September 2000 (PDF) - an.schläge
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Schulfrauen und Mädchen<br />
Im Milena-Verlag erschienen dieses Jahr zwei Bücher, die sich beide im<br />
weitesten Sinn mit Mädchenbildung ausein<strong>an</strong>dersetzen. Während der von<br />
Maria-Luise Botros und Ruth Devime herausgegeben B<strong>an</strong>d auf Erfahrungen<br />
mit dem Konzept der freien Schule basiert, untersucht Meike Lauggas<br />
die Entstehungsgeschichte des Begriffs „Mädchen“. Von Ilse M. Seifried<br />
Wenn Frauen ausziehen und<br />
freie Schulen gründen ...<br />
Das Buch versammelt zw<strong>an</strong>zig<br />
Beiträge von Frauen, die der<br />
„freien Schule“ in unterschiedlichster<br />
Weise verbunden sind. Frauen,<br />
die sie gründeten, Frauen, die dort unterricht(et)en,<br />
Frauen, die ihre Töchter<br />
dem Projekt <strong>an</strong>vertrauten, ehemalige<br />
Schülerinnen sowie Dachverb<strong>an</strong>dsbzw.<br />
Org<strong>an</strong>isationsfrauen, die das Spektrum<br />
der innovativen Lern- und Lebensform<br />
rückblickend betrachten.<br />
Der W<strong>an</strong>del des Selbstverständnisses<br />
vom Opfer (die verschwiegene<br />
Leistung von Frauen in der männlichen<br />
Geschichtsschreibung) zu Akteurinnen<br />
(Wir wissen, daß die Welt ist, was wir<br />
Frauen daraus machen) k<strong>an</strong>n nachvollzogen<br />
werden. „Wir haben etwas daraus<br />
gemacht“, schreibt Ruth Devime im<br />
Vorwort. Und so ist der vorliegende<br />
B<strong>an</strong>d als „Akt der Selbstautorisierung,<br />
der Selbstbemächtigung und der<br />
Selbstbeschreibung“ zu verstehen.<br />
Von etwa zwei Millionen SchülerInnen<br />
in Österreich werden ungefähr 700<br />
in freien Schulen unterrichtet. Durch Erfahrungen<br />
mit der Regelschule und mit<br />
der freien Schule sind die Vergleiche bezogen<br />
auf Rahmenbedingungen, Grenzen<br />
und Möglichkeiten aufschlußreich.<br />
Subjektive Erfahrungsberichte, individuell<br />
formulierte Einschätzungen<br />
und St<strong>an</strong>dpunkte geben nicht nur ei-<br />
nen interess<strong>an</strong>ten historischen Ein- und<br />
Überblick in und auf die eigeninitiativen<br />
Frauen, sondern werfen neue Fragen<br />
auf und führen damit einen Schritt<br />
in die Zukunft. Für Maria-Luise Botros<br />
steht fest: Eine Struktur, die viel Schutz<br />
und Halt gegeben hat, k<strong>an</strong>n sich in ihr<br />
Gegenteil verkehren. Hier wäre es gut,<br />
weiter zu denken und auch selbstkritisch<br />
zu sein.<br />
Wenn von Mädchen die Rede ist...<br />
Meike Lauggas stellte sich in ihrer<br />
mit dem Gabriele Poss<strong>an</strong>er-Preis ausgezeichneten<br />
Diplomarbeit, die ihrem<br />
Buch zugrunde liegt, unter <strong>an</strong>derem folgende<br />
Fragen: In welchen Kontexten<br />
kommt der Begriff „Mädchen“ vor? Welchen<br />
Stellenwert hatte/hat er? Wie kam<br />
es zur Bildung von Wort und Figur? Welcher<br />
Bedarf bewirkte die Etablierung<br />
des Wortes „Mädchen“, das eine weibliche<br />
Person meint, das jedoch grammatikalisch<br />
sächlichen Geschlechts ist?<br />
Die Suche nach einer Antwort führt<br />
zu einem Mosaikstein der Frauengeschichte<br />
und – die Suche lohnt sich<br />
wirklich! Meike Lauggas folgte dem<br />
Wort zum Text, von Texten zu Diskursen<br />
und Mentalitäten.<br />
Der trockene Buchtitel „Mädchenbildung<br />
bildet Mädchen“ bringt die<br />
sp<strong>an</strong>nende Forschungsarbeit leider<br />
nicht zum Ausdruck, in der m<strong>an</strong>chmal<br />
das Detektivische vordergründig mitschwingt.<br />
Ist es vielleicht keine Beliebig-<br />
keit, elf Schreibweisen für Mädchen in<br />
k.k. Akten des 18. Jh. zu verwenden? Und<br />
warum bietet das Wort Mädchen eine<br />
solche B<strong>an</strong>dbreite <strong>an</strong> Metonymien, was<br />
macht es dafür so geeignet? Im Tuxertal<br />
ist „Madl“ auch ein Kosewort für eine<br />
kleine Kuh. „Mädchen“ ist auch ein<br />
Pfl<strong>an</strong>zenname.<br />
Konsequenterweise geht die Autorin<br />
der Fragestellung nach, ob es eine<br />
Unterscheidung zwischen Mädchen<br />
und Frauen gibt bzw. stellt fest, daß die<br />
Nicht- Unterscheidung Tradition und<br />
Hintergründe hat. Völlig außer Acht gelassen<br />
bleiben jedoch die Bezüge zu der<br />
„Magd des Herrn“ in der katholischen<br />
Kirche.<br />
Lauggas zieht den Bogen bis zur<br />
Gegenwart über die Arbeiten von<br />
Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch,<br />
Gerd Br<strong>an</strong>tenberg und dem Wiener<br />
Verein WörterINNENspiegel bis zur<br />
Virginia-Woolf-Schule. Was ist unter<br />
Koragogik und Femagogik zu verstehen<br />
und was ist zu den girls, Riot<br />
Grrrls, girl-groups, Girlys und der Görls-Culture<br />
zu sagen und wo besteht<br />
ein Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem Konzept<br />
des „affidamento“?<br />
Es soll <strong>an</strong> dieser Stelle nicht vorweggenommen<br />
werden, zu welchen<br />
Querverbindungen und Ergebnissen<br />
Meike Lauggas schließlich kommt. Nach<br />
der Lektüre weiß die Leserin, wenn von<br />
Mädchen die Rede ist... ❚<br />
lese.zeichen<br />
Frauen, die auszogen und freie<br />
Schulen gründeten.<br />
Hg. von Maria-Luise Botros und<br />
Ruth Devime<br />
Milena <strong>2000</strong>, ats 289,–<br />
Meike Lauggas: Mädchenbildung<br />
bildet Mädchen.<br />
Eine Geschichte des Begriffs und der<br />
Konstruktionen.<br />
Milena <strong>2000</strong>, ats 254,–<br />
september <strong>2000</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 39