September 2000 (PDF) - an.schläge
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ge.fragt<br />
Crippie, the kyke dyke<br />
Von Elke Koch<br />
Auflösung aus 7-8/00<br />
Die Frau, nach der in den letzten<br />
<strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>n ge.fragt wurde, war<br />
H<strong>an</strong>nah Gluckstein. Gewinnerin ist<br />
schon wieder eine Leserin aus dem<br />
Ländle: Elfie Knapp aus Feldkirch. Wir<br />
gratulieren!<br />
42 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>september <strong>2000</strong><br />
Wohlbehütet und glücklich verlaufen<br />
Kindheit und Jugend unserer<br />
am 22. Februar 1917 in<br />
New York als J<strong>an</strong>e Auer geborenen<br />
Rätselfrau. Ihre Eltern<br />
gehören dem wohlhabenden jüdischen<br />
Mittelst<strong>an</strong>d <strong>an</strong> und können der Abenteuerlust<br />
ihrer Tochter nicht allzu viel<br />
entgegensetzen. Mit fünfzehn beginnt<br />
sie zu schreiben, sie feilt <strong>an</strong> ihren Verrücktheiten.<br />
Inmitten der exzentrischen<br />
New Yorker Gesellschaft gelingt es ihr<br />
aufzufallen. Sie verkehrt in KünstlerInennkreisen,<br />
schreibt, trinkt, raucht,<br />
liebt – alles auf exzessive Weise. Sie<br />
liebt Bars und fürchtet die Natur, vor allem<br />
dort,„wo die L<strong>an</strong>dschaften die Regelmäßigkeit<br />
einer Tapete verlieren.“<br />
Mit zw<strong>an</strong>zig lernt sie einen aufstrebenden<br />
und vom Reisen infizierten Komponisten<br />
und Schriftsteller kennen und<br />
beschließt kurzerh<strong>an</strong>d – natürlich ungebeten<br />
– ihn nach Mexiko zu begleiten.<br />
1938 heiraten die beiden – mit 27 Koffern<br />
fährt das Paar in die Flitterwochen<br />
nach P<strong>an</strong>ama. Diese Ehe besiegelt vor<br />
allem geistige Verbundenheit. Unsere<br />
junge Heldin ist lesbisch (und verlacht<br />
sich selbst gerne als „Crippie, the kyke<br />
dyke“, als jüdische, lesbische Frau mit einem<br />
steifen Bein), und auch der frischgebackene<br />
Ehem<strong>an</strong>n macht aus seiner<br />
Vorliebe für das eigene Geschlecht kein<br />
Hehl. Die psychologischen Verästelun-<br />
gen und die von vielen Ortswechseln<br />
belebten Stationen einer „Ehe-Freundschaft“<br />
lassen sich vor allem in den unzähligen<br />
Briefen aufspüren, die unsere<br />
Heldin zwischen 1937 und 1970 verbreitet.<br />
M<strong>an</strong> sagt unserer Heldin sprühenden<br />
Charme und Witz nach, eine gefürchtete<br />
Schlagfertigkeit, Lebenslust<br />
und Unverwüstlichkeit. In ihren Briefen<br />
zeigt sie sich von einer <strong>an</strong>deren Seite.<br />
Die Absenderin fühlt sich als Nomadin,<br />
ihre Korrespondenz wird von Appellen<br />
dominiert, g<strong>an</strong>z gleich, <strong>an</strong> wen sie sich<br />
richtet. Von unbezähmbarer Nervosität<br />
<strong>an</strong>gegriffen, von Zweifeln und Schuldgefühlen<br />
geplagt reist die Autorin<br />
durch die Welt – und fällt sich selbst raisonnierend<br />
ins Wort:„Wahrscheinlich<br />
hasse ich das geschriebene Wort, g<strong>an</strong>z<br />
egal wie ich es gebrauche“. 1950 meldet<br />
sie sich von der Arbeit <strong>an</strong> ihrem zweiten,<br />
nie vollendeten Rom<strong>an</strong>:„Wenn ich<br />
mein Buch nicht zust<strong>an</strong>de bringe, gebe<br />
ich das Schreiben auf... Und d<strong>an</strong>n entweder<br />
Selbstmord oder ein <strong>an</strong>deres<br />
Leben.“ Der Schriftsteller Tennessee<br />
Williams trifft unsere Heldin in<br />
Malaga/Sp<strong>an</strong>ien:„Ein nervöses<br />
Mädchen“ (von immerhin 31 Jahren),<br />
„aufreizend, hin und her gerissen zwischen<br />
Scherzen, Besorgnis, Liebe und<br />
Zerstreuung.“ Zu dieser Zeit besteht<br />
noch Hoffnung auf eine literarische<br />
Karriere. Ihr bisl<strong>an</strong>g einziger Rom<strong>an</strong><br />
Sie war begabt und geschlagen mit einer Empfindlichkeit,<br />
die mit zunehmenden Alter immer öfter in Zusammenbrüche<br />
mündete. Wer ist diese Frau? Antworten bitte bis<br />
15. <strong>September</strong> <strong>an</strong> die Redaktion<br />
1030 Wien, Hetzgasse 42/1, T. 01/715 98 89/13, Fax: DW 20,<br />
e-mail: <strong>an</strong>.schlaege@chello.at<br />
„Zwei sehr ernsthafte Damen“, hat ihr<br />
Anerkennung verschafft, ihr Theaterstück<br />
„In the Summer House“ soll in<br />
New York uraufgeführt werden. Der<br />
große Erfolg freilich bleibt aus. „Trotzdem<br />
macht mir das alles nicht so viel<br />
aus, abgesehen davon, dass ich allmählich<br />
Angst bekomme, mir niemals einen<br />
Namen zu machen, was gleichbedeutend<br />
ist mit kein Geld zu haben“,<br />
schreibt sie – und tatsächlich k<strong>an</strong>n sie<br />
sich Zeit ihres Lebens aus der fin<strong>an</strong>ziellen<br />
Abhängigkeit nie wirklich befreien.<br />
Die größte Energie verbraucht die m<strong>an</strong>ische<br />
Autorin, um zu kämpfen: gegen<br />
die Schreibhemmung, gegen den Alltag<br />
und die Furcht, schließlich gegen die<br />
Kr<strong>an</strong>kheit, gegen den Wahnsinn. Gleichermaßen<br />
begabt und geschlagen mit<br />
einer Empfindlichkeit, die mit zunehmenden<br />
Alter immer mehr in Zusammenbrüche<br />
mündet, bleibt sie von konventionellen<br />
Daseinslösungen ausgeschlossen.<br />
Mit vierzig erleidet sie ihren<br />
ersten Schlag<strong>an</strong>fall, der Gehirnschlag<br />
trifft auch ihre künstlerischen Potentiale.<br />
Während der nächsten fünfzehn Jahre<br />
verfällt sie immer mehr, ihre letzten<br />
sechs Lebensjahre verbringt sie in psychiatrischen<br />
Kliniken:„Ich habe große<br />
Angst, hier g<strong>an</strong>z allein.“ Unsere Heldin<br />
stirbt 1973, mit 56 Jahren – blind und<br />
gelähmt in einer katholischen Klinik in<br />
Malaga. ❚