Material - Peter Kern - Diagonale 2008

Material - Peter Kern - Diagonale 2008 Material - Peter Kern - Diagonale 2008

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#043 Mitleid Peter Kern, AT 2007, Digi-Beta, Farbe, 63 Minuten Nur kein Buch Peter Kern Kamera Gabriel Sandru Schnitt Thomas Hangweyer Ton Günter Bubbnik Musik M. Miros Kostüm Sibille Blau mit Patricia Hoffmann, Steven Mack u.a. Produzent Peter Kern Produktion, Vertrieb Kulturfabrik Austria Peter Kern. Geboren in 1949 Wien. Arbeitet als Schauspieler, Regisseur und Autor. Spielt ab 1973 in Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Hans-Jürgen Syberberg. Dreht seit 1980 auch eigene Spiel- und Dokumentarfilme Filme/Videos (Auswahl): Die toten Körper der Lebenden (2007), Donauleichen (2005), Haider lebt – 1. April 2021 (2002), Hamlet – This Is Your Family (2001), Suche nach dem Leben (1998), Knutschen, Kuscheln, Jubilieren (1998), Domenica (1993) DIAGONALE materialien Ungezähmt, unbezwungen. Eine Art Liebesbrief von Olaf Möller Kommen wir gleich zum Kern, zur Wesenheit, schaffen wir Klarheit - oder zumindest Diskutierbares -, Fakten, so wie er in seinen Filmen kein Bild, keinen Klang zu viel verwendet, und stets sagt, was zu sagen ist, ganz exakt und bar aller Ambivalenzen, dabei immer widerspruchsfreudig: Peter Kern, der vielleicht letzte proletarische auteur des deutschsprachigen Kinos wie sicherlich sein einziges veritables enfant terrible (ment douce et tendre), ist einer der wenigen österreichischen Filmemacher, die es Wert sind, Meister genannt zu werden. Gleich einem anderen solchen, Michael Pilz, hat er sich mittlerweile am Produktions- wie Distributionsrande einrichten müssen – im Gegensatz zu Pilz, aber, will er dort nicht verweilen – Kern ist ein möglicher Mainstream zu erkämpfender Morgende –, dafür sorgte eine beständig verspießernde Filmfinanzierungswelt, die Demokratie arg-plump mißversteht als Abfertigung einer Masse – deren prekäre Kraft wie schillernde Schönheit man so gleich auch mal pervertiert – statt als Verpflichtung der Vielen gegenüber den Belangen wie Bedürfnissen der Wenigen. Wenn Kern heute Filme für zusammengebettelte Mikro-Budgets macht – das war mal anders, damals in den späten 1980ern, frühen 1990ern –, dann deshalb, weil er sich von diesen Verhältnissen nicht unterkriegen lassen will: er wird weiter seine Filme machen, und sie werden Paradebeispiele dafür sein, wie Form und Gehalt, Mittel und Möglichkeiten den einen adäquat-gerechten Vielklang finden, und sie werden darin stets solidarisch sein mit den Geknechteten und Abgedrängten und Unterjochten, ihren Gefühlen und Sehnsüchten und Ängsten, von denen jenes berüchtigte ,man’ nichts wissen will, mit all den (Selbst)Ausbeutern der Liebe, den Verklemmten und den Seelenwaidwunden, den Strichern und den Nutten, ihren Zärtlichkeiten, und allen Schwulen und Lesben und Transen und selbst den Pädophilen, und dem Penner, der einfach versucht, durch den Tag zu kommen, und all den Flüchtigen, und all den Alten, den Sterbenden, und den vielleicht einst Wiederkehrenden. Sie sind die Dritte Welt unserer Gesellschaft, die Mehr-, die sich als Minderheit, und überhaupt als minder empfinden soll, darin der Kern des Negativen Potentials, mit dem mal ein Staat zu machen wäre. Peter Kern, Befreiungs-Filmemacher, wird seine Liebe zu ihnen – wie hart und widersprüchlich sie oft auch sein mag – zum Aus- 1

#043<br />

Mitleid<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong>, AT 2007, Digi-Beta, Farbe, 63 Minuten<br />

Nur<br />

kein<br />

Buch <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong> Kamera Gabriel Sandru Schnitt Thomas<br />

Hangweyer Ton Günter Bubbnik Musik M. Miros Kostüm<br />

Sibille Blau mit Patricia Hoffmann, Steven Mack u.a. Produzent<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong> Produktion, Vertrieb Kulturfabrik Austria<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong>. Geboren in 1949 Wien. Arbeitet als Schauspieler,<br />

Regisseur und Autor. Spielt ab 1973 in Filmen von Rainer<br />

Werner Fassbinder, Wim Wenders und Hans-Jürgen Syberberg.<br />

Dreht seit 1980 auch eigene Spiel- und Dokumentarfilme<br />

Filme/Videos (Auswahl): Die toten Körper der Lebenden<br />

(2007), Donauleichen (2005), Haider lebt – 1. April 2021<br />

(2002), Hamlet – This Is Your Family (2001), Suche nach dem<br />

Leben (1998), Knutschen, Kuscheln, Jubilieren (1998),<br />

Domenica (1993)<br />

DIAGONALE<br />

materialien<br />

Ungezähmt, unbezwungen.<br />

Eine Art Liebesbrief<br />

von Olaf Möller<br />

Kommen wir gleich zum <strong>Kern</strong>, zur Wesenheit, schaffen wir Klarheit<br />

- oder zumindest Diskutierbares -, Fakten, so wie er in seinen<br />

Filmen kein Bild, keinen Klang zu viel verwendet, und stets<br />

sagt, was zu sagen ist, ganz exakt und bar aller Ambivalenzen,<br />

dabei immer widerspruchsfreudig: <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong>, der vielleicht<br />

letzte proletarische auteur des deutschsprachigen Kinos wie<br />

sicherlich sein einziges veritables enfant terrible (ment douce et<br />

tendre), ist einer der wenigen österreichischen Filmemacher, die<br />

es Wert sind, Meister genannt zu werden.<br />

Gleich einem anderen solchen, Michael Pilz, hat er sich mittlerweile<br />

am Produktions- wie Distributionsrande einrichten müssen<br />

– im Gegensatz zu Pilz, aber, will er dort nicht verweilen – <strong>Kern</strong><br />

ist ein möglicher Mainstream zu erkämpfender Morgende –,<br />

dafür sorgte eine beständig verspießernde Filmfinanzierungswelt,<br />

die Demokratie arg-plump mißversteht als Abfertigung einer<br />

Masse – deren prekäre Kraft wie schillernde Schönheit man so<br />

gleich auch mal pervertiert – statt als Verpflichtung der Vielen<br />

gegenüber den Belangen wie Bedürfnissen der Wenigen. Wenn<br />

<strong>Kern</strong> heute Filme für zusammengebettelte Mikro-Budgets macht<br />

– das war mal anders, damals in den späten 1980ern,<br />

frühen 1990ern –, dann deshalb, weil er sich von diesen Verhältnissen<br />

nicht unterkriegen lassen will: er wird weiter seine Filme<br />

machen, und sie werden Paradebeispiele dafür sein, wie Form<br />

und Gehalt, Mittel und Möglichkeiten den einen adäquat-gerechten<br />

Vielklang finden, und sie werden darin stets solidarisch sein<br />

mit den Geknechteten und Abgedrängten und Unterjochten,<br />

ihren Gefühlen und Sehnsüchten und Ängsten, von denen jenes<br />

berüchtigte ,man’ nichts wissen will, mit all den (Selbst)Ausbeutern<br />

der Liebe, den Verklemmten und den Seelenwaidwunden,<br />

den Strichern und den Nutten, ihren Zärtlichkeiten, und allen<br />

Schwulen und Lesben und Transen und selbst den Pädophilen,<br />

und dem Penner, der einfach versucht, durch den Tag zu kommen,<br />

und all den Flüchtigen, und all den Alten, den Sterbenden,<br />

und den vielleicht einst Wiederkehrenden. Sie sind die Dritte<br />

Welt unserer Gesellschaft, die Mehr-, die sich als Minderheit,<br />

und überhaupt als minder empfinden soll, darin der <strong>Kern</strong> des<br />

Negativen Potentials, mit dem mal ein Staat zu machen wäre.<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong>, Befreiungs-Filmemacher, wird seine Liebe zu ihnen –<br />

wie hart und widersprüchlich sie oft auch sein mag – zum Aus-<br />

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druck bringen, und er wird die seelenverkrüppelnden Zwangsverhältnisse<br />

hier und jetzt – all die patriarchale, kapitalistische,<br />

klerikale Scheiße – so anprangern, wie er's am besten kann:<br />

mit dem aufklärerisch-ergreifenden melos der Übersteigerung,<br />

der sichtbar macht, was die falschen guten Sitten zu verschleiern<br />

trachten.<br />

Viele, auch/grad die Wohlwollenden, bezeichnen <strong>Kern</strong>s Kino<br />

als Trash -- womit sie zwar einerseits etwas schon ganz richtig<br />

spüren, offenbar aber nicht so recht glauben können oder<br />

wollen, was sie da spüren.<br />

Trash ist, wenn's allem guten Willen und aller prinzipiellen Kompetenz<br />

zum Trotz nicht klappt, unabhängig von den konkreteren<br />

Produktionsumständen: da wünschen sich Volker Schlöndorff<br />

und Aristide Massaccesi nicht nur eine Gute Nacht, sondern<br />

auch noch einen Guten Morgen... Trash ist, wenn's scheppert<br />

und kracht, wo nur ein sanftes Summen sein sollte, wenn nicht<br />

zusammenfindet, was zusammen gehört, wenn ‘was nicht paßt.<br />

Was es aber stets tut bei <strong>Kern</strong>, die Dinge entsprechen den<br />

Maßgaben seiner Kunst, verfügen sich zu einem Ganzen, das<br />

Festigkeit hat wie Luft, ganz harmonisch, und selbst gewisse<br />

Idiosynkrasien offenbaren sich bei genauerem Betrachten als<br />

allein kongenial, siehe etwa seine Freude daran, Musikstücke<br />

(fast; manchmal ein bißchen runtergemischt, dann wieder voll<br />

präsent) durchlaufen zu lassen, materialistisch im Gestus,<br />

eigentlich und ergo <strong>Kern</strong>konform; davon abgesehen haben die<br />

Melodien und Texte ein Eigenleben, dem zu folgen und das zu<br />

respektieren ist...<br />

Was man – ob nun bewußt oder unbewußt – meint, wenn man<br />

<strong>Kern</strong>s Filme als Trash bezeichnet, ist: daß sie in ihrer Haltung<br />

anti-bürgerlich, in ihrer Ästhetik – scheinbar widersinnigerweise<br />

– vom Glück am Kleinbürgerlichen geprägt, in ihrem Kunstselbstverständnis<br />

dabei – Gipfel allen Konformwidersinns –<br />

klassisch bürgerlich sind. Das scheint alles nicht zusammenzupassen<br />

-- da unterstellt man lieber erst mal Unvermögen statt<br />

eine Chance, vielleicht sogar eine Utopie.<br />

Trash murmelt man auch als Bannspruch wider die ernsthafte<br />

Aufrichtigkeit der Filme, versucht so, sie sich vom Leibe zu<br />

halten. <strong>Kern</strong>s Filme sind dabei völlig ironiefrei: sie sind oft sehr<br />

komisch, lustig, heiter, voller Scherz, Satire und Spott, doch<br />

selten nur sind sie ironisch -- da haben sie schon fast etwas<br />

Unzeitgemäßes, empfindet man doch heute, scheint's, Ironie als<br />

Basis allen Humors statt allein als eine Spielart. Die Ironie, nach<br />

der sich viele <strong>Kern</strong>wohlwollende mit ihren Trash-Umarmungen<br />

so heftig sehnen, soll jene Distanz schaffen, der sich die Filme<br />

selbst verweigern: <strong>Kern</strong> will einem an die Häute, alle, er will die<br />

Menschen berühren, ganz körperlich wie seelisch, er will ein<br />

Ende aller falschen Distanzen, er will Nähe, Inniglichkeit, Sorgsamkeit,<br />

und daß man nicht das eine sagen muß, wenn man<br />

etwas anderes meint -- <strong>Kern</strong> will einfach sagen, was er sagen,<br />

und zeigen, was er zeigen will, ganz einfach, eigentlich. Er meint<br />

denn auch die Schlager ernst in seinen Filmen, selbst wenn er<br />

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#043<br />

sie manchmal doof findet, aber ernst meint er sie trotzdem,<br />

und er meint den Flitter und den Tand ernst, und all den Nippes<br />

und die Rüschen, die Presspanplatten und den Plastik, die Blümchentapeten<br />

und die Dildos und die Stofftiere, jeden Dia- wie<br />

Soziolekt, jeden Affekt; und er meint seine Geschichten ernst,<br />

weswegen er sie stets als Geschichten zeigt und niemals so tut,<br />

als seien sie etwas anderes, doch das: Geschichten, sind sie, und<br />

als solche – Klärungen des Lebens, Wahrheiten eigener Art –<br />

sind sie ernst zu nehmen und zu lieben, so wie all die Menschen<br />

in seinem Schaffen, jeder einzelne, selbst die, wo's einen fassungslos<br />

zurückläßt, und davon gibt's schon einige.<br />

Dabei geht es immer um Dichte, Verdichtung der Ideen, die<br />

Bilder können gar nicht heftig genug aufeinander prallen, so<br />

wahnsinnig kann kein Film sein, daß er neben den ärgsten Normalitäten<br />

nicht irgendwo auch tröstlich wirkt. Und Trost ist gut,<br />

wenn er in einem selbst Räume aufreißt, vielleicht für den Zorn.<br />

Heulen ist da wichtig und lachen, ungebrochen, sich selbst ganz<br />

nah'; Dinge müssen raus, damit andere Platz haben.<br />

Bei seiner Suche nach Leben, Nähe, Wahrheit sind <strong>Kern</strong> alle<br />

kinematographischen Mittel recht: der große Grenzüberschreiter<br />

zwischen den etablierten Genres – auch da geben sich Pilz und<br />

er nur wenig – scheißt sich nix auf irgendwelche Reinheiten, der<br />

geht über Topoi und Tropen, Gesten und Regeln wenn's darum<br />

geht, den Dingen eine Form zu geben, die ihren Struppigkeiten<br />

entsprechen -- ob das dann Spiel- oder Dokumentar-, Wunschoder<br />

Wirklichkeitsfilm heißt, gehört ins Reich der Nebenwidersprüche,<br />

so lange nur alles in sich stimmt. Denn die <strong>Kern</strong>'sche<br />

Wahrheit ist bei aller Vielgestaltigkeit unteilbar.<br />

Olaf Möller lebt in Köln, schreibt über und zeigt Filme.


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Gekillt<br />

von <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong><br />

Was hat ein Sprung von der bei Selbstmördern beliebten Ganterbrücke<br />

im Wallis/Schweiz, mit der österreichischen Filmförderung<br />

zu tun?<br />

Steven Mack ist 23, lebensfroh und abenteuerlustig, liebt die<br />

Berge und auch den freien Flug. Der ultimative Kick ist ein Seil,<br />

das ihn nach dem Sprung in die Tiefe in eine waagrechte Bewegung<br />

schleudert. Ein Schwebezustand, nach dem freien Fall.<br />

Ich befinde mich auch vor einem Sprung in die Tiefe, ich erwarte<br />

einen Förderentscheid des Filmfonds Wien. Die blaue Gitarre<br />

soll im Herbst gedreht werden. Neun Drehbuchfassungen hat<br />

die Geschichte hinter sich, unzählige Beurteilungen von Dramaturgen<br />

und Produzenten. Eine Kölner Firma hat mir den Stoff<br />

über einen alten schwulen Mann anvertraut. Ein 17 jähriger Neonazi<br />

bricht bei ihm ein und versteckt sich vor der Polizei. Der<br />

Junge erinnert ihn an seinen Freund, den er in der Nazizeit, um<br />

sich zu retten, verraten musste. Zeit gegen das schleichende<br />

Geschwür rechter Jugendlicher in Wien hinzuweisen. Ein merkwürdiges<br />

rechtes Denken bildet sich wie ein Schleimteppich vor<br />

allem in den<br />

sozialen Brennpunkten in dieser selbstverliebten Operettenstadt.<br />

Ein Thema das sich durch mein Lebenswerk zieht. Verdeckte<br />

Schwule, einsame Krüppel, verdeckte rechte Gewalt, nicht nur<br />

im 10. Wiener Gemeindebezirk. Ein großes starkes Filmthema,<br />

mit Mario Adorf als alten Schwulen, Katharina Thalbach als<br />

Transsexuellen, Heinrich Schweiger als Alt-Nazi. Kult-Film wird<br />

der österreichische Partner und arbeitet hart. Alle Abteilungen,<br />

von der Besetzung bis zum Ausstatter und Kostümbildner,<br />

beschäftigen sich mit dem Stoff und erarbeiten aufwendige<br />

Konzepte, damit der Film kalkuliert werden kann. ÖFI hat einstimmig<br />

gefördert. Die erste große Hürde, die Finanzierung von<br />

2 Millionen Euro zu erreichen, ist genommen. Heute folgt die<br />

Entscheidung des Filmfonds.<br />

Ich fahre mit dem blinden Steven Mack, einer Hauptfigur meiner<br />

Dokumentation Nur kein Mitleid und meinem Team in den<br />

Wallis. „Ob Sommer oder Winter, hier erlebte ich den ultimativen<br />

Rausch“, erzählt er mit unbändiger Sehnsucht. Steven Mack<br />

stürzte sich 150 m tief hinab, dann riss das Seil, er fiel auf einen<br />

Baum und dann auf das Dach eines Hauses und landet mit<br />

dutzenden Brüchen in einem ausgetrockneten Flussbeet.<br />

Ich drehe in der Schweiz einen Film über eine Hundetherapeutin.<br />

Zweimal in der Woche besucht Patricia Hoffmann mit<br />

Hedda, ihrer Beagelhündin, in der Reha Klinik Bellikon den kranken<br />

Steven Mack. Der übt sich in der Wahrnehmung, streichelt<br />

den Hund und gibt Leckerli. Steven hat überlebt, lächelnd und<br />

mit viel Humor erzählt er von dutzenden Knochenbrüchen allein<br />

in seinem Gesicht. Auch sein Sehnerv wurde getroffen und hat<br />

das Augenlicht verloren. „Der Unfall hat mir zwar das Augenlicht<br />

genommen aber dafür zwei neue Augen geschenkt“. Steven<br />

spricht über seinen Unfall mit Dankbarkeit und ohne Schrecken.<br />

Er habe viele neue Freunde kennengelernt. Wir drehen in einer<br />

Kletterhalle und Steven schafft es bis ganz hinauf, er kennt jeden<br />

Schritt, er tastet sich in die Schwerelosigkeit. Die Belohnung ist<br />

dann der Fall mit dem Seil nach unten.<br />

Mein Handy läutet: „Der Filmfond hat mit der Begründung, es<br />

gibt keine Naziszene in Wien, und viele Szenen seien Klischee,<br />

das Projekt Die blaue Gitarre abgelehnt.“ Gezeichnet von dem<br />

Geschäftsführer, der noch vor zwei Monaten meinte, dass sei<br />

eines der interessanteren Projekte. Sämtliche Änderungswünsche<br />

wurden in weiteren drei Drehbuchfassungen berücksichtigt.<br />

Merkwürdig, die Förderungen haben Änderungswünsche und<br />

mischen sich in Inhalte. Der Wien-Effekt muss her.<br />

Ein Eingriff in einen künstlerischen Vorgang. Man stelle sich<br />

nur vor, das Gremium beurteilt eine Skulptur von Kokoschka<br />

und fordert Änderungswünsche. Jede Idee, jeder formulierte<br />

Gedanke ist eine Geburt und wird nur im Kopf des Künstlers/<br />

Filmemachers veredelt und vollendet. Es ist das fertige Werk das<br />

öffentliche Meinung bildet. Der Weg dorthin ist intim ständig in<br />

Veränderung, lebendig und eigen. Ein Drehbuch kann gut oder<br />

schlecht sein, dem fertigen Film wird es nie gerecht. Und jeder<br />

Mensch, dem man ein Thema vorgibt, der wird es anders umsetzen.<br />

Was in unseren Fördergremien passiert ist keine Gerechtigkeit,<br />

es ist die Vernichtung der freien Kunst, die Vernichtung<br />

einer Idee, eines Konzepts und eines großen Gefühls, das viele<br />

Beurteiler vielleicht in ihrem Leben noch nie zugelassen haben.<br />

Man will keinen <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong>-Film (der Dicke mit seinen ewig<br />

schwulen Themen), man will einen Gleichmacherfilm, <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong><br />

einmal kurz flachgebügelt. Der Autor Frank Maria Reifenberg hat<br />

meine Semidokumentation „Kuscheln Knutschen Jubilieren“<br />

gesehen und war so beeindruckt, dass er inspiriert von meinem<br />

Film, den Kinofilm Die blaue Gitarre erfand. Danach begann die<br />

Destruktion durch die öffentliche Hand, des Filmförderungssystems,<br />

dass sich trotz Oscar und Erfolge in Cannes, im süßlichen<br />

Dunst von Freunderl’n, Bürokraten, Marktschreiern, Kunstgewerblern<br />

und einer unsäglichen Filmpolitik in fast masochistischer<br />

Gleichgültigkeit im Fall ohne Ende gegenseitig auf die<br />

Schulter klopft. Man muss den Vorgang genau erzählen, sonst<br />

glaubt man es nicht.<br />

Kult-Film hatte Änderungswünsche, Stefan Seitz: „Also das<br />

Wort Arsch möchte ich nicht gerne in einen Film hören“. Wow,<br />

die wollen ein Remake von Der Himmel soll warten (mit Anne<br />

Rosar- der Film ist reserviert für meine Beerdigung) Unter dem<br />

Deckmantel, private Hilfe leisten zu wollen, drängen sich Förderungsanstalten<br />

mit ihren dramaturgischen Heilkräften in die<br />

Drehbücher, die zu fördern wären. Ich höre nur mehr und staune.<br />

Die Produktion teilt mir mit, dass der ORF mein Projekt nicht<br />

gefördert hat, es hieß hier „unter keinen Umständen“. Europas<br />

fortschrittlichste Anstalt fördert dafür Ein warmer Wiener geht<br />

nicht unter (falsch zitiert von P.K.). Die Produktion gibt das Dreh-<br />

3<br />

#043


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buch, in der neunten Fassung der Dramaturgin Ina Häußler.<br />

Sie schlachtet mich gleich auf vier Seiten Kommentar, „was für<br />

ein toller Plot, aber eine schlechte Ausführung“. Ich würde mir<br />

nie freiwillig einen Film von Frau Häußler ansehen. Sie verdient<br />

ihr Geld damit, sie will urteilen, verurteilen, zeigen wie es anders<br />

geht. Eine Spezialistin für den Einheitsbrei, Edellangeweiler,<br />

emotionslose Beziehungskisten humorlos und altbacken.<br />

„Wir bringen schließlich auch noch Geld“ meldet sich die Kölner<br />

Ko-Partner und besteht auf Änderungswünsche im Drehbuch.<br />

Und um sich vollkommen abzusichern, zeigt der Filmfond Wien<br />

Sensibilität.<br />

So teilt das Gremium mit, trotz Ablehnung, will man die von<br />

den Nazis vergasten Schwulen (ca. 100.000) unbedingt im Kino<br />

sehen. Aber Nazis heute, nein danke. Der Kulturdezernent Andi<br />

Mailath Pokorny (ich liebe Ihn) sagt die Errichtung einer Gedenkskulptur<br />

an die von den Nazis in Wien verfolgten Homosexuellen<br />

ab. Der Vorschlag des Künstlers Hans Kupelwieser ein großes<br />

Bassin mit rosa Grundfarbe am Morzinplatz zu bauen, fand nicht<br />

die Zustimmung des Stadtrates. Der Test der Farbe hält nicht<br />

was er verspricht, Rosa sei nicht zumutbar. Der Kulturstadtrat<br />

wird die Gedenkstätte neu ausschreiben. Österreich darf nicht<br />

rosa werden.<br />

18 Personen, Produzenten, Dramaturgen, Gremien denken sich<br />

einen anderen Film, nur keinen <strong>Peter</strong> <strong>Kern</strong> Film. Ich habe ein<br />

Anliegen, ich kämpfe bereits 4 Jahre für die Realisierung. Ich<br />

arbeite ohne Netz.<br />

Die Absage des Filmfonds Wien ist wie ein Sog in die Tiefe. Ich<br />

weine, ich schreie. Die Enttäuschung des Teams, der Schauspieler.<br />

Die Kosten der Hersteller, die mit jedem Film ins volle Risiko<br />

gehen und wieder ein Jahr lang für nichts gearbeitet haben.<br />

Kultfilm sagt per Email ab. Na ja, auch nicht die feine Art. Ich<br />

rufe meine Seelenmörder, den Filmfond an. Dort lässt man mich<br />

auflaufen – Herr Zawrel ist in einer Besprechung. 10-mal rufe<br />

ich an, will mich bedanken und leise vorsichtig und untertänig<br />

nachfragen was noch zu retten ist, weil doch das Gremium die<br />

Schwulen ehren will. Dann ein Anruf von Kultfilm: „<strong>Peter</strong>, bitte<br />

ruf nicht so oft beim Filmfond an, die können sich doch nicht<br />

mit jeder Ablehnung beschäftigen“.<br />

Steven Mack mit den zwei blinden neuen Augen wird mir immer<br />

verständlicher. Er braucht keine Filme mehr. Er sucht das<br />

Gespräch und das große Gefühl. Im Hintergrund die Schweizer<br />

Berge, groß die stampfenden suchenden Schritte Stevens im<br />

gefrorenem alten Schnee. Es ist alles so schön, so unheimlich<br />

und doch perfekt. Zu perfekt. Ich frage: „Was denkst du über die<br />

Ausländer in der Schweiz?“ Steven hebt die Stimme an und die<br />

Berge bringen sie in einem unerwarteten schrecklichen Hall<br />

zurück „ Ausländer stinken, sie sind alles Kriminelle, Blocher<br />

hat recht, sie schmieren sich das Deodorant unter die Arme,<br />

damit man nicht riecht, wie sie stinken.“ Hier war es nun das<br />

Geheimnis, das es immer wieder lohnt die Kette von Unzulänglichkeit<br />

zu zerreißen. Ich antworte nur: „Unser Kameramann ist<br />

Ausländer, er ist Rumäne“. Nur kein Mitleid.<br />

4<br />

#043<br />

Die Filmemacher in Österreich bleiben immer Ausländer.<br />

Längst wurde das Denken über Eintrittskartenabgabe, Künstlersozialversicherung<br />

mit Kommentaren wie „Es läuft doch, seid<br />

doch nicht so wehleidig“ abgetan. Tatsache ist, das die österr.<br />

Filmemacher durch die Unterfinanzierung ihrer Filme eine<br />

besondere Begabung bewiesen haben, überhaupt international<br />

präsent zu sein. Künstler sind Vordenker und das ehrenwerte<br />

Volk ist schon lange bereit die Reise in ein gerechteres Märchenland<br />

Austria mitzumachen. Aber in diesem Erzählungsprozess,<br />

wie es die großen internationalen Erfolge von Seidl,<br />

Haneke, Albert (u.v.a.) zeigen, fehlt das große Erzählkino. Daran<br />

ist die Politik schuld, die sich in Oscar-Würden sonnt und wahrlich<br />

keinen Beitrag und Sinn für die Filmkultur geleistet hat.<br />

Politiker haben Angst vor Künstlern. Denn Künstler beschreiben<br />

die Realität und ein Stück Wahrheit aus dem Leben. Die Regierenden<br />

stellen sich lieber auf die Seite der toten Kunst, dem<br />

Musealen. Kein Land der Welt gibt soviel Geld für Museen aus,<br />

wie Österreich. Frau Minister Schmied hat es in einer ehrlichen<br />

Stunde gesagt: „Den Film vom Oscar-Preisträger hab ich nur zur<br />

Hälfte auf DVD gesehen, aber ich möchte auch, dass Österreich<br />

die Welthauptstadt der Museen wird.“ Die Kultusministerin,<br />

vor einem Jahr noch mutig auf der <strong>Diagonale</strong> zwischen Ihren<br />

Antragstellern, hat viel versprochen und wenig verstanden. Die<br />

Designer sind am Werk, die Sessel im Büro der Frau Minister<br />

sind so bunt wie Papageien und warnen die Bittsteller darauf<br />

Platz zu nehmen. „Vorsicht bunter Vogel, nicht ernst zu nehmen“.<br />

Die schöne Frau Minister ist mir noch in Erinnerung mit<br />

dem bedeutenden Satz. „Die Künstler brauchen nicht zu mir zu<br />

kommen, ich komme zu ihnen“ Wir haben nicht zu schimpfen,<br />

niemand soll und muss sich entschuldigen, keiner ist eifersüchtig<br />

auf den anderen, wird sind alle die missratenen Kinder einer<br />

untergehenden Alpenlandschaft, wir haben nichts und das ist<br />

viel in diesen Zeiten. Und wer glaubt, dass Frau Ringler von den<br />

Grünen etwas von Kultur versteht, wird genau so enttäuscht<br />

wie von den Totengräbern des österreichischen Films den Frank<br />

Morak und Andi Mailth Pokorny. Es gibt kein Tribunal in der<br />

Kunst liebe Kulturpolitiker und Gremiendeuter. Gemeinsam und<br />

großzügig im Denken fordere ich die historische Wende: Tröstet<br />

uns nicht, protzt nicht mit Mittelmäßigkeit an der Macht. Es ist<br />

Zeit dem Volk das große Kinoerlebnis, dass sich mit ihrem<br />

Leben beschäftigt, zurückzugeben. Neben neuen Finanzierungsquellen<br />

sollten die Mittel von Filmfond und ÖFI und BKA verdoppelt<br />

werden. Wer die Filmemacher, die Kunst überhaupt, enttäuscht,<br />

wird schnell vergehen. Steven: „Ich habe einen perversen<br />

Wunsch. Ich möchte auf einen Knopf drücken und alle Menschen<br />

sterben, nur die Natur bleibt zurück.“ Und die Museen.<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Impressum: DIAGONALE – Forum österreichischer Film<br />

Rauhensteingasse 5/5, A-1010 Wien, Tel. +43-1-595 45 56<br />

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