Dezember 2005/Jänner 2006 (PDF) - an.schläge
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<strong>an</strong>.sage<br />
Beruf Sexarbeiterin<br />
Moralfreie Ansichten zu einem Berufsst<strong>an</strong>ds liefern Emilija Mitrovic von der<br />
deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Elisabeth von Dücker,<br />
Kuratorin einer Ausstellung zu Sexarbeit in Hamburg<br />
Emilija Mitrovic<br />
Etwa 400.000 Frauen arbeiten in Deutschl<strong>an</strong>d in der Prostitution,<br />
schätzt die Bundesregierung. Bis zu 1,2 Millionen Männer nehmen<br />
täglich die sexuellen Dienstleistungen von Prostituierten in Anspruch.<br />
Der Umsatz im Wirtschaftssektor Prostitution wird auf 14,5<br />
Mrd. Euro jährlich geschätzt. Das entspricht nahezu dem Umsatz<br />
der Karstadt Quelle AG mit 15,2 Mrd. oder der MAN AG mit 15,0 Mrd. Euro,<br />
k<strong>an</strong>n in der Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ nachgelesen werden.<br />
Die Zahlen zeigen: Prostitution ist in vielerlei Hinsicht eine gesellschaftlich<br />
relev<strong>an</strong>te Größe. Trotzdem bleibt der Bereich in weiten Teilen der Gesellschaft<br />
immer noch ein Tabuthema. Die Tabuisierung und Diskriminierung<br />
der Prostitution führt dazu, dass die Arbeitsbedingungen in diesem<br />
Wirtschaftssegment unkontrolliert und damit zw<strong>an</strong>gsläufig<br />
schlecht bis menschenunwürdig sind. Die gesellschaftliche Doppelmoral<br />
im Umg<strong>an</strong>g mit Prostitution macht es den Frauen – wie auch den wenigen<br />
männlichen Prostituierten – schwer, öffentlich zu diesem Arbeitsplatz<br />
zu stehen.<br />
Das Prostitutionsgesetz (ProstG), das am 1.1.2002 in Kraft getreten ist,<br />
sollte die Situation der Sexarbeiterinnen verbessern. Es regelt die zivilrechtlichen,<br />
arbeits- und sozialrechtlichen Beziehungen zwischen den Prostituierten<br />
und deren Kunden und Arbeitgebern. Die Frauen können sich jetzt unter<br />
der Berufsbezeichnung „Prostituierte“ offiziell kr<strong>an</strong>ken- und rentenversichern,<br />
sie können Löhne einklagen und sich gewerkschaftlich org<strong>an</strong>isieren.<br />
Die Ergebnisse einer Studie der Dienstleistungsgewerkschaft<br />
ver.di zum Arbeitsplatz Prostitution zeigen aber, dass eine Novellierung<br />
des Prostitutionsgesetzes in Deutschl<strong>an</strong>d nötig ist. Und außerdem<br />
Aufklärungsarbeit, um gegen Unwissenheit sowie die vorherrschende<br />
Doppelmoral <strong>an</strong>zugehen. Nur so k<strong>an</strong>n die Gesellschaft den<br />
Sexarbeiterinnen Ch<strong>an</strong>cengleichheit bieten.<br />
Aus der Studie ergeben sich Konsequenzen für die gewerkschaftliche<br />
Arbeit. ver.di setzt sich konkret für die Rechte und soziale Besserstellung<br />
von Sexarbeiterinnen ein – auch wenn sie nicht Gewerkschaftsmitglied<br />
sind. Ein wichtiger Schritt zum Schutz vor Ausbeutung ist der<br />
Muster-Arbeitsvertrag, den es seit April 2004 gibt.<br />
Weitere Vorhaben, die die Sexarbeiterinnen unterstützen sollen,<br />
sind die Rechtsberatung und Rechtsschutz für Prostituierte, Steuerberatung,<br />
Gesundheitsberatung, Ausstiegsprojekte, aber auch Aufklärung<br />
und Öffentlichkeitsarbeit sowie Lobbyarbeit im politischen<br />
Raum.<br />
Und auch wenn Prostitution keine Arbeit wie jede <strong>an</strong>dere ist: Sexarbeiterinnen<br />
und Sexarbeiter müssen die gleichen Rechte haben wie jedeR<br />
<strong>an</strong>dere auch.<br />
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, www.arbeitsplatz-prostitution.de ❚<br />
24 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>dezember jänner <strong>2005</strong> <strong>2006</strong><br />
Elisabeth von Dücker<br />
Im Jahr vier des Prostitutionsgesetzes in Deutschl<strong>an</strong>d widmet<br />
sich eine große kulturgeschichtliche Ausstellung dem<br />
Phänomen Sexwork. Der Begriff geht auf die amerik<strong>an</strong>ische<br />
Prostituiertenbewegung um 1970 und ihre Forderung nach<br />
rechtlicher und sozialer Gleichstellung zurück.<br />
Prostitution ist zwar gesellschaftliche Realität. In Deutschl<strong>an</strong>d ist sie<br />
seit 2002 nicht mehr sittenwidrig, Frauen und Männer im Sexgewerbe<br />
können seitdem sozialversichert arbeiten. Doch vielen Menschen<br />
fällt es schwer, Prostitution als Arbeit, erst recht als Beruf zu betrachten.<br />
Eine moralische Wertung gerät ihnen zur Abqualifizierung derjenigen,<br />
die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen oder müssen.<br />
Arbeit – das meint doch etwas Honoriges, so die l<strong>an</strong>dläufige<br />
Haltung, und dies passe nicht zur Vorstellung vom Betriebssystem<br />
Prostitution.<br />
Prostitution ist eine traditionsreiche Dienstleistung. Wie keine<br />
<strong>an</strong>dere Arbeit wurde sie Jahrhunderte l<strong>an</strong>g tabuisiert, stigmatisiert,<br />
reglementiert, verfolgt. Dennoch ist sie zu allen Zeiten nachgefragt.<br />
Und es ist Zeit nachzufragen, Mythen von Realem zu trennen und die<br />
sexuellen DienstleisterInnen, die vorwiegend Frauen und ca. zur Hälfte<br />
Migr<strong>an</strong>tInnen sind, zu Wort kommen zu lassen.<br />
Zeit ist es auch, Prostitution als Teil unserer Gesellschaftsform und<br />
Lebensweise darzustellen. Denn die Verhältnisse, in denen wir leben<br />
und arbeiten, sind prostitutiver Natur. „Wir sind alle käuflich und werden<br />
gekauft“, so der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch. Das führt<br />
mitten in die Ausstellung: Sie ist ein erster Versuch, Sexarbeit <strong>an</strong>ders<br />
<strong>an</strong>zuschauen, ohne den voyeurhaften Blick oder die Festlegung auf<br />
die Opferperspektive. Gezeigt wird, um welche Tätigkeiten es beim sexuellen<br />
Tauschgeschäft geht, wer die Jobs macht, wie die Arbeitsbedingungen<br />
sind. Sozusagen ein Blick auf Sexarbeit backstage: vom<br />
Straßenstrich bis zum SM-Studio, von der Terminfrau über die Wirtschafterin<br />
bis zum Concierge, von der selbstständigen bis zur fremdbestimmten<br />
Arbeit, vom Puffkoller bis zum Burnout im Sexgewerbe,<br />
von der eingereisten Sexarbeiterin bis zur geschleusten. Bilder und<br />
Trugbilder, Fremd- und Eigenbilder, Klischees und Mythen sind hier zu<br />
besichtigen – was und wer macht eine Frau zur Prostituierten, w<strong>an</strong>n<br />
ist ein M<strong>an</strong>n männliche Hure, wie funktioniert die gesellschaftliche<br />
Zuschreibung? Zentrale Themen sind unter <strong>an</strong>derem Arbeit und die<br />
Prostituiertenbewegung, die Gesundheitsprävention, Recht und Sitte,<br />
die Geschichte mit Beispielen aus der NS-Zeit, sexualisierte Gewalt,<br />
die Kunden, gleichgeschlechtliche Prostitution sowie künstlerische<br />
Positionen.<br />
bis 7.5.<strong>2006</strong>, im Museum der Arbeit in Hamburg, www.museum-der-arbeit.de ❚