Neugeborenes erzählt: So sieht's im Himmel aus
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KAPITEL 9. NEUGEBORENES ERZÄHLT: SO SIEHT’S IM HIMMEL AUS<br />
Kurs: Der Sprachinstinkt (Gergely Pethő), 9. Sitzung<br />
2002. 04. 10. 16 00 Uhr, Universität Debrecen, Institut für Germanistik<br />
I. Sprachliche Entwicklung der Kinder<br />
Geburt<br />
Kinder unterscheiden ihre zukünftige Muttersprache von anderen Sprachen.<br />
Vokaltrakt ist noch nicht <strong>aus</strong>gebildet.<br />
Kinder können alle Phoneme in allen menschlichen Sprachen voneinander<br />
unterscheiden.<br />
3 Monate<br />
Vokaltrakt reift, Kehlkopf wandert nach unten in den Rachen.<br />
6 Monate<br />
Kinder stellen sich auf die Phoneme ihrer Muttersprache ein.<br />
Erste Vokale und Konsonanten (Erlernen der Benutzung der Artikulationsorgane)<br />
7-8 Monate<br />
Silbenlallen (ba-ba, ne-ne)<br />
10-11 Monate<br />
Kinder unterscheiden nur noch die Phoneme ihrer Muttersprache<br />
Lallen wird variiert (ne-ni, da-di, me-ne)<br />
12 Monate<br />
Kinder sprechen erste Wörter nach: Einwortphase. Wörter benennen Personen,<br />
Objekte, Beziehungen usw. beziehungsweise werden zur Interaktion verwendet (hallo,<br />
guck mal)<br />
18 Monate<br />
Kinder beginnen, zwei Wörter zu kombinieren: Zweiwortphase. Die grammatische<br />
Beziehung zwischen diesen beiden Wörtern kann beliebig sein (z. B. Subjekt –<br />
Prädikat, Prädikat – Objekt, Prädikat – lokale Ergänzung usw.).<br />
Beispiele:<br />
Da alle.<br />
Spielen nein.<br />
Will sehn.<br />
Auch trinken.<br />
Bär Pipi.<br />
Da Auto.<br />
Rote Auto.<br />
Alle 1,5 Stunden wird ein neues Wort gelernt.
Ab 24 Monate keine weiteren klaren Entwicklungsstufen:<br />
2;01 Mama Tasche. Noch Ball. Das einpack. Da is Claudia. Du auch Auto.<br />
2;02 Noch mehr Buch. Ich Deckel auf. Da is auch toße (= große) Auto.<br />
2;03 Ein nich roter Lössel (= Schlüssel). Martin macht Deckel zu. Jutta hat auch Haar. Ja<br />
haben nur die eine.<br />
2;04 Da is eine rote Feder. Jetzt tut alle rein. Hut fällt der runter ne? Marti sucht eine <strong>aus</strong><br />
der Koffer. Ich möchte drauf drücken.<br />
2;05 Da unten is Martis <strong>So</strong>cken. Is noch nich richtig auf. Ich muss mal die weiterpätten (=<br />
weiterblättern) .Wir müssen noch mehr. Was is das hier ein Bieler (= Spieler)?<br />
2;06 Der Hund is nich da. Da bin ich wieder. Flugzeug soll hier hin komm. Jetzt geht die<br />
Claudia weg.<br />
2;07 Tut ihm nich mehr aua. Martin macht das wieder alles zu. Gleich fährt das aber los.<br />
2;08 Jetzt kann der auch nich mehr sehen. Dann friert er nicht mehr. Wo kommt denn den<br />
gelber hin? Bist du jetzt so weit? Haben wir noch den Koffer?<br />
2;09 Zwei Karten sind das. Jetzt fährt er mit dem Boot weg. Jetzt scheint die <strong>So</strong>nne. Ich<br />
schenk den kleinen Knochen für weißen Hund. Bei Regen kann man die Schuhe<br />
<strong>aus</strong>ziehen. Was braucht der noch? Was ist das für welche? Kann man die<br />
Milchflasche essen?<br />
2;10 Nee, ich bin nich mehr deine Freundin. Wann kann ich das trinken? Wie geht das<br />
denn hier den Schuh anziehen? Was hast du <strong>im</strong> Kopf? Wenn ich bißchen groß bin.<br />
Wenn die mal wieder aufgewacht sind. Wenn der kein hat, dann sieht er nich so<br />
komisch <strong>aus</strong>.<br />
2;11 Die kommen wieder zu dir. Ich geb das ander Pferd was zu trinken. Wir fahren eben<br />
einfach noch weiter in den Tunnel. Ich finde die kleine Ente, was findest du? Wer hat<br />
das denn gemacht? Und wenn die kaputt sind, dann haben die auch keinen. Jetzt hält<br />
die an, weil Leute willen einsteigen. Mit der S-Bahn bin ich auch mal gefahren. Im<br />
Buch hab ich doch extra geguckt. Ich hab's wieder heile gemacht.<br />
(Der Sprachinstinkt, S. 311–312)<br />
II. Regelerwerb bei Kindern<br />
Kinder lernen nicht durch Imitieren. Sie suchen unbewusst nach Regeln in den Äußerungen<br />
der Eltern und verallgemeinern diese, falls sie welche gefunden haben. Das resultiert oft in<br />
Übergeneralisierungen:<br />
retten – rettete, siegen – siegte, kriegen – kriegte → fliegen – fliegte, essen – esste<br />
Kinder befolgen die von ihnen ermittelten grammatischen Regeln über<strong>aus</strong> starr und weigern<br />
sich, diese durch negative Evidenz zu korrigieren.<br />
Klassisches Beispiel:<br />
Kind: Want other one spoon, Daddy.<br />
< « Will anderen einen Löffel, Papi. ><br />
Vater: You mean, you want THE OTHER SPOON.<br />
< Du meinst, du willst DEN ANDEREN LÖFFEL. ><br />
Kind: Yes, I want other one spoon, please, Daddy.<br />
< « Ja, ich will anderen einen Löffel, bitte, Papi. ><br />
Vater: Can you say »the other spoon«?<br />
< Kannst du sagen »den anderen Löffel«? >
Kind: Other ... one ... spoon.<br />
< * Anderen ... einen ... Löffel. ><br />
Vater: Say ... »other«.<br />
< Sag ... »anderen«. ><br />
Kind: Other.<br />
< Anderen. ><br />
Vater: »Spoon.«<br />
< »Löffel.« ><br />
Kind: Spoon.<br />
< Löffel. ><br />
Vater: »Other ... spoon.«<br />
< »Anderen ... Löffel.« ><br />
Kind: Other ... spoon. Now give me other one spoon?<br />
< Anderen ... Löffel. Jetzt gibst du mir anderen einen Löffel? ><br />
(Exper<strong>im</strong>ent des Psycholinguisten Braine. Er schreibt: „Weitere Unterweisungen stoßen auf<br />
heftigen Protest meiner Tochter, den meine Frau vehement unterstützt.” Zitiert <strong>im</strong><br />
Sprachinstinkt, S. 324–325.)<br />
Korrekturen durch Eltern betreffen fast nie die Grammatikalität der Äußerungen des Kindes,<br />
sondern deren Wahrheit bzw. die kommunikative-soziale Akzeptabilität:<br />
Kind: Mamma isn't boy, he a girl. (Grammatisch falsch)<br />
Mutter: That's right.<br />
Kind: And Walt Disney comes on Tuesday. (Sachlich falsch)<br />
Mutter: No, he does not.<br />
Kind: Du bist eine hässliche fette Tante.<br />
Mutter: <strong>So</strong> etwas kann man nicht sagen.<br />
Folgerung: Selbst wenn das Kind negative Evidenz berücksichtigen würde, könnte es<br />
nicht entscheiden, wann die Korrektur sich auf die Grammatikalität der Form und wann auf<br />
sonstige Aspekte (Wahrheitsgehalt, sprachliche Verhaltensregeln) bezieht.<br />
Übergeneralisierungen stellen die Mehrheit der durch Kinder begangenen grammatischen<br />
Fehler dar. Best<strong>im</strong>mte Typen von Fehlern begehen Kinder demgegenüber nie:<br />
Der Mann, der Maria liebt, hat sie geheiratet.<br />
* → Liebt der Mann, der Maria hat sie geheiratet?<br />
Peter hat Fritz und Sandra ins Kino eingeladen.<br />
* → Wen hat Peter und Sandra ins Kino eingeladen?