Frauen, die schreiben, leben … - an.schläge

Frauen, die schreiben, leben … - an.schläge Frauen, die schreiben, leben … - an.schläge

29.06.2013 Aufrufe

wissenschaftforum Foto: Martina Madner Frauen, die schreiben, leben Elisabeth Schäfer hat ihre Diplomarbeit mit dem Titel „Die offene Seite der Schrift. J.D. und H.C. Côte à Côte” geschrieben, arbeitet philosophisch und künstlerisch zu „Körper”und „Schrift”. 22 an.schlägeseptember 2006 Beides ist gefährlich. Angenommen eine lieferte sich der Gefahr aus, einen Text zu schreiben, wie könnte sie unterschreiben? Mit ihrem Namen. Ansichten von Elisabeth Schäfer In einer Buchhandlung auf ein Buch zu treffen, dessen Titel lautet „Frauen, die schreiben, leben gefährlich” lässt eine vielleicht lange und aufmerksam in diesem Buch blättern, es sogar kaufen und mit nachhause nehmen, oder nicht weniger weise:über diesen titelgebenden Satz nachdenken. Warum ist das so oder ist es etwa nicht so, dass Frauen, die schreiben, gefährlich leben? Die Gefährlichkeit des Lebens und die des Schreibens gehen hier Hand in Hand. Gefährlich, so würde ich vorschlagen, nennen wir Situationen, deren Ausgang völlig offen ist. Wo nichts kontrollierbar, abwägbar und vorhersehbar ist. Wo sich in offenen Wunden, vielleicht am Ende, die Offenheit des Ausgangs wiederspiegelt. Und ist es nicht überaus gefährlich, sagt Mrs. Dalloway, auch nur einen einzigen Tag zu leben. Dann auch noch schreiben. „Was heißt Schreiben? Das ununterbrochene Gespräch, das ich aufrechterhalte” notiert Virginia Woolf am 27. Dezember 1931 in ihr Tagebuch. Dem ununterbrochenen Gespräch des Philosophen Jacques Derridas und der Philosophin und Autorin Hélène Cixous in ihren Texten nachzuspüren und dabei dem Wunsch Derridas „zu schreiben, wie eine Frau” nachzugehen, bedeutet nochmals (nach den

wissenschaftforum<br />

Foto: Martina Madner<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>, <strong>leben</strong> <strong>…</strong><br />

Elisabeth Schäfer hat ihre Diplomarbeit<br />

mit dem Titel „Die offene Seite<br />

der Schrift. J.D. und H.C. Côte à Côte”<br />

geschrieben, arbeitet philosophisch<br />

und künstlerisch zu „Körper”und<br />

„Schrift”.<br />

22 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>september 2006<br />

<strong>…</strong> Beides ist gefährlich. Angenommen eine lieferte sich der Gefahr aus, einen Text zu<br />

<strong>schreiben</strong>, wie könnte sie unter<strong>schreiben</strong>? Mit ihrem Namen.<br />

Ansichten von Elisabeth Schäfer<br />

In einer Buchh<strong>an</strong>dlung auf ein<br />

Buch zu treffen, dessen Titel<br />

lautet „<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>, <strong>leben</strong><br />

gefährlich” lässt eine vielleicht<br />

l<strong>an</strong>ge und aufmerksam<br />

in <strong>die</strong>sem Buch blättern, es sogar kaufen<br />

und mit nachhause nehmen, oder<br />

nicht weniger weise:über <strong>die</strong>sen titelgebenden<br />

Satz nachdenken. Warum ist<br />

das so oder ist es etwa nicht so, dass<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>, gefährlich <strong>leben</strong>?<br />

Die Gefährlichkeit des Lebens und <strong>die</strong><br />

des Schreibens gehen hier H<strong>an</strong>d in<br />

H<strong>an</strong>d. Gefährlich, so würde ich vorschlagen,<br />

nennen wir Situationen, deren Ausg<strong>an</strong>g<br />

völlig offen ist. Wo nichts kontrollierbar,<br />

abwägbar und vorhersehbar ist.<br />

Wo sich in offenen Wunden, vielleicht<br />

am Ende, <strong>die</strong> Offenheit des Ausg<strong>an</strong>gs<br />

wiederspiegelt. Und ist es nicht überaus<br />

gefährlich, sagt Mrs. Dalloway, auch<br />

nur einen einzigen Tag zu <strong>leben</strong>. D<strong>an</strong>n<br />

auch noch <strong>schreiben</strong>. „Was heißt Schreiben?<br />

Das ununterbrochene Gespräch,<br />

das ich aufrechterhalte” notiert Virginia<br />

Woolf am 27. Dezember 1931 in ihr Tagebuch.<br />

Dem ununterbrochenen Gespräch<br />

des Philosophen Jacques Derridas<br />

und der Philosophin und Autorin<br />

Hélène Cixous in ihren Texten nachzuspüren<br />

und dabei dem Wunsch Derridas<br />

„zu <strong>schreiben</strong>, wie eine Frau” nachzugehen,<br />

bedeutet nochmals (nach den


1970 er Jahren) nach einer Konzeption<br />

weiblichen Schreibens zu fragen. Die<br />

Schrift von ihrem vermeintlich festlegenden<br />

Charakter, den <strong>die</strong> philosophische<br />

Tradition ihr immer zugeschrieben<br />

hat, zu befreien und ein <strong>an</strong>deres Denken<br />

der Schrift zu eröffnen, ist vielleicht<br />

das, was wir dem Philosophen Jacques<br />

Derrida zu verd<strong>an</strong>ken haben. Mit Derrida<br />

schmuggeln sich in den Bedeutungskontext<br />

eines Wortes – also auch<br />

des Wortes „Frau” – immer neue Nu<strong>an</strong>cen.<br />

Der Kontext eines Wortes ist immer<br />

schon offen und nie gesättigt. Wie Derrida<br />

mit beharrlicher, dekonstruktiver<br />

Geste beim „alten Namen” Schrift<br />

bleibt, bleibt Cixous beim „alten Namen”<br />

und harrt aus in dem Namen<br />

„Frau/en”. „Diesem neuen Begriff den alten<br />

Namen der Schrift zu überlassen<br />

heißt, <strong>die</strong> Struktur der Pfropfung zu bewahren,<br />

den Überg<strong>an</strong>g und das Festhalten,<br />

<strong>die</strong> für eine wirksame Intervention<br />

auf dem konstituierten historischen<br />

Feld unerläßlich sind” schreibt Derrida<br />

in „Signatur, Ereignis, Kontext”. Das Offene,<br />

das Derrida in der Schrift immer<br />

schon am Werk sieht, korrespon<strong>die</strong>rt<br />

mit Hélène Cixous’ Konzept der écriture<br />

feminine und eröffnet <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

<strong>die</strong> Subjekte weiblichen Schreibens jenseits<br />

spezifischer und spezifizierbarer<br />

Körperlichkeit zu lesen.<br />

AnDenken. <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>, <strong>schreiben</strong><br />

sich ein in den kulturellen Sinngebungsprozess<br />

und verändern ihn. Das<br />

ist gut. Aber wer sind <strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>,<br />

und wer schreibt das fest? Die Philosophie<br />

Cixous’ lese ich jenseits des<br />

von feministischer Seite vorgebrachten<br />

Essentialismusvorwurfes und versuche<br />

gerade zu zeigen, dass mit Cixous ein<br />

„weibliches Schreiben” nicht nur und<br />

schon gar nicht allein von einem biologisch<br />

weiblichen Körper hergedacht<br />

werden k<strong>an</strong>n. Die Schrift ist mit Cixous<br />

der Ort, <strong>an</strong> dem <strong>die</strong> Körper <strong>schreiben</strong><br />

und sich von ihren allzu eng definierten<br />

geschlechtlichen Grenzen befreien können.<br />

Schreiben als Erfahrung der Vielfalt<br />

von Körperlichkeit und Affektivität stehen<br />

dabei im Zentrum. Es geht darum<br />

<strong>an</strong> einer Öffnung des Symbolischen für<br />

eine Schriftvielfalt zu arbeiten, <strong>die</strong> auf<br />

vitale Weise mit einer Subjektvielfalt<br />

korrespon<strong>die</strong>rt. Schreiben als das Geschehen<br />

des Sinns im Körper zu verstehen,<br />

bedeutet, es als Ort eines Ereignis-<br />

ses zu begreifen. Wenn ich schreibe, ist<br />

<strong>die</strong> Sprache immer schon da gewesen.<br />

Dieses <strong>schreiben</strong>de Ich ist durch <strong>die</strong><br />

Sprache gemacht, und greift zurück auf<br />

Worte, <strong>die</strong> so klingen, wie sie klingen<br />

und immer noch das bedeuten, was sie<br />

bedeuten – aber schon immer auch das<br />

bedeuten, was sie bedeuten werden.<br />

Der Sinn der Worte ist kein fester Sinn.<br />

Jetzt schon ist der Sinn nicht mehr derselbe.<br />

Weibliches Schreiben, Ihr Schreiben<br />

als Treue zum schon, das heißt:zum<br />

schon g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren, bedeutet den traditionellen,<br />

konventionellen Sinn zu veruntreuen.<br />

Ihr Schreiben als <strong>die</strong> offene<br />

Seite der Schrift verstehe ich nicht allein<br />

als Geste der Kunst, sondern als<br />

produktive Erfahrung vielgestaltiger Facetten<br />

von Weiblichkeit im Symbolischen.<br />

Den Körper als Medium für den<br />

Sinn lese ich parallel mit dem Körper<br />

der Schrift, dem Textkörper. Damit wird<br />

der Körper als Ereignispassage <strong>die</strong> Erfahrung<br />

von Bedeutungsverschiebung<br />

eröffnen. „Der Text, den ich schreibe, ist<br />

für mich ein Wunschobjekt. Zwischen<br />

ihm und mir gibt es Tag und Nacht einen<br />

Austausch. Ob auf Papier oder nicht<br />

ist unwichtig. In gewisser Weise lebe<br />

ich fortwährend mit ihm. Alles mögliche,<br />

das ständig in mir kocht, Wünsche,<br />

Emotionen und Unruhe, greife ich unaufhörlich<br />

auf, um es <strong>an</strong> <strong>die</strong>sen <strong>an</strong>deren<br />

Körper, der gerade neben mir entsteht,<br />

weiterzugeben. Im Grunde ist es eben<br />

so, als würde mein eigener Körper mit<br />

<strong>die</strong>sem Körper verschmelzen.” schreibt<br />

Cixous 1977.<br />

AnLesen. Zur Bedeutung des Körpers als<br />

Medium für das, was ich mit Cixous als<br />

quasi-weibliches Schreiben verstehe,<br />

wird mit Julia Kristevas Verständnis<br />

vom Prozess der Bedeutungskonstitution<br />

eine Grundlage geschaffen. Der Prozess<br />

der Bedeutungskonstitution bleibt<br />

bei Julia Kristeva nicht beschränkt auf<br />

den kindlichen Spracherwerb, er ist unabschließbarer<br />

Prozess, Arbeit <strong>an</strong> und in<br />

der Sprache, <strong>die</strong> immer Raum greift,<br />

wenn wir sprechen, <strong>schreiben</strong> oder uns<br />

dessen enthalten. Das sujet-en-procès –<br />

wie Kristeva es entwirft – ist immer als<br />

Positionierung im Symbolischen zu begreifen<br />

und damit als eine w<strong>an</strong>delbare<br />

Positionierung auch der Arbeit <strong>an</strong> konventionellen,<br />

festgeschriebenen Bedeutungen<br />

aussetzbar. „Weiblichkeit” erscheint<br />

in <strong>die</strong>ser Konzeption somit als<br />

eine zu verändernde/veränderliche Positionierung,<br />

<strong>die</strong> prinzipiell von allen<br />

Subjekten eingenommen werden k<strong>an</strong>n.<br />

Also auch von Jacques Derrida, wenn er<br />

sich wünscht, zu <strong>schreiben</strong> wie eine<br />

Frau. Eine Positionierung einnehmen<br />

bedeutet jedoch in eine Arbeit mit dem<br />

Symbolischen und seinen Untergründen<br />

einzutreten. Schreiben heißt immer<br />

schon „fest-geschrieben sein”. Für <strong>Frauen</strong><br />

ergibt sich in besonderer Weise das<br />

Dilemma:Vom Symbolischen <strong>an</strong>gerufen<br />

zu sein als Unsymbolisierbare.<br />

AnSchreiben. Angenommen eine lieferte<br />

sich der Gefahr aus, einen Text zu<br />

<strong>schreiben</strong>, wie könnte sie unter<strong>schreiben</strong>?<br />

Mit ihrem Namen. An ihrem Namen<br />

wäre sie zu erkennen, zu identifizieren,<br />

festzulegen – nach patriachalem<br />

Brauch – ob sie eine Frau, ein<br />

M<strong>an</strong>n wäre. Da sind <strong>die</strong> alten Namen<br />

wieder. Es geht da hinaus, aus dem Dilemma<br />

der Sprache, wo eine auf den<br />

Wellen der Sprache selbst zu reiten beginnt.<br />

Wo in der Sprache <strong>die</strong> alten Namen<br />

nicht <strong>die</strong> alten Namen bleiben.<br />

Und ist <strong>die</strong> Signatur unter einem Text<br />

nicht immer schon eine „Signatur des<br />

als-ob”, unterschriebe sie nicht immer<br />

schon, als-ob sie da war. Im Schriftzug<br />

der Signatur ist niem<strong>an</strong>d mehr da. Der<br />

Schriftzug ist bereits abgeglitten von<br />

der Anwesenheit einer Schreibenden.<br />

„Ich glaube und schulde mir zu glauben<br />

und schulde allen verschleierten<br />

<strong>Frauen</strong> der Erde, zu glauben, daß ich<br />

immer noch darauf bestehen muß,<br />

<strong>die</strong>sen magischen, entschleiernden<br />

Satz der Feuerprobe auszusprechen,<br />

‚Ich bin eine Frau.’W<strong>an</strong>n? So oft wie<br />

möglich und notwendig” schreibt<br />

Hélène Cixous im „Buch von Promethea”.<br />

So oft wie möglich und notwendig<br />

zu unter/<strong>schreiben</strong>, als-ob eine eine<br />

Frau wäre. Mit dem Namen einer<br />

Frau, der Frau/en zu unter<strong>schreiben</strong>, zu<br />

signieren als-ob eine Frau signiert, bedeutet<br />

sie, <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong>, in Zukunft <strong>an</strong>kommen<br />

zu lassen. Einen Text zu signieren<br />

als-ob ich eine Frau wäre, eröffnet<br />

eine Möglichkeit das Diktat der<br />

Unsymbolisierbarkeit zu hintergehen<br />

und <strong>die</strong> Frau / <strong>die</strong> <strong>Frauen</strong> mit allen Differenzen<br />

ins Symbolische zu schmuggeln.<br />

Schmugglerinnen <strong>leben</strong> gefährlich.<br />

<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schreiben</strong>, <strong>leben</strong>. Beides<br />

ist gefährlich. Viel gefährlicher wäre<br />

es jedoch, nicht zu <strong>schreiben</strong>. ❚<br />

forumwissenschaft<br />

Literatur<br />

Cixous, Hélène:Weiblichkeit in der<br />

Schrift, Merve Verlag 1980<br />

Cixous, Hélène: Die unendliche Zirkulation<br />

des Begehrens,<br />

Merve Verlag 1977<br />

Weber, Ingeborg: Weiblichkeit<br />

und weibliches Schreiben,<br />

Wissenschaftliche Buchgesellschaft<br />

1997<br />

Mas<strong>an</strong>ek, Nicole: Männliches und<br />

weibliches Schreiben? Zur Konstruktion<br />

und Subversion in der Literatur,<br />

Königshausen&Neum<strong>an</strong>n 2004<br />

september 2006<strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 23

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