Paraplegiker 1/2010
Paraplegiker 1/2010
Paraplegiker 1/2010
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Humanis Verlag für Gesundheit GmbH • Silcherstrasse 15 • D-67591 Mölsheim • Deutsche Post AG • Entgelt bezahlt • ZKZ D 05475 • ISSN 0723-5070 1/<strong>2010</strong><br />
28. Jahrgang<br />
Vereint<br />
mit
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
diese Ausgabe ist ein Zeichen der<br />
Öffnung. Der „neue“ PARAplegiker<br />
trägt seit Anfang letzten Jahres den<br />
Untertitel „Zeitschrift für Menschen<br />
mit Körperbehinderung“. Natürlich<br />
haben wir eine Geschichte als „Zentralorgan“<br />
der Fördergemeinschaft<br />
der Querschnittgelähmten, immerhin<br />
einer der ältesten und größten<br />
Selbsthilfevereine Deutschlands.<br />
Aber gerade deswegen glauben wir, dass behinderte<br />
Menschen in diesen immer kälter und brutaler<br />
werdenden Zeiten (und ich gehöre zu denen, die<br />
eine weitere Verschlechterung erwarten) unabhängig<br />
von der Art ihres Handikaps zusammen halten<br />
sollten.<br />
Der wichtigste Grund dafür ist, dass uns mehr trennt<br />
als eint. Einmal ist es wohl kaum bedeutend welche<br />
Ursache unsere jeweilige körperliche Einschränkung<br />
hat. (Ich persönlich sehe auch viele Gemeinsamkeiten<br />
mit geistig Behinderten, weiß aber, dass<br />
viele da Berührungsängste haben.) Zum anderen<br />
treffen uns alle zusammen feindselige Maßnahmen<br />
der gegenwärtigen Politik (das Vorwort Sozial- will<br />
mir dabei nicht so recht von der Hand gehen). Wir<br />
sollten uns gemeinsam wehren: Bundestagsabgeordnete<br />
sind ihren Wählern verpflichtet, wenn die<br />
Druck bekommen, reagieren sie. Noch leben wir<br />
in einem Land, in dem Meinungsäußerung nicht<br />
bestraft wird. Wir sollten diese Freiheit nutzen, im<br />
Freundeskreis, bei öffentlichen Anlässen mit Politikern,<br />
in Leserbriefen.<br />
Politisch ist es auch, wenn man Menschen porträtiert,<br />
die mit ihrer Behinderung (nicht trotz) ein aktives<br />
Leben führen. Das kann sehr unterschiedlich<br />
aussehen: Ein junger Mensch mit fortschreitender<br />
Behinderung fühlt sich in einem landwirtschaftlichen<br />
Betrieb (mit weltanschaulicher Grundlage)<br />
Wetterwechsel<br />
ABOTELEFON (0 62 43) 900 704<br />
wohl und angenommen. Eine Mutter<br />
lebt ihr Leben mit ihren Kindern, lässt<br />
sich von ihren Amputationen (und<br />
den Reaktionen darauf) nicht unterkriegen.<br />
Mut macht auch der Bericht<br />
aus einer Klinik, die schon vielen<br />
querschnittgelähmten Schwangeren<br />
geholfen hat. Kein Zauberwerk, nur<br />
leider wird vielerorts immer noch so<br />
getan als wären Frauen im Rollstuhl,<br />
die ein Kind erwarten, irgendwie<br />
exotisch. Tja, mit Standard lässt sich<br />
einfacher Geld verdienen und hinter jedem Arzt<br />
steht längs ein Controller…<br />
Unsere Rechtstipps am Ende des Heftes nehmen<br />
diesmal einen besonders großen Raum ein. Wir wissen,<br />
dass sie gern gelesen werden und unser Recht<br />
werden wir gegen ein immer hartleibigeres Sozialund<br />
Gesundheitssystem künftig wohl zunehmend<br />
erstreiten müssen.<br />
Doch das Leben ist nicht nur finster, ein bisschen<br />
Blödsinn muss auch sein – auch den finden Sie in<br />
diesem Heft. Genauso wie die Sonnenstrahlen,<br />
die aus fernen Ländern bis zu uns reichen und<br />
die Sehnsucht nach Urlaub wecken – der Sommer<br />
kommt bestimmt. Nicht vergessen: Es gibt viele<br />
Gründe sich aufzuregen. Das sollten wir auch tun<br />
und nicht nur im stillen Kämmerlein. Gegenwind<br />
tut not. Aber frischer Wind kann auch beleben, also<br />
raus aus dem Haus, die Kälte hat bald verloren!<br />
Bleiben Sie wach, setzen Sie sich mit uns über die<br />
eigene Betroffenheit hinaus für die Rechte und Bedürfnisse<br />
behinderter Menschen ein. Und – bleiben<br />
Sie uns gewogen, nur zusammen sind wir stark.<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Ihr<br />
editorial<br />
PARAPLEGIKER 1/10 3
inhalt<br />
4<br />
editorial<br />
3 Wetterwechsel<br />
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14<br />
20<br />
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45<br />
46<br />
28<br />
forum<br />
glosse<br />
Gelungene Retourkutsche<br />
bericht<br />
Arbeit auf dem Gutshof:<br />
Umwelt, Handwerk und Kultur<br />
Wissenschaft auf neuen Wegen:<br />
„Reisen und Ergotherapie“<br />
menschen<br />
Leben mit Amputationen:<br />
Die Mutmacherin<br />
forschung<br />
Zukunftshoffnung:<br />
Mit der Kraft der Gedanken bewegen<br />
technik<br />
BMW Werksbesichtigung:<br />
Freude am Schauen<br />
markt<br />
Bauen-wohnen-renovieren:<br />
Hand drauf – auf den Treppen-Handlauf<br />
Neue DVD:<br />
Selbst katheterisieren<br />
Mobiles Stehgerät<br />
Was ist neu beim<br />
THERA-Bewegungstraining?<br />
Mobiler Notruf mit Service und Telecare<br />
Verlosung bei Paravan<br />
Ausschreibung:<br />
1. Handbike-Fahrerlager im<br />
Elbsandsteingebirge (Bad Schandau)<br />
kultur<br />
Karikaturen von Barbara Früchtel<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Seite 36<br />
Seite 10<br />
Seite 20<br />
Seite 24
Seite 48<br />
Seite 54<br />
Seite 52<br />
Seite 42<br />
29<br />
30<br />
32<br />
36<br />
40<br />
42<br />
48<br />
52<br />
54<br />
56<br />
58<br />
61<br />
65<br />
66<br />
q – querschnitt spezial<br />
Das silberne Spar-Schwein:<br />
Handeln wie im Basar<br />
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke<br />
Das Wunder des Lebens<br />
Querschnittgelähmte in Europa (II):<br />
Österreich<br />
„Es bleibt noch immer viel zu tun“<br />
Medizin & Forschung:<br />
Spastik bessern durch rücken-<br />
marksnahe Behandlung<br />
essay<br />
Wohlstand und Propaganda<br />
sport sport<br />
Rollstuhl-Rugby in Halle/Saale<br />
satire satire<br />
Anzügliche Missverständnisse:<br />
Unschuldiges Opfer ?<br />
unterwegs<br />
Andreas Pröve über Indien:<br />
Fährtenleser mit Handbike<br />
Fünf Wochen in Kanada (2):<br />
Alberta<br />
kleinanzeigen<br />
recht<br />
Zuzahlungen in der<br />
Gesetzlichen Krankenversicherung:<br />
Theorie und Praxis<br />
Patientenverfügung & Co.<br />
Wer soll wann fürs Ende sorgen?<br />
Behindertengerechtes Wohnen –<br />
Berechnungsmethoden für<br />
Schadensersatzforderungen Teil (1)<br />
Kosten für Mehrflächen bei Umzug<br />
oder Neubau<br />
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Titelfoto: Handicap Club 99 Sachsen-Anhalt e.V.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
inhalt inhalt<br />
5
forum<br />
Wolfgang Zipperer,<br />
Althengstett<br />
Unflexible Autoumbauer<br />
Den Austausch mit Andreas Zawatzky im aktuellen <strong>Paraplegiker</strong><br />
(4/09) kann ich ergänzen. 2008 nahm ich Kontakt zu einigen Umbauern<br />
im süddeutschen Raum auf, um folgendes geklärt zu bekommen:<br />
Tetraplegiker mit Rückbildungstendenzen sucht nächstes Kfz. (Hersteller<br />
und genaue Typanangaben lagen durch mich vor)<br />
- wo keine Sitze oder Rücksitzbank „verändert oder gar entfallen“<br />
müssten,<br />
- als Selbstfahrer Faltrollstuhl und Rollstuhlzugerät eigenständig<br />
verladen und dann alleine wegfahren kann.<br />
Die Angebote beinhalteten fast alle ein Rollstuhlverladesystem, das<br />
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stuhlmaße anmerkte – ohne dass zuvor mein Rollstuhl ausgemessen<br />
wurde.<br />
Meine Nachfrage wie das bei meiner Körpergröße bzw. Rollstuhlmaße<br />
gehen solle, bekam ich die Antwort: Dann muss man wohl<br />
den Rollstuhl „abändern“ - auf meine Nachfrage „und meine Beine“<br />
blieb dann meist ohne „Lösungsansatz“. Offensichtlich machte sich<br />
auch kaum ein Umbauer die Mühe, das gewünschte Kfz vor seiner<br />
Angebotsabgabe in Augenschein zu nehmen.<br />
Einer der kleineren und offensichtlich an individuellen Lösungen<br />
interessierter Umbauer hatte eine einfache und zudem kostengünstigere<br />
Lösung zu bieten, die ich zwischenzeitlich nutze.<br />
Bettina Kretschmer,<br />
Waiblingen<br />
Der Traum vom<br />
Springen<br />
Von einem Fallschirmsprung habe ich schon immer geträumt. Doch<br />
als Mutter eines kleinen Kindes wollte ich kein Risiko eingehen. Dann<br />
hatte ich 1994 einen Unfall – inkomplette Querschnittslähmung C5/<br />
C6. Ganz los gelassen hat mich der Gedanke ans Fallschirmspringen<br />
nie. Nur erschien es mir utopisch, diesen Traum als Rollstuhlfahrerin<br />
umzusetzen, und so hatte ich das ganze schon als nicht realisierbar<br />
abgehakt.<br />
Sylt-Urlaub, 19. August 2009 – 9:30 Uhr. Mein Mann ist beim Joggen.<br />
In einer Zeitschrift lese ich die Anzeige „Fallschirm-Tandemspringen<br />
auf Sylt“. Eine Handy-Nummer steht dabei. Wahrscheinlich ist es ja<br />
eh nicht machbar – also rufe ich ganz cool an. Ich schildere meinen<br />
körperlichen Zustand. Die Dame am Handy sagt, sie hätten einen<br />
Tandemmaster, der schon mit Rollifahrern Sprünge gemacht hat. Sie<br />
wird mit ihm sprechen und mich zurückrufen.<br />
Mein Mann kommt total verschwitzt vom Joggen. Ich erzähle ihm,<br />
was ich angeleiert habe. Das Handy klingelt. Wir sollen gleich zum<br />
Flughafen kommen. Der Tandemmaster möchte mich kennenlernen.<br />
Mein Mann muss noch duschen. Wir können in einer halben<br />
Stunde da sein.<br />
Ca. 11:30 Uhr sind wir am Flughafen. Die ganze Crew ist uns auf Anhieb<br />
sympathisch. Mein Tandemmaster, Frank Täsler, 1 x Europameister,<br />
6 x Deutscher Meister, hat schon fast 8 000 Sprünge absolviert.<br />
Unser ehemaliger kroatischer Straßenhund Cara und der dreibeinige,<br />
aus Spanien gerettete Hund der Fallschirmcrew verstehen sich<br />
auch bestens. Gleiche Interessen verbinden. Bei den einen ist es der<br />
Imbisswagen, bei den anderen das Fallschirmspringen.
Ich habe ein bisschen Bedenken, wie man die Streckspastik meiner<br />
Beine bei der Landung handhaben kann. Aber ansonsten bin ich<br />
zu allem bereit. Meine Tochter ist 25 Jahre alt, mein Mann weiß, wie<br />
Spül- und Waschmaschine funktionieren und dass Cara 1x täglich<br />
die Augentropfen braucht. Das Wetter ist perfekt. Wir können heute<br />
noch springen, wenn ich will. „Okay, das machen wir gleich“, sage<br />
ich. „Aber so schnell dann doch nicht“, meint Frank. Wir sollen heute<br />
nachmittag wieder kommen. Er wird sich etwas bezüglich meiner<br />
Beine einfallen lassen.<br />
Wir wohnen zehn Autominuten entfernt. Wir gehen zum Essen, dann<br />
Mittagsschlaf im Appartement. Ich schlafe natürlich nicht, sondern<br />
lauere bis die Uhr auf 3 steht. Ich wecke meinen Mann, ich bin überhaupt<br />
nicht aufgeregt. Und wie viel Gutes könnte man im Tierschutz<br />
mit 200 EUR tun. Außerdem haben wir gar nicht so viel Bargeld da!<br />
„Kein Problem“, sagt mein Mann. Auf dem Weg zum Flughafen fahren<br />
wir kurz bei der Bank vorbei.<br />
Um 15:30 Uhr sind wir wieder am Flughafen. Cara fühlt sich hier<br />
schon heimisch. Gemeinsam gehen wir zum Hangar, wo ich mit<br />
Overall, Turnschuhen, Schutzbrille und Lederkappe ausgerüstet<br />
werde. Frank tüftelt mit einem Kollegen eine Seilkonstruktion aus,<br />
mit der er bei der Landung meine Beine anwinkeln kann. Alles geschieht<br />
ganz ruhig und stressfrei. Ich fühle mich absolut sicher und<br />
wohl bei diesen Leuten, die ich erst seit ein paar Stunden kenne.<br />
Im normalen Alltag überschlägt sich ja das gewöhnliche Fußvolk<br />
manchmal schon bei den Versuchen, einen Rollifahrer möglichst<br />
hilfreich zu behindern.<br />
In dem sonnenbeschienenen Blechhangar, in den Overall gepackt,<br />
ist mir knalleheiß und ich bin froh als wir ins Freie zum Flieger, einer<br />
Dornier 28, gehen. Wir sind ein Tandemspringer-Team, neun<br />
Einzelspringer und ein Helfer. Als erstes werde ich im Langsitz auf<br />
den Blechboden der Maschine gesetzt. Frank setzt sich hinter mich<br />
und klickt unsere Gurtsysteme zusammen. Die neun Einzelspringer<br />
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forum<br />
klettern rein. Zwölf Leute auf engstem Raum. Dann hoppelt die Maschine<br />
los. Das alles ist für mich schon Abenteuer pur.<br />
Auf 2 000 m Höhe wird die Schiebetür geöffnet und die Einzelspringer<br />
lassen sich einer nach dem andern aus der Maschine fallen. Keiner<br />
zögert. „Wie die Lemminge“, denke ich. Dann Türe zu. Während<br />
des gesamten Fluges frage ich Frank wohl 40 x, ob ich die Brille jetzt<br />
aufsetzen soll. Als Tetraplegikerin macht mir das schon Probleme. Er<br />
erklärt mir 40 x, dass wir das erst kurz vor dem Ansprung machen,<br />
weil die Brille sonst von innen beschlägt. Er sagt mir auch, dass wir<br />
nicht springen müssen, wenn ich nicht will. Aber diesen Gedanken<br />
habe ich nie wirklich erwogen. An diesem Tag passt einfach alles.<br />
Dann, auf 4 000m Höhe, wird die Tür aufgemacht und wir lassen uns<br />
in die Tiefe fallen. Mir ist ganz anders. „Hoffentlich geht alles gut“,<br />
denke ich. Nach 60 Sekunden freiem Fall öffnet Frank den Fallschirm.<br />
Jetzt bin ich total beruhigt. Es ist wunderschön. Sylt von oben – blauer<br />
Himmel – blaues Meer – absolute Stille. Wunderbar.<br />
Frank erklärt mir dies und das, aber ich bin nur mit Staunen beschäftigt.<br />
Wir kommen der Erde näher. Auf der Wiese neben dem<br />
Flughafen ist eine große orangefarbene Plane ausgelegt, die Frank<br />
ansteuert. An meine Beine denke ich überhaupt nicht. Aber Frank<br />
hat alles im Griff. Von mehreren Helfern werde ich bei der Landung<br />
sanft aufgefangen. Vom Start bis zur Landung hat das ganze ca. 20<br />
Minuten gedauert.<br />
Mein Mann und Cara stehen mit dem Rollstuhl bereit. Wir gehen zu<br />
unserem Auto und fahren zum Hangar zurück. Ich werde um den<br />
Overall und die übrige Ausrüstung erleichtert. Das war‘s. Ein Riesenerlebnis.<br />
Nicht nur für mich. Mein Mann und ich, wir zwei sind irgendwie<br />
ausgepowert. Ich verspreche, dass unsere nächsten beiden<br />
Urlaubstage ganz ruhig verlaufen werden.<br />
Infos zum Tandemsprung für Querschnittsgelähmte unter:<br />
www.skydive-adventure.de • www.fallschirmspringen-sylt.de
glosse<br />
8<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Gelungene Retourkutsche<br />
Wird ein Rolli(-Fahrer) Vater, so schwingt neben überschwänglichem Vaterstolz<br />
eine Menge Zweifel mit. Kann ich ein guter Vater werden, trotz objektiv eingeschränkter<br />
Beweglichkeit? Muss mein Kind leiden, weil der Papa kein Fußball<br />
spielen kann? Grenzt es an Kinderarbeit, wenn der Kleine den Rollstuhl aus dem<br />
Kofferraum holen muss? Was bleibt hängen, wenn der Papa mal nicht so ein<br />
starker Papa ist wie die anderen Papas? Da versucht man alles richtig zu machen<br />
und fragt sich ständig ob das gelingt.<br />
Mein Sohn war gerade drei und wir besuchten einen<br />
Freund in einer anderen Stadt. Unterwegs bekamen<br />
wir ordentlich Hunger auf Pommes. Die nächste<br />
Pommesbude war zwar schnell gefunden, befand<br />
sich aber direkt an einer belebten Straße, was das<br />
Aussteigen erschwerte. Die zwei Stufen vor der Tür<br />
machten die Sache nicht einfacher . „Das kannst du<br />
doch auch alleine, oder?“ Bei dieser Suggestivfrage<br />
konnte mein Kleiner natürlich nur mit dem Kopf nicken<br />
und verschwand Sekunden später in der Pommesschmiede.<br />
Der Papa im Auto direkt davor, aber<br />
leider ohne jegliche Chance das Geschehen zu beobachten.<br />
Zwei dicke Vorhänge versperrten komplett<br />
den Blick hinein.<br />
Die ersten Minuten wartete ich geduldig. Wenn ein<br />
Tetra was lernen muss, dann ist das Warten! Ich kann<br />
das eigentlich sehr gut! Mit der Zeit irritierte mich<br />
allerdings die Ohnmacht meiner Situation. Würde<br />
mein Sohn überhaupt bedient? Würde er gut behandelt?<br />
Würde er wirklich nur zwei Pommes mit Mayo<br />
bestellen? Auf die Frage, „Darf es sonst noch etwas<br />
sein?“, da würde ihm schon noch einiges einfallen...<br />
Daumen hoch<br />
Warum dauerte das nur so lange? Fünf Minuten später,<br />
die Sorgen wuchsen, überlegte ich, ob der Laden<br />
einen Hinterausgang haben könnte? Man liest so<br />
viel von Kindesentführung. Was würde ich der Polizei<br />
erzählen können? „Ich habe ihn genau da rein<br />
geschickt, mit einem 10-Euro-Schein“ – einen Dreijährigen?<br />
Würden sie mir das Sorgerecht entziehen?<br />
Wie heiß der Laden überhaupt? Ist es ein Türke oder<br />
ein Grieche? Würde ich ihn in Istanbul oder Athen<br />
suchen müssen? Weitere fünf Minuten später war ich<br />
mir sicher, dass etwas passiert war. Ich überlegte gerade<br />
wie ich es meiner Frau sagen würde, da teilten
sich die beiden schweren Vorhänge der Pommesbudentür.<br />
Hervor kam zuerst sein kleiner Kopf, dann der<br />
Oberkörper und dann reckte er mir seine kleine Faust<br />
entgegen. Den Daumen hoch signalisierte er mir<br />
strahlend, dass da drin alles nach Plan laufe.<br />
Ein halbes Jahr später fand ich es an der Zeit mal auszutesten,<br />
wie viel Steigung wir beide wohl zusammen<br />
schaffen könnten. Unser Haus ziert eine recht<br />
steile Garagenauffahrt und ich hielt den Sohnemann<br />
für ausreichend kräftig, mich mit meiner Unterstützung<br />
da hoch zu schieben. War er aber nicht. Etwa in<br />
der Mitte verließen ihn die Kräfte, und vor allem der<br />
Mut! Wieder rückwärts runter hätte echt gefährlich<br />
werden können. Wir standen in der Mitte der Auffahrt<br />
und ich überlegte fieberhaft was zu tun sei. Vor<br />
allem merkte ich aber, dass es an der Zeit war dem<br />
Kleinen die Verantwortung für meine prekäre Situation<br />
abzunehmen. Die spürte er nämlich allzu deutlich<br />
und fing an zu weinen.<br />
Ich lehnte mich vorne rüber bis der Oberkörper auf<br />
den Knien lag, arretierte die Bremsen und nahm so<br />
eine stabile Position ein, in der ich nicht umfallen<br />
oder abrutschen konnte. Dann sagte ich so ruhig wie<br />
möglich: ” So, jetzt geh mal gucken wo die Mama ist<br />
und schau mal, ob sie gerade etwas Zeit hat“.<br />
Papa brennt<br />
Als mein Kleiner schon fast mein Großer war - er muss<br />
acht Jahre alt gewesen sein - wollten wir unbedingt<br />
einen kleinen Heißluftballon bauen. Heute bekommt<br />
man die für fünf Euro im Baumarkt, aber damals noch<br />
nicht. Und wir wollten selber bauen, Papa und Sohn.<br />
Wir bogen Draht zu einem Gerüst um eine riesige<br />
C&A Plastiktüte. Als Befeuerung diente ein Teelicht,<br />
das sich aber schnell als zu schwach erwies. Der Ballon<br />
wollte und wollte nicht abheben. Gut, dass man<br />
Weihnachten zum Fondue-Essen immer zu viel von<br />
dieser Brennpaste kauft. Die kann man das ganze<br />
Jahr über zu nichts gebrauchen, außer für einen<br />
Heißluftballon.<br />
Diese Flamme sah schon vielversprechender aus.<br />
Der Ballon füllte sich langsam und wurde praller. Da<br />
erfasste ihn plötzlich ein Windstoß. Er taumelte vom<br />
Gartentisch und stürzte um. Der Becher mit Brennpaste<br />
kippte über Papas Knie und Fuß. Beides brannte<br />
lichterloh. Ich versuchte möglichst kontrolliert zu<br />
wirken, um meinen Sohn nicht in Panik zu versetzen,<br />
schließlich sollte ihm unser kleines Bastelerlebnis in<br />
guter Erinnerung bleiben. Aber meine Löschversuche<br />
waren nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Mein Sohnemann<br />
lief eilig ins Haus und rief: „Mama, Mama, der<br />
Papa brennt!“<br />
Der Brand war schnell gelöscht. Bis auf ein Loch in<br />
der Jeans und die Erkenntnis, dass diese Paste nur<br />
oberflächlich abbrennt und es viel schlimmer aussah<br />
als es war, blieb bei mir nichts hängen. Aber was<br />
blieb bei ihm hängen?<br />
Letzten Sonntag lag die komplette Familie zusammen<br />
im Bett. In der Regel wird es mir immer als erstem<br />
zu eng und ich versuchte aufzustehen. Mein<br />
Sohn hinderte mich daran und zum ersten Mal hatte<br />
ich das Gefühl unser Kräfteverhältnis kippt zu seinen<br />
Gunsten. Er hatte dieses Gefühl wohl auch, denn er<br />
sah mich herausfordernd an. „Da müssen schon Kuchen<br />
kommen und keine Krümel“, versuchte ich ihn<br />
wenigstens verbal in die Schranken zu weisen. Da<br />
entgegnet dieser Rotzbengel: „Papa, Krümel fängt<br />
mit Kr an, Kr wie Krüppel.“<br />
Wir lachten alle herzhaft. Natürlich war das eine sehr<br />
gelungene Retourkutsche. Aber in mein Lachen<br />
mischte sich Erleichterung. Erleichterung darüber,<br />
wohl doch einiges richtig gemacht zu haben.<br />
Text. Ralf Kirchhoff<br />
Illustration: Kasia<br />
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glosse
ericht<br />
10<br />
Arbeit auf dem Gutshof:<br />
Umwelt,<br />
Handwerk und<br />
Kultur<br />
Das Füttern der Kälber<br />
ist Claas‘ Lieblingsbeschäftigung.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
D<br />
Für Menschen mit Behinderung muss der Arbeitsalltag nicht monoton<br />
sein. Auf dem Gutshof Hauteroda in Thüringen wird ihnen Gelegenheit<br />
geboten, in Schnupperpraktika ihre Ressourcen zu entdecken und weiterzuentwickeln<br />
und schließlich einen Arbeitsplatz zu finden,<br />
der ihren Ambitionen gerecht wird.<br />
ie Kälberbox ausmisten? Für Claas Lechtenfeld<br />
kein Problem. „Manche Leute<br />
rümpfen sich die Nase, wenn ich ihnen etwas<br />
über meinen Alltag erzähle. Aber Kälbermist<br />
ist doch etwas ganz Natürliches“, so der 34<br />
jährige. Claas begann erst im vorigen Jahr,<br />
in der Abteilung Kuhstall und Ackerbau der<br />
landwirtschaftlichen Werkstatt der Markus-<br />
Gemeinschaft e. V. – Camphill Initiative für<br />
Mensch und Umwelt, Werkstatt für Menschen<br />
mit Behinderungen – zu arbeiten. Besonders<br />
gern füttert Claas die Kälber: „Beim Melken<br />
werden jeweils zwei Kannen mit Milch abgefüllt,<br />
die ich mit dem Tauchsieder erwärmen<br />
muss“, berichtet er. Sobald die Milch handwarm<br />
ist, füllt der junge Mann sie in Eimer,<br />
an deren Boden sich eine zitzenähnliche<br />
Die Kälberbox ausmisten – na und?<br />
Saugvorrichtung befindet. Ältere Kälber werden<br />
durch die Zugabe von Schrot und Heu<br />
allmählich an feste Nahrung gewöhnt.<br />
Claas lebt bereits seit elf Jahren auf dem<br />
Gutshof Hauteroda im thüringischen Kyffhäuserkreis.<br />
Geboren in Frankfurt am Main, zog<br />
er mit seinen Eltern nach dem Hauptschulabschluss<br />
nach Rheinland-Pfalz. Eine Ausbildung<br />
zum Baumschulgärtner brach er ab,<br />
weil das Betriebsklima nicht stimmte. An Muskelschwund<br />
erkrankt, suchte Claas nun Arbeit<br />
in einer Einrichtung für Menschen mit Han-
dikap. „Ich habe anthroposophische Einrichtungen<br />
in ganz Deutschland angeschrieben.<br />
Aber es kamen nur Absagen“, berichtet er.<br />
Nur in der Markusgemeinschaft e. V. war gerade<br />
ein Platz frei. Nach einem zweiwöchigen<br />
Probeaufenthalt in dem 600-Seelen-Dorf zog<br />
Claas mit Sack und Pack nach Hauteroda und<br />
begann in der Tischlerei zu arbeiten. „Unter<br />
Anleitung des Gruppenleiters habe ich gelernt,<br />
mit Werkzeugen und Maschinen umzugehen<br />
und Reparaturaufträge selbstständig<br />
zu erledigen“, so der junge Mann. Gerade die<br />
zuweilen schwere körperliche Arbeit beeinflusste<br />
die Muskelerkrankung positiv.<br />
Weil er sehr vielseitig interessiert und handwerklich<br />
geschickt ist, wechselte der junge<br />
Mann nach sieben Jahren das Metier: „Nun<br />
fertigte ich in der Holzwerkstatt Spielzeug<br />
und Dekorationsobjekte.“ Nach drei Jahren<br />
wurde es wieder Zeit, „auf Wanderschaft zu<br />
gehen“: „Zehn Monate arbeitete ich in der Abteilung<br />
für Grünpflege. Unter anderem schnitt<br />
ich Gehölze, mähte Rasen und erntete Obst“,<br />
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so Claas. Damit noch nicht genug, arbeitete<br />
er im Rahmen von Praktika auch eine Weile in<br />
der Hausmeisterei und auf einer Baustelle als<br />
Maurer.<br />
Zu Hause am Kamin<br />
„In unserer Werkstatt gibt es 13 verschiedene<br />
Arbeitsbereiche“, erläutert Werkstattleiter Axel<br />
Schlösser. Die Beschäftigten würden also nicht<br />
für immer und ewig am gleichen Arbeitsplatz<br />
eingesetzt, so der Diplomkaufmann (FH) und<br />
eMBA (executive Master of Business Administration)<br />
für Nonprofit-Organisationsmanagement<br />
(Universität Fribourg/Schweiz). Vielmehr<br />
werde ihnen die Möglichkeit geboten, durch<br />
das Kennenlernen unterschiedlicher Metiers<br />
ihre Fähigkeiten zu erproben, Ressourcen zu<br />
entdecken und Kreativität zu entwickeln.<br />
Claas möchte vorerst in der Werkstatt für Landwirtschaft<br />
bleiben. Außer der Versorgung<br />
des Milchviehs unter Anleitung von Andreas<br />
Lamerdin und Robert Mieth – beide sind studierte<br />
Landwirte – reinigt er zusammen mit<br />
vier weiteren Beschäftigten regelmäßig den<br />
Melkstand, geht zuweilen dem Tierarzt zur<br />
Hand und arbeitet bei der Bestellung der Felder<br />
und der Ernte von Bio-Getreide und -Gemüse<br />
mit.<br />
Heimweh hatte Claas all die Jahre nie: „In Thüringen<br />
fühle ich mich zu Hause.“ Vor gut drei<br />
Jahren zog er in eines der drei neu erbauten<br />
Häuser im Ortsteil Lundershausen um. „Die<br />
Zimmererarbeiten und auch ein Teil der Mau-<br />
bericht<br />
Karsten ist ein quirliger<br />
junger Mann. Ihm gefällt<br />
Arbeit auf dem Hof.
ericht<br />
Karsten möchte auch einmal in<br />
der Landwirtschaft arbeiten.<br />
12<br />
Viele Beschäftigte<br />
haben in Hauteroda<br />
auch ein neues<br />
Zuhause gefunden.<br />
Das denkmalgerecht<br />
sanierte Verwaltungsgebäude<br />
mit Café und Werkstätten<br />
auf dem Gutshof.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
erarbeiten hatten natürlich unsere Werkstätten<br />
übernommen“, so Claas. In seinem geräumigen<br />
Zimmer fühlt er sich pudelwohl. Gern sitzt Claas<br />
im gemeinsamen Wohnzimmer am Kamin mit<br />
anderen Bewohnern – darunter Azubis, junge<br />
Leute im Freiwilligen Sozialen Jahr und jeweils<br />
zwei pädagogisch ausgebildete Hausverantwortliche<br />
– zusammen. Wenn er zusammen<br />
mit Mitbewohner Ludwig Reichstein Sketche<br />
des sächsischen Komikerduos Hans-Joachim<br />
Preil und Rolf Herricht vorträgt, haben beide<br />
die Lacher auf ihrer Seite.<br />
Claas hat auch schon als Mime im Oberuferer<br />
Christgeburtsspiel sowie in zwei Weihnachtsstücken<br />
aus der Feder von Charles Dickens mitgewirkt.<br />
Er ist begeisterter Schwimmer, geht<br />
gern spazieren und liest an den langen Winterabenden.<br />
Er kocht auch gern für die Mitbewohner.<br />
Last but not least ist Claas Fußballfan,<br />
der 1. FC Kaiserslautern seine Favoritenelf.<br />
Zu eng in der Werkstatt<br />
Karsten Müller arbeitet seit gut zwei Jahren auf<br />
dem Gutshof Hauteroda. Aufgrund eines Nervenleidens<br />
im linken Bein eingeschränkt mobil,<br />
war der 27-Jährige zuvor in der diakonischen<br />
Stiftung Finneck in Artnern beschäftigt. Dort<br />
gab es aber für den etwas quirligen jungen<br />
Mann nicht genug Bewegungsfreiheit. „Ich<br />
wollte nicht in einer Werkstatt, sondern lieber<br />
im Freien arbeiten“, so Karsten.<br />
Weil die Stiftung Finneck mit der Markusgemeinschaft<br />
e. V. kooperiert, konnte ihm eine Arbeit<br />
auf dem Gutshof vermittelt werden. „Nach<br />
einem dreiwöchigen Praktikum haben wir<br />
ihn eingestellt“, berichtet Werkstattleiter Axel<br />
Schlösser. Unter engmaschiger Betreuung hat<br />
sich Karsten gut in das Arbeitsleben integriert.<br />
Die Hälfte der Arbeitszeit verbringt er in der<br />
Veredelungswerkstatt, wo er Gemüse aus eigenem<br />
biologischen Anbau für die Vermarktung
oder die Verarbeitung in der hofeigenen Küche<br />
putzt. Dazu kommen Einsätze in der Grünpflege<br />
und im biologischen Gemüseanbau. „Auf<br />
dem Gutshof fühle ich mich wohl“, gibt er zu.<br />
Während der Mittagspausen spielt Karsten<br />
manchmal mit anderen Mitarbeitern Rommé.<br />
In der Freizeit spielt er gern mit Bruder Tobias<br />
Fußball oder sieht sich Talkshows im Fernsehen<br />
an. Wenn der FC Rot-Weiß Erfurt e. V. auf dem<br />
Die Markusgemeinschaft e. V.<br />
Bereits in den siebziger Jahren des vorigen<br />
Jahrhunderts widmete sich in Hauteroda<br />
eine Gruppe von Menschen der Betreuung<br />
geistig behinderter Kinder. Nach der Wiedervereinigung<br />
konnte die Arbeit aber so<br />
nicht weitergeführt werden. Dem Hilferuf<br />
aus dem Kyffhäuserkreis folgten Menschen,<br />
von denen einige schon seit Jahren in Camphill-Dörfern<br />
in England gearbeitet hatten<br />
und somit die Erfahrung für die Gründung<br />
neuer Dorfgemeinschaften und einer Umwelt-<br />
und Sozialtherapie mitbrachten. Diese<br />
Menschen schlossen sich 1993 zu einer<br />
Initiativ-Gruppe zusammen, um die bestehenden<br />
Aufgaben zu übernehmen und zu<br />
erweitern.<br />
Kranke, behinderte, gefährdete und scheinbar<br />
gesunde Menschen wollen zusammenarbeiten.<br />
Der biologisch-dynamische<br />
Landbau bildet die Grundlage für ein vielfältiges,<br />
gesundes und bildendes Arbeits-<br />
Anzeige<br />
heimischen Rasen antritt, fährt der junge Mann<br />
mit seiner Mutter in die Thüringer Landeshauptstadt.<br />
Falls möglich, möchte Karsten auch<br />
noch in andere Metiers hineinschnuppern: „Die<br />
Landwirtschaft und ganz besonders die Molkerei<br />
würden mich schon interessieren.“<br />
Text & Fotos:<br />
Reinhard Wylegalla<br />
leben. In einzelnen Häusern der Gemeinschaft<br />
leben Menschen unterschiedlichsten<br />
Alters mit und ohne Behinderungen in einer<br />
erweiterten Familie zusammen. Die<br />
Markusgemeinschaft e. V. ist seit 2006 anerkannte<br />
Werkstatt für Menschen mit Behinderungen<br />
und betreibt dreizehn Arbeitsbereiche,<br />
in denen insgesamt 42 Beschäftigte<br />
und 13 Mitarbeiter zusammenarbeiten:<br />
Eine Bäckerei, eine Küche mit Café, einen<br />
Förderbereich für Menschen mit schweren<br />
Behinderungen, biologisch-dynamischen<br />
Gemüsebau, Grünpflege, Hausmeisterei,<br />
Hauswirtschaft, eine Herberge für Urlaubsgäste,<br />
eine Holzwerkstatt, eine Imkerei,<br />
Landwirtschaft, eine Bio-Molkerei, eine<br />
Mosterei, eine Tischlerei, eine Veredelungswerkstatt<br />
sowie eine Wäscherei.<br />
Kontakt: Markus-Gemeinschaft e.V.,<br />
Hauptstraße 1,<br />
06577 Hauteroda,<br />
tel 03 46 73-73 69-10,<br />
www.gutshof-hauteroda.de<br />
bericht
menschen<br />
Leben mit Amputationen:<br />
Die Mutmacherin<br />
14<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
D<br />
agmar Marth lebt seit einem Unfall<br />
1985 mit einer Beinprothese und hat<br />
nur einen Arm. Natürlich war sie anfangs geschockt<br />
und verzweifelt – wer wäre das nicht?<br />
Aber inzwischen kommt sie gut zu recht mit<br />
diesem neuen Leben. Sie schwimmt, hat ihre<br />
zwei Kinder großgezogen und lebt so selbstständig,<br />
wie es mit einem Arm und einem<br />
Bein nun einmal möglich ist. Das klingt, als<br />
wäre eine zweifache Amputation leicht wegzustecken.<br />
In Wirklichkeit arbeitet Dagmar<br />
Marth hart, um sich ihr Leben so normal wie<br />
möglich zu erhalten.<br />
Früher war sie Sportlehrerin. Sie weiß also<br />
sehr genau, was sie tun muss, um einigermaßen<br />
schmerzfrei zu bleiben. Oft hat sie<br />
Probleme mit ihrem Stumpf, mit der zarten<br />
Spalthaut, die allzu leicht offene Stellen be-<br />
Man sieht Dagmar Marth nicht an, dass sie einen sehr<br />
schweren Unfall nur knapp überlebt hat. Stattdessen<br />
sieht man eine fröhliche, aktive Frau mit strahlenden<br />
Augen, die voller Ideen steckt. Diese innere und äußere<br />
Unabhängigkeit ist kein Zufall, sondern das Resultat<br />
harter Arbeit. „Behinderung ist ein Merkmal“, sagt sie,<br />
„aber ich bleibe<br />
immer ich“.<br />
kommt, wenn die Prothese drückt. Joggen<br />
kann sie inzwischen nicht mehr, weil sie einen<br />
Gleitwirbel hat. Sie geht möglichst oft schwimmen,<br />
trainiert ihre Muskulatur und versucht<br />
mit allen Mitteln, ihren Körper trotz der Verletzungen<br />
fit zu halten. „Ich will nicht krumm<br />
sitzen, ich will keine Rückenschmerzen haben<br />
und ein Pflegefall werden, deshalb tue ich das<br />
alles“, erklärt sie.<br />
Schmerz und Schock verarbeiten<br />
Dagmar Marth hat damals, direkt nach dem<br />
Unfall, jede Psychotherapie abgelehnt. „Ich<br />
dachte, andere Menschen hätten das vielleicht<br />
nötig“, sagt sie heute augenzwinkernd,<br />
„aber ich doch nicht; ich war doch sogar stark<br />
genug, um andere zu trösten!“. Hilfe und Trost<br />
lehnte sie ab, sie kämpfte.<br />
Dagmar Marth heute (links) und vor einigen<br />
Jahren (oben).
Als behinderte Mutter im selbstverständlichen<br />
Umgang mit ihren Kindern.<br />
Erst zehn Jahre später begriff sie, dass sie ihr<br />
neues Leben noch gar nicht angenommen<br />
hatte. Die Zeit zum Trauern hatte sie sich nicht<br />
genommen. Heute beschreibt sie, dass die<br />
Trauer damals ständig als blinder Passagier<br />
in ihrem Leben mitgefahren war. Sie schämte<br />
sich für ihren verstümmelten Körper, hatte<br />
nicht gelernt, die Wunden anzuschauen und<br />
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sich trotz der Narben zu mögen. Stattdessen<br />
hatte sie sich mit der Energie eines Workoholics<br />
durchgekämpft: Allen Widrigkeiten zum<br />
Trotz hatte sie die Kinder bekommen, deren<br />
Erziehung ihr niemand zutrauen wollte. Dann<br />
hatte sie ein zweites Studium absolviert – und<br />
plötzlich war die Luft raus.<br />
Sie suchte einen Therapeuten und fand eine<br />
Frau, die ihre Situation erahnen konnte, weil<br />
sie selbst einen Schlaganfall und eine Brustamputation<br />
hinter sich hatte. „Ich musste erst<br />
wieder lernen, mich anzuschauen und anzunehmen“,<br />
erinnert sich Dagmar Marth. Damals<br />
war sie oft verärgert, weil sie sich von allen<br />
Menschen angestarrt fühlte. Die Reaktion der<br />
Therapeutin öffnete ihr die Augen: „Nicht die<br />
anderen sind schuld, Sie selbst wollen nicht<br />
hinschauen!“<br />
Dagmar Marth hat einige Zeit gebraucht, um<br />
ihr neues Leben anzunehmen. Diese Erfahrung<br />
kann man weitergeben, findet sie. Heute<br />
berät sie als Reha-Coach frisch Amputierte.<br />
Wenn sie heute in Berlin ihr Wissen und ihre<br />
Erfahrungen anbietet, dann will sie keinesfalls<br />
psychotherapeutische Hilfe ersetzen.<br />
„Das kann ich nicht“, sagt sie bestimmt. „Aber<br />
ich kann zeigen, dass das Leben weitergeht“.<br />
Viele Betroffene brauchen beides: die psychotherapeutischen<br />
Angebote und das lebendige<br />
Beispiel, das Mut macht.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
menschen
menschen<br />
Frisch amputiert:<br />
Wo findet man Hilfe?<br />
Das Berliner Sanitätshaus<br />
Eprotec vermittelt den Kontakt<br />
zu Dagmar Marth als<br />
Rehacoach:<br />
eMail: info@eprotec,<br />
tel 0 30-56 88 22-0<br />
Eine Auflistung von deutschen<br />
Selbsthilfegruppen<br />
Amputierter findet man im<br />
http://www.ampuwiki.de/<br />
wiki/Selbsthilfegruppen_in_<br />
Deutschland<br />
Beim Hamburger Institut<br />
ampu-vita (http://ampu-vita.<br />
de) werden Menschen mit<br />
Amputationen beraten.<br />
Hier legt man viel Wert darauf,<br />
dass die Beratung unabhängig<br />
von Sanitätshäusern,<br />
prothetischer Industrie und<br />
Kliniken stattfindet.<br />
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Leben in der Öffentlichkeit<br />
Dagmar Marth hätte ihren Körper oft am<br />
liebsten vor der Welt versteckt. Ihren beiden<br />
Kindern hat sie es zu verdanken, dass sie<br />
trotzdem unter Menschen kam. Sie sorgten<br />
ohne es zu wissen jahrelang dafür, dass sie<br />
den Kontakt zur Umwelt behielt und immer<br />
wieder versuchte, Probleme zu bewältigen.<br />
„Ich hatte zwar einen Zivi“, erzählt sie, „aber<br />
die Mama sollte eben doch immer mitkommen“.<br />
Ins Schwimmbad, auf den Spielplatz,<br />
in den Buddelkasten. Untersuchungen beim<br />
Kinderarzt gehörten genauso zum Alltag wie<br />
Elternsprechtage oder Kinderbesuche. Die<br />
Kinder kannten ihre Mutter nicht anders als<br />
mit Prothese. Sie nahmen sie ganz selbstverständlich<br />
an.<br />
Auch heute noch fällt Dagmar Marth auf,<br />
wenn sie als einzige behinderte Frau in die<br />
Sauna, ins Schwimmbad und ins Fitnessstudio<br />
geht. Aber die neugierigen Blicke oder das angestrengte<br />
Wegsehen sind für sie nicht mehr<br />
so verletzend wie früher. Sie kann sich trotz<br />
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Einbau kann in Mehrfamilienhäusern, engen Treppenhäusern, über mehrere Etagen<br />
erfolgen. Haltestellen sind frei wählbar. Die Bedienung erfolgt auch bei eingeschränkter<br />
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der sichtbaren Narben wieder als Mensch und<br />
– auch das ist ihr wichtig – als Frau fühlen.<br />
Dagmar Marth ist in Berlin keine unbekannte<br />
Frau. Sie hat vor ihrem Unfall fünf Jahre in<br />
Jena Pantomime gespielt, vor ihrem Unfall<br />
also bereits Bühnenerfahrung gesammelt.<br />
Heute traut sie sich wieder auf die Bühne, hat<br />
eine Rilke-Lesung und gemeinsam mit mehreren<br />
Künstlern eine Benefizveranstaltung<br />
zu Gunsten bedürftiger Menschen in Nepal<br />
organisiert. Vielleicht ist ein eigenes Buch das<br />
nächste Projekt. Einen Titel gibt es schon: „Wie<br />
fange ich einen Reißverschluss?“. Überhaupt<br />
hat diese Frau ein Händchen für nachdenklich-witzige<br />
Titel. Im Herbst veranstaltet sie<br />
mit anderen Künstlern in der Passionskirche<br />
zum dritten Mal eine Benefizveranstaltung:<br />
„The sound of one hand clapping“.<br />
Text: Ruth Auschra<br />
Fotos: Auschra (1), privat<br />
Tipps für Menschen<br />
mit frischer Amputation<br />
§ Bleiben Sie nicht in der Vergangenheit<br />
hängen. Sie leben jetzt! Es nützt Ihnen<br />
nichts, wenn Sie Ihr heutiges Leben<br />
ständig mit Ihrer früheren Situation oder<br />
mit anderen Menschen vergleichen.<br />
§ Denken Sie über Ihre Wünsche und<br />
Möglichkeiten nach, nicht über die Einschränkungen!<br />
Es ist viel viel mehr möglich,<br />
als man sich das in der ersten Zeit<br />
vorstellen kann. Setzen Sie sich Ziele!<br />
Lassen Sie sich nicht von den Sorgen und<br />
Ängsten anderer Menschen Grenzen setzen!<br />
§ Eine gut sitzende Prothese ist das A<br />
und O für eine gute und schmerzfreie<br />
Mobilität. Die Anproben sollten so lange<br />
dauern, bis die Prothese wirklich passt.<br />
§ Sprechen Sie mit Angehörigen und<br />
Freunden über ihre Empfindungen. Aber<br />
zwingen Sie sich nicht, jedem neugierigen<br />
Menschen alle Fragen zu beantworten.<br />
§ Lassen Sie Trauer zu. Eine Therapie<br />
kann dabei helfen, eine Selbstablehnung<br />
schneller zu überwinden.
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technik<br />
Berliner Leistungszentrum Orthopädietechnik:<br />
Am Unfallkrankenhaus Berlin eröffnete die Eprotec<br />
GmbH Anfang November Berlins erste gläserne Manufaktur<br />
für Orthopädietechnik. Geschäftsführer Christian<br />
Hartz und sein Team präsentierten die Räumlichkeiten<br />
und technischen Einrichtungen des neuen Leistungszentrums<br />
stolz den Gästen aus Politik, Wirtschaft, Medien<br />
und Gesundheitswesen. Schwerpunkt der Einrichtung ist<br />
die Versorgung mit Prothesen und Epithesen.<br />
18<br />
Professionell<br />
und persönlich<br />
Eine myoelektrische<br />
Armprothese.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
D<br />
as architektonisch reizvolle Gebäude auf<br />
dem Gelände des Unfallkrankenhauses<br />
Berlin kann sich sehen lassen. Es kombiniert<br />
historisches und hochmodernes Ambiente,<br />
gleichzeitig ermöglichen die Räumlichkeiten<br />
eine perfekte organisatorische Abstimmung<br />
der Arbeitsabläufe und bieten den Mitarbeitern<br />
gut beleuchtete und belüftete Arbeitsplätze.<br />
Die Patienten werden das freundliche<br />
Ambiente lieben, den großzügigen Ausstellungsbereich<br />
– und die Mischung aus professioneller<br />
und persönlicher Atmosphäre.<br />
Im Anpassungsbereich ist ausreichend Platz<br />
für Gespräche unter vier Augen: „Sie glauben<br />
gar nicht, wie viele offene Worte in so einer<br />
Anprobe stattfinden“, erklärt Christian Hartz,<br />
Geschäftsführer der Eprotec GmbH.<br />
Ganz wichtig für die Qualität der Arbeit ist es<br />
sicherlich, dass alle Eprotec-Mitarbeiter auf<br />
Patienten mit Prothesen und Epithesen spezialisiert<br />
sind. Hier im Unfallkrankenhaus Berlin<br />
arbeiten Orthopädietechniker und Ärzte eng<br />
zusammen, die Techniker werden beispielsweise<br />
schon in die OP-Teams integriert.<br />
Das neu eröffnete Leistungszentrum ist das<br />
Resultat einer langjährigen Weiterentwicklung<br />
der Kooperation zwischen Unfallkrankenhaus<br />
und Orthopädietechnik. Klar, dass<br />
Die Arbeit mit Silikon gehört zu den Schwerpunkten<br />
des Berliner Leistungszentrums.
man hier über ein vielfältiges Angebot an moderner<br />
Technik aus dem Bereich der Prothesen<br />
verfügt: myoelektrische Armprothesen, computergesteuerte<br />
Knie- und Fußsysteme und<br />
komplexe Diagnosesysteme für Testschäfte<br />
beispielsweise. Hier sieht man Edelstahl statt<br />
rostigem Baustahl und Arbeitsflächen mit<br />
modernen Touchscreens statt alter Werkbänke.<br />
Eine hauseigene Testlaufstrecke mit verschiedenen<br />
Oberflächenbelägen ermöglicht<br />
Probeläufe mit der Prothese, auch videooptische<br />
Ganganalysen gehören mit dazu.<br />
Den überwiegend jungen Mitarbeitern macht<br />
die Arbeit ganz offensichtlich Freude. Ihnen<br />
ist es wichtig, für technisch und optisch perfekt<br />
angepasste Prothesen und Epithesen zu<br />
sorgen. „Die Patienten müssen ihre Prothese<br />
annehmen“, erklärt eine Mitarbeiterin und<br />
beschreibt, dass sie sich als Wegbegleiterin<br />
versteht.<br />
Geschäftsführer Hartz ist überzeugt, dass zur<br />
Technik immer auch das Wort gehören muss,<br />
dass Gespräche, Zuwendung und Vertrauen<br />
die Qualität einer Behandlung ausmachen.<br />
„Verstehen kann man das Leben rückwärts,<br />
leben muss man es aber vorwärts“, erinnert er<br />
mit einem Kierkegaard-Zitat. Man spürt, dass<br />
den Patienten hier geholfen wird, das Leben<br />
wieder vorwärts zu leben.<br />
Text & Fotos:<br />
Ruth Auschra<br />
Hier kann man<br />
die Prothese<br />
ausprobieren.<br />
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forschung<br />
20<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
M<br />
Zukunftshoffnung:<br />
Mit der Kraft<br />
der Gedanken<br />
bewegen<br />
Bereits seit einigen Jahren forschen Wissenschaftlerteams<br />
in Europa und in den USA an Brain-Computer-Interface-Systemen<br />
(BCI), die eine direkte Verbindung<br />
zwischen Mensch und Maschine ermöglichen<br />
sollen. Über Hirnströme wäre man dann in<br />
der Lage Maschinen zu steuern, Texte zu tippen<br />
oder mit Bällen spielen. Das würde neue Möglichkeiten<br />
für vollständig gelähmte<br />
Menschen eröffnen.<br />
an hat den Eindruck, als wäre ein Zauberer<br />
am Werk. Harry Potter hätte daran sicher<br />
sein Vergnügen gehabt. Katja Hansen und Michael<br />
Tangermann flippern und der Flipper wird<br />
wie von Geisterhand bedient. Zauberei steckt<br />
natürlich nicht dahinter, es erscheint einem nur<br />
so, bedenkt man, dass weder durch die Hände,<br />
noch durch eine Tastatur oder Augenzwinkern<br />
die Kugel in Bewegung gesetzt wird. Nur Gedanken<br />
setzen die beiden Forscher ein. Dies demonstrierte<br />
im letzten Sommer ein Experiment<br />
des Forscherteams um Professor Klaus-Robert<br />
Müller vom Fachgebiet Maschinelles Lernen der<br />
Technischen Universität Berlin. Mit einem Experiment<br />
an der Schnittstelle zwischen Gehirn und<br />
Maschine ist es der Forschergruppe gelungen,<br />
einen Durchbruch zu verzeichnen, das weitere<br />
Anwendungen eröffnet.<br />
Die Probanden steuern über das Berliner Brain<br />
Computer Interface (BBCI) einen Flipper-Automaten<br />
in Echtzeit. Sie sitzen dabei mit einer<br />
durchlöcherten Plastikkopfbedeckung nach Art<br />
einer Friseurhaube oder einer Badekappe mit<br />
Löchern vor einem Flipperautomaten und kicken<br />
dabei die Kugel flott umher, ganz ohne die
Hände zu benutzen, allein durch die Kraft ihrer<br />
Gedanken. Aus der Haube ragen Elektroden, die<br />
ihre Hirnaktivität abnehmen. Diese Signale werden<br />
dann an das BBCI weitergeleitet, welches<br />
dann die Steuersignale für Computer oder andere<br />
Maschinen umwandelt.<br />
Die Forscher nutzen die elektrische Hirnaktivität,<br />
die durch das Elektroenzephalogramm (EEG) beschrieben<br />
wird, indem die an der Kopfhaut angebrachten<br />
Elektroden die Hirnströme messen,<br />
die beim Denken entstehen. „Diese so erfassten<br />
Vorstellungen einer Bewegung werden verstärkt<br />
und an einen Computer zur blitzschnellen Auswertung<br />
übermittelt, der die Gehirnsignale in<br />
Steuerimpulse umwandelt“, so Müller. Neurologen<br />
wissen: Nicht nur tatsächliche Bewegungen<br />
erzeugen charakteristische Hirnmuster im motorischen<br />
Kortex, jenem Areal also, das unsere<br />
Bewegungen steuert, sondern bereits der Gedanke<br />
daran. Daher reagiert der Flipper in Millisekunden<br />
auf Gedanken des Nutzers. „Wir haben<br />
das schnellste System weltweit“, so Klaus-Robert<br />
Müller. „Das besondere an unserer Schnittstelle<br />
ist, dass sie in Echtzeit funktioniert. Und wie<br />
könnte man das besser demonstrieren als beim<br />
Flipperspiel, bei dem man nicht lange fackeln<br />
kann.“<br />
Mit Brain Computer Interfaces (BCI), den Schnittstellen<br />
zwischen Gehirn und Rechnern, die einen<br />
direkten Dialog zwischen Mensch und Maschine<br />
ermöglichen, befassen sich laut Müller derzeit ca.<br />
200 Arbeitsgruppen aus verschiedenen Ländern.<br />
Es ist klar, dass dieses vorklinische Experiment<br />
einen Sinn hat und nicht nur ein Zeitvertreib ist.<br />
Dies eröffnet künftig ein breites Feld von Anwendungen.<br />
„Für Patienten mit Muskelschwund<br />
oder Querschnittlähmung wäre das eine echte<br />
Lebensbereicherung, wenn sie damit Computer,<br />
Prothesen oder Rollstühle steuern können“, betont<br />
Müller.<br />
Vom Gedanken zur Aktion<br />
Doch ganz so einfach ist der Weg von der vorgestellten<br />
Handlung zur Tat nicht: Denn durch<br />
unser Gehirn geistern unzählige Informationen.<br />
Aus diesem Wirrwarr von Eindrücken muss die<br />
richtige Anweisung an ein externes Gehirn herausgefiltert<br />
werden und das möglichst schnell.<br />
Müller bezeichnet das als „Cocktailparty des<br />
Großhirns“, bei der Hunderte Hirnareale zugleich<br />
Signale senden. Die Waschmaschine brummt,<br />
das Essen brennt an, der nächste Einkauf wird<br />
überdacht, die Post kommt, der Magen knurrt,<br />
die Greifprothese soll zupacken – alles gleichzeitig.<br />
Aus all dem soll das Gehirn das gewünschte<br />
Signal herausfiltern – so wie man bei einer Party<br />
bei allem Geplapper drum herum nur dem Gegenüber<br />
zuhört.<br />
„Das maschinelle Lernen mit seinen modernen<br />
Rechenverfahren kann das Rauschen heute viel<br />
besser eliminieren“, erklärt Müller nach acht Jahren<br />
Arbeit am Projekt. „Vor einigen Jahren musste<br />
der Proband noch etwa 300 Stunden üben“,<br />
so der Berliner Forscher. „Heute reichen zehn bis<br />
zwanzig Minuten Training.“ Er berichtet von seiner<br />
Sekretärin, die zwischendurch auch gern mal<br />
einen Computer mit ihrer Gedankenkraft steuert.<br />
„Durch moderne Methoden des maschinellen<br />
Lernens und schnelle Rechenverfahren können<br />
diese EEG-Signale zielgenau in robuste Steuersignale<br />
für Computer oder andere Maschinen<br />
umgewandelt werden“, so Müller. Der Mensch<br />
muss nicht mehr lernen, wie man mit einer Maschine<br />
umzugehen hat, sondern umgekehrt.<br />
„Vor einigen<br />
Jahren musste<br />
der Proband<br />
noch etwa 300<br />
Stunden üben“,<br />
so der Berliner<br />
Forscher. „Heute<br />
reichen zehn bis<br />
zwanzig Minuten<br />
Training.“<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
21
forschung<br />
Nicht mit dem Blick,<br />
sondern mit Gedanken steuern.<br />
22 PARAPLEGIKER 1/10<br />
Warnung vor Euphorie<br />
Nicht wie gewohnt mit den Gliedmaßen, sondern<br />
mit Gedanken den Alltag zu meistern, gibt besonders<br />
Patienten mit Muskellähmung, Schlaganfall,<br />
sehr hoher Querschnittlähmung und auch Menschen<br />
mit Locked-in-Syndrom Hoffnung. Professor<br />
Nils Birbaumer arbeitet seit fast 15 Jahren auf<br />
dem Gebiet und warnt vor allzu großer Euphorie,<br />
auf schnell verfügbare praxistaugliche Hirn-Computer-Schnittstellen<br />
zu setzen.<br />
Die meisten Ansätze<br />
bewegten sich noch im<br />
Bereich der Grundlagenforschung.<br />
„Derzeit haben<br />
wir auf unserer Warteliste 4<br />
000 Schlaganfallpatienten“,<br />
so Birbaumer, „behandeln<br />
kann ich im Experiment<br />
nur etwa zehn bis zwanzig<br />
im Jahr.“ Der Leiter des<br />
Instituts für Medizinische<br />
Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der<br />
Universität Tübingen gilt als Vorreiter des Fachs.<br />
Er versucht seit Jahren, Gelähmten beizubringen,<br />
ihren Rollstuhl oder ihre Prothesen mit Gedankenkraft<br />
zu steuern.<br />
Die gedankliche Steuerung einer Prothese erfordert<br />
viel Konzentration. „Das könnte man mit<br />
dem Lernen einer Sprache vergleichen“, so der<br />
Forscher. Selbst gesunde Probanden müssen nach<br />
einer Stunde Pause machen. Für Schlaganfallpatienten<br />
ist die Anstrengung noch größer. Auch<br />
der Aufwand seitens der Ärzte, Psychologen und<br />
Pfleger ist hoch. „Das Problem ist nicht die Technik.<br />
Technisch ist der Mensch immer erfinderisch,<br />
aber wenn es um Psychologie geht, versagt er oft“,<br />
erklärt Birbaumer. „Noch sind die Erfolge eher gering“,<br />
so Birbaumer, „aber vor lauter Hoffnung wird<br />
ich noch ganz meschugge´“, sagt ein jiddisches<br />
Sprichwort“. Er geht davon aus, dass er in zwei Jahren<br />
sein System bei Locked-in-Patienten einsetzen<br />
kann.<br />
Solchen Menschen zu helfen, die „Locked-in“ sind,<br />
in ihrem Hirn eingeschlossen, ist so etwas wie die<br />
„Königsdisziplin“ der Wissenschaftler. So „eingesperrte“<br />
Patienten können sich nicht einmal durch<br />
Augenzwinkern verständlich machen. Das Einzige,<br />
wozu sie noch in der Lage sind, ist das Steuern ihrer<br />
Neuronen. „Die Gedanken sind frei, wer kann<br />
sie erraten?“ Birbaumer geht davon aus, dass es<br />
keineswegs aussichtslos ist, diese zu erhaschen. Er<br />
fand heraus, dass die Hirnpotentiale von Lockedin<br />
Patienten auf unterschiedliche Musikstücke, auf<br />
bekannte Gesichter und grammatikalische Fehler<br />
reagieren. „Wir können Locked-in-Patienten zwar<br />
beibringen zu kommunizieren mit unserem BCI“,<br />
so Birbaumer, „aber niemand hatte bisher mit<br />
jenen Erfolg, die schon länger als sechs Monate<br />
eingeschlossen sind. Das Problem lösen wir demnächst.<br />
Bei Schlaganfall funktioniert das hervorragend.“<br />
Der Forscher ist überzeugt, dass es in ungefähr<br />
zehn Jahren ein System gibt, das gelähmten<br />
Schlaganfallpatienten helfen wird, einfache Tätigkeiten<br />
selbst zu verrichten. Der Patient wird<br />
vielleicht eine Elektrodenkappe aufsetzen, eine<br />
tragbare Prothese benutzen und kann sich damit<br />
an den Tisch setzen und wieder wie ein normaler<br />
Mensch essen und trinken. Wenigstens für eine<br />
Stunde am Tag, da eine längere Konzentration vermutlich<br />
zu anstrengend wird.<br />
Aufsehenerregende Ergebnisse aus Tierversuchen<br />
von Laboratorien in den USA haben gezeigt, dass<br />
man Affen trainieren kann, alleine mit Gedankenkraft<br />
eine Prothese zu steuern. Dabei werden<br />
Aktionspotenziale von Zellen ihres motorischen<br />
Kortex (Hirnbereich) ausgelesen und in Greifbewegungen<br />
umgesetzt, Das hat der ganzen Forschung<br />
Auftrieb gegeben.<br />
Diese Tierexperimente zeigen, dass man aus den<br />
Hirnpotenzialen von wenigen Zellen im motorischen<br />
Kortex eine Bewegung ableiten kann. Man<br />
darf allerdings nicht vergessen, dass die Forscher<br />
dabei superintelligente Prothesen verwenden, die<br />
bereits schwache Hirnsignale in Greifbewegungen<br />
umsetzen können. Außerdem wurden alle Experimente<br />
an gesunden Tieren durchgeführt. Wenn<br />
man mit Menschen arbeitet, die durch einen<br />
Schlaganfall beeinträchtigt sind, sieht die Sache<br />
oft anders aus.<br />
„Das gesamte Feld wird massiv mit Forschungsgeldern<br />
unterstützt, so dass rasch weitere Fortschritte<br />
zu erwarten sind“, meint Birbaumer. Zu klären wäre<br />
auch noch, ob nicht invasive oder invasive Methoden,<br />
bei denen Neurochips implantiert werden,<br />
geeigneter sind. Birbaumers Vision: „ein System,<br />
das die Signale drahtlos aus dem Hirn funkt.“<br />
Text: Heike Stüvel<br />
Fotos: TU Berlin
forschung<br />
Nicht mit dem Blick,<br />
sondern mit Gedanken steuern.<br />
22 PARAPLEGIKER 1/10<br />
Warnung vor Euphorie<br />
Nicht wie gewohnt mit den Gliedmaßen, sondern<br />
mit Gedanken den Alltag zu meistern, gibt besonders<br />
Patienten mit Muskellähmung, Schlaganfall,<br />
sehr hoher Querschnittlähmung und auch Menschen<br />
mit Locked-in-Syndrom Hoffnung. Professor<br />
Nils Birbaumer arbeitet seit fast 15 Jahren auf<br />
dem Gebiet und warnt vor allzu großer Euphorie,<br />
auf schnell verfügbare praxistaugliche Hirn-Computer-Schnittstellen<br />
zu setzen.<br />
Die meisten Ansätze<br />
bewegten sich noch im<br />
Bereich der Grundlagenforschung.<br />
„Derzeit haben<br />
wir auf unserer Warteliste 4<br />
000 Schlaganfallpatienten“,<br />
so Birbaumer, „behandeln<br />
kann ich im Experiment<br />
nur etwa zehn bis zwanzig<br />
im Jahr.“ Der Leiter des<br />
Instituts für Medizinische<br />
Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der<br />
Universität Tübingen gilt als Vorreiter des Fachs.<br />
Er versucht seit Jahren, Gelähmten beizubringen,<br />
ihren Rollstuhl oder ihre Prothesen mit Gedankenkraft<br />
zu steuern.<br />
Die gedankliche Steuerung einer Prothese erfordert<br />
viel Konzentration. „Das könnte man mit<br />
dem Lernen einer Sprache vergleichen“, so der<br />
Forscher. Selbst gesunde Probanden müssen nach<br />
einer Stunde Pause machen. Für Schlaganfallpatienten<br />
ist die Anstrengung noch größer. Auch<br />
der Aufwand seitens der Ärzte, Psychologen und<br />
Pfleger ist hoch. „Das Problem ist nicht die Technik.<br />
Technisch ist der Mensch immer erfinderisch,<br />
aber wenn es um Psychologie geht, versagt er oft“,<br />
erklärt Birbaumer. „Noch sind die Erfolge eher gering“,<br />
so Birbaumer, „aber vor lauter Hoffnung wird<br />
ich noch ganz meschugge´“, sagt ein jiddisches<br />
Sprichwort“. Er geht davon aus, dass er in zwei Jahren<br />
sein System bei Locked-in-Patienten einsetzen<br />
kann.<br />
Solchen Menschen zu helfen, die „Locked-in“ sind,<br />
in ihrem Hirn eingeschlossen, ist so etwas wie die<br />
„Königsdisziplin“ der Wissenschaftler. So „eingesperrte“<br />
Patienten können sich nicht einmal durch<br />
Augenzwinkern verständlich machen. Das Einzige,<br />
wozu sie noch in der Lage sind, ist das Steuern ihrer<br />
Neuronen. „Die Gedanken sind frei, wer kann<br />
sie erraten?“ Birbaumer geht davon aus, dass es<br />
keineswegs aussichtslos ist, diese zu erhaschen. Er<br />
fand heraus, dass die Hirnpotentiale von Lockedin<br />
Patienten auf unterschiedliche Musikstücke, auf<br />
bekannte Gesichter und grammatikalische Fehler<br />
reagieren. „Wir können Locked-in-Patienten zwar<br />
beibringen zu kommunizieren mit unserem BCI“,<br />
so Birbaumer, „aber niemand hatte bisher mit<br />
jenen Erfolg, die schon länger als sechs Monate<br />
eingeschlossen sind. Das Problem lösen wir demnächst.<br />
Bei Schlaganfall funktioniert das hervorragend.“<br />
Der Forscher ist überzeugt, dass es in ungefähr<br />
zehn Jahren ein System gibt, das gelähmten<br />
Schlaganfallpatienten helfen wird, einfache Tätigkeiten<br />
selbst zu verrichten. Der Patient wird<br />
vielleicht eine Elektrodenkappe aufsetzen, eine<br />
tragbare Prothese benutzen und kann sich damit<br />
an den Tisch setzen und wieder wie ein normaler<br />
Mensch essen und trinken. Wenigstens für eine<br />
Stunde am Tag, da eine längere Konzentration vermutlich<br />
zu anstrengend wird.<br />
Aufsehenerregende Ergebnisse aus Tierversuchen<br />
von Laboratorien in den USA haben gezeigt, dass<br />
man Affen trainieren kann, alleine mit Gedankenkraft<br />
eine Prothese zu steuern. Dabei werden<br />
Aktionspotenziale von Zellen ihres motorischen<br />
Kortex (Hirnbereich) ausgelesen und in Greifbewegungen<br />
umgesetzt, Das hat der ganzen Forschung<br />
Auftrieb gegeben.<br />
Diese Tierexperimente zeigen, dass man aus den<br />
Hirnpotenzialen von wenigen Zellen im motorischen<br />
Kortex eine Bewegung ableiten kann. Man<br />
darf allerdings nicht vergessen, dass die Forscher<br />
dabei superintelligente Prothesen verwenden, die<br />
bereits schwache Hirnsignale in Greifbewegungen<br />
umsetzen können. Außerdem wurden alle Experimente<br />
an gesunden Tieren durchgeführt. Wenn<br />
man mit Menschen arbeitet, die durch einen<br />
Schlaganfall beeinträchtigt sind, sieht die Sache<br />
oft anders aus.<br />
„Das gesamte Feld wird massiv mit Forschungsgeldern<br />
unterstützt, so dass rasch weitere Fortschritte<br />
zu erwarten sind“, meint Birbaumer. Zu klären wäre<br />
auch noch, ob nicht invasive oder invasive Methoden,<br />
bei denen Neurochips implantiert werden,<br />
geeigneter sind. Birbaumers Vision: „ein System,<br />
das die Signale drahtlos aus dem Hirn funkt.“<br />
Text: Heike Stüvel<br />
Fotos: TU Berlin
technik<br />
BMW Werksbesichtigung:<br />
Freude am Sch<br />
Wer gern nach<br />
München reist,<br />
nicht nur wegen<br />
der viel gepriesenen<br />
Weißwurst<br />
und den bayer-<br />
ischen Brez´n, für<br />
den sind Sehenswürdigkeiten<br />
wie Deutsches<br />
Museum, Pinakothek<br />
und Lenbach<br />
Galerie feste Begriffe.<br />
Mit Glück<br />
erfährt er vom<br />
BMW Museum und<br />
mit viel Glück von<br />
der barrierefreien<br />
Werksführung in<br />
den Bayerischen<br />
Motorenwerken.<br />
(1) Tanz der<br />
Schweißroboter.<br />
(2) Führung durchs<br />
BMW-Werk.<br />
(3) Fertige Karosserien<br />
im Lager.<br />
(4) Hochzeit:<br />
Karosserie trifft<br />
Fahrgestell.<br />
24 PARAPLEGIKER 1/10<br />
1<br />
D<br />
a Parkplätze rund um das BMW Werk<br />
recht knapp sind, lohnt es sich mit der U<br />
3 bis vor die Werkstüren zu fahren. Nach Auskunft<br />
unserer Führerin ist eine Anmeldung<br />
nicht erforderlich, dennoch: sicher ist sicher.<br />
Der Besucher sollte auf jedem Fall für die<br />
höchst interessante Führung 2 ½ Stunden einplanen.<br />
Rollstuhl-WCs gibt es unterwegs. Wer<br />
etwas mehr Zeit zur Verfügung hat, für den<br />
lohnt sich auf jeden Fall noch der Besuch des<br />
BMW-Museums in der „Schüssel“. Es gibt wenige<br />
Autohersteller, die eine so umfangreiche<br />
Palette an technischen<br />
Fortbewegungsmitteln 2<br />
anzubieten haben. Über<br />
die zentrale Besucherrampe<br />
(12 % Steigung)<br />
sind alle Exponate miteinander<br />
verbunden. Es<br />
ist ratsam, von oben nach<br />
unten zu fahren. Eine Begleitperson<br />
ist erforderlich.<br />
Die Öffnungszeiten sind von:<br />
Dienstag bis Sonntag und Feiertag:<br />
10.00 - 18.00 Uhr<br />
Der Eintritt beträgt für behinderte Menschen 6 €.<br />
Sehenswert ist die BMW Art Car Collection, mit<br />
Design-Autos von Calder, Stella, Roy Lichtenstein<br />
und Andy Warhol. Aber auch die große<br />
Palette von Motorrädern, die BMW gebaut hat,<br />
ist dort zu bestaunen. Was heute nicht mehr<br />
viele wissen: Die Bayerischen-Motorenwerke<br />
bauten einst auch Flugzeugmotoren, die sehr<br />
komplizierten Sternmotoren.
auen<br />
Ob vor oder nach dem Museumsbesuch – die<br />
Werksführung ist für behinderte Personen<br />
ohne Probleme zu bewältigen. Sie beginnt im<br />
Presswerk, das die Karosserieteile anfertigt.<br />
Von einem erhöhten Standort ist alles sehr gut<br />
zu betrachten und der Besucher wundert sich,<br />
dass so wenige Menschen dort arbeiten. Auch<br />
der Lärmpegel ist bei weitem nicht mehr so<br />
hoch. Darüber wundere ich mich besonders.<br />
Immerhin wohnte ich jahrelang in der Nähe<br />
des BMW-Werks und kannte diesen Gebäudekomplex<br />
nur von außen und dem ohrenbetäubenden<br />
Lärm des Presswerkes. Unsere Führerin<br />
erklärt es uns damit, dass heute die Pressen mit<br />
Stahlfedern gelagert sind und somit Schwingungen<br />
und Pressgeräusche erheblich vermindert<br />
wurden.<br />
Bereits nach wenigen Metern ist die Halle erreicht,<br />
in der die Karosserie verschweißt und<br />
verklebt wird. Richtig gelesen: Einige Teile werden<br />
verklebt. Eine Augenweide ist das Roboter-<br />
Ballett, das in der Seitenrahmenfertigung mit<br />
höchster Präzision arbeitet. Zwölf Roboter exakt<br />
aufeinander abgestimmt arbeiten auf 820 qm<br />
Fläche im 56-Sekunden-Takt. In dieser Abteilung<br />
können zwei Modelle produziert werden,<br />
ohne dass das Werkzeug gewechselt werden<br />
muss. Entsteht ein fehlerhaftes Teil, wird es nach<br />
der optischen Vermessung sofort aussortiert. Es<br />
ist faszinierend, wie die Roboter im gleichmäßigen<br />
Arbeitsrhythmus arbeiten, fehlt nur noch<br />
die Musik von Depeche Mode (oder Kraftwerk;<br />
Anm.d.Red.). Die nun zusammen gefügte Karosserie<br />
gelangt auf dem Förderband in die<br />
Lackiererei. Man erfährt, dass jede Karosserie<br />
anhand eines Ordners montiert wird. Der Kunde<br />
kann bis eine Woche vor Montagestart die<br />
Wagenfarbe bestimmen. Dazu dient auch die<br />
Karosserie-Sortieranlage, in der fertig lackierte<br />
Karosserien auf ihren Abruf warten.<br />
Die fertige Karosserie wird vom Band zur sogenannten<br />
„Hochzeit“ gebracht – so nennt man<br />
das Zusammenführen von Karosserie und Fahrgestell.<br />
Auch dies sieht man alles von einem<br />
Standort, der einen guten „Weitblick“ über das<br />
Montageband zulässt. Unsere Führung lotst<br />
uns über die Sattlerei zur Endmontage und<br />
letztlich zur Endkontrolle.<br />
Alle Besichtigungspunkte sind für Rollstuhlfahrer<br />
gut eingerichtet und zur störungsfreien Betrachtung<br />
umgebaut. In der Lackiererei wurde<br />
extra eine Bühne eingebaut. Hier wurde auch<br />
ein Lift installiert, um dem behinderten Besucher<br />
die unterschiedlichen Lackiervorgänge<br />
anschaulich zu machen. Alle Wege sind mit<br />
Rampen ausgestattet und machen eine unbeschwerte<br />
Führung möglich. Auch Behinderten-<br />
WCs sind vorhanden. Die für die Führung verantwortliche<br />
Person ist darauf bedacht, diesen<br />
Rundgang in einem für alle angenehmen Tempo<br />
zu gestalten. Sie lässt jedem genügend Zeit,<br />
die verschiedenen Abteilungen ohne Atemnot<br />
zu genießen. Die Guides erklären gut und sind<br />
sensibilisiert, was nicht selbstverständlich ist.<br />
Text & Fotos:<br />
Johann Kreiter<br />
3 4<br />
technik<br />
Kontakt:<br />
tel 0180- 2 3242 52 (0,06 € pro<br />
Anruf/dt. Festnetz)<br />
Mo bis So von 8 bis 22 Uhr<br />
eMail:<br />
kundenbetreuung@bmw.de<br />
www.bmw.de
markt<br />
Wenn Opa seine Enkel<br />
besucht, hat er häufig ein<br />
Problem: Als Prothesenträger<br />
fällt ihm nähmlich<br />
das Treppensteigen<br />
schwer. Zuhause benutzt<br />
er deshalb einen Treppenlift.<br />
Weil es aber immer<br />
mehr Menschen mit<br />
Geh- oder Sehbehinderungen<br />
gibt,<br />
sollten Treppen generell<br />
„barrierefrei“<br />
gestaltet werden.<br />
Stabile, DIN-gerechte<br />
Handläufe sollten auch im<br />
Bestand links und rechts<br />
nachgerüstet werden.<br />
26<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Bauen-wohnen-renovieren:<br />
Hand drauf – auf den<br />
Treppen-Handlauf<br />
D<br />
Doch auch Treppen im Bestand sollten stärker<br />
abgesichert werden als bisher. Dazu gehören, so<br />
das DIT, griffsichere Handläufe auf der linken und<br />
rechten Seite, die über die erste und letzte Stufe<br />
zu führen sind, sowie rutschfeste Beläge und eine<br />
gute Beleuchtung. „Vorhandene Treppen werden<br />
durch Handläufe auf beiden Seiten bequemer und<br />
sicherer. Sie helfen auch Stürze zu vermeiden.“ Die<br />
Handläufe sollten gemäß den Bestimmungen der<br />
DIN 18025 (Barrierefreies Bauen) einen Durchmesser<br />
zwischen drei und 4,5 Zentimeter haben sowie<br />
gut umfassbar sein. Der innere Handlauf darf am<br />
Treppenauge nicht unterbrochen sein. Der äußere<br />
Wandhandlauf muss in 85 Zentimeter Höhe 30 Zentimeter<br />
waagerecht über den Anfang und das Ende<br />
der Treppe hinaus ragen. Darüber hinaus raten die<br />
Experten, in Mehrfamilienhäusern taktile Geschoss-<br />
und Wegbezeichnungen für Blinde und Sehbehinderte<br />
anzubringen. Diese könnten an Handläufen<br />
und Geländer integriert werden. Für die Nachrüs-<br />
Barrierefreie Treppen nützen allen,<br />
die sie nutzen können.<br />
tung bestehender Gebäude gibt es geeignete, DINbarrierefrei<br />
geprüfte Handlaufsysteme.<br />
Wie wichtig Sicherheitsmaßnahmen an Treppen im<br />
eigenen Heim sind, machen die Zahlen des statistischen<br />
Bundesamtes deutlich. Danach starben im<br />
Jahre 2007 genau 1100 Menschen durch direkten<br />
Sturz auf oder von Treppen oder Stufen. Rund vier<br />
von fünf dieser Unfälle fanden zu Hause statt. Die<br />
meisten tödlichen Stürze sind in der Altersgruppe<br />
ab 65 Jahren anzutreffen, aber bereits ab dem 55.<br />
Lebensjahr steigt das Risiko des tödlichen Sturzes<br />
an. Jeder siebte Sturz einer Person ab 65 Jahren<br />
endet mit einer Hüftfraktur. Dazu kommen jährlich<br />
rund 160.000 Frakturen des Oberschenkelhalses, sodass<br />
der Sturz mit weitem Abstand die häufigste Unfallursache<br />
im häuslichen Bereich ist und der Treppensturz<br />
die häufigste Todesunfallursache. Relativ<br />
bescheiden sind dagegen die tödlichen Stürze bei
Eis und Schnee (acht Stürze), vom Baum (29 Stürze)<br />
oder von Leitern (116 Todesfälle). 119 tödliche Stürze<br />
ereigneten in öffentlich zugänglichen Gebäuden.<br />
Bauordnungen greifen<br />
In öffentlich zugänglichen Gebäuden gilt heute schon<br />
Nachrüstpflicht. Eigentümer oder Pächter müssen bestehende<br />
Einrichtungen nachrüsten, soweit es wirtschaftlich<br />
zumutbar ist. Selbst der Denkmalschutz steht dem<br />
Hauseigentümer nicht zur Seite. So wurde beispielsweise<br />
das Bayerische Denkmalschutzgesetz ergänzt,<br />
dass auch die baulichen Anlagen so zu verändern sind,<br />
dass diese von Menschen mit Behinderung und sonstigen<br />
Mobilitätsbeeinträchtigungen erreicht werden<br />
können. Die Landesbauordnung in Niedersachsen hat<br />
den Aspekt eines zweiten Handlaufs in hinreichender<br />
Form bestimmt und lässt bei notwendigen Treppen<br />
Abweichungen nur in Ausnahmefällen zu. „Treppen<br />
müssen mindestens einen Handlauf haben. Notwendige<br />
Treppen müssen beiderseits Handläufe haben. Die<br />
Handläufe müssen fest und griffsicher sein“, heißt es<br />
da. Ausnahmen gibt es nur, wenn behinderte oder alte<br />
Menschen die Treppe nicht oder nur in seltenen Fällen<br />
zu benutzen brauchen und für Wohngebäude mit nicht<br />
mehr als zwei Wohnungen und in Wohnungen. Wohnanlagen<br />
mit mehr als zwei Wohnungen sind demnach<br />
als öffentlich zugängliche Gebäude zu werten.<br />
Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau unterstützt<br />
den alten- und behindertengerechten Umbau<br />
von Wohnungen und Häusern mit zinsgünstigen Darlehen.<br />
Die Ausgaben können steuerlich abgesetzt werden,<br />
wenn die Arbeiten von einem qualifiziertem Handwerksbetrieb<br />
durchgeführt werden. Hier ist besonders<br />
darauf zu achten, dass die Handläufe DIN gerecht auszuführen<br />
sind. DIT-Geschäftsführerin Antje Ebner rät<br />
dazu, diese Fördermittel zu nutzen: „In unseren Beratungen,<br />
machen wir immer wieder die Erfahrung, dass<br />
die Menschen die Unfallrisiken zu Hause unterschätzen<br />
und aus falsch verstandener Sparsamkeit auf notwendige<br />
Veränderungen verzichten.“ Es ist daher noch viel<br />
Überzeugungsarbeit zu leisten, damit die Betroffenen<br />
und ihre Angehörigen erkennen, dass auch kleine Mittel<br />
die Wohnqualität entscheidend verbessern können.<br />
Vielleicht kommt dann Opa auch öfters zu Besuch.<br />
Tipps<br />
Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des<br />
Deutschen Instituts für Treppensicherheit e.V. (DIT),<br />
Augsburg, unter www.treppensicherheit.de. Auf www.<br />
treppen.de finden Sie Treppenanbieter aus Ihrer Region<br />
nach Postleitzahlen sortiert. Die Initiative www.sicheregemeinden.at<br />
bietet Beratung zur Unfallverhütung in<br />
allen Lebensbereichen und für jede Altersgruppe. Informationen<br />
zu einschlägigen Vorschriften, Produkten und<br />
Projekten sowie zu Fördermitteln, Zuschüssen und Finanzierungsmöglichkeiten<br />
gibt es bei www.nullbarriere.de.<br />
Informationen über griffsichere Handlauf-Systeme „DIN<br />
geprüft barrierefrei“ findet man unter www.flexo-handlauf.de.<br />
Informieren Sie sich auf www.bauordnungen.<br />
de über verschiedene regionale und nationale Bauordnungen.<br />
Auf treppenbauer.eu können Sie bundesweit<br />
nach Fachhändlern und Treppenherstellern suchen.<br />
Infos zur nachträglichen Antirutschbehandlung von Böden<br />
und Treppenstufen finden Sie unter www.slipstop.<br />
ch oder www.grip-antirutsch.com. Handläufe, Treppen-<br />
und Brüstungsgeländer für den Aufgang- und Treppenbereich<br />
fertigt Normbau individuell und auf Aufmaß an<br />
(www.normbau.de).<br />
Text: Raimund Artinger<br />
Anzeige<br />
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®<br />
KADOMO<br />
<br />
<br />
markt
kultur<br />
Karikaturen<br />
von<br />
Barbara Früchtel<br />
28<br />
PARAPLEGIKER 1/10
Das silberne Spar-Schwein:<br />
Handeln wie im Basar<br />
Alle klagen über die steigenden Kosten im Gesundheitswesen.<br />
Einer der Gründe dafür ist typisch deutsch: die Fülle von Gesetzen,<br />
Richtlinien, Anordnungen und anderen Vorschriften, mit denen bei<br />
uns alles und jedes bis ins letzte reguliert wird. Kein Wunder, dass<br />
der einfache Sozialversichungsfachangestellte („Sofa“) da nicht mehr<br />
durchblickt und nach anderen Problemlösungen Ausschau hält.<br />
Dabei hat sich anscheinend der eine oder<br />
andere von ihnen die Basare unserer südeuropäischen<br />
Nachbarn zum Vorbild genommen.<br />
Da wird mit den Patienten verhandelt und<br />
gefeilscht, um gesetzlich vorgeschriebene<br />
Leistungen nicht erfüllen zu müssen oder zumindest<br />
teilweise einzusparen. Dieser Virus<br />
greift in letzter Zeit schneller um sich als es<br />
für die Schweinegrippe vorhergesagt worden<br />
war. Krankenkassen, Sozialämter, keiner bleibt<br />
verschont, selbst die Berufsgenossenschaften<br />
nicht, die bisher dafür nicht anfällig schienen.<br />
Fall eins, eine Krankenkasse: „Wir übernehmen<br />
die Kosten für einen Ersatzrollstuhl, aber nur,<br />
wenn Sie mit uns vertraglich vereinbaren, dass<br />
Sie alle Reparaturkosten dafür selbst bezahlen<br />
und auf alle Ansprüche gegen uns für eine Ersatzbeschaffung,<br />
z. B. wegen Verschleiß oder<br />
Rahmenbruch, verzichten.“ Fall zwei, auch eine<br />
Krankenkasse: „Wir genehmigen Ihnen das beantragte<br />
Handbike, aber nur, wenn Sie Ihre<br />
Klage gegen uns wegen Fahrkostenerstattung<br />
zurücknehmen.“ Natürlich am Telefon und<br />
nicht schriftlich. Nach Rücknahme der Klage<br />
wurde das Handbike umgehend genehmigt.<br />
Fall drei, eine Berufsgenossenschaft: Im Widerspruchsverfahren<br />
wird die Kostenübernahme<br />
für einen Rollstuhl mit Aufrichtfunktion genehmigt<br />
und gleichzeitig verlangt, dass der<br />
Querschnittgelähmte mit einer Kürzung des<br />
Pflegegelds um zwei Drittel einverstanden ist,<br />
sobald der Rollstuhl ausgeliefert wurde, „weil<br />
Sie damit ja zukünftig viele Dinge in Haushalt<br />
und Wohnung selbst erledigen können, für die<br />
Sie bisher Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“<br />
Fall vier, wieder eine Krankenkasse: Obwohl<br />
ein Herzinfarktpatient einen Rechtsanspruch<br />
q – querschnitt spezial<br />
auf Rehabilitationssport hat, lehnt man die<br />
Kostenübernahme ab. Stattdessen wird nach<br />
langwierigen Verhandlungen der Rehasport<br />
zu einer Präventionsmaßnahme erklärt, die<br />
zur Hälfte bezuschusst wird – und dafür lässt<br />
man sich auch noch in der Presse belobigen<br />
(STERN 5/2009).<br />
Das sind nur einige Beispiele für eine neue Unkultur.<br />
Leider kann ich die Namen derjenigen,<br />
die auf so unredliche Art und Weise versuchen,<br />
ihre Kunden übers Ohr zu hauen, nicht<br />
nennen. Es geht auch darum, denjenigen, die<br />
davon betroffen sind, neue Scherereien zu ersparen.<br />
Und das sind die gleichen Krankenkassen, die<br />
sich jeder vernünftigen Argumentation verschließen,<br />
wenn man ihnen vorrechnet, dass<br />
sie durch die Kostenübernahme für ein individuelles<br />
Hilfsmittel oder eine Maßnahme Kosten<br />
einsparen, weil dadurch teure Krankenhausaufenthalte<br />
etc. vermieden werden. Da<br />
zählt immer nur das zu verwaltende (Einzel-)<br />
Budget der jeweiligen Abteilung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot<br />
nach § 12 SGB V bleibt<br />
außen vor.<br />
Text: Herbert Müller<br />
Herbert Müller<br />
Rechtsbeistand im Sozialrecht der Fördergemeinschaft<br />
d. Querschnittgelähmten in Deutschland e.V.<br />
Freiherr-vom-Stein-Str. 47<br />
56566 Neuwied-Engers<br />
tel 0 26 22-88 96-32; fax -36<br />
eMail h.mueller@engers.de<br />
Kriterium für die „Ehrung“ ist<br />
die Kreativität der Begründung<br />
für eine Ablehnung.<br />
Je unsinniger, desto besser sind<br />
die Chancen. Ob man darüber<br />
eher schmunzelt oder sich mehr<br />
über die Ignoranz ärgert, bleibt<br />
jedem selbst überlassen.<br />
Vorschläge sind willkommen.<br />
PARAPLEGIKER 1/10 29
q – querschnitt spezial<br />
30<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke<br />
Das Wunder des Lebens<br />
Dem Wunsch nach Kindern und einer eigenen Familie steht auch<br />
für Frauen im Rollstuhl nahezu nichts im Wege. Denn es gibt gute<br />
Möglichkeiten zur Entbindung querschnittgelähmter Schwangerer<br />
– wie im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke.<br />
Seit 1987 besteht am Gemeinschaftskrankenhaus<br />
Herdecke die Abteilung für Rückenmarkverletzte,<br />
und seit 15 Jahren bringen hier<br />
querschnittgelähmte Frauen ihre Kinder zur<br />
Welt. Ein fachübergreifendes Ärzteteam aus<br />
Paraplegiologen, Gynäkologen, Pädiatern,<br />
Urologen und Anästhesiologen berät und<br />
betreut die werdenden Mütter. Die Ärzte arbeiten<br />
darüber hinaus vertrauensvoll mit den<br />
Hebammen, den Säuglingsschwestern der<br />
Milchküche, Ergo- und Physiotherapeuten<br />
sowie Sozialarbeitern zusammen. „Mit diesem<br />
ganzheitlichen Konzept entbinden wir<br />
hier regelmäßig Mütter mit Querschnittläsionen<br />
– darunter gab es auch schon Zwillingsgeburten“,<br />
freut sich Dr. Susanne Föllinger,<br />
Oberärztin in der Querschnittabteilung des<br />
Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke.<br />
Meist unkomplizierte Geburten<br />
Die Geburtsvorbereitung im Gemeinschaftskrankenhaus<br />
Herdecke beginnt auf Wunsch<br />
der Querschnittgelähmten meist schon in<br />
einem frühen Stadium der Schwangerschaft<br />
mit einem Beratungsgespräch. Darauf folgt<br />
ein ambulanter Untersuchungstermin. Je<br />
nach Verfassung wird die Schwangere zwei<br />
bis vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin<br />
stationär aufgenommen und entsprechend<br />
behandelt. „In der Regel verlaufen<br />
Geburten von Frauen mit Rückenmarkläsion<br />
spontan und unkompliziert – auch ohne die<br />
Möglichkeit der Mutter mit zu pressen“, erläutert<br />
Dr. Susanne Föllinger. „Denn die Wehentätigkeit<br />
wird überwiegend hormonell,<br />
also unabhängig vom Rückenmark, ausgelöst<br />
und gesteuert. Auch die Indikation für<br />
einen Kaiserschnitt unterscheidet sich nicht<br />
von der bei gesunden Frauen.“<br />
Selbstverständlich dürfen der Vater oder vertraute<br />
Personen im Kreißsaal dabei sein. Damit<br />
sich die neue Familie von Anfang an wohl<br />
fühlt, legte die Klinik in Herdecke Wert auf<br />
eine ansprechende Gestaltung der Geburtsräume:<br />
Warme Farben, eine individuell einstellbare<br />
Beleuchtung und die mitgebrachte<br />
Lieblingsmusik sorgen für eine entspannte<br />
Atmosphäre während der Geburt.<br />
Auch nach der Entbindung ist für die junge<br />
Familie bestens gesorgt. Sind Mutter und Kind<br />
wohlauf, werden beide schnellst möglich auf<br />
die Querschnittstation verlegt. „Für die Neugeborenen<br />
haben wir ein spezielles Bettchen
entwickelt, dass den Rollstuhl-Müttern den<br />
Umgang mit ihren Kleinen erleichtert“, so<br />
Dr. Susanne Föllinger weiter. Das Bett ist 100<br />
x 50 Zentimeter groß und hat an einer der<br />
Längsseiten eine Flügeltür. Die Konstruktion<br />
erlaubt es der Mutter, mit dem Rollstuhl das<br />
Bettchen zu unterfahren, um zum Beispiel das<br />
Baby zu wickeln. Das Bett der Querschnittgelähmten<br />
und das Kinderbettchen werden<br />
auf gleiche Matratzenhöhe gebracht, so dass<br />
die Mutter ihr Neugeborenes ganz leicht zu<br />
sich herüberholen kann. Zur Sicherheit wird<br />
nachts die Flügeltür geschlossen und auf der<br />
anderen Seite das Gitter heruntergelassen.<br />
Für jeden Fall gerüstet<br />
Gibt es bei einer Geburt jedoch einmal Komplikationen<br />
oder gehört das Kind zu einer<br />
Risikogruppe, beispielsweise Frühchen oder<br />
Zwillinge, ist hierfür bestens vorgesorgt.<br />
Rund um die Uhr stehen Narkose- und Kinderärzte<br />
bereit, die speziell für die Behandlung<br />
von Frühchen oder anderen Risikokindern<br />
ausgebildet sind. Außerdem verfügt das<br />
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke über<br />
die neuesten technischen Möglichkeiten.<br />
„Uns liegt sehr am Herzen, dass Mutter und<br />
Kind nicht getrennt werden“, erklärt Dr. Susanne<br />
Föllinger. Muss ein Säugling vorübergehend<br />
auf der Neugeborenen-Intensivstation<br />
überwacht werden, kann die kleine Familie<br />
dort ein spezielles Mutter-Vater-Kind-Zimmer<br />
beziehen und so auch die ersten Tage<br />
gemeinsam verbringen.<br />
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q – querschnitt spezial<br />
Zu einer umfassenden Betreuung gehört<br />
auch eine gut strukturierte Nachsorge. Hierfür<br />
arbeiten das Personal der Wochenbettstation<br />
und die Säuglingsschwestern in Herdecke<br />
eng zusammen. „Wie fast jede andere<br />
Mutter wollen auch die meisten querschnittgelähmten<br />
Frauen stillen“, weiß Dr. Susanne<br />
Föllinger. „Im Allgemeinen gibt es dabei keine<br />
Probleme. Trotzdem nehmen wir uns Zeit<br />
für eine ausführliche Stillanleitung. Falls die<br />
Muttermilch in den ersten Tagen noch nicht<br />
ausreicht, bekommen die Neugeborenen<br />
Fencheltee oder Stutenmilch. Mütter, die<br />
nicht stillen, versorgen ihre Babys mit Säuglingsnahrung.“<br />
Durch die Pflege ihres Kindes kommen auf<br />
querschnittgelähmte Frauen neue körperliche<br />
Belastungen und Herausforderungen<br />
beim Umgang mit dem Rollstuhl zu. Von den<br />
Ergotherapeuten erhalten die Mütter wichtige<br />
Ratschläge, wie sie ihr Kind richtig halten<br />
und tragen, um Schultergürtel und Rücken<br />
zu entlasten. Die Physiotherapeuten helfen<br />
bei der Rückbildungsgymnastik und zeigen<br />
den Frauen, wie sie ihr Baby sicher im Rollstuhl<br />
mitnehmen. Vor der Entlassung stehen<br />
die üblichen Abschlussuntersuchungen für<br />
Mutter und Kind an. Und danach geht es für<br />
die neue Familie nach Hause.<br />
Text: OÄ Dr. med. Susanne Föllinger<br />
Foto: GKH Herdecke<br />
Weitere Informationen:<br />
Gemeinschaftskrankenhaus<br />
Herdecke<br />
Gerhard-Kienle-Weg 4<br />
58313 Herdecke<br />
Dr. Susanne Föllinger<br />
Sekretariat: Marlis Mielke<br />
tel 0 23 30-62 34 25<br />
eMail: querschnitt@gemeinschaftskrankenhaus.de
Wie leben Querschnittgelähmte<br />
in<br />
anderen europäischen<br />
Ländern? Wer<br />
vertritt ihre Interessen<br />
und wie gestaltet<br />
sich ihr Alltag? Diesen<br />
und anderen Fragen<br />
geht der PARA<br />
in einer kleinen Serie<br />
nach. In dieser Ausgabe<br />
stellen wir den<br />
Verband der Querschnittgelähmten<br />
Österreichs (VQÖ) vor.<br />
Mit dessen 1. Obmann,<br />
Manfred Schweizer,<br />
führten wir ein Gespräch.<br />
32<br />
„Es bleibt noch immer viel zu tun“<br />
Treffen in Tobelbad:<br />
Mitglieder des<br />
Vorstands des VQÖ.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Querschnittgelähmte in Europa (II): Österreich<br />
? Herr Schweizer, wie Sind Sie persönlich zum<br />
Verband der Querschnittgelähmten Österreichs<br />
gekommen?<br />
Durch meine querschnittgelähmte Freundin. Das<br />
war 1961. 1969 haben wir geheiratet und bekamen<br />
drei Kinder. Seit 1993 bin ich der 1. Obmann des<br />
Verbands.<br />
? Seit wann besteht der Verband und wie viele<br />
Mitglieder hat er?<br />
Der VQÖ wurde 1957 gegründet und hat derzeit<br />
960 Mitglieder in ganz Österreich.<br />
? Welche Aufgaben stellt sich Ihr Verband?<br />
Eine möglichst umfassende Betreuung der Mitglieder<br />
durch Information und Beratung. Der Verband<br />
ist eine gemeinnützige, parteipolitisch und<br />
religiös neutrale Organisation. Er vertritt die Interessen<br />
von Menschen mit körperlicher Behinderung,<br />
insbesondere mit Querschnittlähmung. Wir möch-<br />
Seit 1993 der 1. Obmann des VQÖ:<br />
Manfred Schweizer.<br />
ten die kulturellen, sportlichen und sonstigen Freizeitangebote<br />
aus der Sicht körperbehinderter Menschen<br />
thematisch aufarbeiten und entsprechend<br />
bereitstellen. Auch Öffentlichkeitsarbeit sowie der<br />
Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit mit<br />
anderen Behindertenorganisationen, die ähnliche<br />
Interessen haben, gehören zu unseren Aufgaben.
? Geben Sie eine Mitglieder-Zeitschrift heraus?<br />
Ja. Sie heißt „Rollstuhl Aktiv“ und erscheint vierteljährlich mit<br />
einem Umfang von jeweils 56 Seiten in einer Auflage von 2.000<br />
Exemplaren.<br />
„Wie man in den Wald hineinruft…“<br />
? Wie würden Sie allgemein das Klima gegenüber Körperbehinderten<br />
in Österreich beschreiben? Was ist, wenn zum<br />
Beispiel ein Para um Hilfe bei der Überwindung einer Barriere<br />
bittet, etwa beim Einsteigen in einen Bus?<br />
Das Klima ist allgemein gesehen gut. Meine Frau sitzt jetzt 47<br />
Jahre im Rollstuhl und hat in diesem Punkt nie ein Problem gehabt.<br />
Trotzdem höre ich immer wieder von anderen Rollstuhlfahrern,<br />
dass es da ein Problem gibt. Ich kann mir das nur so erklären:<br />
„Wie man in den Wald hinein ruft, so kommt es zurück“.<br />
Wenn ich vor der Gehsteigkante stehe und jemanden mürrisch<br />
frage, ob er mir helfen würde, wird derjenige vielleicht vorbeigehen.<br />
Wenn ich ihn aber freundlich anspreche, wird er selbstverständlich<br />
bereit sein, mir zu helfen. Das ist meine Erfahrung,<br />
die ich in der Behindertenarbeit gemacht habe.<br />
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? Eine Rollstuhlfahrerin aus Spanien hat in einem Interview<br />
mit unserer Zeitschrift berichtet, dass es in Madrid Taxifahrer<br />
gibt, die sie nicht mitnehmen.<br />
Das wäre bei uns in Österreich ein Anlass, wegen Diskriminierung<br />
dagegen vorzugehen. Den Taxifahrer könnte man anzeigen.<br />
? Gibt es in Österreich für Querschnittgelähmte materielle<br />
Unterstützung von öffentlichen Einrichtungen?<br />
Ja. Berufsunfälle sind bei uns in Österreich gut abgesichert. Sei<br />
es Umrüstung des Autos, Umbauten in der Wohnung, Einrichtung<br />
eines behindertengerechten Badezimmers – das kostet<br />
den Betreffenden fast nichts. Die Rehabilitation und weitere<br />
Maßnahmen danach gehen alle auf Kosten der so genannten<br />
„Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt“. Jeder Arbeitnehmer<br />
in Österreich ist unfallversichert, sogar schon die Schüler.<br />
Wenn es in der Schule oder am Schulweg zu einem Unfall mit<br />
einer Querschnittlähmung kommt, hat der Betreffende für sein<br />
weiteres Leben in der Frage einer behindertengerechten Versorgung<br />
kaum Probleme. Arbeitsunfälle haben darüber hinaus<br />
eine Unfallrente. Anders sieht es bei Querschnittlähmungen
34<br />
durch Freizeitunfälle und Erkrankungen und bei Geburtsbehinderungen<br />
aus. Hier ist die jeweilige Krankenkasse zuständig,<br />
und da muss man fast um jedes Hilfsmittel kämpfen.<br />
? Stellt Ihr Verband finanzielle Soforthilfen bei akuten<br />
Fällen zur Verfügung?<br />
Nein<br />
? Gibt es so etwas wie Erwerbsunfähigkeitsrenten?<br />
Ja. Bei Vorliegen der Voraussetzungen bekommt der Betreffende<br />
eine Invaliditätsrente. Diese richtet sich nach den Versicherungsjahren<br />
und dem zuletzt erzielten Einkommen. Man<br />
kann damit ganz gut über die Runden kommen. Darüber hinaus<br />
gibt es das so genannte Pflegegeld mit sieben Stufen. Ein<br />
Querschnittgelähmter mit Inkontinenz ist automatisch in der<br />
Pflegestufe vier.<br />
Eines der ältesten Zentren Europas<br />
? Gibt es spezielle Querschnitt- Zentren in Österreich, in<br />
denen akut Querschnittgelähmte versorgt werden?<br />
Ja, in Bad Häring in Tirol, in der Nähe von Wien im „Weißen Hof“<br />
und in Graz/Tobelbad – das ist nach Stoke Mandeville in England<br />
eines der ältesten Zentren in Europa. Der frisch Verunfallte<br />
kommt mit größter Sicherheit in eines dieser Reha-Zentren der<br />
allgemeinen Unfallversicherung, egal ob es ein Arbeitsunfall ist<br />
oder nicht. Die weitere Rehabilitation erfolgt zum Großteil auch<br />
in diesen Häusern, allerdings kann es sein, dass der Betreffende<br />
bei einem Freizeitunfall in spezielle Einrichtungen der Krankenkassen<br />
kommt.<br />
? Wie würden Sie generell die Versorgungslage für Querschnittgelähmte<br />
in Österreich beurteilen?<br />
Da besteht wie gesagt ein großer Unterschied zwischen einem<br />
Arbeitsunfall und einem Freizeitunfall bzw. einer Erkrankung.<br />
Wenn es kein Arbeitsunfall war, muss der Betreffende schon<br />
sehr tief in die eigene Tasche greifen. Hier Unterstützungen zu<br />
bekommen ist vorgesehen, aber sehr schwierig.<br />
? Gibt es in Österreich medizinische Aufklärungskampagnen<br />
über die Gefahr, eine Querschnittlähmung zu bekommen,<br />
zum Beispiel durch Bade- oder Motorradunfälle?<br />
Das ist in den Medien eher selten der Fall. Über das Sozialministerium<br />
gibt es die so genannten Arbeitsinspektorate, welche die<br />
Betriebe auf Gefahren am Arbeitsplatz überprüfen. Aber die entsprechende<br />
Aufklärung beispielsweise für Motorradfahrer oder<br />
für das Paragliding hält sich sehr in Grenzen, das ist nicht optimal.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
? Wie sieht es mit der Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen<br />
und Verkehrsmitteln aus?<br />
Da wurde in den letzten 30 bis 40 Jahren enorm viel getan.<br />
Aber es bleibt noch immer viel zu tun.<br />
Initiative des Einzelnen wichtig<br />
? Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle?<br />
Das ist richtig. Aber es kommt hier sehr auf die Initiative des<br />
Einzelnen an. Wir wohnen zum Beispiel 15 Kilometer außerhalb<br />
von Wien. In unserer Gemeinde sind einzelne Barrieren<br />
beseitigt worden, weil die Gemeinde sich des Anliegens angenommen<br />
hat. Es hängt also immer davon ab, dass der Einzelne<br />
aktiv wird und nicht darauf wartet, bis andere etwas unternehmen.<br />
? Kommt man mit dem Rolli im Allgemeinen gut in Restaurants<br />
oder Kneipen?<br />
Ja. Aber die Toiletten sind oft ein Problem, wenn sie zum Beispiel<br />
im Keller sind und kein Lift vorhanden ist oder die Türen<br />
zu eng sind.<br />
? Gibt es rollstuhlgerechte öffentliche Toiletten in den<br />
Stadtzentren?<br />
Ja. Wenn Sie zum Beispiel auf die Internetseite der Stadt Wien<br />
gehen, können Sie dort alle entsprechenden Toiletten in den<br />
einzelnen Bezirken aufgelistet sehen.<br />
? Verfügen die Rollis in Österreich über einen Europaschlüssel<br />
für die Toiletten?<br />
Ja, man muss sich selbst darum bemühen. Viele der öffentlichen<br />
Toiletten sind mit dem Euroschlüssel ausgestattet, auch an
Aus dem VQÖ-Veranstaltungsprogramm:<br />
Monoski-Kurs in herrlicher Winterlandschaft.<br />
den Autobahnraststätten. Viele aber auch nicht, weil die Einrichtungen<br />
sagen, sie hätten nicht das Personal zur Überwachung der<br />
Schlüssel. Auf dem Wiener Flughafen habe ich zum Beispiel nicht<br />
erreichen können, ein Schloss für einen Euroschlüssel montieren<br />
zu lassen. In die dortige Behindertentoilette kann jeder rein, und<br />
das machen auch leider sehr viele Undisziplinierte.<br />
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an die Politik?<br />
Zurzeit laufen drei Petitionen: eine zur regelmäßigen jährlichen<br />
Erhöhung des Pflegegelds – in 17 Jahren geschah das nur viermal!<br />
–, eine zweite zur Anhebung der Steuerfreibeträge für Behinderte<br />
– auch hier ist 20 Jahre nichts geschehen –, und mit<br />
der dritten Petition wollen wir erreichen, dass im Falle einer<br />
Diskriminierung eines Behinderten der Beklagte nicht nur eine<br />
Strafe erhält, sondern auch dazu verpflichtet wird, die Ursache<br />
der Diskriminierung zu beseitigen. Die Petitionen befinden<br />
sich noch bei den verschiedenen Behindertenorganisationen<br />
Österreichs zur Unterschriftensammlung und werden dann gemeinsam<br />
dem Parlament übergeben.<br />
Herr Schweizer, wir bedanken uns für das Gespräch.<br />
Info: www.vqo.at<br />
Interview: Arndt Krödel<br />
Fotos: VQÖ<br />
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36<br />
Spastik bessern durch rücken<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Medizin & Forschung:<br />
Implantierbare Infusionspumpen, die ein Medikament gegen<br />
Spastik direkt zum Rückenmark bringen, gibt es zwar schon seit<br />
etwa 25 Jahren. Neu ist, dass die Handhabung vereinfacht und<br />
die Sicherheit erhöht wurde – durch modernste Elektronik. Für<br />
den Betroffenen bedeutet das eine Besserung der spastischen<br />
Symptomatik und eine höhere Lebensqualität. Bei einer Veranstaltung<br />
in München informierten jetzt Experten darüber, wie<br />
die neue Pumpe wirkt und welche Vorteile sich aus der Anwendung<br />
im Einzelnen ergeben.<br />
So funktioniert das MedStream®-System:<br />
Von der Pumpe mit Wirkstoffreservoir,<br />
die unter die Bauchdecke implantiert sind,<br />
führt ein dünner Schlauch direkt zum<br />
Rückenmark, dem Wirkort.<br />
Häufig treten nach kompletten oder inkompletten<br />
Verletzungen des Rückenmarks so<br />
genannte Spastiken auf, unwillkürliche Reflexbewegungen<br />
aufgrund einer erhöhten<br />
Muskelanspannung. Dem Zentralnervensystem<br />
fehlen durch die Schädigung dämpfende<br />
Impulse. Zusätzlich zu den Spastiken können<br />
unkontrollierbare Muskelzuckungen (Spasmen)<br />
auftreten, die häufig schmerzhaft sind.<br />
Wenn Physiotherapie und antispastische Medikamente<br />
wie Baclofen (in Tablettenform)<br />
keine echte Besserung bringen, besteht die<br />
Möglichkeit, eine unmittelbar am Rückenmark<br />
wirkende Behandlung mit Baclofen<br />
durch eine Medikamentenpumpe (zum Beispiel<br />
die MedStream®) durchzuführen – man<br />
spricht hier auch von der „intrathekalen Baclofen-Therapie“.<br />
Im Prinzip ist diese Therapie bei jedem Querschnittgelähmten<br />
anwendbar, der wegen der<br />
Spastikprobleme zum Beispiel in die Praxis<br />
eines Neurochirurgen kommt. “Wir testen die<br />
Patienten vorher, ob das Baclofen wirkt und<br />
ob es Nebenwirkungen verursacht“, erläutert<br />
Dr. Michael Schmutzler, Neurochirurgische<br />
Klinik des Klinikums Ingolstadt, das Vorgehen.<br />
Dabei wird der Rückenmarkskanal in<br />
Höhe der Lendenwirbelsäule punktiert (so<br />
genannte Lumbalpunktion) und die Testdosis<br />
des Medikaments in den Liquor gespritzt, die<br />
Flüssigkeit, die das Rückenmark umgibt.
marksnahe Behandlung<br />
Wirkt nur dort,<br />
wo er gebraucht wird<br />
Der Wirkstoff trifft also unmittelbar auf die<br />
Rückenmarkszellen und muss nicht, wie im<br />
Fall einer Tabletteneinnahme, den Weg über<br />
den Blutkreislauf nehmen – er wirkt nur dort,<br />
wo er gebraucht wird. Mit diesem Test kann<br />
gewissermaßen simuliert werden, wie eine<br />
Medikamentenpumpe bei dem Querschnittgelähmten<br />
wirken würde. „Nur wenn bestimmte<br />
Nebenwirkungen auftreten, verbietet<br />
sich die Anwendung“, so Schmutzler, der<br />
hinzufügt, dass dies selten der Fall ist.<br />
War die Testdosis also erfolgreich, kann durch<br />
einen chirurgischen Eingriff eine Pumpe in<br />
den Bauchraum implantiert werden, die das<br />
Medikament aus einem Reservoir kontinuierlich<br />
durch einen dünnen Katheter an den<br />
Rückenmarksraum leitet, in dem auch die<br />
Schmerzrezeptoren liegen – feine Fühler, die<br />
sich auf Schmerzreize spezialisiert haben und<br />
Einfaches Nachfüllen des Reservoirs:<br />
Ist der Wirkstoff verbraucht, hat der Träger der<br />
Pumpe einen Termin bei seinem Hausarzt,<br />
der den Füllstand wieder normalisiert.<br />
sie an das zentrale Nervensystem „melden“.<br />
Die Operation ist unproblematisch und geht<br />
relativ schnell. Wird das Baclofen am Rückenmark<br />
freigesetzt, sind mehrere Vorteile damit<br />
verbunden, wie Dr. Reinhard Thoma, Algesiologikum<br />
München, feststellte: Durch die höhere<br />
Wirksamkeit werden die Schmerzen um<br />
etwa die Hälfte reduziert und die Dosierung<br />
kann bis auf ein Dreihundertstel gesenkt<br />
werden<br />
Auch die Nebenwirkungen schlagen weniger<br />
zu Buche. Sie sind niedriger als beispielsweise<br />
beim Schmerzmittel Morphin. Hier wird<br />
sich das Problem der Stuhlträgheit beim <strong>Paraplegiker</strong><br />
eher verstärken, während Baclofen<br />
zwar bei einer relativ hohen Dosis etwas<br />
müde macht, aber Stuhlträgheit als Nebenwirkung<br />
eigentlich nicht vorkommt. Nur bei<br />
einer Überdosierung treten Muskelschwäche<br />
und Bewusstseinsstörungen oder eine<br />
Dämpfung von Funktionen des Zentralen<br />
Nervensystems auf.<br />
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38<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
„Intelligente“ Elektronik<br />
Doch dazu muss es erst gar nicht kommen,<br />
denn die „intelligente“ Elektronik der Pumpen<br />
der neuen Generation ist in der Lage, die<br />
Medikamentenkonzentration am Wirkort zu<br />
messen und die Pumpleistung entsprechend<br />
anzupassen. Mit dieser Technologie wird<br />
auch die Ermittlung der richtigen Dosis – ein<br />
Vorgang, der bei spastischen Syndromen<br />
vielfach langwierig und schwierig ist – deutlich<br />
erleichtert und führt damit zu mehr Sicherheit<br />
für den Patienten.<br />
Nur für die Messungen der Konzentration des<br />
Medikaments im Katheter sowie der Restmenge<br />
des Reservoirs wird Batteriestrom<br />
benötigt. Ganz ohne diesen kommt die Programmierung<br />
der<br />
Pumpe aus, die<br />
drahtlos mit<br />
einer speziellen<br />
Technik<br />
funktioniert.<br />
Das Baclofen<br />
selbst wird<br />
mit Hilfe der<br />
Gasdrucktechnik<br />
durch<br />
den Katheter<br />
fortgeleitet.<br />
Weil bei der Med-<br />
Stream® –im Unterschied zu anderen Geräten<br />
– für den Pumpvorgang kein Batteriestrom<br />
genutzt wird, hält die Batterie auch wesentlich<br />
länger.<br />
Weil bei der MedStream®<br />
–im Unterschied zu anderen<br />
Geräten – für den Pumpvorgang<br />
kein Batteriestrom genutzt<br />
wird, hält die Batterie<br />
auch wesentlich länger.<br />
Ein akustisches Signal meldet dem Träger der<br />
Pumpe, wenn irgendetwas „nicht stimmt“,<br />
zum Beispiel wenn die Batterieleistung abnimmt.<br />
Das geschieht so frühzeitig, dass<br />
genügend Planungszeit für den Austausch<br />
bleibt – ein weiterer Aspekt, der der Sicherheit<br />
zu Gute kommt. Immerhin hält die Batterie<br />
aber nach Angaben des Herstellers ca.<br />
12 Jahre.<br />
Bedienungsfehler ausgeschlossen<br />
Wie Dr. Hans-Helmut Gockel, Algesiologikum<br />
München, zusammen fasste, sind durch die<br />
ausgefeilte Technik der MedStream® Bedie-<br />
nungsfehler „praktisch ausgeschlossen“. Patienten<br />
müssten auch nicht mehr so lange und<br />
intensiv überwacht werden. Der behandelnde<br />
Arzt kann anhand des Füllstandsanzeigers<br />
des Wirkstoffreservoirs die Kontrolltermine<br />
des Pumpenträgers so festlegen, dass ein<br />
Leerlaufen des Mini-Tanks verhindert wird.<br />
Ein akustischer Warnton „erinnert“ den Träger<br />
frühzeitig an den Arztbesuch, falls er einen<br />
Termin versäumt hat und der Tank aus verschiedenen<br />
Gründen leerzulaufen droht.<br />
Die MedStream®-Pumpe kostet ca. 10 bis<br />
15 000 EURO, wobei sich die Kosten bereits<br />
nach sechs bis acht Monaten amortisieren,<br />
wie die Experten berichteten. Für den Träger<br />
der Pumpe gibt es kein Kostenproblem – alles<br />
wird erstattet. Bleibt ein gewisses ästhetisches<br />
Problem, denn die Pumpe ist nicht<br />
unbedingt ein Winzling, der gänzlich unter<br />
der Bauchdecke verschwindet. Der Chirurg<br />
kann das Gerät aber auch in den Bauchmuskel<br />
„hineinlegen“, so dass die äußere Ästhetik<br />
ein wenig verbessert wird. Auch beim Gewicht<br />
der Pumpe stößt das Design an seine<br />
Grenzen, denn es ist im Wesentlichen durch<br />
das Wirkstoffreservoir bestimmt, und kleiner<br />
als 20 Milliliter (oder bei hohem Medikamentenverbrauch<br />
40 Milliliter) lässt sich das nicht<br />
konstruieren.<br />
Insgesamt aber kann durch die Pumpentherapie<br />
eine Besserung der spastischen Symptomatik<br />
erreicht werden und damit, wie Dr.<br />
Michael Schmutzler feststellte, eine bessere<br />
Alltagsbewältigung und Lebensqualität. Verkürzte<br />
Transfer-Zeiten Bett zu Rollstuhl oder<br />
auch Rollstuhl zu Gehhilfen sind Beispiele für<br />
spürbare Folgen.<br />
Text: Arndt Krödel<br />
Grafiken: Codman
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40<br />
Wohlstand und<br />
Tendenzen eines Klassenkrieges:<br />
Karneval/Fasching/Fasnacht ist vorbei, das Wort des von Heiner Geißler „Esel“<br />
gescholtenen FDP-Vizekanzlers Guido Westerwelle vom „anstrengungslosen Wohlstand“,<br />
dessen Verheißung nur „spätrömische Dekadenz“ nach sich ziehen könne<br />
ist verhallt. Aber es war nicht nur ein Wort, es war eine Kampfansage an alle, die<br />
Hilfe vom Staat beziehen, sei es aus Mutwillen oder echter Bedürftigkeit.<br />
L<br />
eider steht dieses unselige Wort in einer finsteren Propaganda-Tradition.<br />
Selbstverständlich ist die FDP nicht die<br />
NSDAP und Westerwelle nicht Goebbels. Nur ist es so, dass<br />
in Nazi-Propaganda-Filmen gerne Rechnungen aufgemacht<br />
wurden, dass behinderte Menschen zu viel kosten<br />
und damit gesunden „Volksgenossen“ das Brot wegfressen<br />
würden. In der Folge gab es eine „Endlösung auf Probe“,<br />
der NS-Staat versuchte mit weitestgehendem Erfolg<br />
behinderte Menschen auszurotten. Das betraf durchaus<br />
nicht nur geistig Behinderte: Auch z.B. zerebral Gelähmte<br />
(„Spastiker“) konnten nur mit Glück den zweiten Weltkrieg<br />
überleben. Die Ermordung zehntausender behinderter<br />
Menschen (auch mit Zyklon-Vergasungs-„Duschen“) war<br />
dann das Modell für den Holocaust an der jüdischen Bevölkerungsgruppe.<br />
So war es und nicht anders, leider wissen<br />
das längst nicht mehr alle…<br />
Nun werden auch die finstersten Pessimisten nicht glauben,<br />
dass der profilierungssüchtige Vizekanzler einen<br />
oder zwei neue Völkermorde plant. Nur wird man doch<br />
wohl noch sagen dürfen, dass auch diese aggressive Propaganda<br />
ohne die folgenden Untaten bereits hoch bösartig<br />
und gefährlich ist. Der Mann ist ja nicht dumm, warum<br />
tut er also so etwas?<br />
Die Frage ist so naiv, wie die simple Antwort deprimiert:<br />
Weil er es kann. Diese Strategie von den aktuellen Problemen<br />
abzulenken ist möglich und billig, wenn auch<br />
verwerflich, aber wen schert das heute noch. Der Staat<br />
hat zu wenig Geld, das ist Tatsache. Die Löcher klaffen in<br />
den Straßen vor allem der westdeutschen Kommunen (im<br />
Osten sind sie einfach oft neuer) ebenso wie in den Sozialhaushalten.<br />
Gleichzeitig ist so viel Geld und Wohlstand<br />
auf der Welt wie noch nie in der Menschheitsgeschichte,<br />
nur eben leider in immer geringerer Anzahl privater Hände<br />
oder weltumspannender gewissenloser Konzerne, die<br />
lediglich der Geldvermehrung verpflichtet sind und nicht<br />
etwa dem Schutz von Menschenleben oder Umwelt. Ich<br />
spare mir an dieser Stelle die Liste der Verbrechen gegen<br />
die Menschlichkeit, der Kriege um Rohstoffe oder geopolitsche<br />
Einflüsse (auch da geht es letztlich nur ums Geld),<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
der Öltransporte in einschaligen Rosttankern, dem leichtfertig<br />
produzierten oder tödlich strahlenden Müll und und<br />
und und….<br />
Wer ist schuld?<br />
Jetzt sind also die Hilfsbedürftigen schuld. Die Hartz-Gesetze<br />
sind eine üble Erfindung des Küchenkabinetts namens<br />
Doris Schröder gewesen, wie man hörte. Höchstrichterliche<br />
Entscheidung machte gerade Nachbesserungen<br />
erforderlich, die Begünstigten dieser neuen „Ausnahmeregelungen“<br />
sollen u.a. explizit „Rollstuhlfahrer“ sein. Also<br />
– alles wird gut? Der FDP-Häuptling meint ja nicht uns, nur<br />
die Schmarotzer? Vorsicht!<br />
Wer will schon bezweifeln, dass es faule Socken gibt. Sicher<br />
auch solche Familien, die seit Jahrzehnten vom Staat<br />
leben und andere ohne Not für sich zahlen lassen. Dafür<br />
darf z.B. jemand wie ich zahlen, oft Jahrzehnte lang berufstätige<br />
behinderte Menschen, die nach Kräften ihren Lebensunterhalt<br />
erwirtschaften und locker den Gegenwert<br />
eines freistehenden Einfamilienhauses in die Sozialkassen<br />
transferieren. Um damit was zu erreichen? Jedenfalls keine<br />
Sicherheit. Erst vor wenigen Jahren, als es auf einmal hieß:<br />
Ätsch, die Arbeitslosenversicherung ist gar keine Versicherung,<br />
das Geld, was Du kleiner Beitragszahler eingezahlt<br />
hast, ist ja längst weg. Und die Rente ist auch nicht mehr<br />
„sischä“ wie der Bundes-Blüm einst tönte, diese Beiträge<br />
wurden im Übermaß für jetzige Rentner ausgegeben, auch<br />
für das Abenteuer Wiedervereinigung, bei dem mal wieder<br />
Verluste vergesellschaftet und Gewinne teils hochkriminell<br />
in großen Taschen landeten, auch mit politprominenter<br />
Unterstützung.<br />
Tatsache ist, dass, behindert oder nicht, ein älterer Arbeitnehmer,<br />
der schuldlos seinen Job verliert, nach einem Jahr<br />
genauso mies behandelt wird wie ein notorischer Faulenzer<br />
und Säufer. Das ist nicht nur ungerecht, das ist ein<br />
himmelschreiendes Unrecht. Und wer da behauptet, Hartz<br />
wäre ein Ruhekissen, der hält dann wohl auch Deutschland<br />
für das alte Rom und Madame Merkel für Nero. Wer z.B. als
Propaganda<br />
behinderter Mensch von Sozialleistungen leben muss,<br />
kann nicht anders als verzichten: Auf Kultur, Besuche bei<br />
Freunden, soziales Leben allgemein – und Mobilität. Dass<br />
aber ein behinderter Arbeitnehmer die Altersgrenze<br />
im Job nicht erreicht, (auch nicht wenn die eine knappe<br />
Handvoll Jahre früher in Sicht kommt) ist nichts anders als<br />
höchstwahrscheinlich. Die alte Erwerbsunfähigkeitsrente<br />
hat man aber kurzerhand abgeschafft, die jetzigen Teilund<br />
Zeitlösungen sind ein sicherer Weg in die Altersarmut<br />
– nach einem besonders harten Erwerbsleben. Und das<br />
alles kreiert von den Angehörigen einer politischen Kaste,<br />
die sich selbst ständig wachsende Einkommen genehmigt,<br />
während sich fast alle anderen mit teils dramatisch sinkenden<br />
Einkommen arrangieren dürfen – bei steigendem<br />
Arbeitsanfall.<br />
Blindwütiges Sparen<br />
Versicherten fällt in letzter Zeit auf, dass auch bisher gutwillige<br />
Kassen zu blindwütigen Sparkassen werden (siehe<br />
auch die regelmäßige „Sparschwein“-Kolumne in diesem<br />
Heft). Ich rede hier nicht von Luxus, abgelehnt werden Roll-<br />
Anzeige<br />
stühle nach Stand der Technik, simple Standardmodelle,<br />
die locker 50 % mehr wiegen (und von den Nutzern bewegt<br />
werden müssen) werden als hinreichend erachtet. Auch<br />
Physiotherapie, die lebenslänglich Behinderten lediglich<br />
die Restbeweglichkeit erhalten soll (um z.B. arbeitsfähig<br />
zu bleiben) steht erbarmungslos auf dem Prüfstand. Dabei<br />
schert es weder die Sparkassen noch die (medi-) zynischen<br />
Dienste, ob der Patient dabei kaputt geht, Hauptsache, die<br />
Kohle stimmt. Der zynische Dienst und seine Schergen lassen<br />
sich meist nicht einmal dazu herab auf die Argumente<br />
behandelnder Mediziner auch nur einzugehen, geschweige<br />
denn den Patienten und seine Bedürfnisse (und Leiden)<br />
anzusehen. Das nenne ich menschenverachtend.<br />
Was ist das eigentlich noch für ein Staat? Obama holt sich<br />
das Geld von den Banken wieder, das die verbrannt haben.<br />
Frau Kanzlerin feiert mit den feinen Herren Feste. Und lässt<br />
ihren Vizekettenhund geschickt Stimmung machen – gegen<br />
die Opfer einer unfähigen, feigen und Geld hörigen<br />
Politik.<br />
Text: Peter Mand<br />
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau<br />
Das qualifizierte Behandlungszentrum für Querschnittgelähmte im Süden<br />
Deutschlands zur<br />
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Internet www.bgu-murnau.de<br />
essay
sport sport<br />
Rollstuhl-Rugby<br />
FGQ<br />
-Ansprechpartner Thorsten Staar hatte während<br />
seiner Umschulung zum Bürokaufmann in Heidelberg 1997<br />
die Mannschaftssportart für Tetraplegiker (Beeinträchtigung an<br />
mindestens drei Gliedmaßen) ausprobiert und kennengelernt.<br />
Als er nach erfolgreichem Abschluss wieder in seine Heimatstadt<br />
Halle zurückkam, wollte er sie unbedingt weiter aktiv ausüben.<br />
1999 gab es im Osten Deutschlands Teams in Berlin, Dresden<br />
und Greifswald, letztgenannte waren damals auch gerade<br />
in der Aufbauphase. Wie also geht man die ganze Sache an?<br />
Nachdem die organisatorischen Vorbereitungen und Formalitäten,<br />
wie Vereinsgründung etc. erledigt waren, konnte es im Januar<br />
2000 endlich losgehen. Hier half ein größerer Sportverein<br />
aus Niedersachsen. Die neu modernisierten BG- Kliniken Bergmannstrost<br />
Halle stellten ihre Sporthalle zur Verfügung, so dass<br />
ideale rollstuhlgerechte Bedingungen vorhanden waren und<br />
noch heute ein sehr gutes Training ermöglichen. Unterstützung<br />
gab es auch von der Ärzteschaft der Rückenmarkabteilung und<br />
dem Sanitätshaus Rehateam Halle, die defekte Rugbyrollstühle<br />
heute noch reparieren.<br />
In der Anfangsphase begann das Training mit vier Rollis plus<br />
vier Fussgängern in Betreuungsfunktion. Zwei von den Rollis<br />
waren in dieser Zeit gerade zur Rehabilitation auf der Rückenmarkstation<br />
der Klinik und ließen sich von Thorstens Begeisterung<br />
von dem Sport sofort anstecken. Mathias, ein frischverletzter<br />
junger Mann, musste später aus berufsbedingten Gründen<br />
später leider nach Berlin. Er blieb dem Verein und dem Sport<br />
42<br />
in Halle/Saale<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
aber stets verbunden. Heute spielt er durch seinen sportlichen<br />
Ehrgeiz in der 1.Bundesliga der Rollstuhl-Rugby-Liga. Zum Glück<br />
rückten im Lauf der Jahre immer wieder junge talentierte Spieler<br />
von der Rückenmarkstation der Klinik nach. Die Therapeuten der<br />
Klinik motivieren die Frischverletzten die angebotenen Sportarten<br />
auszuprobieren, hier besteht ein enger Kontakt. Begonnen<br />
wurde mit geliehenen Sportstühlen. Größere Spender und<br />
Einnahmen von den Krankenkassen für Rehabilitationssport<br />
ermöglichten nach und nach die Anschaffung vereinseigener<br />
Rugbyrollstühle. Seit Anfang 2004 nahm das Team dann regelmäßig<br />
am Punkspielbetrieb der Regionalliga Ost teil. Die „Saale-<br />
Rowdies“ sorgten für einige Überraschungen und sammelten<br />
vor allem jede Menge Spielerfahrung, wobei der Spaß immer im<br />
Vordergrund stand.<br />
Anfang <strong>2010</strong> fand die jährliche ordentliche Jahreshauptversammlung<br />
statt. Ein neuer Vorstand wurde gewählt. Erfreulicherweise<br />
fungiert nun das neue Mitglied Sandra Golla, die erste<br />
Spielerin der „Rowdies“ als Kassenwart. Wer sich für den Verein<br />
interessiert bzw. auch mitspielen will, kann sich gern telefonisch<br />
unter 03 45-2 90 08 70 beim Vorsitzenden Thorsten Staar melden.<br />
Training ist immer dienstags von 18 bis 20 Uhr in der Sporthalle<br />
der BG-Klinik. Rugbyrollstühle zum Ausprobieren sind auch<br />
vorhanden. Noch mehr interessante Informationen lassen sich<br />
unter www.saale-rowdies.de finden.<br />
Text & Foto:<br />
Handicap Club 99 Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Kaum zu glauben<br />
wie schnell die Zeit<br />
vergangen ist. Der<br />
hallesche Rollstuhl-<br />
Rugby-Verein feierte<br />
im November 2009<br />
bereits sein zehnjähriges<br />
Bestehen.
Neue DVD:<br />
Selbst katheterisieren<br />
markt<br />
Der Intermittierende Selbstkatheterismus (ISK) ermöglicht trotz<br />
Einschränkungen bei der natürlichen Blasenentleerung ein<br />
selbstständiges und aktives Leben. In einer neuen DVD stellt<br />
UROMED, seit mehr als 40 Jahren Spezialist für Herstellung und<br />
Vertrieb urologischer Produkte, den Umgang mit dem ISK-Katheter<br />
SIMPLYCATH vor.<br />
Mittels anschaulicher3D-Animationen<br />
wird die Katheteranwendung<br />
erklärt – eine gute<br />
Hilfe, damit Betroffene<br />
die anfängliche<br />
Unsicherheit beim<br />
Katheterisieren<br />
überwinden können.<br />
Anwender und<br />
pflegende Angehörige erhalten wichtige Hinweise zum unkomplizierten Gebrauch von<br />
SIMPLYCATH bei Männern und Frauen sowie beim sogenannten Pouch, der künstlichen<br />
Blase.<br />
Mit SIMPLYCATH, der sich unauffällig in Handtasche oder Rucksack verstauen lässt, kann<br />
der Zeitpunkt der Blasenentleerung selbst bestimmt und damit ein großes Maß an Unabhängigkeit<br />
erhalten werden. Das Besondere am SIMPLYCATH, den es als Einzelkatheter<br />
und als System mit integriertem Urin-Auffangbeutel gibt, ist die Vorlaufspitze. Sie<br />
überbrückt den auch nach gründlicher Desinfektion niemals ganz keimfreien Harnröhreneingang<br />
und minimiert auf diese Weise das Risiko, dass mit der Katheterspitze Keime<br />
in die Harnblase gelangen und dort zu Infektionen führen.<br />
Die DVD mit dem rund 30-minütigen Anwenderfilm „Selbst katheterisieren mit Simplycath“<br />
kann ab sofort kostenlos direkt bei UROMED unter simplycath@uromed.de angefordert<br />
werden. Einzelne Sequenzen des Films stehen außerdem zum Download bereit<br />
unter www.simplycath.de.<br />
Mobiles Stehgerät<br />
Vitaline ist ein mobiles Stehgerät mit einer elektrischen Aufrichtmechanik. Es bietet<br />
Benutzern die Möglichkeit um im Prinzip ohne Hilfe von anderen zu stehen. Vitaline ist<br />
in zwei Größen zu bekommen.<br />
Vitaline Größe 1 ist bestimmt für eine Körperlänge von zirka 100 cm bis 160 cm.<br />
Vitaline Größe 2 ist bestimmt für eine Körperlänge von zirka 160 cm bis 205 cm.<br />
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Compact.<br />
Der neue küschall ® Compact<br />
vereint alles was man von<br />
seinem Rollstuhl erwartet:<br />
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Alemannenstraße 10<br />
88316 Isny / Deutschland<br />
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E-Mail info@invacare-aquatec.com<br />
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Copyright© 2009, Küschall AG, Schweiz - Alle Rechte vorbehalten.
markt<br />
44<br />
Der Benutzer nimmt sitzend Platz im Vitaline.<br />
Hierdurch ist das Umsetzen in und aus dem<br />
Stehgerät relativ einfach zu machen. Mit der<br />
Handbedienung wird dann die elektrische<br />
Aufrichtungsmechanik in Bewegung gesetzt,<br />
wodurch der Benutzer langsam zum<br />
Stehen gebracht wird. Das zum-Stehenkommen<br />
mittels der elektrischen Aufrichtungsmechanik<br />
ist besser zu kontrollieren und<br />
sicherer als das zum-Stehen-kommen mit einem<br />
elektrischen Zugband. In jedem Moment der Aufrichtungsphase<br />
kann man stoppen und in aller<br />
Ruhe gucken, ob alles nach Wunsch verläuft<br />
und um sich an die Haltungsveränderung<br />
zu gewöhnen. In der Zeit des Stehens kann der Benutzer<br />
selbst mit der Handbedienung seine Haltung verändern.<br />
Vitaline ist einfach einzustellen.<br />
Dadurch, dass das Vitaline ausgestattet ist mit Antriebsrädern,<br />
ist es möglich innerhalb der Wohnung zum Beispiel<br />
Was ist neu beim<br />
THERA-Bewegungstraining?<br />
Der Aktiv-Passiv-Trainer THERA-vital ist jetzt noch beser<br />
ausgestattet und einfacher zu bedienen. Moderne Bewegungstrainer<br />
zeichnen sich dadurch aus, dass die Füße<br />
ohne fremde Hilfe einfach, schnell und sicher in den Fußschalen<br />
fixiert werden<br />
können – ohne<br />
Druckstellen zu verursachen.<br />
Genau so<br />
schnell muss sich<br />
die Fixierung nach<br />
dem Training auch<br />
wieder lösen lassen.<br />
Die neue Fußfixierung<br />
ist äußerst<br />
einfach zu bedienen.<br />
Mit leichtem<br />
Druck auf das Polster wird die Fußfixierung nach unten<br />
gedrückt. Der Fuß ist nun sicher fixiert. Dank der weichen<br />
und ergonomischen Polsterung gehören Druckstellen der<br />
Vergangenheit an. Für die optimale Anpassung an den Fuß<br />
sorgt ein Zahnrad-Raster, mit dessen Hilfe das Polster der<br />
Fußfixierung optimal auf Ihrem Fuß aufliegt. Somit ist der<br />
Fuß auch bei starken Spasmen optimal fixiert.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
vom Wohnzimmer in die Küche zu fahren. Sich im Stehen<br />
fortzubewegen ist für viele permanente Rollstuhlfahrer<br />
eine eindrückliche Erfahrung. Vitaline ist auch ohne die<br />
zwei Antriebsräder zu bekommen, wenn der Benutzer<br />
nicht über die volle Armfunktionen verfügt, um das Stehgerät<br />
fortzubewegen (Vitaline stationär).<br />
Vorteile bei der Benutzung des Vitaline Stehgerätes: Vorbeugen<br />
von Kontrakturen in Hüfte und Beinen, Stimulieren<br />
von Stuhlgang, Blutströmung, Atmung, Vorbeugung<br />
von Osteoporose, vereinfache Ausführung von täglichen<br />
Aktivitäten durch die Normalisierung der Muskelspannung<br />
(Spasmus), Training der Muskeln der oberen Extremitäten,<br />
Veränderung der Haltung nach lang andauerndem<br />
Sitzen.<br />
Kontakt: Vitaline Rehabilitationsmittel GmbH,<br />
In der Dickebank 1, 44809 Bochum,<br />
tel 02 34-4 17 58-48, Fax -49<br />
Der Farbbildschirm des neuen THERA-Trainers mit 26,4 cm<br />
Bildschirmdiagonale ist völlig unabhängig von Ihrem Blickwinkel<br />
hervorragend ablesbar. Ob seitlich oder von oben,<br />
auf dem Bildschirm sind die eigenen Trainingswerte (z.B.<br />
Leistung) immer optimal abzulesen. Dies gibt zusätzliche<br />
Sicherheit beim Training. Die äußerst einfache Bedienlogik<br />
ist zwar nicht neu, aber trotzdem eine Nennung wert. So<br />
sorgt beispielsweise die START/STOP-Ampelschaltung für<br />
eine äußerst einfache Bedienlogik. Und was kann sich ein<br />
Benutzer mehr wünschen, als ein Training, das auf Knopfdruck<br />
beginnt.<br />
Wer die THERA-Bewegungstrainer durch einen kostenlosen<br />
Test kennen lernen möchte, kann sich an die kostenfreien<br />
Rufnummer 08000-633 422 wenden.<br />
Weitere Infos unter www.thera-trainer.de
Mobiler Notruf mit Service und Telecare<br />
Die Komplettlösung „derButler®“ macht den Hausnotruf<br />
endlich auch außer Haus mobil und bietet mit seinen maßgeschneiderten<br />
Zusatzdiensten vom einfach bedienbaren<br />
Telefon bis zu Telecare-Funktionen alles in einem Gerät.<br />
Mit dem Multitalent stellt das Bonner Unternehmen FONI-<br />
UM Deutschland GmbH z.B. Rollstuhlfahrern einen zuverlässigen<br />
Begleiter an die Seite. Auf Knopfdruck erhält der<br />
Nutzer genau die Hilfe und den Service, der vorab über ein<br />
Internet basiertes Service-Portal eingerichtet wurde. Das<br />
IT-Gerät – nur unwesentlich größer und schwerer als ein<br />
Handy – ermöglicht den Nutzern mehr Bewegungsfreiheit<br />
und entlastet Pflegende. Oft ist es sinnvoller, anstelle des<br />
Krankenwagens erst einmal Angehörige, Nachbarn oder<br />
den Pflegedienst zu rufen. Über die Freisprechanlage können<br />
diese mit dem in Not geratenen Menschen sprechen.<br />
Das europaweit patentierte Ortungsverfahren hat FONI-<br />
UM aus einer Kombination von drei Systemen entwickelt:<br />
Grobortung über Handynetz, Nahbereichsortung mit eingebautem<br />
Peilsender, Ortungspieper im Gerät. Punktgenau<br />
werden Hilfebedürftige im Freien wie auch in Gebäuden<br />
aufgefunden.<br />
Das Multitalent Butler geht mit seinen 10 Notfall- und Servicefunktionen<br />
weit über den klassischen Hausnotruf hinaus.<br />
Mit dem sogenannten Funkfinger am Körper kann ein<br />
Notruf auch im Garten oder im Keller ausgelöst werden. Im<br />
Freien beträgt die Reichweite bis zu 250 Metern. Mit dem<br />
integrierten Neigungssensor, der einen Sturz oder selbst<br />
ein Zusammensinken als Notruf meldet, und dem konkur-<br />
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perfekter Begleiter im Alltag. Für den Telecare-Bereich ist der<br />
Butler mit einer Bluetooth-Schnittstelle zu medizinischen<br />
Messgeräten ausgestattet. So lassen sich beispielsweise<br />
Blutdruckdaten automatisch, sicher und grafisch aufbereitet<br />
an den Arzt oder den Pflegedienst übermitteln.<br />
Herzstück des Hightech-Geräts ist ein Internet basiertes<br />
Service-Portal. Hier werden die gewünschten Funktionen<br />
des Anwenders individuell und sicher programmiert sowie<br />
gesteuert und überwacht. Der Notruf der neuen Generation<br />
entspricht den gesetzlichen und technischen Normierungen<br />
als Pflegehilfsmittel-Produkt. Die monatlichen Kosten<br />
für Service und Mobilfunk liegen beim Butler zwischen<br />
17,90 und 27,90 € (inklusive<br />
60 Freiminuten) – je<br />
nachdem, ob der Notruf<br />
privat über Angehörige<br />
oder professionell über<br />
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besetzte Notruf-Zentrale<br />
organisiert werden soll.<br />
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Verlosung bei Paravan<br />
46<br />
Am 18.Dezember 2009 fand in Pfronstetten-<br />
Aichelau bei der Firma PARAVAN ein Ereignis<br />
der besonderen Art statt. In der Vorweihnachtszeit<br />
wurden hier die Namen von<br />
sechs Gewinnern ausgelost, die an einem<br />
Preisausschreiben teilgenommen hatten,<br />
initiiert von einer Firma, die sich in ganz besonderem<br />
Maße um die Mobilitätsprobleme<br />
schwerbehinderter Menschen kümmert.<br />
(GW) Es ging an diesem Tag nicht mehr nur ausschließlich<br />
um HealthCare und medizinisch-technische<br />
Geräte – wie die Fahrzeuge für schwer- und<br />
schwerstbehinderte Menschen, die die Firma Paravan<br />
schon seit vielen Jahren mit viel Einfühlungsvermögen<br />
in die Probleme ihrer mobilitätseingeschränkten Kunden<br />
herstellt – diesmal fand unter notarieller Aufsicht<br />
die Auslosung der Gewinner statt, die sich in großer<br />
Zahl an einem Gewinnspiel der Firma beteiligt hatten.<br />
Immerhin lockte als erster Preis ein Paravan-Rollstuhl<br />
im Wert von 23 000 €, der an eine Teilnehmerin nach<br />
Köln ging. Die Namen fünf weiterer Gewinner wurden<br />
gezogen und bekannt gegeben durch den Staatssekretär<br />
Dieter Hillebrand, dem Behindertenbeauftragten<br />
der Landesregierung Baden-Württembergs. Dabei<br />
dankte der Politiker dem Geschäftsführer der Paravan<br />
GmbH Roland Arnold für die herausragenden Leistungen<br />
auf dem Gebiet der Behindertenmobilität. Damit<br />
wird vielen Menschen mit einer körperlichen Behinderung<br />
zur Freiheit verholfen. Hier zeigt sich deutlich,<br />
wie modernste Technik für die Teilnahme am nichtbehinderten<br />
Leben genutzt wird und somit zur Lebensqualität<br />
derer beiträgt, die in ihrer Mobilität sehr<br />
eingeschränkt sind. Eine solche Aktion zeigt aber auch<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
die Verbundenheit einer Firma mit ihren Kunden und<br />
ihr Engagement.<br />
Kontakt: www.PARAVAN.com<br />
Text und Foto: Gisela Werner<br />
Ausschreibung:<br />
1. Handbike-Fahrerlager<br />
im Elbsandsteingebirge<br />
(Bad Schandau)<br />
Zeit: 6. bis 16. Juni <strong>2010</strong><br />
(10 Übernachtungen)<br />
Teilnehmer: 10 (inklusive Begleitpersonen /<br />
Partner ohne Handikap)<br />
Unterkunft: Apparthotel „Am Schlossberg“<br />
Bad Schandau<br />
Preis: 550 EUR, darin sind enthalten:<br />
Übernachtung im Doppelzimmer,<br />
Halbpension<br />
Einmaliger Eintritt für Besuch des<br />
Nationalparkzentrums<br />
Organisationsgebühr<br />
Nicht enthalten sind: Eintrittsgelder<br />
Kosten für Fahrscheine<br />
Sonstige Nebenkosten<br />
Nach intensiven organisatorischen Vorbereitungen<br />
kann im Jahr <strong>2010</strong> erstmalig ein Treffen interessierter<br />
Handbiker in der Nationalparkregion „Sächsisch-Böhmische<br />
Schweiz“ stattfinden. Deutschlands östlichster<br />
Nationalpark befindet sich ca. 50km südöstlich<br />
der sächsischen Landeshauptstadt Dresden an der<br />
deutsch-tschechischen Grenze. Gemeinsam mit dem<br />
benachbarten Nationalpark „Böhmische Schweiz“<br />
in Tschechien und den umliegenden Landschaften<br />
bietet die Region ein breites Spektrum von Möglichkeiten<br />
und Einrichtungen für einen aktiven und erlebnisreichen<br />
Urlaub.<br />
Der Schwerpunkt des Handbike-Fahrerlagers liegt<br />
nicht so sehr auf dem Erbringen von sportlichen<br />
Höchstleistungen (wiewohl es dazu natürlich auch<br />
Gelegenheit gibt), sondern auf dem gemeinsamen Er-
leben einer faszinierenden Landschaft mit ihren bizarren<br />
Felsformationen und Hinterlassenschaften einer jahrhundertelangen<br />
Besiedelung im Schmelzpunkt zweier<br />
großer Volksgruppen. Neben dem ausgiebigen Erkunden<br />
des Umlands mit dem Handbike ist sowohl die Besichtigung<br />
von Sehenswürdigkeiten als auch Relaxen im<br />
Programm vorgesehen.<br />
Vorläufiges Programm:<br />
Tag 1 Anreise<br />
Tag 2 Besuch der Basteiaussicht sowie der Festung<br />
Königstein<br />
Tag 3 Handbiketour in die Sächsische Schweiz /<br />
Elbradweg<br />
Tag 4 Handbiketour in die Böhmische Schweiz<br />
Tag 5 Fahrt mit der Sächsischen Dampfschiffahrt nach<br />
Dresden-Pillnitz und Besuch des Schlosses<br />
Tag 6 Handbiketour in die Sächsische Schweiz<br />
Tag 7 Rolliwanderung von Hohnstein auf die Brand-<br />
aussicht (optional), Besuch des Nationalzentrums<br />
Tag 8 Handbiketour nach Stolpen und Umgebung<br />
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Tag 9 Stadtbesichtigung und Einkaufsbummel in<br />
Dresden<br />
Tag 10 Abreise<br />
Es besteht keine Pflicht, an den geplanten Veranstaltungen<br />
teilzunehmen. Die leistungsorientierten Teilnehmer<br />
können also auch selbst organisierte Trainingseinheiten<br />
einschieben. Für diejenigen Touren, welche nicht in<br />
Bad Schandau starten – d.h. also üblicherweise fast alle<br />
Besichtigungen sowie die Rolliwanderung zum Brand<br />
– sollte die Anreise vom Hotel aus mit dem eigenen Pkw<br />
erfolgen. Ich wünsche uns eine schöne Zeit und einen<br />
regen Gedankenaustausch. Handbiker aller (Bundes)<br />
Länder, vereinigt euch!<br />
Kontakt: Veit Riffer<br />
Handbiker, Nationalparkführer für die<br />
Sächsische Schweiz<br />
eMail: veit.riffer@gmx.de<br />
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satire satire<br />
48<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Anzügliche Missverständnisse:<br />
Unschuldiges Opfer ?<br />
Unser Autor widmet sich in folgendem einem schlüpfrigen Thema, bei<br />
dem gerade die augenfälligen Defizite des Behinderten zu Missverständnissen<br />
führen. Die geschilderten Fälle sind authentische Begebenheiten,<br />
keine Phantasieprodukte, das behauptet er jedenfalls...<br />
Heute möchte ich Ihnen etwas erzählen, was<br />
mir schon lange unter den Nägeln brennt, oder,<br />
um gleich zum Thema zu kommen: auf den Sack<br />
geht: Die ständige sexuelle Anmache von unseresgleichen<br />
durch den läufigen Mitbürger,<br />
der offenbar meint,<br />
der Behindi sei nichts<br />
weiter als ein Sexspielzeug<br />
für ihn und müsse<br />
jederzeit willig und<br />
ihm sexuell gefügig<br />
sein. Und der dieser<br />
seiner (Fehl-)Einschätzung<br />
auch<br />
täglich im Umgang<br />
mit dem<br />
Behinderten<br />
Ausdruck verleiht.<br />
Dazu<br />
ein paar Beispiele.<br />
Ich saß<br />
unschuldig<br />
(die Hände<br />
NICHT in der Hose!) im<br />
Supermarkt vor dem Kühlregal und betrachtete<br />
offenbar allzu sehnsüchtig die Joghurtbecher<br />
weit oberhalb meiner Reichweite. Schlich<br />
sich eine junge Dame von hinten an mich heran,<br />
mit der Frage: „Soll ich Ihnen einen runterholen?“<br />
Als ich entgegnete, ja gerne, aber doch bitte nicht<br />
gleich hier, ob wir das nicht wenigstens etwas abseits<br />
in ihrem Pkw erledigen könnten, geriet sie<br />
sichtlich ins Schleudern.<br />
Als mir an der Kasse, wieder einmal mit der Frage<br />
konfrontiert „Wie viele Eier haben Sie denn?“,<br />
endgültig der Kragen platzte und ich ob dieser<br />
wiederholten sexuellen Anmache wohl etwas ge-<br />
reizt antwortete, natürlich zwei, wie jeder andere<br />
Mann auch, da ändere der Rollstuhl grundsätzlich<br />
erst mal überhaupt nichts dran, aber Sie können<br />
ja schnell mit mir zu den Regalen rübergehen und<br />
das prüfen, wenn Sie mir einen RUNTERHOLEN<br />
(Letzteres sagte ich dann lieber doch nicht), erntete<br />
ich nur verständnislose Blicke. Zu diesem Fall<br />
wäre anzumerken, dass man in unserem Discounter<br />
die angebotenen Schachteln nach eigenem<br />
Ermessen mit Hühnereiern teilbefüllen darf – was<br />
aber eigentlich nichts zur Sache tut und nicht von<br />
der Obszönität der Kassiererin ablenken soll.<br />
Anmache durch Verkaufspersonal<br />
Im Musikmarkt saß ich nachdenklich vor der unüberschaubaren<br />
Auswahl an Sortiersystemen<br />
für CDs. Kam die Verkäuferin angelatscht und<br />
fragte frech: „Hasch keinen Ständer?“ Ich betastete<br />
meinen Schritt und meinte: „Nein, momentan<br />
gerade nicht!“ Ein bezeichnender Fall, typisch für<br />
den Umgang des Normalo mit dem Behindi. Eine<br />
schamlos-obszöne Direktheit – die Dumpfbacke<br />
kapiert‘s ja eh‘ nicht! – dem sexuell gestörten<br />
Behindi gegenüber, dem nach Meinung des Verkaufspersonals<br />
offenbar schon beim Betrachten<br />
simpler Plastikgestelle seine Sexualität völlig entgleist.<br />
So, wie er ja auch seine Beine nicht unter<br />
Kontrolle hat, seine Blase, seinen Darm – und den<br />
man dann auch gleich noch darauf ansprechen<br />
muss.<br />
Zwecks Erwerb der zur Restaurierung meines<br />
Schrankes nötigen Utensilien begab ich mich in<br />
den Baumarkt. Angesicht der Unerreichbarkeit<br />
des dortigen Holzsortiments, wandte ich mich an<br />
einen Verkäufer. „I bräucht‘ a Latte!“ Kommt mir<br />
der doch mit der unverschämten Frage zurück,<br />
ob ich es schon einmal mit Viagra versucht hätte!<br />
Ich spare mir dazu jeden Kommentar. Offenbar
aucht dieser Strahlemann mit seinen missglückten<br />
Witzen hinter seinem Schalter selbst<br />
Viagra, um seine Nudel al dente zu bekommen.<br />
Ist ja nur tröstlich, dass der Typ mir nicht angeboten<br />
hat, er könne mir auch gleich persönlich eine<br />
Latte besorgen. Dennoch ist und bleibt es eine<br />
Schweinerei, sofort den sexuellen Diskriminierungshammer<br />
rausschnellen zu lassen. Ich wechselte<br />
den Baumarkt.<br />
Verkehrsfunk<br />
Als Querschnitt L3-4-5 habe ich gewisse Probleme<br />
mit gewissen Sexualfunktionen und vor<br />
allem mit der zum Orgasmieren nötigen Sensorik.<br />
Um die Sache zu erleich- tern, sah ich<br />
mich in gewissen Shops nach g e -<br />
wissem Spielzeug um. Dass<br />
selbst Profis des erogenen<br />
Gewerbes Probleme mit<br />
behinderlicher Sexualität<br />
haben, bewies mir nachfolgende<br />
Begebenheit.<br />
Als wir uns zusammen<br />
quer durch das Sortiment<br />
arbeiteten,<br />
erklärte ich der<br />
Fachverkäuferin<br />
ganz offen mein<br />
Problem. Nein,<br />
lasche Gumminoppen<br />
seien<br />
für meine<br />
Bedürfnisse<br />
einfach zu<br />
weich, die<br />
aufblasbare Dolly viel<br />
zu schlapp, das Reizstromgerät<br />
habe nicht genügend Saft. Schließlich meinte<br />
diese Tussi genervt, ich solle mich doch besser in<br />
einem Baumarkt nach Spielzeug umsehen. Denn<br />
Kettensägen, Hobelmaschinen, Schmirgelpapier<br />
und elektrische Kuhzäune führten sie hier nicht<br />
einmal in der Sado-Maso-Abteilung. Aber mit<br />
dem Baumarkt will ich nichts mehr zu tun haben…<br />
Wie man mir berichtete, bleiben auch die weiblichen<br />
Rolli-Kolleginnen keineswegs von solcher<br />
Anmache verschont. Eine Dame mit Dackellähme<br />
erzählte mir, wie sie einmal vor dem Supermarkt,<br />
als sie die Lebensmittel gerade in ihren Pkw ver-<br />
frachtet hatte, von einem jungen Mann mit der<br />
Frage angemacht wurde: „Darf ich Ihnen den<br />
reinschieben?“ Die Dame wusste sich zu wehren.<br />
Wie sich später in der Notaufnahme herausstellte,<br />
wollte der junge Mann ihr lediglich hilfsbereit den<br />
Wagen in den Supermarkt zurück „reinschieben“.<br />
Er hätte sich nur bedachter ausdrücken müssen.<br />
Kürzlich ließ ich mich beim Rundfunk als einer<br />
dieser vielen Verkehrsmelder registrieren. Jetzt<br />
muss ich dort jedes Mal anrufen, bevor ich Verkehr<br />
habe. Als wieder mal einer der Moderatoren<br />
meldete, es lägen ihm derzeit keine aktuellen Verkehrsbehinderungsmeldungen<br />
vor, klingelte ich<br />
im Studio an und meldete, wie behindert ganz<br />
aktuell mein Verkehr sei, seit ich querschnittgelähmt<br />
bin. Der Sender weigerte sich allerdings,<br />
diesen Tipp auszustrahlen.<br />
Hier ist die Politik gefragt.Schärfere<br />
Gesetze<br />
gegen die<br />
sexuelle Ausbeutung<br />
des Behindertenmüssen<br />
auf den Weg<br />
gebracht werden.<br />
Jede Berufsgruppe<br />
mit Kundenkontakt<br />
muss schon in der<br />
Grundausbildung über<br />
die sexuellen Bedürfnisse<br />
des Behinderten aufgeklärt<br />
werden, damit künftig<br />
obig geschilderte peinliche<br />
Entgleisungen unterbleiben.<br />
Zudem gilt es mehr Geld in die<br />
Forschung zu investieren, dam<br />
i t die Industrie in naher Zukunft<br />
auch dem sensorisch eingeschränkten Behinderten<br />
Sexspielzeug anbieten kann, das diesem wenigstens<br />
eine rudimentäre Grundversorgung an<br />
erogenen Reizen vermittelt.<br />
Text & Fotos:<br />
Alexander Epp<br />
satire satire<br />
PARAPLEGIKER 1/10 49
ericht<br />
Wissenschaft auf neuen Wegen:<br />
„Reisen und Ergotherapie“<br />
Die Probanden<br />
schilderten,<br />
dass auf den ersten<br />
Reisen alles<br />
100% rollstuhlgerecht<br />
sein musste,<br />
aber sie sich mit<br />
der Zeit fremde<br />
Situationen mehr<br />
zutrauten.<br />
50<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
(pmd) Drei junge (deutsche) Ergotherapeutinnen haben ihre Bachelorarbeit<br />
an der (grenznahen) niederländischen „Hogeschool Zuyd“ über das oben<br />
erwähnte Thema geschrieben. Sie haben sich in einer wissenschaftlichen<br />
Studie mit den „Erfahrungen von Erwachsenen mit einer Querschnittlähmung<br />
(Th1 bis L3) bei der Planung und Durchführung einer selbstorganisierten<br />
Reise“ befasst. Bemerkenswert scheinen die beruflichen Ziele, die in<br />
der Arbeit thematisiert werden: Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche<br />
Teilhabe und Verbesserung der Lebensqualität.<br />
Reisen im Rollstuhl ist nicht immer einfach,<br />
aber durch eine gute Planung können viele Hindernisse<br />
vermieden werden. Neun Menschen<br />
mit einer Paraplegie erzählten im Rahmen einer<br />
Studie von drei Ergotherapeuten, welche Erfahrungen<br />
sie auf ihren Reisen machten. Gemeinsam<br />
entstanden Tipps und Informationen, worauf<br />
bei einer Reise im Rollstuhl geachtet werden<br />
sollte, um Schwierigkeiten zu umgehen. Die Studie<br />
zeigt, welche Erfahrungen Menschen mit einer<br />
Querschnittlähmung (im Bereich Th1 bis L3)<br />
bei der Planung und Durchführung einer selbstorganisierten<br />
Reise machten. Neun Sportler/innen<br />
(27 bis 63 Jahre alt), deren Eintritt der Querschnittlähmung<br />
2 bis 44 Jahre zurücklag, reisten<br />
zum Teil ohne Begleitperson in den letzten 3<br />
Jahren unterschiedlich viel weltweit. Sie nutzten<br />
verschiedene Verkehrsmittel und Unterkünfte.<br />
Die Probanden schilderten, dass auf den ersten<br />
Reisen alles 100% rollstuhlgerecht sein musste,<br />
aber sie sich mit der Zeit fremde Situationen<br />
mehr zutrauten.<br />
Planung der Reise<br />
Die Teilnehmer nutzen mehrere Wege der Informationsbeschaffung.<br />
Im Internet gibt es nur<br />
Standardmasken, welche die individuellen Bedürfnisse<br />
von Rollstuhlfahrern nicht erfassen.<br />
Jedoch bieten sich Foren, Rollstuhlsportvereine,<br />
Behindertenratgeber und Reisekataloge zur<br />
Informationsbeschaffung an. Es empfiehlt sich<br />
auch im Urlaubsort oder auf der Durchreise Informationen<br />
für weitere Reisen zu sammeln und<br />
die Unterkünfte auf ihre Zugänglichkeit zu prüfen.<br />
Unter „www.argeurlaub.de“ erhält man gute<br />
Reisetipps von anderen Rollstuhlfahrern. Es ist<br />
aber keine Reisebuchung möglich. Diese sollte<br />
im Reisebüro erfolgen, da es über Sonderzugriffe<br />
(z.B. Angaben zu Türbreiten) verfügt. So buchten<br />
vier Probanden im Anschluss an ihre eigene Recherche<br />
im Reisebüro und ließen nachfragen, ob<br />
das Hotel rollstuhlgerecht ist. Bei der Buchung<br />
einer Flugreise sollten das kostenfreie Zusatzgepäck<br />
und der angemeldete Rollstuhl schriftlich<br />
bestätigt werden:„Also wir bekommen eine<br />
schriftliche Bestätigung, die ist uns wichtig.“ An<br />
den meisten deutschen Flughäfen gibt es kostenlose<br />
Parkplätze für Rollstuhlfahrer (siehe:<br />
http://www.myhandicap.de/behindert_umsonst_parken_flughaf.html).<br />
Am Flughafen sind<br />
die Leihrollstühle oft im schlechten Zustand.<br />
Die Toiletten im Flugzeug sind oft für Rollstuhlfahrer<br />
nicht erreichbar, weshalb die Flugdauer<br />
vorher abgeklärt werden sollte. Um den Zugang<br />
zu der Toilette auf Fernflügen zu gewährleisten,<br />
ist es wichtig einen so genannten Bordrollstuhl<br />
zu ordern. Auf Kontinentalflügen (Kurz-, u. Mittelstrecken)<br />
gibt es keine Bordrollstühle, sodass<br />
gehunfähigen Passagieren der Zugang zum WC<br />
verwehrt wird.<br />
In der Studie wurde deutlich, dass Bahnreisen<br />
vermieden wurden. Um den Service für Rollstuhlfahrer<br />
auf Bahnreisen in Anspruch nehmen<br />
zu können, muss man sich mindestens einen<br />
Werktag vorher anmelden: www.bahn.de/handicap.<br />
Der Transfer zum Hotel und die Hilfsmittel<br />
für den Mietwagen sollten gleich dazu gebucht
und der Rollstuhl angegeben werden. Vor Reiseantritt<br />
muss der Transfer (z.B. vom Flughafen<br />
zum Hotel) abgeklärt und sichergestellt werden,<br />
dass das Verkehrsmittel, das einen abholt und<br />
zum Hotel bringt, zugänglich ist.<br />
Urlaubsort & Unterkunft<br />
Durch das Verstauen von wichtigen Unterlagen,<br />
wie Reisechecks oder Flugpapiere, unter dem<br />
Sitz des Rollstuhls können diese nicht gestohlen<br />
werden. Im Urlaubsort ist damit zu rechnen, dass<br />
Bordsteinkanten sehr hoch und alte Sehenswürdigkeiten<br />
oftmals nicht barrierefrei sind. Auch<br />
eine barrierefreie Unterkunft im Urlaubsort ist<br />
derzeit noch nicht sichergestellt. In Deutschland<br />
und im Ausland existieren Mindeststandards für<br />
Barrierefreiheit, die nicht rechtsverbindlich sind<br />
(http://nullbarriere.de/). Begrifflichkeiten wie<br />
„rollstuhl- oder behindertengerecht“ sind daher<br />
nicht eindeutig definiert. Wichtig ist es daher,<br />
sich die Unterkunft vorher beschreiben zu lassen<br />
und Maßangaben (z.B. Türbreiten), sowie die<br />
Ausstattung des Zimmers, auch des Bades, zu<br />
erfragen:„Ich gucke rein in das Badezimmer, alles<br />
rollstuhlgerecht und ich will rein und komme<br />
nicht rein!“ Eine Orientierung bei der Befragung<br />
ist anhand dieser Checkliste möglich: http://klassifizierung.de/checkliste_kategorien_ab.pdf.Angaben<br />
zur Unterkunft sollten schriftlich bestätigt<br />
werden, damit man abgesichert ist. Um zur Not<br />
das Hotel wechseln zu können, wurde empfohlen<br />
Anzeige<br />
sich Hotels in der Umgebung herauszusuchen.<br />
Das Hotel „Mar Y Sol“ (Teneriffa) ist komplett<br />
rollstuhlgerecht gebaut und bietet Pflegemaßnahmen,<br />
Therapien und Strandrollstühle an. Es<br />
wird für die erste Fernreise als Rollstuhlfahrer<br />
empfohlen:„Ja, weil das wirklich ein Hotel ist,<br />
das für einen Anfänger wirklich einfach top ist.“<br />
Da nicht in jedem Urlaubsort ein Sanitätshaus in<br />
unmittelbarer Nähe vorhanden ist, empfiehlt es<br />
sich, Werkzeuge (Luftpumpe etc.) und Ersatzteile<br />
(Schlauch) für den Rollstuhl mitzunehmen.<br />
Unterstützung durch<br />
Ergotherapeuten<br />
Ferien stellen häufig die schönste Zeit des Jahres<br />
dar und sollten deshalb mit möglichst wenigen<br />
Unannehmlichkeiten verbunden sein. Ergotherapeuten<br />
unterstützen Menschen, alltägliche<br />
Verrichtungen ausführen zu können und setzen<br />
sich dafür ein, dass die gesellschaftliche Teilhabe<br />
gewährleistet wird. Auch für eine bevorstehende<br />
Reise können Ergotherapeuten bei der Planung<br />
beratend tätig sein (z.B. bei der passenden Unterkunft,<br />
organisatorischen Vorkehrungen wie<br />
Zusatzgepäck, Hilfsmittel- und Angehörigenberatung).<br />
Ergotherapeuten bieten bereits Mobilitäts-<br />
und Verkehrstraining an, das auch vor Reiseantritt<br />
stattfinden könnte.<br />
Text:<br />
Evi Spreth, Stefanie Dahl, Jennifer Riedel<br />
bericht<br />
Ergotherapeuten<br />
bieten bereits<br />
Mobilitäts- und<br />
Verkehrstraining<br />
an, das auch vor<br />
Reiseantritt stattfinden<br />
könnte.
unterwegs<br />
52<br />
Fährtenleser mit Handbike<br />
„Erleuchtung gibt’s im<br />
nächsten Leben – Eine<br />
verrückte Reise durch<br />
Indien“ liegt druckfrisch<br />
vor, kostet 19,95 € und<br />
wurde erstmals in Köln<br />
und Bochum am 11. und<br />
12. Januar im Rahmen<br />
eines Multivisionsvortrages<br />
vom Autor selbst<br />
vorgestellt. Erschienen<br />
ist es im Piper-Verlag in<br />
München, hat 306 Seiten<br />
und kann über die<br />
ISBN-Nummer:<br />
978-3-89029-7621-3<br />
beim Buchhändler<br />
bestellt werden.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Andreas Pröve über Indien:<br />
Pröve gewinnt seine Leser spätestens auf<br />
der zweiten Seite mit seinem ureigenen humorigen<br />
Realismus, der manchmal aber nur<br />
von ebenfalls betroffenen Querschnittgelähmten<br />
verstanden wird. Bei seiner Ankunft<br />
auf dem Flughafen der Millionenstadt Mumbai<br />
(bis 1995 Bombay) an der indischen Westküste,<br />
muss er auf seinen Rollstuhl warten,<br />
der aus dem Gepäckbereich gebracht wird.<br />
Diese Minuten schildert er mit den Worten:<br />
„Mein Anblick in der Ankunftshalle muss jämmerlich<br />
gewesen sein – und so fühlte ich mich<br />
auch in diesem hässlichen Toilettenstuhl, wie<br />
ein zappelnder Maikäfer auf dem Rücken,<br />
der keinen Meter vorankommt. Schlimmer<br />
noch, als hätte man meinen Ferrari mit einer<br />
Seifenkiste vertauscht, fühlte ich mich den<br />
mitleidigen Blicken der übrigen Passagiere<br />
ausgesetzt. Klar, alles nur Einbildung, denn<br />
für die meisten Menschen ist Rollstuhl gleich<br />
Rollstuhl. Aber eben nicht für mich.“<br />
Mit „Erleuchtung gibt’s im nächsten Leben“<br />
schildert er seine jüngste dreimonatige „verrückte<br />
Reise durch<br />
Indien“. Indien,<br />
das Land, das<br />
er schon 14 mal<br />
bereiste, das ihn<br />
aber immer wieder<br />
aufs Neue mit unbekanntenAbenteuern<br />
lockt. Pröve,<br />
der seinen indischen<br />
Freund Nagender als<br />
seinen „Fährtenleser<br />
ins Herz der Inder“<br />
bezeichnet, schildert<br />
die gemeinsame Reise<br />
durch den Süden des<br />
Subkontinents, auf den<br />
Wegen, die Pilger zu den<br />
heiligen Orten ihrer Götter<br />
führen. Indien ist übersät<br />
von solche „Pilgerpfaden“.<br />
So sind es nur ausgewählte Strecken, die sich<br />
aneinander reihen und an denen abschnittweise<br />
am Ende Überraschendes und Kurioses<br />
auf sie zu warten scheint.<br />
Pröve reist mit seinem Handbike, unterstützt<br />
von einem hochgetunten (35 km/h), an seinem<br />
Bike adaptierten Verbrennungsmotor,<br />
für den er in Deutschland keine Zulassung im<br />
Straßenverkehr bekam. Damit fährt er mitten<br />
durch die Slums, an Obdachlosen vorbei, die<br />
sich Richtung Verkehr hockend am Straßenrand<br />
entleeren. Um obdachlose Kinder vor den<br />
Übergriffen der korrupten Polizisten Indiens<br />
zu schützen, legt er sich spontan mit ihnen an.<br />
Er setzt sich der Bedrohung durch Straßenräuber<br />
aus, nimmt bewusst lebensbedrohliche Situationen<br />
durch Lkw auf den Straßen in Kauf<br />
und wird dafür von den einfachen Menschen<br />
geachtet, die sogar ihr „Bett“, in einem Fall eine<br />
Stahlplatte, mit ihm teilen. Auch die Pilger akzeptieren<br />
ihn.<br />
Pröve gelingt gleichzeitig<br />
die Schilderung des pulsierenden<br />
Lebens auf Indiens<br />
Straßen und der intimster<br />
Situationen, Gedanken und<br />
Gefühle eines Rollstuhlfahrers.<br />
Er wendet sich auch<br />
gegen Diskriminierung<br />
der „Gutmenschen“, die<br />
es auch in Indien gibt,<br />
verliert aber dabei nicht<br />
die Achtung vor dem<br />
Glauben der Menschen.<br />
Er akzeptiert<br />
es, wenn er mit seinem<br />
Rollstuhl nicht<br />
in einen Tempel hineinfahren<br />
darf, weil<br />
der Straßendreck<br />
an seinen Reifen<br />
den heiligen Boden<br />
verunreini-
gen könnte; ohne Scham zu empfinden, lässt<br />
er sich dann eben von gemieteten Helfern<br />
hineintragen.<br />
Einerseits gewährt dieses Buch einen tiefen<br />
Einblick in ein fernes, fremdes Land, bringt<br />
uns seine Menschen nahe und lehrt uns die<br />
Vielschichtigkeit gläubigen Ausdrucks zu akzeptieren.<br />
Andererseits zeigt es uns, was der<br />
Wille eines Menschen bewirken kann. Pröve<br />
beweist und belegt, dass das Sprichwort: „Der<br />
Wille versetzt Berge“ seine Berechtigung hat.<br />
Für manchen betroffenen Querschnittgelähmten,<br />
der jetzt noch in der Klinik im Bett<br />
liegt und auf den das Leben im Rollstuhl wartet,<br />
wird Pröve wie ein Außerirdischer wirken.<br />
Aber genau für sie hat Pröve dieses Buch auch<br />
geschrieben. Er will ihnen signalisieren, dass<br />
man sich nicht entmutigen lassen darf, an seinen<br />
Träumen festhalten muss, seine Ziele unbeugsam<br />
verfolgen soll.<br />
Die Vorträge<br />
Pröve hat auch seine letzte Reise in präsentationsfähige<br />
„High Definition Audio Vision“ umgesetzt<br />
und reist damit durchs Land. Wie sein<br />
Buch bestechen auch seine Vorträge durch Detailfreude,<br />
Lebendigkeit und Offenheit. Ohne<br />
abzuschweifen reflektiert er dabei seine Gedanken<br />
und Gefühle und analysiert entsprechend<br />
die Handlungen und Reaktionen seiner<br />
Umwelt; er lässt den Zuhörer teilhaben. Das<br />
Ergebnis ist ein fesselnder und spannender<br />
Vortrag mit faszinierenden Bildern, der den<br />
Zauber des fernen Landes auf die Zuschauer<br />
überträgt.<br />
Zur Person<br />
Andreas Pröve, geboren 1957, verunglückte als<br />
23jähriger mit seinem Motorrad und ist seitdem<br />
unterhalb des achten Brustwirbels querschnittgelähmt.<br />
Schon drei Jahre nach seinem<br />
Unfall brach er im Rollstuhl zu seiner ersten<br />
Indienreise auf und tourte später monatelang<br />
durch Asien. In Handarbeit durchquerte er das<br />
Rebellengebiet im Norden Sri Lankas, folgte<br />
dem Ganges von der Mündung bis zur Quelle<br />
im Himalaja und „erfuhr“ die Wüsten zwischen<br />
dem Roten Meer und Euphrat.<br />
Er berichtete auch im Auftrag von „terre des<br />
hommes“ über die Ausbeutung der Kinder<br />
durch Indiens Teppichindustrie, recherchierte<br />
über die Straßenkinder Bombays und arbeitete<br />
zum Thema Kinderprostitution und die Ausbreitung<br />
von AIDS in Thailand. Er beschrieb<br />
den Überlebenskampf der Slumbewohner Kalkuttas<br />
und besuchte unterdrückte Bergvölker<br />
im Grenzgebiet von Burma, Laos und Thailand.<br />
Seine 25 jährige Arbeit wurde bereits vielfach<br />
mit Preisen ausgezeichnet. Mit Frau und Kindern<br />
lebt Pröve heute in seinem Elternhaus<br />
am Südrand der Lüneburger Heide.<br />
Text: Harry Baus<br />
Kontakt:<br />
Andreas Pröve<br />
Hinter Kronen Hofe 2<br />
29339 Wathlingen<br />
tel 01 51 44-9 24 36<br />
eMail: a@proeve.com<br />
www.proeve.com.<br />
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unterwegs
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Auf dem Weg von Canmore<br />
nach Banff in den<br />
„Rocky Mountains“: Eine<br />
unglaubliche Landschaft<br />
öffnet sich. Seen wie der<br />
Moraine Lake oder der<br />
Lake Louise laden zum<br />
Verweilen ein und begeistern<br />
durch ihre wilde<br />
Fauna und Flora. Es erfordert<br />
eine große Disziplin,<br />
diese Strecke in<br />
dem vorgegebenen zeitlichen<br />
Rahmen zu durchfahren<br />
– zu groß ist die<br />
Versuchung wirklich alles<br />
fotografieren zu<br />
wollen…<br />
Der Sheriff lauert auf Temposünder<br />
und erwischt unseren Autor.<br />
54<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Alberta<br />
Fünf Wochen in Kanada (2):<br />
In Banff ist einiges zu bestaunen.<br />
Der Besucher findet<br />
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weltweit beste Sammlung<br />
von Literatur zu den Rockys<br />
sowie zur Geschichte<br />
der Stadt und ihren Ureinwohnern,<br />
den Indianern.<br />
Auch das Luxton Museum<br />
beschäftigt sich mit dieser<br />
Geschichte. Das Buffalo Nation<br />
Museum, das einem<br />
alten Fort aus dem Wilden Westen ähnlich sieht,<br />
verbirgt hinter seinen Pforten alles, was in der<br />
Vergangenheit den Wilden Westen ausgemacht<br />
hat. Ein Muss sind die Upper Hot Springs, die heißen<br />
Quellen, die bestens auf den Besuch von behinderten<br />
Menschen eingerichtet sind. Wer sich<br />
noch einen Überblick über die Stadt und deren<br />
Umgebung machen möchte, fährt mit der Banff-<br />
Gondola auf den Gipfel des Sulphur Mountain. Einen<br />
Besuch des Golfplatzes sollte man nicht vergessen,<br />
denn hier sind gegen Abend die Hirsche<br />
Am Lake Moraine.<br />
bei ihrem Abendmahl zu beobachten: alles vom<br />
Auto aus im Abstand von zwei Metern!<br />
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von Gletschern bedeckten Bergen hin zum<br />
Columbia Icefield mit dem Athabasca Gletscher.<br />
Im gut besuchten Icefield Center kann man eine<br />
Pause einlegen. Es hat genügend Parkplätze für<br />
behinderte Menschen und ist gut auf ihren Besuch<br />
eingerichtet. Die Weiterfahrt nach Jasper<br />
geht entlang der Gletscher und Seen mit ihrer<br />
umwerfenden Natur. Man bewegt sich auf einer<br />
Höhe von 2 000 m und links und rechts geht es<br />
weitere 2 000 m hoch. Der Pyramid Lake Jasper<br />
bei sehenswert, eine Steigerung bietet nur noch<br />
der Maligan Lake. Auf der Fahrt dorthin (50 km)<br />
kann man frühmorgens die Tierwelt der Rockies<br />
in freier Wildbahn erleben. Gewarnt wird vor Bären<br />
und Elchen, aber auch das freche Streifenhörnchen<br />
zeigt sich gerne dem Besucher.<br />
Am See angekommen lohnt es sich, die 90-minütige<br />
Seerundfahrt für 40 $ zu machen. Das Boot
ermöglicht Rollstuhlfahrern gemütlich am Heck<br />
ihren Platz einzunehmen und die Bootsfahrt<br />
durch die Landschaft voll herrlicher Fotomotive<br />
zu genießen. Highlight ist Spirit Island. Von<br />
dort führt der Weg weiter nach Barkerville, eine<br />
alte Goldgräberstadt. Der örtliche Sheriff lauert<br />
am Ortsende auf mich und verlangt von mir die<br />
Kleinigkeit von 340 Can Dollars, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
von 30 km/h. Erst<br />
nachdem ich ihn bitte mir meinen Rollstuhl aus<br />
dem Kofferraum zu nehmen, um auszusteigen,<br />
bekomme ich den „Behindertenbonus“ und darf<br />
ohne Strafe weiterfahren, mit dem Hinweis: „Canada<br />
is a very nice country and has a speedlimit!“<br />
Über Prince George geht es in den Norden, entlang<br />
am Fraser Lake nach Smithers und von dort<br />
zur Hafenstadt Prince Rupert. Die Reise mit der<br />
Fähre nach Port Hardy auf Vancouver Island dauert<br />
14 Stunden, morgens um 5 Uhr ist Abfahrt.<br />
Die Fähre ist mit drei barrierefreien Kabinen ausgestattet.<br />
Autos werden so platziert, dass es keine<br />
Probleme mit dem Ein- und Aussteigen gibt.<br />
Allerdings sollte man vermeiden freitags oder<br />
sonntags zu fahren.<br />
Auf der Inlandspassage reist man durch die Insellandschaft<br />
Queen Charlotte Island entlang<br />
der Westküste von Britisch Columbia. Obwohl<br />
ich eine Kabine gebucht habe, verzichte ich wegen<br />
der vielen Eindrücke problemlos auf meinen<br />
Schlaf. Erst um 22 Uhr kommen wir in Port Hardy<br />
an. Nach einem kurzem Aufenthalt geht es von<br />
der Nordspitze der Insel in Richtung Süden über<br />
Campbell River und Nanaimo, nach Duncan mit<br />
seinen Unmengen von Totems, zwei davon am<br />
Rathaus. Einer stammt von den amerikanischen<br />
Ureinwohnern, der andere von den Maori aus<br />
Neuseeland. In Chemainus hingegen gibt es fast<br />
keine Hauswand, die nicht kunstvoll bemalt ist.<br />
Zudem ist der Ort voll von Oldtimerfans, die ihre<br />
liebevoll restaurierten Autos am Sonntag zur<br />
Schau stellen.<br />
In Victoria, der Hauptstadt von Vancouver Island,<br />
erwartet mich eine bunte, lebendige Szene. Ich<br />
bin sofort verliebt. Zunächst fahre ich an die<br />
Südküste von Victoria zum Beacon Hill Park und<br />
lasse meinen Blick über das Meer in Richtung der<br />
gegenüberliegenden Küste der USA schweifen.<br />
Noch acht Tage und ich werde dort meine Nichte<br />
in Seattle besuchen. Doch vorerst stehe ich noch<br />
im Bann dieser vielseitigen<br />
Hauptstadt. Ich lasse mich<br />
am Abend in die Stimmung<br />
des Sonnenuntergangs und<br />
das bunte Lichterspiel der mit<br />
Lichterketten geschmückten<br />
Häuser ziehen. Das Parlament<br />
ist trotz Sommer annähernd<br />
weihnachtlich beleuchtet, daneben<br />
steht das Fairmont Empress<br />
Hotel. Hier geht es ‚very<br />
british’ zu und die Leute treffen<br />
sich zum Tee oder Cricket.<br />
Tags drauf reise ich mit der Fähre<br />
nach Vancouver, von dort<br />
weiter über den Sea to Sky<br />
Highway nach Whistler, den Ort<br />
der Olympischen Winterspiele.<br />
Eine Frage stellt sich mir allerdings<br />
immer wieder: Wie werden<br />
auf dem einzigen Hwy 99<br />
all die Leute von Vancouver zu<br />
den Spielen nach Whistler (120<br />
km) gebracht? Der Ort selbst<br />
ist eine Retortenstadt, gut geplant<br />
und fast ebenerdig. Im<br />
Sommer wimmelt es dort von<br />
Crossbikern, im Winter werden<br />
die Snowboarder und Skifahrer<br />
den Ort bevölkern. Ich hatte<br />
das Vergnügen mit der neuesten<br />
Seilbahn über ein 436<br />
m tiefes Tal zu fahren, und das<br />
barrierefrei. Von der Talstation<br />
Whistler Mountain (2 100 m)<br />
geht es zur 4,5 km entfernten<br />
Bergstation am Blackcomb<br />
Peak. Auf beiden Bergseiten<br />
gibt es zwei Träger, dazwischen<br />
3050 m freie Spannweite.<br />
Die herrlichen Wochen in Kanada gehen zu Ende,<br />
zum Abschluss führt mich meine Reise nun nach<br />
Seattle zu meiner Nichte und ihrer Familie. Dort<br />
will ich mich von der 3 400 km langen Reise erholen<br />
– habe ich zumindest vor…<br />
Text & Fotos:<br />
Johann Kreiter<br />
unterwegs<br />
Chemainus, die Stadt der<br />
Wandmalerei.<br />
Der Hwy 93 führt mitten durch<br />
die Rockies.<br />
Das Fairmont Empress Hotel<br />
in Victoria.<br />
Reiseveranstalter:<br />
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Wer unterstützt Georgierin?<br />
Ich möchte Sie um Unterstützung bitten für Frau Nestan Japaridze<br />
aus Terjola/Georgien, Ärztin (auf Grund der Erkrankung seit<br />
12 Jahren nicht mehr praktizierend). Vor 12 Jahren konnte Frau<br />
Nestan von heute auf morgen nicht mehr laufen. Im Rahmen ihrer<br />
finanziellen Möglichkeiten hat sie sich in Georgien untersuchen<br />
lassen, leider ohne ein eindeutiges Ergebnis. Sie kann ihre Beine<br />
und Hände nur eingeschränkt bewegen. Allerdings kann sie nicht<br />
stehen. Bis jetzt wurde sie von ihrer alten Mutter gepflegt, doch<br />
die ist jetzt selbst pflegebedürftig geworden. Frau Nestan besitzt<br />
keinen Rollstuhl, dadurch ist jeder Platzwechselversuch für sie<br />
äußerst qualvoll. Der akute Bedarf an einen elektrischen Rollstuhl<br />
ist sehr sehr dringend. Leider reichen ihre finanziellen Mittel dafür<br />
nicht aus. Wer hat kann einen kostenfreien oder kostengünstigen<br />
gebrauchten E-Rollstuhl zur Verfügung stellen? Wer könnte eine<br />
evtl. kostenfreie Untersuchung bzw. ggf. Operation in Deutschland<br />
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echt recht<br />
Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung:<br />
Theorie und Praxis<br />
Inzwischen haben sich die Patienten daran gewöhnt, dass viele Leistungen der Krankenkassen nur noch<br />
zur Verfügung stehen, wenn sie aus dem eigenen Geldsäckel etwas beisteuern. Unklarheiten gibt es aber<br />
immer noch. Der Hinweis von Sanitätshaus oder Apotheke, dass individuelle Fragen mit der Krankenkasse<br />
zu klären sind, führt aber noch lange nicht immer zur gewünschten Klarheit. Darum hier einiges im Klartext,<br />
speziell für Menschen mit einem Stoma und bei Inkontinenz, aber auch mit anderen Behinderungen.<br />
Sie sind „chronisch krank“ im Sinne des Gesetzes (SGB V). Deshalb gilt für sie die reduzierte Belastungsgrenze<br />
von 1 % des Familieneinkommens statt 2 % (allgemeine Belastungsgrenze).<br />
W<br />
as heißt „chronisch kranke Menschen“ ? Die Krankheit muss<br />
ein volles Jahr lang bestehen und in dieser Zeit von einem Arzt<br />
mindestens einmal pro Quartal behandelt worden sein. Darüber<br />
hinaus muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:<br />
* Der Patient ist pflegebedürftig nach Pflegestufe 2 oder 3.<br />
* Der Patient ist aufgrund seiner Erkrankung mindestens<br />
zu 60 Prozent erwerbsgemindert oder behindert. Die Erwerbsminderung<br />
beziehungsweise Behinderung muss<br />
durch diese Erkrankung begründet sein.<br />
* Wegen der Krankheit ist eine kontinuierliche medizinische<br />
Versorgung erforderlich, ohne die nach ärztlicher<br />
Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung<br />
der Erkrankung zu erwarten ist oder eine Verminderung<br />
der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung<br />
der Lebensqualität.<br />
* Bei Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe 2 oder 3 in der gesetzlichen<br />
Pflegeversicherung (SGB XI) wird nach Ablauf eines<br />
Jahres seit dem Beginn der Pflegebedürftigkeit nach einer<br />
dieser Pflegestufen das Vorligen ener Dauerbehandlung<br />
unterstellt. Entsprechende Bescheinigungen stellen die<br />
Hausärzte aus, Formulare liegen dort vor.<br />
Wenn mindestens ein – auch als Familienmitglied – gesetzlich<br />
versicherter Angehöriger des Familienhaushalts schwerwiegend<br />
chronisch krank ist, reduziert sich die Zuzahlungsgrenze für alle<br />
Angehörigen des Familienhaushalts auf 1 Prozent der jährlichen<br />
Familienbruttoeinnahmen im Kalenderjahr. Die Absenkung der<br />
Grenze gilt ab dem 1. Januar des Kalenderjahres, in dem die Behandlung<br />
der chronischen Erkrankung ein Jahr andauert. Sollte<br />
der chronisch Erkrankte nicht bei der Krankenkasse versichert<br />
sein, die einen Befreiungsausweis (für ein anderes Familienmitglied)<br />
erstellen soll, benötigt diese eine Kopie des Bescheids der<br />
Krankenkasse, bei der er versichert ist.<br />
Beispiel: Der Patient befindet sich seit 11. Juni 2008 wegen einer<br />
Querschnittlähmung in Behandlung. Wenn er bis zum 10. Juni<br />
2009 wenigstens einmal im Quartal wegen dieser Krankheit in<br />
ärztlicher Behandlung war, liegt eine Dauerbehandlung vor. Die<br />
einprozentige Zuzahlungsgrenze gilt dann rückwirkend ab dem<br />
1. Januar 2009.<br />
58<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Einkommen<br />
Dazu zählen alle Einnahmen, also auch Renten, Mieterträge und<br />
Zinserträge. Nicht dazu zählen Renten nach dem BVG und Pflegegeld<br />
(Pflegeversicherung, Landespflegegeld, Hilfe zur Pflege<br />
nach SGB XII). Sind Angehörige zu berücksichtigen, werden vom<br />
Einkommen Freibeträge von 4 599 € für den Partner bzw.6 024 € je<br />
Kind abgesetzt. Diese setzen sich zusammen aus 3 864 € Freibetrag<br />
nach SGB V und dem gesetzlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung<br />
und Ausbildung von 2 160 € je Kind bei zusammen veranlagten<br />
Ehepartnern (BSG-Urteil vom 30. 6. 2009 AZ B 1 KR 17/08 R). Bei<br />
Alleinerziehenden berücksichtigt die Krankenkasse für das erste<br />
Kind den höheren Freibetrag, der sonst für den Ehegatten oder Lebenspartner<br />
gelten würde, also 4 536 € und 1 080 € als gesetzlichen<br />
Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung je Kind, insgesamt<br />
also 5 616 € für das erste und 4 944 € für jedes weitere Kind<br />
(Stand Februar <strong>2010</strong>). Dieser Freibetrag von 2 160 bzw.1 080 € kann<br />
bei der Krankenkasse, wie übrigens jede Zuzahlungserstattung,<br />
auch noch rückwirkend geltend gemacht werden. Denn Ansprüche<br />
im Sozialrecht verjähren erst nach vier Jahren, beginnend mit<br />
dem Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind. Erstattungen<br />
sind in <strong>2010</strong> also noch rückwirkend für die Jahre 2006 bis 2009<br />
möglich. Bei einer vierköpfigen Familie sind das immerhin 86,40 €<br />
(bei chronisch Kranken die Hälfte, also 43,20 €) pro Jahr. Für Alleinerziehende<br />
reduziert sich der mögliche Erstattungsbetrag auf die<br />
Hälfte.<br />
Für Familien gilt: Nach § 62 SGB V Abs. 2 werden die Zuzahlungen<br />
und die Bruttoeinnahmen gemeinsam ermittelt, d. h. sobald die<br />
Zuzahlungen aller Familienangehörigen insgesamt 1 % erreichen,<br />
kann ein Befreiungsnachweis von der Krankenkasse angefordert<br />
werden. Mit dem Befreiungsausweis, den die Krankenkasse dann<br />
zuschickt, sind keine Zuzahlungen mehr zu leisten. Das gilt auch<br />
für Ehepartner und familienversicherte Kinder. Evtl. schon geleistete<br />
Überzahlungen erstattet die Kasse, meist auf Antrag, manchmal<br />
auch unaufgefordert.<br />
Als Angehörige gelten der Ehepartner bzw. der Lebenspartner nach<br />
dem Lebenspartnerschaftsgesetz (gleichgeschlechtliche Paare)<br />
und darüber hinaus die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebenden<br />
Kinder. Kinder von getrennt lebenden oder geschiedenen
Ehepartnern werden bei dem Elternteil berücksichtigt, bei dem sie<br />
wohnen, unabhängig davon, bei wem die Familienversicherung besteht.<br />
Selbst versicherte Kinder gehören nicht dazu. Umgekehrt ist<br />
ihr Einkommen auch nicht zu berücksichtigen.<br />
Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII („Sozialhilfe“,<br />
nicht Hilfe zur Pflege!), von Arbeitslosengeld II und von<br />
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wird jeweils<br />
nur der Regelsatz des Haushaltsvorstands als Bruttoeinkommen für<br />
die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt, das heißt der jährliche<br />
Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt (2009) bei chronisch Kranken<br />
43,08 €, allgemein 86,16 €.<br />
Belege: Immer dann, wenn eine Zuzahlung zu leisten ist, gibt es<br />
eine Quittung, auf der auch der Name des Zahlers vermerkt sein<br />
muss. Das ist wichtig, weil die Krankenkasse die Belege sonst nicht<br />
anerkennt. Manche Kassen und Apotheken verschenken auch kleine<br />
Büchlein, in denen die Zahlungen quittiert werden. Damit spart<br />
man das Belege sammeln. Keine Angst, zusätzliche Belege kann<br />
man trotzdem mit dem formlosen Begleitbrief einreichen, mit dem<br />
man um die Befreiung von der Zuzahlung und die Rücküberweisung<br />
schon zu viel gezahlter Beträge bittet.<br />
Fährt man mit dem privaten PKW und es ergibt sich dabei Kilometergeld,<br />
das unter der Zuzahlungsgrenze liegt, sollte man diese<br />
Fahrten trotzdem nachweisen, weil diese Beträge bei der Ermittlung<br />
der Belastungsgrenze mit berücksichtigt werden. Das gleiche<br />
gilt für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da reichen die<br />
Fahrscheine aus.<br />
Fast alle Krankenkassen bieten ab dem zweiten Jahr der Befreiung<br />
zum Jahresanfang ihren Mitgliedern die Möglichkeit, durch Zahlung<br />
eines Betrages, der auf dem Familieneinkommen des Vorjahrs<br />
basiert, direkt den Nachweis zur Befreiung für das laufende Jahr<br />
zu bekommen, so dass keine Belege mehr gesammelt und möglicherweise<br />
überzahlte Beträge zurück überwiesen werden müssen.<br />
Die übliche Praxis ist, dass nach Jahresende dann trotzdem ein Einkommensnachweis<br />
verlangt wird. Dieser gilt dann aber nicht zur<br />
nachträglichen Verrechnung des abgelaufenen Jahres, sondern<br />
als Grundlage für eine Zahlung, die dann für das folgende Jahr die<br />
Befreiung bewirkt. Eine rückwirkende Verrechnung wäre unwirtschaftlich.<br />
Umgekehrt ist mit dieser Praxis der Nachteil verbunden,<br />
dass auch keine Rückerstattung erfolgt z. B. wenn man weniger als<br />
erwartet verdient hat oder wenn eine versicherte Person im Laufe<br />
eines Jahres verstorben ist. Die Vorteile für beide Seiten, Krankenkasse<br />
und Mitglied rechtfertigen diese Handhabung aber. Ob die<br />
Krankenkassen das BSG-Urteil (siehe oben) zum Anlass nehmen,<br />
von sich aus rückwirkend die Beträge von zu 43,20 € bzw. 21,60 € je<br />
Kind zu erstatten ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Es lohnt sich<br />
auf jeden Fall, das zu beantragen und vor allem im kommenden<br />
Jahr weniger pauschale Zuzahlungen zu akzeptieren.<br />
Wofür gelten Zuzahlungen?<br />
Verschreibungspflichtige Arzneimittel: Bis zur Belastungsgrenze<br />
keine Sonderregelungen. Nicht verschreibungspflichtige Arznei-<br />
recht recht<br />
mittel müssen voll bezahlt werden. Ausnahme: Nicht verschreibungsfähige<br />
Arzneimittel, die bei bestimmten Krankheiten als<br />
„anerkannter Therapiestandard“ gelten, können wie bisher auch<br />
mit Angabe der Diagnose auf der Verordnung weiter zu Lasten der<br />
Kassen verordnet werden. Dazu gehören u. a. auch bei neurogener<br />
Darmlähmung (wie bei Querschnittlähmung) Abführmittel, Mittel<br />
gegen Verstopfung, Desinfektionsmittel bei ISK (Katheterisieren)<br />
oder methioninhaltige Medikamente zur Vorbeugung von Nierensteinen<br />
(Harnansäuerung) und manche Vitamine. Besonderheiten:<br />
Harn- und Blutteststreifen sind stets zuzahlungsfrei. Für Trink- und<br />
Sondennahrung sowie Verbandmittel bemisst sich die Zuzahlung<br />
am Wert pro Verordnungszeile.<br />
Bei Hilfsmitteln aller Art müssen 10 % Zuzahlungen geleistet werden;<br />
mindestens 5 €, maximal 10 €, jedoch nie mehr als das Hilfsmittel<br />
selbst kostet. (z. B. Rollstühle, Bettschutzeinlagen usw.) Auch<br />
hier sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen:<br />
* Bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind (z. B. Katheter)<br />
beträgt die maximale Zuzahlung insgesamt 10 €/Monat, egal wie<br />
viel und welche Hilfsmittel dafür benötigt werden. Auch bei zwei<br />
unterschiedlichen Indikationen (z. B. Katheterisierung und Stoma<br />
wird dieser Betrag nur einmal fällig.<br />
* Reparaturen von Hilfsmitteln/Ersatzteile sind keine eigenständigen<br />
Hilfsmittel. Es ist deshalb keine Zuzahlung zu leisten.<br />
* Auch Pflegehilfsmittel nach SGB XI (bei festgestellter Pflegestufe<br />
in der Pflegeversicherung) wie Einmalhandschuhe, Unterlagen<br />
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echt recht<br />
etc. zählen nicht unter dieses Gesetz. Es ist keine Zuzahlung zu<br />
leisten.<br />
* Es gibt auch Hilfsmittel, die sowohl zum Verbrauch bestimmte<br />
Hilfsmittel als auch Pflegehilfsmittel sein können je nach Indika-<br />
tion. Beispiele: Einmal-Bettschutzeinlagen, Einmalhandschuhe.<br />
Heilmittel (KG, MTT, Ergotherapie): Es sind 10 €/Verordnung und<br />
10 %/Leistung zu zahlen. Das heißt, bei Verordnungen für 3 oder<br />
6 mal Krankengymnastik ist es teurer als vor 2004, bei der Verordnung<br />
von 20, 30 oder 50 Behandlungen - „außerhalb des Regelfalls“<br />
– ist die Zuzahlung jetzt niedriger. (Anmerkung: Die heiß<br />
diskutierte „Unterbrechung„ von 6 oder 12 Wochen ist bei Verordnungen<br />
außerhalb des Regelfalls – „V.a.d.R“„ – nicht vorgesehen.<br />
Diese werden auch nicht auf das Arztbudget angerechnet. Das<br />
sollte jeder Arzt wissen!)<br />
Fahrtkosten<br />
Nach den „Krankentransport-Richtlinien“ übernehmen die Kassen<br />
die Kosten nicht nur für Personen, die einen Schwerbehindertenausweis<br />
mit den Merkzeichen aG, Bl oder H haben oder in der<br />
Pflegeversicherung in die Pflegestufe II oder III eingestuft sind,<br />
sondern auch für Menschen, die „mit einem durch die Grunderkrankung<br />
vorgegebenen Therapieschema behandelt werden, das<br />
eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum<br />
aufweist.“. Dazu zählen z. B. (aber nicht nur) Bestrahlungen, Chemobehandlungen<br />
oder Dialyse, wenn die Behandlung mindestens<br />
einmal wöchentlich erfolgen soll (das ist neu ab 2009 – BSG-<br />
Urteil, früher mindestens zweimal pro Woche). Auch hier werden<br />
Zuzahlungen fällig und zwar 10 % pro Fahrt, mindestens 5 €, maximal<br />
10 €. Fährt man mit dem privaten PKW und es ergibt sich<br />
dabei Kilometergeld, das unter der Zuzahlungsgrenze liegt, sollte<br />
man diese Fahrten trotzdem nachweisen, weil diese Beträge bei<br />
der Ermittlung der Belastungsgrenze mit berücksichtigt werden.<br />
Das gleiche gilt für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.<br />
Krankenhausbehandlung, AHB, Kuren: Bei einer vollstationären<br />
Krankenhausbehandlung sind 10 € je Kalendertag für maximal 28<br />
Tage im Kalenderjahr zu entrichten. Das gleiche gilt für eine Anschlussheilbehandlung<br />
unter Einbeziehung vorheriger Krankenhausaufenthalte.<br />
Anders sieht es bei stationären Vorsorge- und<br />
Rehabilitationskuren aus (gilt auch für Mütter-Kind-Kuren): Bei ihnen<br />
sind zeitlich unbegrenzt pro Tag 10 € Zuzahlung fällig. Bei ambulanten<br />
Kuren fallen als Zuzahlung 10 % der Kosten für Heilmittel<br />
sowie 10 € je Verordnung an, wie auch sonst bei Heilmitteln.<br />
Zuhause: Für häusliche Krankenpflege sind 10 % der Kosten zu<br />
übernehmen, begrenzt auf 28Tage je Kalenderjahr, außerdem<br />
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zusätzlich 10 € je Verordnung. Für eine Haushaltshilfe beträgt die<br />
Zuzahlung zeitlich unbegrenzt 10 % der täglichen Gesamtkosten,<br />
mindestens 5 € und höchstens 10 € pro Kalendertag,<br />
Praxisgebühr: Auch die Praxisgebühr von 10 €/Quartal zählt zu den<br />
anrechenbaren Zuzahlungen und ist bei einer Befreiung nicht mehr<br />
zu zahlen.<br />
Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr: Sie sind von allen Zuzahlungen<br />
befreit, damit auch von den Praxisgebühren. Einzige<br />
Ausnahme: Zu den Fahrkosten muss auch bei ihnen eine Zuzahlung<br />
geleistet werden.<br />
Was man nicht anrechnen kann: Der Eigenanteil bei einer zahnärztlichen<br />
Versorgung lässt sich ebenso wenig geltend machen wie (bis<br />
auf ganz seltene Ausnahmen) die Kosten für Brillen, Kontaktlinsen<br />
und die Pflegemittel dazu.<br />
Die „wirtschaftliche Aufzahlung“…<br />
...ist der Betrag, den man aus eigenem Portemonnaie zahlen<br />
muss, wenn man nicht das Arzneimittel oder das Hilfsmittel haben<br />
möchte, das die Krankenkasse in voller Höhe übernehmen würde,<br />
weil man glaubt, dass die teurere Alternative den Zweck besser<br />
erfüllt oder (z. B. ein Rollstuhl) besser aussieht. Ob man bereit ist,<br />
dafür Geld auszugeben, muss jeder selbst entscheiden. Allerdings<br />
sollte man sich dann nicht abwimmeln lassen, wenn die Kasse die<br />
Zahlung ganz verweigert. Den anteiligen Betrag, den das von der<br />
Kasse vorgeschlagene Hilfsmittel oder Medikament gekostet hätte,<br />
muss diese auch übernehmen. Manchmal kommt es auch zu einer<br />
wirtschaftlichen Aufzahlung, weil ein Sanitätshaus oder eine Apotheke<br />
anders kalkuliert als andere Anbieter. Dann sollte man überlegen,<br />
ob dieser Lieferant so wichtig oder so viel zuverlässiger ist<br />
als andere, dass einem der Aufpreis das wert ist oder ob man zur<br />
Konkurrenz wechselt.<br />
Einen „Musterpatienten“ gibt es nicht. Ein Gesetz ohne Auslegungsprobleme<br />
noch viel weniger. Deshalb kann dieser Artikel nur wichtige<br />
Punkte (Stand Februar <strong>2010</strong>) erläutern und klarstellen. Er soll<br />
zur Information selbst betroffener Menschen (und Familien) dienen,<br />
um ihnen in Gesprächen mit ihren Krankenkassen mehr Sicherheit<br />
zu geben, wenn diese, aus welchem Grund auch immer, einen Anspruch<br />
anders beurteilen. Und das geschieht immer wieder. Denn<br />
Krankenkassen sind genauso parteiisch wie ich.<br />
Text: Herbert Müller
Patientenverfügung & Co.<br />
Wer soll wann fürs Ende sorgen?<br />
Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können jeden in eine Situation bringen,<br />
in der ein selbstverantwortliches Handeln verwehrt ist, aber Entscheidungen getroffen<br />
werden müssen. Wie sollte für solche Situationen vorgesorgt werden?<br />
J<br />
eder Volljährige hat die Möglichkeit, für einen solchen<br />
Fall der Fälle eine „Patientenverfügung“ zu schreiben,<br />
in der er detailliert aufgelistet hat, ob er – und gegebenenfalls<br />
welche – lebensverlängernden Maßnahmen<br />
wünscht. Nach dem zum 1. September 2009 in Kraft<br />
gesetzten neuen Recht haben sich die Ärzte regelmäßig<br />
an eine solche Verfügung zu halten.<br />
• Der Arzt könnte allerdings Zweifel anmelden, wenn<br />
die Niederschrift schon mehrere Jahre zurückliegt,<br />
so dass nicht mit Sicherheit angenommen werden<br />
kann, ob es sich tatsächlich noch um den aktuellen<br />
Willen der betreffenden Person handelt<br />
• Oder die in der Patientenverfügung niedergelegten<br />
Fakten sind zu unbestimmt, um sie buchstabengetreu<br />
zu befolgen<br />
• Oder seit der vor Jahren gefertigten Niederschrift ist<br />
die medizinische Entwicklung derart fortgeschritten,<br />
dass davon ausgegangen werden könnte, dass die in der<br />
Patientenverfügung vorgegebenen Anweisungen nicht<br />
geschrieben worden wären, wenn der neueste medizinische<br />
Stand schon bekannt gewesen wäre.<br />
Wird in solchen Fällen keine Einigung zwischen dem Patienten<br />
beziehungsweise seinem Betreuer und den Ärzten<br />
erzielt, so entscheidet – wie bisher – das Vormundschaftsgericht<br />
(eingerichtet beim Amtsgericht) über das<br />
weitere Vorgehen.<br />
Eine Patientenverfügung wird am besten selbst handgeschrieben.<br />
Sie kann durchaus einem Formular „nachempfunden“<br />
sein. Doch sollte die Verfügung zumindest<br />
erkennen lassen, dass sich der Verfasser intensiv mit dem<br />
Thema befasst hat, etwa so:<br />
Für den Fall, dass ich zu einer Entscheidung oder einem<br />
Gespräch nicht mehr fähig bin, verfüge ich: Im Fall...<br />
• meiner nicht mehr zu heilenden Bewusstlosigkeit,<br />
• aller Voraussicht nach schwerster Dauerschädigung<br />
meines Gehirns<br />
• des dauernden Ausfalls lebenswichtiger Funktionen<br />
meines Körpers<br />
• oder im Endstadium einer zum Tod führenden Krankheit,<br />
wenn die Behandlung nur noch dazu führen würde,<br />
das Sterben zu verlängern, insbesondere, wenn die<br />
Behandlung mit erheblichen Schmerzen oder Beeinträchtigungen<br />
verbunden wäre, will ich<br />
* keine Intensivbehandlung<br />
* die Einstellung der Ernährung, nur noch Mundpflege<br />
* nur angst- und/oder schmerzlindernde Maßnahmen,<br />
wenn nötig<br />
* keine künstliche Beatmung<br />
* keine Bluttransfusion<br />
* keine Organtransplantation<br />
* keine künstliche Niere<br />
* keinen Anschluss an eine Herz-Lungen-Maschine<br />
* keine Einweisung in ein Heim.<br />
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recht recht
echt recht<br />
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Meine Vertrauensperson(en): Name(n), Adresse(n), Telefon...<br />
Diese Verfügung wurde bei klarem Verstand und in voller<br />
Kenntnis der Rechtslage unterzeichnet.<br />
Ort, Datum, Unterschrift.<br />
Wer sich nicht zutraut, eine solche Verfügung „individuell“<br />
abzufassen, der spricht mit dem Hausarzt oder einem Notar.<br />
Auch Verbraucherberatungsstellen helfen oft weiter.<br />
Natürlich kann die Verfügung jederzeit geändert werden.<br />
Sinnvoll ist es, von der Verfügung Kopien zu ziehen und<br />
eine davon zu Hause aufzubewahren und eine weitere in<br />
der Hand- oder Brieftasche. Stattdessen genügt es auch,<br />
nur einen Hinweis mit sich zu führen, aus dem hervorgeht,<br />
dass eine Patientenverfügung geschrieben wurde und wo<br />
das Original zu finden ist – zum Beispiel bei der Bundesnotarkammer<br />
im Zentralen Vorsorgeregister (mit bereits über<br />
930 000 Eintragungen). Ärzte wie Gerichte haben Zugriff<br />
auf die Datei und machen nach Angaben der Kammer „regen<br />
Gebrauch“ davon.<br />
Was wird, wenn ich persönlich auf die Hilfe anderer angewiesen<br />
bin? Wer handelt und entscheidet für mich?<br />
Wenn zur richtigen Zeit ein Anderer für einen Sterbenskranken<br />
handeln soll, damit der in der Patientenverfügung<br />
niedergelegte Wille auch möglichst umgesetzt wird,<br />
so muss ein weiteres Schriftstück vorhanden sein. Das<br />
geschieht mit einer „Vorsorgevollmacht“. Sie wird zweckmäßig<br />
zeitlich mit der Patientenverfügung geschrieben.<br />
Damit kann ein Ausersehener ermächtigt werden, in Fragen<br />
der Heilbehandlung bis hin zur Entscheidung, wann<br />
sie beendet werden soll, für den Kranken einzutreten.<br />
Können mit der Vorsorgevollmacht auch<br />
geschäftliche Dinge geregelt werden?<br />
Das sollte nicht miteinander vermengt werden. Besser ist<br />
es, dafür – drittens - eine „Betreuungsverfügung“ aufzusetzen.<br />
Das heißt: Wer für den Ernstfall geschäftliche und<br />
persönliche Angelegenheiten keinesfalls durch einen<br />
Fremden erledigt sehen will (was der Fall sein könnte,<br />
wenn nicht rechtzeitig auch für diesen Fall vorgesorgt<br />
wurde), der kann das mit der Betreuungsverfügung regeln.<br />
Darin wird dem Amtsgericht, das gegebenenfalls für<br />
die Bestellung eines offiziellen Betreuers zuständig ist, eine<br />
vertraute Person als Betreuer vorgeschlagen, zum Beispiel<br />
der Ehepartner, eines der Kinder oder ein Freund.<br />
Beispiel: Für den Fall, dass eine gerichtliche Betreuung notwendig<br />
werden sollte, wünsche ich, dass xxx zum Betreuer<br />
bestellt wird, bei seiner Verhinderung yyy. Der Betreuer soll<br />
vor allem mein Aufenthaltsbestimmungsrecht wahrnehmen<br />
(etwa einen Mietvertrag oder die Überweisung in ein<br />
Pflegeheim betreffend) regeln, ferner meine finanziellen<br />
Angelegenheiten, und er soll auch Zugriff auf meine Post<br />
haben. Die Gerichte folgen den Vorschlägen regelmäßig.<br />
Wo erhalte ich weitere Informationen?<br />
• Das Bundesjustizministerium (BJM) informiert auf seiner<br />
Homepage über das neue Gesetz. Die auf der Internetseite<br />
des BJM nachzulesende „Formulierungshilfe Patientenverfügung“<br />
umfasst 14 Seiten und schildert detailliert, wer für<br />
welche Situation Vorsorge treffen kann – mit individuellen<br />
Textvorschlägen.<br />
• Zahlreiche andere Institutionen äußern sich ebenfalls<br />
zum Thema – anzuklicken im Internet unter „Patientenverfügung“.<br />
• Ein Beratungsteam der „Unabhängigen Patientenberatung<br />
– UPD“ steht unter der kostenlosen Rufnummer<br />
0800/117722 täglich von 10 bis 18 Uhr für Fragen zur<br />
Patientenverfügung bereit. Die 22 Beratungsstellen<br />
können auch im Internet unter<br />
www.upd-online.de erreicht werden.<br />
Text: Wolfgang Büser
Behindertengerechtes Wohnen –<br />
Berechnungsmethoden für Schadensersatzforderungen (1)<br />
Kosten für Mehrflächen<br />
bei Umzug oder Neubau<br />
Rollstuhlfahrer haben andere Bedürfnisse an das Wohnumfeld als Fußgänger – das ist klar.<br />
Fraglich ist jedoch immer, in welchem Umfang sich eine Haftpflichtversicherung nach Unfall<br />
oder Kunstfehler an den Umbaukosten zu beteiligen hat.<br />
Z<br />
unächst vorab aber ein Hinweis. Kein Unfallopfer<br />
muss ins Pflegeheim! Nach dem deutschen<br />
Schadenersatzrecht hat jeder behinderte Mensch<br />
das Recht auf behindertengerechte Unterbringung<br />
in den eigenen vier Wänden, es sei denn die Kosten<br />
überstiegen die Kosten einer alternativen Heimunterbringung<br />
derart exorbitant, dass dies völlig<br />
unvertretbar sei. Mir ist kein Fall aus dem letzten<br />
Jahrzehnt bekannt, in dem ein Gericht zu diesem Ergebnis<br />
gekommen wäre. In den meisten Fällen hat<br />
der Geschädigte sogar Anspruch darauf, in unmittelbarer<br />
Umgebung seiner bisherigen Wohnung zu<br />
bleiben, da sich dort meist auch der Lebensmittelpunkt<br />
befindet (z.B. die Kinder in die Schule gehen<br />
oder der Ehepartner in der Nähe arbeitet) und muss<br />
sich nicht in eine billigere Wohngegend verweisen<br />
lassen.<br />
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Dennoch sind bei der Wahl der behindertengerechten<br />
Wohnung oder beim Umfang des behindertengerechten<br />
Neubaus die Grundsätze des<br />
Schadenersatzrechts natürlich anzuwenden. Von<br />
besonderer Bedeutung ist hier der Grundsatz, dass<br />
der Geschädigte durch die Schadenersatzleistung<br />
nicht besser gestellt sein darf als vorher. Ersetzt wird<br />
also das notwendige und nützliche, nicht aber der<br />
Luxus.<br />
Grundsätzlich ist die Schadenersatzzahlung am Einzelfall<br />
zu bemessen, jedoch kann man was die notwendige<br />
Mehrfläche anlangt, auch als Einstieg auf<br />
Anlage zu den so genannten „Gemeinsamen Richtlinien<br />
der Verbände der Unfallversicherungsträger<br />
über Wohnungshilfe“ zurückgreifen.<br />
<br />
recht recht
echt recht<br />
64<br />
Einschlägig sind hier folgende Vorschriften:<br />
2.2.1 Behindertenbedingte Mehrfläche<br />
(Grundbedarf)<br />
Beim Wohnungsmehrbedarf ist zur Ermittlung der<br />
behindertenbedingten Mehrwohnflächen (für rollstuhlbedingte<br />
Bewegungsflächen, einschließlich<br />
Sanitätsraum) von folgenden Flächenwerten auszugehen:<br />
Richtgrößen für Wohnungen mit 1 Rollstuhlfahrer<br />
(unter Einbeziehung der DIN 18025 Teil 1)<br />
Wohnflächen in m2 üblich rollstuhl- Mehr- Freisitz/<br />
gerecht fläche Mehrfläche<br />
1 Personenhaushalt 48,50 69,00 20,50 4,50/0,50<br />
2 Personenhaushalt 62,00 80,00 18,00 4,50/0,50<br />
3 Personenhaushalt 76,00 98,00 22,00 6,00/1,00<br />
4 Personenhaushalt 95,00 111,00 16,00 8,00/1,00<br />
5 Personenhaushalt 113,50 136,00 22,50 9,00/1,00<br />
6 Personenhaushalt 124,00 144,50 20,50 11,00/1,00<br />
In 2.2.2 findet sich dann zusammengefasst folgendes:<br />
Ist eine zusätzliche Wohnfläche als Individualraum<br />
aus rehabilitativen Gründen notwendig,<br />
sind weitere 15 m2 anzusetzen. Weiterhin können<br />
Mehrflächen für einen Pkw-Stellplatz von 6 m2 (Differenz<br />
aus der behindertengerechten Abmessung<br />
von 21 m2 zur Standardabmessung von 15 m2) und<br />
als Aufzugsgrundfläche 3,2 m2 je erforderlicher Etage<br />
in Frage kommen. Wenn ein besonderer Raum<br />
als Schlafraum für eine Pflegeperson benötigt wird,<br />
sind weitere bis zu 15 m2 anzusetzen.<br />
Hat man nunmehr auf diese Weise den Mehrflächenbedarf<br />
ermittelt, so ist es relativ einfach, gegenüber<br />
einer Haftpflichtversicherung oder konsequenterweise<br />
auch gegenüber einem Gericht begründen zu<br />
können, weswegen ein Umzug in eine barrierefreie,<br />
aber auch größere Wohnung notwendig ist. Aus der<br />
Notwendigkeit resultiert dann auch logischerweise<br />
die Pflicht der Haftpflichtversicherung die Differenz<br />
zwischen alter und neuer Miete zu übernehmen.<br />
Gleiches gilt auch für den Neuerwerb. Ein guter Architekt<br />
kann stets Auskunft darüber geben, wie teuer<br />
1 m2 bebaute Fläche in der Gegend, in der gebaut<br />
werden soll, kostet.<br />
PARAPLEGIKER 1/10<br />
Alternativ bietet sich für Eigentümer, deren Wohnung/Haus<br />
nicht umbaubar ist und die deswegen<br />
umziehen müssen, auch ganz einfach folgende Berechnung<br />
an:<br />
Kosten behindertengerechter Neubau ./. Wert der<br />
alten Wohnung/des alten Hauses = Mehrbedarf.<br />
Will ein Mieter nunmehr (beispielsweise unter zu<br />
Hilfenahme des Schmerzensgeldes) Wohneigentum<br />
begründen, kann man auch folgendes Berechnungsmodell<br />
wählen:<br />
Kosten behindertengerechter Neubau ./. Kapitalwert<br />
der bisherigen Miete auf Lebenszeit anhand<br />
einschlägiger Kapitalisierungstabellen (zu finden<br />
u.a. in Gerhard Küppersbusch, Ersatzansprüche bei<br />
Personenschaden, 10. Auflage 2009).<br />
Besonders in Fällen, in denen aus einer Mietwohnung<br />
in ein eigenes Haus umgezogen wird, wird<br />
stets erbittert um die Notwendigkeit von Gartenflächen<br />
(welche ja in der Wohnung nicht vorhanden<br />
waren) gestritten. Insoweit kann damit argumentiert<br />
werden, dass es für einen Rollstuhlfahrer wesentlich<br />
aufwändiger ist, einen Ausflug ins Grüne zu<br />
machen als für einen Fußgänger. Der Rollstuhlfahrer<br />
ist also umso mehr auf ein schnell und ohne große<br />
Verladeaktionen zu erreichendes Stück Natur, also<br />
den eigenen Garten angewiesen.<br />
Die Fortsetzung dieses Artikels in der nächsten<br />
PARAplegiker-Ausgabe wird sich mit den Kosten<br />
von Umbauten und deren Geltendmachung beschäftigen.<br />
Anmerkung zum Autor: Der Rechtanwalt und Fachanwalt<br />
für Verkehrsrecht Oliver Negele, Mitarbeiter<br />
der AG-Recht der FGQ, bearbeitet derzeit ca. 30 Fälle<br />
aus dem Bereich Großpersonenschaden im Jahr.<br />
Kontakt:<br />
RA Oliver Negele<br />
Bgm.-Fischer-Str. 12<br />
86150 Augsburg<br />
tel 08 21-32 79 88 10<br />
eMail: kontakt@arge-recht.de
Arbeitsgemeinschaften (AG)<br />
Ambulante Dienste<br />
Milan Kadlec<br />
Bornberg 94<br />
42109 Wuppertal<br />
tel 02 02-45-02 71, Fax: -39 42<br />
eMail: info@isb-ggmbh.de<br />
Bauen & Umwelt<br />
Dipl. Ing. Dirk Michalski<br />
Im Hohnsiefen 1<br />
53819 Neunkirchen-Seelscheid<br />
tel 0 22 47-60 70<br />
eMail: DirkMichalski@t-online.de<br />
Internet: www.DirkMichalski.de<br />
Frank Opper, Architekt<br />
Auf der Wiese 20<br />
41564 Kaarst<br />
tel 0 21 31-51 17 09<br />
eMail: frank@opper-architekten.de<br />
FGQ-Rechtsbeistand im Sozialrecht<br />
Herbert Müller<br />
Freiherr-vom-Stein-Straße 47<br />
56566 Neuwied-Engers<br />
tel 0 26 22-88 96-32; Fax -36<br />
eMail: h.mueller@engers.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Peter Mand<br />
Karlstraße 6<br />
47877 Willich<br />
tel 0 21 51-62 17 000<br />
eMail: peter.mand@t-online.de<br />
Recht / Schadensersatzrecht<br />
Gottfried Weller<br />
Oliver Negele<br />
Dr. Loeffelladstr. 127<br />
86609 Donauwörth<br />
tel 09 06-83 34; Fax: 99 99 715<br />
eMail: gottfriedweller@arcor.de<br />
Schmerz bei Querschnittlähmung<br />
Neue Ansprechpartner gesucht!<br />
Anfragen bitte an<br />
eMail: FGQ-Moelsheim@t-online.de<br />
Schule & Studium<br />
Karen Fischer<br />
Auf der Kuhweide 1<br />
44269 Dortmund<br />
tel 02 31-75 97 55<br />
Urlaub<br />
Johann Kreiter<br />
Laubeweg 1<br />
70565 Stuttgart<br />
tel 07 11 - 7 15 64 90<br />
eMail: jnkreiter@aol.com<br />
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(mindestens 30 Euro)<br />
Querschnittgelähmte 15 Euro, je Familienmitglied 15 Euro<br />
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Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., Silcherstraße 15, 67591 Mölsheim schriftlich<br />
widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.<br />
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Johann Kreiter, Raimund Artinger, Barbara Früchtel, Herbert Müller,<br />
Dr. med. Susanne Föllinger, Arndt Krödel, Alexander Epp, Harry Baus,<br />
Wolfgang Büser, RA Oliver Negele.<br />
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