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September 2000 (PDF) - an.schläge

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lassen Abgl<strong>an</strong>z ihres eigenen einstigen<br />

Selbst geworden.<br />

Das Familiensystem der jap<strong>an</strong>ischen<br />

Frühzeit beruhte auf der sogen<strong>an</strong>nten<br />

Besuchsehe mit matrilokalem Wohnsitz<br />

und Erbfolgerecht der Kinder. In den einfachen<br />

Volksschichten oblag Fischf<strong>an</strong>g<br />

und Jagd den Männern, Ackerbau den<br />

Frauen. Mit der Teilnahme des M<strong>an</strong>nes<br />

<strong>an</strong> der L<strong>an</strong>dwirtschaft kam der W<strong>an</strong>del<br />

zur patriarchalischen Gesellschaftsform<br />

in G<strong>an</strong>g.Weitere Ursachen, die zur Unterordnung<br />

der Frau beitrugen, waren<br />

militärische Ausein<strong>an</strong>dersetzungen,<br />

Bürgerkriege, die Stärkung des Bewußtseins<br />

von Privateigentum, auf der<br />

ethisch-religiösen Ebene begleitet von<br />

einer Überlagerung des ursprünglichen<br />

Schintoismus durch Einflüsse aus China.<br />

Schmuckkästchen. Hayashi Raz<strong>an</strong>, Berater<br />

der Tokugawa Shougune in Fragen der<br />

Staatsethik, verkündete als den „himmlischen<br />

Weg im menschlichen Leben“<br />

die Beachtung der „fünf Beziehungen“:<br />

Untert<strong>an</strong>-Herrscher, Kind-Eltern, Frau-<br />

M<strong>an</strong>n, jüngere-ältere Geschwister,<br />

Freund-Freund. Durch ein solches Denken,<br />

das die bestehende Sozialordnung<br />

als naturgegeben s<strong>an</strong>ktioniert, soll der<br />

jeweils untergeordnete Teil eines<br />

solchen hierarchischen Verhältnisses<br />

dar<strong>an</strong> gehindert werden, seine Stellung<br />

als veränderbar aufzufassen. Damit<br />

wurden Frauen aller Stände auf eine<br />

gehorsam dienende Funktion festgelegt.<br />

Das sogen<strong>an</strong>nte „onna daigaku<br />

takarabako“ (Schmuckkästchen der Hohen<br />

Schule für die Frau) von 1716, eine<br />

Fibel zur Erziehung der Mädchen, gibt<br />

in 20 Punkten die wichtigsten Gesichtspunkte<br />

zur Erziehung von Töchtern <strong>an</strong>.<br />

Hier einige Kostproben daraus:<br />

„Töchter sollen mehr zur Selbstlosigkeit<br />

erzogen werden als Söhne, denn<br />

ihre Bestimmung ist es, durch Heirat<br />

Mitglied einer <strong>an</strong>deren Familie zur werden<br />

und den Schwiegereltern zu Diensten<br />

zu sein. Werden sie durch eine zu<br />

nachsichtige Erziehung unfähig zu die-<br />

ser Unterwerfung, so sind die Eltern<br />

und nicht die Schwiegereltern ver<strong>an</strong>twortlich,<br />

wenn die junge Frau aus dem<br />

Hause des Ehem<strong>an</strong>nes verstoßen wird.“<br />

„Außer ihrem M<strong>an</strong>n hat eine Frau<br />

keinen Herrn. Die größte lebensl<strong>an</strong>ge<br />

Pflicht einer Frau ist Gehorsam. Sie soll<br />

ihrem M<strong>an</strong>n höflich, demütig und versöhnlich<br />

begegnen. Eine Frau möge auf<br />

ihren M<strong>an</strong>n schauen, als wäre er der<br />

Himmel.“<br />

„Die Frau muß sich ohne Empörung<br />

der Kritik stellen und in Geduld und Demut<br />

ihr Gewissen erforschen. D<strong>an</strong>n<br />

wird ihre Ehe dauerhaft sein.“<br />

Mit derartigen Vorstellungen über<br />

die Pflichten der Frauen haben die Jap<strong>an</strong>erinnen<br />

zuweilen noch heute zu rechnen.<br />

Der besondere Typus jap<strong>an</strong>ischer<br />

Weiblichkeit, wie er in aller Welt – vor<br />

allem aber bei den Männern –<br />

Berühmtheit erl<strong>an</strong>gte, ist das Ergebnis<br />

einer jahrhundertel<strong>an</strong>gen Erziehung<br />

zur Unterordnung, die in der Tokugawa<br />

Zeit ihren Höhepunkt erreichte. Bis in<br />

die Meiji-Zeit (1868-1912) blieb dies die<br />

vorherrschende Konzeption von<br />

Mädchenbildung. D<strong>an</strong>n allerdings wurde<br />

sie Punkt für Punkt kritischer Revision<br />

unterzogen und eine erste Welle –<br />

wenn auch begrenzter – Em<strong>an</strong>zipation<br />

der Frauen Jap<strong>an</strong>s f<strong>an</strong>d statt.<br />

Traum vom Glück. Nicht zuletzt aufgrund<br />

der historischen Erziehungsideale ist in<br />

Jap<strong>an</strong> auch heute die Kluft zwischen<br />

M<strong>an</strong>n und Frau noch verhältnismäßig<br />

groß. Fremdheit zwischen den Geschlechtern<br />

zieht sich durch alle Bereiche,<br />

vom äußeren, der Berufswelt, bis<br />

hin zum intimsten, der Sexualität. Diese<br />

Fremdheit hängt vor allem mit der Verdrängung<br />

von Sexualität sowie jedes<br />

erotischen Moments zusammen. Erotik<br />

wird praktisch nur Männern zugest<strong>an</strong>den,<br />

und auch ihnen nur in bestimmten<br />

Nischen des sozialen Lebens: in „Vergnügungsvierteln“<br />

etwa oder als Pornografie-Konsum.<br />

Das Tabu, das auf allem Sexuellen<br />

und insbesondere der Erotik liegt, hat<br />

Jap<strong>an</strong> hat die höchste<br />

Abtreibungsrate der Welt und<br />

eine boomende Abtreibungs-<br />

Industrie.<br />

starke historische Wurzeln im traditionellen<br />

Familiensystem, in dem Sexualität<br />

nicht als Best<strong>an</strong>dteil von Liebe toleriert<br />

wurde. Dieses Tabu wirkt bis heute nach.<br />

Allein zu leben, war für jap<strong>an</strong>ische<br />

Frauen der älteren Generation keine<br />

Alternative zur Ehe. Sie hatten geringe<br />

Schulbildung; ökonomischer und sozialer<br />

Druck machten die Heirat zur fast einzigen<br />

Möglichkeit der Existenzsicherung.<br />

Heute jedoch wagen immer mehr Frauen<br />

den Versuch, sich eine selbständige<br />

Existenz aufzubauen und allein zu leben.<br />

Immer mehr Frauen streben auch d<strong>an</strong>ach,<br />

ihre Sexualität nicht als eheliche<br />

Pflicht, sondern als Ausdruck von Liebe<br />

auszuleben. Auch Ergebnisse sexualwissenschaftlicher<br />

Studien belegen, daß<br />

außerehelicher Sex in Jap<strong>an</strong> immer mehr<br />

Verbreitung findet. Die veränderten Einstellungen<br />

und Verhaltensweisen führen<br />

dazu, daß viele Frauen plötzlich vor der<br />

Realität einer ungewollten Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

stehen, denn bis vor kurzem war<br />

es für Jap<strong>an</strong>erinnen kaum möglich zu<br />

verhüten: Die Verwendung von Kondomen<br />

bedingt Abhängigkeit vom guten<br />

Willen der Männer und die „Pille“ war bis<br />

zum Jahr 1999 verboten. Auch nach der<br />

Legalisierung stehen ihr die Jap<strong>an</strong>erinnen<br />

noch äußerst skeptisch gegenüber.<br />

Jap<strong>an</strong> erreicht mit 22,4 Abtreibungen<br />

pro hundert Schw<strong>an</strong>gerschaften die<br />

höchste Abtreibungsrate der Welt.<br />

Obwohl der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

so gängig ist, wird den Frauen,<br />

vor allem wenn sie unverheiratet sind,<br />

ein enorm schlechtes Gewissen eingeimpft,<br />

wenn sie ihn durchführen lassen.<br />

Viele Frauen versuchen, diese negativen<br />

Gefühle zu besänftigen, indem sie den<br />

abgetriebenen Föten (Mizuko) durch ein<br />

traditionelles Totenritual ihre Anteilnahme<br />

bezeugen.<br />

Gesellschaftliche Tabus – und Abtreibung<br />

ist eines davon – gibt es in allen Kulturen.<br />

Mit den Ojizoosama bzw. Mizuko<br />

haben die Frauen eine Möglichkeit, den<br />

moralischen Druck der Gesellschaft, der<br />

ihnen Schuldgefühle aufzwingt, zumindest<br />

auf religiöser Ebene abzuf<strong>an</strong>gen. ❚<br />

jap<strong>an</strong>internationalpolitik<br />

september <strong>2000</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 15

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