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konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

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Porträt Enno Poppe<br />

Enno Poppes Kompositionen leben von einer drängenden Grundhaltung, einer vorwärts strebenden<br />

Energie, die aus den Konfl ikten eines linear entwickelnden und eines statischen Denkens hervorgeht.<br />

Aus der Parallelität eigenständiger melodischer Ereignisse ergibt sich eine energetische, mit Informationen<br />

aufgeladene Musik, deren Dichte durch komplexe metrisch-rhythmische Verhältnisse noch<br />

gesteigert wird. Poppes Stücke zeigen sich als starke, sperrige Charaktere, deren innere Widersprüche<br />

das Hören herausfordern.<br />

Poppe arbeitet mit musikalischen Systemen, oder konkreter: mit den Schwächen dieser Systeme.<br />

Es geht ihm darum, deren Regeln und Normen zu testen und sie bis zur Selbstaufl ösung zu führen.<br />

Dafür sucht er gezielt nach Wegen und Mitteln, die in diesen selbst auferlegten Beschränkungen versteckt<br />

sind. Der Umgang mit Fehlern des Systems und das Provozieren von Störungen in den scheinbar<br />

beständigen Prozessen bringt das Individuelle der Systeme hervor. Das Chaos in der Ordnung ist<br />

das Kraftzentrum von Poppes Musik. Sie gewinnt ihre Form(en) aus einer unablässigen Verwandlung<br />

eines Grundgedanken. Und genau das ist der Antrieb ihrer Entwicklung: sie verläuft nicht permutativ<br />

wiederholend sondern argumentativ weiterführend. In motivischer wie formaler Hinsicht.<br />

Immer wieder lehnt sich das musikalische Geschehen gegen seine vermeintlich geradlinig vorgezeichnete<br />

Richtung auf. Das melodisch enge Spiel zweier Tuben führt das vielgestaltige Öl (2001) für<br />

Ensemble bestimmt seinem Ende entgegen und reagiert somit ebenfalls auf die Anforderungen und<br />

Einschränkungen seines Systems, so wie das Ensemblewerk Scherben (2000/2001) sich mit ausladenden<br />

Entwicklungen gegen seine kleingliedrige Matrix wendet. Knochen (1999/2000) für Ensemble<br />

wiederum, ein mächtiges mehrteiliges Werk in einem Satz, sucht und fi ndet beständig verschiedenste<br />

Analogien und schafft auf diese Weise ein komplexes Gebilde. Das Material ist dabei immer einer<br />

kritischen Kontrolle ausgesetzt und kann - wie etwa im Quintett Gelöschte Lieder (1996-99) – auch<br />

formgebend wirken.<br />

Einzelne Gestalten pendeln aus, die Linien verlieren ihren Zusammenhalt, werden aber erneut gebündelt<br />

und fi nden sich in anderen, neuartigen Formzusammenhängen wieder.<br />

Poppe verbindet ein Denken in strengen, geordneten Formen mit einem freieren, entwickelnden<br />

melodischen Verständnis. Hierin offenbart sein melodiebildendes Prinzip eine Ähnlichkeit zu improvisatorischen<br />

Konzepten, die ebenfalls auf eine assoziative Entwicklung ausgerichtet sind. Richtungweisend<br />

ist eine klar strukturierte Keimzelle. Der aus ihr entworfene Verlauf wird allerdings beständig<br />

gestört, er wird durch andere, quasi alternative Ereignisse offen gehalten. So vollzieht sich die<br />

Entwicklung organisch: das musikalische Geschehen ist verzweigt, der tatsächliche Verlauf oft nicht<br />

voraussehbar.<br />

Jedoch ist das plötzlich einbrechende Material kein Fremdkörper, es ist der Keimzelle beigegeben als<br />

negative Bestimmung der Idee selbst.<br />

In Bezug auf die Werke Holz, Knochen und Öl spricht Poppe von „vieldeutige(n) Chiffren des Organischen.<br />

Die Andeutung einer musikalischen Grundsubstanz“ ist der einende Gedanke, der je nach den<br />

Eigenheiten des einzelnen Organismus geformt ist. Ob perkussive Strukturen nun ausgeweitet oder<br />

in den Hintergrund verschoben werden, ob die klangliche Härte von Differenztönen unerbittlich den<br />

Ensembleklang zersetzt oder mikrotonale Färbungen schillernd schmierende Flächen erzeugen, die<br />

Stücke vermitteln stets eine emotionale Direktheit, der man sich nicht entziehen kann.

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