Dezember 2005/Jänner 2006 (PDF) - an.schläge

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Fo t o : B a b e t t e M a n g o l d performanceaktion 1 Hamza Walker, Essay zur Ausstellung: „Joan Jonas, Lines in the Sand and The Shape, the Scent, the Feel of Things“, zit. n. Barbara Clausen 36 an.schlägedezember jänner 2005 2006 Loras aktionistische Anteile Nach dem Akt ist vor dem Akt: Die (Re)Präsentation von Frauen in der Performancekunst. Von Lea Susemichel „Sie fragen, warum ich mitgemacht habe. Ich war der Meinung, dass diese passive Opferrolle, in der wir uns in der Gesellschaft befanden, durch diese Aktionen zum Thema gemacht wurde.“ Dieser Satz ist Teil eines Textes, den Carola Dertnig für die Ausstellung „After the Act. Die (Re)Präsentation der Performancekunst“ in großen Lettern an eine Längsseite der MUMOK-Factory geschrieben hat. Er gibt die Position von Lora Sana wieder, mittlerweile 62 Jahre alt, Erzeugerin von Biokosmetik und ehemalige Akteurin des Wiener Aktionismus. Sana ist eine fiktionale Figur, die Dertnig aus Interviews und Erinnerungen realer Aktionistinnen konstruiert hat. Diese realen Künstlerinnen stehen auch im Zentrum der von Dertnig veränderten Originalfotos von Aktionen, die ebenfalls den durchnummerierten Titel „Lora Sana“ tragen. Neben der Frage legitimer AutorInnenschaft und dem Problem der Nichtpartizipation an Profit und Ruhm der weiblichen Mitwirkenden, thematisiert dieser veränderte Fokus auch das schwierige Verhältnis von Aktion und ihrer Repräsentation. Ein Verhältnis, dem sich die gesamte von Barbara Clausen konzipierte Schau widmet. Einzigartigkeit und Wiederholung. Unmittelbar neben der Wiener Aktionismus Sammlung des MUMOK gelegen, sind die dort präsentierten Arbeiten allesamt Dokumente von Performances. Angeordnet sind sie einerseits nach ihrer Exklusivität, andererseits nach der Anzahl der dargestellten Repräsentationsebenen. Einem einzelnen Schwarzweiß-Foto, dem einzigen erhaltenen Zeugnis einer Terry Fox-Performance, in der sich ein Mann mit dem Gesicht zur Wand in eine Ecke presst, hängen auf der anderen Seite des Ausstellungsraumes hunderte Bilder von Joan Jonas Werkkomplex „Organic Honey“ gegenüber. Während jedoch diese Fotos die Originalperformance selbst zum Gegenstand haben, ist die Aktion von Terry Fox von den Künstlern Daniel Guzmán und Luis Felipe Ortega wiederholt und diese Wiederholung ebenfalls dokumentiert worden. Sie sind also bereits Repräsentationen der Repräsentation. Genauso wie die Nachstellungen von Bruce Naumans berühmter Fontäne und dem auf dem Bauch in einer Farbspur robbende Paul McCarthy. Die Videoaufnahmen dieser Reinszenierungen werden nun in der Ausstellung mit besagtem Foto, einer Videoaufnahme der Ursprungsperformance beziehungsweise einem für wenige Euro im Internet bestellbaren Nauman-Plakat konfrontiert. Wie Dertnig hat auch der Videokünstler Seth Price in seiner Arbeit nichts nachgestellt, sondern sich vorhandenes Material angeeignet und es

verändert. „Spill“, benannt nach einem Videoeffekt, zeigt ein Gespräch über die Ökonomie der Kunst, das Richard Serra, Robert Smithson und Nancy Holt Anfang der 1970er-Jahre im privaten Rahmen geführt haben. Seth zeigt diese Diskussion, lässt dabei den Bildschirm von einer mäandernden Blase durchwandern und packt ihn in einen Umzugskarton. Performance, Bild und Publikum. Ist die Frage nach der Notwendigkeit der Medialisierung von Performances in sämtlichen Werken übersprungen bzw. klar mit ja beantwortet, unterscheiden sie sich doch deutlich hinsichtlich des Argwohns gegenüber diesen Medien. Und auch hinsichtlich des Status, den diese Medialisierungen selbst haben. So können Ortegas und Guzmáns „Remakes“ als klare Absage an Authentizität und realitätsnahe Abbildung performativer Kunst gelesen werden. Gleichzeitig sind es die Videos selbst, die als Kunst präsentiert werden, die gefilmte Performance ist zweitrangig. Die Dokumente, die Joan Jonas Aktionen zeigen, sollen diese hingegen bestmöglich vermitteln. Ihre Vielzahl zeugt von dem Wunsch, das performative Ereignis aus vielen Perspektiven einzufangen und die Bilder stehen auch als autonome Werke letztlich uneingeschränkt im Dienste der vergangenen Performance. Diese beiden Positionen verdeutlichen die Entwicklung recht gut, die von der Diskussion um das Dokumentarische in der Kunst in jüngster Zeit genommen wurde. Lange Zeit diente die Beschäftigung mit dem Dokumentarischen einzig dazu, jedwede Möglichkeit objektiver Dokumentation zu verabschieden. Derzeit ist verstärkt eine Rückkehr zum singulären Ereignischarakter performativen Geschehens zu beobachten. Die Theoretikerin Erika Fischer-Lichte ist wohl die prominenteste Vertreterin dieser Strömung. Und scheinbar knüpft sie direkt an PerformancekünstlerInnen wie Joan Jonas an, die den Körper wieder „zu einem buchstäblichen und nicht metaphorischen Agenten für die Umsetzung von Bedeutung“ 1 machen wollte. Der Körper wird zum Zeichen, dessen Bedeutung in der und durch die Performance selbst festgelegt wird. Adressiert wird das unmittelbar anwesende Publikum, das durch seine Interpretation zum Co-Performer wird. Werk oder Wahrheit. Bei dem die Ausstellung begleitenden Symposium betont vor allem der Kunsthistoriker Christian Janecke diesen Paradigmenwechsel: Das Spannungsverhältnis zwischen Bild und Performance wurde in der Performancetheorie von der Beziehung zwischen Performance und ZuschauerIn abgelöst. Jedoch nur, um danach ihrerseits zum Bild zurückzukehren, denn auch der/die beteiligte ZuschauerIn braucht schließlich das Dokument, um nachher sagen zu können „Ich war dabei.“ Babette Mangolte sieht ihre Aufgabe als experimentelle und dokumentierende Filmemacherin und Fotografin von Performances darin, in erster Linie diese ZuschauerIn zu sein. Und die herrschende Atmosphäre möglichst unvoreingenommen mithilfe eines Gespürs für den richtigen Moment und Ausschnitt zu transportieren. Dass die Mitarbeit des/der DokumentaristIn bei der Bedeutungsproduktion medialisierter Performances aber erheblich gewichtiger ist, darauf verweist Michaela Pöschl in ihrem Vortrag „Otto Muehl, Kurt Krenn: Angespritzte Ärsche und Arschlöcher“ am Beispiel der von Kurt Krenn gefilmten Materialaktion „Mama und Papa“ von Otto Muehl. Zwischen den beiden entbrannte ein Streit um die Urheberschaft des Skandalösen dieser Aktion. Muehl wollte seine Arbeit „wirklichkeitsgetreu“ wiedergegeben sehen, Krenn beharrte darauf, erst durch seine Schnittdramaturgie die an sich „scheißlangweilige“ Aktion provozierend gemacht zu haben. Für Pöschl ist Muehls Glaube an eine „Wahrheit“ seiner Werke, die ungeschnitten und unabhängig von jeder Rezeption bestehen soll, auch symptomatisch für seinen Einsatz nackter Frauenkörper. Er setze den Körper von Frauen als „natürliche Wahrhaftigkeit“ ein, der keiner Interpretation bedarf. Und genau dadurch verhinderte er wahrscheinlich, dass die von Lora Sana vertretenen Frauen ihre eigenen Deutungen der Aktionen einbringen konnten. Ihre Motivation, als Ausgeschlossene sichtbar zu werden. ❚ lesben.nest Anahita (Trans)Gendermainstreaming... aktion.performance Foto:Archiv In der zugegeben recht blauäugigen Annahme, Gender Mainstreaming sollte (dem Namen folgend) eine Selbstverständlichkeit sein, gerade an den Unis, lauschte ich vor einigen Tagen dem Vortrag von Barbara Hey. In ihrem Kurzreferat erläuterte die sympathische Leiterin der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien, Frauenforschung und Frauenförderung die Definition, Interventionstypen und Ebenen von Gender Mainstreaming auch für ZuhörerInnen ohne fachliche Vorkenntnis. Die nachfolgende heftige „Stammtischdiskussion“ wurde durch ihre ruhige und wissenschaftliche Art auf ein sehr angenehmes Niveau gehoben, sodass ich doch noch mit einem beruhigten Gefühl beschwingt nach Hause gehen konnte. Ich musste an diesem Tag nämlich noch ein ödes Elterntreffen durchstehen und da hat mich die Realität gleich wieder von der harten Breitseite erwischt... Ein wahres Wechselbad der Gefühle also, frau kennt das wahrscheinlich als (Co-)Mutter. Aber ich hab zum Glück gute FreundInnen, die immer schön brav daheim im Bücherregal auf mich warten! Daher schnappte ich mir den Band: „Barbara Hey, (Hg.in): Que(e)rdenken. Weibliche/männliche Homosexualität und Wissenschaft, Studienverlag 1997“ und mein Abend war gerettet. Nachdem ich meine Frau lang genug mit meiner (Buch-)Freundin betrogen hatte, versuchte ich zu schlafen, aber die Gedanken zu Gender Mainstreaming ließen mich nicht los. So im Bett sinnierend, kamen dann abstruse, mir aber doch nicht völlig kontraproduktiv erscheinende Überlegungen. Das Konzept frech weitergedacht – weil der Ansatz beruht auf der Erfahrung, dass es in der Gesellschaft keine geschlechtsneutralen Entscheidungen gibt, also alle Handlungen oder Unterlassungen von Frauen/Männern für eben diese gemacht werden – müssten in Zukunft konsequenterweise per definitionem (gender = Geschlecht im rein sozialen und nicht biologischen Kontext) auch Transgender-Personen überall, also in der Politik, der Wirtschaft, der Uni und der Gewerkschaft miteinbezogen werden, oder?! dezember jänner 2005 2006an.schläge 37

Fo t o : B a b e t t e M a n g o l d<br />

perform<strong>an</strong>ceaktion<br />

1 Hamza Walker, Essay zur Ausstellung:<br />

„Jo<strong>an</strong> Jonas, Lines in the S<strong>an</strong>d <strong>an</strong>d<br />

The Shape, the Scent, the Feel of<br />

Things“, zit. n. Barbara Clausen<br />

36 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>dezember jänner <strong>2005</strong> <strong>2006</strong><br />

Loras aktionistische Anteile<br />

Nach dem Akt ist vor dem Akt: Die (Re)Präsentation von Frauen in der<br />

Perform<strong>an</strong>cekunst. Von Lea Susemichel<br />

„Sie fragen, warum ich mitgemacht<br />

habe. Ich war der Meinung,<br />

dass diese passive Opferrolle,<br />

in der wir uns in der Gesellschaft<br />

bef<strong>an</strong>den, durch diese<br />

Aktionen zum Thema gemacht<br />

wurde.“ Dieser Satz ist Teil eines Textes,<br />

den Carola Dertnig für die Ausstellung<br />

„After the Act. Die (Re)Präsentation der<br />

Perform<strong>an</strong>cekunst“ in großen Lettern<br />

<strong>an</strong> eine Längsseite der MUMOK-Factory<br />

geschrieben hat. Er gibt die Position von<br />

Lora S<strong>an</strong>a wieder, mittlerweile 62 Jahre<br />

alt, Erzeugerin von Biokosmetik und<br />

ehemalige Akteurin des Wiener Aktionismus.<br />

S<strong>an</strong>a ist eine fiktionale Figur,<br />

die Dertnig aus Interviews und Erinnerungen<br />

realer Aktionistinnen konstruiert<br />

hat. Diese realen Künstlerinnen stehen<br />

auch im Zentrum der von Dertnig<br />

veränderten Originalfotos von Aktionen,<br />

die ebenfalls den durchnummerierten<br />

Titel „Lora S<strong>an</strong>a“ tragen. Neben<br />

der Frage legitimer AutorInnenschaft<br />

und dem Problem der Nichtpartizipation<br />

<strong>an</strong> Profit und Ruhm der weiblichen<br />

Mitwirkenden, thematisiert dieser veränderte<br />

Fokus auch das schwierige Verhältnis<br />

von Aktion und ihrer Repräsentation.<br />

Ein Verhältnis, dem sich die gesamte<br />

von Barbara Clausen konzipierte<br />

Schau widmet.<br />

Einzigartigkeit und Wiederholung. Unmittelbar<br />

neben der Wiener Aktionismus<br />

Sammlung des MUMOK gelegen, sind<br />

die dort präsentierten Arbeiten allesamt<br />

Dokumente von Perform<strong>an</strong>ces.<br />

Angeordnet sind sie einerseits nach ihrer<br />

Exklusivität, <strong>an</strong>dererseits nach der<br />

Anzahl der dargestellten Repräsentationsebenen.<br />

Einem einzelnen Schwarzweiß-Foto,<br />

dem einzigen erhaltenen<br />

Zeugnis einer Terry Fox-Perform<strong>an</strong>ce, in<br />

der sich ein M<strong>an</strong>n mit dem Gesicht zur<br />

W<strong>an</strong>d in eine Ecke presst, hängen auf<br />

der <strong>an</strong>deren Seite des Ausstellungsraumes<br />

hunderte Bilder von Jo<strong>an</strong> Jonas<br />

Werkkomplex „Org<strong>an</strong>ic Honey“ gegenüber.<br />

Während jedoch diese Fotos die<br />

Originalperform<strong>an</strong>ce selbst zum Gegenst<strong>an</strong>d<br />

haben, ist die Aktion von<br />

Terry Fox von den Künstlern D<strong>an</strong>iel<br />

Guzmán und Luis Felipe Ortega wiederholt<br />

und diese Wiederholung ebenfalls<br />

dokumentiert worden. Sie sind also<br />

bereits Repräsentationen der Repräsentation.<br />

Genauso wie die Nachstellungen<br />

von Bruce Naum<strong>an</strong>s berühmter<br />

Fontäne und dem auf dem Bauch in einer<br />

Farbspur robbende Paul McCarthy.<br />

Die Videoaufnahmen dieser Reinszenierungen<br />

werden nun in der Ausstellung<br />

mit besagtem Foto, einer Videoaufnahme<br />

der Ursprungsperform<strong>an</strong>ce<br />

beziehungsweise einem für wenige<br />

Euro im Internet bestellbaren Naum<strong>an</strong>-Plakat<br />

konfrontiert.<br />

Wie Dertnig hat auch der Videokünstler<br />

Seth Price in seiner Arbeit<br />

nichts nachgestellt, sondern sich vorh<strong>an</strong>denes<br />

Material <strong>an</strong>geeignet und es

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