „Elsinore“ (1995-1997) hervorgingen.<br />

1994 realisierte er seinen ersten Spielfi lm „Le Confessionnal“, der beim am Filmfestival<br />

von Cannes 1995 die „Director‘s Fortnight“ eröffnete. Es folgten die Filme „Le Polygraphe“<br />

(1996), „Nō“ (1998) und sein erster englischer Spielfi lm „Possible Worlds“ (2000).<br />

Im Juni 1997 eröffnete unter seiner Leitung das spartenübergreifende Produktionszentrum<br />

„La Caserne Dalhousie“. Dort entstanden „Geometry of Miracles“ (1998), „Zulu Time“ (1999)<br />

und sein bislang letztes Solostück „The Far Side of the Moon“, mit dem Lepage ebenfalls in<br />

Berlin gastierte. Für diese Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. vier Preise bei<br />

der Gala des Masques, einen Time Out Award sowie den renommierten Evening Standard<br />

Award in London.<br />

Auf Grund der wachsenden Anerkennung erhielt Robert Lepage verschiedenste Angebote,<br />

die sein künstlerisches Feld erweiterten. An der Canadian Opera Company gab er sein<br />

Operndebüt mit dem Doppel-Abend „Bluebeards Castle“ und „Erwartung“. Es folgten eine<br />

Inszenierung von Berlioz‘ „La damnation de Faust“ (1999) in Japan, die 2001 in Paris gezeigt<br />

wurde. Außerdem konzipierte und inszenierte er Peter Gabriels „Secret World Tour“ (1992),<br />

die von der Kritik begeistert aufgenommen wurde, und leitete die Ausstellung „Métissage“<br />

(1999) im „Musée de la Civilisation du Québec“. Er tat sich ein zweites Mal mit Peter Gabriel<br />

zusammen und übernahm die Regie von „Growing Up Live“, der Tournee von 2002.<br />

Zur Zeit erarbeitet Robert Lepage für den kanadischen Cirque du Soleil dessen neue Show<br />

für Las Vegas, die vermutlich noch vor Ablauf dieses Jahres Premiere hat. Gleichzeitig<br />

arbeitet er an einer nächsten Soloproduktion, basierend auf Texten des dänischen Schriftstellers<br />

Hans Christian Andersen.<br />

„The Busker‘s Opera“ – eine Koproduktion mit <strong>spielzeiteuropa</strong> | <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> – wurde<br />

erstmals im Februar 2004 beim Montreal High Lights Festival gezeigt und wird als Deutsche<br />

Erstaufführung im Dezember 2004 im Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> präsentiert.


Biographies<br />

Frédérike Bédard<br />

After graduating from the National Theatre School of Canada in 1980, Frédérike<br />

Bédard also studied classical singing and the harpsichord at Quebec City’s Music<br />

Conservatory. She works as an actor, singer and musician, both on stage and on television.<br />

Martin Bélanger<br />

Multi-instrumentalist and music lover Martin Bélanger loves to use his guitars, banjos,<br />

double bass and other to stringamajigs cross every possible musical line. Recently, he<br />

has been working regularly on theatre productions, both as a composer and musician,<br />

and often side by side with Frédéric Lebrasseur (the other half of the Ranch-O-Banjo<br />

duet).<br />

Claire Gignac<br />

Contralto, fl utist, composer and musical director Claire Gignac is the cofounder and<br />

artistic director of the New Music section of the Compagnie musicale La Nef. Over the<br />

last 25 years, she has touched everything from ancient to contemporary music.<br />

Julie Fainer<br />

A Montreal artist with a wide range of interests, Julie Fainer (aka DJ Killa Jewel) fi rst<br />

studied classical music, and then began working as a hip hop DJ, in various locations<br />

in Canada and the United States. She has a particular interest for merging hip hop<br />

and theatre.<br />

Frédéric Lebrasseur<br />

This natural improviser and self-taught musician plays with a whole number of musical<br />

groups (including Les Batinses) and regularly works with puppet theatre companies.<br />

He also composes fi lm soundtracks and directs animation and fi ction shorts produced<br />

by the National Film Board.


Véronika Makdissi-Warren<br />

After studying the violin at Quebec City’s Music Conservatory and graduating from<br />

the city’s Theatre Conservatory, Véronika Makdissi-Warren began working as an actor<br />

in 1996, collaborating on several new works created by local theatre companies. She<br />

recently played the part of Jeanne in the restaging of The Dragons’ Trilogy, which was<br />

shown in Quebec and abroad.<br />

Kevin McCoy<br />

Since 1985, Kevin McCoy has been very active as an actor, author and director, fi rst<br />

in the United States (particularly in Chicago) and then in Quebec City and Montreal.<br />

His fi rst collaboration on a collective project by Ex Machina, Geometry of Miracles,<br />

allowed him to tour several continents.<br />

Steve Normandin<br />

A self-taught accordionist and pianist, Steve Normandin won the public’s award and<br />

the stage performance award at Petite-Vallée’s 2001 Festival en chanson. His encyclopedic<br />

knowledge of French songwriting of all times and styles has brought him to<br />

perform in many different parts of the French-speaking world.<br />

Marco Poulin<br />

Since 1978, actor and self-taught musician Marco Poulin has worked with most of<br />

Quebec City’s theatre companies. He has been part of several Ex Machina productions,<br />

including Tempest, Geometry of Miracles, Zulu Time and far side of the moon.<br />

Jean René<br />

After a long period of time working in Italy, and after returning to school to study composition<br />

and conducting, Jean René became, from 1991 to 2002, the associate solo violist<br />

with the Montreal Metropolitan Orchestra. He works with various chamber music<br />

ensembles and is particularly interested in written and improvisational new music.


AN ANTIGONE<br />

Ein Stück von Wanda Golonka<br />

Regie, Raum, Kostüme – Wanda Golonka<br />

Dramaturgie – Susanne Traub<br />

Licht – Michael Bischoff, Nicol Hungsberg, Frank Kaster, Stefan Döhler<br />

Live-Video – Véronique Dubin<br />

Video – Philip Bußmann<br />

Mit Hilke Altefrohne, Oliver Kraushaar, Abak Safaei-Rad, Jennifer Minetti,<br />

Véronique Dubin, Samuel Zach, Nicola Gründel u.a.<br />

Produktion schauspielfrankfurt<br />

17. + 18. Dezember | 20 Uhr<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Haupt-, Seiten- und Hinterbühne<br />

Dauer ca. 2 Std 30 Min<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo


Wanda Golonka | An Antigone<br />

Antigone widersetzt sich der staatlichen Anordnung, dem Edikt Kreons. Sie folgt ihrer eigenen<br />

Überzeugung – und bestattet ihren toten Bruder. Für ihre kompromisslose Unbedingtheit<br />

bezahlt sie am Ende mit dem Leben. Die Figur der Antigone wirft die zeitlose Frage nach der<br />

Übereinstimmung des individuellen Handelns und seiner gesellschaftlichen Bedeutung auf.<br />

„An Antigone“ von Wanda Golonka ist keine herkömmliche Inszenierung der Sophokles-<br />

Tragödie, sondern eine Annäherung, eine Einkreisung des Stoffes in acht Solo-Performances,<br />

deren Ausgangspunkt der klassische Text in der Hölderlin’schen Fassung ist. Im Versuch, den<br />

Widersprüchen und Rissen der Existenz in der Auseinandersetzung mit dem Antigone-Thema<br />

auf den Grund zu gehen, lotet das Stück die Möglichkeiten der Kommunikation und Wahrnehmung<br />

im Theater aus. Es transformiert den Stoff in eine zeitgenössische Raum-/Körper-/<br />

Bild-Sprache, die sich letztlich einer eindeutigen Zuordnung entzieht und ungewöhnliche<br />

Spiel-Räume zur Folge hat: Hinter- und Seitenbühne, Zuschauerraum und Foyers.<br />

Wanda Golonka, geboren 1958 in Lyon, entwickelte sich mit dem von ihr mitbegründeten<br />

Ensemble Neuer Tanz (1986; Düsseldorf) zu einer der interessantesten Choreografi nnen in<br />

Deutschland. Seit 2001 arbeitet sie als Regisseurin und Choreografi n am Schauspiel Frankfurt.<br />

Hier entstand auch das Projekt „An Antigone“ als eine Folge von acht Einzelpremieren, verteilt<br />

über die Spielzeit 2002/03.


Biografi e<br />

Wanda Golonka<br />

Geboren am 13.11.1958 in Lyon, Frankreich<br />

1986 Gründung des Ensembles NEUER TANZ in Düsseldorf<br />

1986-1995 Gesamtleitung von NEUER TANZ<br />

1996 Geburt der Tochter Salomé<br />

1997 Geburt der Tochter Saphir<br />

1999-2000 Artist in residence im Marstall/Bayerisches Staatsschauspiel München<br />

2001-2002 Regisseurin, Choreographin im schauspielfrankfurt<br />

Auszeichnungen<br />

1995 1. Mouson-Award der Stadt Frankfurt<br />

1. Deutscher Produzentenpreis für Choreographie Förderpreis der Stadt Düsseldorf für darstellende<br />

Kunst<br />

Werkverzeichnis<br />

1980 Trio in Opus 1<br />

1985 calligraphie<br />

1986 Engel<br />

Call<br />

1987 DIE BOESE MINUTE<br />

DIE SCHIEFE<br />

1988 VERNE MILOVANI LEITZ, dem Nachlaß verfallen<br />

1989 RÄUMEN. Ein Stück von Wanda Golonka und VA Wölfl<br />

SIEBEN MINIATUREN<br />

GELAGE. Eine Choreographie von Wanda Golonka und VA Wölfl . Produktion: NEUER TANZ,<br />

Stadt Düsseldorf


1990 BALLET No.5...to dance by the nose... Ein Stück von Wanda Golonka und VA Wölfl .<br />

Produktion: THEATER ERLANGEN, NEUER TANZ, Stadt Düsseldorf<br />

1991 RCA / going to work. Eine Choreographie von Wanda Golonka und VA Wölfl . Produktion:<br />

MOUSONTURM / Frankfurt, NEUER TANZ, Stadt Düsseldorf, Kultusministerium NRW<br />

1994 ELEPSIE... Die Künstler sind anwesend. Eine Choreographie von Wanda Golonka und<br />

VA Wölfl . Produktion: MOUSONTURM / Frankfurt, NEUER TANZ, Stadt Düsseldorf Kultusministerium<br />

NRW, SIEMENS Kulturprogramm / München<br />

1995 MATALE. Eine Choreographie von Wanda Golonka und VA Wölfl . Produktion: MOU-<br />

SONTURM / Frankfurt, NEUER TANZ, Stadt Düsseldorf, Kultusministerium NRW<br />

High fi delity. Eine Choreographie von Wanda Golonka und VA Wölfl . Produktion: Bayerisches<br />

Staatsballett / München, DANCE 95<br />

1997 GEGNUNG. Produktion: Theater im Pumpenhaus<br />

1998 objet inquiétant. Produktion: Festival d´Avignon<br />

1999 Feld. Produktion: MARSTALL, Bayerisches Staatsschauspiel<br />

FRAKTALE. Produktion: MARSTALL, Bayerisches Staatsschauspiel<br />

2000 India song. Produktion: MARSTALL, Bayerisches Staatsschauspiel<br />

2001 MIT VOLLEM MUNDE. Ein literarisches Bankett. Produktion: schauspielfrankfurt<br />

Die blauen den Kleinen, Die gelben den Schweinen, Der Liebsten die roten, die weißen den<br />

Toten. Ein Stück von Wanda Golonka. Titel + Text + Material: Heiner Müller. Produktion:<br />

schauspielfrankfurt<br />

2002 A very long silence. 4.48 Psychosis / Sara Kane (Premiere März 2002).<br />

Produktion: schauspielfrankfurt


Frankfurter Allgemeine Zeitung | 3. Juni 2003


Main-Echo | 25. Oktober 2002


Philoktet-Projekt: Lemnos in Berlin<br />

Ausstellung<br />

12. bis 21. November<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Seitenbühne<br />

Eröffnung 12. November | 17 Uhr<br />

Eine urbane Intervention von Emilio García Wehbi<br />

In Zusammenarbeit mit Maricel Alvarez, Norberto Laino und Julieta María Potenze<br />

Unter Mitwirkung von Teilnehmern eines Workshops in Berlin<br />

Koproduktion<br />

Emilio García Wehbi, Buenos Aires und <strong>spielzeiteuropa</strong> | <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Mit freundlicher Unterstützung des <strong>Berliner</strong> Künstlerprogramms des DAAD<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo


Emilio García Wehbi<br />

Philoktet-Projekt: Lemnos in Berlin<br />

Der Name dieses ungewöhnlichen Projektes führt zurück zur Geschichte von Philoktet, der<br />

seines stinkenden, verfaulenden Fußes wegen auf der Insel Lemnos ausgesetzt wurde, um die<br />

griechische Gesellschaft nicht weiter zu belästigen. In den Augen von Emilio García Wehbi,<br />

Gründungsmitglied der argentinischen Aktionstheatergruppe El Periférico de Objetos, steht<br />

Lemnos als Chiffre für die anonymen Kernzonen heutiger Großstädte.<br />

Das Projekt dieser „Intervención Urbana“ besteht aus zwei Phasen. An einem Tag X, der<br />

ungenannt bleibt, werden 25 hyperrealistische, anthropomorphe Figuren auf verschiedenen<br />

Plätzen und Straßen einer Stadt ausgesetzt. Die Aktion wird begleitet von einem Team von<br />

Beobachtern, welche die Reaktionen der Passanten verfolgen und aufzeichnen. Im Anschluss<br />

an diese Intervention werden sämtliche Informationen (Fotos, Video- und Tonaufzeichnungen,<br />

Interviews und Gespräche) zu einer Ausstellung zusammengetragen, die während zehn Tagen<br />

auf der Seitenbühne des Hauses der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> zu sehen sein wird.<br />

„Am Tag unserer Intervention in Buenos Aires berichteten mehrere Zeitungen über den Tod<br />

eines Kleinkindes, das wegen Unterernährung gestorben ist. Ich komme mir blöd vor, weil wir<br />

lediglich mit Puppen spielen. Ich sehe mich in den Medien und fühle mich beschämt in meiner<br />

Rolle als kunstrhetorischer Parasit. Man stellt mir die Frage, ob wir Kunst machen oder nicht.<br />

Mir ist das egal. Ich befrage mich selbst und stelle uns alle in Frage. Kunst, die sich tarnt als<br />

Realität, hat eine subversive Kraft, sie wirkt korrosiv, weil sie das Objekt selbst in Frage stellt.“<br />

Emilio García Wehbi, Buenos Aires, November 2002


Emilio García Wehbi<br />

Biografi e<br />

Geboren 1964 in Buenos Aires. Schauspieler, Regisseur und bildender Künstler.<br />

Gründer und Direktor von El Periférico de Objetos – eine der innovativsten und polarisierendsten<br />

Theatergruppen Argentiniens.<br />

Schauspieler und Regisseur bei folgenden Produktionen von El Periférico de Objetos<br />

LA ÚLTIMA NOCHE DE LA HUMANIDAD (2002), MONTEVERDI MÉTODO BÉLICO (2000),<br />

ZOOEDIPOUS (1998), CIRCONEGRO (1996), MÁQUINA HAMLET (1995), CÁMARA GE-<br />

SELL (1994), EL HOMBRE DE ARENA (1993), VARIACIONES SOBRE B… (1991) and UBÚ<br />

REY (1990).<br />

Weitere Regiearbeiten<br />

HAMLET DE WILLIAM SHAKESPEARE (2004), ANNA O. (2004), MOBY DICK (2003), LOS<br />

MURMULLOS (2002), SIN VOCES (1999), CUERPOS VILES (1999), LA BALADA DEL GRAN<br />

MACABRO (1995)<br />

Einzelausstellungen als bildender Künstler<br />

LA ULTIMA ESCENA (Fotografi en), 2003<br />

ENSAYO SOBRE LA TRISTEZA (Foto-Installation), 2002<br />

AQUEL QUE OCULTA SU SANGRE MUERE SIN VOZ (Malerei), 2000<br />

DIOS ES LO MÁS TERRIBLE QUE HAY EN EL MUNDO (Malerei und Objekte), 1999<br />

ARBEIT MACHT FREI (Malerei), 1999<br />

MARTIRIOS DEL CRISTIANISMO (Malerei), 1998.<br />

Gruppenausstellungen<br />

LAS CAMITAS (Objekte), 2003<br />

NEO-OBJETO (Objekte), 2002<br />

PERFORMING OBJECTS IN THE 20TH CENTURY (Objekte), 1996


Das PHILOCTETES PROJECT fand im Mai 2002 in Wien als Teil der Wiener Festwochen statt<br />

sowie im November 2002 in Buenos Aires (mit Unterstützung der Universität von Buenos<br />

Aires). Das Projekt soll 2005 in Kyoto fortgesetzt werden.<br />

García Wehbis internationale Projekte führten ihn zu vielen großen Festivals in Belgien<br />

(Kunsten Festival des Arts), Deutschland (Theater der Welt, Hebbel-Theater, Theaterformen<br />

Hannover, Sommertheaterfestival Hamburgr) , Portugal (Culturgest), Schweiz (Theater<br />

Festival Basel), Österreich (Wiener Festwochen), Australien (Melbourne International<br />

Festival), Niederlande (Holland Festival), Frankreich (Festival d’Avignon, Theatre du Caen),<br />

Spanien (Festival Internacional de Cádiz), Italy (Festival de Otoño de Roma), Brasilien (SESC<br />

Pompéia, Sao Paulo), Colombia (Festival Iberoamericano de Bogotá), Mexico (Festival Internacional<br />

Cervantino), Kanada (Festival des Ameriques), Irland (Dublin International Festival),<br />

Schottland (Edinburgh International Festival) und USA (Brooklyn Academy of Music New<br />

York, Performing Arts Chicago, Walker Arts Centre).<br />

Emilio García Wehbi hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für seine experimentelle<br />

Theaterarbeit erhalten (Konex 1991-2001; ACE 1999, 1996 and 1995; Teatro del Mundo<br />

Award 1998, 2000).


Licht! Ljus! Lumière!<br />

10 Installationen – 6 Künstler/innen<br />

Ausstellung<br />

1. Dezember – 31. Januar<br />

In den Räumen des Hauses der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

Eröffnung 1. Dezember | 18 Uhr<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> | Schaperstraße 24 | 10719 Berlin<br />

Telefon + 49 - 30 - 254 89 - 223 | Telefax +49 - 30 - 254 89 - 155 | presse@berlinerfestspiele.de | www.berlinerfestspiele.de<br />

MaerzMusik<br />

Theatertreffen<br />

Konzerte | Oper<br />

JazzFest Berlin<br />

<strong>spielzeiteuropa</strong><br />

Jugendwettbewerbe<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Ausstellungen<br />

<strong>Berliner</strong> Lektionen<br />

presseinfo<br />

Künstler/innen<br />

Bas Bossinade, Du Zhenjun, Holger Förterer, Gabriele Heidecker, Christian Partos, Erwin Redl<br />

Eine Ausstellung der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong><br />

In Zusammenarbeit mit<br />

Maison des Arts et de la Culture André Malraux, Paris-Créteil,<br />

Lille 2004 – Capitale Européenne de la Culture und dem schwedischen Kulturzentrum, Stockholm<br />

Dank an Richard Castelli (Kurator)


Licht! Ljus! Lumière!<br />

In den dunkelsten Monaten des Jahres, Dezember und Januar, widmet <strong>spielzeiteuropa</strong> dem<br />

Element eine Ausstellung, ohne das Theater nicht denk- und wahrnehmbar wäre: dem Licht. In<br />

den Arbeiten von sechs bildenden Künstlern wird es in den Räumen des Hauses der <strong>Berliner</strong><br />

<strong>Festspiele</strong> sowie in einer Einzelinstallation im Palast der Republik als eigenständig agierendes<br />

Phänomen in Szene gesetzt.<br />

Der 1952 geborene Niederländer Bas Bossinade realisierte bereits eine Reihe von kinetischen<br />

Skulpturen, erzeugt durch Laserlicht und elektrisierte Gase. Du Zhenjun, geboren 1961<br />

in Shanghai, beschäftigt sich in erster Linie mit dem Phänomen der manipulativen Kraft von<br />

Licht, das den Besucher in seine Versuchsanlage mit einbezieht und ihn in eine Falle lockt.<br />

Holger Förterer, geboren 1972 in Bochum, bezeichnet sich selbst als Video-Bildhauer und arbeitete<br />

unter anderem an dem Projekt „Helikopter“ mit, in der Choreografi e von Angelin Preljocaj<br />

(2001), nach einer Komposition von Karlheinz Stockhausen (Helikopter-Quartett). Beteiligt<br />

ist er auch an der neuen Bühnenshow des kanadischen Regisseurs Robert Lepage für den<br />

Cirque du Soleil in Las Vegas. „Virtual Place“, eine Installation mit semitransparenten Spiegeln<br />

und Leuchtstoffröhren der seit 1974 in Berlin lebenden Künstlerin Gabriele Heidecker ist eine<br />

Refl exion über die pure Paradoxie: Wege führen über Schwellen, Stufen aus Licht. Fünf Arbeiten<br />

des schwedischen Künstlers Christian Partos (geboren 1958) zeigen die Breite seines<br />

Schaffens. In der im Jahr 2000 auf der Expo Hannover erstmals in Deutschland präsentierten<br />

Lichtskulptur „Visp“ werden fünf Fäden von zehn Meter Länge, jeweils bestückt mit 1000 weißen<br />

LEDs (Leuchtdioden), in eine rotierende Bewegung versetzt und erzeugen halluzinogene<br />

Leuchtspuren in Form eines Rosenkranzes. Für den 1963 in Österreich geborenen Erwin Redl,<br />

der in New York lebt und arbeitet, ist die immaterielle Natur des Lichtes Ausgangspunkt seiner<br />

künstlerischen Arbeit: „Ich halte sie für das perfekte Medium, um unsere körperliche Präsenz<br />

im Raum darzustellen.“


Biografi en<br />

Bas Bossinade<br />

Geboren 1952. 1995 Mitarbeit (Skulpturen) bei „Floating Identities“, kuratiert von Frank<br />

den Oudsten, ZKM Karlsruhe. 1995 Mitarbeit (Hardware) an „Place - a user‘s manual“<br />

(Computergrafi k/Foto Installation) von Jeffrey Shaw, ein Auftragswerk der Neuen Galerie<br />

am Landesmuseum Joanneum, Graz, in Kooperation mit dem Hauptstadtulturfonds Berlin<br />

und dem ZKM Karlsruhe. 1997 Mitarbeit (Hardware) an „Memory Theater VR“, kuratiert von<br />

Agnes Hegedüs, ZKM Karlsruhe.<br />

Du Zhenjun<br />

Geboren am 12. März 1961 in Schanghai. Erhielt sein Diplom an der Kunst-Fachhochschule<br />

in Schanghai (1978) sowie an der Hochschule für bildende Kunst (Universität von Schanghai,<br />

1986), wo er von 1986–1999 eine Professur ausübte. Von 1998–1999 Master-Studium an<br />

der Ecole régionale des beaux-arts de Rennes / Espaces Plastiques, Espaces Numériques.<br />

2001 präsentierte er beim Festival für neue Theaterformen EXIT in Paris-Créteil seine Arbeit<br />

„J‘efface votre trace“ (Ich verwische eure Spur).<br />

Holger Förterer<br />

Geboren 1972 in Bochum<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl):<br />

2003–2004 Cinémas du Futur, Lille 2004<br />

2003 Lange Kunstnacht Moritzsaal Augsburg, Transmediale Santiago de Chile<br />

2002 IT Portal Karlsruhe<br />

2000 EXIT 2000 Créteil, VIA 2000 Maubeuge, Zeitreise Akademie der Künste Berlin,<br />

Zeitreise ZOOM Kindermuseum Wien, Art in Output, Technische Universiteit Eindhoven.<br />

1999 Step 1 ZKM Karlsruhe<br />

Christian Partos<br />

Geboren 1958<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl):<br />

2004 „Exit“/ „Borderline“, Mauberge / Créteil (F)<br />

2003 Cinémas du future“ Lille (F), „=h/mv“ Skulpturens hus, Stockholm<br />

2002 Dunkers Kulturhus Helsingborg, Schweden, 2002<br />

2000 Enkehuset, Stockholm / Schwedischer Pavillon Expo 2000, Hannover


Gabriele Heidecker<br />

1945 in Konstanz geboren<br />

Studium an der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst und Kunstgeschichte an der<br />

Universität Stuttgart, Staatsexamen. Studium an der FU Berlin: Kunst- und Architekturgeschichte,<br />

Indische und Ostasiatische Kunstgeschichte. Seit 1986 gemeinsames Kunstprojekt<br />

„Kaserne“ mit Marosch Schröder. 2002/03 Arbeitsstipendien der Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung.<br />

Ausstellungen und Beteiligungen (Auswahl)<br />

1995/96 „Begreifungskräfte“, Badischer Kunstverein Karlsruhe und Stadthaus Ulm<br />

1996 „Blaubart Räume“, Fotoarbeiten, Galerie Andreas Weiss, Berlin<br />

1997 „The Never Ending Dinner“, Installation, Fotoarbeiten, Zeichnungen, Rosgartenmuseum<br />

Konstanz<br />

2000 „Gabriele Münter Preis Ausstellung“, Frauen Museum Bonn<br />

2002 „Reservoir V – Pyrotektura“, Installation im Wasserspeicher Berlin,<br />

„Refl ections on the Art Forum Berlin 2001“, Fotoserie, Adenauer-Stiftung Berlin<br />

Erwin Redl<br />

Geboren 1963 in Österreich. Lebt in New York.<br />

1995 MFA Computer Art, School of Visual Arts, New York. 1991 Diplom für elektronische<br />

Musik, Musikakademie Wien. 1990 BA in Komposition, Musikakademie Wien<br />

Auszeichnungen (Auswahl):<br />

2002 New York Foundation for the Arts, Award for Architecture & Environmental Structures,<br />

New York<br />

1999 WNET / Channel 13 Reel New York. Web Award, New York<br />

1996 Ars electronica 96, Ehrennennung in der Kategorie “Interactive Art”, Linz


Zu den Künstlern<br />

Licht ist meine größte Faszination, im speziellen Licht, das durch elektrisierte Gase erzeugt<br />

wird. Ich arbeite damit wie mit einem Werkzeug, das meine visuellen Fantasien in Realität<br />

umzusetzen vermag. Ich lasse mich von existierenden Objekten inspirieren, Objekten mit<br />

einer genauen Zweckbestimmung, deren Formen ich verändere und somit ganz neue Dinge<br />

erschaffe.<br />

Bas Bossinade<br />

Gabriele Heidecker simuliert Räume in Endlos–Perspektiven. Die weiten Gänge der „Kunst-<br />

Kaserne“, in der sie mit Marosch Schröder seit 1986 ihre eigenen Ausstellungen inszeniert,<br />

fordern zu dieser extremen Auseinandersetzung mit dem manieristischen Raum heraus. Doch<br />

die Künstlerin verfällt hier nicht dem Sog der Perspektive, sondern bricht sie, fordert Blickwechsel<br />

und Spiegelungen heraus und überläßt keine mögliche Sichtachse dem Zufall. Sie<br />

spielt, wie in der Installation „Virtual Way“ in ihren semitransparenten gläsernen Spiegeln mit<br />

der Suggestion des Augenzeugen und der scheinbaren Identifi kation des Ich im Raum. Oft<br />

betritt der Betrachter unvorbereitet das Bild, sucht verwirrt Orientierungsmöglichkeiten bis<br />

er sich „verortet“ hat und nimmt den „Zerfall des Bildes“ durch seine von Neugier stimulierte<br />

Bewegung oft erst zeitversetzt zur Kenntnis. Scheinbar Unsichtbares wird sichtbar und für<br />

Momente überblendet, gespiegelt, bevor es sich im Fluß der Bewegung aufl öst.<br />

Christina Wendenburg<br />

Seit 1997 untersuche ich den Begriff „Reverse Engineering“* durch (Rück-) Übersetzung der<br />

abstrakten ästhetischen Sprache von Virtual Reality und 3-D Computergrafi k in den architektonischen<br />

Raum mittels großangelegter Lichtinstallationen. In diesen Arbeiten wird Raum als<br />

zweite Haut, unsere soziale Haut, wahrgenommen, welche durch die künstlerische Intervention<br />

transformiert wird. Durch die primär architektonische Dimension ist eine An-Teilnahme mittels<br />

bewußtem „Da-Sein“ integraler Bestandteil der Installation. Visuelle Wahrnehmung kann nur in<br />

Verbindung mit einer Bewegung des Betrachters im Raum zur vollen Entfaltung kommen.<br />

Erwin Redl<br />

* „Reverse Engineering“ bezeichnet den Vorgang des Nachprogrammierens einer Software durch einen<br />

Geschäftskonkurrenten ohne den Originalcode der Software zu kennen.

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