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September 2000 (PDF) - an.schläge

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Schwall Österreichischen Nationalgehabes<br />

muß zu denken geben, denn das<br />

Einschwören auf „gemeinsame Ver<strong>an</strong>twortung“<br />

und „gemeinsame Ziele“ hat<br />

in Österreich Tradition.<br />

Österreich-Ideologie. Während des Ersten<br />

Weltkriegs wurde erstmals intensive<br />

Propag<strong>an</strong>da mit der „Heimatfront“ betrieben.<br />

Frauen und Kinder sollten<br />

„ihren Beitrag“ zum großen nationalen<br />

Sieg beisteuern. Nach 1918 suhlten sich<br />

die rechtsextremen und konservativen<br />

Parteien in der „Dolchstoßlegende“, der<br />

irrtümlichen Annahme, daß dieser Krieg<br />

hätte gewonnen werden können, wenn<br />

„das Volk“ – „die Heimatfront“ – nur wie<br />

„ein M<strong>an</strong>n“ hinter der Armee gest<strong>an</strong>den<br />

wäre.<br />

Mit Februar 1934 setzte sich endgültig<br />

der Austrofaschismus durch, dessen<br />

„Österreich-Ideologie“ als Überlebensstrategie<br />

propagiert, nichts <strong>an</strong>deres<br />

war als althergebrachte Tradition<br />

der ideologischen Nivellierung gesellschaftlicher<br />

Gegensätze und der Druck<br />

sich <strong>an</strong>zupassen oder ausgegrenzt (verhaftet)<br />

zu werden. Die Zeit von 1934 bis<br />

1938 stellt ein dunkles Kapitel Österreichischer<br />

Geschichte dar: Die ÖVP hat<br />

die christlich-soziale Parteigeschichte<br />

offenbar nie aufgearbeitet. Noch immer<br />

gibt es unverhohlene Verehrung des<br />

„Märtyrers“ Dollfuß (sein Portrait hängt<br />

wie allseits bek<strong>an</strong>nt in den ÖVP Parlamentsklubräumen).<br />

Durch alle Parteien<br />

hindurch gibt es keine öffentlich deklarierte<br />

Dist<strong>an</strong>z zur Zeit des Austrofa-<br />

schismus, bis heute bestehende Kontinuitäten<br />

werden verdrängt.<br />

Auch im Austrofaschismus wurden<br />

die „Heimat“ und das „Vaterl<strong>an</strong>d“ beschworen:<br />

Das „einig christlich-konservativ-ständestaatliche“<br />

Österreich gegen<br />

die <strong>an</strong>deren. Und der faschistische<br />

Anführer des Staates war der Oberpatriot.<br />

Die „vaterländische Front“ wurde<br />

zur Einheitsbewegung deklariert, politische<br />

Parteien verboten oder aufgelöst.<br />

Hier läßt sich beobachten, wie gut sich<br />

Patriotismus und Faschismus ergänzen.<br />

Nationale Gemeinschaft. Mit Februar<br />

<strong>2000</strong> wird nun wieder die Strategie der<br />

einheitlichen Nation, des nationalen<br />

Schulterschlusses propagiert. Und wieder<br />

sollen Ungleichheiten zwischen<br />

Frau und M<strong>an</strong>n, arm und reich oder<br />

jung und alt durch die beschworene<br />

„nationale Gemeinschaft“ verdeckt werden.<br />

Interess<strong>an</strong>terweise besinnt sich<br />

gerade die „Europapartei ÖVP“ nun<br />

ihrer „vaterländischen Tradition“ und<br />

redet DEM ÖsterreichER wieder einmal<br />

ein:Wir wählen, wen wir wollen! Und<br />

damit beginnt der erste Akt der „opera<br />

buffa“. S<strong>an</strong>ktionen, die sich gegen diese<br />

Regierung richten, werden als S<strong>an</strong>ktionen<br />

gegen Österreich verkauft. Von der<br />

„demokratisch gewählten Regierung“<br />

wurde (zumindest am Anf<strong>an</strong>g) gesprochen<br />

und somit der parteipolitische<br />

Entscheidungsprozeß der Regierungsbildung<br />

DEM WählER untergejubelt.<br />

Tatsächlich aber hat der Regierungspoker<br />

um den K<strong>an</strong>zler mit dem eigentli-<br />

chen Wahlergebnis wenig zu tun, denn<br />

die drittstärkste Partei stellt den Regierungschef.<br />

Erstmals seit 1945 wird die strafrechtliche<br />

Verfolgung von österreichischen<br />

ParlamentarierInnen gefordert,<br />

die sich kritisch zu Österreich äußern<br />

und somit dem vermeintlichen „Österreich-Image“<br />

schaden. FPÖ-Justizminister<br />

Dieter Böhmdorfer findet den Vorschlag<br />

zumindest überlegenswert. FP-<br />

Klubobm<strong>an</strong>n Peter Westenthaler verwendet<br />

schon fast täglich den Begriff<br />

der „Vernaderung“.<br />

Der Gipfel aktueller patri(di)otischer<br />

Politik ist die Abhaltung einer Volksabstimmung.<br />

Die Österreichische Bevölkerung<br />

soll sechs (Suggestiv)Fragen mit einem<br />

patri(di)otischem „Ja“ be<strong>an</strong>tworten.<br />

Hauptinhalt sind die S<strong>an</strong>ktionen,<br />

die es dieser Regierung erst ermöglichten<br />

den nationalen Schulterschluß zu<br />

propagieren. Daß diese Volksabstimmung<br />

nicht g<strong>an</strong>z so gut <strong>an</strong>kommt, weiß<br />

die Regierung mittlerweile. Deshalb<br />

wird nicht l<strong>an</strong>ge gezögert und ein neuerliches<br />

Zusammenrücken wird propagiert:<br />

Gemeinsames Sparen für ein sogen<strong>an</strong>ntes<br />

„Null-Defizit“. Eine nationale<br />

Kraft<strong>an</strong>strengung wird gefordert. Damit<br />

WIR keine Schulden mehr haben.<br />

„Gemeinsam“ ist das neue Zauberwort.<br />

As a wom<strong>an</strong> I have no nation. Wie „gemeinsam“<br />

alles gemeint ist, zeigt die<br />

Sprache dieser Regierung sehr deutlich.<br />

Neben DEM WählER und DEM ÖsterreichER<br />

soll <strong>an</strong>scheinend niem<strong>an</strong>d sonst<br />

patriotismusthema<br />

Der ÖsterreichER ist ein<br />

gemütlicher Patron. Doch wehe,<br />

wird er ungemütlich!<br />

1) Karl Kraus: Die letzten Tage der<br />

Menschheit. Fr<strong>an</strong>kfurt am Main<br />

1986. S 45f.<br />

september <strong>2000</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 17

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