September 2000 (PDF) - an.schläge
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<strong>an</strong>.kl<strong>an</strong>g<br />
411 Et Sise<br />
412 Hour of the Trace<br />
413 She‘s so control<br />
414 Melodie Citronique<br />
415 demo...demo...<br />
38 <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>september <strong>2000</strong><br />
q<br />
Ton macht Musik<br />
Was Musik sein k<strong>an</strong>n und wie es möglich ist, über sie zu<br />
sprechen, sie einzuordnen in das Spektrum verschiedener<br />
Her<strong>an</strong>gehens- und Hörensweisen, wie Ilse Kilic euch<br />
neugierig machen und mehr niederschreiben k<strong>an</strong>n als ihre<br />
subjektive Haltung zum Hören – das fragt sie sich beim<br />
Niederschreiben der folgenden CD Kritiken.<br />
Gleich die erste CD meiner<br />
diesmaligen Rezension, Et Sise<br />
der italienischen Gruppe Allun<br />
(Snowdonia/Trost) versetzt<br />
mich in Begeisterung.<br />
Stef<strong>an</strong>ia, Patricia, Katia und W<strong>an</strong>da verwenden<br />
Instrumente wie Kaffeemaschine<br />
und Spielzeug, Schreibmaschine<br />
oder einen mysteriösen „minipinner“<br />
zum Musikmachen und lassen<br />
ein spielerisches Herz höher schlagen!<br />
Und liegt nicht im Spiel der Beginn<br />
jeder Selbstorg<strong>an</strong>isation, jeder Selbstverwirklichung,<br />
jeder „Revolte“ gegen<br />
den Zw<strong>an</strong>g, etwas „Nützliches“ zu tun?<br />
Und ist nicht das Spiel gerade deswegen<br />
so ungeheuer „un-nützlich“?<br />
Definieren wir Musik als Org<strong>an</strong>isation<br />
von Geräuschen, als Forschen und Zusammentragen<br />
von Kl<strong>an</strong>gwelten, d<strong>an</strong>n<br />
dürften wir so ungefähr dort sein, wo<br />
Allun uns haben wollen. Wollen wir<br />
nicht zur Musik etwas dazudenken, sondern<br />
versuchen, uns in der Musik zu<br />
bewegen, gewissermaßen, in den<br />
bruchstückhaften und doch so genau<br />
gearbeiteten, quietschenden und<br />
quäkenden, surrenden und summenden<br />
Montagen scheinbar ziellos herumzuirren,<br />
d<strong>an</strong>n erfahren wir mit einem Mal<br />
die verschiedenen Möglichkeiten des<br />
Denkens in Klängen – und das zänkische<br />
Gehirn, dem wir nichts befehlen<br />
können, freut sich und schmunzelt.<br />
Auch Jessica Bailifs CD Hour of the<br />
Trace (Kr<strong>an</strong>k/Trost) hat etwas mit herumirren<br />
(oder sollte ich sagen herumfl<strong>an</strong>ieren?)<br />
zu tun. Auch sie fordert von<br />
der Hörerin einen Sprung in ihre aus<br />
Musik bestehende Welt. Doch hier sind<br />
es nicht spielerische Versuche, die Welt<br />
neu zusammenzufügen, sondern<br />
Jessica Bailiff org<strong>an</strong>isiert eine überwältigende<br />
Interpretation von Gefühlen,<br />
Sinnesreizen und Impressionen. Hier<br />
finden wir Zurückhaltung, Aufbrausen,<br />
Verzweiflung, Kontrolle und<br />
Unkontrolliertheit. Doch versteckt sich<br />
etwa im Anschwellen schon der<br />
Moment, in dem sich das verdichtete<br />
Tosen zu einem dünnen Surren entwickelt,<br />
steckt in der Unkontrolliertheit<br />
also stets Kontrolle. Interess<strong>an</strong>t sind vor<br />
allem diese Momente, in denen sich<br />
Übergänge vorbereiten und <strong>an</strong>kündigen<br />
und – trotz des gedehnten<br />
Moments von Erwartung – stets Überraschungen<br />
bereithalten. Insgesamt<br />
eine ruhige und „schöne“, fast möchte<br />
ich sagen „besinnliche“ CD, die alles<br />
etwas l<strong>an</strong>gsamer und eine Tonlage tiefer<br />
<strong>an</strong>geht als Et Sise.<br />
Punk als zornige Versuchung nach Art<br />
der riot grrrls inszenieren die Subdebs<br />
She‘s so control (Krecords/Trost). Und<br />
wenn der Zorn durch den eher lakonisch<br />
<strong>an</strong>mutenden Ges<strong>an</strong>g, durch eine<br />
knapp ton<strong>an</strong>gebend schrummende<br />
Gitarre in eine reduzierte, fast minimalistische<br />
und zurückhaltende Form<br />
gebracht ist, so verstärkt diese<br />
Zurückhaltung seine Vitalität. Im beigelegten<br />
Textheft stehen einige der ungezählten<br />
Gründe, gegen die Ordnung<br />
dieser Welt Einspruch zu erheben: she<br />
has a heart, she has a mind/ he takes it,<br />
he breaks it und dringend wird empfohlen:<br />
give him up now/go.<br />
Wenn Ihr hören<br />
wollt, wie diese<br />
Musik klingt, d<strong>an</strong>n<br />
wählt das<br />
<strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>.musiktelefon<br />
Unter der Nummer<br />
0900/919 159-410<br />
könnt Ihr alle<br />
besprochenen CDs<br />
hinterein<strong>an</strong>der<br />
<strong>an</strong>hören; für bestimmte<br />
CDs wählt<br />
die <strong>an</strong>gegebene<br />
Klappe. Viel Spaß!<br />
Gesprächsgebühr:<br />
Mo–Fr 8–18 Uhr<br />
ats 8,–/Minute,<br />
sonst ats 6,–<br />
Nun eine Vorschau auf die im<br />
<strong>September</strong> erscheinende CD von<br />
Blonde Redhead. Sie haben vor kurzem<br />
„Melody of certain damaged lemons“<br />
herausgebracht, noisige charm<strong>an</strong>te<br />
Gitarrenmusik, nun erscheint Melodie<br />
Citronique (Touch <strong>an</strong>d Go/Trost) mit<br />
fr<strong>an</strong>zösischen und italienischen<br />
Versionen und einem Remix von Third<br />
Eye Foundation. Die kurze CD ist wirklich<br />
wunderschön, herzerwärmend<br />
nicht nur wegen des eindringlichen,<br />
diesmal fast ch<strong>an</strong>sonartigen Ges<strong>an</strong>gs<br />
von Kazu Makino, der sich zwischen<br />
metallener Schärfe und schmelzender<br />
Süßigkeit bewegt.<br />
Abschließen möchte ich mit einem<br />
Gedicht der Autorin Heidi Heide. Es<br />
befindet sich (gemeinsam mit<br />
Kurztexten <strong>an</strong>derer AutorInnen) im<br />
Beiheft zur demo... demo... CD, auf<br />
die ich eure Aufmerksamkeit lenken<br />
möchte. Zu hören sind<br />
Demonstrationen gegen schwarzblau.<br />
Und das Gedicht von Heidi<br />
Heide fängt, so würde ich sagen, eine<br />
Stimmung zwischen Trauer und Ärger<br />
ein, zwischen Aufbegehren und<br />
Resignieren, zwischen offener H<strong>an</strong>d<br />
und Faust ... aber lest selbst:<br />
Die H<strong>an</strong>d aufhalten // stundenl<strong>an</strong>g<br />
mit offener H<strong>an</strong>d // vielleicht verirrt<br />
sich doch noch ein Sonnenstrahl //<br />
vielleicht ich könnte d<strong>an</strong>n meine<br />
Faust um ihn schließen // vielleicht,<br />
vielleicht vielleicht // und das Warten<br />
und Hoffen // mit offener H<strong>an</strong>d //<br />
und hoffen und warten // mit offener<br />
H<strong>an</strong>d. ❚