Deutsche Altertumskunde

3. Germania. B. Kulturverhältnisse. § 75. Dorf-, Hundertschaft, Landsgemeinde. 429
eidigten Mitglieder zu gegenseitiger Hilfe in Streit und Blutrache, beim
Begräbnis, vor Gericht und in wirtschaftlicher Not verpflichtet, i)
Die Kluft ist ein engerer Kreis als das Dorf 2) und muß von dem
politischen Verband einer Gemeinde durchaus gesondert werden. Die Ge-
samtheit der Kluften eines Dorfs (einer Bauerschaft) könnten wir als überpersönlichen
Kult- und Festverband, Schutz- und Unterstützungsverein auch
eine Gilde (Dorfgilde) nennen; denn auch die Gilden sind Mittelpunkte der
Geselligkeit und des Gottesdienstes und hatten die Aufgaben zu erfüllen,
die mit den agrarischen Berufsinteressen der Dorfbewohner gegeben waren. 3)
Werden aber die Kluften der einzelnen Dörfer einer Landschaft für sich
betrachtet, so bildeten sie (was bei Gilden und Nachbarschaften fehlt) die
Unterabteilungen der großen agnatischen Sippen oder Geschlechter,*) wie
sie sich noch heute bei unserm hohen Adel und volkstümUch bis ins Mittel-
alter bei der Ditmarscher Geschlechterverfassung erhalten haben. 0) Die Mit-
glieder eines Geschlechts waren kluftenweise über das ganze Land ver-
streut, blieben aber mit ihren örtlich getrennten Blutsverwandten in organi-
sierter Geschlechtsgenossenschaft verbunden ß) und betrachteten das Land, in
dem ihre Geschlechtsgenossen wohnten, als ihre „Heimat". 7) Sie folgten dem
Aufgebot, wenn es galt, Raubzüge oder, nachdem ein Mord geschehen war,
Fehden des Geschlechts mit andern Geschlechtern des Landes oder gegen
Auswärtige durch die Waffen zum Austrag zu bringen ;») auch standen die ver-
einigten Kluften (Vetterschaften) in den Reihen und Gliedern des Volksheers
zusammen. 9) Die erwachsenen Mitglieder eines Geschlechts bildeten also
zugleich eine miütärische Korporation, i