28.06.2013 Aufrufe

Sprechakt

Sprechakt

Sprechakt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6. SPRECHAKT<br />

Sprachpragmatik (Gergely Pethő), Universität Freiburg, 18. 01. 2005.<br />

I. Äußerungen als Handlungen<br />

Äußerungen sind Handlungen, die durch sprachliche Mittel realisiert werden.<br />

Sie werden ähnlich beurteilt, wie Handlungen anderer Art, sie können bestimmte<br />

Auswirkungen haben.<br />

Unterlassen einer Handlung<br />

Bedingungen für den Handlungscharakter:<br />

1. Intentionalität<br />

2. Fähigkeit/Möglichkeit der Ausführung der Handlung<br />

Die <strong>Sprechakt</strong>theorie untersucht die Frage, was die Beziehung zwischen Äußerungen<br />

einer bestimmten sprachlichen-grammatischen Form und den Typen von sprachlichen<br />

Handlungen ist.<br />

Zuordnung von grammatischen Strukturen zu <strong>Sprechakt</strong>typen<br />

(1) Du bist nicht nett zu mir gewesen.<br />

Wie kann der Hörer auf der Grundlage seines Wissens (z.B. über die<br />

Kommunikationssituation) eine Äußerung als einen <strong>Sprechakt</strong> eines bestimmten Typs<br />

interpretieren?<br />

II. Definition des <strong>Sprechakt</strong>s<br />

<strong>Sprechakt</strong>theorie von Austin (Sprache als Handlung) und Searle<br />

Searle führte als eine grundlegende Einheit der Analyse der Sprache den Begriff des<br />

<strong>Sprechakt</strong>s ein.<br />

<strong>Sprechakt</strong>e bestehen nach Searle aus mindestens drei Teilen:<br />

1. Äußerungsakt: Äußerung von Wörtern<br />

2. propositionaler Akt: Referenz und Prädikation<br />

3. illokutionärer Akt: Behaupten, Fragen, Befehlen usw.<br />

4. perlokutionärer Akt: was durch die sprachliche Handlung bezweckt wird<br />

(2) Fritz raucht Pfeife.<br />

(3) Raucht Fritz Pfeife?<br />

(4) Übrigens, Fritz raucht Pfeife.<br />

(5) Hallo! / Hurra!


Die illokutionären Akte werden durch sog. illokutionäre Indikatoren markiert.<br />

Performative Verben sind Verben, die einen illokutionären Akt bezeichnen, der gerade<br />

durch die Äußerung des Verbs ausgeführt wird, z.B.:<br />

(6) Ich verspreche dir, pünktlich zu sein.<br />

(Verb in 1. Person Präs. Aktiv Indikativ)<br />

(7) Sie verspricht dir, pünktlich zu sein.<br />

Weitere illokutionäre Indikatoren:<br />

(8) Mach die Tür zu!<br />

(9) Man beachtet Steffi.<br />

(10) Man beachte Steffi.<br />

(11) Du darfst kommen.<br />

(12) Du musst kommen.<br />

(13) Rebecca kommt leider/hoffentlich.<br />

(14) Ich bedauere, dass Rebecca kommt.<br />

(15) Komm nach Hause.<br />

(16) Komm ja nach Hause.<br />

(17) Komm bitte nach Hause.<br />

(18) Du kommst bitte nach Hause.<br />

III. Bedingungen und Regeln von illokutionären Akten<br />

Jeder illokutionäre Akt unterliegt bestimmten Bedingungen, die zum Teil davon<br />

abhängig sind, um was für einen illokutionären Akt es sich jeweils handelt:<br />

Glückensbedingungen.<br />

Beispiel: Versprechen<br />

[Sprecher S, Hörer H, Satz T, propositionaler Gehalt (des Versprechens) p]<br />

Es handelt sich bei einer Äußerung um ein Versprechen (dass p) genau dann, wenn die<br />

folgenden Bedingungen erfüllt sind:<br />

1. Normale Eingabe- und Ausgabebedingungen sind gegeben.<br />

Bedingungen des propositionalen Gehalts:<br />

2. In der Äußerung von T drückt S die Proposition aus, dass p<br />

3. Indem S ausdrückt, dass p, sagt S einen zukünftigen Akt A von S aus<br />

Einleitungsbedingungen:<br />

4. H sähe lieber S’ Ausführung von A als die Unterlassung von A, und S glaubt, dass<br />

das so ist.


5. Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, dass S bei normalem Verlauf<br />

der Ereignisse A ausführen wird.<br />

Aufrichtigkeitsbedingung:<br />

6. S beabsichtigt, A zu tun.<br />

Wesentliche Bedingung:<br />

7. Es liegt in der Absicht von S, sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A<br />

zu verpflichten.<br />

8. S beabsichtigt, die Erkenntnis bei H zu bewirken, dass die Äußerung von T eine<br />

Übernahme der Verpflichtung zur Ausführung von A anzusehen ist. S beabsichtigt<br />

ferner, dass H diese erstere Absicht erkennt, aufgrund seiner Kenntnis der Bedeutung<br />

von T.<br />

9. Die semantischen Regeln des Dialekts, den S und H sprechen, sind von solcher<br />

Beschaffenheit, dass T korrekt und aufrichtig genau dann geäußert werden kann, wenn<br />

die Bedingungen erfüllt sind.<br />

Regeln für den Gebrauch des illokutionären Indikators beschreiben, wie man einen<br />

illokutionären Akt eines bestimmten Typs versprachlicht.<br />

(19) Du kriegst von mir ein Tamagotchi zum Geburtstag.<br />

(20) A: Versprichst du, dass ich ein Tamagotchi bekomme?<br />

B: OK./Ich versprech’s dir.<br />

(21) A: Was kriege ich zum Geburtstag?<br />

B: Ein Tamagotchi.<br />

(22) Ich verspreche dir, dass du zum Geburtstag ein Tamagotchi bekommst.<br />

Die Bedingungen für die geglückte Handlung des Versprechens können mit den<br />

Regeln für die semantisch korrekte Verwendung des illokutionären Indikators (z.B. für<br />

das Versprechen) identifiziert werden.<br />

Regeln für den Gebrauch des illokutionären Indikators für das Versprechen:<br />

Wenn V ein Mittel ist, mit dem man Versprechen ausdrückt, gilt:<br />

1. Regel des propositionalen Gehalts:<br />

V darf nur im Zusammenhang eines Satzes oder Diskursabschnitts T geäußert<br />

werden, dessen Äußerung einen zukünftigen Akt A des Sprechers S prädiziert.<br />

2. Einleitungsregeln:<br />

a) V darf nur geäußert werden, wenn der Zuhörer H S’ Ausführung von A der<br />

Unterlassung von A vorziehen würde, und wenn S glaubt, dass das so ist.<br />

b) V darf nur geäußert werden, wenn es für S und H nicht offensichtlich ist,<br />

dass S bei normalem Verlauf der Ereignisse A tun wird.<br />

3. Aufrichtigkeitsregel:<br />

V darf nur geäußert werden, wenn S die Ausführung von A beabsichtigt.<br />

4. Wesentliche Regel:<br />

Die Äußerung von V gilt als Übernahme der Verpflichtung zur Ausführung von<br />

A


IV. Einige Probleme der <strong>Sprechakt</strong>theorie von Searle<br />

1. Aufgrund welcher Kriterien werden Eigenschaften eines <strong>Sprechakt</strong>s welchen<br />

Bedingungen zugeordnet?<br />

2. Die Erfüllung von gewissen Bedingungen ist offenbar wichtiger für einen <strong>Sprechakt</strong><br />

als die Erfüllung von anderen.<br />

3. Nicht alle genannten Eigenschaften von <strong>Sprechakt</strong>en sind bei jedem <strong>Sprechakt</strong>typ<br />

vorhanden.<br />

V. Klassifikation von <strong>Sprechakt</strong>en:<br />

Erfolgt auf der Grundlage von drei Eigenschaften:<br />

1. Natur der Regel des propositionalen Gehalts (Anpassungsrichtung oder<br />

Ausrichtung)<br />

2. Aufrichtigkeitsregel (durch den <strong>Sprechakt</strong> ausgedrückter psychischer Zustand<br />

des Sprechers)<br />

3. wesentliche Regel (illokutionärer Witz, illokutionäres Ziel)<br />

Searle unterscheidet fünf Typen von illokutionären Akten:<br />

1. Assertive<br />

behaupten, feststellen, andeuten, die Hypothese aufstellen, prophezeien<br />

Wesentliche Regel: Sprecher legt sich auf die Wahrheit einer Proposition fest.<br />

Psychischer Zustand: Glauben<br />

Anpassungsrichtung: Wort an Welt<br />

2. Direktive<br />

auffordern, befehlen, bitten, anordnen, einladen<br />

Wesentliche Regel: Sprecher will Hörer verpflichten, etwas zu tun (zu handeln).<br />

Psychischer Zustand: Wunsch<br />

Anpassungsrichtung: Welt an Wort<br />

Searle rechnet auch die Fragen zu den Direktiven, da sie Aufforderungen sind, eine<br />

Antwort zu geben.<br />

3. Kommissive<br />

versprechen, geloben, drohen, vereinbaren, anbieten<br />

Wesentliche Regel: Sprecher verpflichtet sich zu einer zukünftigen Handlung<br />

Psychischer Zustand: Absicht<br />

Anpassungsrichtung: Welt an Wort<br />

4. Expressive<br />

danken, gratulieren, entschuldigen, willkommen heißen<br />

Wesentliche Regel: Sprecher bringt einen psychischen Zustand zum Ausdruck.<br />

Psychischer Zustand: verschieden<br />

Anpassungsrichtung: keine


5. Deklarationen<br />

exkommunizieren, zurücktreten, taufen, ernennen, Krieg erklären<br />

Wesentliche Regel: Durch die Äußerung einer Deklaration wird ein Zustand<br />

hergestellt.<br />

Psychischer Zustand: keiner<br />

Anpassungsrichtung: beide<br />

Wichtig: nicht die Verben selbst, sondern die illokutionären Akte werden klassifiziert.<br />

Eine weitere Klasse: Einstellungsbekundungen<br />

(23) Ich bedauere, dass du nicht kommen kannst.<br />

(24) Ich bezweifle, dass sie recht haben.<br />

(25) Ich möchte, dass du die Sache durchziehst.


VI. Aufgaben<br />

Satztypen:<br />

1. Prüfen Sie, ob es sich bei den folgenden Sätzen jeweils um einen Deklarativsatz, E-<br />

oder W-Interrogativsatz, Imperativsatz, Exklamativsatz oder Optativsatz handelt, und<br />

begründen Sie Ihre Entscheidung!<br />

(a) Schließ doch mal das Fenster!<br />

(b) Würdest du das Fenster schließen.<br />

(c) Ach, wäre das Fenster doch endlich zu!<br />

(d) Du sollst das Fenster schließen!<br />

(e) Warum ist das Fenster eigentlich auf?<br />

(f) Was für ein schönes Fenster das ist!<br />

(g) Wenn das Fenster doch zu wäre!<br />

<strong>Sprechakt</strong>e:<br />

2. Äußerungen wie (a/b) gelten im allgemeinen nicht als Versprechen:<br />

(a) Ich verspreche dir, dass du mir dafür büßen wirst.<br />

(b) Ich verspreche dir, ich war es wirklich nicht.<br />

Erläutern Sie, inwiefern dadurch ein Problem entsteht. Zeigen Sie anhand der<br />

Bedingungen/Regeln für das Versprechen, warum die Äußerungen (a/b) keine<br />

Versprechen sein können. Um welche <strong>Sprechakt</strong>e handelt es sich?<br />

3. Die folgenden Äußerungen sind Beispiele für Drohungen:<br />

(a) Wenn du das machst, hau ich dir eine.<br />

(b) Entweder du benimmst dich, oder du kannst gehen.<br />

(c) Noch so eine Bemerkung, und du fliegst raus.<br />

(d) Wehe, du lässt dich hier noch einmal blicken!<br />

(e) Wenn du keine runtergehauen haben willst, dann reiz mich nicht!<br />

(f) Komm ja nicht näher, sonst kannst du was erleben!<br />

(g) Das wird dir noch einmal leid tun!<br />

(h) Ich warne dich, komm mir nicht zu nah!<br />

(i) Lass dich noch EINMAL hier blicken!<br />

(j) Hat sonst noch jemand Lust auf eine Abreibung?<br />

Welche illokutionären Indikatoren für Drohungen enthalten diese Äußerungen?<br />

Welche Glückensbedingungen gelten für Drohungen?<br />

4. Betrachten Sie die folgenden Verben:<br />

sagen, lügen, antworten, vermuten, unterstellen, schwören, trösten, protestieren<br />

Prüfen Sie, ob diese Verben (a) eine Handlung bezeichnen, (v) ob sie eine sprachliche<br />

Handlung oder einen Aspekt davon bezeichnen, (c) ob sie eine eigene Illokution<br />

bezeichnen, (d) ob sie performativ verwendbar sind, (e) in welche <strong>Sprechakt</strong>klasse sie<br />

gegebenenfalls gehören.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!