Material - We Light the Night - Diagonale 2008
Material - We Light the Night - Diagonale 2008
Material - We Light the Night - Diagonale 2008
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#042<br />
Sarajevos Rosen<br />
Gloria Dürnberger, Gregor Grkinic,<br />
AT 2007, Digi-Beta, Farbe, 45 Minuten, OmdU<br />
Somewhere else<br />
Barbara Albert, AT 1997, Beta SP, Farbe, 60 Minuten<br />
Liebe Ljiljana Draga Ljiljana<br />
Nina Kusturicat, AT 2000, 16mm, Farbe, 31 Minuten, OmdU<br />
Personale Jasmila Zˇbanić<br />
<strong>We</strong> <strong>Light</strong> <strong>the</strong> <strong>Night</strong><br />
BA 1998, 16mm, color, 14 minutes, OmeU<br />
Red Rubber Boots Crvene gumene čizme<br />
BA 2000, 35mm, color, 18 minutes OmeU<br />
To & Fro Nazad, naprijed<br />
BA 2002, 35mm, color, 10 minutes, OmeU<br />
Images from <strong>the</strong> Corner Slike sa ugla<br />
BA 2003, Beta SP, color, 39 minutes, OmeU<br />
After, After Poslije, Poslije<br />
BA 1997, Beta SP, color, 16 minutes, OmeU<br />
Birthday<br />
BA 2005, 35mm, color, 15 minutes, OmeU<br />
A builder’s diary<br />
BA 2007, Digi-Beta, color, 40 minutes, OmeU<br />
Grbavica<br />
AT/BA/DE/HR 2005, 35mm, color, 92 minutes,<br />
Produktion: Atelier Varan<br />
Day of Youth Dan Mladosti<br />
Jelena Jovčić, RS 2006, Beta SP, color, 43 minutes, OmeU<br />
Ten Years Later Deset Godina Kasnije<br />
Marija Asanović, RS 2006, Beta SP, color, 15 minutes, OmeU<br />
Simo of Montenegro Simo od Crne Gore<br />
David Solomon, RS 2005, Beta SP, colour and b/w,<br />
43 minutes, OmeU<br />
<strong>We</strong> <strong>Light</strong> <strong>the</strong> <strong>Night</strong> –<br />
Filme nach dem Krieg<br />
von Daniela Ingruber<br />
Der andere Blick auf den Krieg<br />
DIAGONALE<br />
materialien<br />
Die ersten Bilder in Jasmila Zˇbanić’ Dokumentarfilm After, After<br />
(1997) schwenken über zerbombte Wohnblocks und Gräber, die<br />
wie behelfsmäßig mitten in der Stadt liegen. Bis der Blick bei<br />
einer Schule hängen bleibt. Nichts unterscheidet die Kinder in<br />
Sarajevo äußerlich von jenen, die das Privileg hatten keinen<br />
Krieg erleben zu müssen. Sie lachen, kreischen, laufen, blinzeln<br />
manchmal verstohlen in die Kamera oder inszenieren eine<br />
Rauferei. Doch bereits in den ersten Sekunden eines Gesprächs<br />
mit der siebenjährigen Belma Katica zeigt der Krieg seine grausame<br />
Fratze: eine verlorene Kindheit, für die man keine Lösung<br />
parat hält.<br />
Belma verweigert sich der Neugierde des Betrachtens. Ihre<br />
Geschichte müssen andere erzählen. Selbst die Frage, was sie<br />
sich wünschen würde, wenn sie sich alles wünschen dürfte,<br />
geht ins Leere: „Nichts“, sagt sie nach langem Schweigen.<br />
„Wirklich?“ „Wirklich.“ Und wieder wendet sich ihr Blick ab.<br />
So ist es weniger die Erinnerung an den Krieg selbst, die uns<br />
verzweifelt zurück lässt. Eher ist es die Frage, wie all das im<br />
Namen des Hasses möglich gewesen sein kann; und wie man<br />
nach Kriegsende mit ihm umgehen soll, da er nicht (mehr) a<br />
usgesprochen werden darf. Die Toten können vorgeführt und<br />
beweint werden, die Wunden zumindest verbunden und die<br />
baulichen Zerstörungen beseitigt. Doch wie kann man mit dem<br />
Wissen um den Hass umgehen, ohne ihn neu zu schüren oder<br />
selbst daran zu zerbrechen?<br />
Darin liegt auch eine filmische Herausforderung.<br />
Die Nacht erhellen<br />
Die SchülerInnen in After, After sprechen von ihrer Angst vor<br />
der Dunkelheit, vor den Gefahren der Nacht. Mitten in ihren<br />
Aufzählungen, wen sie sterben sahen oder verloren haben, ist<br />
ihre gegenwärtige Angst vor dem Dunkel am beunruhigendsten.<br />
Das Motiv zieht sich durch bis zu Jasmila Zˇbanić’ nächstem<br />
Film, <strong>We</strong> light <strong>the</strong> <strong>Night</strong> (1998), in dem zwei Brüder von der<br />
Bedeutung des Lichts nach dem Krieg sprechen. Sie drehen<br />
einen Film über die unterschiedlichen Bedeutungen von Licht<br />
und Dunkelheit, Frieden und Krieg. Die Erinnerung an den aus-<br />
1
www.diagonale.at/materialien<br />
Sarajevos Rosen Red Rubber Boots<br />
gelassenen Moment, als nach Kriegsende zum ersten Mal die<br />
Straßenbeleuchtung eingeschaltet wurde. Daran denkt man<br />
nicht, wenn man in Österreich, so nahe und doch so fern von<br />
den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien lebt.<br />
Die <strong>Diagonale</strong> 08 nimmt den Filmtitel zum Motto einer Filmreihe:<br />
„<strong>We</strong> <strong>Light</strong> <strong>the</strong> <strong>Night</strong>“. Was im Krieg die Bomben tun,<br />
jenes Aufblitzen in der Nacht, versuchen auf ganz andere Art<br />
auch die Menschen: der Dunkelheit zu entkommen. Zu leicht<br />
gerät in Vergessenheit, dass „nach dem Krieg“ nicht immer<br />
die späten 1940er Jahre meint, sondern auch die Gegenwart<br />
in Österreichs Nachbarschaft. Was für die <strong>Diagonale</strong> 08 als Personale<br />
Jasmila Zˇbanić begann, wurde zum Special von Nachkriegsfilmen<br />
zum ehemaligen Jugoslawien. Die unterschiedlichen<br />
filmischen Ansätze setzen sich mit dem Blick auf den<br />
Alltag auseinander, ohne sich jemals auf das Niveau jener<br />
Filme zu begeben, die den Krieg nur als Schilderung des Soldatenlebens<br />
und von vermeintlich heroischen Schlachten und<br />
Bombenabwürfen kennen.<br />
<strong>We</strong>ibliche Realitäten statt Schlachten<br />
Das Leben nach dem Krieg bedeutet immer Suche; auch die,<br />
einen eigenen <strong>We</strong>g zu finden. Frauen ist das auf viele Arten<br />
versagt, da sie in Kriegen zu viele Rollen zu spielen haben, die<br />
anschließend unbenannt bleiben. Filme spiegeln nur selten die<br />
weibliche Realität zwischen Opfer, Täterin, Hausfrau und letzter<br />
Organisatorin des Lebens im Krieg wieder. Im männlich dominierten<br />
Kriegsfilm scheint wenig Platz für Frauen als handelnde<br />
Personen zu sein. Sie bleiben ebenso unsichtbar wie in Denkmälern,<br />
Opferlisten oder in der Kriegsliteratur. Ihr Auftritt wird<br />
häufig als jener der hilflosen Opfer oder als soldatesker Zeitvertreib<br />
inszeniert.<br />
2<br />
Die Bosnierin Jasmila Zˇbanić geht seit Jahren einen anderen<br />
<strong>We</strong>g. Sie zeigt in ihren Filmen vor allem Frauen nach dem Krieg.<br />
Sie erzählt jene vermeintlich kleinen Geschichten, die ansonsten<br />
in Vergessenheit geraten könnten. Immer wieder handeln ihre<br />
Filme von Nachforschungen – in einem Leben nach dem Krieg.<br />
Die Suche nach den Verschwundenen. Aber immer auch die<br />
Suche nach dem Ich der Protagonistinnen – gleichgültig, ob es<br />
sich um einen Spiel- oder Dokumentarfilm handelt. Der Krieg<br />
hinterlässt vor allem Ungewissheiten. Der Tod scheint leichter<br />
zu akzeptieren, wenn er Gewissheit ist. Das gilt ganz besonders<br />
für einen gewalttätigen Tod. Die Unwissenheit, die Hoffnung in<br />
sich trägt, ist meist schmerzvoller. So unlogisch tragisch das<br />
erscheinen mag, so deutlich wird es in den Filmen von Jasmila<br />
Zˇbanić. Etwa in Red Rubber Boots (2000), wo eine Frau von<br />
Massengrab zu Massengrab reist, um nach ihrem Mann und<br />
ihren beiden Kindern zu suchen. Sie weiß, dass alle drei tot sind.<br />
Dennoch fürchtet sie sich vor dem Moment, in dem es ihr<br />
bewiesen wird. Ein Beweis, das könnten die roten Gummistiefel<br />
ihres Sohnes sein. Als Zuschauerin bleibt man hin- und hergerissen<br />
zwischen dem Hoffen, dass die Kinder vielleicht doch<br />
noch leben, und dem Ahnen, dass es eine Erleichterung wäre,<br />
wenn die Gummistiefel endlich auftauchten.<br />
Zu viele Bilder ohne Bedeutung<br />
#042<br />
Nebojsˇa Jovanović schrieb über Jasmila Zˇbanić, dass sie zu<br />
jenen gehöre, die bereits „gefunden“ hätten. Vielleicht liegt das<br />
an ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Suchen. <strong>We</strong>nn<br />
die Filmemacherin in ihren Dokumentarfilmen selbst im Bild<br />
auftaucht, wirkt das nie nach Selbstinszenierung, sondern erhält<br />
Bedeutung durch ihr konzentriertes Zuhören und Nachfragen.<br />
Ein Erkenntnisinteresse, das sich durch ihre Arbeiten zieht.<br />
Es könnte sein, dass der Krieg so ein wenig (be)greifbarer wird.<br />
Auch für den Blick der BeobachterInnen: <strong>We</strong>nn wir in Images
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Grabavica Ten Years Later<br />
from <strong>the</strong> Corner (2003) die Regisseurin durch die Straßen Sarajevos<br />
begleiten, wo sie die Geschichte einer entfernt Bekannten<br />
erzählt, die im Krieg verwundet wurde und der herbeieilende<br />
Fotograph drei Filmmagazine leer schoss, anstatt ihr zu helfen.<br />
Oder wenn Zˇbanić’ Team für diesen Dokumentarfilm die Kamera<br />
hob und dabei dem Misstrauen der Menschen begegnete. Zu oft<br />
hatten internationale Kriegsberichterstatter die Opfer zu Bildern<br />
inszeniert, die am nächsten Tag vergessen waren. So nimmt sie<br />
sich die Zeit, die Kamera auf den Ort des Geschehens zu richten<br />
und drei Filmspulen lang Fotos von jenem Ort der Verwundung<br />
zu machen, wie es damals der Fotograph tat. Diesmal bleibt die<br />
Kamera nicht teilnahmslos, auch wenn der Ort leer ist.<br />
Erst das Beispiel verdeutlicht die Endlosigkeit dieser Zeitspanne<br />
und die Scham, die man über die Bilder empfinden könnte, die<br />
man in den Zeitungen beinahe achtlos überblättert. Jasmila<br />
Zˇbanić spricht es aus: „<strong>We</strong>nn der Krieg weiterzieht an andere<br />
Orte, tun es auch die Kriegsberichterstatter und Fotographen.<br />
Wir bleiben zurück mit unseren Bildern.“<br />
Sie selbst kann ohne Kriegsbilder in ihren Filmen auskommen<br />
und erzählt stattdessen Geschichten; von den Menschen im und<br />
nach dem Krieg. Sie dürfen dabei jeweils Handelnde und über<br />
sich Entscheidende bleiben; bis hin zur Aufdeckung von Tabus.<br />
Zˇbanić’ Spielfilmdebut Grbavica (2005), ausgezeichnet mit dem<br />
Goldenen Bären, griff gleich mehrere davon auf: Dass zumindest<br />
eine Zeit lang über die vergewaltigten Frauen in Bosnien gesprochen<br />
wurde, über die Leere und – zumindest wirtschaftliche –<br />
Ausweglosigkeit im Leben nach dem Krieg, konfrontierte sowohl<br />
die bosnische Gesellschaft als auch die internationalen Beobachter<br />
mit der Realität von zahlreichen Lügen in der Nachkriegsgesellschaft.<br />
Jugendliche durften oder mussten erfahren, dass<br />
ihre Väter nicht Helden sondern Vergewaltiger waren.<br />
Aber wenigstens konnte endlich darüber geredet werden.<br />
Die Behutsamkeit, mit der dieses Thema dargestellt wird, zeigt,<br />
was ein Kriegsfilm sein kann: eine Aufforderung zum Sprechen,<br />
eine Auseinandersetzung, die zugleich Liebeserklärung an die<br />
Menschen ist. Nicht Spezialeffekte sondern der Wille zum Verständnis<br />
steht im Mittelpunkt. Und dass im Film die reflektierenden<br />
Bilder durchaus stärker sind als jene, die den Krieg nachahmen.<br />
Jasmila Zˇbanić tut letzteres in keiner ihrer Arbeiten; selbst<br />
in ihren Spielfilmen nicht, auch wenn diese von den Erfahrungen<br />
der Wirklichkeit inspiriert werden, wie To & Fro (2002), der<br />
Geschichte eines Mädchens, das nach dem Krieg von Deutschland<br />
nach Bosnien zurück kehrt und als einzige ihrer Familie<br />
keine Heimat wieder erkennt, weil sie dort nie eine hatte.<br />
Freundschaften über Grenzen hinweg<br />
Einige dieser Filme sind mit österreichischer Beteiligung und<br />
Mitarbeit – mehr als das: in Freundschaft über politische Grenzen<br />
hinweg – entstanden. Zˇbanić nennt das „Schicksal“ aber<br />
auch „gegenseitige Solidarität“ . Aus einem ersten zufälligen<br />
Treffen entstand Zusammenarbeit. Gleich zu Beginn Barbara<br />
Alberts Film Somewhere Else (1997), der vier junge Menschen<br />
durch die Straßen Sarajevos begleitet, während sie von ihren<br />
persönlichen Ansichten und Erfahrungen aus dem Krieg erzählen.<br />
Kein lauter Film, der über die Geschichte hinweg poltert, sondern<br />
ein Zuhören auch hier. Jasmila Zˇbanić diesmal als eine der ProtagonistInnen,<br />
darauf bedacht zu erklären und zu verdeutlichen.<br />
Vier Geschichten, in ganz unterschiedlicher Erzählweise, und eine<br />
österreichische Filmemacherin, die sich selbst einbeziehen muss,<br />
um nicht zur Voyeurin zu werden.<br />
Dieses Einbeziehen der eigenen Erzählung stellt eines der verbindenden<br />
Elemente der bei der <strong>Diagonale</strong> gezeigten Nachkriegsfilme<br />
dar. Eine Verdoppelung ergibt das in Liebe Liljana (2000).<br />
Die Filmemacherin Nina Kusturica, selbst in Bosnien-Herzego-<br />
3<br />
#042
www.diagonale.at/materialien<br />
wina geboren und aufgewachsen, kehrt Jahre nach der Flucht<br />
für die Dreharbeiten in ihre ehemalige Heimat zurück und fragt<br />
Menschen, die ihr begegnen, nach dem, was Heimat ist, was sie<br />
bedeutet, nach dem Krieg, nach der Flucht, nach der Rückkehr.<br />
Zuweilen fällt die Stille auf, die in den Bildern verborgen ist.<br />
<strong>We</strong>nn die Kamera dem folgt, was die Augen nach dem Krieg<br />
suchen. Etwas zwischen Erklärung für den Krieg und Leitfaden<br />
für die Gegenwart. Liebe Liljana beginnt als Brief an eine ehemalige<br />
Freundin. Auch hier die Suche nach im Krieg verlorenen<br />
Menschen; aber diesmal steckt dahinter die Frage, ob „zu<br />
hause“ wirklich überall sein kann. Einer der GesprächspartnerInnen<br />
sagt, Heimat sei stets Betrug. Die Kamera aber sucht<br />
weiter, während der Offtext irgendwann vom Wiedersehen in<br />
der Zukunft und von „zu hause“ spricht, ohne einen Ort dafür<br />
nennen zu müssen.<br />
Blick auf den Krieg, heute<br />
Die Frage nach dem Krieg lässt sich auch umgekehrt stellen:<br />
Eine Österreicherin, Gloria Dürnberger, erinnert sich an die<br />
Bilder aus dem Bosnienkrieg, die sie als Kind im Fernsehen sah.<br />
Im Jahr 2007 macht sie sich auf den <strong>We</strong>g, um im Nachkriegs-<br />
Sarajevo Antworten auf ihre damaligen und neu entstandenen<br />
Fragen zum Krieg zu finden. Auch sie räumt ihren GesprächspartnerInnen<br />
in Sarajevos Rosen (2007) viel Raum ein, kommentiert<br />
nicht, lässt ihre Erzählungen stehen neben den eigenen<br />
Gedanken. Die Gesprächs<strong>the</strong>men und Bilder ähneln jenen, die<br />
wir bei Jasmila Zˇbanić, Barbara Albert und Nina Kusturica verfolgen<br />
konnten. Noch immer Aufräumarbeiten. Bloß die Autos<br />
sehen moderner aus, die baulichen Spuren – das <strong>the</strong>matisiert<br />
der Film auch – sind teilweise verschwunden. Und die Menschen<br />
sprechen von der Angst vor dem Morgen, davon, dass sie<br />
manchmal nicht weiter wissen. Diese Sätze hörten wir in den<br />
Filmen aus den Jahren zuvor seltener. Viele der damaligen Hoffnungen<br />
haben sich nicht erfüllt. Hier schließt sich der Kreis zu<br />
Grbavica, zu einem Leben, das zwar nach dem Krieg stattfindet<br />
aber noch immer von diesem geprägt geblieben ist.<br />
Ein ehemaliger Kommandant sagt über Krieg: „<strong>We</strong>nn ich<br />
könnte, würde ich dieses Wort aus dem Leben und aus dem<br />
Wortschatz aller zivilisierten Menschen löschen. Dieses Wort<br />
braucht niemand.“<br />
Die Offstimme spricht daraufhin von Frieden. Und kehrt zurück<br />
zu eigenen Gedanken. So ist die Auseinandersetzung mit Krieg<br />
stets die mit sich selbst. Nur ganz wenige der Interviewten<br />
durchbrechen das kurzfristig und berichten, damit berichtet<br />
wird. Wie ein junger Mann in Images from <strong>the</strong> Corner, der von<br />
den tausenden ermordeten bosnischen Moslems spricht. Der<br />
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Kameraschwenk folgt seinem Finger, wenn er auf eine Halle<br />
deutet und sagt: „Dort wurden sie ermordet“. Die tradierte<br />
Erzählung erhält hier ihren Ausgangspunkt und bedeutet zuviel,<br />
um das Ausmaß zu erfassen: Vor der Halle, die mitten im<br />
Grünen steht, spazieren zwei Frauen. Sie wissen nicht, dass<br />
durch die Erzählung gerade in diesem Moment die Zeit kurz<br />
angehalten wird.<br />
Der Krieg hat auch eine andere Seite: Nicht ausschließlich die<br />
Menschen in Bosnien litten unter dem Krieg. Auch die BewohnerInnen<br />
Serbiens waren ihm ausgeliefert. Das zeigen andere<br />
Filme. Im Jahr 2004 hielt das Pariser Atelier Varan ein mehrmonatiges<br />
Filmseminar in Belgrad, bei dem elf Filme entstanden.<br />
Drei davon, Day of Youth (2006), Simo of Montenegro<br />
(2005) und Ten years later (2006) sind bei der <strong>Diagonale</strong> 08<br />
zu Gast und erweitern, ebenso wie einige Filme aus dem Dialog<br />
mit dem Sarajevo Film Festival die Blicke auf den Krieg in<br />
Ex-Jugoslawien. Das Leben nach dem Krieg bleibt lange genau<br />
das: unveränderlich der Vergangenheit ausgeliefert, während<br />
die Perspektive nach vorne gerichtet wird.<br />
Es ist wahrscheinlich, dass die Gesam<strong>the</strong>it dieser Filme die<br />
Neugier weckt, selbst mehr über den Krieg zu erfahren. Nochmals<br />
nachzuforschen, noch einmal über die vermittelten Bilder<br />
der Vergangenheit nachzudenken. Jeder dieser Gedanken wird<br />
die ZuschauerInnen auf sich selbst zurückwerfen. <strong>We</strong>il Krieg<br />
nicht anders fassbar ist als in der eigenen Positionierung ihm<br />
gegenüber.<br />
Genau das versuchen all die Filme von „<strong>We</strong> light <strong>the</strong> <strong>Night</strong>“. Und<br />
genau das können sie nur ansatzweise, weil sich der Krieg im<br />
Film nur anreißen lässt, nicht bewältigen. Aber schon ersteres<br />
ist eine Notwendigkeit und macht jeden der Filme wesentlich.<br />
Was den BetrachterInnen im Gedächtnis bleibt, wird je nach<br />
eigener Erfahrung Unterschiedliches sein.<br />
In Erinnerung bleiben könnten die Augen der Kinder in After,<br />
After. Ein Schüler sagte als einziger: „Ich war nicht dort, im<br />
Krieg“. Nur seine Augen sind die eines Kindes geblieben, nicht<br />
nur für diesen Film.<br />
Daniela Ingruber arbeitet als Chefredakteurin der Zeitung planet –<br />
zeitung für politische ökologie und ist als Kriegsforscherin und Politikwissenschafterin,<br />
sowie seit 2006 für die <strong>Diagonale</strong> tätig.<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Impressum: DIAGONALE – Forum österreichischer Film<br />
Rauhensteingasse 5/5, A-1010 Wien, Tel. +43-1-595 45 56<br />
wien@diagonale.at, www.diagonale.at Redaktion: Birgit Flos, Carla Hopfner<br />
© <strong>2008</strong> Alle Rechte vorbehalten