Deutsche Altertumskunde

1. Gallier und Germanen. § 37. Chimbern, Theutonen und Ambronen. 235
Das hochgewachsene, blauäugige, westgermanische Volk hat als etwas
durchaus Fremdartiges dem römischen Heer gewaltig imponiert. Marius mußte
seine Truppen erst daran gewöhnen. Die Kriegsrufe und Kriegstänzei) der
abergläubischen Germanen^) nahmen sich auf den ersten Anblick ebenso
furchtbar aus, wie ihre Uniform und Ausrüstung, denn das Neue und Unbekannte
wirkt-e durch mutlähmende Illusionen. Selbst die Weiber kämpften
mit Schwert und mit Beil; bei Vercelli sind es Frauen gewesen, die schwarz
gekleidet ihre fhehenden Landsleute niedergestochen, die eigenen Kinder
erwürgt und schließlich sich selbst zum Tode befördert haben. Im Verlauf
ihrer Irrfahrten hat sich das spezifisch Germanische mehr und mehr ab-
geschliffen, waren die ungeschlachten Nordleute mehr und mehr verwelscht.
Denn in der kurzen Frist von zehn Sommern sind die durch ihre heimische
Lebensweise nicht verwöhnten Germanen dem überwältigenden Einfluß der
Fremde gänzlich verfallen. Die unüberlegte Dreistigkeit, des schönen Südens
begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war, hat ihnen Marius vergolten
(Mommsen). Zwar trug am Mißerfolg auch jener draufgängerische furor
teutonicus schuld, von dem schon Seneca gesagt hat, er zerschmettert was
ihm entgegentritt; öfter ist er sein eigenes Verderben. s) Aber das war doch
nur der eine, der geringere Fehler. Der andere floß aus einem gefährlichen
deutschen Erbübel. Unerschütterlich wo es galt Frost zu ertragen und aufgewachsen
in tiefschattigen Gegenden, erlagen die Chimbern und Theutonen
dem südlichen zu ungekannten Lüsten lockenden Klima.*) Das milde und
reiche gallische Land wirkte in kurzer Frist erschlaffend auf die für behag-
liches Dasein allzu empfänglichen Nordländer. „Die Chimbern," so erzählt
Dio Cassius, „verloren viel von ihrem alten Mut, sie wurden stumpfer und
schwächer an Geist und Körper. Grund davon war, daß sie sonst unter
freiem Himmel zu leben gewohnt, in Häusern sich aufhielten und sich statt
der früheren Flußbäder warmer Bäder bedienten, daß sie, die früher gern
rohes Fleisch aßen, sich mit Leckereien und Süßigkeiten füllten und gegen
ihre Gewohnheit dem Wein und dem Rausch Untertan wurden. "0)
So erklärte man sich die Niederlagen der Chimbern und Theutonen,
die sie auf gallischen und italienischen Schlachtfeldern erlitten haben. Weit
folgenschwerer sind die Niederlagen gewesen, die Chimbern und Theutonen
und nach ihnen ungezählte Germanenscharen unter den friedlichen Ein-
flüssen der gallisch-römischen Kultur erfuhren. Wurden sie doch durch die
als Kelten und Kimmerier Zeitschr. f. d. Altert, j
42, 140 f.
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Plutarch, Marius c. 19 = barditus?
j
;
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Tacitus, Germ. c. 3 (vgl. Festschr. zur 49. Versamml.
d. Philologen. Basel 1907 S. 70).
2) Wahrsagerinnen:Strabo7, 2,3. DieBe-
118,113). Mit ausgewählten Waffenstücken,
die er erbeutet, hat Marius seinen Triumphzug
pomphaft dekoriert (lederne Wagendecken,
Fahnen, Trompeten, eherne Panzer, weiße
Schilde, Lanzen, Wurfspeere mit doppelter
Spitze, lange gewichtige Schwerter, Reiterhelme,
die wie Tierköpfe aussahen), vgl.
Peucker, Wanderung 1, 46. 78. 129. In der
Schlachtordnung banden sich die Vordermänner,
damit ihre Reihen nicht gesprengt
würden, mit langen von den Gürteln ausgehenden
Ketten aneinander,
waffnung der teils berittenen, teils zu Fuß ') Plutarch, Marius c. 26.
kämpfenden Mannschaft stammte jedenfalls •*) Seneca, de ira 1, 11.
aus der gallischen Lateneindustrie (S. 269 i*) Geschichtsschreiber der deutschen Vor-
Anm.l.MüLLENHOFF,DA.2,145f.,Bonn.Jahrb. j
zeit 1, 101.