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September 2000 (PDF) - an.schläge

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Fo t o s : M a rg a r e t e N e u n d l i n g e r, Pe z H e j d u k<br />

ein strafrechtlicher Gewaltbegriff, der<br />

ausschließlich auf körperliche Schädigung<br />

ausgerichtet ist, nicht ausreicht,<br />

die Gewalterfahrungen von Lesben zu<br />

erfassen.<br />

Eine Studie der Universität Bielefeld,<br />

die speziell nach dem homophoben<br />

Aspekt <strong>an</strong>tilesbischer Diskriminierung<br />

und Gewalt fragte, kommt zu einem<br />

viel weiter gefaßten Gewaltbegriff.<br />

Stef<strong>an</strong>ie Soine, Mitautorin der Studie,<br />

charakterisiert Gewalt unter Bezugnahme<br />

auf Carol Hagem<strong>an</strong>-White als „Verletzung<br />

der körperlichen und seelischen<br />

Integrität eines Menschen durch einen<br />

<strong>an</strong>deren.“<br />

Laut der Bielefelder Studie waren<br />

98 % der befragten Lesben bereits mindestens<br />

einmal mit Diskriminierung, sexualisierter<br />

oder körperlicher Gewalt<br />

konfrontiert. Auffallend ist, daß viele<br />

körperliche und verbale Angriffe in der<br />

Öffentlichkeit stattfinden und die davon<br />

betroffenen Lesben dennoch in den<br />

seltensten Fällen Polizei oder Justiz einschalten.<br />

Sie haben entweder schon<br />

„schlechte“ Erfahrungen mit der Polizei<br />

gemacht oder befürchten, mit ihrem<br />

Anliegen nicht ernst genommen zu<br />

werden bzw. sich mit homophoben Einstellungen<br />

der Behörden ausein<strong>an</strong>dersetzen<br />

zu müssen.<br />

Ergebnisse. „Die Forschungsergebnisse<br />

machen unmißverständlich klar“, stellt<br />

Stef<strong>an</strong>ie Soine fest,„daß lesbische Lebensweisen<br />

immer noch verschwiegen<br />

werden und daß lesbische Frauen zusätzlich<br />

zu verbalen und psychischen<br />

Abwertungen auch in einem erheblichen<br />

Ausmaß körperlichen Angriffen<br />

ausgesetzt sind, sowie von strukturellen<br />

Benachteiligungen betroffen.“ Aus diesen<br />

in der Studie festgestellten spezifischen<br />

Diskriminierungen leitet sich ein<br />

komplexer Forderungskatalog ab, der in<br />

zwei Richtungen gehen muß:„Zum einen<br />

ist es wichtig“, so Soine,„Strategien<br />

zu formulieren, die sich gezielt gegen<br />

die gesellschaftliche Ignor<strong>an</strong>z gegenüber<br />

lesbischen Frauen richten. Zum <strong>an</strong>deren<br />

sind politische Forderungen uner-<br />

läßlich, die die strukturelle Marginalisierung<br />

von lesbischen Frauen, sowie<br />

die immer noch vorherrschenden<br />

Angriffe auf lesbische Lebensweisen<br />

unterbinden.“<br />

Weitere Arbeitskreise widmeten<br />

sich den Auswirkungen von Gewalt und<br />

Diskriminierung. Schon das Wissen um<br />

das Risiko, aufgrund der lesbischen Lebensweise<br />

zur Zielscheibe von Gewalttätigkeiten<br />

werden zu können, beeinflußt<br />

das alltägliche Leben und auch die<br />

Entwicklung der lesbischen Identität.<br />

Dieses Wissen erschwert vielen Lesben<br />

ihr Coming-out. Aber auch Frauen, die<br />

schon jahrel<strong>an</strong>g offen lesbisch leben,<br />

vermeiden häufig Gefahrensituationen<br />

und nehmen aus Angst vor Übergriffen<br />

und Diskriminierung Einschränkungen<br />

ihres lesbischen Sozial- und Liebeslebens<br />

und damit ihrer Lebensqualität in<br />

Kauf.<br />

Forderungen. Paradoxerweise werden<br />

solche Alltagserfahrungen häufig nicht<br />

als Diskriminierung oder Einschränkung<br />

erlebt. Sie wirken sich aber in der Folge<br />

sehr wohl auf die Gesundheit lesbischer<br />

Frauen negativ aus. Andrea Faulseit<br />

und Karin Müller, Mitarbeiterinnen<br />

der Berliner Lesbenberatung, fordern<br />

daher einerseits die Verhinderung von<br />

Gewalt gegen Lesben durch Aufklärungs-<br />

und Bildungsarbeit, Täterarbeit<br />

und rechtliche Veränderungen und<br />

<strong>an</strong>dererseits adäquate psychosoziale<br />

und juristische Unterstützung für von<br />

Gewalt und Diskriminierung betroffene<br />

Lesben.<br />

Behinderten Lesben wird zudem oft<br />

ihr Recht auf Selbstbestimmung – und<br />

insbesondere auf Sexualität – abgesprochen.<br />

Daß Sexualität und sexuelle Gewalt<br />

in Behinderteneinrichtungen besonders<br />

tabuiert sind, hat zur Folge, daß<br />

es auch <strong>an</strong> präventiven Maßnahmen<br />

m<strong>an</strong>gelt. Doch auch <strong>an</strong> Lesbenorten vermitteln<br />

Zug<strong>an</strong>gs-Barrieren behinderten<br />

Lesben das Gefühl, nicht dazuzugehören,<br />

nicht erwünscht zu sein. Als<br />

positives Alternativbeispiel hob<br />

Martina Puschke das Lesbenfrühlings-<br />

Körperliche und verbale Attacken<br />

finden auffallend häufig in<br />

der Öffentlichkeit statt, ohne daß<br />

Lesben Polizei oder Justiz<br />

einschalten.<br />

treffen hervor, wo seit einigen Jahren behinderte<br />

Lesben in die Vorbereitung einbezogen<br />

sind, um möglichst gute Bedingung<br />

für alle zu schaffen.<br />

Strategien. Eingehender Diskussion bedarf<br />

noch die Einschätzung der Kategorie<br />

der sogen<strong>an</strong>nten „Haßverbrechen“.<br />

„Hate-crimes“, wo die Tatmotive relev<strong>an</strong>t<br />

sind und auch strafverschärfend sein<br />

können, beinhalten im <strong>an</strong>glo-amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Raum auch homophob motivierte<br />

Taten. Dieser Status führt z. B. in Großbrit<strong>an</strong>nien<br />

derzeit zu einer verstärkten Zusammenarbeit<br />

von Lesben- und Schwulenorg<strong>an</strong>isationen<br />

mit der Polizei und<br />

bewirkt eine beginnende Sensibilisierung<br />

im Polizeiapparat. In Österreich findet<br />

die Kategorie „Haßverbrechen“ keine<br />

juristische Anwendung, weshalb es auch<br />

keine entsprechenden Statistiken gibt.<br />

Die abschließende Podiumsdiskussion<br />

stellte die Ch<strong>an</strong>cen und Effekte einer<br />

zielgruppenorientierte Antidiskriminierungspolitik<br />

der „Politik der Verschiedenheit“<br />

gegenüber, die in Amsterdam praktiziert<br />

wird. Nach dieser Politik der<br />

„Diversity“ sollen lesbisch-schwule Sichtweisen<br />

in alle gesellschaftspolitischen<br />

Entscheidungen einfließen. Sie setzt allerdings<br />

eine l<strong>an</strong>gjährige Antidiskriminierungsarbeit<br />

voraus und ist daher für<br />

Österreich keine Alternative zu einer verstärkten<br />

zielgruppenorientierten Antidiskriminierungspolitik<br />

und zur Forderung<br />

nach der Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes.<br />

Das Daphne Aktionsprogramm läuft<br />

noch bis 2003. Im Sinne einer kontinuierlichen<br />

Arbeit und einer EU-weiten<br />

Kooperation zum Thema „Gewalt gegen<br />

Lesben“ ist zu hoffen, daß dieses Projekt<br />

auch noch in den nächsten drei Jahren<br />

fin<strong>an</strong>ziert wird. Kooperationspartnerinnen<br />

aus Belgien und Großbrit<strong>an</strong>nien<br />

haben bereits Interesse <strong>an</strong> einer Mitarbeit<br />

bekundet. Weitere Ziele sind Sensibilisierungsmaßnahmen,<br />

eine umfassende<br />

Zusammenstellung aller Angebote<br />

und Möglichkeiten für von Gewalt<br />

betroffene Lesben und eine weitere<br />

Fachtagung als Abschluß. ❚<br />

gewaltösterreichpolitik<br />

Libs e. V.<br />

c/o Const<strong>an</strong>ce Ohms<br />

Alte Gasse 38<br />

D-60313 Fr<strong>an</strong>kfurt<br />

Tel. 0049/69/21 999 731<br />

E-mail: daphne@libs.w4w.net<br />

Wiener Antidiskriminierungsstelle<br />

für gleichgeschlechtliche<br />

Lebensweisen<br />

Angela Schwarz<br />

Friedrich Schmidt-Platz 3<br />

1082 Wien<br />

Tel. 01/4000- 81441<br />

e-mail: sca@gif.magwien.gv.at<br />

Gewalt gegen Lesben: Studie<br />

über Diskriminierungs- und Gewalterfahrung<br />

Hg. vom Ministerium für Frauen, Jugend,<br />

Familie und Gesundheit des<br />

L<strong>an</strong>des Nordrhein-Westfalen,<br />

Bielefeld 1999<br />

e-mail: info@mail.mfjg.nrw.de<br />

september <strong>2000</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 11

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