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Material - Die Tochter - Diagonale 2008

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#038<br />

<strong>Die</strong> <strong>Tochter</strong><br />

Bernhard Kammel, AT 2007, 35 mm, Schwarzweiß,<br />

99 Minuten, OmeU.<br />

Buch, Kamera Bernhard Kammel 2. Kamera Volkmar Geiblinger<br />

Schnitt Bernhard Kammel, Hannes Anderwald Ton, Musik<br />

Rainer Heinrich Viltz DarstellerInnen Sofia Tschernev, Meglena<br />

Karalambova, Vera Baranyai, Imo Heite, Daniel Frantisek<br />

Kamen, Robert Krotz u. a. Produzent Bernhard Kammel<br />

Produktion Filmemacher GmbH<br />

Bernhard Kammel. Geboren 1962 in Wien, Studien 1980 bis<br />

1995: Architektur, theol. Philosophie, Psychologie, Forstwirtschaft.<br />

Fotografiert seit 1979, ab 1993 verdichtete Kleinbild<br />

Reportagen, ab 1999 Großformat Porträts, fotografische Tafelbilder.<br />

Schreibt seit 1977 Texte, Lyrik, dramatische Fragmente.<br />

2005 Vorbereitungen zum Film <strong>Die</strong> <strong>Tochter</strong>, Sommer 2006<br />

Beginn der Produktion, August 2007 Dreharbeiten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Tochter</strong> ist sein erster Spielfilm<br />

<strong>Die</strong> Handlung ist eine<br />

strategische Fiktion<br />

DIAGONALE<br />

materialien<br />

Telefonat mit Franz E. Kneissl nach<br />

der ersten Sichtung<br />

von Bernhard Kammel<br />

Franz E. Kneissl (FEK) : Lieber Bernhard Kammel, Ihr Film<br />

gefällt mir. Deswegen möchte ich auch ohne Umschweife einige<br />

Fragen oder Anmerkungen machen, die ich mir beim Ansehen<br />

aufgeschrieben habe. Ist das in Ordnung?.<br />

Bernhard Kammel (BK):Fangen Sie an, bitte.<br />

FEK: Was bringt einen Filmemacher heutzutage dazu einen<br />

poetischen Film zu machen?<br />

BK: Der Filmemacher macht nicht „heutzutage“ einen „poetischen“<br />

Film, sondern folgt einfach seinem primären filmischen<br />

Impuls und entwickelt ihn. Ich wende auch keine Genrebezeichnung<br />

an. Ich lehne Genrebezeichnungen überhaupt ab. Genrebezeichnungen<br />

sind Hilfsmittel einer Programmzeitschrift fürs<br />

Fernsehen. Sie sollen rasch einen Überblick verschaffen.<br />

Von diesem Blickpunkt aus sind sie nützlich. Aber sie sind kein<br />

Werkzeug für den Filmemacher an seinen Film zu denken.<br />

Er muss sogar alle solche Überlegungen, so er sie als Rezipient<br />

sonst hat, wegschieben. Ein Film ist ein Film. Eine eigene Welt,<br />

die im Filmemacher entsteht<br />

FEK: Warum überhaupt Erklärungen zu einem Film?<br />

BK: Ich wollte eigentlich gar keine Erklärungen abgeben.<br />

Ich habe auch deshalb keine Förderungen angefragt, weil ich<br />

niemandem auf einem Zettel Angaben zum Film machen wollte.<br />

Schon das Vorstellen eines ungeborenen Filmes ist ein Akt<br />

der Vertrautheit und ein Akt der Gefährdung. Durchs Sprechen<br />

oder Aufschreiben können Verdeutlichungen stattfinden, die<br />

in diesem Stadium die weitere Entwicklung behindern. Jetzt,<br />

nachdem der Film fertig ist, fühle ich mich ruhiger und kann<br />

auch ein wenig über den Film sprechen.<br />

FEK: Gut. Warum Schwarzweiß?<br />

BK: Schwarzweiß erleichtert durch den Verzicht auf die Dimension<br />

Farbe eine Abstrahierung der Wahrnehmung. Es ist eine<br />

1


www.diagonale.at/materialien<br />

kleine Irritation. Einen Augenblick lang kommen wir in Versuchung<br />

den Film für Realität halten zu wollen. Aber es fehlt die<br />

Farbe um darin naiv weiter zu machen. Wir kommen also in<br />

einen Zustand der angeregten Wahrnehmung. Das ist das Beste,<br />

was uns passieren kann.<br />

FEK: Warum dann überhaupt das Streben nach Schärfe?<br />

Würde nicht eine Unschärfe mehr Eigenleistung abverlangen<br />

und damit mehr Eigeninitiative ermöglichen?<br />

BK: Das ist eine Frage des Maßes und der Angemessenheit.<br />

Mehr Unschärfe bedeutet nicht mehr Freiheit. Es muss schon<br />

sehr unscharf sein, so unscharf, dass wir nur noch schemenhaft<br />

sehen. Dann hätten wir die Freiheit die Figuren selbst zu erfinden.<br />

Dann brauchen wir aber auch keinen Film. Unschärfe ist<br />

ein semantisches Mittel des Umganges mit dem Bild. Etwas<br />

was wir auch scharf sehen können wird in einem bestimmten<br />

Kontext unscharf gezeigt. Aber Unschärfe als Mittel durchgängiger<br />

Unkenntlichkeit ist ein Überspannen des Bogens der Möglichkeiten.<br />

Keine Freiheit, sondern Abwesenheit.<br />

FEK: Ich möchte noch einmal auf meine Eingangsfrage zurück<br />

kommen und präzisieren: während andere Leute aktuelle gesellschaftliche<br />

Themen aufgreifen reiten Sie auf einer Vaterspurensuche<br />

einer <strong>Tochter</strong> herum. Ich war in Klagenfurt beim Bachmann<br />

Wettbewerb und nachdem eine Autorin angefangen hat<br />

von ihrer Beziehung zur Großmutter zu erzählen, bin ich aufgestanden<br />

und gegangen. Warum sich mit Themen beschäftigen,<br />

die schon hundertfach abgearbeitet worden sind?<br />

BK: Das was uns in Wahrheit beschäftigt sind seit je die ewig<br />

gleichen Fragen.<br />

Das Staunen darüber, dass wir sind und dass nicht vielmehr<br />

nichts ist. <strong>Die</strong> Sorge darüber, dass wir aus dem Sein verschwin-<br />

2<br />

den. <strong>Die</strong> Wahrnehmung dessen was der Fall ist. Der Schmerz<br />

der Wahrnehmung, dass jemand war und nicht ist. Das was uns<br />

eigentlich beschäftigt sind Existentialien und keine Handlungen.<br />

<strong>Die</strong> Handlungen interessieren mich nicht. Mich interessiert überhaupt<br />

keine Handlung. <strong>Die</strong> Handlung ist eine strategische Fiktion.<br />

FEK: Wollen Sie damit sagen, dass wir uns als Gesellschaft<br />

überhaupt nicht entwickelt haben, wenn uns stets die gleichen<br />

Fragen beschäftigen?<br />

BK: Nein. Aber die inneren Stellungnahmen zum in die Welt<br />

geworfen Sein sind weder vererbbar noch lehrbar noch erinnerbar,<br />

wir alle müssen sie ununterbrochen im Schweiße unseres<br />

Angesichts neu stemmen.<br />

FEK: Aber die Direktheit in der Darstellung hat sich gesteigert.<br />

Wir schauen genauer hin. Wir schweifen nicht umher. Wir greifen<br />

auf und rücken weiter.<br />

BK: Sie meinen es gibt weniger Tabus und wir schauen daher<br />

direkter hin und benennen die Dinge? Tabus sind psychosoziale<br />

Sperrkreise welche unsere Wahrnehmung wie ein Filter schützen<br />

sollen. Warum sollten wir psychisch wesentlich stabiler sein als<br />

unsere Vorfahren? Sie glauben gar wie viele Tabus ununterbrochen<br />

neu entstehen, für die paar, die wir abgeschafft haben.<br />

Wir bemerken sie aber erst, wenn sie unangepasst sind, sonst<br />

fallen sie uns gar nicht auf. An manchen Orten schauen wir<br />

direkter hin. Ja.<br />

FEK: Mehr Direktheit benötigt mehr Handlung<br />

#038<br />

BK: Nein. Überhaupt nicht. Denn jede Geschichte sollte von<br />

innen erzählt werden. Es genügt völlig am entscheidenden<br />

Moment die komplexe Bewusstheit der Figuren zu entfalten<br />

und ihre unbewussten Orbitale mitzunehmen.<br />

FEK: Wie wenig Handlung kann dem Publikum zugemutet<br />

werden bevor es aufhört mitzugehen.<br />

BK: Das kann nur von Film zu Film beantwortet werden und<br />

nicht für alle Personen. Aber allgemein glaube ich sagen zu<br />

können, dass wir die Flexibilität und das Engagement des Publikums<br />

nicht unterschätzen sollten.


www.diagonale.at/materialien<br />

Zeitsuche in Bild und Ton<br />

von Birgit Flos<br />

Es gibt diese Anekdoten, dass jemand z.B. einen Robert Walser<br />

oder Arno Schmidt Text anonym einreicht und nach Monaten<br />

von einem renommierten Literaturverlag die höfliche Absage<br />

erhält: Ihr Manuskript passt leider nicht in unser Verlagskonzept<br />

... mit freundlichen Grüßen...<br />

Am Ende eines langen Sichtungstages nehme ich eine DVD<br />

aus dem Regal: <strong>Die</strong> <strong>Tochter</strong>, ein langer Spielfilm, 90 Minuten.<br />

Regisseur? Mir völlig unbekannt, Bernhard Kammel, das Drehbuch<br />

ist von ihm und er hat auch die Kameraarbeit übernommen.<br />

Erwartungshaltung? <strong>Die</strong> Vermutung einer grenzenlosen<br />

Selbstausbeutung; hier hat jemand die gewaltige Anstrengung<br />

unternommen, aus dem Stand und ohne Förderungen, einen<br />

langen Spielfilm zu produzieren. <strong>Die</strong> erste Überraschung (warum<br />

angenehm?): der Film ist in glorious Schwarz/Weiß. Rückversicherung<br />

im technischen Datensatz: tatsächlich: 35 mm. Hier<br />

meint es offenbar jemand ernst mit dem Film. Von Anfang an<br />

interessieren die Grauwerte vom makellosen lichten Weiß bis<br />

zum tiefen Schwarz. Amsel Adams Belichtungsregel drängt sich<br />

auf: expose for the shadows, develop for the light.<br />

Zwei Menschen sitzen sich in einem Zugabteil gegenüber: ein<br />

junger Mönch in einer hellen Kutte und eine Frau unbestimmten<br />

Alters, die ein Buch zu lesen versucht. Zentriert das Fenster, in<br />

dem der eigentliche Film abläuft: die Landschaft zieht vorüber.<br />

Wenn die Büsche nah am Fenster vorbeiwischen, ist die Bewegung<br />

des Zugs deutlicher zu spüren / zu sehen, – ergeben sich<br />

Ausblicke auf Wiesen oder Hügel in der Distanz, scheint sich die<br />

Geschwindigkeit zu vermindern, weil die zurückgelegte Strecke<br />

an der „Bewegung“ der Landschaft weniger deutlich ablesbar ist.<br />

Berge ganz im Hintergrund verschieben sich nur mehr minimal.<br />

In der Interaktion der beiden Reisenden passieren kleine<br />

unspektakuläre Umdeutungen, die eine heitere Gelassenheit<br />

auslösen: ein Mönch mit einem Handy. Er möchte mit dem<br />

Handy komponieren. <strong>Die</strong> Frau ist irritiert. Er beruhigt sie, er hat<br />

Musik studiert, er beißt in einen Apfel und ist dann in das Speichern<br />

und Abspielen von Tonabfolgen absorbiert. <strong>Die</strong> Frau verlässt<br />

den bei der Station „Freiland“. Sehr laut fährt der Regionalzug,<br />

der nur aus einem modernen Triebwagen besteht, weiter:<br />

Ich bin hellwach, der Film interessiert mich von der ersten<br />

bis zur letzten Minute. Nichts hat mich auf die Sichtung von<br />

<strong>Die</strong> <strong>Tochter</strong> vorbereitet. Ich werde nicht in die Falle tappen und<br />

dieses anonyme Meisterwerk zurückschicken. Das Paradox:<br />

meine Begeisterung wird anderen den unvoreingenommenen<br />

Zugang erschweren. Ihre Erwartungshaltung wird hoch sein,<br />

wenn sie mir halbwegs trauen. Aber wie soll ich einen Film<br />

„anonym“ präsentieren, damit anderen die Lust an der Entdeckung<br />

nicht verdorben wird?<br />

Eines ist klar, den Film, den ich bei der ersten Sichtung gesehen<br />

habe, werde ich nie wieder sehen. Ich versuche mir diesen<br />

Film zu erzählen. Da ist die Rede von einem Vater, der vor vielen<br />

Jahren nicht wieder nachhause gekommen ist. Der Mann wird<br />

von seiner Frau ohne Ungeduld erwartet, er könnte jeden<br />

Moment ins Haus treten. <strong>Die</strong> Frau, die mit dem Zug gekommen<br />

ist, geht die Wege (im Wald) ab, die der Vater benutzt hat. Eigentlich<br />

sucht sie ihn nicht, suchen wird sie die Gegenstände, die im<br />

Wald aus ihrer Tasche gefallen sind, das Handy, den Lippenstift.<br />

Und ja, da ist ein Inszenierungsfehler: die Tasche (?), wird deutlich<br />

weiter gezogen, wenn sie danach greifen will, so wie Kinder<br />

eine Geldbörse an einem nicht sichtbaren Faden auf den Gehsteig<br />

legen und sich freuen, wenn Vorbeigehende sich nach dem<br />

vermeintlichen Fund bücken. Fehler? Vielleicht zieht jemand im<br />

Wald an der Schnur und lockt sie tiefer ins Unbekannte. Eine<br />

andere junge Frau, die ungarisch spricht, wird sich an der Suche<br />

beteiligen, die beiden sind mehrfach erfolgreich – es scheint<br />

Handys im Wald zu geben, wie an anderen Orten seltene Pflanzen<br />

oder Beeren. Ein Schlüsselbild, das vielleicht nur in meinem<br />

Kopf so gespeichert ist: Ein Mann in hüfthohem Gras, der sich<br />

einmal winkend entfernt und kurz darauf mit beiden Armen<br />

freundlich gestikulierend näher kommt. Im Drehbuch ist ausgesprochen,<br />

das ist der Vater, der sich in die „Zone“ verabschiedet.<br />

Ich werde das Drehbuch nicht weiter lesen, ich bestehe auf<br />

„meine“ instabilen Assoziationen, die ich mir aus den Bildern<br />

zusammensetze. Der Mann scheint mir aus einer anderen Zeitzone<br />

eine Verbindung zu den noch Lebenden zu versuchen.<br />

Er winkt aus der Distanz einer anderen (verlorenen?) Realitätsebene,<br />

zu der es keine deduktive Verbindung gibt – wie der<br />

lachende Feuerwehrmann am Anfang von Blue Velvet. Einvernehmlich<br />

und bedrohlich.<br />

3<br />

#038


www.diagonale.at/materialien<br />

Dann gibt es noch diesen extrem langen Schwenk durch den<br />

Wald (15 Minuten! Hat er Schienen gelegt? Oder Steady Cam:<br />

Schienen!) Ein Aufriss der Waldschichtungen: Blättter, Wurzelwerk,<br />

Moose, die in den unteren Schichten zu schwarzem<br />

Humus zusammen gepresst erscheinen (Märchenillustrationen<br />

von Moritz von Schwindt). Such(t)bilder. <strong>Die</strong> Augen tasten den<br />

Waldboden ab, finden Details, die vielleicht nicht relevant sind,<br />

aber da ist etwas. <strong>Die</strong> Suche ist nicht vergeblich. Es gibt filmische<br />

Energie, ein sich unspektakulär und unspekulativ aufbauender<br />

Spannungsbogen. <strong>Die</strong> Frau wird in einem Fluss baden und<br />

Assoziationen an den Akt der Taufe oder zumindest an Katharsis<br />

auslösen. Der Film endet mit einer Liebesszene, die eine Frau<br />

wäscht der anderen die Haare.<br />

Bei der zweiten Sichtung, fallen mir Bildstrategien auf, die<br />

vielleicht dazu beitragen, dass die akute Aufmerksamkeit und<br />

Sehlust immer wieder aktiviert wird. Es hat mit dem Zeigen und<br />

dem Entziehen des vordergründig Sichtbaren zu tun. <strong>Die</strong> Frau<br />

geht durch den Wald. Baumstämme verdecken sie, die schwarzen<br />

Konturen von Büschen entziehen sie immer wieder dem<br />

direkten Blick. <strong>Die</strong> Kamera wahrt Abstand, lässt sich auf keine<br />

zu große (und vermeintlich allwissende) Nähe ein. Was können<br />

wir von dieser Frau wissen? Doch nur das, was wir sehen und<br />

was wir hören. Manchmal spricht sie zu lang in ihr Handy – ich<br />

will, dass auch die Stimme immer wieder verdeckt wird und<br />

sei es im Versteck einer Sprache, die ich nicht beherrsche, aber<br />

auch nicht verstehen muss, denn bringen mich die Informationen<br />

und Gedankensplitter, die ich höre, der Frau näher? Dann<br />

der ständige Wechsel der Proportionen. Da steht ein Haus im<br />

Wald. Im longshot tritt eine zierliche Frau auf die Terrasse, im<br />

selben Moment wird das Haus zu einer kleineren, vielleicht noch<br />

nicht einmal besonders soliden Hütte. Der Wald, den ich nach<br />

der ersten Sichtung erinnert habe, war gigantisch, ein Wald in<br />

einem fast emphatischen Sinn: WALD. Ohne die menschliche<br />

4<br />

#038<br />

Figur könnten die Baumstämme auch eine relativ junge Bepflanzung<br />

sein dann tauchen die beiden Frauengestalten auf und<br />

werden von einzelnen Bäumen zur Gänze verdeckt.<br />

Da ist das Verhältnis von Nähe und Distanz in Bild und Ton:<br />

das Bild meist aus einem fast respektvollen Abstand, der Ton<br />

unverhältnismäßig nah, direkter, anspringender als die Bilder<br />

in den langen Plansequenzen. Alles spielt sich im Filmbild ab,<br />

bleibt letztlich unerklärlich, wird überdeutlich oder entzieht sich.<br />

Zwischen dem Regisseur und mir entwickelt sich ein intensiver<br />

Mail-Austausch. Wer sind Sie? Wie kommen Sie dazu so einen<br />

Film zu machen, (der doch auch präpotent sein könnte, „knapp<br />

am Formalismus vorbeischrappend“, wie ein Filminteressierter<br />

kommentiert.) Bernhard Kammel: „Handlung interessiert mich<br />

nicht, ich interessiere mich nur für den Film“. Zum vorsichtigen<br />

gegenseitigen Abchecken werden Schlüssel-Szenen aus dem<br />

persönlichen Filmspeicher verglichen. Wir landen eigentlich<br />

gleich bei Tarkowskijs Zerkalo – der Spiegel. Ich spreche hier<br />

gar nicht von der ersten (found footage?) Szene, in der ein junger<br />

Mann durch Hypnose von einem Sprachfehler geheilt wird:<br />

die gewaltige Manipulationsmacht des Filmbildes (Film kann<br />

alles!), sondern von der Szene der ersten Begegnung, in der<br />

zwei Menschen sich aus der Entfernung nur durch Blickkontakt<br />

darüber verständigen, dass sie „es“ beide gesehen haben: den<br />

Wind, der über eine Wiese streicht. Ich werde die Sehlust, die<br />

Zerkalo in mir auslöst, nicht rationalisieren können. Der Rhythmus<br />

wird nicht erdacht, nicht willkürlich, auf rein spekulative<br />

Weise konstruiert. Im Film kommt der Rhythmus organisch auf,<br />

in Entsprechung zu dem seinem Regisseur eigenen Lebensgefühl,<br />

entsprechend dessen „Zeitsuche“. Ich habe sozusagen die<br />

Vorstellung, dass die Zeit in der Einstellung unabhängig und mit<br />

eigener Würde ablaufen muß .Nur dann finden die Ideen in ihr<br />

ohne übereilte Unruhe Platz. Das Gefühl für den Rhythmus ist<br />

dasselbe wie – sagen wir das Gespür für das richtige Wort in der<br />

Literatur. Ein ungenaues Wort in der Literatur zerstört den Wahrheitscharakter<br />

eines Werkes ebenso wie ein unpräziser Rhythmus<br />

im Film ( Andrej Tarkowskij: <strong>Die</strong> versiegelte Zeit, S. 140)<br />

Sakrileg? Mit Ähnlichkeiten und Korrespondenzen ist es so eine<br />

Sache: Vor Jahren habe ich in einem völlig überfüllten Hörsaal<br />

der Sorbonne zu einem Bekannten – vage in eine Richtung deutend<br />

– bemerkt, „Findest du nicht auch, dass dieser Typ dem<br />

xy sehr ähnlich sieht“ und er hat mit Überzeugung geantwortet:<br />

„Nein, das finde ich überhaupt nicht.“<br />

Birgit Flos, Filmvermitterin, ist seit 2004 Intendantin der DIAGONALE.<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Impressum: DIAGONALE – Forum österreichischer Film<br />

Rauhensteingasse 5/5, A-1010 Wien, Tel. +43-1-595 45 56<br />

wien@diagonale.at, www.diagonale.at<br />

Redaktion: Birgit Flos, Carla Hopfner<br />

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