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Deutsche Altertumskunde

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Einleitung.<br />

der Kinder oder in ihrem Kriegsspiel und Räuberspiel mit so altertümlichen<br />

Waffen wie Schleuder, Pfeil und Bogen bewahrt. Der lebhafte Spieltrieb<br />

setzt sich erst in den reiferen Jahren zu produktiver Arbeit fort: der Knabe<br />

fängt an, ein Handwerk zu betreiben und nach altmodischem Tauschverkehr<br />

mit Waren zu handeln. Die Arbeitsspiele der Kinder sind aber auch von<br />

lebhaft geäußerten Gefühlen begleitet. Die Affekte vermögen sie noch<br />

nicht zu zügeln; das Pathos der Affekte bereichert unsere Kinderjahre durch<br />

seelische Erlebnisse, die dem Erwachsenen dauernd heilig bleiben. Denn<br />

im Affekt erhebt sich die kindliche Phantasie zu kühner Tat, die nicht<br />

zuvor die Folgen ängstlich erwägt; im Affekt erlebt das Kind die erste unvergeßliche<br />

Begeisterung, die ihm aus den Augen leuchtet, wenn aus dem<br />

Märchen zum erstenmal die Poesie der Urzeit und aus dem Gebet der erste<br />

fromme Schauer des Wunders seine Seele befällt.<br />

Von Phantasien und Affekten ist unsere Kindheit durchwärmt: es<br />

mangelt ihr noch völlig die begriffsmäßige Denkarbeit der Schule. Des<br />

reinen Verstandes und des rationalen Denkens müssen wir uns durchaus<br />

entäußern, wenn wir die Geschlechter der deutschen Vorzeit verstehen wollen.<br />

Es ist eine den Gelehrten ganz in die Ferne gerückte Welt, die die<br />

Psychologie des Kindes vor uns erschließt. Sie liegt so weit hinter der<br />

Welt unseres Verstands als das Altertum unseres Volkes hinter seiner bildungsstolzen<br />

Gegenwart. Weil der Abstand so groß ist, hält der erwachsene<br />

Mann nur vereinzelte Erinnerungsbilder seiner Kindheit fest und ebenso<br />

bewahrt ein Volk nur in Bruchstücken das Gedächtnis seiner Vorzeit.<br />

Damit beginnen die ersten Schwierigkeiten für den Altertumsforscher.<br />

Sie vermindern sich, wenn wir uns mit dem Dasein der Kinder (oder der<br />

sog. unzivilisierten Völker) vertraut machen; aber seitdem die Tradition durch<br />

unerhörte Errungenschaften unterbrochen worden ist, kann es nicht jedermanns<br />

Sache sein, auf diese Errungenschaften zu verzichten und in geschicht-<br />

lichem Denken den Anfängen unseres Volkstums sich zu nähern.<br />

Die großen Schwierigkeiten dürfen uns aber nicht schrecken; die<br />

Wissenschaft darf den Mut nicht sinken lassen und wenn sie eine Zeitlang<br />

mutlos geworden und den Schwierigkeiten aus dem Wege gegangen war,<br />

muß der Forscher, sei es auch mit dem Mut des Fehlens, die Probleme,<br />

deren die deutsche <strong>Altertumskunde</strong> so viele stellt, aufnehmen.<br />

Denn die deutsche <strong>Altertumskunde</strong> ist nicht bloß eine nationale Forderung<br />

ersten Ranges, sie bildet auch innerhalb der germanistischen Fach-<br />

wissenschaft den Mittelpunkt, von dem aus allen Einzeldisziplinen, wie einer<br />

deutschen Grammatik und einer deutschen Literaturgeschichte, die Richtungs-<br />

linien gewiesen werden müssen. Erst aus einer Totalanschauung unseres<br />

deutschen Volkslebens gewinnt der Forscher den Blick für die Abschätzung<br />

der sprachgeschichtlichen oder literargeschichtlichen, namentlich aber auch<br />

der religionsgeschichtiichen Gebilde, deren Details nicht in den richtigen<br />

Zusammenhang gebracht und nicht genügend definiert werden können,<br />

falls die allgemeinen Kategorien unserer deutschen Kultur unbekannt bleiben.<br />

Ich erinnere an ein grammatisches Problem wie die Entstehung einer ganz<br />

neuen deutschen Sprache, z. B. der althochdeutschen. Wie ist dieser merk-<br />

würdige, von allen anderen germanischen Sprachzweigen so auffallend ab-

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