konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

Poppes Musik lebt von der inneren Spannung ihrer klaren Struktur. Obwohl die Regeln und Normen
streng konstruierter Systeme keine Abweichungen zulassen, ist diese Musik voll von unerwarteten
Wendungen, die – das ist der Kern von Poppes Konzeption - systemimmanent sind: nichts geschieht,
was nicht logisch ableitbar ist. Veränderungen ergeben sich aus der Refl exion des Gewesenen, der
musikalische Organismus pulsiert: sobald sich Gestalten und Formen stabilisieren, werden sie wieder
gestört oder zerbrochen. Diese Vorgänge sind immer fasslich präsent, das musikalische Ringen mit
der Unerbittlichkeit der prozessualen Abläufe ist jederzeit spürbar.
Trotz eines sehr differenzierten Umgangs mit den farblichen Möglichkeiten größerer Ensemblebesetzungen
versteckt Enno Poppe nichts in seiner Musik. Hier gibt es keinen Klang um seiner selbst
willen oder gar einen in diesem Kontext ästhetisch fragwürdigen Schönklang. Alles erwächst aus
einem musikalischen Grundgedanken, der wiederum einer harten Dialektik entspringt und unablässig
hinterfragt wird. Und dies verleiht Poppes Musik ihren drängenden und herausfordernden Charakter.
© Ricordi & Co., Kai Lothwesen