28.06.2013 Aufrufe

Vortrag von Mag. Martina Jakesch

Vortrag von Mag. Martina Jakesch

Vortrag von Mag. Martina Jakesch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Mag</strong>. <strong>Martina</strong> <strong>Jakesch</strong><br />

Institut für psychologische<br />

Grundlagenforschung<br />

Universität Wien<br />

Liebiggasse 5<br />

1010 Wien<br />

KUNST ERLEBEN: VERTRAUTHEIT UND GEDÄCHTNIS<br />

1<br />

Telefon: (01) 4277 47112<br />

E-Mail:<br />

martina.jakesch@univie.ac.at


ÜBERSICHT 1<br />

Übersicht<br />

• WISSENSCHAFTLICHER FOKUS<br />

• FOSCHUNGSSCHWERPUNKT „EXPERIMENTELLE ÄSTHETIK“<br />

• MODELL ÄSTHETISCHEN ERLEBENS<br />

• DIE ROLLE VON VERTRAUTHEIT UND GEDÄCHTNIS AM BEISPIEL AUSGEWÄHLTER STUDIEN


VORTRAG<br />

KUNST<br />

ERLEBEN:<br />

VERTRAUTHEIT<br />

UND<br />

GEDÄCHTNIS<br />

WISSENSCHAFTLICHER FOKUS<br />

…liegt generell auf den Verhaltensweisen und dem Erleben der Rezipienten.<br />

Der Betrachter steht im zentralen Interesse unserer Forschung. Ziel ist es,<br />

Kognitionen und Emotionen des Betrachters in der Interaktion mit Kunst zu<br />

erforschen. Die kognitive und affektive Verarbeitung <strong>von</strong> Stil und<br />

Eingängigkeit, die Dynamiken und emotionalen Grundlagen ästhetischer<br />

Urteilsbildung oder der Umgang mit Mehrdeutigkeit wären Beispiele für<br />

unsere Forschungsinteressen.<br />

FOSCHUNGSSCHWERPUNKT „EXPERIMENTELLE ÄSTHETIK“<br />

In unserem Forschungsbereich werden empirische Studien durchgeführt,<br />

der Zugang ist ein psychologisch – experimenteller, das heißt es werden in<br />

Laborsettings Fragestellungen anhand <strong>von</strong> experimentellen Versuchsplänen<br />

realisiert. Neben reinen Verhaltenstestungen bedienen wir uns Verfahren wie<br />

der Augenbewegungsmessung, des Elektroenzephalogramms (EEG), des<br />

Elektromyogramm (EMG), der Messung der elektrodermalen Aktivität (EDA,<br />

Hautleitwiderstand) und der Elektrookulometrie (EOG). Die geplanten<br />

Studien orientieren sich dabei an dem 2004 vorgestellten „Modell<br />

ästhetischen Erlebens und Urteilens“ (Leder, Belke, Oeberst, & Augustin,<br />

2004), welches aufgrund der Beschreibung zugrunde liegender<br />

Basismechanismen / mentaler Prozesse, die das ästhetische Erleben<br />

bedingen können, einen guten Rahmen zur systematischen Erforschung<br />

ästhetischer Phänomene im Betrachter bietet.<br />

Im Folgenden wird das Modell kurz vorgestellt, um einerseits die<br />

angesprochenen Forschungsgebiete zu verorten und anderseits die Rolle <strong>von</strong><br />

gedächtnisbezogenen Effekten auf das Kunsterleben thematisch zu<br />

verankern. Im Anschluss daran werden einige konkrete Studien zum Thema<br />

„Gedächtnis und Kunst“ vorgestellt.<br />

2


MODELL ÄSTHETISCHEN ERLEBENS<br />

Dieses Modell umfasst neben Input und Output sowie Einfluss- und<br />

Kontextvariablen fünf Stufen der kognitiven Verarbeitung. Diese stellen den<br />

Kern des Modells dar. In Abbildung 1 findet sich die schematische Darstellung<br />

des Modells.<br />

Abb. 1. Modell ästhetischen Erlebens und Urteilens (Leder, Belke, Oeberst & Augustin, 2004).<br />

Bevor sie kurz erläutert und diskutiert werden, einige wesentliche<br />

Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die zur Interpretation und<br />

Anwendung essentiell sind: wie vorher schon im Zusammenhang mit dem<br />

Schwerpunkt unserer Forschung erwähnt, ist das Model rezeptionsorientiert.<br />

Es werden demnach Basismechanismen und kognitive Prozesse diskutiert,<br />

welche das ästhetische Erleben eines Betrachters maßgeblich beeinflussen<br />

können. Ursprünglich wurde das Modell für die Verarbeitung visueller Kunst<br />

der Moderne ausgerichtet – einige neuere Studien zeigten aber bereits die<br />

erfolgreiche Übertragung in Domänen wie Musik (Brattico & Jacobsen, 2009;<br />

Roose, 2008) und Performance Kunst (Calvo-Merino, Jola, Glaser, & Haggard,<br />

2008).<br />

Zu den fünf Stufen des Modells:<br />

Nach einer Präklassifikation des Inputs als Kunstwerk, startet eine<br />

automatische Analyse perzeptueller Elemente des Bildes wie beispielsweise<br />

der Symmetrie dieser Elemente, der Komplexität des Werkes und der<br />

bestehenden Kontrastverhältnisse. Die Stufe der „perzeptuellen Analyse“<br />

beinhaltet somit Prozesse, die generell bei der visuellen Wahrnehmung, wie<br />

etwa bei der Objekterkennung/Identifizierung, relevant sind. Die Ergebnisse<br />

3


dieser automatischen unwillkürlichen Analyse werden auf der zweiten Stufe<br />

der Verarbeitung bereits mit den eigenen Vorerfahrungen abgeglichen. Die<br />

„implizite Gedächtnisintegration“ bezieht sich somit auf den Abgleich der<br />

Information mit bereits abgespeicherten, vorhandenen Gedächtnisinhalten –<br />

also zum Beispiel ob das Gesehene vertraut/bekannt ist oder nicht. Da dieser<br />

Prozess nicht notwendigerweise bewusst sein muss, wird auf dieser zweiten<br />

Stufe <strong>von</strong> einem impliziten Einfluss auf das ästhetische Erleben ausgegangen.<br />

Ein, auf dieser Stufe diskutierter Faktor, die Vertrautheit, wird nach der<br />

Vorstellung des Modells näher im Rahmen des <strong>Vortrag</strong>themas diskutiert<br />

beziehungsweise mit einigen Ergebnissen relevanter Studien genauer<br />

vorgestellt werden. Sobald relevante Gedächtnisinhalte bewusst zur<br />

Klassifikation des Inhalts oder Stil des Bildes herangezogen, ist laut Modell die<br />

dritte Stufe der „expliziten Klassifikation“ erreicht, wo neben dem<br />

persönlichen Geschmack und dem Interesse an Kunst auch das Vorwissen als<br />

modulierender Faktor angenommen wird. Stil und Inhalt werden dabei zur<br />

Klassifikation des Kunstwerks als beispielsweise surrealistisches<br />

herangezogen. Je nach Vorwissen, kann nun die klassifizierte Information<br />

kunst- oder selbstbezogenen interpretiert werden. Leder und Kollegen<br />

nennen diese vierte Stufe „kognitive Bewältigung“ und verweisen damit auf<br />

wissens- und gedächtnisbasierte Unterschiede in der Interpretation des<br />

Gesehenen. Im letzten Teil des <strong>Vortrag</strong>s wird auf diesen Prozess noch näher<br />

eingegangen. Die resultierende Interpretation wird auf der letzten und<br />

fünften Stufe einer Evaluation unterzogen, welche sich nicht nur auf kognitive<br />

Elemente, wie dem durch die Interpretation gewonnenen Verständnis,<br />

sondern auch auf die dadurch entstandenen affektiven Konsequenzen<br />

bezieht. Ist man selbst mit der eigenen Interpretation zufrieden, tritt<br />

beispielweise ein Zustand der Zufriedenheit ein, wohingegen die<br />

Unzufriedenheit mit der eigenen Interpretation - womöglich durch unklare<br />

Elemente – den Rezipienten gegebenenfalls zu einem erneuten Durchlaufen<br />

der Stufen drei, vier und fünf veranlasst.<br />

Das resultierende Urteil als Output des Modells wird als zweigeteilt<br />

angenommen: das ästhetische Urteil und die ästhetische Emotion. Auch hier<br />

spielt beispielweise das Vorwissen eine maßgebliche Rolle: ein Kunstwerk<br />

kann, basierend auf kognitiven Standards wie der stilistischen<br />

Ausdrucksform, möglicherweise <strong>von</strong> einem Kunstexperten eher negativ<br />

beurteilt werden, aber dennoch positive ästhetische Emotionen hervorrufen.<br />

4


DIE ROLLE VON VERTRAUTHEIT UND GEDÄCHTNIS AM BEISPIEL AUSGEWÄHLTER<br />

STUDIEN<br />

In der Beschreibung des Modells sind nun an einigen Stellen schon die<br />

Schlagwörter „Gedächtnis“ und „Vorwissen“ gefallen. Unser Vorwissen stellt<br />

einen wesentlichen Faktor dar, wie wir Objekte, Situationen und natürlich<br />

auch Kunst wahrnehmen und beurteilen. Der positive Zusammenhang<br />

zwischen Vertrautheit und Gefallen wurde schon sehr früh in der Geschichte<br />

der Psychologie diskutiert: Vor über hundert Jahren berichtete Titchener<br />

(1910) bereits <strong>von</strong> der Tendenz vertraute Dinge gegenüber neuen,<br />

unbekannten Dingen zu präferieren.<br />

Experimentell konnte dieses Phänomen erstmals <strong>von</strong> Robert Zajonc Ende der<br />

1960iger Jahre gezeigt werden. Zajonc (1968) argumentierte für den Effekt<br />

einer „wiederholten, reinen Darbietung“ („mere exposure“): oftmals<br />

präsentierte Wörter unbekannter Sprachen oder auch Bilder <strong>von</strong> Gesichtern<br />

gefielen seinen Versuchspersonen signifikant besser, als unbekannte<br />

Versionen.<br />

Dass natürlich nicht nur die reine Anzahl der Wiederholungen zu stärkeren<br />

Gedächtnisspuren führt, zeigt die nun folgende Studie:<br />

Anfang der 90iger konnten Bradley, Greenwald, Petry und Lang (1992)<br />

zeigen, dass Bilder, die stark negativ oder positiv besetzt waren, gegenüber<br />

neutralen Bildern einen Gedächtnisvorteil hatten. Dieser „arousal“ Effekt<br />

konnte nicht nur bei einer kurzen Zeitspanne zwischen Präsentation und<br />

Wiedererkennungsaufgabe sondern auch über die Zeit hinweg beobachtet<br />

werden (1 Jahr). Somit wurde eine „stärkere“ Gedächtnisspur für jene Bilder<br />

angelegt, welche emotional besetzt waren.<br />

Um nun aber wieder den Bezug zur Kunst herzustellen: Nadal, Marty und<br />

Munar (2006) untersuchten High Art und Popular Art, die <strong>von</strong> den<br />

Versuchspersonen anhand der Dimensionen Schönheit, Gefallen,<br />

Interessantheit und Originalität bewertet werden sollte. Mittels eines<br />

Gedächtnistests (Wiedererkennungsleistung) wurden die Bilder in zwei<br />

Klassen eingeteilt: solche mit einer geringen Gedächtnisspur (keine<br />

Wiedererkennung möglich) und solche mit einer starken Gedächtnisspur. Im<br />

Vergleich der Urteile für diese beiden Klassen zeigte einen Zusammenhang<br />

zwischen Gedächtnis und Präferenz: Bilder mit stärkeren Gedächtnisspuren<br />

wurden signifikant höher beurteilt (Schönheit und „pleasure“) als jene, die<br />

nicht im Gedächtnis verhaftet blieben. Interessantheit und Originalität<br />

zeigten keinen Zusammenhang mit der Wiedererkennungsrate.<br />

5


Somit gefällt uns tendenziell das besser, was uns zum Beispiel aufgrund<br />

affektiver Komponenten oder auch höherer Vertrautheit durch wiederholte<br />

Betrachtung oder Auseinandersetzung stärker im Gedächtnis verhaftet blieb.<br />

Wesentlich ist, dass die Beziehung „Vertrautheit – Präferenz“ nicht als<br />

statisch angenommen werden darf, sondern sich auf Basis jeglicher neuer,<br />

hinzukommender Information verändern kann.<br />

Leder (2001) nutzte beispielsweise die Bekanntheit einiger Van Gogh<br />

Gemälde (Laienstichprobe), um einerseits die positive Beziehung zwischen<br />

den beiden Faktoren aufzuzeigen aber auch andererseits ihre<br />

Veränderbarkeit aufgrund neuer, zusätzlicher Information zu demonstrieren.<br />

In einer ersten Studie wurde gezeigt, dass Kunstwerke umso besser gefielen,<br />

je bekannter (<strong>von</strong> gar nicht bekannt bis sehr bekannt) sie eingestuft wurden.<br />

Unter der Verwendung des gleichen Bildmaterials, diesmal nun mit der<br />

Information, dass die Echtheit dieser Gemälde angezweifelt wurde, sank die<br />

Höhe des Zusammenhangs im Vergleich zur ersten Studie signifikant. Dieses<br />

Beispiel demonstriert die Veränderbarkeit und Dynamik unserer Präferenzen<br />

und zeigt auf, wie neue Information integriert wird, um als zusätzliche Basis<br />

für unsere Urteilsbildung zu fungieren.<br />

Was passiert nun längerfristig mit den Eindrücken, die wir zum Beispiel<br />

während eines Museumsbesuches gewonnen haben?<br />

Dieser Frage gingen Medved, Cupchik und Oatley (2004) in einer<br />

Museumsstudie nach. Da unsere Erinnerungen/Gedächtnisinhalte einer<br />

kontinuierlichen Rekonstruktion und Modifikation unterliegen, untersuchten<br />

die Autoren, inwieweit abgespeicherte Eindrücke eines Kunstwerks in die<br />

eigene Gedächtnislandschaft mit personenbezogenem Vorwissen,<br />

autobiographischen Inhalten und Einstellungen integriert werden. Es wurde<br />

angenommen, dass die Erinnerungen nach einem längeren Zeitraum (5<br />

Monate) stärker an den autobiographischen Gedächtnisinhalten der<br />

Personen ausgerichtet sein sollten als kurz nach dem Museumsbesuch. Es<br />

wurde somit eine Rekonstruktion oder Modifikation der kunstbezogenen<br />

Erinnerungen im Sinne einer stärkeren thematischen Integration in die eigene<br />

Gedächtnislandschaft beziehungsweise stärkeren Ausrichtung an<br />

selbstbezogenen Inhalten vorgeschlagen.<br />

Tatsächlich zeigte sich genau diese Tendenz: die kurz nach dem Besuch<br />

wiedergegebenen Erinnerungen waren weniger an autobiographische Inhalte<br />

und Emotionen geknüpft als die, nach 5 Monaten erhobenen, Erinnerungen.<br />

Es scheint also so zu sein, dass spezifische Erinnerungen an ein bestimmtes<br />

6


CONCLUSIO:<br />

Kunstwerk erst nach einiger Zeit interpretativ mit passenden<br />

autobiographischen Elementen und emotionalen Inhalten in unserem<br />

Gedächtnis „verlinkt“ werden.<br />

Bekanntheit oder Vertrautheit stellt somit einen wesentlichen Einflussfaktor (unter<br />

vielen) dar, der sich positiv auf das Erleben <strong>von</strong> Kunst auswirken kann.<br />

LITERATURVERZEICHNIS<br />

BRADLEY, M. M., GREENWALD, M. K., PETRY, M. C., & LANG, P. J. (1992). REMEMBERING<br />

PICTURES:PLEASURE AND AROUSAL IN MEMORY. JOURNAL OF EXPERIMENTAL PSYCHOLOGY<br />

LEARNING, MEMORY AND COGNITION, 18(2), 379-390.<br />

BRATTICO, E., & JACOBSEN, T. (2009). SUBJECTIVE APPRAISAL OF MUSIC: NEUROIMAGING EVIDENCE.<br />

THE NEUROSCIENCES AND MUSIC III: DISORDERS AND PLASTICITY, 1169, 308-317.<br />

CALVO-MERINO, B., JOLA, C., GLASER, D. E., & HAGGARD, P. (2008). TOWARDS A SENSORIMOTOR<br />

AESTHETICS OF PERFORMING ART. CONSCIOUSNESS AND COGNITION, 17, 911-922.<br />

LEDER, H. (2001). DETERMINANTS OF PREFERENCE: WHEN DO WE LIKE WHAT WE KNOW? EMPIRICAL<br />

STUDIES OF THE ARTS, 19(2), 201-211.<br />

LEDER, H., BELKE, B., OEBERST, A., & AUGUSTIN, M. D. (2004). A MODEL OF AESTHETIC APPRECIATION<br />

AND AESTHETIC JUDGMENTS. BRITISH JOURNAL OF PSYCHOLOGY, 95, 489–508.<br />

MEDVED, M. I., CUPCHIK, G. C., & OATLEY, K. (2004). INTERPRETATIVE MEMORIES OF ARTWORKS.<br />

MEMORY, 12(1), 119-128.<br />

NADAL, M., MARTY, G., & MUNAR, E. (2006). THE SEARCH FOR OBJECTIVE MEASURES OF AESTHETIC<br />

JUDGMENT: THE CASE OF MEMORY TRACES. EMPIRICAL STUDIES OF THE ARTS, 24(1), 95-<br />

106.<br />

ROOSE, H. (2008). MANY-VOICED OR UNISONO? AN INQUIRY INTO MOTIVES FOR ATTENDANCE AND<br />

AESTHETIC DISPOSITIONS OF THE AUDIENCE ATTENDING CLASSICAL CONCERTS. ACTA<br />

SOCIOLOGICA, 51(3), 237-253.<br />

ZAJONC, R. B. (1968). ATTITUDINAL EFFECTS OF MERE EXPOSURE. JOURNAL OF PERSONALITY AND<br />

SOCIAL PSYCHOLOGY, 9(2), 1-27.<br />

7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!