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Deutsche Altertumskunde

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Vorwort. {X<br />

Dieses volkstümliche deutsche Wesen nennt sich gern „deutscher<br />

Geist". Damit meinen wir nicht eine nur dem spekulativen Denken zu-<br />

gängliche Abstraktion, sondern „Geist" ist „Form". Den deutschen Geist<br />

fassen wir also in den Formen deutschen Lebens und Strebens. Da aber<br />

der deutsche Geist wie alles Menschliche dem Wandel der Zeiten untersteht,<br />

erkennen wir ihn am ehesten aus den wechselnden Stilformen<br />

volkstümlich deutscher Lebensart.<br />

Es kommt innerhalb der deutschen Philologie dem Stilbegriff der<br />

Vorrang vor allen Lehrsätzen zu. Stellt man die gesamte philologisch-<br />

historische wie die folkloristische Arbeitsweise auf den Stilbegriff und auf<br />

die Ausbildung des Stilgefühls ein, so wird man nicht mehr bei der Stil-<br />

untersuchung von Sprache und Literatur stehen t)leiben können. Es genügt<br />

nicht, Literaturgeschichte, soweit sie den Philologen angeht, als Stilgeschichte<br />

zu definieren, denn diese Forderung verweist uns mit dem Stilbegriff aus<br />

den engen Schranken der schönen Literatur unter den weiten Horizont der<br />

Kunst und heischt von uns, Literaturgeschichte als die Kunstgeschichte der<br />

Sprache vorzutragen.<br />

Historische Grammatik nennen wir die Wissenschaft von den Stil-<br />

perioden oder die Stilgeschichte der Verkehrs- und Gesellschaftssprache,<br />

denn ihre Lautgesetze sind nicht Naturgesetze, sondern Stilgesetze der Volkssprache<br />

— so sollte man sie wenigstens begreifen, statt sie zu bekämpfen —<br />

und legen es der Forschung nahe, von ihnen zu den Stilgesetzen und den<br />

Stilperioden unserer „schönen" Sprache, von der historischen 'Grammatik<br />

zur Literaturgeschichte vorzuschreiten.<br />

Ist dem Philologen keine höhere und ernstere Aufgabe gestellt, als daß<br />

er aus der stürmisch bewegten Gegenwart unseres volkstümlichen Daseins<br />

oder aus den Epochen der ferneren Vergangenheit den Geist der Zeiten,<br />

d. h. ihren Stil erkenne und zur Darstellung bringe, so scheidet ihn vom<br />

Kunsthistoriker die Hingabe des Philologen an das Volkstum oder, um<br />

mit J. Grimm zu reden, an das, was unter dem ganzen Volke, nicht bloß<br />

in einzelnen das Volk führenden Individuen walte.<br />

Die Ausdrucksformen, die Stilgesetze volkstümlichen Schaffens sind in<br />

der Sprache und in der Poesie nicht minder charakteristisch als in den<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gewerblichen Erzeugnissen, aber<br />

gerade in diesen treten sie anschaulicher heraus und sind darum nach ihren<br />

Wesensmerkmalen leichter zu erfassen. Es dürfte folglich, wenn wir Sprache<br />

und Literatur mit allen anderen naiven oder künstlerischen Formen des<br />

deutschen Lebens durch den Stilbegriff verketten und die wechselnden Stil-<br />

arten nach dem allein möglichen Verfahren wissenschaftlicher Erkenntnis,<br />

auf dem Wege der Vergleichung beschreiben wollen, die Archäologie als<br />

Mittlerin an erster Stelle berufen sein.<br />

Ich habe daher, alter verständiger Mahnung gehorchend (Weinhold,<br />

WSB. 29, 117), der Archäologie nicht bloß aus Büchern sondern auch durch

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