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konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

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De:Bug: Selbst die berühmte Mailänder Scala hat mehrere Licht-Opern und andere ihrer Werke aufgeführt.<br />

Sie werden in Italien viel mehr akzeptiert als in Deutschland. Was hält sie hier?<br />

Stockhausen: Das elektronische Studio des WDR, das kann ich leider nicht mitnehmen.<br />

De:Bug: Auch da scheint es jetzt aber Probleme zu geben.<br />

Stockhausen: Es gibt jetzt einen Beauftragten für dieses Studio. Früher konnte ich meine Werke fast<br />

ohne zeitliches Limit dort verwirklichen. Jetzt ist es so, daß ich froh sein kann, alle zwei Jahre für drei<br />

bis vier Monate da arbeiten zu können, wie man mir sagt. Und diese Garantie habe ich auch nur bis<br />

zum Jahr 2000. Es heißt, es solle niemand bevorzugt werden.<br />

De:Bug: Wann wurde Ihnen klar, daß sie nicht nur die E-Musik, sondern auch die Popmusik beeinfl ußt<br />

haben?<br />

Stockhausen: Von Zeit zu Zeit, seit den Beatles, habe ich Texte und mündliche Äußerungen erhalten,<br />

in denen Popmusiker mir mitteilten, daß mein Werk für sie maßgeblich sei. John Lennon wollte noch<br />

zu Lebzeiten Co-Konzerte veranstalten, und es ist nicht an mir gescheitert. Ich war bereit, wir hatten<br />

gemeinsame Programme in London geplant. Das war leider zu der Zeit, in der die Beatles auseinander<br />

gingen. Holger Czukay von ,Can‘ war Schüler in meinen Kölner Kursen für Neue Musik, ein sehr<br />

begabter Mann. Er hat sich dann entschieden, diese Art von Musik zu machen. Ich habe seit 1953<br />

in der elektronischen Musik regelmäßig Werke mit neuen Klangwirkungen und mit synthetischen<br />

Klängen realisiert, was seit damals sehr stark auf sogenannte Popmusiker gewirkt hat. In meinem<br />

Kompositionskurs in Davis, California waren schon 1966 alle Musiker von ,The Grateful Dead‘ und<br />

auch von ,Jefferson Airplane‘ Schüler. Die kamen regelmäßig zu mir. Ich bin auch ins Philmore West<br />

in San Francisco gegangen und habe zu der Musik dieser Bands getanzt. Das ist nichts besonderes.<br />

Ich selber habe ja während meiner Studienzeit nahezu fünf Jahre lang Nacht für Nacht in den Bars in<br />

Köln jede Art von (damaliger) Popmusik gespielt, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und den<br />

Musikern gegenüber, die sich ihr Leben mit dieser Musik verdienen, bin ich seitdem immer symphatisch<br />

gestimmt geblieben.<br />

De:Bug: Sind Popmusiker denn ihrer Meinung nach freier in ihren Möglichkeiten als Komponisten von<br />

Kunstmusik?<br />

Stockhausen: Viele von denen haben oft mehr experimentellen Sinn als Komponisten neuer Musik,<br />

denn sie sind unternehmungslustig und abenteuerlich. Manche haben sich aber als Komponisten von<br />

der Kunstmusik nicht frei machen können, denn man ist ja nicht ohne weiteres frei. Einige wandern<br />

auch hin und her zwischen den Disziplinen. Es wundert mich allerdings, daß bei all den außergewöhnlichen<br />

Beispielen aus der experimentellen Kunstmusik der vergangenen 45 Jahre die freien Musiker<br />

der Popmusik nicht wagemutiger, handwerklich virtuoser, erfi ndungsreicher, einfach progressiver sind.<br />

Was hält sie eigentlich zurück? Es gibt wenige, die wirklich intelligente Musik machen.<br />

De:Bug: Wie unterscheiden sie intelligente von nicht intelligenter Musik?<br />

Stockhausen: Geben sie verschiedenen Musikern ein beliebiges Lied zur Interpretation. Einer wird<br />

ihnen langweilige Wiederholungen bieten, während der Andere erfi ndungsreicher sein und mit dem<br />

Material experimentieren wird.<br />

De:Bug: Nehmen sich die Musiker selbst vielleicht zu wichtig?<br />

Stockhausen: Wissen Sie, der Ton macht die Musik! Ganz früher war es in den Kirchen zum Beispiel<br />

so, daß oben auf der Empore die Orgel war und auch der Chor. Sehen konnte man beide nicht, nur<br />

hören. Der Chor, das waren früher die Engel. Die Betenden hörten nur den Gesang und glaubten so<br />

an Engelsstimmen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, daß man alles sehen müsse. Heute steht<br />

der Chor irgendwo herum und hat seinen Zauber verloren. Um der Phantasie freien Lauf zu lassen,<br />

sage ich den Leuten immer, sie sollen bei Konzerten, zum Beispiel bei den ,Gruppen‘, die Augen<br />

schließen und nur auf die Musik hören. Das Klangerlebnis ist ein ganz anderes, wenn man sich durch<br />

die Optik nicht ablenken läßt.

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