29.06.2013 Aufrufe

konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

konzerte04-pressemappe.pdf - Berliner Festspiele

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Das Facettenauge<br />

Nicht jedes Bild, das sich bewegt, markiert das Kino.<br />

Das Facettenauge der Biene setzt sich aus 5000 Einzelaugen zusammen. Rot sehen sie als schwarz,<br />

weiß als blau oder grün.<br />

Aus dem Schwarz werden Grautöne. Auf acht Leinwänden ist ein Gesicht zu sehen, sich selbst<br />

zu- oder abgewandt, in schwarzweiß. Die Stimme sagt: „...mein Recorder, und Bücher für die Berge,<br />

vergilbt, mit schwarzen Flecken auf den Seiten: Die Bienenlehre (Karl von Frisch), Städte der Roten<br />

Nacht.“<br />

Rote, blaue, grüne Farbsplitter tauchen auf, in Schulterhöhe, zwischen Gesicht und Körper.<br />

„Dies ist der Tag, an dem Du mit Facettenaugen siehst.“<br />

Aus der Dunkelheit erscheint magisch – wie aus einem Stummfi lm ausgekoppelt - ein Arm, eine<br />

Hand, eine Geste, die einlädt, etwas präsentiert, etwas fordert.<br />

Schon Aristoteles hatte beobachtet, dass Blüten zunächst nur von einer Biene besucht werden, dann<br />

folgt ein ganzer Schwarm - die erste Biene informiert ihre Artgenossen. Die Nachrichtenübermittlung<br />

erfolgt im Stock in Form eines Tanzes. Während des Tanzes gibt die Biene „Geräusche“ von sich,<br />

Töne mit einer Frequenz von 280 Herz. Die Stummfi lminsekten drängen sich an die tanzende Biene.<br />

So nehmen sie die Vibrationen wahr.<br />

Kaleidoskopartig erscheinen Straßen, Autos und hochgewachsene Gebäude in den warmen Farben<br />

der Dunkelheit, als gäbe es leuchtende, dunkle Pastelltöne. Die Fassaden der Häuser mit ihren vielen<br />

Fenstern sind das angehaltene Bild, das Ergebnis eines Schüttelns, Zittterns, Drehens, Schwankens,<br />

oder das Facettenauge, in dem sich der tausendfach gebrochene Blick in die Welt spiegelt: In Bombay<br />

tasten sich die Menschen an der Mauer entlang. Am <strong>Berliner</strong> Alexanderplatz stehen die Häuser<br />

noch aufrecht. Die Konturen Chicagos haben Ansichtskartenkartenqualität. In New York hängt das<br />

Auge an Ground Zero.<br />

Im Publikum hat der einzelne Zuschauer je nach Sitzposition sein eigenes Kaleidoskop: der Ort seines<br />

Körpers gibt die Blickrichtung vor. Die frontal gewordene Betrachtung fügt die kreisförmig angeordneten,<br />

unterschiedlich hoch gehängten Leinwände wie Splitter zu einem fl ächigen Bild zusammen.<br />

Die Räume zwischen den Leinwänden geben sich gleichzeitig als Sehschlitze eines Zoetrops, dem<br />

Vorläufer des Kinos, zu erkennen. Sie geben den Blick frei auf die Bewegung, die nicht aus einem<br />

Kreisen des Apparates heraus entsteht, sondern in den Bildern selbst liegt. Ihre Choreographie besteht<br />

darin, von einer Leinwand zur nächsten zu wandern. Ins Schwarz getaucht wird die Außenhaut<br />

des „Lebensrades“ ebenso zur Projektionsfl äche wie der fl üchtige Blick in sein Inneres. Dort sitzt der<br />

Ton. Er ist vom Bild getrennt und kommt doch aus seiner Mitte. Ventilatoren stellen nach dem gleichen<br />

kreisförmigen Prinzip die Atmung sicher.<br />

Es ist Tag geworden. Die hohen Häuser setzen sich zu klaren Bildern zusammen. Junge Männner<br />

liegen im grünen Gras und telefonieren. Die Helligkeit wird zu gleißendem Licht, aus der Ewigkeit erscheint<br />

das Gesicht und spricht: „When there was green around, the green taste in my mouth. There<br />

goes my frequency. I‘m on now...“<br />

Aus dem hellen Weiß des Sonnenlichts ertönen Arien. Insekten bevölkern Blumen und Pfl anzen in<br />

irrealen Farben. In der verschwommenen Pfl anzenoberfl äche zeichnet sich eine Rasterung ab, die an<br />

ein Facettenauge erinnert. Ihre Struktur geht über in die von Balken durchzogene Architektur eines<br />

Tanzsaals, in dem runde Lampen hängen.<br />

Die Expo-Weltkugel schiebt sich vor das Licht und läßt das Bild verdunkeln, bis sie selbst im Schwarz<br />

verschwindet. Ein langer Brummton folgt, so lang wie die Dunkelheit.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!