27.06.2013 Aufrufe

Paraplegiker 1/2010

Paraplegiker 1/2010

Paraplegiker 1/2010

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Humanis Verlag für Gesundheit GmbH • Silcherstrasse 15 • D-67591 Mölsheim • Deutsche Post AG • Entgelt bezahlt • ZKZ D 05475 • ISSN 0723-5070 1/<strong>2010</strong><br />

28. Jahrgang<br />

Vereint<br />

mit


Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

diese Ausgabe ist ein Zeichen der<br />

Öffnung. Der „neue“ PARAplegiker<br />

trägt seit Anfang letzten Jahres den<br />

Untertitel „Zeitschrift für Menschen<br />

mit Körperbehinderung“. Natürlich<br />

haben wir eine Geschichte als „Zentralorgan“<br />

der Fördergemeinschaft<br />

der Querschnittgelähmten, immerhin<br />

einer der ältesten und größten<br />

Selbsthilfevereine Deutschlands.<br />

Aber gerade deswegen glauben wir, dass behinderte<br />

Menschen in diesen immer kälter und brutaler<br />

werdenden Zeiten (und ich gehöre zu denen, die<br />

eine weitere Verschlechterung erwarten) unabhängig<br />

von der Art ihres Handikaps zusammen halten<br />

sollten.<br />

Der wichtigste Grund dafür ist, dass uns mehr trennt<br />

als eint. Einmal ist es wohl kaum bedeutend welche<br />

Ursache unsere jeweilige körperliche Einschränkung<br />

hat. (Ich persönlich sehe auch viele Gemeinsamkeiten<br />

mit geistig Behinderten, weiß aber, dass<br />

viele da Berührungsängste haben.) Zum anderen<br />

treffen uns alle zusammen feindselige Maßnahmen<br />

der gegenwärtigen Politik (das Vorwort Sozial- will<br />

mir dabei nicht so recht von der Hand gehen). Wir<br />

sollten uns gemeinsam wehren: Bundestagsabgeordnete<br />

sind ihren Wählern verpflichtet, wenn die<br />

Druck bekommen, reagieren sie. Noch leben wir<br />

in einem Land, in dem Meinungsäußerung nicht<br />

bestraft wird. Wir sollten diese Freiheit nutzen, im<br />

Freundeskreis, bei öffentlichen Anlässen mit Politikern,<br />

in Leserbriefen.<br />

Politisch ist es auch, wenn man Menschen porträtiert,<br />

die mit ihrer Behinderung (nicht trotz) ein aktives<br />

Leben führen. Das kann sehr unterschiedlich<br />

aussehen: Ein junger Mensch mit fortschreitender<br />

Behinderung fühlt sich in einem landwirtschaftlichen<br />

Betrieb (mit weltanschaulicher Grundlage)<br />

Wetterwechsel<br />

ABOTELEFON (0 62 43) 900 704<br />

wohl und angenommen. Eine Mutter<br />

lebt ihr Leben mit ihren Kindern, lässt<br />

sich von ihren Amputationen (und<br />

den Reaktionen darauf) nicht unterkriegen.<br />

Mut macht auch der Bericht<br />

aus einer Klinik, die schon vielen<br />

querschnittgelähmten Schwangeren<br />

geholfen hat. Kein Zauberwerk, nur<br />

leider wird vielerorts immer noch so<br />

getan als wären Frauen im Rollstuhl,<br />

die ein Kind erwarten, irgendwie<br />

exotisch. Tja, mit Standard lässt sich<br />

einfacher Geld verdienen und hinter jedem Arzt<br />

steht längs ein Controller…<br />

Unsere Rechtstipps am Ende des Heftes nehmen<br />

diesmal einen besonders großen Raum ein. Wir wissen,<br />

dass sie gern gelesen werden und unser Recht<br />

werden wir gegen ein immer hartleibigeres Sozialund<br />

Gesundheitssystem künftig wohl zunehmend<br />

erstreiten müssen.<br />

Doch das Leben ist nicht nur finster, ein bisschen<br />

Blödsinn muss auch sein – auch den finden Sie in<br />

diesem Heft. Genauso wie die Sonnenstrahlen,<br />

die aus fernen Ländern bis zu uns reichen und<br />

die Sehnsucht nach Urlaub wecken – der Sommer<br />

kommt bestimmt. Nicht vergessen: Es gibt viele<br />

Gründe sich aufzuregen. Das sollten wir auch tun<br />

und nicht nur im stillen Kämmerlein. Gegenwind<br />

tut not. Aber frischer Wind kann auch beleben, also<br />

raus aus dem Haus, die Kälte hat bald verloren!<br />

Bleiben Sie wach, setzen Sie sich mit uns über die<br />

eigene Betroffenheit hinaus für die Rechte und Bedürfnisse<br />

behinderter Menschen ein. Und – bleiben<br />

Sie uns gewogen, nur zusammen sind wir stark.<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Ihr<br />

editorial<br />

PARAPLEGIKER 1/10 3


inhalt<br />

4<br />

editorial<br />

3 Wetterwechsel<br />

6<br />

8<br />

10<br />

50<br />

14<br />

20<br />

24<br />

26<br />

43<br />

44<br />

45<br />

46<br />

28<br />

forum<br />

glosse<br />

Gelungene Retourkutsche<br />

bericht<br />

Arbeit auf dem Gutshof:<br />

Umwelt, Handwerk und Kultur<br />

Wissenschaft auf neuen Wegen:<br />

„Reisen und Ergotherapie“<br />

menschen<br />

Leben mit Amputationen:<br />

Die Mutmacherin<br />

forschung<br />

Zukunftshoffnung:<br />

Mit der Kraft der Gedanken bewegen<br />

technik<br />

BMW Werksbesichtigung:<br />

Freude am Schauen<br />

markt<br />

Bauen-wohnen-renovieren:<br />

Hand drauf – auf den Treppen-Handlauf<br />

Neue DVD:<br />

Selbst katheterisieren<br />

Mobiles Stehgerät<br />

Was ist neu beim<br />

THERA-Bewegungstraining?<br />

Mobiler Notruf mit Service und Telecare<br />

Verlosung bei Paravan<br />

Ausschreibung:<br />

1. Handbike-Fahrerlager im<br />

Elbsandsteingebirge (Bad Schandau)<br />

kultur<br />

Karikaturen von Barbara Früchtel<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Seite 36<br />

Seite 10<br />

Seite 20<br />

Seite 24


Seite 48<br />

Seite 54<br />

Seite 52<br />

Seite 42<br />

29<br />

30<br />

32<br />

36<br />

40<br />

42<br />

48<br />

52<br />

54<br />

56<br />

58<br />

61<br />

65<br />

66<br />

q – querschnitt spezial<br />

Das silberne Spar-Schwein:<br />

Handeln wie im Basar<br />

Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke<br />

Das Wunder des Lebens<br />

Querschnittgelähmte in Europa (II):<br />

Österreich<br />

„Es bleibt noch immer viel zu tun“<br />

Medizin & Forschung:<br />

Spastik bessern durch rücken-<br />

marksnahe Behandlung<br />

essay<br />

Wohlstand und Propaganda<br />

sport sport<br />

Rollstuhl-Rugby in Halle/Saale<br />

satire satire<br />

Anzügliche Missverständnisse:<br />

Unschuldiges Opfer ?<br />

unterwegs<br />

Andreas Pröve über Indien:<br />

Fährtenleser mit Handbike<br />

Fünf Wochen in Kanada (2):<br />

Alberta<br />

kleinanzeigen<br />

recht<br />

Zuzahlungen in der<br />

Gesetzlichen Krankenversicherung:<br />

Theorie und Praxis<br />

Patientenverfügung & Co.<br />

Wer soll wann fürs Ende sorgen?<br />

Behindertengerechtes Wohnen –<br />

Berechnungsmethoden für<br />

Schadensersatzforderungen Teil (1)<br />

Kosten für Mehrflächen bei Umzug<br />

oder Neubau<br />

abo<br />

impressum<br />

Titelfoto: Handicap Club 99 Sachsen-Anhalt e.V.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

inhalt inhalt<br />

5


forum<br />

Wolfgang Zipperer,<br />

Althengstett<br />

Unflexible Autoumbauer<br />

Den Austausch mit Andreas Zawatzky im aktuellen <strong>Paraplegiker</strong><br />

(4/09) kann ich ergänzen. 2008 nahm ich Kontakt zu einigen Umbauern<br />

im süddeutschen Raum auf, um folgendes geklärt zu bekommen:<br />

Tetraplegiker mit Rückbildungstendenzen sucht nächstes Kfz. (Hersteller<br />

und genaue Typanangaben lagen durch mich vor)<br />

- wo keine Sitze oder Rücksitzbank „verändert oder gar entfallen“<br />

müssten,<br />

- als Selbstfahrer Faltrollstuhl und Rollstuhlzugerät eigenständig<br />

verladen und dann alleine wegfahren kann.<br />

Die Angebote beinhalteten fast alle ein Rollstuhlverladesystem, das<br />

im Angebotstext (ohne besondere weitere Erörterung) max. Roll-<br />

Anzeige<br />

Planungsbüro Peters<br />

Planen, Bauen und Wohnen ganz ohne Barrieren<br />

Wir stehen Ihnen zur Seite, wenn Sie Ihren Wohnraum<br />

barrierefrei gestalten möchten oder einen Neubau planen.<br />

Schwellenlose Bäder, rollstuhlgerechte Eingänge und<br />

behindertengerechte Aufzüge - wir erarbeiten speziell für Ihr<br />

Handicap die richtigen Lösungen.<br />

Wir besichtigen Ihre Wohnung und entwickeln in Abstimmung<br />

mit Ihnen ein individuelles Wohnkonzept, das Ihre<br />

Selbständigkeit in den eigenen vier Wänden dauerhaft<br />

verbessert. Wir planen Ihren barrierefreien Lebensraum<br />

und begleiten Sie von der ersten Idee bis zum Einzug in Ihr<br />

neues Heim.<br />

Gemeinsam wird es uns gelingen, Ihre Wohn- und Lebens-<br />

situation deutlich zu verbessern und Ihr Lebensumfeld<br />

barrierefrei zu gestalten. Vertrauen Sie unserer langjährigen<br />

Erfahrung!<br />

Wir stehen an Ihrer Seite!<br />

Planungsbüro Peters<br />

Zum Rohland 8 | 59872 Meschede<br />

Fon +49 (0) 291 908 749 - 0 | Fax +49 (0) 291 908 749 - 29<br />

kontakt@planungsbueropeters.com | www.planungsbueropeters.com<br />

stuhlmaße anmerkte – ohne dass zuvor mein Rollstuhl ausgemessen<br />

wurde.<br />

Meine Nachfrage wie das bei meiner Körpergröße bzw. Rollstuhlmaße<br />

gehen solle, bekam ich die Antwort: Dann muss man wohl<br />

den Rollstuhl „abändern“ - auf meine Nachfrage „und meine Beine“<br />

blieb dann meist ohne „Lösungsansatz“. Offensichtlich machte sich<br />

auch kaum ein Umbauer die Mühe, das gewünschte Kfz vor seiner<br />

Angebotsabgabe in Augenschein zu nehmen.<br />

Einer der kleineren und offensichtlich an individuellen Lösungen<br />

interessierter Umbauer hatte eine einfache und zudem kostengünstigere<br />

Lösung zu bieten, die ich zwischenzeitlich nutze.<br />

Bettina Kretschmer,<br />

Waiblingen<br />

Der Traum vom<br />

Springen<br />

Von einem Fallschirmsprung habe ich schon immer geträumt. Doch<br />

als Mutter eines kleinen Kindes wollte ich kein Risiko eingehen. Dann<br />

hatte ich 1994 einen Unfall – inkomplette Querschnittslähmung C5/<br />

C6. Ganz los gelassen hat mich der Gedanke ans Fallschirmspringen<br />

nie. Nur erschien es mir utopisch, diesen Traum als Rollstuhlfahrerin<br />

umzusetzen, und so hatte ich das ganze schon als nicht realisierbar<br />

abgehakt.<br />

Sylt-Urlaub, 19. August 2009 – 9:30 Uhr. Mein Mann ist beim Joggen.<br />

In einer Zeitschrift lese ich die Anzeige „Fallschirm-Tandemspringen<br />

auf Sylt“. Eine Handy-Nummer steht dabei. Wahrscheinlich ist es ja<br />

eh nicht machbar – also rufe ich ganz cool an. Ich schildere meinen<br />

körperlichen Zustand. Die Dame am Handy sagt, sie hätten einen<br />

Tandemmaster, der schon mit Rollifahrern Sprünge gemacht hat. Sie<br />

wird mit ihm sprechen und mich zurückrufen.<br />

Mein Mann kommt total verschwitzt vom Joggen. Ich erzähle ihm,<br />

was ich angeleiert habe. Das Handy klingelt. Wir sollen gleich zum<br />

Flughafen kommen. Der Tandemmaster möchte mich kennenlernen.<br />

Mein Mann muss noch duschen. Wir können in einer halben<br />

Stunde da sein.<br />

Ca. 11:30 Uhr sind wir am Flughafen. Die ganze Crew ist uns auf Anhieb<br />

sympathisch. Mein Tandemmaster, Frank Täsler, 1 x Europameister,<br />

6 x Deutscher Meister, hat schon fast 8 000 Sprünge absolviert.<br />

Unser ehemaliger kroatischer Straßenhund Cara und der dreibeinige,<br />

aus Spanien gerettete Hund der Fallschirmcrew verstehen sich<br />

auch bestens. Gleiche Interessen verbinden. Bei den einen ist es der<br />

Imbisswagen, bei den anderen das Fallschirmspringen.


Ich habe ein bisschen Bedenken, wie man die Streckspastik meiner<br />

Beine bei der Landung handhaben kann. Aber ansonsten bin ich<br />

zu allem bereit. Meine Tochter ist 25 Jahre alt, mein Mann weiß, wie<br />

Spül- und Waschmaschine funktionieren und dass Cara 1x täglich<br />

die Augentropfen braucht. Das Wetter ist perfekt. Wir können heute<br />

noch springen, wenn ich will. „Okay, das machen wir gleich“, sage<br />

ich. „Aber so schnell dann doch nicht“, meint Frank. Wir sollen heute<br />

nachmittag wieder kommen. Er wird sich etwas bezüglich meiner<br />

Beine einfallen lassen.<br />

Wir wohnen zehn Autominuten entfernt. Wir gehen zum Essen, dann<br />

Mittagsschlaf im Appartement. Ich schlafe natürlich nicht, sondern<br />

lauere bis die Uhr auf 3 steht. Ich wecke meinen Mann, ich bin überhaupt<br />

nicht aufgeregt. Und wie viel Gutes könnte man im Tierschutz<br />

mit 200 EUR tun. Außerdem haben wir gar nicht so viel Bargeld da!<br />

„Kein Problem“, sagt mein Mann. Auf dem Weg zum Flughafen fahren<br />

wir kurz bei der Bank vorbei.<br />

Um 15:30 Uhr sind wir wieder am Flughafen. Cara fühlt sich hier<br />

schon heimisch. Gemeinsam gehen wir zum Hangar, wo ich mit<br />

Overall, Turnschuhen, Schutzbrille und Lederkappe ausgerüstet<br />

werde. Frank tüftelt mit einem Kollegen eine Seilkonstruktion aus,<br />

mit der er bei der Landung meine Beine anwinkeln kann. Alles geschieht<br />

ganz ruhig und stressfrei. Ich fühle mich absolut sicher und<br />

wohl bei diesen Leuten, die ich erst seit ein paar Stunden kenne.<br />

Im normalen Alltag überschlägt sich ja das gewöhnliche Fußvolk<br />

manchmal schon bei den Versuchen, einen Rollifahrer möglichst<br />

hilfreich zu behindern.<br />

In dem sonnenbeschienenen Blechhangar, in den Overall gepackt,<br />

ist mir knalleheiß und ich bin froh als wir ins Freie zum Flieger, einer<br />

Dornier 28, gehen. Wir sind ein Tandemspringer-Team, neun<br />

Einzelspringer und ein Helfer. Als erstes werde ich im Langsitz auf<br />

den Blechboden der Maschine gesetzt. Frank setzt sich hinter mich<br />

und klickt unsere Gurtsysteme zusammen. Die neun Einzelspringer<br />

Anzeige<br />

Erfolgreich Therapieren!<br />

Positive Auswirkungen durch die Anwendung des Vitaline Stehgerätes.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Telefon 0234/4175848 • www.vitaline.de<br />

<br />

forum<br />

klettern rein. Zwölf Leute auf engstem Raum. Dann hoppelt die Maschine<br />

los. Das alles ist für mich schon Abenteuer pur.<br />

Auf 2 000 m Höhe wird die Schiebetür geöffnet und die Einzelspringer<br />

lassen sich einer nach dem andern aus der Maschine fallen. Keiner<br />

zögert. „Wie die Lemminge“, denke ich. Dann Türe zu. Während<br />

des gesamten Fluges frage ich Frank wohl 40 x, ob ich die Brille jetzt<br />

aufsetzen soll. Als Tetraplegikerin macht mir das schon Probleme. Er<br />

erklärt mir 40 x, dass wir das erst kurz vor dem Ansprung machen,<br />

weil die Brille sonst von innen beschlägt. Er sagt mir auch, dass wir<br />

nicht springen müssen, wenn ich nicht will. Aber diesen Gedanken<br />

habe ich nie wirklich erwogen. An diesem Tag passt einfach alles.<br />

Dann, auf 4 000m Höhe, wird die Tür aufgemacht und wir lassen uns<br />

in die Tiefe fallen. Mir ist ganz anders. „Hoffentlich geht alles gut“,<br />

denke ich. Nach 60 Sekunden freiem Fall öffnet Frank den Fallschirm.<br />

Jetzt bin ich total beruhigt. Es ist wunderschön. Sylt von oben – blauer<br />

Himmel – blaues Meer – absolute Stille. Wunderbar.<br />

Frank erklärt mir dies und das, aber ich bin nur mit Staunen beschäftigt.<br />

Wir kommen der Erde näher. Auf der Wiese neben dem<br />

Flughafen ist eine große orangefarbene Plane ausgelegt, die Frank<br />

ansteuert. An meine Beine denke ich überhaupt nicht. Aber Frank<br />

hat alles im Griff. Von mehreren Helfern werde ich bei der Landung<br />

sanft aufgefangen. Vom Start bis zur Landung hat das ganze ca. 20<br />

Minuten gedauert.<br />

Mein Mann und Cara stehen mit dem Rollstuhl bereit. Wir gehen zu<br />

unserem Auto und fahren zum Hangar zurück. Ich werde um den<br />

Overall und die übrige Ausrüstung erleichtert. Das war‘s. Ein Riesenerlebnis.<br />

Nicht nur für mich. Mein Mann und ich, wir zwei sind irgendwie<br />

ausgepowert. Ich verspreche, dass unsere nächsten beiden<br />

Urlaubstage ganz ruhig verlaufen werden.<br />

Infos zum Tandemsprung für Querschnittsgelähmte unter:<br />

www.skydive-adventure.de • www.fallschirmspringen-sylt.de


glosse<br />

8<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Gelungene Retourkutsche<br />

Wird ein Rolli(-Fahrer) Vater, so schwingt neben überschwänglichem Vaterstolz<br />

eine Menge Zweifel mit. Kann ich ein guter Vater werden, trotz objektiv eingeschränkter<br />

Beweglichkeit? Muss mein Kind leiden, weil der Papa kein Fußball<br />

spielen kann? Grenzt es an Kinderarbeit, wenn der Kleine den Rollstuhl aus dem<br />

Kofferraum holen muss? Was bleibt hängen, wenn der Papa mal nicht so ein<br />

starker Papa ist wie die anderen Papas? Da versucht man alles richtig zu machen<br />

und fragt sich ständig ob das gelingt.<br />

Mein Sohn war gerade drei und wir besuchten einen<br />

Freund in einer anderen Stadt. Unterwegs bekamen<br />

wir ordentlich Hunger auf Pommes. Die nächste<br />

Pommesbude war zwar schnell gefunden, befand<br />

sich aber direkt an einer belebten Straße, was das<br />

Aussteigen erschwerte. Die zwei Stufen vor der Tür<br />

machten die Sache nicht einfacher . „Das kannst du<br />

doch auch alleine, oder?“ Bei dieser Suggestivfrage<br />

konnte mein Kleiner natürlich nur mit dem Kopf nicken<br />

und verschwand Sekunden später in der Pommesschmiede.<br />

Der Papa im Auto direkt davor, aber<br />

leider ohne jegliche Chance das Geschehen zu beobachten.<br />

Zwei dicke Vorhänge versperrten komplett<br />

den Blick hinein.<br />

Die ersten Minuten wartete ich geduldig. Wenn ein<br />

Tetra was lernen muss, dann ist das Warten! Ich kann<br />

das eigentlich sehr gut! Mit der Zeit irritierte mich<br />

allerdings die Ohnmacht meiner Situation. Würde<br />

mein Sohn überhaupt bedient? Würde er gut behandelt?<br />

Würde er wirklich nur zwei Pommes mit Mayo<br />

bestellen? Auf die Frage, „Darf es sonst noch etwas<br />

sein?“, da würde ihm schon noch einiges einfallen...<br />

Daumen hoch<br />

Warum dauerte das nur so lange? Fünf Minuten später,<br />

die Sorgen wuchsen, überlegte ich, ob der Laden<br />

einen Hinterausgang haben könnte? Man liest so<br />

viel von Kindesentführung. Was würde ich der Polizei<br />

erzählen können? „Ich habe ihn genau da rein<br />

geschickt, mit einem 10-Euro-Schein“ – einen Dreijährigen?<br />

Würden sie mir das Sorgerecht entziehen?<br />

Wie heiß der Laden überhaupt? Ist es ein Türke oder<br />

ein Grieche? Würde ich ihn in Istanbul oder Athen<br />

suchen müssen? Weitere fünf Minuten später war ich<br />

mir sicher, dass etwas passiert war. Ich überlegte gerade<br />

wie ich es meiner Frau sagen würde, da teilten


sich die beiden schweren Vorhänge der Pommesbudentür.<br />

Hervor kam zuerst sein kleiner Kopf, dann der<br />

Oberkörper und dann reckte er mir seine kleine Faust<br />

entgegen. Den Daumen hoch signalisierte er mir<br />

strahlend, dass da drin alles nach Plan laufe.<br />

Ein halbes Jahr später fand ich es an der Zeit mal auszutesten,<br />

wie viel Steigung wir beide wohl zusammen<br />

schaffen könnten. Unser Haus ziert eine recht<br />

steile Garagenauffahrt und ich hielt den Sohnemann<br />

für ausreichend kräftig, mich mit meiner Unterstützung<br />

da hoch zu schieben. War er aber nicht. Etwa in<br />

der Mitte verließen ihn die Kräfte, und vor allem der<br />

Mut! Wieder rückwärts runter hätte echt gefährlich<br />

werden können. Wir standen in der Mitte der Auffahrt<br />

und ich überlegte fieberhaft was zu tun sei. Vor<br />

allem merkte ich aber, dass es an der Zeit war dem<br />

Kleinen die Verantwortung für meine prekäre Situation<br />

abzunehmen. Die spürte er nämlich allzu deutlich<br />

und fing an zu weinen.<br />

Ich lehnte mich vorne rüber bis der Oberkörper auf<br />

den Knien lag, arretierte die Bremsen und nahm so<br />

eine stabile Position ein, in der ich nicht umfallen<br />

oder abrutschen konnte. Dann sagte ich so ruhig wie<br />

möglich: ” So, jetzt geh mal gucken wo die Mama ist<br />

und schau mal, ob sie gerade etwas Zeit hat“.<br />

Papa brennt<br />

Als mein Kleiner schon fast mein Großer war - er muss<br />

acht Jahre alt gewesen sein - wollten wir unbedingt<br />

einen kleinen Heißluftballon bauen. Heute bekommt<br />

man die für fünf Euro im Baumarkt, aber damals noch<br />

nicht. Und wir wollten selber bauen, Papa und Sohn.<br />

Wir bogen Draht zu einem Gerüst um eine riesige<br />

C&A Plastiktüte. Als Befeuerung diente ein Teelicht,<br />

das sich aber schnell als zu schwach erwies. Der Ballon<br />

wollte und wollte nicht abheben. Gut, dass man<br />

Weihnachten zum Fondue-Essen immer zu viel von<br />

dieser Brennpaste kauft. Die kann man das ganze<br />

Jahr über zu nichts gebrauchen, außer für einen<br />

Heißluftballon.<br />

Diese Flamme sah schon vielversprechender aus.<br />

Der Ballon füllte sich langsam und wurde praller. Da<br />

erfasste ihn plötzlich ein Windstoß. Er taumelte vom<br />

Gartentisch und stürzte um. Der Becher mit Brennpaste<br />

kippte über Papas Knie und Fuß. Beides brannte<br />

lichterloh. Ich versuchte möglichst kontrolliert zu<br />

wirken, um meinen Sohn nicht in Panik zu versetzen,<br />

schließlich sollte ihm unser kleines Bastelerlebnis in<br />

guter Erinnerung bleiben. Aber meine Löschversuche<br />

waren nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Mein Sohnemann<br />

lief eilig ins Haus und rief: „Mama, Mama, der<br />

Papa brennt!“<br />

Der Brand war schnell gelöscht. Bis auf ein Loch in<br />

der Jeans und die Erkenntnis, dass diese Paste nur<br />

oberflächlich abbrennt und es viel schlimmer aussah<br />

als es war, blieb bei mir nichts hängen. Aber was<br />

blieb bei ihm hängen?<br />

Letzten Sonntag lag die komplette Familie zusammen<br />

im Bett. In der Regel wird es mir immer als erstem<br />

zu eng und ich versuchte aufzustehen. Mein<br />

Sohn hinderte mich daran und zum ersten Mal hatte<br />

ich das Gefühl unser Kräfteverhältnis kippt zu seinen<br />

Gunsten. Er hatte dieses Gefühl wohl auch, denn er<br />

sah mich herausfordernd an. „Da müssen schon Kuchen<br />

kommen und keine Krümel“, versuchte ich ihn<br />

wenigstens verbal in die Schranken zu weisen. Da<br />

entgegnet dieser Rotzbengel: „Papa, Krümel fängt<br />

mit Kr an, Kr wie Krüppel.“<br />

Wir lachten alle herzhaft. Natürlich war das eine sehr<br />

gelungene Retourkutsche. Aber in mein Lachen<br />

mischte sich Erleichterung. Erleichterung darüber,<br />

wohl doch einiges richtig gemacht zu haben.<br />

Text. Ralf Kirchhoff<br />

Illustration: Kasia<br />

Anzeige<br />

glosse


ericht<br />

10<br />

Arbeit auf dem Gutshof:<br />

Umwelt,<br />

Handwerk und<br />

Kultur<br />

Das Füttern der Kälber<br />

ist Claas‘ Lieblingsbeschäftigung.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

D<br />

Für Menschen mit Behinderung muss der Arbeitsalltag nicht monoton<br />

sein. Auf dem Gutshof Hauteroda in Thüringen wird ihnen Gelegenheit<br />

geboten, in Schnupperpraktika ihre Ressourcen zu entdecken und weiterzuentwickeln<br />

und schließlich einen Arbeitsplatz zu finden,<br />

der ihren Ambitionen gerecht wird.<br />

ie Kälberbox ausmisten? Für Claas Lechtenfeld<br />

kein Problem. „Manche Leute<br />

rümpfen sich die Nase, wenn ich ihnen etwas<br />

über meinen Alltag erzähle. Aber Kälbermist<br />

ist doch etwas ganz Natürliches“, so der 34<br />

jährige. Claas begann erst im vorigen Jahr,<br />

in der Abteilung Kuhstall und Ackerbau der<br />

landwirtschaftlichen Werkstatt der Markus-<br />

Gemeinschaft e. V. – Camphill Initiative für<br />

Mensch und Umwelt, Werkstatt für Menschen<br />

mit Behinderungen – zu arbeiten. Besonders<br />

gern füttert Claas die Kälber: „Beim Melken<br />

werden jeweils zwei Kannen mit Milch abgefüllt,<br />

die ich mit dem Tauchsieder erwärmen<br />

muss“, berichtet er. Sobald die Milch handwarm<br />

ist, füllt der junge Mann sie in Eimer,<br />

an deren Boden sich eine zitzenähnliche<br />

Die Kälberbox ausmisten – na und?<br />

Saugvorrichtung befindet. Ältere Kälber werden<br />

durch die Zugabe von Schrot und Heu<br />

allmählich an feste Nahrung gewöhnt.<br />

Claas lebt bereits seit elf Jahren auf dem<br />

Gutshof Hauteroda im thüringischen Kyffhäuserkreis.<br />

Geboren in Frankfurt am Main, zog<br />

er mit seinen Eltern nach dem Hauptschulabschluss<br />

nach Rheinland-Pfalz. Eine Ausbildung<br />

zum Baumschulgärtner brach er ab,<br />

weil das Betriebsklima nicht stimmte. An Muskelschwund<br />

erkrankt, suchte Claas nun Arbeit<br />

in einer Einrichtung für Menschen mit Han-


dikap. „Ich habe anthroposophische Einrichtungen<br />

in ganz Deutschland angeschrieben.<br />

Aber es kamen nur Absagen“, berichtet er.<br />

Nur in der Markusgemeinschaft e. V. war gerade<br />

ein Platz frei. Nach einem zweiwöchigen<br />

Probeaufenthalt in dem 600-Seelen-Dorf zog<br />

Claas mit Sack und Pack nach Hauteroda und<br />

begann in der Tischlerei zu arbeiten. „Unter<br />

Anleitung des Gruppenleiters habe ich gelernt,<br />

mit Werkzeugen und Maschinen umzugehen<br />

und Reparaturaufträge selbstständig<br />

zu erledigen“, so der junge Mann. Gerade die<br />

zuweilen schwere körperliche Arbeit beeinflusste<br />

die Muskelerkrankung positiv.<br />

Weil er sehr vielseitig interessiert und handwerklich<br />

geschickt ist, wechselte der junge<br />

Mann nach sieben Jahren das Metier: „Nun<br />

fertigte ich in der Holzwerkstatt Spielzeug<br />

und Dekorationsobjekte.“ Nach drei Jahren<br />

wurde es wieder Zeit, „auf Wanderschaft zu<br />

gehen“: „Zehn Monate arbeitete ich in der Abteilung<br />

für Grünpflege. Unter anderem schnitt<br />

ich Gehölze, mähte Rasen und erntete Obst“,<br />

Anzeige<br />

Uralte<br />

Eichen im<br />

Dorfzentrum.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

so Claas. Damit noch nicht genug, arbeitete<br />

er im Rahmen von Praktika auch eine Weile in<br />

der Hausmeisterei und auf einer Baustelle als<br />

Maurer.<br />

Zu Hause am Kamin<br />

„In unserer Werkstatt gibt es 13 verschiedene<br />

Arbeitsbereiche“, erläutert Werkstattleiter Axel<br />

Schlösser. Die Beschäftigten würden also nicht<br />

für immer und ewig am gleichen Arbeitsplatz<br />

eingesetzt, so der Diplomkaufmann (FH) und<br />

eMBA (executive Master of Business Administration)<br />

für Nonprofit-Organisationsmanagement<br />

(Universität Fribourg/Schweiz). Vielmehr<br />

werde ihnen die Möglichkeit geboten, durch<br />

das Kennenlernen unterschiedlicher Metiers<br />

ihre Fähigkeiten zu erproben, Ressourcen zu<br />

entdecken und Kreativität zu entwickeln.<br />

Claas möchte vorerst in der Werkstatt für Landwirtschaft<br />

bleiben. Außer der Versorgung<br />

des Milchviehs unter Anleitung von Andreas<br />

Lamerdin und Robert Mieth – beide sind studierte<br />

Landwirte – reinigt er zusammen mit<br />

vier weiteren Beschäftigten regelmäßig den<br />

Melkstand, geht zuweilen dem Tierarzt zur<br />

Hand und arbeitet bei der Bestellung der Felder<br />

und der Ernte von Bio-Getreide und -Gemüse<br />

mit.<br />

Heimweh hatte Claas all die Jahre nie: „In Thüringen<br />

fühle ich mich zu Hause.“ Vor gut drei<br />

Jahren zog er in eines der drei neu erbauten<br />

Häuser im Ortsteil Lundershausen um. „Die<br />

Zimmererarbeiten und auch ein Teil der Mau-<br />

bericht<br />

Karsten ist ein quirliger<br />

junger Mann. Ihm gefällt<br />

Arbeit auf dem Hof.


ericht<br />

Karsten möchte auch einmal in<br />

der Landwirtschaft arbeiten.<br />

12<br />

Viele Beschäftigte<br />

haben in Hauteroda<br />

auch ein neues<br />

Zuhause gefunden.<br />

Das denkmalgerecht<br />

sanierte Verwaltungsgebäude<br />

mit Café und Werkstätten<br />

auf dem Gutshof.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

erarbeiten hatten natürlich unsere Werkstätten<br />

übernommen“, so Claas. In seinem geräumigen<br />

Zimmer fühlt er sich pudelwohl. Gern sitzt Claas<br />

im gemeinsamen Wohnzimmer am Kamin mit<br />

anderen Bewohnern – darunter Azubis, junge<br />

Leute im Freiwilligen Sozialen Jahr und jeweils<br />

zwei pädagogisch ausgebildete Hausverantwortliche<br />

– zusammen. Wenn er zusammen<br />

mit Mitbewohner Ludwig Reichstein Sketche<br />

des sächsischen Komikerduos Hans-Joachim<br />

Preil und Rolf Herricht vorträgt, haben beide<br />

die Lacher auf ihrer Seite.<br />

Claas hat auch schon als Mime im Oberuferer<br />

Christgeburtsspiel sowie in zwei Weihnachtsstücken<br />

aus der Feder von Charles Dickens mitgewirkt.<br />

Er ist begeisterter Schwimmer, geht<br />

gern spazieren und liest an den langen Winterabenden.<br />

Er kocht auch gern für die Mitbewohner.<br />

Last but not least ist Claas Fußballfan,<br />

der 1. FC Kaiserslautern seine Favoritenelf.<br />

Zu eng in der Werkstatt<br />

Karsten Müller arbeitet seit gut zwei Jahren auf<br />

dem Gutshof Hauteroda. Aufgrund eines Nervenleidens<br />

im linken Bein eingeschränkt mobil,<br />

war der 27-Jährige zuvor in der diakonischen<br />

Stiftung Finneck in Artnern beschäftigt. Dort<br />

gab es aber für den etwas quirligen jungen<br />

Mann nicht genug Bewegungsfreiheit. „Ich<br />

wollte nicht in einer Werkstatt, sondern lieber<br />

im Freien arbeiten“, so Karsten.<br />

Weil die Stiftung Finneck mit der Markusgemeinschaft<br />

e. V. kooperiert, konnte ihm eine Arbeit<br />

auf dem Gutshof vermittelt werden. „Nach<br />

einem dreiwöchigen Praktikum haben wir<br />

ihn eingestellt“, berichtet Werkstattleiter Axel<br />

Schlösser. Unter engmaschiger Betreuung hat<br />

sich Karsten gut in das Arbeitsleben integriert.<br />

Die Hälfte der Arbeitszeit verbringt er in der<br />

Veredelungswerkstatt, wo er Gemüse aus eigenem<br />

biologischen Anbau für die Vermarktung


oder die Verarbeitung in der hofeigenen Küche<br />

putzt. Dazu kommen Einsätze in der Grünpflege<br />

und im biologischen Gemüseanbau. „Auf<br />

dem Gutshof fühle ich mich wohl“, gibt er zu.<br />

Während der Mittagspausen spielt Karsten<br />

manchmal mit anderen Mitarbeitern Rommé.<br />

In der Freizeit spielt er gern mit Bruder Tobias<br />

Fußball oder sieht sich Talkshows im Fernsehen<br />

an. Wenn der FC Rot-Weiß Erfurt e. V. auf dem<br />

Die Markusgemeinschaft e. V.<br />

Bereits in den siebziger Jahren des vorigen<br />

Jahrhunderts widmete sich in Hauteroda<br />

eine Gruppe von Menschen der Betreuung<br />

geistig behinderter Kinder. Nach der Wiedervereinigung<br />

konnte die Arbeit aber so<br />

nicht weitergeführt werden. Dem Hilferuf<br />

aus dem Kyffhäuserkreis folgten Menschen,<br />

von denen einige schon seit Jahren in Camphill-Dörfern<br />

in England gearbeitet hatten<br />

und somit die Erfahrung für die Gründung<br />

neuer Dorfgemeinschaften und einer Umwelt-<br />

und Sozialtherapie mitbrachten. Diese<br />

Menschen schlossen sich 1993 zu einer<br />

Initiativ-Gruppe zusammen, um die bestehenden<br />

Aufgaben zu übernehmen und zu<br />

erweitern.<br />

Kranke, behinderte, gefährdete und scheinbar<br />

gesunde Menschen wollen zusammenarbeiten.<br />

Der biologisch-dynamische<br />

Landbau bildet die Grundlage für ein vielfältiges,<br />

gesundes und bildendes Arbeits-<br />

Anzeige<br />

heimischen Rasen antritt, fährt der junge Mann<br />

mit seiner Mutter in die Thüringer Landeshauptstadt.<br />

Falls möglich, möchte Karsten auch<br />

noch in andere Metiers hineinschnuppern: „Die<br />

Landwirtschaft und ganz besonders die Molkerei<br />

würden mich schon interessieren.“<br />

Text & Fotos:<br />

Reinhard Wylegalla<br />

leben. In einzelnen Häusern der Gemeinschaft<br />

leben Menschen unterschiedlichsten<br />

Alters mit und ohne Behinderungen in einer<br />

erweiterten Familie zusammen. Die<br />

Markusgemeinschaft e. V. ist seit 2006 anerkannte<br />

Werkstatt für Menschen mit Behinderungen<br />

und betreibt dreizehn Arbeitsbereiche,<br />

in denen insgesamt 42 Beschäftigte<br />

und 13 Mitarbeiter zusammenarbeiten:<br />

Eine Bäckerei, eine Küche mit Café, einen<br />

Förderbereich für Menschen mit schweren<br />

Behinderungen, biologisch-dynamischen<br />

Gemüsebau, Grünpflege, Hausmeisterei,<br />

Hauswirtschaft, eine Herberge für Urlaubsgäste,<br />

eine Holzwerkstatt, eine Imkerei,<br />

Landwirtschaft, eine Bio-Molkerei, eine<br />

Mosterei, eine Tischlerei, eine Veredelungswerkstatt<br />

sowie eine Wäscherei.<br />

Kontakt: Markus-Gemeinschaft e.V.,<br />

Hauptstraße 1,<br />

06577 Hauteroda,<br />

tel 03 46 73-73 69-10,<br />

www.gutshof-hauteroda.de<br />

bericht


menschen<br />

Leben mit Amputationen:<br />

Die Mutmacherin<br />

14<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

D<br />

agmar Marth lebt seit einem Unfall<br />

1985 mit einer Beinprothese und hat<br />

nur einen Arm. Natürlich war sie anfangs geschockt<br />

und verzweifelt – wer wäre das nicht?<br />

Aber inzwischen kommt sie gut zu recht mit<br />

diesem neuen Leben. Sie schwimmt, hat ihre<br />

zwei Kinder großgezogen und lebt so selbstständig,<br />

wie es mit einem Arm und einem<br />

Bein nun einmal möglich ist. Das klingt, als<br />

wäre eine zweifache Amputation leicht wegzustecken.<br />

In Wirklichkeit arbeitet Dagmar<br />

Marth hart, um sich ihr Leben so normal wie<br />

möglich zu erhalten.<br />

Früher war sie Sportlehrerin. Sie weiß also<br />

sehr genau, was sie tun muss, um einigermaßen<br />

schmerzfrei zu bleiben. Oft hat sie<br />

Probleme mit ihrem Stumpf, mit der zarten<br />

Spalthaut, die allzu leicht offene Stellen be-<br />

Man sieht Dagmar Marth nicht an, dass sie einen sehr<br />

schweren Unfall nur knapp überlebt hat. Stattdessen<br />

sieht man eine fröhliche, aktive Frau mit strahlenden<br />

Augen, die voller Ideen steckt. Diese innere und äußere<br />

Unabhängigkeit ist kein Zufall, sondern das Resultat<br />

harter Arbeit. „Behinderung ist ein Merkmal“, sagt sie,<br />

„aber ich bleibe<br />

immer ich“.<br />

kommt, wenn die Prothese drückt. Joggen<br />

kann sie inzwischen nicht mehr, weil sie einen<br />

Gleitwirbel hat. Sie geht möglichst oft schwimmen,<br />

trainiert ihre Muskulatur und versucht<br />

mit allen Mitteln, ihren Körper trotz der Verletzungen<br />

fit zu halten. „Ich will nicht krumm<br />

sitzen, ich will keine Rückenschmerzen haben<br />

und ein Pflegefall werden, deshalb tue ich das<br />

alles“, erklärt sie.<br />

Schmerz und Schock verarbeiten<br />

Dagmar Marth hat damals, direkt nach dem<br />

Unfall, jede Psychotherapie abgelehnt. „Ich<br />

dachte, andere Menschen hätten das vielleicht<br />

nötig“, sagt sie heute augenzwinkernd,<br />

„aber ich doch nicht; ich war doch sogar stark<br />

genug, um andere zu trösten!“. Hilfe und Trost<br />

lehnte sie ab, sie kämpfte.<br />

Dagmar Marth heute (links) und vor einigen<br />

Jahren (oben).


Als behinderte Mutter im selbstverständlichen<br />

Umgang mit ihren Kindern.<br />

Erst zehn Jahre später begriff sie, dass sie ihr<br />

neues Leben noch gar nicht angenommen<br />

hatte. Die Zeit zum Trauern hatte sie sich nicht<br />

genommen. Heute beschreibt sie, dass die<br />

Trauer damals ständig als blinder Passagier<br />

in ihrem Leben mitgefahren war. Sie schämte<br />

sich für ihren verstümmelten Körper, hatte<br />

nicht gelernt, die Wunden anzuschauen und<br />

Anzeige<br />

sich trotz der Narben zu mögen. Stattdessen<br />

hatte sie sich mit der Energie eines Workoholics<br />

durchgekämpft: Allen Widrigkeiten zum<br />

Trotz hatte sie die Kinder bekommen, deren<br />

Erziehung ihr niemand zutrauen wollte. Dann<br />

hatte sie ein zweites Studium absolviert – und<br />

plötzlich war die Luft raus.<br />

Sie suchte einen Therapeuten und fand eine<br />

Frau, die ihre Situation erahnen konnte, weil<br />

sie selbst einen Schlaganfall und eine Brustamputation<br />

hinter sich hatte. „Ich musste erst<br />

wieder lernen, mich anzuschauen und anzunehmen“,<br />

erinnert sich Dagmar Marth. Damals<br />

war sie oft verärgert, weil sie sich von allen<br />

Menschen angestarrt fühlte. Die Reaktion der<br />

Therapeutin öffnete ihr die Augen: „Nicht die<br />

anderen sind schuld, Sie selbst wollen nicht<br />

hinschauen!“<br />

Dagmar Marth hat einige Zeit gebraucht, um<br />

ihr neues Leben anzunehmen. Diese Erfahrung<br />

kann man weitergeben, findet sie. Heute<br />

berät sie als Reha-Coach frisch Amputierte.<br />

Wenn sie heute in Berlin ihr Wissen und ihre<br />

Erfahrungen anbietet, dann will sie keinesfalls<br />

psychotherapeutische Hilfe ersetzen.<br />

„Das kann ich nicht“, sagt sie bestimmt. „Aber<br />

ich kann zeigen, dass das Leben weitergeht“.<br />

Viele Betroffene brauchen beides: die psychotherapeutischen<br />

Angebote und das lebendige<br />

Beispiel, das Mut macht.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

menschen


menschen<br />

Frisch amputiert:<br />

Wo findet man Hilfe?<br />

Das Berliner Sanitätshaus<br />

Eprotec vermittelt den Kontakt<br />

zu Dagmar Marth als<br />

Rehacoach:<br />

eMail: info@eprotec,<br />

tel 0 30-56 88 22-0<br />

Eine Auflistung von deutschen<br />

Selbsthilfegruppen<br />

Amputierter findet man im<br />

http://www.ampuwiki.de/<br />

wiki/Selbsthilfegruppen_in_<br />

Deutschland<br />

Beim Hamburger Institut<br />

ampu-vita (http://ampu-vita.<br />

de) werden Menschen mit<br />

Amputationen beraten.<br />

Hier legt man viel Wert darauf,<br />

dass die Beratung unabhängig<br />

von Sanitätshäusern,<br />

prothetischer Industrie und<br />

Kliniken stattfindet.<br />

Anzeige<br />

Leben in der Öffentlichkeit<br />

Dagmar Marth hätte ihren Körper oft am<br />

liebsten vor der Welt versteckt. Ihren beiden<br />

Kindern hat sie es zu verdanken, dass sie<br />

trotzdem unter Menschen kam. Sie sorgten<br />

ohne es zu wissen jahrelang dafür, dass sie<br />

den Kontakt zur Umwelt behielt und immer<br />

wieder versuchte, Probleme zu bewältigen.<br />

„Ich hatte zwar einen Zivi“, erzählt sie, „aber<br />

die Mama sollte eben doch immer mitkommen“.<br />

Ins Schwimmbad, auf den Spielplatz,<br />

in den Buddelkasten. Untersuchungen beim<br />

Kinderarzt gehörten genauso zum Alltag wie<br />

Elternsprechtage oder Kinderbesuche. Die<br />

Kinder kannten ihre Mutter nicht anders als<br />

mit Prothese. Sie nahmen sie ganz selbstverständlich<br />

an.<br />

Auch heute noch fällt Dagmar Marth auf,<br />

wenn sie als einzige behinderte Frau in die<br />

Sauna, ins Schwimmbad und ins Fitnessstudio<br />

geht. Aber die neugierigen Blicke oder das angestrengte<br />

Wegsehen sind für sie nicht mehr<br />

so verletzend wie früher. Sie kann sich trotz<br />

RL-50 Deckenlift<br />

mit Rollstuhlaufhängung<br />

Bundesweiter Vertrieb und Service: 02 34 – 91 600 50<br />

Dank der speziell entwickelten Fahrschiene bleibt ihre Treppe in ganzer Breite frei. Der<br />

Einbau kann in Mehrfamilienhäusern, engen Treppenhäusern, über mehrere Etagen<br />

erfolgen. Haltestellen sind frei wählbar. Die Bedienung erfolgt auch bei eingeschränkter<br />

Mobilität durch den Benutzer oder Begleitperson. Fernsteuerbar ohne Kabelmontage.<br />

HÖGG Liftsysteme<br />

Hattinger Straße 712 a<br />

44879 Bochum<br />

sales@hoegglift.de<br />

www.hoegglift.de<br />

der sichtbaren Narben wieder als Mensch und<br />

– auch das ist ihr wichtig – als Frau fühlen.<br />

Dagmar Marth ist in Berlin keine unbekannte<br />

Frau. Sie hat vor ihrem Unfall fünf Jahre in<br />

Jena Pantomime gespielt, vor ihrem Unfall<br />

also bereits Bühnenerfahrung gesammelt.<br />

Heute traut sie sich wieder auf die Bühne, hat<br />

eine Rilke-Lesung und gemeinsam mit mehreren<br />

Künstlern eine Benefizveranstaltung<br />

zu Gunsten bedürftiger Menschen in Nepal<br />

organisiert. Vielleicht ist ein eigenes Buch das<br />

nächste Projekt. Einen Titel gibt es schon: „Wie<br />

fange ich einen Reißverschluss?“. Überhaupt<br />

hat diese Frau ein Händchen für nachdenklich-witzige<br />

Titel. Im Herbst veranstaltet sie<br />

mit anderen Künstlern in der Passionskirche<br />

zum dritten Mal eine Benefizveranstaltung:<br />

„The sound of one hand clapping“.<br />

Text: Ruth Auschra<br />

Fotos: Auschra (1), privat<br />

Tipps für Menschen<br />

mit frischer Amputation<br />

§ Bleiben Sie nicht in der Vergangenheit<br />

hängen. Sie leben jetzt! Es nützt Ihnen<br />

nichts, wenn Sie Ihr heutiges Leben<br />

ständig mit Ihrer früheren Situation oder<br />

mit anderen Menschen vergleichen.<br />

§ Denken Sie über Ihre Wünsche und<br />

Möglichkeiten nach, nicht über die Einschränkungen!<br />

Es ist viel viel mehr möglich,<br />

als man sich das in der ersten Zeit<br />

vorstellen kann. Setzen Sie sich Ziele!<br />

Lassen Sie sich nicht von den Sorgen und<br />

Ängsten anderer Menschen Grenzen setzen!<br />

§ Eine gut sitzende Prothese ist das A<br />

und O für eine gute und schmerzfreie<br />

Mobilität. Die Anproben sollten so lange<br />

dauern, bis die Prothese wirklich passt.<br />

§ Sprechen Sie mit Angehörigen und<br />

Freunden über ihre Empfindungen. Aber<br />

zwingen Sie sich nicht, jedem neugierigen<br />

Menschen alle Fragen zu beantworten.<br />

§ Lassen Sie Trauer zu. Eine Therapie<br />

kann dabei helfen, eine Selbstablehnung<br />

schneller zu überwinden.


Mehr Auswahl. Mehr Möglichkeiten<br />

Weil jede Frau anders ist, gibt es SpeediCath ®<br />

Compact jetzt in zwei Längen.<br />

Die roten Pumps oder die schwarzen Stiefel? Latte Macchiato oder Caffè Latte?<br />

Können Sie sich auch so schwer entscheiden? Die Entscheidung für den richtigen<br />

Katheter dagegen ist ganz leicht. Denn jetzt gibt es zusätzlich zum SpeediCath<br />

Compact den SpeediCath Compact Plus. Der SpeediCath Compact Plus ist 9 cm<br />

lang und somit passend für jede Frau, die einen längeren Katheter benötigt, aber<br />

auf Diskretion und Unauffälligkeit nicht verzichten möchte.<br />

Coloplast entwickelt Produkte und Serviceleistungen, um das Leben für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu erleichtern. In enger Zusammenarbeit mit Anwendern<br />

unserer Produkte entwickeln wir Lösungen, die den Bedürfnissen der Anwender gerecht werden. Coloplast entwickelt und vertreibt sowohl Produkte im Bereich der Stoma-,<br />

Kontinenz- und Wundversorgung als auch in der Haut pfl ege und in der Urologie. Coloplast ist ein weltweit operierendes Unternehmen mit mehr als 7.000 Mitarbeitern.<br />

The Coloplast logo is a registered trademark of Coloplast A/S. © <strong>2010</strong>-01<br />

All rights reserved Coloplast A/S, 3050 Humlebæk, Denmark.<br />

Füllen Sie diesen Coupon aus und erhalten Sie<br />

Ihr persönliches Muster<br />

Schicken Sie mir ein kostenloses Katheter-Muster.<br />

Die Charrière-Größe habe ich angekreuzt.<br />

SpeediCath Compact Plus CH 10 CH 12 CH 14<br />

SpeediCath Compact CH 06 CH 08 CH 10<br />

CH 12 CH 14<br />

Ich verwende das Produkt für mich für Angehörige<br />

Ich möchte den SpeediBag Urinbeutel ausprobieren, schicken Sie<br />

mir bitte ein Gratismuster.<br />

Schicken Sie den Coupon in einem Umschlag kostenfrei an:<br />

Coloplast GmbH, Postfach 70 03 40, 22003 Hamburg<br />

Absender Herr* Frau*<br />

JETZT<br />

AUCH LÄNGER<br />

Geburtstag / / Titel<br />

Vorname* Nachname*<br />

Straße, Nr.* PLZ/Ort*<br />

Telefon* E-Mail @<br />

Ort, Datum* Unterschrift*<br />

SpeediBag Compact<br />

SpeediCath Compact<br />

NEU<br />

Mit meiner Unterschrift erkläre ich, dass meine vorstehend gemachten Angaben von der Coloplast GmbH gespeichert, verarbeitet und genutzt<br />

werden dürfen, um mich per Post, Email und/oder Telefon an allgemein auf meine Erkrankung und Versorgung bezogenen Informationen sowie an<br />

Coloplast-Angeboten und -Marktforschungsbefragungen teilhaben zu lassen und zu Werbezwecken über Coloplast-Produkte und -Dienstleistungen<br />

zu informieren. Mein Einverständnis bezieht sich ausdrücklich auch auf die Angaben zu meinen gesundheitlichen Verhältnissen. Ich erhalte die<br />

angefragten Materialien auch dann, wenn ich diese Erklärung nicht unterschreibe. Mir ist bewusst, dass ich mein Einverständnis künftig jederzeit<br />

ganz oder teilweise durch eine an die Coloplast GmbH, Kuehnstraße 75 in 22045 Hamburg zu richtende Erklärung widerrufen kann.<br />

SpeediCath Compact Plus<br />

2 cm<br />

Coloplast GmbH<br />

Postfach 70 03 40<br />

22003 Hamburg<br />

Fax 040 669807-48<br />

Service-Telefon 0800 7809000<br />

beratungsservice@coloplast.com<br />

www.meincoloplast.de<br />

* erforderliche Angaben SCCP_Para_0310


technik<br />

Berliner Leistungszentrum Orthopädietechnik:<br />

Am Unfallkrankenhaus Berlin eröffnete die Eprotec<br />

GmbH Anfang November Berlins erste gläserne Manufaktur<br />

für Orthopädietechnik. Geschäftsführer Christian<br />

Hartz und sein Team präsentierten die Räumlichkeiten<br />

und technischen Einrichtungen des neuen Leistungszentrums<br />

stolz den Gästen aus Politik, Wirtschaft, Medien<br />

und Gesundheitswesen. Schwerpunkt der Einrichtung ist<br />

die Versorgung mit Prothesen und Epithesen.<br />

18<br />

Professionell<br />

und persönlich<br />

Eine myoelektrische<br />

Armprothese.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

D<br />

as architektonisch reizvolle Gebäude auf<br />

dem Gelände des Unfallkrankenhauses<br />

Berlin kann sich sehen lassen. Es kombiniert<br />

historisches und hochmodernes Ambiente,<br />

gleichzeitig ermöglichen die Räumlichkeiten<br />

eine perfekte organisatorische Abstimmung<br />

der Arbeitsabläufe und bieten den Mitarbeitern<br />

gut beleuchtete und belüftete Arbeitsplätze.<br />

Die Patienten werden das freundliche<br />

Ambiente lieben, den großzügigen Ausstellungsbereich<br />

– und die Mischung aus professioneller<br />

und persönlicher Atmosphäre.<br />

Im Anpassungsbereich ist ausreichend Platz<br />

für Gespräche unter vier Augen: „Sie glauben<br />

gar nicht, wie viele offene Worte in so einer<br />

Anprobe stattfinden“, erklärt Christian Hartz,<br />

Geschäftsführer der Eprotec GmbH.<br />

Ganz wichtig für die Qualität der Arbeit ist es<br />

sicherlich, dass alle Eprotec-Mitarbeiter auf<br />

Patienten mit Prothesen und Epithesen spezialisiert<br />

sind. Hier im Unfallkrankenhaus Berlin<br />

arbeiten Orthopädietechniker und Ärzte eng<br />

zusammen, die Techniker werden beispielsweise<br />

schon in die OP-Teams integriert.<br />

Das neu eröffnete Leistungszentrum ist das<br />

Resultat einer langjährigen Weiterentwicklung<br />

der Kooperation zwischen Unfallkrankenhaus<br />

und Orthopädietechnik. Klar, dass<br />

Die Arbeit mit Silikon gehört zu den Schwerpunkten<br />

des Berliner Leistungszentrums.


man hier über ein vielfältiges Angebot an moderner<br />

Technik aus dem Bereich der Prothesen<br />

verfügt: myoelektrische Armprothesen, computergesteuerte<br />

Knie- und Fußsysteme und<br />

komplexe Diagnosesysteme für Testschäfte<br />

beispielsweise. Hier sieht man Edelstahl statt<br />

rostigem Baustahl und Arbeitsflächen mit<br />

modernen Touchscreens statt alter Werkbänke.<br />

Eine hauseigene Testlaufstrecke mit verschiedenen<br />

Oberflächenbelägen ermöglicht<br />

Probeläufe mit der Prothese, auch videooptische<br />

Ganganalysen gehören mit dazu.<br />

Den überwiegend jungen Mitarbeitern macht<br />

die Arbeit ganz offensichtlich Freude. Ihnen<br />

ist es wichtig, für technisch und optisch perfekt<br />

angepasste Prothesen und Epithesen zu<br />

sorgen. „Die Patienten müssen ihre Prothese<br />

annehmen“, erklärt eine Mitarbeiterin und<br />

beschreibt, dass sie sich als Wegbegleiterin<br />

versteht.<br />

Geschäftsführer Hartz ist überzeugt, dass zur<br />

Technik immer auch das Wort gehören muss,<br />

dass Gespräche, Zuwendung und Vertrauen<br />

die Qualität einer Behandlung ausmachen.<br />

„Verstehen kann man das Leben rückwärts,<br />

leben muss man es aber vorwärts“, erinnert er<br />

mit einem Kierkegaard-Zitat. Man spürt, dass<br />

den Patienten hier geholfen wird, das Leben<br />

wieder vorwärts zu leben.<br />

Text & Fotos:<br />

Ruth Auschra<br />

Hier kann man<br />

die Prothese<br />

ausprobieren.<br />

Anzeige


forschung<br />

20<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

M<br />

Zukunftshoffnung:<br />

Mit der Kraft<br />

der Gedanken<br />

bewegen<br />

Bereits seit einigen Jahren forschen Wissenschaftlerteams<br />

in Europa und in den USA an Brain-Computer-Interface-Systemen<br />

(BCI), die eine direkte Verbindung<br />

zwischen Mensch und Maschine ermöglichen<br />

sollen. Über Hirnströme wäre man dann in<br />

der Lage Maschinen zu steuern, Texte zu tippen<br />

oder mit Bällen spielen. Das würde neue Möglichkeiten<br />

für vollständig gelähmte<br />

Menschen eröffnen.<br />

an hat den Eindruck, als wäre ein Zauberer<br />

am Werk. Harry Potter hätte daran sicher<br />

sein Vergnügen gehabt. Katja Hansen und Michael<br />

Tangermann flippern und der Flipper wird<br />

wie von Geisterhand bedient. Zauberei steckt<br />

natürlich nicht dahinter, es erscheint einem nur<br />

so, bedenkt man, dass weder durch die Hände,<br />

noch durch eine Tastatur oder Augenzwinkern<br />

die Kugel in Bewegung gesetzt wird. Nur Gedanken<br />

setzen die beiden Forscher ein. Dies demonstrierte<br />

im letzten Sommer ein Experiment<br />

des Forscherteams um Professor Klaus-Robert<br />

Müller vom Fachgebiet Maschinelles Lernen der<br />

Technischen Universität Berlin. Mit einem Experiment<br />

an der Schnittstelle zwischen Gehirn und<br />

Maschine ist es der Forschergruppe gelungen,<br />

einen Durchbruch zu verzeichnen, das weitere<br />

Anwendungen eröffnet.<br />

Die Probanden steuern über das Berliner Brain<br />

Computer Interface (BBCI) einen Flipper-Automaten<br />

in Echtzeit. Sie sitzen dabei mit einer<br />

durchlöcherten Plastikkopfbedeckung nach Art<br />

einer Friseurhaube oder einer Badekappe mit<br />

Löchern vor einem Flipperautomaten und kicken<br />

dabei die Kugel flott umher, ganz ohne die


Hände zu benutzen, allein durch die Kraft ihrer<br />

Gedanken. Aus der Haube ragen Elektroden, die<br />

ihre Hirnaktivität abnehmen. Diese Signale werden<br />

dann an das BBCI weitergeleitet, welches<br />

dann die Steuersignale für Computer oder andere<br />

Maschinen umwandelt.<br />

Die Forscher nutzen die elektrische Hirnaktivität,<br />

die durch das Elektroenzephalogramm (EEG) beschrieben<br />

wird, indem die an der Kopfhaut angebrachten<br />

Elektroden die Hirnströme messen,<br />

die beim Denken entstehen. „Diese so erfassten<br />

Vorstellungen einer Bewegung werden verstärkt<br />

und an einen Computer zur blitzschnellen Auswertung<br />

übermittelt, der die Gehirnsignale in<br />

Steuerimpulse umwandelt“, so Müller. Neurologen<br />

wissen: Nicht nur tatsächliche Bewegungen<br />

erzeugen charakteristische Hirnmuster im motorischen<br />

Kortex, jenem Areal also, das unsere<br />

Bewegungen steuert, sondern bereits der Gedanke<br />

daran. Daher reagiert der Flipper in Millisekunden<br />

auf Gedanken des Nutzers. „Wir haben<br />

das schnellste System weltweit“, so Klaus-Robert<br />

Müller. „Das besondere an unserer Schnittstelle<br />

ist, dass sie in Echtzeit funktioniert. Und wie<br />

könnte man das besser demonstrieren als beim<br />

Flipperspiel, bei dem man nicht lange fackeln<br />

kann.“<br />

Mit Brain Computer Interfaces (BCI), den Schnittstellen<br />

zwischen Gehirn und Rechnern, die einen<br />

direkten Dialog zwischen Mensch und Maschine<br />

ermöglichen, befassen sich laut Müller derzeit ca.<br />

200 Arbeitsgruppen aus verschiedenen Ländern.<br />

Es ist klar, dass dieses vorklinische Experiment<br />

einen Sinn hat und nicht nur ein Zeitvertreib ist.<br />

Dies eröffnet künftig ein breites Feld von Anwendungen.<br />

„Für Patienten mit Muskelschwund<br />

oder Querschnittlähmung wäre das eine echte<br />

Lebensbereicherung, wenn sie damit Computer,<br />

Prothesen oder Rollstühle steuern können“, betont<br />

Müller.<br />

Vom Gedanken zur Aktion<br />

Doch ganz so einfach ist der Weg von der vorgestellten<br />

Handlung zur Tat nicht: Denn durch<br />

unser Gehirn geistern unzählige Informationen.<br />

Aus diesem Wirrwarr von Eindrücken muss die<br />

richtige Anweisung an ein externes Gehirn herausgefiltert<br />

werden und das möglichst schnell.<br />

Müller bezeichnet das als „Cocktailparty des<br />

Großhirns“, bei der Hunderte Hirnareale zugleich<br />

Signale senden. Die Waschmaschine brummt,<br />

das Essen brennt an, der nächste Einkauf wird<br />

überdacht, die Post kommt, der Magen knurrt,<br />

die Greifprothese soll zupacken – alles gleichzeitig.<br />

Aus all dem soll das Gehirn das gewünschte<br />

Signal herausfiltern – so wie man bei einer Party<br />

bei allem Geplapper drum herum nur dem Gegenüber<br />

zuhört.<br />

„Das maschinelle Lernen mit seinen modernen<br />

Rechenverfahren kann das Rauschen heute viel<br />

besser eliminieren“, erklärt Müller nach acht Jahren<br />

Arbeit am Projekt. „Vor einigen Jahren musste<br />

der Proband noch etwa 300 Stunden üben“,<br />

so der Berliner Forscher. „Heute reichen zehn bis<br />

zwanzig Minuten Training.“ Er berichtet von seiner<br />

Sekretärin, die zwischendurch auch gern mal<br />

einen Computer mit ihrer Gedankenkraft steuert.<br />

„Durch moderne Methoden des maschinellen<br />

Lernens und schnelle Rechenverfahren können<br />

diese EEG-Signale zielgenau in robuste Steuersignale<br />

für Computer oder andere Maschinen<br />

umgewandelt werden“, so Müller. Der Mensch<br />

muss nicht mehr lernen, wie man mit einer Maschine<br />

umzugehen hat, sondern umgekehrt.<br />

„Vor einigen<br />

Jahren musste<br />

der Proband<br />

noch etwa 300<br />

Stunden üben“,<br />

so der Berliner<br />

Forscher. „Heute<br />

reichen zehn bis<br />

zwanzig Minuten<br />

Training.“<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

21


forschung<br />

Nicht mit dem Blick,<br />

sondern mit Gedanken steuern.<br />

22 PARAPLEGIKER 1/10<br />

Warnung vor Euphorie<br />

Nicht wie gewohnt mit den Gliedmaßen, sondern<br />

mit Gedanken den Alltag zu meistern, gibt besonders<br />

Patienten mit Muskellähmung, Schlaganfall,<br />

sehr hoher Querschnittlähmung und auch Menschen<br />

mit Locked-in-Syndrom Hoffnung. Professor<br />

Nils Birbaumer arbeitet seit fast 15 Jahren auf<br />

dem Gebiet und warnt vor allzu großer Euphorie,<br />

auf schnell verfügbare praxistaugliche Hirn-Computer-Schnittstellen<br />

zu setzen.<br />

Die meisten Ansätze<br />

bewegten sich noch im<br />

Bereich der Grundlagenforschung.<br />

„Derzeit haben<br />

wir auf unserer Warteliste 4<br />

000 Schlaganfallpatienten“,<br />

so Birbaumer, „behandeln<br />

kann ich im Experiment<br />

nur etwa zehn bis zwanzig<br />

im Jahr.“ Der Leiter des<br />

Instituts für Medizinische<br />

Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der<br />

Universität Tübingen gilt als Vorreiter des Fachs.<br />

Er versucht seit Jahren, Gelähmten beizubringen,<br />

ihren Rollstuhl oder ihre Prothesen mit Gedankenkraft<br />

zu steuern.<br />

Die gedankliche Steuerung einer Prothese erfordert<br />

viel Konzentration. „Das könnte man mit<br />

dem Lernen einer Sprache vergleichen“, so der<br />

Forscher. Selbst gesunde Probanden müssen nach<br />

einer Stunde Pause machen. Für Schlaganfallpatienten<br />

ist die Anstrengung noch größer. Auch<br />

der Aufwand seitens der Ärzte, Psychologen und<br />

Pfleger ist hoch. „Das Problem ist nicht die Technik.<br />

Technisch ist der Mensch immer erfinderisch,<br />

aber wenn es um Psychologie geht, versagt er oft“,<br />

erklärt Birbaumer. „Noch sind die Erfolge eher gering“,<br />

so Birbaumer, „aber vor lauter Hoffnung wird<br />

ich noch ganz meschugge´“, sagt ein jiddisches<br />

Sprichwort“. Er geht davon aus, dass er in zwei Jahren<br />

sein System bei Locked-in-Patienten einsetzen<br />

kann.<br />

Solchen Menschen zu helfen, die „Locked-in“ sind,<br />

in ihrem Hirn eingeschlossen, ist so etwas wie die<br />

„Königsdisziplin“ der Wissenschaftler. So „eingesperrte“<br />

Patienten können sich nicht einmal durch<br />

Augenzwinkern verständlich machen. Das Einzige,<br />

wozu sie noch in der Lage sind, ist das Steuern ihrer<br />

Neuronen. „Die Gedanken sind frei, wer kann<br />

sie erraten?“ Birbaumer geht davon aus, dass es<br />

keineswegs aussichtslos ist, diese zu erhaschen. Er<br />

fand heraus, dass die Hirnpotentiale von Lockedin<br />

Patienten auf unterschiedliche Musikstücke, auf<br />

bekannte Gesichter und grammatikalische Fehler<br />

reagieren. „Wir können Locked-in-Patienten zwar<br />

beibringen zu kommunizieren mit unserem BCI“,<br />

so Birbaumer, „aber niemand hatte bisher mit<br />

jenen Erfolg, die schon länger als sechs Monate<br />

eingeschlossen sind. Das Problem lösen wir demnächst.<br />

Bei Schlaganfall funktioniert das hervorragend.“<br />

Der Forscher ist überzeugt, dass es in ungefähr<br />

zehn Jahren ein System gibt, das gelähmten<br />

Schlaganfallpatienten helfen wird, einfache Tätigkeiten<br />

selbst zu verrichten. Der Patient wird<br />

vielleicht eine Elektrodenkappe aufsetzen, eine<br />

tragbare Prothese benutzen und kann sich damit<br />

an den Tisch setzen und wieder wie ein normaler<br />

Mensch essen und trinken. Wenigstens für eine<br />

Stunde am Tag, da eine längere Konzentration vermutlich<br />

zu anstrengend wird.<br />

Aufsehenerregende Ergebnisse aus Tierversuchen<br />

von Laboratorien in den USA haben gezeigt, dass<br />

man Affen trainieren kann, alleine mit Gedankenkraft<br />

eine Prothese zu steuern. Dabei werden<br />

Aktionspotenziale von Zellen ihres motorischen<br />

Kortex (Hirnbereich) ausgelesen und in Greifbewegungen<br />

umgesetzt, Das hat der ganzen Forschung<br />

Auftrieb gegeben.<br />

Diese Tierexperimente zeigen, dass man aus den<br />

Hirnpotenzialen von wenigen Zellen im motorischen<br />

Kortex eine Bewegung ableiten kann. Man<br />

darf allerdings nicht vergessen, dass die Forscher<br />

dabei superintelligente Prothesen verwenden, die<br />

bereits schwache Hirnsignale in Greifbewegungen<br />

umsetzen können. Außerdem wurden alle Experimente<br />

an gesunden Tieren durchgeführt. Wenn<br />

man mit Menschen arbeitet, die durch einen<br />

Schlaganfall beeinträchtigt sind, sieht die Sache<br />

oft anders aus.<br />

„Das gesamte Feld wird massiv mit Forschungsgeldern<br />

unterstützt, so dass rasch weitere Fortschritte<br />

zu erwarten sind“, meint Birbaumer. Zu klären wäre<br />

auch noch, ob nicht invasive oder invasive Methoden,<br />

bei denen Neurochips implantiert werden,<br />

geeigneter sind. Birbaumers Vision: „ein System,<br />

das die Signale drahtlos aus dem Hirn funkt.“<br />

Text: Heike Stüvel<br />

Fotos: TU Berlin


forschung<br />

Nicht mit dem Blick,<br />

sondern mit Gedanken steuern.<br />

22 PARAPLEGIKER 1/10<br />

Warnung vor Euphorie<br />

Nicht wie gewohnt mit den Gliedmaßen, sondern<br />

mit Gedanken den Alltag zu meistern, gibt besonders<br />

Patienten mit Muskellähmung, Schlaganfall,<br />

sehr hoher Querschnittlähmung und auch Menschen<br />

mit Locked-in-Syndrom Hoffnung. Professor<br />

Nils Birbaumer arbeitet seit fast 15 Jahren auf<br />

dem Gebiet und warnt vor allzu großer Euphorie,<br />

auf schnell verfügbare praxistaugliche Hirn-Computer-Schnittstellen<br />

zu setzen.<br />

Die meisten Ansätze<br />

bewegten sich noch im<br />

Bereich der Grundlagenforschung.<br />

„Derzeit haben<br />

wir auf unserer Warteliste 4<br />

000 Schlaganfallpatienten“,<br />

so Birbaumer, „behandeln<br />

kann ich im Experiment<br />

nur etwa zehn bis zwanzig<br />

im Jahr.“ Der Leiter des<br />

Instituts für Medizinische<br />

Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der<br />

Universität Tübingen gilt als Vorreiter des Fachs.<br />

Er versucht seit Jahren, Gelähmten beizubringen,<br />

ihren Rollstuhl oder ihre Prothesen mit Gedankenkraft<br />

zu steuern.<br />

Die gedankliche Steuerung einer Prothese erfordert<br />

viel Konzentration. „Das könnte man mit<br />

dem Lernen einer Sprache vergleichen“, so der<br />

Forscher. Selbst gesunde Probanden müssen nach<br />

einer Stunde Pause machen. Für Schlaganfallpatienten<br />

ist die Anstrengung noch größer. Auch<br />

der Aufwand seitens der Ärzte, Psychologen und<br />

Pfleger ist hoch. „Das Problem ist nicht die Technik.<br />

Technisch ist der Mensch immer erfinderisch,<br />

aber wenn es um Psychologie geht, versagt er oft“,<br />

erklärt Birbaumer. „Noch sind die Erfolge eher gering“,<br />

so Birbaumer, „aber vor lauter Hoffnung wird<br />

ich noch ganz meschugge´“, sagt ein jiddisches<br />

Sprichwort“. Er geht davon aus, dass er in zwei Jahren<br />

sein System bei Locked-in-Patienten einsetzen<br />

kann.<br />

Solchen Menschen zu helfen, die „Locked-in“ sind,<br />

in ihrem Hirn eingeschlossen, ist so etwas wie die<br />

„Königsdisziplin“ der Wissenschaftler. So „eingesperrte“<br />

Patienten können sich nicht einmal durch<br />

Augenzwinkern verständlich machen. Das Einzige,<br />

wozu sie noch in der Lage sind, ist das Steuern ihrer<br />

Neuronen. „Die Gedanken sind frei, wer kann<br />

sie erraten?“ Birbaumer geht davon aus, dass es<br />

keineswegs aussichtslos ist, diese zu erhaschen. Er<br />

fand heraus, dass die Hirnpotentiale von Lockedin<br />

Patienten auf unterschiedliche Musikstücke, auf<br />

bekannte Gesichter und grammatikalische Fehler<br />

reagieren. „Wir können Locked-in-Patienten zwar<br />

beibringen zu kommunizieren mit unserem BCI“,<br />

so Birbaumer, „aber niemand hatte bisher mit<br />

jenen Erfolg, die schon länger als sechs Monate<br />

eingeschlossen sind. Das Problem lösen wir demnächst.<br />

Bei Schlaganfall funktioniert das hervorragend.“<br />

Der Forscher ist überzeugt, dass es in ungefähr<br />

zehn Jahren ein System gibt, das gelähmten<br />

Schlaganfallpatienten helfen wird, einfache Tätigkeiten<br />

selbst zu verrichten. Der Patient wird<br />

vielleicht eine Elektrodenkappe aufsetzen, eine<br />

tragbare Prothese benutzen und kann sich damit<br />

an den Tisch setzen und wieder wie ein normaler<br />

Mensch essen und trinken. Wenigstens für eine<br />

Stunde am Tag, da eine längere Konzentration vermutlich<br />

zu anstrengend wird.<br />

Aufsehenerregende Ergebnisse aus Tierversuchen<br />

von Laboratorien in den USA haben gezeigt, dass<br />

man Affen trainieren kann, alleine mit Gedankenkraft<br />

eine Prothese zu steuern. Dabei werden<br />

Aktionspotenziale von Zellen ihres motorischen<br />

Kortex (Hirnbereich) ausgelesen und in Greifbewegungen<br />

umgesetzt, Das hat der ganzen Forschung<br />

Auftrieb gegeben.<br />

Diese Tierexperimente zeigen, dass man aus den<br />

Hirnpotenzialen von wenigen Zellen im motorischen<br />

Kortex eine Bewegung ableiten kann. Man<br />

darf allerdings nicht vergessen, dass die Forscher<br />

dabei superintelligente Prothesen verwenden, die<br />

bereits schwache Hirnsignale in Greifbewegungen<br />

umsetzen können. Außerdem wurden alle Experimente<br />

an gesunden Tieren durchgeführt. Wenn<br />

man mit Menschen arbeitet, die durch einen<br />

Schlaganfall beeinträchtigt sind, sieht die Sache<br />

oft anders aus.<br />

„Das gesamte Feld wird massiv mit Forschungsgeldern<br />

unterstützt, so dass rasch weitere Fortschritte<br />

zu erwarten sind“, meint Birbaumer. Zu klären wäre<br />

auch noch, ob nicht invasive oder invasive Methoden,<br />

bei denen Neurochips implantiert werden,<br />

geeigneter sind. Birbaumers Vision: „ein System,<br />

das die Signale drahtlos aus dem Hirn funkt.“<br />

Text: Heike Stüvel<br />

Fotos: TU Berlin


technik<br />

BMW Werksbesichtigung:<br />

Freude am Sch<br />

Wer gern nach<br />

München reist,<br />

nicht nur wegen<br />

der viel gepriesenen<br />

Weißwurst<br />

und den bayer-<br />

ischen Brez´n, für<br />

den sind Sehenswürdigkeiten<br />

wie Deutsches<br />

Museum, Pinakothek<br />

und Lenbach<br />

Galerie feste Begriffe.<br />

Mit Glück<br />

erfährt er vom<br />

BMW Museum und<br />

mit viel Glück von<br />

der barrierefreien<br />

Werksführung in<br />

den Bayerischen<br />

Motorenwerken.<br />

(1) Tanz der<br />

Schweißroboter.<br />

(2) Führung durchs<br />

BMW-Werk.<br />

(3) Fertige Karosserien<br />

im Lager.<br />

(4) Hochzeit:<br />

Karosserie trifft<br />

Fahrgestell.<br />

24 PARAPLEGIKER 1/10<br />

1<br />

D<br />

a Parkplätze rund um das BMW Werk<br />

recht knapp sind, lohnt es sich mit der U<br />

3 bis vor die Werkstüren zu fahren. Nach Auskunft<br />

unserer Führerin ist eine Anmeldung<br />

nicht erforderlich, dennoch: sicher ist sicher.<br />

Der Besucher sollte auf jedem Fall für die<br />

höchst interessante Führung 2 ½ Stunden einplanen.<br />

Rollstuhl-WCs gibt es unterwegs. Wer<br />

etwas mehr Zeit zur Verfügung hat, für den<br />

lohnt sich auf jeden Fall noch der Besuch des<br />

BMW-Museums in der „Schüssel“. Es gibt wenige<br />

Autohersteller, die eine so umfangreiche<br />

Palette an technischen<br />

Fortbewegungsmitteln 2<br />

anzubieten haben. Über<br />

die zentrale Besucherrampe<br />

(12 % Steigung)<br />

sind alle Exponate miteinander<br />

verbunden. Es<br />

ist ratsam, von oben nach<br />

unten zu fahren. Eine Begleitperson<br />

ist erforderlich.<br />

Die Öffnungszeiten sind von:<br />

Dienstag bis Sonntag und Feiertag:<br />

10.00 - 18.00 Uhr<br />

Der Eintritt beträgt für behinderte Menschen 6 €.<br />

Sehenswert ist die BMW Art Car Collection, mit<br />

Design-Autos von Calder, Stella, Roy Lichtenstein<br />

und Andy Warhol. Aber auch die große<br />

Palette von Motorrädern, die BMW gebaut hat,<br />

ist dort zu bestaunen. Was heute nicht mehr<br />

viele wissen: Die Bayerischen-Motorenwerke<br />

bauten einst auch Flugzeugmotoren, die sehr<br />

komplizierten Sternmotoren.


auen<br />

Ob vor oder nach dem Museumsbesuch – die<br />

Werksführung ist für behinderte Personen<br />

ohne Probleme zu bewältigen. Sie beginnt im<br />

Presswerk, das die Karosserieteile anfertigt.<br />

Von einem erhöhten Standort ist alles sehr gut<br />

zu betrachten und der Besucher wundert sich,<br />

dass so wenige Menschen dort arbeiten. Auch<br />

der Lärmpegel ist bei weitem nicht mehr so<br />

hoch. Darüber wundere ich mich besonders.<br />

Immerhin wohnte ich jahrelang in der Nähe<br />

des BMW-Werks und kannte diesen Gebäudekomplex<br />

nur von außen und dem ohrenbetäubenden<br />

Lärm des Presswerkes. Unsere Führerin<br />

erklärt es uns damit, dass heute die Pressen mit<br />

Stahlfedern gelagert sind und somit Schwingungen<br />

und Pressgeräusche erheblich vermindert<br />

wurden.<br />

Bereits nach wenigen Metern ist die Halle erreicht,<br />

in der die Karosserie verschweißt und<br />

verklebt wird. Richtig gelesen: Einige Teile werden<br />

verklebt. Eine Augenweide ist das Roboter-<br />

Ballett, das in der Seitenrahmenfertigung mit<br />

höchster Präzision arbeitet. Zwölf Roboter exakt<br />

aufeinander abgestimmt arbeiten auf 820 qm<br />

Fläche im 56-Sekunden-Takt. In dieser Abteilung<br />

können zwei Modelle produziert werden,<br />

ohne dass das Werkzeug gewechselt werden<br />

muss. Entsteht ein fehlerhaftes Teil, wird es nach<br />

der optischen Vermessung sofort aussortiert. Es<br />

ist faszinierend, wie die Roboter im gleichmäßigen<br />

Arbeitsrhythmus arbeiten, fehlt nur noch<br />

die Musik von Depeche Mode (oder Kraftwerk;<br />

Anm.d.Red.). Die nun zusammen gefügte Karosserie<br />

gelangt auf dem Förderband in die<br />

Lackiererei. Man erfährt, dass jede Karosserie<br />

anhand eines Ordners montiert wird. Der Kunde<br />

kann bis eine Woche vor Montagestart die<br />

Wagenfarbe bestimmen. Dazu dient auch die<br />

Karosserie-Sortieranlage, in der fertig lackierte<br />

Karosserien auf ihren Abruf warten.<br />

Die fertige Karosserie wird vom Band zur sogenannten<br />

„Hochzeit“ gebracht – so nennt man<br />

das Zusammenführen von Karosserie und Fahrgestell.<br />

Auch dies sieht man alles von einem<br />

Standort, der einen guten „Weitblick“ über das<br />

Montageband zulässt. Unsere Führung lotst<br />

uns über die Sattlerei zur Endmontage und<br />

letztlich zur Endkontrolle.<br />

Alle Besichtigungspunkte sind für Rollstuhlfahrer<br />

gut eingerichtet und zur störungsfreien Betrachtung<br />

umgebaut. In der Lackiererei wurde<br />

extra eine Bühne eingebaut. Hier wurde auch<br />

ein Lift installiert, um dem behinderten Besucher<br />

die unterschiedlichen Lackiervorgänge<br />

anschaulich zu machen. Alle Wege sind mit<br />

Rampen ausgestattet und machen eine unbeschwerte<br />

Führung möglich. Auch Behinderten-<br />

WCs sind vorhanden. Die für die Führung verantwortliche<br />

Person ist darauf bedacht, diesen<br />

Rundgang in einem für alle angenehmen Tempo<br />

zu gestalten. Sie lässt jedem genügend Zeit,<br />

die verschiedenen Abteilungen ohne Atemnot<br />

zu genießen. Die Guides erklären gut und sind<br />

sensibilisiert, was nicht selbstverständlich ist.<br />

Text & Fotos:<br />

Johann Kreiter<br />

3 4<br />

technik<br />

Kontakt:<br />

tel 0180- 2 3242 52 (0,06 € pro<br />

Anruf/dt. Festnetz)<br />

Mo bis So von 8 bis 22 Uhr<br />

eMail:<br />

kundenbetreuung@bmw.de<br />

www.bmw.de


markt<br />

Wenn Opa seine Enkel<br />

besucht, hat er häufig ein<br />

Problem: Als Prothesenträger<br />

fällt ihm nähmlich<br />

das Treppensteigen<br />

schwer. Zuhause benutzt<br />

er deshalb einen Treppenlift.<br />

Weil es aber immer<br />

mehr Menschen mit<br />

Geh- oder Sehbehinderungen<br />

gibt,<br />

sollten Treppen generell<br />

„barrierefrei“<br />

gestaltet werden.<br />

Stabile, DIN-gerechte<br />

Handläufe sollten auch im<br />

Bestand links und rechts<br />

nachgerüstet werden.<br />

26<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Bauen-wohnen-renovieren:<br />

Hand drauf – auf den<br />

Treppen-Handlauf<br />

D<br />

Doch auch Treppen im Bestand sollten stärker<br />

abgesichert werden als bisher. Dazu gehören, so<br />

das DIT, griffsichere Handläufe auf der linken und<br />

rechten Seite, die über die erste und letzte Stufe<br />

zu führen sind, sowie rutschfeste Beläge und eine<br />

gute Beleuchtung. „Vorhandene Treppen werden<br />

durch Handläufe auf beiden Seiten bequemer und<br />

sicherer. Sie helfen auch Stürze zu vermeiden.“ Die<br />

Handläufe sollten gemäß den Bestimmungen der<br />

DIN 18025 (Barrierefreies Bauen) einen Durchmesser<br />

zwischen drei und 4,5 Zentimeter haben sowie<br />

gut umfassbar sein. Der innere Handlauf darf am<br />

Treppenauge nicht unterbrochen sein. Der äußere<br />

Wandhandlauf muss in 85 Zentimeter Höhe 30 Zentimeter<br />

waagerecht über den Anfang und das Ende<br />

der Treppe hinaus ragen. Darüber hinaus raten die<br />

Experten, in Mehrfamilienhäusern taktile Geschoss-<br />

und Wegbezeichnungen für Blinde und Sehbehinderte<br />

anzubringen. Diese könnten an Handläufen<br />

und Geländer integriert werden. Für die Nachrüs-<br />

Barrierefreie Treppen nützen allen,<br />

die sie nutzen können.<br />

tung bestehender Gebäude gibt es geeignete, DINbarrierefrei<br />

geprüfte Handlaufsysteme.<br />

Wie wichtig Sicherheitsmaßnahmen an Treppen im<br />

eigenen Heim sind, machen die Zahlen des statistischen<br />

Bundesamtes deutlich. Danach starben im<br />

Jahre 2007 genau 1100 Menschen durch direkten<br />

Sturz auf oder von Treppen oder Stufen. Rund vier<br />

von fünf dieser Unfälle fanden zu Hause statt. Die<br />

meisten tödlichen Stürze sind in der Altersgruppe<br />

ab 65 Jahren anzutreffen, aber bereits ab dem 55.<br />

Lebensjahr steigt das Risiko des tödlichen Sturzes<br />

an. Jeder siebte Sturz einer Person ab 65 Jahren<br />

endet mit einer Hüftfraktur. Dazu kommen jährlich<br />

rund 160.000 Frakturen des Oberschenkelhalses, sodass<br />

der Sturz mit weitem Abstand die häufigste Unfallursache<br />

im häuslichen Bereich ist und der Treppensturz<br />

die häufigste Todesunfallursache. Relativ<br />

bescheiden sind dagegen die tödlichen Stürze bei


Eis und Schnee (acht Stürze), vom Baum (29 Stürze)<br />

oder von Leitern (116 Todesfälle). 119 tödliche Stürze<br />

ereigneten in öffentlich zugänglichen Gebäuden.<br />

Bauordnungen greifen<br />

In öffentlich zugänglichen Gebäuden gilt heute schon<br />

Nachrüstpflicht. Eigentümer oder Pächter müssen bestehende<br />

Einrichtungen nachrüsten, soweit es wirtschaftlich<br />

zumutbar ist. Selbst der Denkmalschutz steht dem<br />

Hauseigentümer nicht zur Seite. So wurde beispielsweise<br />

das Bayerische Denkmalschutzgesetz ergänzt,<br />

dass auch die baulichen Anlagen so zu verändern sind,<br />

dass diese von Menschen mit Behinderung und sonstigen<br />

Mobilitätsbeeinträchtigungen erreicht werden<br />

können. Die Landesbauordnung in Niedersachsen hat<br />

den Aspekt eines zweiten Handlaufs in hinreichender<br />

Form bestimmt und lässt bei notwendigen Treppen<br />

Abweichungen nur in Ausnahmefällen zu. „Treppen<br />

müssen mindestens einen Handlauf haben. Notwendige<br />

Treppen müssen beiderseits Handläufe haben. Die<br />

Handläufe müssen fest und griffsicher sein“, heißt es<br />

da. Ausnahmen gibt es nur, wenn behinderte oder alte<br />

Menschen die Treppe nicht oder nur in seltenen Fällen<br />

zu benutzen brauchen und für Wohngebäude mit nicht<br />

mehr als zwei Wohnungen und in Wohnungen. Wohnanlagen<br />

mit mehr als zwei Wohnungen sind demnach<br />

als öffentlich zugängliche Gebäude zu werten.<br />

Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau unterstützt<br />

den alten- und behindertengerechten Umbau<br />

von Wohnungen und Häusern mit zinsgünstigen Darlehen.<br />

Die Ausgaben können steuerlich abgesetzt werden,<br />

wenn die Arbeiten von einem qualifiziertem Handwerksbetrieb<br />

durchgeführt werden. Hier ist besonders<br />

darauf zu achten, dass die Handläufe DIN gerecht auszuführen<br />

sind. DIT-Geschäftsführerin Antje Ebner rät<br />

dazu, diese Fördermittel zu nutzen: „In unseren Beratungen,<br />

machen wir immer wieder die Erfahrung, dass<br />

die Menschen die Unfallrisiken zu Hause unterschätzen<br />

und aus falsch verstandener Sparsamkeit auf notwendige<br />

Veränderungen verzichten.“ Es ist daher noch viel<br />

Überzeugungsarbeit zu leisten, damit die Betroffenen<br />

und ihre Angehörigen erkennen, dass auch kleine Mittel<br />

die Wohnqualität entscheidend verbessern können.<br />

Vielleicht kommt dann Opa auch öfters zu Besuch.<br />

Tipps<br />

Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des<br />

Deutschen Instituts für Treppensicherheit e.V. (DIT),<br />

Augsburg, unter www.treppensicherheit.de. Auf www.<br />

treppen.de finden Sie Treppenanbieter aus Ihrer Region<br />

nach Postleitzahlen sortiert. Die Initiative www.sicheregemeinden.at<br />

bietet Beratung zur Unfallverhütung in<br />

allen Lebensbereichen und für jede Altersgruppe. Informationen<br />

zu einschlägigen Vorschriften, Produkten und<br />

Projekten sowie zu Fördermitteln, Zuschüssen und Finanzierungsmöglichkeiten<br />

gibt es bei www.nullbarriere.de.<br />

Informationen über griffsichere Handlauf-Systeme „DIN<br />

geprüft barrierefrei“ findet man unter www.flexo-handlauf.de.<br />

Informieren Sie sich auf www.bauordnungen.<br />

de über verschiedene regionale und nationale Bauordnungen.<br />

Auf treppenbauer.eu können Sie bundesweit<br />

nach Fachhändlern und Treppenherstellern suchen.<br />

Infos zur nachträglichen Antirutschbehandlung von Böden<br />

und Treppenstufen finden Sie unter www.slipstop.<br />

ch oder www.grip-antirutsch.com. Handläufe, Treppen-<br />

und Brüstungsgeländer für den Aufgang- und Treppenbereich<br />

fertigt Normbau individuell und auf Aufmaß an<br />

(www.normbau.de).<br />

Text: Raimund Artinger<br />

Anzeige<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

®<br />

KADOMO<br />

<br />

<br />

markt


kultur<br />

Karikaturen<br />

von<br />

Barbara Früchtel<br />

28<br />

PARAPLEGIKER 1/10


Das silberne Spar-Schwein:<br />

Handeln wie im Basar<br />

Alle klagen über die steigenden Kosten im Gesundheitswesen.<br />

Einer der Gründe dafür ist typisch deutsch: die Fülle von Gesetzen,<br />

Richtlinien, Anordnungen und anderen Vorschriften, mit denen bei<br />

uns alles und jedes bis ins letzte reguliert wird. Kein Wunder, dass<br />

der einfache Sozialversichungsfachangestellte („Sofa“) da nicht mehr<br />

durchblickt und nach anderen Problemlösungen Ausschau hält.<br />

Dabei hat sich anscheinend der eine oder<br />

andere von ihnen die Basare unserer südeuropäischen<br />

Nachbarn zum Vorbild genommen.<br />

Da wird mit den Patienten verhandelt und<br />

gefeilscht, um gesetzlich vorgeschriebene<br />

Leistungen nicht erfüllen zu müssen oder zumindest<br />

teilweise einzusparen. Dieser Virus<br />

greift in letzter Zeit schneller um sich als es<br />

für die Schweinegrippe vorhergesagt worden<br />

war. Krankenkassen, Sozialämter, keiner bleibt<br />

verschont, selbst die Berufsgenossenschaften<br />

nicht, die bisher dafür nicht anfällig schienen.<br />

Fall eins, eine Krankenkasse: „Wir übernehmen<br />

die Kosten für einen Ersatzrollstuhl, aber nur,<br />

wenn Sie mit uns vertraglich vereinbaren, dass<br />

Sie alle Reparaturkosten dafür selbst bezahlen<br />

und auf alle Ansprüche gegen uns für eine Ersatzbeschaffung,<br />

z. B. wegen Verschleiß oder<br />

Rahmenbruch, verzichten.“ Fall zwei, auch eine<br />

Krankenkasse: „Wir genehmigen Ihnen das beantragte<br />

Handbike, aber nur, wenn Sie Ihre<br />

Klage gegen uns wegen Fahrkostenerstattung<br />

zurücknehmen.“ Natürlich am Telefon und<br />

nicht schriftlich. Nach Rücknahme der Klage<br />

wurde das Handbike umgehend genehmigt.<br />

Fall drei, eine Berufsgenossenschaft: Im Widerspruchsverfahren<br />

wird die Kostenübernahme<br />

für einen Rollstuhl mit Aufrichtfunktion genehmigt<br />

und gleichzeitig verlangt, dass der<br />

Querschnittgelähmte mit einer Kürzung des<br />

Pflegegelds um zwei Drittel einverstanden ist,<br />

sobald der Rollstuhl ausgeliefert wurde, „weil<br />

Sie damit ja zukünftig viele Dinge in Haushalt<br />

und Wohnung selbst erledigen können, für die<br />

Sie bisher Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“<br />

Fall vier, wieder eine Krankenkasse: Obwohl<br />

ein Herzinfarktpatient einen Rechtsanspruch<br />

q – querschnitt spezial<br />

auf Rehabilitationssport hat, lehnt man die<br />

Kostenübernahme ab. Stattdessen wird nach<br />

langwierigen Verhandlungen der Rehasport<br />

zu einer Präventionsmaßnahme erklärt, die<br />

zur Hälfte bezuschusst wird – und dafür lässt<br />

man sich auch noch in der Presse belobigen<br />

(STERN 5/2009).<br />

Das sind nur einige Beispiele für eine neue Unkultur.<br />

Leider kann ich die Namen derjenigen,<br />

die auf so unredliche Art und Weise versuchen,<br />

ihre Kunden übers Ohr zu hauen, nicht<br />

nennen. Es geht auch darum, denjenigen, die<br />

davon betroffen sind, neue Scherereien zu ersparen.<br />

Und das sind die gleichen Krankenkassen, die<br />

sich jeder vernünftigen Argumentation verschließen,<br />

wenn man ihnen vorrechnet, dass<br />

sie durch die Kostenübernahme für ein individuelles<br />

Hilfsmittel oder eine Maßnahme Kosten<br />

einsparen, weil dadurch teure Krankenhausaufenthalte<br />

etc. vermieden werden. Da<br />

zählt immer nur das zu verwaltende (Einzel-)<br />

Budget der jeweiligen Abteilung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot<br />

nach § 12 SGB V bleibt<br />

außen vor.<br />

Text: Herbert Müller<br />

Herbert Müller<br />

Rechtsbeistand im Sozialrecht der Fördergemeinschaft<br />

d. Querschnittgelähmten in Deutschland e.V.<br />

Freiherr-vom-Stein-Str. 47<br />

56566 Neuwied-Engers<br />

tel 0 26 22-88 96-32; fax -36<br />

eMail h.mueller@engers.de<br />

Kriterium für die „Ehrung“ ist<br />

die Kreativität der Begründung<br />

für eine Ablehnung.<br />

Je unsinniger, desto besser sind<br />

die Chancen. Ob man darüber<br />

eher schmunzelt oder sich mehr<br />

über die Ignoranz ärgert, bleibt<br />

jedem selbst überlassen.<br />

Vorschläge sind willkommen.<br />

PARAPLEGIKER 1/10 29


q – querschnitt spezial<br />

30<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke<br />

Das Wunder des Lebens<br />

Dem Wunsch nach Kindern und einer eigenen Familie steht auch<br />

für Frauen im Rollstuhl nahezu nichts im Wege. Denn es gibt gute<br />

Möglichkeiten zur Entbindung querschnittgelähmter Schwangerer<br />

– wie im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke.<br />

Seit 1987 besteht am Gemeinschaftskrankenhaus<br />

Herdecke die Abteilung für Rückenmarkverletzte,<br />

und seit 15 Jahren bringen hier<br />

querschnittgelähmte Frauen ihre Kinder zur<br />

Welt. Ein fachübergreifendes Ärzteteam aus<br />

Paraplegiologen, Gynäkologen, Pädiatern,<br />

Urologen und Anästhesiologen berät und<br />

betreut die werdenden Mütter. Die Ärzte arbeiten<br />

darüber hinaus vertrauensvoll mit den<br />

Hebammen, den Säuglingsschwestern der<br />

Milchküche, Ergo- und Physiotherapeuten<br />

sowie Sozialarbeitern zusammen. „Mit diesem<br />

ganzheitlichen Konzept entbinden wir<br />

hier regelmäßig Mütter mit Querschnittläsionen<br />

– darunter gab es auch schon Zwillingsgeburten“,<br />

freut sich Dr. Susanne Föllinger,<br />

Oberärztin in der Querschnittabteilung des<br />

Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke.<br />

Meist unkomplizierte Geburten<br />

Die Geburtsvorbereitung im Gemeinschaftskrankenhaus<br />

Herdecke beginnt auf Wunsch<br />

der Querschnittgelähmten meist schon in<br />

einem frühen Stadium der Schwangerschaft<br />

mit einem Beratungsgespräch. Darauf folgt<br />

ein ambulanter Untersuchungstermin. Je<br />

nach Verfassung wird die Schwangere zwei<br />

bis vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin<br />

stationär aufgenommen und entsprechend<br />

behandelt. „In der Regel verlaufen<br />

Geburten von Frauen mit Rückenmarkläsion<br />

spontan und unkompliziert – auch ohne die<br />

Möglichkeit der Mutter mit zu pressen“, erläutert<br />

Dr. Susanne Föllinger. „Denn die Wehentätigkeit<br />

wird überwiegend hormonell,<br />

also unabhängig vom Rückenmark, ausgelöst<br />

und gesteuert. Auch die Indikation für<br />

einen Kaiserschnitt unterscheidet sich nicht<br />

von der bei gesunden Frauen.“<br />

Selbstverständlich dürfen der Vater oder vertraute<br />

Personen im Kreißsaal dabei sein. Damit<br />

sich die neue Familie von Anfang an wohl<br />

fühlt, legte die Klinik in Herdecke Wert auf<br />

eine ansprechende Gestaltung der Geburtsräume:<br />

Warme Farben, eine individuell einstellbare<br />

Beleuchtung und die mitgebrachte<br />

Lieblingsmusik sorgen für eine entspannte<br />

Atmosphäre während der Geburt.<br />

Auch nach der Entbindung ist für die junge<br />

Familie bestens gesorgt. Sind Mutter und Kind<br />

wohlauf, werden beide schnellst möglich auf<br />

die Querschnittstation verlegt. „Für die Neugeborenen<br />

haben wir ein spezielles Bettchen


entwickelt, dass den Rollstuhl-Müttern den<br />

Umgang mit ihren Kleinen erleichtert“, so<br />

Dr. Susanne Föllinger weiter. Das Bett ist 100<br />

x 50 Zentimeter groß und hat an einer der<br />

Längsseiten eine Flügeltür. Die Konstruktion<br />

erlaubt es der Mutter, mit dem Rollstuhl das<br />

Bettchen zu unterfahren, um zum Beispiel das<br />

Baby zu wickeln. Das Bett der Querschnittgelähmten<br />

und das Kinderbettchen werden<br />

auf gleiche Matratzenhöhe gebracht, so dass<br />

die Mutter ihr Neugeborenes ganz leicht zu<br />

sich herüberholen kann. Zur Sicherheit wird<br />

nachts die Flügeltür geschlossen und auf der<br />

anderen Seite das Gitter heruntergelassen.<br />

Für jeden Fall gerüstet<br />

Gibt es bei einer Geburt jedoch einmal Komplikationen<br />

oder gehört das Kind zu einer<br />

Risikogruppe, beispielsweise Frühchen oder<br />

Zwillinge, ist hierfür bestens vorgesorgt.<br />

Rund um die Uhr stehen Narkose- und Kinderärzte<br />

bereit, die speziell für die Behandlung<br />

von Frühchen oder anderen Risikokindern<br />

ausgebildet sind. Außerdem verfügt das<br />

Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke über<br />

die neuesten technischen Möglichkeiten.<br />

„Uns liegt sehr am Herzen, dass Mutter und<br />

Kind nicht getrennt werden“, erklärt Dr. Susanne<br />

Föllinger. Muss ein Säugling vorübergehend<br />

auf der Neugeborenen-Intensivstation<br />

überwacht werden, kann die kleine Familie<br />

dort ein spezielles Mutter-Vater-Kind-Zimmer<br />

beziehen und so auch die ersten Tage<br />

gemeinsam verbringen.<br />

Anzeige<br />

q – querschnitt spezial<br />

Zu einer umfassenden Betreuung gehört<br />

auch eine gut strukturierte Nachsorge. Hierfür<br />

arbeiten das Personal der Wochenbettstation<br />

und die Säuglingsschwestern in Herdecke<br />

eng zusammen. „Wie fast jede andere<br />

Mutter wollen auch die meisten querschnittgelähmten<br />

Frauen stillen“, weiß Dr. Susanne<br />

Föllinger. „Im Allgemeinen gibt es dabei keine<br />

Probleme. Trotzdem nehmen wir uns Zeit<br />

für eine ausführliche Stillanleitung. Falls die<br />

Muttermilch in den ersten Tagen noch nicht<br />

ausreicht, bekommen die Neugeborenen<br />

Fencheltee oder Stutenmilch. Mütter, die<br />

nicht stillen, versorgen ihre Babys mit Säuglingsnahrung.“<br />

Durch die Pflege ihres Kindes kommen auf<br />

querschnittgelähmte Frauen neue körperliche<br />

Belastungen und Herausforderungen<br />

beim Umgang mit dem Rollstuhl zu. Von den<br />

Ergotherapeuten erhalten die Mütter wichtige<br />

Ratschläge, wie sie ihr Kind richtig halten<br />

und tragen, um Schultergürtel und Rücken<br />

zu entlasten. Die Physiotherapeuten helfen<br />

bei der Rückbildungsgymnastik und zeigen<br />

den Frauen, wie sie ihr Baby sicher im Rollstuhl<br />

mitnehmen. Vor der Entlassung stehen<br />

die üblichen Abschlussuntersuchungen für<br />

Mutter und Kind an. Und danach geht es für<br />

die neue Familie nach Hause.<br />

Text: OÄ Dr. med. Susanne Föllinger<br />

Foto: GKH Herdecke<br />

Weitere Informationen:<br />

Gemeinschaftskrankenhaus<br />

Herdecke<br />

Gerhard-Kienle-Weg 4<br />

58313 Herdecke<br />

Dr. Susanne Föllinger<br />

Sekretariat: Marlis Mielke<br />

tel 0 23 30-62 34 25<br />

eMail: querschnitt@gemeinschaftskrankenhaus.de


Wie leben Querschnittgelähmte<br />

in<br />

anderen europäischen<br />

Ländern? Wer<br />

vertritt ihre Interessen<br />

und wie gestaltet<br />

sich ihr Alltag? Diesen<br />

und anderen Fragen<br />

geht der PARA<br />

in einer kleinen Serie<br />

nach. In dieser Ausgabe<br />

stellen wir den<br />

Verband der Querschnittgelähmten<br />

Österreichs (VQÖ) vor.<br />

Mit dessen 1. Obmann,<br />

Manfred Schweizer,<br />

führten wir ein Gespräch.<br />

32<br />

„Es bleibt noch immer viel zu tun“<br />

Treffen in Tobelbad:<br />

Mitglieder des<br />

Vorstands des VQÖ.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Querschnittgelähmte in Europa (II): Österreich<br />

? Herr Schweizer, wie Sind Sie persönlich zum<br />

Verband der Querschnittgelähmten Österreichs<br />

gekommen?<br />

Durch meine querschnittgelähmte Freundin. Das<br />

war 1961. 1969 haben wir geheiratet und bekamen<br />

drei Kinder. Seit 1993 bin ich der 1. Obmann des<br />

Verbands.<br />

? Seit wann besteht der Verband und wie viele<br />

Mitglieder hat er?<br />

Der VQÖ wurde 1957 gegründet und hat derzeit<br />

960 Mitglieder in ganz Österreich.<br />

? Welche Aufgaben stellt sich Ihr Verband?<br />

Eine möglichst umfassende Betreuung der Mitglieder<br />

durch Information und Beratung. Der Verband<br />

ist eine gemeinnützige, parteipolitisch und<br />

religiös neutrale Organisation. Er vertritt die Interessen<br />

von Menschen mit körperlicher Behinderung,<br />

insbesondere mit Querschnittlähmung. Wir möch-<br />

Seit 1993 der 1. Obmann des VQÖ:<br />

Manfred Schweizer.<br />

ten die kulturellen, sportlichen und sonstigen Freizeitangebote<br />

aus der Sicht körperbehinderter Menschen<br />

thematisch aufarbeiten und entsprechend<br />

bereitstellen. Auch Öffentlichkeitsarbeit sowie der<br />

Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit mit<br />

anderen Behindertenorganisationen, die ähnliche<br />

Interessen haben, gehören zu unseren Aufgaben.


? Geben Sie eine Mitglieder-Zeitschrift heraus?<br />

Ja. Sie heißt „Rollstuhl Aktiv“ und erscheint vierteljährlich mit<br />

einem Umfang von jeweils 56 Seiten in einer Auflage von 2.000<br />

Exemplaren.<br />

„Wie man in den Wald hineinruft…“<br />

? Wie würden Sie allgemein das Klima gegenüber Körperbehinderten<br />

in Österreich beschreiben? Was ist, wenn zum<br />

Beispiel ein Para um Hilfe bei der Überwindung einer Barriere<br />

bittet, etwa beim Einsteigen in einen Bus?<br />

Das Klima ist allgemein gesehen gut. Meine Frau sitzt jetzt 47<br />

Jahre im Rollstuhl und hat in diesem Punkt nie ein Problem gehabt.<br />

Trotzdem höre ich immer wieder von anderen Rollstuhlfahrern,<br />

dass es da ein Problem gibt. Ich kann mir das nur so erklären:<br />

„Wie man in den Wald hinein ruft, so kommt es zurück“.<br />

Wenn ich vor der Gehsteigkante stehe und jemanden mürrisch<br />

frage, ob er mir helfen würde, wird derjenige vielleicht vorbeigehen.<br />

Wenn ich ihn aber freundlich anspreche, wird er selbstverständlich<br />

bereit sein, mir zu helfen. Das ist meine Erfahrung,<br />

die ich in der Behindertenarbeit gemacht habe.<br />

Anzeige<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

? Eine Rollstuhlfahrerin aus Spanien hat in einem Interview<br />

mit unserer Zeitschrift berichtet, dass es in Madrid Taxifahrer<br />

gibt, die sie nicht mitnehmen.<br />

Das wäre bei uns in Österreich ein Anlass, wegen Diskriminierung<br />

dagegen vorzugehen. Den Taxifahrer könnte man anzeigen.<br />

? Gibt es in Österreich für Querschnittgelähmte materielle<br />

Unterstützung von öffentlichen Einrichtungen?<br />

Ja. Berufsunfälle sind bei uns in Österreich gut abgesichert. Sei<br />

es Umrüstung des Autos, Umbauten in der Wohnung, Einrichtung<br />

eines behindertengerechten Badezimmers – das kostet<br />

den Betreffenden fast nichts. Die Rehabilitation und weitere<br />

Maßnahmen danach gehen alle auf Kosten der so genannten<br />

„Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt“. Jeder Arbeitnehmer<br />

in Österreich ist unfallversichert, sogar schon die Schüler.<br />

Wenn es in der Schule oder am Schulweg zu einem Unfall mit<br />

einer Querschnittlähmung kommt, hat der Betreffende für sein<br />

weiteres Leben in der Frage einer behindertengerechten Versorgung<br />

kaum Probleme. Arbeitsunfälle haben darüber hinaus<br />

eine Unfallrente. Anders sieht es bei Querschnittlähmungen


34<br />

durch Freizeitunfälle und Erkrankungen und bei Geburtsbehinderungen<br />

aus. Hier ist die jeweilige Krankenkasse zuständig,<br />

und da muss man fast um jedes Hilfsmittel kämpfen.<br />

? Stellt Ihr Verband finanzielle Soforthilfen bei akuten<br />

Fällen zur Verfügung?<br />

Nein<br />

? Gibt es so etwas wie Erwerbsunfähigkeitsrenten?<br />

Ja. Bei Vorliegen der Voraussetzungen bekommt der Betreffende<br />

eine Invaliditätsrente. Diese richtet sich nach den Versicherungsjahren<br />

und dem zuletzt erzielten Einkommen. Man<br />

kann damit ganz gut über die Runden kommen. Darüber hinaus<br />

gibt es das so genannte Pflegegeld mit sieben Stufen. Ein<br />

Querschnittgelähmter mit Inkontinenz ist automatisch in der<br />

Pflegestufe vier.<br />

Eines der ältesten Zentren Europas<br />

? Gibt es spezielle Querschnitt- Zentren in Österreich, in<br />

denen akut Querschnittgelähmte versorgt werden?<br />

Ja, in Bad Häring in Tirol, in der Nähe von Wien im „Weißen Hof“<br />

und in Graz/Tobelbad – das ist nach Stoke Mandeville in England<br />

eines der ältesten Zentren in Europa. Der frisch Verunfallte<br />

kommt mit größter Sicherheit in eines dieser Reha-Zentren der<br />

allgemeinen Unfallversicherung, egal ob es ein Arbeitsunfall ist<br />

oder nicht. Die weitere Rehabilitation erfolgt zum Großteil auch<br />

in diesen Häusern, allerdings kann es sein, dass der Betreffende<br />

bei einem Freizeitunfall in spezielle Einrichtungen der Krankenkassen<br />

kommt.<br />

? Wie würden Sie generell die Versorgungslage für Querschnittgelähmte<br />

in Österreich beurteilen?<br />

Da besteht wie gesagt ein großer Unterschied zwischen einem<br />

Arbeitsunfall und einem Freizeitunfall bzw. einer Erkrankung.<br />

Wenn es kein Arbeitsunfall war, muss der Betreffende schon<br />

sehr tief in die eigene Tasche greifen. Hier Unterstützungen zu<br />

bekommen ist vorgesehen, aber sehr schwierig.<br />

? Gibt es in Österreich medizinische Aufklärungskampagnen<br />

über die Gefahr, eine Querschnittlähmung zu bekommen,<br />

zum Beispiel durch Bade- oder Motorradunfälle?<br />

Das ist in den Medien eher selten der Fall. Über das Sozialministerium<br />

gibt es die so genannten Arbeitsinspektorate, welche die<br />

Betriebe auf Gefahren am Arbeitsplatz überprüfen. Aber die entsprechende<br />

Aufklärung beispielsweise für Motorradfahrer oder<br />

für das Paragliding hält sich sehr in Grenzen, das ist nicht optimal.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

? Wie sieht es mit der Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen<br />

und Verkehrsmitteln aus?<br />

Da wurde in den letzten 30 bis 40 Jahren enorm viel getan.<br />

Aber es bleibt noch immer viel zu tun.<br />

Initiative des Einzelnen wichtig<br />

? Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle?<br />

Das ist richtig. Aber es kommt hier sehr auf die Initiative des<br />

Einzelnen an. Wir wohnen zum Beispiel 15 Kilometer außerhalb<br />

von Wien. In unserer Gemeinde sind einzelne Barrieren<br />

beseitigt worden, weil die Gemeinde sich des Anliegens angenommen<br />

hat. Es hängt also immer davon ab, dass der Einzelne<br />

aktiv wird und nicht darauf wartet, bis andere etwas unternehmen.<br />

? Kommt man mit dem Rolli im Allgemeinen gut in Restaurants<br />

oder Kneipen?<br />

Ja. Aber die Toiletten sind oft ein Problem, wenn sie zum Beispiel<br />

im Keller sind und kein Lift vorhanden ist oder die Türen<br />

zu eng sind.<br />

? Gibt es rollstuhlgerechte öffentliche Toiletten in den<br />

Stadtzentren?<br />

Ja. Wenn Sie zum Beispiel auf die Internetseite der Stadt Wien<br />

gehen, können Sie dort alle entsprechenden Toiletten in den<br />

einzelnen Bezirken aufgelistet sehen.<br />

? Verfügen die Rollis in Österreich über einen Europaschlüssel<br />

für die Toiletten?<br />

Ja, man muss sich selbst darum bemühen. Viele der öffentlichen<br />

Toiletten sind mit dem Euroschlüssel ausgestattet, auch an


Aus dem VQÖ-Veranstaltungsprogramm:<br />

Monoski-Kurs in herrlicher Winterlandschaft.<br />

den Autobahnraststätten. Viele aber auch nicht, weil die Einrichtungen<br />

sagen, sie hätten nicht das Personal zur Überwachung der<br />

Schlüssel. Auf dem Wiener Flughafen habe ich zum Beispiel nicht<br />

erreichen können, ein Schloss für einen Euroschlüssel montieren<br />

zu lassen. In die dortige Behindertentoilette kann jeder rein, und<br />

das machen auch leider sehr viele Undisziplinierte.<br />

Anzeige<br />

BEHINDERTENGERECHTE FAHRZEUGUMBAUTEN<br />

PARAVAN - grenzenlose Mobilität, hautnahe Anpassungen<br />

• Für jeden Behinderungsgrad das Richtige<br />

• Für Selbstfahrer und Beifahrer im Rollstuhl<br />

• Lösungen für alle Fahrzeugtypen<br />

• Deutschlandweites Beraternetz<br />

• Individuelle Lösungen<br />

? Haben Sie einen bestimmten Wunsch<br />

an die Politik?<br />

Zurzeit laufen drei Petitionen: eine zur regelmäßigen jährlichen<br />

Erhöhung des Pflegegelds – in 17 Jahren geschah das nur viermal!<br />

–, eine zweite zur Anhebung der Steuerfreibeträge für Behinderte<br />

– auch hier ist 20 Jahre nichts geschehen –, und mit<br />

der dritten Petition wollen wir erreichen, dass im Falle einer<br />

Diskriminierung eines Behinderten der Beklagte nicht nur eine<br />

Strafe erhält, sondern auch dazu verpflichtet wird, die Ursache<br />

der Diskriminierung zu beseitigen. Die Petitionen befinden<br />

sich noch bei den verschiedenen Behindertenorganisationen<br />

Österreichs zur Unterschriftensammlung und werden dann gemeinsam<br />

dem Parlament übergeben.<br />

Herr Schweizer, wir bedanken uns für das Gespräch.<br />

Info: www.vqo.at<br />

Interview: Arndt Krödel<br />

Fotos: VQÖ<br />

For a perfect mobility<br />

worldwide<br />

Willkommen im neuen PARAVAN Mobilitätspark<br />

• Vielfach ausgezeichnete Innovationen<br />

www.paravan.de<br />

PARAVAN® GmbH . Paravan-Straße 5-10 . 72539 Pfronstetten-Aichelau . Telefon +49 (0)7388 9995 91 . info@paravan.de<br />

PARAVAN GmbH . Niederlassung Heidelberg . Bonhoefferstr. 3a . 69123 Heidelberg . Telefon +49 (0)6221 7392 090 . heidelberg@paravan.de<br />

PARAVAN GmbH . Vertriebsregion NRW . Telefon +49 (0)7388 9995 - 54 / - 55 / +49(0)5251/ 1427280 . nrw@paravan.de<br />

Tel: 07388 - 99 95 91


q – querschnitt spezial<br />

36<br />

Spastik bessern durch rücken<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Medizin & Forschung:<br />

Implantierbare Infusionspumpen, die ein Medikament gegen<br />

Spastik direkt zum Rückenmark bringen, gibt es zwar schon seit<br />

etwa 25 Jahren. Neu ist, dass die Handhabung vereinfacht und<br />

die Sicherheit erhöht wurde – durch modernste Elektronik. Für<br />

den Betroffenen bedeutet das eine Besserung der spastischen<br />

Symptomatik und eine höhere Lebensqualität. Bei einer Veranstaltung<br />

in München informierten jetzt Experten darüber, wie<br />

die neue Pumpe wirkt und welche Vorteile sich aus der Anwendung<br />

im Einzelnen ergeben.<br />

So funktioniert das MedStream®-System:<br />

Von der Pumpe mit Wirkstoffreservoir,<br />

die unter die Bauchdecke implantiert sind,<br />

führt ein dünner Schlauch direkt zum<br />

Rückenmark, dem Wirkort.<br />

Häufig treten nach kompletten oder inkompletten<br />

Verletzungen des Rückenmarks so<br />

genannte Spastiken auf, unwillkürliche Reflexbewegungen<br />

aufgrund einer erhöhten<br />

Muskelanspannung. Dem Zentralnervensystem<br />

fehlen durch die Schädigung dämpfende<br />

Impulse. Zusätzlich zu den Spastiken können<br />

unkontrollierbare Muskelzuckungen (Spasmen)<br />

auftreten, die häufig schmerzhaft sind.<br />

Wenn Physiotherapie und antispastische Medikamente<br />

wie Baclofen (in Tablettenform)<br />

keine echte Besserung bringen, besteht die<br />

Möglichkeit, eine unmittelbar am Rückenmark<br />

wirkende Behandlung mit Baclofen<br />

durch eine Medikamentenpumpe (zum Beispiel<br />

die MedStream®) durchzuführen – man<br />

spricht hier auch von der „intrathekalen Baclofen-Therapie“.<br />

Im Prinzip ist diese Therapie bei jedem Querschnittgelähmten<br />

anwendbar, der wegen der<br />

Spastikprobleme zum Beispiel in die Praxis<br />

eines Neurochirurgen kommt. “Wir testen die<br />

Patienten vorher, ob das Baclofen wirkt und<br />

ob es Nebenwirkungen verursacht“, erläutert<br />

Dr. Michael Schmutzler, Neurochirurgische<br />

Klinik des Klinikums Ingolstadt, das Vorgehen.<br />

Dabei wird der Rückenmarkskanal in<br />

Höhe der Lendenwirbelsäule punktiert (so<br />

genannte Lumbalpunktion) und die Testdosis<br />

des Medikaments in den Liquor gespritzt, die<br />

Flüssigkeit, die das Rückenmark umgibt.


marksnahe Behandlung<br />

Wirkt nur dort,<br />

wo er gebraucht wird<br />

Der Wirkstoff trifft also unmittelbar auf die<br />

Rückenmarkszellen und muss nicht, wie im<br />

Fall einer Tabletteneinnahme, den Weg über<br />

den Blutkreislauf nehmen – er wirkt nur dort,<br />

wo er gebraucht wird. Mit diesem Test kann<br />

gewissermaßen simuliert werden, wie eine<br />

Medikamentenpumpe bei dem Querschnittgelähmten<br />

wirken würde. „Nur wenn bestimmte<br />

Nebenwirkungen auftreten, verbietet<br />

sich die Anwendung“, so Schmutzler, der<br />

hinzufügt, dass dies selten der Fall ist.<br />

War die Testdosis also erfolgreich, kann durch<br />

einen chirurgischen Eingriff eine Pumpe in<br />

den Bauchraum implantiert werden, die das<br />

Medikament aus einem Reservoir kontinuierlich<br />

durch einen dünnen Katheter an den<br />

Rückenmarksraum leitet, in dem auch die<br />

Schmerzrezeptoren liegen – feine Fühler, die<br />

sich auf Schmerzreize spezialisiert haben und<br />

Einfaches Nachfüllen des Reservoirs:<br />

Ist der Wirkstoff verbraucht, hat der Träger der<br />

Pumpe einen Termin bei seinem Hausarzt,<br />

der den Füllstand wieder normalisiert.<br />

sie an das zentrale Nervensystem „melden“.<br />

Die Operation ist unproblematisch und geht<br />

relativ schnell. Wird das Baclofen am Rückenmark<br />

freigesetzt, sind mehrere Vorteile damit<br />

verbunden, wie Dr. Reinhard Thoma, Algesiologikum<br />

München, feststellte: Durch die höhere<br />

Wirksamkeit werden die Schmerzen um<br />

etwa die Hälfte reduziert und die Dosierung<br />

kann bis auf ein Dreihundertstel gesenkt<br />

werden<br />

Auch die Nebenwirkungen schlagen weniger<br />

zu Buche. Sie sind niedriger als beispielsweise<br />

beim Schmerzmittel Morphin. Hier wird<br />

sich das Problem der Stuhlträgheit beim <strong>Paraplegiker</strong><br />

eher verstärken, während Baclofen<br />

zwar bei einer relativ hohen Dosis etwas<br />

müde macht, aber Stuhlträgheit als Nebenwirkung<br />

eigentlich nicht vorkommt. Nur bei<br />

einer Überdosierung treten Muskelschwäche<br />

und Bewusstseinsstörungen oder eine<br />

Dämpfung von Funktionen des Zentralen<br />

Nervensystems auf.<br />

Anzeige<br />

Moden<br />

Mode,<br />

die im Sitzen sitzt.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Manfred Sauer GmbH<br />

Geschäftsbereich<br />

Rolli-Moden<br />

Neurott 20<br />

74931 Lobbach-<br />

Waldwimmersbach<br />

Tel: 06226 960 200<br />

Fax: 06226 960 050<br />

service@rollimoden.de www.rollimoden.de


q – querschnitt spezial<br />

38<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

„Intelligente“ Elektronik<br />

Doch dazu muss es erst gar nicht kommen,<br />

denn die „intelligente“ Elektronik der Pumpen<br />

der neuen Generation ist in der Lage, die<br />

Medikamentenkonzentration am Wirkort zu<br />

messen und die Pumpleistung entsprechend<br />

anzupassen. Mit dieser Technologie wird<br />

auch die Ermittlung der richtigen Dosis – ein<br />

Vorgang, der bei spastischen Syndromen<br />

vielfach langwierig und schwierig ist – deutlich<br />

erleichtert und führt damit zu mehr Sicherheit<br />

für den Patienten.<br />

Nur für die Messungen der Konzentration des<br />

Medikaments im Katheter sowie der Restmenge<br />

des Reservoirs wird Batteriestrom<br />

benötigt. Ganz ohne diesen kommt die Programmierung<br />

der<br />

Pumpe aus, die<br />

drahtlos mit<br />

einer speziellen<br />

Technik<br />

funktioniert.<br />

Das Baclofen<br />

selbst wird<br />

mit Hilfe der<br />

Gasdrucktechnik<br />

durch<br />

den Katheter<br />

fortgeleitet.<br />

Weil bei der Med-<br />

Stream® –im Unterschied zu anderen Geräten<br />

– für den Pumpvorgang kein Batteriestrom<br />

genutzt wird, hält die Batterie auch wesentlich<br />

länger.<br />

Weil bei der MedStream®<br />

–im Unterschied zu anderen<br />

Geräten – für den Pumpvorgang<br />

kein Batteriestrom genutzt<br />

wird, hält die Batterie<br />

auch wesentlich länger.<br />

Ein akustisches Signal meldet dem Träger der<br />

Pumpe, wenn irgendetwas „nicht stimmt“,<br />

zum Beispiel wenn die Batterieleistung abnimmt.<br />

Das geschieht so frühzeitig, dass<br />

genügend Planungszeit für den Austausch<br />

bleibt – ein weiterer Aspekt, der der Sicherheit<br />

zu Gute kommt. Immerhin hält die Batterie<br />

aber nach Angaben des Herstellers ca.<br />

12 Jahre.<br />

Bedienungsfehler ausgeschlossen<br />

Wie Dr. Hans-Helmut Gockel, Algesiologikum<br />

München, zusammen fasste, sind durch die<br />

ausgefeilte Technik der MedStream® Bedie-<br />

nungsfehler „praktisch ausgeschlossen“. Patienten<br />

müssten auch nicht mehr so lange und<br />

intensiv überwacht werden. Der behandelnde<br />

Arzt kann anhand des Füllstandsanzeigers<br />

des Wirkstoffreservoirs die Kontrolltermine<br />

des Pumpenträgers so festlegen, dass ein<br />

Leerlaufen des Mini-Tanks verhindert wird.<br />

Ein akustischer Warnton „erinnert“ den Träger<br />

frühzeitig an den Arztbesuch, falls er einen<br />

Termin versäumt hat und der Tank aus verschiedenen<br />

Gründen leerzulaufen droht.<br />

Die MedStream®-Pumpe kostet ca. 10 bis<br />

15 000 EURO, wobei sich die Kosten bereits<br />

nach sechs bis acht Monaten amortisieren,<br />

wie die Experten berichteten. Für den Träger<br />

der Pumpe gibt es kein Kostenproblem – alles<br />

wird erstattet. Bleibt ein gewisses ästhetisches<br />

Problem, denn die Pumpe ist nicht<br />

unbedingt ein Winzling, der gänzlich unter<br />

der Bauchdecke verschwindet. Der Chirurg<br />

kann das Gerät aber auch in den Bauchmuskel<br />

„hineinlegen“, so dass die äußere Ästhetik<br />

ein wenig verbessert wird. Auch beim Gewicht<br />

der Pumpe stößt das Design an seine<br />

Grenzen, denn es ist im Wesentlichen durch<br />

das Wirkstoffreservoir bestimmt, und kleiner<br />

als 20 Milliliter (oder bei hohem Medikamentenverbrauch<br />

40 Milliliter) lässt sich das nicht<br />

konstruieren.<br />

Insgesamt aber kann durch die Pumpentherapie<br />

eine Besserung der spastischen Symptomatik<br />

erreicht werden und damit, wie Dr.<br />

Michael Schmutzler feststellte, eine bessere<br />

Alltagsbewältigung und Lebensqualität. Verkürzte<br />

Transfer-Zeiten Bett zu Rollstuhl oder<br />

auch Rollstuhl zu Gehhilfen sind Beispiele für<br />

spürbare Folgen.<br />

Text: Arndt Krödel<br />

Grafiken: Codman


Zum Beispiel individuelle Mobilität.<br />

Fahrhilfen von BMW.<br />

Fahrhilfen von BMW<br />

www.bmw.de Freude am Fahren<br />

Mit der richtigen Technik<br />

lässt sich jedes Ziel erreichen.<br />

Ein BMW ist immer so individuell wie sein Fahrer. Und wie dessen Bedürfnisse. Deshalb wurde für Fahrer mit leichter bis mittelschwerer<br />

körperlicher Behinderung ein Programm entwickelt, das den Umbau jedes BMW zu einem behindertengerechten Fahrzeug ermöglicht:<br />

Fahrhilfen von BMW. Der BMW wird individuell umgerüstet, perfekt auf seinen Fahrer abgestimmt und dort ausgeliefert, wo er bestellt<br />

wurde – bei Ihrem BMW Vertragshändler oder in Ihrer BMW Niederlassung. Nachträgliche Umbauten sind nicht notwendig, weitere Wege<br />

und zusätzlicher Zeitaufwand entfallen. Mehr unter www.bmw.de. Sie können alternativ auch eine E-Mail an bmw-fahrhilfe@bmw.de<br />

schreiben oder unsere Hotline unter 0 18 02 44 44 02 anrufen (0,06 € pro Anruf aus dem Festnetz der Deutschen Telekom).<br />

Fahrhilfen von BMW. Unser Programm für Fahrer mit Handicap.


essay<br />

40<br />

Wohlstand und<br />

Tendenzen eines Klassenkrieges:<br />

Karneval/Fasching/Fasnacht ist vorbei, das Wort des von Heiner Geißler „Esel“<br />

gescholtenen FDP-Vizekanzlers Guido Westerwelle vom „anstrengungslosen Wohlstand“,<br />

dessen Verheißung nur „spätrömische Dekadenz“ nach sich ziehen könne<br />

ist verhallt. Aber es war nicht nur ein Wort, es war eine Kampfansage an alle, die<br />

Hilfe vom Staat beziehen, sei es aus Mutwillen oder echter Bedürftigkeit.<br />

L<br />

eider steht dieses unselige Wort in einer finsteren Propaganda-Tradition.<br />

Selbstverständlich ist die FDP nicht die<br />

NSDAP und Westerwelle nicht Goebbels. Nur ist es so, dass<br />

in Nazi-Propaganda-Filmen gerne Rechnungen aufgemacht<br />

wurden, dass behinderte Menschen zu viel kosten<br />

und damit gesunden „Volksgenossen“ das Brot wegfressen<br />

würden. In der Folge gab es eine „Endlösung auf Probe“,<br />

der NS-Staat versuchte mit weitestgehendem Erfolg<br />

behinderte Menschen auszurotten. Das betraf durchaus<br />

nicht nur geistig Behinderte: Auch z.B. zerebral Gelähmte<br />

(„Spastiker“) konnten nur mit Glück den zweiten Weltkrieg<br />

überleben. Die Ermordung zehntausender behinderter<br />

Menschen (auch mit Zyklon-Vergasungs-„Duschen“) war<br />

dann das Modell für den Holocaust an der jüdischen Bevölkerungsgruppe.<br />

So war es und nicht anders, leider wissen<br />

das längst nicht mehr alle…<br />

Nun werden auch die finstersten Pessimisten nicht glauben,<br />

dass der profilierungssüchtige Vizekanzler einen<br />

oder zwei neue Völkermorde plant. Nur wird man doch<br />

wohl noch sagen dürfen, dass auch diese aggressive Propaganda<br />

ohne die folgenden Untaten bereits hoch bösartig<br />

und gefährlich ist. Der Mann ist ja nicht dumm, warum<br />

tut er also so etwas?<br />

Die Frage ist so naiv, wie die simple Antwort deprimiert:<br />

Weil er es kann. Diese Strategie von den aktuellen Problemen<br />

abzulenken ist möglich und billig, wenn auch<br />

verwerflich, aber wen schert das heute noch. Der Staat<br />

hat zu wenig Geld, das ist Tatsache. Die Löcher klaffen in<br />

den Straßen vor allem der westdeutschen Kommunen (im<br />

Osten sind sie einfach oft neuer) ebenso wie in den Sozialhaushalten.<br />

Gleichzeitig ist so viel Geld und Wohlstand<br />

auf der Welt wie noch nie in der Menschheitsgeschichte,<br />

nur eben leider in immer geringerer Anzahl privater Hände<br />

oder weltumspannender gewissenloser Konzerne, die<br />

lediglich der Geldvermehrung verpflichtet sind und nicht<br />

etwa dem Schutz von Menschenleben oder Umwelt. Ich<br />

spare mir an dieser Stelle die Liste der Verbrechen gegen<br />

die Menschlichkeit, der Kriege um Rohstoffe oder geopolitsche<br />

Einflüsse (auch da geht es letztlich nur ums Geld),<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

der Öltransporte in einschaligen Rosttankern, dem leichtfertig<br />

produzierten oder tödlich strahlenden Müll und und<br />

und und….<br />

Wer ist schuld?<br />

Jetzt sind also die Hilfsbedürftigen schuld. Die Hartz-Gesetze<br />

sind eine üble Erfindung des Küchenkabinetts namens<br />

Doris Schröder gewesen, wie man hörte. Höchstrichterliche<br />

Entscheidung machte gerade Nachbesserungen<br />

erforderlich, die Begünstigten dieser neuen „Ausnahmeregelungen“<br />

sollen u.a. explizit „Rollstuhlfahrer“ sein. Also<br />

– alles wird gut? Der FDP-Häuptling meint ja nicht uns, nur<br />

die Schmarotzer? Vorsicht!<br />

Wer will schon bezweifeln, dass es faule Socken gibt. Sicher<br />

auch solche Familien, die seit Jahrzehnten vom Staat<br />

leben und andere ohne Not für sich zahlen lassen. Dafür<br />

darf z.B. jemand wie ich zahlen, oft Jahrzehnte lang berufstätige<br />

behinderte Menschen, die nach Kräften ihren Lebensunterhalt<br />

erwirtschaften und locker den Gegenwert<br />

eines freistehenden Einfamilienhauses in die Sozialkassen<br />

transferieren. Um damit was zu erreichen? Jedenfalls keine<br />

Sicherheit. Erst vor wenigen Jahren, als es auf einmal hieß:<br />

Ätsch, die Arbeitslosenversicherung ist gar keine Versicherung,<br />

das Geld, was Du kleiner Beitragszahler eingezahlt<br />

hast, ist ja längst weg. Und die Rente ist auch nicht mehr<br />

„sischä“ wie der Bundes-Blüm einst tönte, diese Beiträge<br />

wurden im Übermaß für jetzige Rentner ausgegeben, auch<br />

für das Abenteuer Wiedervereinigung, bei dem mal wieder<br />

Verluste vergesellschaftet und Gewinne teils hochkriminell<br />

in großen Taschen landeten, auch mit politprominenter<br />

Unterstützung.<br />

Tatsache ist, dass, behindert oder nicht, ein älterer Arbeitnehmer,<br />

der schuldlos seinen Job verliert, nach einem Jahr<br />

genauso mies behandelt wird wie ein notorischer Faulenzer<br />

und Säufer. Das ist nicht nur ungerecht, das ist ein<br />

himmelschreiendes Unrecht. Und wer da behauptet, Hartz<br />

wäre ein Ruhekissen, der hält dann wohl auch Deutschland<br />

für das alte Rom und Madame Merkel für Nero. Wer z.B. als


Propaganda<br />

behinderter Mensch von Sozialleistungen leben muss,<br />

kann nicht anders als verzichten: Auf Kultur, Besuche bei<br />

Freunden, soziales Leben allgemein – und Mobilität. Dass<br />

aber ein behinderter Arbeitnehmer die Altersgrenze<br />

im Job nicht erreicht, (auch nicht wenn die eine knappe<br />

Handvoll Jahre früher in Sicht kommt) ist nichts anders als<br />

höchstwahrscheinlich. Die alte Erwerbsunfähigkeitsrente<br />

hat man aber kurzerhand abgeschafft, die jetzigen Teilund<br />

Zeitlösungen sind ein sicherer Weg in die Altersarmut<br />

– nach einem besonders harten Erwerbsleben. Und das<br />

alles kreiert von den Angehörigen einer politischen Kaste,<br />

die sich selbst ständig wachsende Einkommen genehmigt,<br />

während sich fast alle anderen mit teils dramatisch sinkenden<br />

Einkommen arrangieren dürfen – bei steigendem<br />

Arbeitsanfall.<br />

Blindwütiges Sparen<br />

Versicherten fällt in letzter Zeit auf, dass auch bisher gutwillige<br />

Kassen zu blindwütigen Sparkassen werden (siehe<br />

auch die regelmäßige „Sparschwein“-Kolumne in diesem<br />

Heft). Ich rede hier nicht von Luxus, abgelehnt werden Roll-<br />

Anzeige<br />

stühle nach Stand der Technik, simple Standardmodelle,<br />

die locker 50 % mehr wiegen (und von den Nutzern bewegt<br />

werden müssen) werden als hinreichend erachtet. Auch<br />

Physiotherapie, die lebenslänglich Behinderten lediglich<br />

die Restbeweglichkeit erhalten soll (um z.B. arbeitsfähig<br />

zu bleiben) steht erbarmungslos auf dem Prüfstand. Dabei<br />

schert es weder die Sparkassen noch die (medi-) zynischen<br />

Dienste, ob der Patient dabei kaputt geht, Hauptsache, die<br />

Kohle stimmt. Der zynische Dienst und seine Schergen lassen<br />

sich meist nicht einmal dazu herab auf die Argumente<br />

behandelnder Mediziner auch nur einzugehen, geschweige<br />

denn den Patienten und seine Bedürfnisse (und Leiden)<br />

anzusehen. Das nenne ich menschenverachtend.<br />

Was ist das eigentlich noch für ein Staat? Obama holt sich<br />

das Geld von den Banken wieder, das die verbrannt haben.<br />

Frau Kanzlerin feiert mit den feinen Herren Feste. Und lässt<br />

ihren Vizekettenhund geschickt Stimmung machen – gegen<br />

die Opfer einer unfähigen, feigen und Geld hörigen<br />

Politik.<br />

Text: Peter Mand<br />

Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau<br />

Das qualifizierte Behandlungszentrum für Querschnittgelähmte im Süden<br />

Deutschlands zur<br />

• umfassenden Akutbehandlung bei Verletzungen und Erkrankungen des<br />

Rückenmarks<br />

• Frührehabilitation mit fachübergreifender ärztlicher Betreuung einschließlich<br />

der Neuro-Urologie<br />

• Behandlung aller lähmungsbedingten Komplikationen<br />

• lebenslange Nachsorge<br />

Ambulante Behandlung und umfassende Beratung über eine Spezialsprechstunde.<br />

Kontaktaufnahme: Telefon +49 (8841) 48-2940<br />

Fax +49 (8841) 48-2115<br />

e-mail dmaier@bgu-murnau.de<br />

Internet www.bgu-murnau.de<br />

essay


sport sport<br />

Rollstuhl-Rugby<br />

FGQ<br />

-Ansprechpartner Thorsten Staar hatte während<br />

seiner Umschulung zum Bürokaufmann in Heidelberg 1997<br />

die Mannschaftssportart für Tetraplegiker (Beeinträchtigung an<br />

mindestens drei Gliedmaßen) ausprobiert und kennengelernt.<br />

Als er nach erfolgreichem Abschluss wieder in seine Heimatstadt<br />

Halle zurückkam, wollte er sie unbedingt weiter aktiv ausüben.<br />

1999 gab es im Osten Deutschlands Teams in Berlin, Dresden<br />

und Greifswald, letztgenannte waren damals auch gerade<br />

in der Aufbauphase. Wie also geht man die ganze Sache an?<br />

Nachdem die organisatorischen Vorbereitungen und Formalitäten,<br />

wie Vereinsgründung etc. erledigt waren, konnte es im Januar<br />

2000 endlich losgehen. Hier half ein größerer Sportverein<br />

aus Niedersachsen. Die neu modernisierten BG- Kliniken Bergmannstrost<br />

Halle stellten ihre Sporthalle zur Verfügung, so dass<br />

ideale rollstuhlgerechte Bedingungen vorhanden waren und<br />

noch heute ein sehr gutes Training ermöglichen. Unterstützung<br />

gab es auch von der Ärzteschaft der Rückenmarkabteilung und<br />

dem Sanitätshaus Rehateam Halle, die defekte Rugbyrollstühle<br />

heute noch reparieren.<br />

In der Anfangsphase begann das Training mit vier Rollis plus<br />

vier Fussgängern in Betreuungsfunktion. Zwei von den Rollis<br />

waren in dieser Zeit gerade zur Rehabilitation auf der Rückenmarkstation<br />

der Klinik und ließen sich von Thorstens Begeisterung<br />

von dem Sport sofort anstecken. Mathias, ein frischverletzter<br />

junger Mann, musste später aus berufsbedingten Gründen<br />

später leider nach Berlin. Er blieb dem Verein und dem Sport<br />

42<br />

in Halle/Saale<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

aber stets verbunden. Heute spielt er durch seinen sportlichen<br />

Ehrgeiz in der 1.Bundesliga der Rollstuhl-Rugby-Liga. Zum Glück<br />

rückten im Lauf der Jahre immer wieder junge talentierte Spieler<br />

von der Rückenmarkstation der Klinik nach. Die Therapeuten der<br />

Klinik motivieren die Frischverletzten die angebotenen Sportarten<br />

auszuprobieren, hier besteht ein enger Kontakt. Begonnen<br />

wurde mit geliehenen Sportstühlen. Größere Spender und<br />

Einnahmen von den Krankenkassen für Rehabilitationssport<br />

ermöglichten nach und nach die Anschaffung vereinseigener<br />

Rugbyrollstühle. Seit Anfang 2004 nahm das Team dann regelmäßig<br />

am Punkspielbetrieb der Regionalliga Ost teil. Die „Saale-<br />

Rowdies“ sorgten für einige Überraschungen und sammelten<br />

vor allem jede Menge Spielerfahrung, wobei der Spaß immer im<br />

Vordergrund stand.<br />

Anfang <strong>2010</strong> fand die jährliche ordentliche Jahreshauptversammlung<br />

statt. Ein neuer Vorstand wurde gewählt. Erfreulicherweise<br />

fungiert nun das neue Mitglied Sandra Golla, die erste<br />

Spielerin der „Rowdies“ als Kassenwart. Wer sich für den Verein<br />

interessiert bzw. auch mitspielen will, kann sich gern telefonisch<br />

unter 03 45-2 90 08 70 beim Vorsitzenden Thorsten Staar melden.<br />

Training ist immer dienstags von 18 bis 20 Uhr in der Sporthalle<br />

der BG-Klinik. Rugbyrollstühle zum Ausprobieren sind auch<br />

vorhanden. Noch mehr interessante Informationen lassen sich<br />

unter www.saale-rowdies.de finden.<br />

Text & Foto:<br />

Handicap Club 99 Sachsen-Anhalt e.V.<br />

Kaum zu glauben<br />

wie schnell die Zeit<br />

vergangen ist. Der<br />

hallesche Rollstuhl-<br />

Rugby-Verein feierte<br />

im November 2009<br />

bereits sein zehnjähriges<br />

Bestehen.


Neue DVD:<br />

Selbst katheterisieren<br />

markt<br />

Der Intermittierende Selbstkatheterismus (ISK) ermöglicht trotz<br />

Einschränkungen bei der natürlichen Blasenentleerung ein<br />

selbstständiges und aktives Leben. In einer neuen DVD stellt<br />

UROMED, seit mehr als 40 Jahren Spezialist für Herstellung und<br />

Vertrieb urologischer Produkte, den Umgang mit dem ISK-Katheter<br />

SIMPLYCATH vor.<br />

Mittels anschaulicher3D-Animationen<br />

wird die Katheteranwendung<br />

erklärt – eine gute<br />

Hilfe, damit Betroffene<br />

die anfängliche<br />

Unsicherheit beim<br />

Katheterisieren<br />

überwinden können.<br />

Anwender und<br />

pflegende Angehörige erhalten wichtige Hinweise zum unkomplizierten Gebrauch von<br />

SIMPLYCATH bei Männern und Frauen sowie beim sogenannten Pouch, der künstlichen<br />

Blase.<br />

Mit SIMPLYCATH, der sich unauffällig in Handtasche oder Rucksack verstauen lässt, kann<br />

der Zeitpunkt der Blasenentleerung selbst bestimmt und damit ein großes Maß an Unabhängigkeit<br />

erhalten werden. Das Besondere am SIMPLYCATH, den es als Einzelkatheter<br />

und als System mit integriertem Urin-Auffangbeutel gibt, ist die Vorlaufspitze. Sie<br />

überbrückt den auch nach gründlicher Desinfektion niemals ganz keimfreien Harnröhreneingang<br />

und minimiert auf diese Weise das Risiko, dass mit der Katheterspitze Keime<br />

in die Harnblase gelangen und dort zu Infektionen führen.<br />

Die DVD mit dem rund 30-minütigen Anwenderfilm „Selbst katheterisieren mit Simplycath“<br />

kann ab sofort kostenlos direkt bei UROMED unter simplycath@uromed.de angefordert<br />

werden. Einzelne Sequenzen des Films stehen außerdem zum Download bereit<br />

unter www.simplycath.de.<br />

Mobiles Stehgerät<br />

Vitaline ist ein mobiles Stehgerät mit einer elektrischen Aufrichtmechanik. Es bietet<br />

Benutzern die Möglichkeit um im Prinzip ohne Hilfe von anderen zu stehen. Vitaline ist<br />

in zwei Größen zu bekommen.<br />

Vitaline Größe 1 ist bestimmt für eine Körperlänge von zirka 100 cm bis 160 cm.<br />

Vitaline Größe 2 ist bestimmt für eine Körperlänge von zirka 160 cm bis 205 cm.<br />

Anzeige<br />

Faltbar. Funktionell.<br />

Compact.<br />

Der neue küschall ® Compact<br />

vereint alles was man von<br />

seinem Rollstuhl erwartet:<br />

Höchste Qualität, Leichtigkeit<br />

& Design.<br />

Überzeugen Sie sich selbst!<br />

Vertrieb in Deutschland durch:<br />

INVACARE ® AQUATEC GmbH<br />

Alemannenstraße 10<br />

88316 Isny / Deutschland<br />

Telefon +49 (0) 75 62 / 7 00-0<br />

E-Mail info@invacare-aquatec.com<br />

Web www.invacare-aquatec.de<br />

küschall ® ist ein registrierter Markenname.<br />

Copyright© 2009, Küschall AG, Schweiz - Alle Rechte vorbehalten.


markt<br />

44<br />

Der Benutzer nimmt sitzend Platz im Vitaline.<br />

Hierdurch ist das Umsetzen in und aus dem<br />

Stehgerät relativ einfach zu machen. Mit der<br />

Handbedienung wird dann die elektrische<br />

Aufrichtungsmechanik in Bewegung gesetzt,<br />

wodurch der Benutzer langsam zum<br />

Stehen gebracht wird. Das zum-Stehenkommen<br />

mittels der elektrischen Aufrichtungsmechanik<br />

ist besser zu kontrollieren und<br />

sicherer als das zum-Stehen-kommen mit einem<br />

elektrischen Zugband. In jedem Moment der Aufrichtungsphase<br />

kann man stoppen und in aller<br />

Ruhe gucken, ob alles nach Wunsch verläuft<br />

und um sich an die Haltungsveränderung<br />

zu gewöhnen. In der Zeit des Stehens kann der Benutzer<br />

selbst mit der Handbedienung seine Haltung verändern.<br />

Vitaline ist einfach einzustellen.<br />

Dadurch, dass das Vitaline ausgestattet ist mit Antriebsrädern,<br />

ist es möglich innerhalb der Wohnung zum Beispiel<br />

Was ist neu beim<br />

THERA-Bewegungstraining?<br />

Der Aktiv-Passiv-Trainer THERA-vital ist jetzt noch beser<br />

ausgestattet und einfacher zu bedienen. Moderne Bewegungstrainer<br />

zeichnen sich dadurch aus, dass die Füße<br />

ohne fremde Hilfe einfach, schnell und sicher in den Fußschalen<br />

fixiert werden<br />

können – ohne<br />

Druckstellen zu verursachen.<br />

Genau so<br />

schnell muss sich<br />

die Fixierung nach<br />

dem Training auch<br />

wieder lösen lassen.<br />

Die neue Fußfixierung<br />

ist äußerst<br />

einfach zu bedienen.<br />

Mit leichtem<br />

Druck auf das Polster wird die Fußfixierung nach unten<br />

gedrückt. Der Fuß ist nun sicher fixiert. Dank der weichen<br />

und ergonomischen Polsterung gehören Druckstellen der<br />

Vergangenheit an. Für die optimale Anpassung an den Fuß<br />

sorgt ein Zahnrad-Raster, mit dessen Hilfe das Polster der<br />

Fußfixierung optimal auf Ihrem Fuß aufliegt. Somit ist der<br />

Fuß auch bei starken Spasmen optimal fixiert.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

vom Wohnzimmer in die Küche zu fahren. Sich im Stehen<br />

fortzubewegen ist für viele permanente Rollstuhlfahrer<br />

eine eindrückliche Erfahrung. Vitaline ist auch ohne die<br />

zwei Antriebsräder zu bekommen, wenn der Benutzer<br />

nicht über die volle Armfunktionen verfügt, um das Stehgerät<br />

fortzubewegen (Vitaline stationär).<br />

Vorteile bei der Benutzung des Vitaline Stehgerätes: Vorbeugen<br />

von Kontrakturen in Hüfte und Beinen, Stimulieren<br />

von Stuhlgang, Blutströmung, Atmung, Vorbeugung<br />

von Osteoporose, vereinfache Ausführung von täglichen<br />

Aktivitäten durch die Normalisierung der Muskelspannung<br />

(Spasmus), Training der Muskeln der oberen Extremitäten,<br />

Veränderung der Haltung nach lang andauerndem<br />

Sitzen.<br />

Kontakt: Vitaline Rehabilitationsmittel GmbH,<br />

In der Dickebank 1, 44809 Bochum,<br />

tel 02 34-4 17 58-48, Fax -49<br />

Der Farbbildschirm des neuen THERA-Trainers mit 26,4 cm<br />

Bildschirmdiagonale ist völlig unabhängig von Ihrem Blickwinkel<br />

hervorragend ablesbar. Ob seitlich oder von oben,<br />

auf dem Bildschirm sind die eigenen Trainingswerte (z.B.<br />

Leistung) immer optimal abzulesen. Dies gibt zusätzliche<br />

Sicherheit beim Training. Die äußerst einfache Bedienlogik<br />

ist zwar nicht neu, aber trotzdem eine Nennung wert. So<br />

sorgt beispielsweise die START/STOP-Ampelschaltung für<br />

eine äußerst einfache Bedienlogik. Und was kann sich ein<br />

Benutzer mehr wünschen, als ein Training, das auf Knopfdruck<br />

beginnt.<br />

Wer die THERA-Bewegungstrainer durch einen kostenlosen<br />

Test kennen lernen möchte, kann sich an die kostenfreien<br />

Rufnummer 08000-633 422 wenden.<br />

Weitere Infos unter www.thera-trainer.de


Mobiler Notruf mit Service und Telecare<br />

Die Komplettlösung „derButler®“ macht den Hausnotruf<br />

endlich auch außer Haus mobil und bietet mit seinen maßgeschneiderten<br />

Zusatzdiensten vom einfach bedienbaren<br />

Telefon bis zu Telecare-Funktionen alles in einem Gerät.<br />

Mit dem Multitalent stellt das Bonner Unternehmen FONI-<br />

UM Deutschland GmbH z.B. Rollstuhlfahrern einen zuverlässigen<br />

Begleiter an die Seite. Auf Knopfdruck erhält der<br />

Nutzer genau die Hilfe und den Service, der vorab über ein<br />

Internet basiertes Service-Portal eingerichtet wurde. Das<br />

IT-Gerät – nur unwesentlich größer und schwerer als ein<br />

Handy – ermöglicht den Nutzern mehr Bewegungsfreiheit<br />

und entlastet Pflegende. Oft ist es sinnvoller, anstelle des<br />

Krankenwagens erst einmal Angehörige, Nachbarn oder<br />

den Pflegedienst zu rufen. Über die Freisprechanlage können<br />

diese mit dem in Not geratenen Menschen sprechen.<br />

Das europaweit patentierte Ortungsverfahren hat FONI-<br />

UM aus einer Kombination von drei Systemen entwickelt:<br />

Grobortung über Handynetz, Nahbereichsortung mit eingebautem<br />

Peilsender, Ortungspieper im Gerät. Punktgenau<br />

werden Hilfebedürftige im Freien wie auch in Gebäuden<br />

aufgefunden.<br />

Das Multitalent Butler geht mit seinen 10 Notfall- und Servicefunktionen<br />

weit über den klassischen Hausnotruf hinaus.<br />

Mit dem sogenannten Funkfinger am Körper kann ein<br />

Notruf auch im Garten oder im Keller ausgelöst werden. Im<br />

Freien beträgt die Reichweite bis zu 250 Metern. Mit dem<br />

integrierten Neigungssensor, der einen Sturz oder selbst<br />

ein Zusammensinken als Notruf meldet, und dem konkur-<br />

Anzeige<br />

Kurpromenade 23/1<br />

76332 Bad Herrenalb<br />

Schwarzwald<br />

Informationen & Zimmerreservierung<br />

Telefon: 07083 / 5002-0<br />

Telefax: 07083 / 5002-299<br />

info@hotelak.de | www.hotelak.de<br />

renzlos sicheren Notfallortungs-System ist der Butler ein<br />

perfekter Begleiter im Alltag. Für den Telecare-Bereich ist der<br />

Butler mit einer Bluetooth-Schnittstelle zu medizinischen<br />

Messgeräten ausgestattet. So lassen sich beispielsweise<br />

Blutdruckdaten automatisch, sicher und grafisch aufbereitet<br />

an den Arzt oder den Pflegedienst übermitteln.<br />

Herzstück des Hightech-Geräts ist ein Internet basiertes<br />

Service-Portal. Hier werden die gewünschten Funktionen<br />

des Anwenders individuell und sicher programmiert sowie<br />

gesteuert und überwacht. Der Notruf der neuen Generation<br />

entspricht den gesetzlichen und technischen Normierungen<br />

als Pflegehilfsmittel-Produkt. Die monatlichen Kosten<br />

für Service und Mobilfunk liegen beim Butler zwischen<br />

17,90 und 27,90 € (inklusive<br />

60 Freiminuten) – je<br />

nachdem, ob der Notruf<br />

privat über Angehörige<br />

oder professionell über<br />

eine rund-um-die-Uhr<br />

besetzte Notruf-Zentrale<br />

organisiert werden soll.<br />

Der Butler kostet einmalig<br />

699 Euro und kann<br />

auch in Raten bezahlt<br />

oder gemietet werden.<br />

Infos: tel 02 28-908 731 0,<br />

www.fonium.de • eMail: info@fonium.de<br />

Barrierefreiheit zum Wohlfühlen<br />

für Gäste mit und ohne Behinderung<br />

Zentral und in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

zum Kurpark liegt das barrierefreie<br />

Hotel am Kurpark. Ohne nennenswerte<br />

Steigungen erreichen Sie Cafés, Geschäfte<br />

und erleben kulturelle Highlights im Kurhaus.<br />

Entspannen Sie und freuen Sie sich<br />

auf die vielfältigen Freizeitaktivitäten und<br />

Kurangebote in der Siebentäler Therme.<br />

61 Zimmer, davon 34 Appartements, alle<br />

rollstuhlgerecht und mit Notrufsystem,<br />

auf Wunsch mit Pflegebett ausgestattet<br />

Internetcorner<br />

Service: Bei Bedarf kann der im Haus<br />

ansässige Pflegedienst beauftragt werden.<br />

Sauna, Wellness-Wanne und Pflegebad<br />

Restaurant / Wintergarten<br />

markt


markt<br />

Verlosung bei Paravan<br />

46<br />

Am 18.Dezember 2009 fand in Pfronstetten-<br />

Aichelau bei der Firma PARAVAN ein Ereignis<br />

der besonderen Art statt. In der Vorweihnachtszeit<br />

wurden hier die Namen von<br />

sechs Gewinnern ausgelost, die an einem<br />

Preisausschreiben teilgenommen hatten,<br />

initiiert von einer Firma, die sich in ganz besonderem<br />

Maße um die Mobilitätsprobleme<br />

schwerbehinderter Menschen kümmert.<br />

(GW) Es ging an diesem Tag nicht mehr nur ausschließlich<br />

um HealthCare und medizinisch-technische<br />

Geräte – wie die Fahrzeuge für schwer- und<br />

schwerstbehinderte Menschen, die die Firma Paravan<br />

schon seit vielen Jahren mit viel Einfühlungsvermögen<br />

in die Probleme ihrer mobilitätseingeschränkten Kunden<br />

herstellt – diesmal fand unter notarieller Aufsicht<br />

die Auslosung der Gewinner statt, die sich in großer<br />

Zahl an einem Gewinnspiel der Firma beteiligt hatten.<br />

Immerhin lockte als erster Preis ein Paravan-Rollstuhl<br />

im Wert von 23 000 €, der an eine Teilnehmerin nach<br />

Köln ging. Die Namen fünf weiterer Gewinner wurden<br />

gezogen und bekannt gegeben durch den Staatssekretär<br />

Dieter Hillebrand, dem Behindertenbeauftragten<br />

der Landesregierung Baden-Württembergs. Dabei<br />

dankte der Politiker dem Geschäftsführer der Paravan<br />

GmbH Roland Arnold für die herausragenden Leistungen<br />

auf dem Gebiet der Behindertenmobilität. Damit<br />

wird vielen Menschen mit einer körperlichen Behinderung<br />

zur Freiheit verholfen. Hier zeigt sich deutlich,<br />

wie modernste Technik für die Teilnahme am nichtbehinderten<br />

Leben genutzt wird und somit zur Lebensqualität<br />

derer beiträgt, die in ihrer Mobilität sehr<br />

eingeschränkt sind. Eine solche Aktion zeigt aber auch<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

die Verbundenheit einer Firma mit ihren Kunden und<br />

ihr Engagement.<br />

Kontakt: www.PARAVAN.com<br />

Text und Foto: Gisela Werner<br />

Ausschreibung:<br />

1. Handbike-Fahrerlager<br />

im Elbsandsteingebirge<br />

(Bad Schandau)<br />

Zeit: 6. bis 16. Juni <strong>2010</strong><br />

(10 Übernachtungen)<br />

Teilnehmer: 10 (inklusive Begleitpersonen /<br />

Partner ohne Handikap)<br />

Unterkunft: Apparthotel „Am Schlossberg“<br />

Bad Schandau<br />

Preis: 550 EUR, darin sind enthalten:<br />

Übernachtung im Doppelzimmer,<br />

Halbpension<br />

Einmaliger Eintritt für Besuch des<br />

Nationalparkzentrums<br />

Organisationsgebühr<br />

Nicht enthalten sind: Eintrittsgelder<br />

Kosten für Fahrscheine<br />

Sonstige Nebenkosten<br />

Nach intensiven organisatorischen Vorbereitungen<br />

kann im Jahr <strong>2010</strong> erstmalig ein Treffen interessierter<br />

Handbiker in der Nationalparkregion „Sächsisch-Böhmische<br />

Schweiz“ stattfinden. Deutschlands östlichster<br />

Nationalpark befindet sich ca. 50km südöstlich<br />

der sächsischen Landeshauptstadt Dresden an der<br />

deutsch-tschechischen Grenze. Gemeinsam mit dem<br />

benachbarten Nationalpark „Böhmische Schweiz“<br />

in Tschechien und den umliegenden Landschaften<br />

bietet die Region ein breites Spektrum von Möglichkeiten<br />

und Einrichtungen für einen aktiven und erlebnisreichen<br />

Urlaub.<br />

Der Schwerpunkt des Handbike-Fahrerlagers liegt<br />

nicht so sehr auf dem Erbringen von sportlichen<br />

Höchstleistungen (wiewohl es dazu natürlich auch<br />

Gelegenheit gibt), sondern auf dem gemeinsamen Er-


leben einer faszinierenden Landschaft mit ihren bizarren<br />

Felsformationen und Hinterlassenschaften einer jahrhundertelangen<br />

Besiedelung im Schmelzpunkt zweier<br />

großer Volksgruppen. Neben dem ausgiebigen Erkunden<br />

des Umlands mit dem Handbike ist sowohl die Besichtigung<br />

von Sehenswürdigkeiten als auch Relaxen im<br />

Programm vorgesehen.<br />

Vorläufiges Programm:<br />

Tag 1 Anreise<br />

Tag 2 Besuch der Basteiaussicht sowie der Festung<br />

Königstein<br />

Tag 3 Handbiketour in die Sächsische Schweiz /<br />

Elbradweg<br />

Tag 4 Handbiketour in die Böhmische Schweiz<br />

Tag 5 Fahrt mit der Sächsischen Dampfschiffahrt nach<br />

Dresden-Pillnitz und Besuch des Schlosses<br />

Tag 6 Handbiketour in die Sächsische Schweiz<br />

Tag 7 Rolliwanderung von Hohnstein auf die Brand-<br />

aussicht (optional), Besuch des Nationalzentrums<br />

Tag 8 Handbiketour nach Stolpen und Umgebung<br />

Anzeige<br />

Wir machen Sie mobil<br />

info@gg-technik.ch<br />

http: / /www.gg-technik.ch<br />

Grüter + Gut<br />

Motorradtechnik GmbH<br />

Hochdorfstrasse 9<br />

CH-6275 Ballwil<br />

Tag 9 Stadtbesichtigung und Einkaufsbummel in<br />

Dresden<br />

Tag 10 Abreise<br />

Es besteht keine Pflicht, an den geplanten Veranstaltungen<br />

teilzunehmen. Die leistungsorientierten Teilnehmer<br />

können also auch selbst organisierte Trainingseinheiten<br />

einschieben. Für diejenigen Touren, welche nicht in<br />

Bad Schandau starten – d.h. also üblicherweise fast alle<br />

Besichtigungen sowie die Rolliwanderung zum Brand<br />

– sollte die Anreise vom Hotel aus mit dem eigenen Pkw<br />

erfolgen. Ich wünsche uns eine schöne Zeit und einen<br />

regen Gedankenaustausch. Handbiker aller (Bundes)<br />

Länder, vereinigt euch!<br />

Kontakt: Veit Riffer<br />

Handbiker, Nationalparkführer für die<br />

Sächsische Schweiz<br />

eMail: veit.riffer@gmx.de<br />

Anzeige<br />

Lifta in Ihrer Nähe:<br />

Kiel<br />

Hamburg<br />

Berlin<br />

Dresden<br />

Gera<br />

Leipzig<br />

Bremen<br />

Hannover<br />

Gelsenkirchen<br />

Frankfurt<br />

Mannheim<br />

Stuttgart<br />

Freiburg<br />

Ulm<br />

Nürnberg<br />

München<br />

… sowie in 80 weiteren Städten<br />

<br />

markt<br />

Lifta – der meistgekaufte Treppenlift<br />

Zuhause mobil bleiben<br />

Sicher Treppenfahren<br />

Selbständigkeit erhalten<br />

Über 70.000 verkaufte Liftas<br />

Neu: Treppenlift-Finanzierung<br />

(8,9 % eff. Jahreszins)<br />

GUTSCHEIN<br />

Ja, schicken Sie mir meinen Prospekt –<br />

kostenlos und unverbindlich.<br />

Lifta GmbH, Abt. PA 26, Horbeller Straße 33, 50858 Köln


satire satire<br />

48<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Anzügliche Missverständnisse:<br />

Unschuldiges Opfer ?<br />

Unser Autor widmet sich in folgendem einem schlüpfrigen Thema, bei<br />

dem gerade die augenfälligen Defizite des Behinderten zu Missverständnissen<br />

führen. Die geschilderten Fälle sind authentische Begebenheiten,<br />

keine Phantasieprodukte, das behauptet er jedenfalls...<br />

Heute möchte ich Ihnen etwas erzählen, was<br />

mir schon lange unter den Nägeln brennt, oder,<br />

um gleich zum Thema zu kommen: auf den Sack<br />

geht: Die ständige sexuelle Anmache von unseresgleichen<br />

durch den läufigen Mitbürger,<br />

der offenbar meint,<br />

der Behindi sei nichts<br />

weiter als ein Sexspielzeug<br />

für ihn und müsse<br />

jederzeit willig und<br />

ihm sexuell gefügig<br />

sein. Und der dieser<br />

seiner (Fehl-)Einschätzung<br />

auch<br />

täglich im Umgang<br />

mit dem<br />

Behinderten<br />

Ausdruck verleiht.<br />

Dazu<br />

ein paar Beispiele.<br />

Ich saß<br />

unschuldig<br />

(die Hände<br />

NICHT in der Hose!) im<br />

Supermarkt vor dem Kühlregal und betrachtete<br />

offenbar allzu sehnsüchtig die Joghurtbecher<br />

weit oberhalb meiner Reichweite. Schlich<br />

sich eine junge Dame von hinten an mich heran,<br />

mit der Frage: „Soll ich Ihnen einen runterholen?“<br />

Als ich entgegnete, ja gerne, aber doch bitte nicht<br />

gleich hier, ob wir das nicht wenigstens etwas abseits<br />

in ihrem Pkw erledigen könnten, geriet sie<br />

sichtlich ins Schleudern.<br />

Als mir an der Kasse, wieder einmal mit der Frage<br />

konfrontiert „Wie viele Eier haben Sie denn?“,<br />

endgültig der Kragen platzte und ich ob dieser<br />

wiederholten sexuellen Anmache wohl etwas ge-<br />

reizt antwortete, natürlich zwei, wie jeder andere<br />

Mann auch, da ändere der Rollstuhl grundsätzlich<br />

erst mal überhaupt nichts dran, aber Sie können<br />

ja schnell mit mir zu den Regalen rübergehen und<br />

das prüfen, wenn Sie mir einen RUNTERHOLEN<br />

(Letzteres sagte ich dann lieber doch nicht), erntete<br />

ich nur verständnislose Blicke. Zu diesem Fall<br />

wäre anzumerken, dass man in unserem Discounter<br />

die angebotenen Schachteln nach eigenem<br />

Ermessen mit Hühnereiern teilbefüllen darf – was<br />

aber eigentlich nichts zur Sache tut und nicht von<br />

der Obszönität der Kassiererin ablenken soll.<br />

Anmache durch Verkaufspersonal<br />

Im Musikmarkt saß ich nachdenklich vor der unüberschaubaren<br />

Auswahl an Sortiersystemen<br />

für CDs. Kam die Verkäuferin angelatscht und<br />

fragte frech: „Hasch keinen Ständer?“ Ich betastete<br />

meinen Schritt und meinte: „Nein, momentan<br />

gerade nicht!“ Ein bezeichnender Fall, typisch für<br />

den Umgang des Normalo mit dem Behindi. Eine<br />

schamlos-obszöne Direktheit – die Dumpfbacke<br />

kapiert‘s ja eh‘ nicht! – dem sexuell gestörten<br />

Behindi gegenüber, dem nach Meinung des Verkaufspersonals<br />

offenbar schon beim Betrachten<br />

simpler Plastikgestelle seine Sexualität völlig entgleist.<br />

So, wie er ja auch seine Beine nicht unter<br />

Kontrolle hat, seine Blase, seinen Darm – und den<br />

man dann auch gleich noch darauf ansprechen<br />

muss.<br />

Zwecks Erwerb der zur Restaurierung meines<br />

Schrankes nötigen Utensilien begab ich mich in<br />

den Baumarkt. Angesicht der Unerreichbarkeit<br />

des dortigen Holzsortiments, wandte ich mich an<br />

einen Verkäufer. „I bräucht‘ a Latte!“ Kommt mir<br />

der doch mit der unverschämten Frage zurück,<br />

ob ich es schon einmal mit Viagra versucht hätte!<br />

Ich spare mir dazu jeden Kommentar. Offenbar


aucht dieser Strahlemann mit seinen missglückten<br />

Witzen hinter seinem Schalter selbst<br />

Viagra, um seine Nudel al dente zu bekommen.<br />

Ist ja nur tröstlich, dass der Typ mir nicht angeboten<br />

hat, er könne mir auch gleich persönlich eine<br />

Latte besorgen. Dennoch ist und bleibt es eine<br />

Schweinerei, sofort den sexuellen Diskriminierungshammer<br />

rausschnellen zu lassen. Ich wechselte<br />

den Baumarkt.<br />

Verkehrsfunk<br />

Als Querschnitt L3-4-5 habe ich gewisse Probleme<br />

mit gewissen Sexualfunktionen und vor<br />

allem mit der zum Orgasmieren nötigen Sensorik.<br />

Um die Sache zu erleich- tern, sah ich<br />

mich in gewissen Shops nach g e -<br />

wissem Spielzeug um. Dass<br />

selbst Profis des erogenen<br />

Gewerbes Probleme mit<br />

behinderlicher Sexualität<br />

haben, bewies mir nachfolgende<br />

Begebenheit.<br />

Als wir uns zusammen<br />

quer durch das Sortiment<br />

arbeiteten,<br />

erklärte ich der<br />

Fachverkäuferin<br />

ganz offen mein<br />

Problem. Nein,<br />

lasche Gumminoppen<br />

seien<br />

für meine<br />

Bedürfnisse<br />

einfach zu<br />

weich, die<br />

aufblasbare Dolly viel<br />

zu schlapp, das Reizstromgerät<br />

habe nicht genügend Saft. Schließlich meinte<br />

diese Tussi genervt, ich solle mich doch besser in<br />

einem Baumarkt nach Spielzeug umsehen. Denn<br />

Kettensägen, Hobelmaschinen, Schmirgelpapier<br />

und elektrische Kuhzäune führten sie hier nicht<br />

einmal in der Sado-Maso-Abteilung. Aber mit<br />

dem Baumarkt will ich nichts mehr zu tun haben…<br />

Wie man mir berichtete, bleiben auch die weiblichen<br />

Rolli-Kolleginnen keineswegs von solcher<br />

Anmache verschont. Eine Dame mit Dackellähme<br />

erzählte mir, wie sie einmal vor dem Supermarkt,<br />

als sie die Lebensmittel gerade in ihren Pkw ver-<br />

frachtet hatte, von einem jungen Mann mit der<br />

Frage angemacht wurde: „Darf ich Ihnen den<br />

reinschieben?“ Die Dame wusste sich zu wehren.<br />

Wie sich später in der Notaufnahme herausstellte,<br />

wollte der junge Mann ihr lediglich hilfsbereit den<br />

Wagen in den Supermarkt zurück „reinschieben“.<br />

Er hätte sich nur bedachter ausdrücken müssen.<br />

Kürzlich ließ ich mich beim Rundfunk als einer<br />

dieser vielen Verkehrsmelder registrieren. Jetzt<br />

muss ich dort jedes Mal anrufen, bevor ich Verkehr<br />

habe. Als wieder mal einer der Moderatoren<br />

meldete, es lägen ihm derzeit keine aktuellen Verkehrsbehinderungsmeldungen<br />

vor, klingelte ich<br />

im Studio an und meldete, wie behindert ganz<br />

aktuell mein Verkehr sei, seit ich querschnittgelähmt<br />

bin. Der Sender weigerte sich allerdings,<br />

diesen Tipp auszustrahlen.<br />

Hier ist die Politik gefragt.Schärfere<br />

Gesetze<br />

gegen die<br />

sexuelle Ausbeutung<br />

des Behindertenmüssen<br />

auf den Weg<br />

gebracht werden.<br />

Jede Berufsgruppe<br />

mit Kundenkontakt<br />

muss schon in der<br />

Grundausbildung über<br />

die sexuellen Bedürfnisse<br />

des Behinderten aufgeklärt<br />

werden, damit künftig<br />

obig geschilderte peinliche<br />

Entgleisungen unterbleiben.<br />

Zudem gilt es mehr Geld in die<br />

Forschung zu investieren, dam<br />

i t die Industrie in naher Zukunft<br />

auch dem sensorisch eingeschränkten Behinderten<br />

Sexspielzeug anbieten kann, das diesem wenigstens<br />

eine rudimentäre Grundversorgung an<br />

erogenen Reizen vermittelt.<br />

Text & Fotos:<br />

Alexander Epp<br />

satire satire<br />

PARAPLEGIKER 1/10 49


ericht<br />

Wissenschaft auf neuen Wegen:<br />

„Reisen und Ergotherapie“<br />

Die Probanden<br />

schilderten,<br />

dass auf den ersten<br />

Reisen alles<br />

100% rollstuhlgerecht<br />

sein musste,<br />

aber sie sich mit<br />

der Zeit fremde<br />

Situationen mehr<br />

zutrauten.<br />

50<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

(pmd) Drei junge (deutsche) Ergotherapeutinnen haben ihre Bachelorarbeit<br />

an der (grenznahen) niederländischen „Hogeschool Zuyd“ über das oben<br />

erwähnte Thema geschrieben. Sie haben sich in einer wissenschaftlichen<br />

Studie mit den „Erfahrungen von Erwachsenen mit einer Querschnittlähmung<br />

(Th1 bis L3) bei der Planung und Durchführung einer selbstorganisierten<br />

Reise“ befasst. Bemerkenswert scheinen die beruflichen Ziele, die in<br />

der Arbeit thematisiert werden: Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche<br />

Teilhabe und Verbesserung der Lebensqualität.<br />

Reisen im Rollstuhl ist nicht immer einfach,<br />

aber durch eine gute Planung können viele Hindernisse<br />

vermieden werden. Neun Menschen<br />

mit einer Paraplegie erzählten im Rahmen einer<br />

Studie von drei Ergotherapeuten, welche Erfahrungen<br />

sie auf ihren Reisen machten. Gemeinsam<br />

entstanden Tipps und Informationen, worauf<br />

bei einer Reise im Rollstuhl geachtet werden<br />

sollte, um Schwierigkeiten zu umgehen. Die Studie<br />

zeigt, welche Erfahrungen Menschen mit einer<br />

Querschnittlähmung (im Bereich Th1 bis L3)<br />

bei der Planung und Durchführung einer selbstorganisierten<br />

Reise machten. Neun Sportler/innen<br />

(27 bis 63 Jahre alt), deren Eintritt der Querschnittlähmung<br />

2 bis 44 Jahre zurücklag, reisten<br />

zum Teil ohne Begleitperson in den letzten 3<br />

Jahren unterschiedlich viel weltweit. Sie nutzten<br />

verschiedene Verkehrsmittel und Unterkünfte.<br />

Die Probanden schilderten, dass auf den ersten<br />

Reisen alles 100% rollstuhlgerecht sein musste,<br />

aber sie sich mit der Zeit fremde Situationen<br />

mehr zutrauten.<br />

Planung der Reise<br />

Die Teilnehmer nutzen mehrere Wege der Informationsbeschaffung.<br />

Im Internet gibt es nur<br />

Standardmasken, welche die individuellen Bedürfnisse<br />

von Rollstuhlfahrern nicht erfassen.<br />

Jedoch bieten sich Foren, Rollstuhlsportvereine,<br />

Behindertenratgeber und Reisekataloge zur<br />

Informationsbeschaffung an. Es empfiehlt sich<br />

auch im Urlaubsort oder auf der Durchreise Informationen<br />

für weitere Reisen zu sammeln und<br />

die Unterkünfte auf ihre Zugänglichkeit zu prüfen.<br />

Unter „www.argeurlaub.de“ erhält man gute<br />

Reisetipps von anderen Rollstuhlfahrern. Es ist<br />

aber keine Reisebuchung möglich. Diese sollte<br />

im Reisebüro erfolgen, da es über Sonderzugriffe<br />

(z.B. Angaben zu Türbreiten) verfügt. So buchten<br />

vier Probanden im Anschluss an ihre eigene Recherche<br />

im Reisebüro und ließen nachfragen, ob<br />

das Hotel rollstuhlgerecht ist. Bei der Buchung<br />

einer Flugreise sollten das kostenfreie Zusatzgepäck<br />

und der angemeldete Rollstuhl schriftlich<br />

bestätigt werden:„Also wir bekommen eine<br />

schriftliche Bestätigung, die ist uns wichtig.“ An<br />

den meisten deutschen Flughäfen gibt es kostenlose<br />

Parkplätze für Rollstuhlfahrer (siehe:<br />

http://www.myhandicap.de/behindert_umsonst_parken_flughaf.html).<br />

Am Flughafen sind<br />

die Leihrollstühle oft im schlechten Zustand.<br />

Die Toiletten im Flugzeug sind oft für Rollstuhlfahrer<br />

nicht erreichbar, weshalb die Flugdauer<br />

vorher abgeklärt werden sollte. Um den Zugang<br />

zu der Toilette auf Fernflügen zu gewährleisten,<br />

ist es wichtig einen so genannten Bordrollstuhl<br />

zu ordern. Auf Kontinentalflügen (Kurz-, u. Mittelstrecken)<br />

gibt es keine Bordrollstühle, sodass<br />

gehunfähigen Passagieren der Zugang zum WC<br />

verwehrt wird.<br />

In der Studie wurde deutlich, dass Bahnreisen<br />

vermieden wurden. Um den Service für Rollstuhlfahrer<br />

auf Bahnreisen in Anspruch nehmen<br />

zu können, muss man sich mindestens einen<br />

Werktag vorher anmelden: www.bahn.de/handicap.<br />

Der Transfer zum Hotel und die Hilfsmittel<br />

für den Mietwagen sollten gleich dazu gebucht


und der Rollstuhl angegeben werden. Vor Reiseantritt<br />

muss der Transfer (z.B. vom Flughafen<br />

zum Hotel) abgeklärt und sichergestellt werden,<br />

dass das Verkehrsmittel, das einen abholt und<br />

zum Hotel bringt, zugänglich ist.<br />

Urlaubsort & Unterkunft<br />

Durch das Verstauen von wichtigen Unterlagen,<br />

wie Reisechecks oder Flugpapiere, unter dem<br />

Sitz des Rollstuhls können diese nicht gestohlen<br />

werden. Im Urlaubsort ist damit zu rechnen, dass<br />

Bordsteinkanten sehr hoch und alte Sehenswürdigkeiten<br />

oftmals nicht barrierefrei sind. Auch<br />

eine barrierefreie Unterkunft im Urlaubsort ist<br />

derzeit noch nicht sichergestellt. In Deutschland<br />

und im Ausland existieren Mindeststandards für<br />

Barrierefreiheit, die nicht rechtsverbindlich sind<br />

(http://nullbarriere.de/). Begrifflichkeiten wie<br />

„rollstuhl- oder behindertengerecht“ sind daher<br />

nicht eindeutig definiert. Wichtig ist es daher,<br />

sich die Unterkunft vorher beschreiben zu lassen<br />

und Maßangaben (z.B. Türbreiten), sowie die<br />

Ausstattung des Zimmers, auch des Bades, zu<br />

erfragen:„Ich gucke rein in das Badezimmer, alles<br />

rollstuhlgerecht und ich will rein und komme<br />

nicht rein!“ Eine Orientierung bei der Befragung<br />

ist anhand dieser Checkliste möglich: http://klassifizierung.de/checkliste_kategorien_ab.pdf.Angaben<br />

zur Unterkunft sollten schriftlich bestätigt<br />

werden, damit man abgesichert ist. Um zur Not<br />

das Hotel wechseln zu können, wurde empfohlen<br />

Anzeige<br />

sich Hotels in der Umgebung herauszusuchen.<br />

Das Hotel „Mar Y Sol“ (Teneriffa) ist komplett<br />

rollstuhlgerecht gebaut und bietet Pflegemaßnahmen,<br />

Therapien und Strandrollstühle an. Es<br />

wird für die erste Fernreise als Rollstuhlfahrer<br />

empfohlen:„Ja, weil das wirklich ein Hotel ist,<br />

das für einen Anfänger wirklich einfach top ist.“<br />

Da nicht in jedem Urlaubsort ein Sanitätshaus in<br />

unmittelbarer Nähe vorhanden ist, empfiehlt es<br />

sich, Werkzeuge (Luftpumpe etc.) und Ersatzteile<br />

(Schlauch) für den Rollstuhl mitzunehmen.<br />

Unterstützung durch<br />

Ergotherapeuten<br />

Ferien stellen häufig die schönste Zeit des Jahres<br />

dar und sollten deshalb mit möglichst wenigen<br />

Unannehmlichkeiten verbunden sein. Ergotherapeuten<br />

unterstützen Menschen, alltägliche<br />

Verrichtungen ausführen zu können und setzen<br />

sich dafür ein, dass die gesellschaftliche Teilhabe<br />

gewährleistet wird. Auch für eine bevorstehende<br />

Reise können Ergotherapeuten bei der Planung<br />

beratend tätig sein (z.B. bei der passenden Unterkunft,<br />

organisatorischen Vorkehrungen wie<br />

Zusatzgepäck, Hilfsmittel- und Angehörigenberatung).<br />

Ergotherapeuten bieten bereits Mobilitäts-<br />

und Verkehrstraining an, das auch vor Reiseantritt<br />

stattfinden könnte.<br />

Text:<br />

Evi Spreth, Stefanie Dahl, Jennifer Riedel<br />

bericht<br />

Ergotherapeuten<br />

bieten bereits<br />

Mobilitäts- und<br />

Verkehrstraining<br />

an, das auch vor<br />

Reiseantritt stattfinden<br />

könnte.


unterwegs<br />

52<br />

Fährtenleser mit Handbike<br />

„Erleuchtung gibt’s im<br />

nächsten Leben – Eine<br />

verrückte Reise durch<br />

Indien“ liegt druckfrisch<br />

vor, kostet 19,95 € und<br />

wurde erstmals in Köln<br />

und Bochum am 11. und<br />

12. Januar im Rahmen<br />

eines Multivisionsvortrages<br />

vom Autor selbst<br />

vorgestellt. Erschienen<br />

ist es im Piper-Verlag in<br />

München, hat 306 Seiten<br />

und kann über die<br />

ISBN-Nummer:<br />

978-3-89029-7621-3<br />

beim Buchhändler<br />

bestellt werden.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Andreas Pröve über Indien:<br />

Pröve gewinnt seine Leser spätestens auf<br />

der zweiten Seite mit seinem ureigenen humorigen<br />

Realismus, der manchmal aber nur<br />

von ebenfalls betroffenen Querschnittgelähmten<br />

verstanden wird. Bei seiner Ankunft<br />

auf dem Flughafen der Millionenstadt Mumbai<br />

(bis 1995 Bombay) an der indischen Westküste,<br />

muss er auf seinen Rollstuhl warten,<br />

der aus dem Gepäckbereich gebracht wird.<br />

Diese Minuten schildert er mit den Worten:<br />

„Mein Anblick in der Ankunftshalle muss jämmerlich<br />

gewesen sein – und so fühlte ich mich<br />

auch in diesem hässlichen Toilettenstuhl, wie<br />

ein zappelnder Maikäfer auf dem Rücken,<br />

der keinen Meter vorankommt. Schlimmer<br />

noch, als hätte man meinen Ferrari mit einer<br />

Seifenkiste vertauscht, fühlte ich mich den<br />

mitleidigen Blicken der übrigen Passagiere<br />

ausgesetzt. Klar, alles nur Einbildung, denn<br />

für die meisten Menschen ist Rollstuhl gleich<br />

Rollstuhl. Aber eben nicht für mich.“<br />

Mit „Erleuchtung gibt’s im nächsten Leben“<br />

schildert er seine jüngste dreimonatige „verrückte<br />

Reise durch<br />

Indien“. Indien,<br />

das Land, das<br />

er schon 14 mal<br />

bereiste, das ihn<br />

aber immer wieder<br />

aufs Neue mit unbekanntenAbenteuern<br />

lockt. Pröve,<br />

der seinen indischen<br />

Freund Nagender als<br />

seinen „Fährtenleser<br />

ins Herz der Inder“<br />

bezeichnet, schildert<br />

die gemeinsame Reise<br />

durch den Süden des<br />

Subkontinents, auf den<br />

Wegen, die Pilger zu den<br />

heiligen Orten ihrer Götter<br />

führen. Indien ist übersät<br />

von solche „Pilgerpfaden“.<br />

So sind es nur ausgewählte Strecken, die sich<br />

aneinander reihen und an denen abschnittweise<br />

am Ende Überraschendes und Kurioses<br />

auf sie zu warten scheint.<br />

Pröve reist mit seinem Handbike, unterstützt<br />

von einem hochgetunten (35 km/h), an seinem<br />

Bike adaptierten Verbrennungsmotor,<br />

für den er in Deutschland keine Zulassung im<br />

Straßenverkehr bekam. Damit fährt er mitten<br />

durch die Slums, an Obdachlosen vorbei, die<br />

sich Richtung Verkehr hockend am Straßenrand<br />

entleeren. Um obdachlose Kinder vor den<br />

Übergriffen der korrupten Polizisten Indiens<br />

zu schützen, legt er sich spontan mit ihnen an.<br />

Er setzt sich der Bedrohung durch Straßenräuber<br />

aus, nimmt bewusst lebensbedrohliche Situationen<br />

durch Lkw auf den Straßen in Kauf<br />

und wird dafür von den einfachen Menschen<br />

geachtet, die sogar ihr „Bett“, in einem Fall eine<br />

Stahlplatte, mit ihm teilen. Auch die Pilger akzeptieren<br />

ihn.<br />

Pröve gelingt gleichzeitig<br />

die Schilderung des pulsierenden<br />

Lebens auf Indiens<br />

Straßen und der intimster<br />

Situationen, Gedanken und<br />

Gefühle eines Rollstuhlfahrers.<br />

Er wendet sich auch<br />

gegen Diskriminierung<br />

der „Gutmenschen“, die<br />

es auch in Indien gibt,<br />

verliert aber dabei nicht<br />

die Achtung vor dem<br />

Glauben der Menschen.<br />

Er akzeptiert<br />

es, wenn er mit seinem<br />

Rollstuhl nicht<br />

in einen Tempel hineinfahren<br />

darf, weil<br />

der Straßendreck<br />

an seinen Reifen<br />

den heiligen Boden<br />

verunreini-


gen könnte; ohne Scham zu empfinden, lässt<br />

er sich dann eben von gemieteten Helfern<br />

hineintragen.<br />

Einerseits gewährt dieses Buch einen tiefen<br />

Einblick in ein fernes, fremdes Land, bringt<br />

uns seine Menschen nahe und lehrt uns die<br />

Vielschichtigkeit gläubigen Ausdrucks zu akzeptieren.<br />

Andererseits zeigt es uns, was der<br />

Wille eines Menschen bewirken kann. Pröve<br />

beweist und belegt, dass das Sprichwort: „Der<br />

Wille versetzt Berge“ seine Berechtigung hat.<br />

Für manchen betroffenen Querschnittgelähmten,<br />

der jetzt noch in der Klinik im Bett<br />

liegt und auf den das Leben im Rollstuhl wartet,<br />

wird Pröve wie ein Außerirdischer wirken.<br />

Aber genau für sie hat Pröve dieses Buch auch<br />

geschrieben. Er will ihnen signalisieren, dass<br />

man sich nicht entmutigen lassen darf, an seinen<br />

Träumen festhalten muss, seine Ziele unbeugsam<br />

verfolgen soll.<br />

Die Vorträge<br />

Pröve hat auch seine letzte Reise in präsentationsfähige<br />

„High Definition Audio Vision“ umgesetzt<br />

und reist damit durchs Land. Wie sein<br />

Buch bestechen auch seine Vorträge durch Detailfreude,<br />

Lebendigkeit und Offenheit. Ohne<br />

abzuschweifen reflektiert er dabei seine Gedanken<br />

und Gefühle und analysiert entsprechend<br />

die Handlungen und Reaktionen seiner<br />

Umwelt; er lässt den Zuhörer teilhaben. Das<br />

Ergebnis ist ein fesselnder und spannender<br />

Vortrag mit faszinierenden Bildern, der den<br />

Zauber des fernen Landes auf die Zuschauer<br />

überträgt.<br />

Zur Person<br />

Andreas Pröve, geboren 1957, verunglückte als<br />

23jähriger mit seinem Motorrad und ist seitdem<br />

unterhalb des achten Brustwirbels querschnittgelähmt.<br />

Schon drei Jahre nach seinem<br />

Unfall brach er im Rollstuhl zu seiner ersten<br />

Indienreise auf und tourte später monatelang<br />

durch Asien. In Handarbeit durchquerte er das<br />

Rebellengebiet im Norden Sri Lankas, folgte<br />

dem Ganges von der Mündung bis zur Quelle<br />

im Himalaja und „erfuhr“ die Wüsten zwischen<br />

dem Roten Meer und Euphrat.<br />

Er berichtete auch im Auftrag von „terre des<br />

hommes“ über die Ausbeutung der Kinder<br />

durch Indiens Teppichindustrie, recherchierte<br />

über die Straßenkinder Bombays und arbeitete<br />

zum Thema Kinderprostitution und die Ausbreitung<br />

von AIDS in Thailand. Er beschrieb<br />

den Überlebenskampf der Slumbewohner Kalkuttas<br />

und besuchte unterdrückte Bergvölker<br />

im Grenzgebiet von Burma, Laos und Thailand.<br />

Seine 25 jährige Arbeit wurde bereits vielfach<br />

mit Preisen ausgezeichnet. Mit Frau und Kindern<br />

lebt Pröve heute in seinem Elternhaus<br />

am Südrand der Lüneburger Heide.<br />

Text: Harry Baus<br />

Kontakt:<br />

Andreas Pröve<br />

Hinter Kronen Hofe 2<br />

29339 Wathlingen<br />

tel 01 51 44-9 24 36<br />

eMail: a@proeve.com<br />

www.proeve.com.<br />

Anzeige<br />

unterwegs


unterwegs<br />

Auf dem Weg von Canmore<br />

nach Banff in den<br />

„Rocky Mountains“: Eine<br />

unglaubliche Landschaft<br />

öffnet sich. Seen wie der<br />

Moraine Lake oder der<br />

Lake Louise laden zum<br />

Verweilen ein und begeistern<br />

durch ihre wilde<br />

Fauna und Flora. Es erfordert<br />

eine große Disziplin,<br />

diese Strecke in<br />

dem vorgegebenen zeitlichen<br />

Rahmen zu durchfahren<br />

– zu groß ist die<br />

Versuchung wirklich alles<br />

fotografieren zu<br />

wollen…<br />

Der Sheriff lauert auf Temposünder<br />

und erwischt unseren Autor.<br />

54<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Alberta<br />

Fünf Wochen in Kanada (2):<br />

In Banff ist einiges zu bestaunen.<br />

Der Besucher findet<br />

im White Museum die<br />

weltweit beste Sammlung<br />

von Literatur zu den Rockys<br />

sowie zur Geschichte<br />

der Stadt und ihren Ureinwohnern,<br />

den Indianern.<br />

Auch das Luxton Museum<br />

beschäftigt sich mit dieser<br />

Geschichte. Das Buffalo Nation<br />

Museum, das einem<br />

alten Fort aus dem Wilden Westen ähnlich sieht,<br />

verbirgt hinter seinen Pforten alles, was in der<br />

Vergangenheit den Wilden Westen ausgemacht<br />

hat. Ein Muss sind die Upper Hot Springs, die heißen<br />

Quellen, die bestens auf den Besuch von behinderten<br />

Menschen eingerichtet sind. Wer sich<br />

noch einen Überblick über die Stadt und deren<br />

Umgebung machen möchte, fährt mit der Banff-<br />

Gondola auf den Gipfel des Sulphur Mountain. Einen<br />

Besuch des Golfplatzes sollte man nicht vergessen,<br />

denn hier sind gegen Abend die Hirsche<br />

Am Lake Moraine.<br />

bei ihrem Abendmahl zu beobachten: alles vom<br />

Auto aus im Abstand von zwei Metern!<br />

Der Hwy 93 führt nach Jasper, vorbei an den riesigen<br />

von Gletschern bedeckten Bergen hin zum<br />

Columbia Icefield mit dem Athabasca Gletscher.<br />

Im gut besuchten Icefield Center kann man eine<br />

Pause einlegen. Es hat genügend Parkplätze für<br />

behinderte Menschen und ist gut auf ihren Besuch<br />

eingerichtet. Die Weiterfahrt nach Jasper<br />

geht entlang der Gletscher und Seen mit ihrer<br />

umwerfenden Natur. Man bewegt sich auf einer<br />

Höhe von 2 000 m und links und rechts geht es<br />

weitere 2 000 m hoch. Der Pyramid Lake Jasper<br />

bei sehenswert, eine Steigerung bietet nur noch<br />

der Maligan Lake. Auf der Fahrt dorthin (50 km)<br />

kann man frühmorgens die Tierwelt der Rockies<br />

in freier Wildbahn erleben. Gewarnt wird vor Bären<br />

und Elchen, aber auch das freche Streifenhörnchen<br />

zeigt sich gerne dem Besucher.<br />

Am See angekommen lohnt es sich, die 90-minütige<br />

Seerundfahrt für 40 $ zu machen. Das Boot


ermöglicht Rollstuhlfahrern gemütlich am Heck<br />

ihren Platz einzunehmen und die Bootsfahrt<br />

durch die Landschaft voll herrlicher Fotomotive<br />

zu genießen. Highlight ist Spirit Island. Von<br />

dort führt der Weg weiter nach Barkerville, eine<br />

alte Goldgräberstadt. Der örtliche Sheriff lauert<br />

am Ortsende auf mich und verlangt von mir die<br />

Kleinigkeit von 340 Can Dollars, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung<br />

von 30 km/h. Erst<br />

nachdem ich ihn bitte mir meinen Rollstuhl aus<br />

dem Kofferraum zu nehmen, um auszusteigen,<br />

bekomme ich den „Behindertenbonus“ und darf<br />

ohne Strafe weiterfahren, mit dem Hinweis: „Canada<br />

is a very nice country and has a speedlimit!“<br />

Über Prince George geht es in den Norden, entlang<br />

am Fraser Lake nach Smithers und von dort<br />

zur Hafenstadt Prince Rupert. Die Reise mit der<br />

Fähre nach Port Hardy auf Vancouver Island dauert<br />

14 Stunden, morgens um 5 Uhr ist Abfahrt.<br />

Die Fähre ist mit drei barrierefreien Kabinen ausgestattet.<br />

Autos werden so platziert, dass es keine<br />

Probleme mit dem Ein- und Aussteigen gibt.<br />

Allerdings sollte man vermeiden freitags oder<br />

sonntags zu fahren.<br />

Auf der Inlandspassage reist man durch die Insellandschaft<br />

Queen Charlotte Island entlang<br />

der Westküste von Britisch Columbia. Obwohl<br />

ich eine Kabine gebucht habe, verzichte ich wegen<br />

der vielen Eindrücke problemlos auf meinen<br />

Schlaf. Erst um 22 Uhr kommen wir in Port Hardy<br />

an. Nach einem kurzem Aufenthalt geht es von<br />

der Nordspitze der Insel in Richtung Süden über<br />

Campbell River und Nanaimo, nach Duncan mit<br />

seinen Unmengen von Totems, zwei davon am<br />

Rathaus. Einer stammt von den amerikanischen<br />

Ureinwohnern, der andere von den Maori aus<br />

Neuseeland. In Chemainus hingegen gibt es fast<br />

keine Hauswand, die nicht kunstvoll bemalt ist.<br />

Zudem ist der Ort voll von Oldtimerfans, die ihre<br />

liebevoll restaurierten Autos am Sonntag zur<br />

Schau stellen.<br />

In Victoria, der Hauptstadt von Vancouver Island,<br />

erwartet mich eine bunte, lebendige Szene. Ich<br />

bin sofort verliebt. Zunächst fahre ich an die<br />

Südküste von Victoria zum Beacon Hill Park und<br />

lasse meinen Blick über das Meer in Richtung der<br />

gegenüberliegenden Küste der USA schweifen.<br />

Noch acht Tage und ich werde dort meine Nichte<br />

in Seattle besuchen. Doch vorerst stehe ich noch<br />

im Bann dieser vielseitigen<br />

Hauptstadt. Ich lasse mich<br />

am Abend in die Stimmung<br />

des Sonnenuntergangs und<br />

das bunte Lichterspiel der mit<br />

Lichterketten geschmückten<br />

Häuser ziehen. Das Parlament<br />

ist trotz Sommer annähernd<br />

weihnachtlich beleuchtet, daneben<br />

steht das Fairmont Empress<br />

Hotel. Hier geht es ‚very<br />

british’ zu und die Leute treffen<br />

sich zum Tee oder Cricket.<br />

Tags drauf reise ich mit der Fähre<br />

nach Vancouver, von dort<br />

weiter über den Sea to Sky<br />

Highway nach Whistler, den Ort<br />

der Olympischen Winterspiele.<br />

Eine Frage stellt sich mir allerdings<br />

immer wieder: Wie werden<br />

auf dem einzigen Hwy 99<br />

all die Leute von Vancouver zu<br />

den Spielen nach Whistler (120<br />

km) gebracht? Der Ort selbst<br />

ist eine Retortenstadt, gut geplant<br />

und fast ebenerdig. Im<br />

Sommer wimmelt es dort von<br />

Crossbikern, im Winter werden<br />

die Snowboarder und Skifahrer<br />

den Ort bevölkern. Ich hatte<br />

das Vergnügen mit der neuesten<br />

Seilbahn über ein 436<br />

m tiefes Tal zu fahren, und das<br />

barrierefrei. Von der Talstation<br />

Whistler Mountain (2 100 m)<br />

geht es zur 4,5 km entfernten<br />

Bergstation am Blackcomb<br />

Peak. Auf beiden Bergseiten<br />

gibt es zwei Träger, dazwischen<br />

3050 m freie Spannweite.<br />

Die herrlichen Wochen in Kanada gehen zu Ende,<br />

zum Abschluss führt mich meine Reise nun nach<br />

Seattle zu meiner Nichte und ihrer Familie. Dort<br />

will ich mich von der 3 400 km langen Reise erholen<br />

– habe ich zumindest vor…<br />

Text & Fotos:<br />

Johann Kreiter<br />

unterwegs<br />

Chemainus, die Stadt der<br />

Wandmalerei.<br />

Der Hwy 93 führt mitten durch<br />

die Rockies.<br />

Das Fairmont Empress Hotel<br />

in Victoria.<br />

Reiseveranstalter:<br />

Ahorn – barrierefrei reisen<br />

Zehntweg 16,<br />

51467 Bergisch Gladbach<br />

tel 0 22 02-9 80 99-0<br />

eMail: info@barrierefrei.de<br />

www. ahorn-barrierefrei.de<br />

PARAPLEGIKER 1/10 55


kleinanzeigen<br />

56<br />

Bayerisch – fetzig – modern<br />

Rollin‘ Didi spielt mit seinem Trio auf größeren Veranstaltungen für<br />

soziale Organisationen ohne Gage.<br />

www.berbling3.de<br />

Informationen gesucht<br />

Für meinen nationalen Zugänglichkeitskatalog http://rokodat-katalog.de.ki<br />

suche ich ständig ausführliche Informationen über barrierefreie<br />

öffentlich zugängliche Einrichtungen. Der Katalog enthält ein<br />

komfortables Meldeformular. RoKoDat Zentrum für Behinderteninformation,<br />

Jürgen Wecke, eMail: rokodat@gmx.de, tel 07 21-4 99 99 01<br />

Wer unterstützt Georgierin?<br />

Ich möchte Sie um Unterstützung bitten für Frau Nestan Japaridze<br />

aus Terjola/Georgien, Ärztin (auf Grund der Erkrankung seit<br />

12 Jahren nicht mehr praktizierend). Vor 12 Jahren konnte Frau<br />

Nestan von heute auf morgen nicht mehr laufen. Im Rahmen ihrer<br />

finanziellen Möglichkeiten hat sie sich in Georgien untersuchen<br />

lassen, leider ohne ein eindeutiges Ergebnis. Sie kann ihre Beine<br />

und Hände nur eingeschränkt bewegen. Allerdings kann sie nicht<br />

stehen. Bis jetzt wurde sie von ihrer alten Mutter gepflegt, doch<br />

die ist jetzt selbst pflegebedürftig geworden. Frau Nestan besitzt<br />

keinen Rollstuhl, dadurch ist jeder Platzwechselversuch für sie<br />

äußerst qualvoll. Der akute Bedarf an einen elektrischen Rollstuhl<br />

ist sehr sehr dringend. Leider reichen ihre finanziellen Mittel dafür<br />

nicht aus. Wer hat kann einen kostenfreien oder kostengünstigen<br />

gebrauchten E-Rollstuhl zur Verfügung stellen? Wer könnte eine<br />

evtl. kostenfreie Untersuchung bzw. ggf. Operation in Deutschland<br />

möglich machen? Antworten bitte an: Maka Bauer, tel 0 95<br />

21-95 84 59, mobil 0160-92 22 32 12, eMail: maka.bauer@gmx.de<br />

Ergometer<br />

Verkaufe einen Arm/beintrainer von motomed für Rollstuhlfahrer,<br />

VB 2 500 € oder Tausch gegen einen Treppenlifter für gerade Treppen<br />

(3,15 m Länge). Herbert J. Oswald,<br />

0 61 05-94 60 81 oder 01 71-2 88 55 95<br />

Lifestand Stehrollstuhl<br />

Verkaufe (Eigentum) Lifestand Stehrollstuhl, Baujahr 2001, neuwertig!<br />

Vorzüge: Mundsteuerung, Silikon-Greifreifenüberzüge, einteiliges<br />

Fußbrett, Sitzbreite 48 cm, Sitztiefe 50 cm, maximales Nutzergewicht<br />

120 kg, auf unterschiedliche Körpergrößen anpassbar, auf manuellen<br />

mechanischen Stehrollstuhl umbaubar, wartungsfreie Gelbatterien,<br />

30 kg schwer, Neupreis 10 000 € für 4 500 €, tel. 02 28-54 99 94 oder<br />

mobil 01 60-52 71 604<br />

GIGER MD Trainingsgerät<br />

Biete GIGER MD medical device Trainingsgerät in sehr gutem<br />

Zustand. Infos unter: www.gigermd.com. Marlies Grosse-Heilmann,<br />

tel 0 26 02-9 99 33 55, eMail: grosseheilmann@web.de<br />

Noch ein Giger MD<br />

Trainingsgerät für Querschnittsgelähmte/Spastiker/Hemiplegiker/<br />

Schlaganfallpatienten u.v.m. umständehalber zu verkaufen,<br />

tel 0 75 53-82 86 20 oder info@dieneuenbarden.de<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Duschstuhl<br />

Nie gebraucht, Neupreis 1 500 € und 80 Blasenverweilkatheter 14 CH,<br />

Nelaton,42 cm, mit Beinbeuteln, beides für die Hälfte (mit Rechnungsbelegen)<br />

zu verkaufen. tel 0 66 96-91 12 48, notfalls auf AB sprechen,<br />

oder eMail: wayneschlegel@online.de<br />

Ferti Care personal System<br />

Verkaufe Ferti Care personal System von Medizintechnik Dipl.-Ing.<br />

Heise Vertriebs-GmbH zur Samengewinnung bei Kinderwunsch,<br />

250 €, post@familiegeyer.de, tel 0 91 34-70 62 76<br />

SPEEDY ELEKTRA<br />

16 km/h, Gasdrehgriff rechts, Zusatzbremse links, 2 Kupplungen,<br />

4 Jahre alt, 600 km gelaufen, Farbe rot, Preis 1 500 € VB (NP 4 500 €),<br />

tel 0 25 33-48 34 (Münster, Ortsteil Nienberge)<br />

Handgerät gesucht<br />

Kupplung-Gas-Bremse (System Bruhn o.ä.), Alter egal,<br />

tel 0 27 36-33 59<br />

PKW Chrysler PT Cruiser<br />

Bj. 2003, 104 000 km, werkstattgepflegt, TÜV/ASU-neu, metallic-grün,<br />

Automatik, 140 PS, Schiebedach, Alufelgen, Ledersitze, Sitzheizung,<br />

Klima, Radio/CD, zus. Winterreifen, HAAG-Umbau, Gasring, Bremshebel<br />

rechts, 4 500 € VHB, Rückfragen unter 01 72-2 12 74 60 oder<br />

(abends) 0 22 33-69 16 60 oder RAWoelke@netcologne.de<br />

VW Polo 1.4<br />

Bj 07/2002, 19 800 km, 55 KW, TÜV 07/11, Automatik, Servolenkung,<br />

Klimaanlage, Standheizung mit Fernbedienung und Zeitschaltuhr,<br />

Radio-CD, 8fach bereift, Rollstuhlfahrergerecht umgebaut, Handgas/<br />

Bremse (Heidelberg), Edag-Verladesystem, VB 13 000 €,<br />

tel 05 61-40 09 00 55<br />

VW Golf IV<br />

Zu verkaufen ab April <strong>2010</strong>, grün-metallic, guter Zustand, EZ 03/2001,<br />

1,6 Ltr, 75kw, Automatik, 119 000 km, EDAG Rollstuhlverladesystem<br />

hinten links, Gas und Bremse von Hand links bedienbar (Zawatzky),<br />

Lenkraddrehknopf rechts, Radio und Navigationsgerät, 7 000 € VHB.<br />

Mobil: 01 70-5 80 21 64<br />

Audi A3<br />

1.9 TDI, Diesel, 131 PS, Automatik, BJ 2001, 132 000km, gepflegt,<br />

1. Hand, behindertengerechter Umbau mit Handgas-Betätigung,<br />

sehr umfangreiche Ausstattung, VB 6 799 €, tel 0 94 97-62 43<br />

Passat Variant<br />

Comfortline 1,4 l TSI (122 PS), 7-Gang-DSG-Getriebe, schwarz,<br />

BJ 01/2009, 20 000 km, Vollausstattung (z.B. Leder, Navi, Klimaautomatik,<br />

Rückfahrkamera, CD-Wechsler, elektrisch verstellbare Sitze, elektr.<br />

Schiebeglasdach, Standheizung, Anhängerkupplung etc.),


Teleskop-Schiebetür, Rollstuhlverladesystem „Brownie“, Handgas Veigel, NP 59 200 €,<br />

VB 41 000 €. tel 01 60-1 50 79 75, eMail: enigmater69@googlemail.com<br />

Chrysler Voyager<br />

3.3 LE, Benzin, 116 kW/158 PS, Automatic, 206 000 km, EZ 07/96, Euro 2, Umweltplakete grün,<br />

bordaux metallic, Wi-Bereifung neu, Sommerreifen mit Alufelgen ohne Profil, kleiner Blechschaden<br />

und Lackkratzer, PARAVAN-Umbau für Rollstuhl-Selbstfahrer m. Handbediengerät links,<br />

Webasto Standheizung, elektr. längsverschiebbarer Fahrersitz, elektr. Feststellbremse, seitlich<br />

ausfahrender Rampe und Absenkung über Hauptschlüssel. VHB: 4 400 €. Bilder auf Anfrage.<br />

Kontakt mimaier@gmx.de oder 0 70 21-73 45 37<br />

Überwintern im Süden<br />

Welcher Rollifahrer hat Erfahrungen und kann mir entsprechende Tipps geben? Kanaren<br />

bevorzugt. Kontakt unter eMail: JuergenSeltmann@web.de<br />

Italien mit Reisebegleitung<br />

Ich biete <strong>2010</strong> betreute Ferien in kleinem Dorf an der Blumenriviera mit Panoramablick aufs<br />

Mittelmeer vom Zimmer aus. Bis zu 5 Personen, also auch Begleitung, ggfs. deutsches Pflegepersonal.<br />

Ich hole auch ab, fahre, organisiere und betreue am Ort. Ausflüge möglich nach<br />

San Remo, Monaco etc. Bilder und Infos auf Anfrage tel 0176-40 10 60 60,<br />

Dieter.Drews@googlemail.com<br />

Rollstuhlgerechte Ferienwohnung am Yachthafen<br />

Rollstuhlfahrer vermietet Ferienwohnung direkt an der Nordsee in Carolinensiel / Harlesiel,<br />

70 qm bis 5 Pers., 150 m zum Strand, Parkplatz vor der Haustür. Info unter tel 0 97 32 72 62,<br />

eMail: effenberg-schmitt@.web.de<br />

Kanaren<br />

Rollstuhlgerechtes Privathaus auf der grünsten der kanarischen Inseln für 2 - 6 Pers. zu vermieten,<br />

herrlicher Blick auf Meer und Berge, tolle Natur, schöner Garten, Wintergarten, Heizung,<br />

2 Bäder, Auto mit Handgas ab Flughafen möglich. Hilfe beim Buchen der Flüge – kein Problem.<br />

Info: www.lapalmahaus.de oder tel 0 75 24-79 11<br />

Sri Lanka<br />

Rollstuhlgerechte Ferienanlage in Negombo zu vermieten (keine Tzunamiregion);<br />

Wolf Odebralski.<br />

tel 0 23 51-6 61 53 64; eMail: wolf.odebralski@lycos.de; www.srilanka-rosegarden.de<br />

Indien<br />

Im Winter sommerliche Temperaturen genießen, von der eigenen Köchin verwöhnt werden,<br />

ein exotisches Land kennenlernen und vieles mehr – ohne Stress und zu erschwinglichen<br />

Preisen in stufenlosem privaten Ferienhaus. Wo? Im südindischen Kerala. Bei der Buchung von<br />

Flügen sind wir gerne behilflich. Infos unter www.mykerala.de oder tel 0 75 24-79 11<br />

Bedingungen: Private Kleinanzeigen und Stellenanzeigen für Behinderte sind kostenlos (Geschäftsanzeigen<br />

auf Anfrage), bitte als eMail an Peter.Mand@t-online.de, nur wenn nicht anders möglich<br />

als (lesbares!) Fax 0 21 51-62 17 004, Abdruck vorbehalten, ohne Gewähr. Wir weisen darauf hin,<br />

dass beim Verkauf von Hilfsmitteln der Verkäufer auch der Eigentümer sein muss.<br />

Anzeige


echt recht<br />

Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung:<br />

Theorie und Praxis<br />

Inzwischen haben sich die Patienten daran gewöhnt, dass viele Leistungen der Krankenkassen nur noch<br />

zur Verfügung stehen, wenn sie aus dem eigenen Geldsäckel etwas beisteuern. Unklarheiten gibt es aber<br />

immer noch. Der Hinweis von Sanitätshaus oder Apotheke, dass individuelle Fragen mit der Krankenkasse<br />

zu klären sind, führt aber noch lange nicht immer zur gewünschten Klarheit. Darum hier einiges im Klartext,<br />

speziell für Menschen mit einem Stoma und bei Inkontinenz, aber auch mit anderen Behinderungen.<br />

Sie sind „chronisch krank“ im Sinne des Gesetzes (SGB V). Deshalb gilt für sie die reduzierte Belastungsgrenze<br />

von 1 % des Familieneinkommens statt 2 % (allgemeine Belastungsgrenze).<br />

W<br />

as heißt „chronisch kranke Menschen“ ? Die Krankheit muss<br />

ein volles Jahr lang bestehen und in dieser Zeit von einem Arzt<br />

mindestens einmal pro Quartal behandelt worden sein. Darüber<br />

hinaus muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:<br />

* Der Patient ist pflegebedürftig nach Pflegestufe 2 oder 3.<br />

* Der Patient ist aufgrund seiner Erkrankung mindestens<br />

zu 60 Prozent erwerbsgemindert oder behindert. Die Erwerbsminderung<br />

beziehungsweise Behinderung muss<br />

durch diese Erkrankung begründet sein.<br />

* Wegen der Krankheit ist eine kontinuierliche medizinische<br />

Versorgung erforderlich, ohne die nach ärztlicher<br />

Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung<br />

der Erkrankung zu erwarten ist oder eine Verminderung<br />

der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität.<br />

* Bei Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe 2 oder 3 in der gesetzlichen<br />

Pflegeversicherung (SGB XI) wird nach Ablauf eines<br />

Jahres seit dem Beginn der Pflegebedürftigkeit nach einer<br />

dieser Pflegestufen das Vorligen ener Dauerbehandlung<br />

unterstellt. Entsprechende Bescheinigungen stellen die<br />

Hausärzte aus, Formulare liegen dort vor.<br />

Wenn mindestens ein – auch als Familienmitglied – gesetzlich<br />

versicherter Angehöriger des Familienhaushalts schwerwiegend<br />

chronisch krank ist, reduziert sich die Zuzahlungsgrenze für alle<br />

Angehörigen des Familienhaushalts auf 1 Prozent der jährlichen<br />

Familienbruttoeinnahmen im Kalenderjahr. Die Absenkung der<br />

Grenze gilt ab dem 1. Januar des Kalenderjahres, in dem die Behandlung<br />

der chronischen Erkrankung ein Jahr andauert. Sollte<br />

der chronisch Erkrankte nicht bei der Krankenkasse versichert<br />

sein, die einen Befreiungsausweis (für ein anderes Familienmitglied)<br />

erstellen soll, benötigt diese eine Kopie des Bescheids der<br />

Krankenkasse, bei der er versichert ist.<br />

Beispiel: Der Patient befindet sich seit 11. Juni 2008 wegen einer<br />

Querschnittlähmung in Behandlung. Wenn er bis zum 10. Juni<br />

2009 wenigstens einmal im Quartal wegen dieser Krankheit in<br />

ärztlicher Behandlung war, liegt eine Dauerbehandlung vor. Die<br />

einprozentige Zuzahlungsgrenze gilt dann rückwirkend ab dem<br />

1. Januar 2009.<br />

58<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Einkommen<br />

Dazu zählen alle Einnahmen, also auch Renten, Mieterträge und<br />

Zinserträge. Nicht dazu zählen Renten nach dem BVG und Pflegegeld<br />

(Pflegeversicherung, Landespflegegeld, Hilfe zur Pflege<br />

nach SGB XII). Sind Angehörige zu berücksichtigen, werden vom<br />

Einkommen Freibeträge von 4 599 € für den Partner bzw.6 024 € je<br />

Kind abgesetzt. Diese setzen sich zusammen aus 3 864 € Freibetrag<br />

nach SGB V und dem gesetzlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung<br />

und Ausbildung von 2 160 € je Kind bei zusammen veranlagten<br />

Ehepartnern (BSG-Urteil vom 30. 6. 2009 AZ B 1 KR 17/08 R). Bei<br />

Alleinerziehenden berücksichtigt die Krankenkasse für das erste<br />

Kind den höheren Freibetrag, der sonst für den Ehegatten oder Lebenspartner<br />

gelten würde, also 4 536 € und 1 080 € als gesetzlichen<br />

Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung je Kind, insgesamt<br />

also 5 616 € für das erste und 4 944 € für jedes weitere Kind<br />

(Stand Februar <strong>2010</strong>). Dieser Freibetrag von 2 160 bzw.1 080 € kann<br />

bei der Krankenkasse, wie übrigens jede Zuzahlungserstattung,<br />

auch noch rückwirkend geltend gemacht werden. Denn Ansprüche<br />

im Sozialrecht verjähren erst nach vier Jahren, beginnend mit<br />

dem Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind. Erstattungen<br />

sind in <strong>2010</strong> also noch rückwirkend für die Jahre 2006 bis 2009<br />

möglich. Bei einer vierköpfigen Familie sind das immerhin 86,40 €<br />

(bei chronisch Kranken die Hälfte, also 43,20 €) pro Jahr. Für Alleinerziehende<br />

reduziert sich der mögliche Erstattungsbetrag auf die<br />

Hälfte.<br />

Für Familien gilt: Nach § 62 SGB V Abs. 2 werden die Zuzahlungen<br />

und die Bruttoeinnahmen gemeinsam ermittelt, d. h. sobald die<br />

Zuzahlungen aller Familienangehörigen insgesamt 1 % erreichen,<br />

kann ein Befreiungsnachweis von der Krankenkasse angefordert<br />

werden. Mit dem Befreiungsausweis, den die Krankenkasse dann<br />

zuschickt, sind keine Zuzahlungen mehr zu leisten. Das gilt auch<br />

für Ehepartner und familienversicherte Kinder. Evtl. schon geleistete<br />

Überzahlungen erstattet die Kasse, meist auf Antrag, manchmal<br />

auch unaufgefordert.<br />

Als Angehörige gelten der Ehepartner bzw. der Lebenspartner nach<br />

dem Lebenspartnerschaftsgesetz (gleichgeschlechtliche Paare)<br />

und darüber hinaus die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebenden<br />

Kinder. Kinder von getrennt lebenden oder geschiedenen


Ehepartnern werden bei dem Elternteil berücksichtigt, bei dem sie<br />

wohnen, unabhängig davon, bei wem die Familienversicherung besteht.<br />

Selbst versicherte Kinder gehören nicht dazu. Umgekehrt ist<br />

ihr Einkommen auch nicht zu berücksichtigen.<br />

Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII („Sozialhilfe“,<br />

nicht Hilfe zur Pflege!), von Arbeitslosengeld II und von<br />

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wird jeweils<br />

nur der Regelsatz des Haushaltsvorstands als Bruttoeinkommen für<br />

die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt, das heißt der jährliche<br />

Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt (2009) bei chronisch Kranken<br />

43,08 €, allgemein 86,16 €.<br />

Belege: Immer dann, wenn eine Zuzahlung zu leisten ist, gibt es<br />

eine Quittung, auf der auch der Name des Zahlers vermerkt sein<br />

muss. Das ist wichtig, weil die Krankenkasse die Belege sonst nicht<br />

anerkennt. Manche Kassen und Apotheken verschenken auch kleine<br />

Büchlein, in denen die Zahlungen quittiert werden. Damit spart<br />

man das Belege sammeln. Keine Angst, zusätzliche Belege kann<br />

man trotzdem mit dem formlosen Begleitbrief einreichen, mit dem<br />

man um die Befreiung von der Zuzahlung und die Rücküberweisung<br />

schon zu viel gezahlter Beträge bittet.<br />

Fährt man mit dem privaten PKW und es ergibt sich dabei Kilometergeld,<br />

das unter der Zuzahlungsgrenze liegt, sollte man diese<br />

Fahrten trotzdem nachweisen, weil diese Beträge bei der Ermittlung<br />

der Belastungsgrenze mit berücksichtigt werden. Das gleiche<br />

gilt für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da reichen die<br />

Fahrscheine aus.<br />

Fast alle Krankenkassen bieten ab dem zweiten Jahr der Befreiung<br />

zum Jahresanfang ihren Mitgliedern die Möglichkeit, durch Zahlung<br />

eines Betrages, der auf dem Familieneinkommen des Vorjahrs<br />

basiert, direkt den Nachweis zur Befreiung für das laufende Jahr<br />

zu bekommen, so dass keine Belege mehr gesammelt und möglicherweise<br />

überzahlte Beträge zurück überwiesen werden müssen.<br />

Die übliche Praxis ist, dass nach Jahresende dann trotzdem ein Einkommensnachweis<br />

verlangt wird. Dieser gilt dann aber nicht zur<br />

nachträglichen Verrechnung des abgelaufenen Jahres, sondern<br />

als Grundlage für eine Zahlung, die dann für das folgende Jahr die<br />

Befreiung bewirkt. Eine rückwirkende Verrechnung wäre unwirtschaftlich.<br />

Umgekehrt ist mit dieser Praxis der Nachteil verbunden,<br />

dass auch keine Rückerstattung erfolgt z. B. wenn man weniger als<br />

erwartet verdient hat oder wenn eine versicherte Person im Laufe<br />

eines Jahres verstorben ist. Die Vorteile für beide Seiten, Krankenkasse<br />

und Mitglied rechtfertigen diese Handhabung aber. Ob die<br />

Krankenkassen das BSG-Urteil (siehe oben) zum Anlass nehmen,<br />

von sich aus rückwirkend die Beträge von zu 43,20 € bzw. 21,60 € je<br />

Kind zu erstatten ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Es lohnt sich<br />

auf jeden Fall, das zu beantragen und vor allem im kommenden<br />

Jahr weniger pauschale Zuzahlungen zu akzeptieren.<br />

Wofür gelten Zuzahlungen?<br />

Verschreibungspflichtige Arzneimittel: Bis zur Belastungsgrenze<br />

keine Sonderregelungen. Nicht verschreibungspflichtige Arznei-<br />

recht recht<br />

mittel müssen voll bezahlt werden. Ausnahme: Nicht verschreibungsfähige<br />

Arzneimittel, die bei bestimmten Krankheiten als<br />

„anerkannter Therapiestandard“ gelten, können wie bisher auch<br />

mit Angabe der Diagnose auf der Verordnung weiter zu Lasten der<br />

Kassen verordnet werden. Dazu gehören u. a. auch bei neurogener<br />

Darmlähmung (wie bei Querschnittlähmung) Abführmittel, Mittel<br />

gegen Verstopfung, Desinfektionsmittel bei ISK (Katheterisieren)<br />

oder methioninhaltige Medikamente zur Vorbeugung von Nierensteinen<br />

(Harnansäuerung) und manche Vitamine. Besonderheiten:<br />

Harn- und Blutteststreifen sind stets zuzahlungsfrei. Für Trink- und<br />

Sondennahrung sowie Verbandmittel bemisst sich die Zuzahlung<br />

am Wert pro Verordnungszeile.<br />

Bei Hilfsmitteln aller Art müssen 10 % Zuzahlungen geleistet werden;<br />

mindestens 5 €, maximal 10 €, jedoch nie mehr als das Hilfsmittel<br />

selbst kostet. (z. B. Rollstühle, Bettschutzeinlagen usw.) Auch<br />

hier sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen:<br />

* Bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind (z. B. Katheter)<br />

beträgt die maximale Zuzahlung insgesamt 10 €/Monat, egal wie<br />

viel und welche Hilfsmittel dafür benötigt werden. Auch bei zwei<br />

unterschiedlichen Indikationen (z. B. Katheterisierung und Stoma<br />

wird dieser Betrag nur einmal fällig.<br />

* Reparaturen von Hilfsmitteln/Ersatzteile sind keine eigenständigen<br />

Hilfsmittel. Es ist deshalb keine Zuzahlung zu leisten.<br />

* Auch Pflegehilfsmittel nach SGB XI (bei festgestellter Pflegestufe<br />

in der Pflegeversicherung) wie Einmalhandschuhe, Unterlagen<br />

Anzeige


echt recht<br />

etc. zählen nicht unter dieses Gesetz. Es ist keine Zuzahlung zu<br />

leisten.<br />

* Es gibt auch Hilfsmittel, die sowohl zum Verbrauch bestimmte<br />

Hilfsmittel als auch Pflegehilfsmittel sein können je nach Indika-<br />

tion. Beispiele: Einmal-Bettschutzeinlagen, Einmalhandschuhe.<br />

Heilmittel (KG, MTT, Ergotherapie): Es sind 10 €/Verordnung und<br />

10 %/Leistung zu zahlen. Das heißt, bei Verordnungen für 3 oder<br />

6 mal Krankengymnastik ist es teurer als vor 2004, bei der Verordnung<br />

von 20, 30 oder 50 Behandlungen - „außerhalb des Regelfalls“<br />

– ist die Zuzahlung jetzt niedriger. (Anmerkung: Die heiß<br />

diskutierte „Unterbrechung„ von 6 oder 12 Wochen ist bei Verordnungen<br />

außerhalb des Regelfalls – „V.a.d.R“„ – nicht vorgesehen.<br />

Diese werden auch nicht auf das Arztbudget angerechnet. Das<br />

sollte jeder Arzt wissen!)<br />

Fahrtkosten<br />

Nach den „Krankentransport-Richtlinien“ übernehmen die Kassen<br />

die Kosten nicht nur für Personen, die einen Schwerbehindertenausweis<br />

mit den Merkzeichen aG, Bl oder H haben oder in der<br />

Pflegeversicherung in die Pflegestufe II oder III eingestuft sind,<br />

sondern auch für Menschen, die „mit einem durch die Grunderkrankung<br />

vorgegebenen Therapieschema behandelt werden, das<br />

eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum<br />

aufweist.“. Dazu zählen z. B. (aber nicht nur) Bestrahlungen, Chemobehandlungen<br />

oder Dialyse, wenn die Behandlung mindestens<br />

einmal wöchentlich erfolgen soll (das ist neu ab 2009 – BSG-<br />

Urteil, früher mindestens zweimal pro Woche). Auch hier werden<br />

Zuzahlungen fällig und zwar 10 % pro Fahrt, mindestens 5 €, maximal<br />

10 €. Fährt man mit dem privaten PKW und es ergibt sich<br />

dabei Kilometergeld, das unter der Zuzahlungsgrenze liegt, sollte<br />

man diese Fahrten trotzdem nachweisen, weil diese Beträge bei<br />

der Ermittlung der Belastungsgrenze mit berücksichtigt werden.<br />

Das gleiche gilt für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.<br />

Krankenhausbehandlung, AHB, Kuren: Bei einer vollstationären<br />

Krankenhausbehandlung sind 10 € je Kalendertag für maximal 28<br />

Tage im Kalenderjahr zu entrichten. Das gleiche gilt für eine Anschlussheilbehandlung<br />

unter Einbeziehung vorheriger Krankenhausaufenthalte.<br />

Anders sieht es bei stationären Vorsorge- und<br />

Rehabilitationskuren aus (gilt auch für Mütter-Kind-Kuren): Bei ihnen<br />

sind zeitlich unbegrenzt pro Tag 10 € Zuzahlung fällig. Bei ambulanten<br />

Kuren fallen als Zuzahlung 10 % der Kosten für Heilmittel<br />

sowie 10 € je Verordnung an, wie auch sonst bei Heilmitteln.<br />

Zuhause: Für häusliche Krankenpflege sind 10 % der Kosten zu<br />

übernehmen, begrenzt auf 28Tage je Kalenderjahr, außerdem<br />

Anzeige<br />

zusätzlich 10 € je Verordnung. Für eine Haushaltshilfe beträgt die<br />

Zuzahlung zeitlich unbegrenzt 10 % der täglichen Gesamtkosten,<br />

mindestens 5 € und höchstens 10 € pro Kalendertag,<br />

Praxisgebühr: Auch die Praxisgebühr von 10 €/Quartal zählt zu den<br />

anrechenbaren Zuzahlungen und ist bei einer Befreiung nicht mehr<br />

zu zahlen.<br />

Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr: Sie sind von allen Zuzahlungen<br />

befreit, damit auch von den Praxisgebühren. Einzige<br />

Ausnahme: Zu den Fahrkosten muss auch bei ihnen eine Zuzahlung<br />

geleistet werden.<br />

Was man nicht anrechnen kann: Der Eigenanteil bei einer zahnärztlichen<br />

Versorgung lässt sich ebenso wenig geltend machen wie (bis<br />

auf ganz seltene Ausnahmen) die Kosten für Brillen, Kontaktlinsen<br />

und die Pflegemittel dazu.<br />

Die „wirtschaftliche Aufzahlung“…<br />

...ist der Betrag, den man aus eigenem Portemonnaie zahlen<br />

muss, wenn man nicht das Arzneimittel oder das Hilfsmittel haben<br />

möchte, das die Krankenkasse in voller Höhe übernehmen würde,<br />

weil man glaubt, dass die teurere Alternative den Zweck besser<br />

erfüllt oder (z. B. ein Rollstuhl) besser aussieht. Ob man bereit ist,<br />

dafür Geld auszugeben, muss jeder selbst entscheiden. Allerdings<br />

sollte man sich dann nicht abwimmeln lassen, wenn die Kasse die<br />

Zahlung ganz verweigert. Den anteiligen Betrag, den das von der<br />

Kasse vorgeschlagene Hilfsmittel oder Medikament gekostet hätte,<br />

muss diese auch übernehmen. Manchmal kommt es auch zu einer<br />

wirtschaftlichen Aufzahlung, weil ein Sanitätshaus oder eine Apotheke<br />

anders kalkuliert als andere Anbieter. Dann sollte man überlegen,<br />

ob dieser Lieferant so wichtig oder so viel zuverlässiger ist<br />

als andere, dass einem der Aufpreis das wert ist oder ob man zur<br />

Konkurrenz wechselt.<br />

Einen „Musterpatienten“ gibt es nicht. Ein Gesetz ohne Auslegungsprobleme<br />

noch viel weniger. Deshalb kann dieser Artikel nur wichtige<br />

Punkte (Stand Februar <strong>2010</strong>) erläutern und klarstellen. Er soll<br />

zur Information selbst betroffener Menschen (und Familien) dienen,<br />

um ihnen in Gesprächen mit ihren Krankenkassen mehr Sicherheit<br />

zu geben, wenn diese, aus welchem Grund auch immer, einen Anspruch<br />

anders beurteilen. Und das geschieht immer wieder. Denn<br />

Krankenkassen sind genauso parteiisch wie ich.<br />

Text: Herbert Müller


Patientenverfügung & Co.<br />

Wer soll wann fürs Ende sorgen?<br />

Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können jeden in eine Situation bringen,<br />

in der ein selbstverantwortliches Handeln verwehrt ist, aber Entscheidungen getroffen<br />

werden müssen. Wie sollte für solche Situationen vorgesorgt werden?<br />

J<br />

eder Volljährige hat die Möglichkeit, für einen solchen<br />

Fall der Fälle eine „Patientenverfügung“ zu schreiben,<br />

in der er detailliert aufgelistet hat, ob er – und gegebenenfalls<br />

welche – lebensverlängernden Maßnahmen<br />

wünscht. Nach dem zum 1. September 2009 in Kraft<br />

gesetzten neuen Recht haben sich die Ärzte regelmäßig<br />

an eine solche Verfügung zu halten.<br />

• Der Arzt könnte allerdings Zweifel anmelden, wenn<br />

die Niederschrift schon mehrere Jahre zurückliegt,<br />

so dass nicht mit Sicherheit angenommen werden<br />

kann, ob es sich tatsächlich noch um den aktuellen<br />

Willen der betreffenden Person handelt<br />

• Oder die in der Patientenverfügung niedergelegten<br />

Fakten sind zu unbestimmt, um sie buchstabengetreu<br />

zu befolgen<br />

• Oder seit der vor Jahren gefertigten Niederschrift ist<br />

die medizinische Entwicklung derart fortgeschritten,<br />

dass davon ausgegangen werden könnte, dass die in der<br />

Patientenverfügung vorgegebenen Anweisungen nicht<br />

geschrieben worden wären, wenn der neueste medizinische<br />

Stand schon bekannt gewesen wäre.<br />

Wird in solchen Fällen keine Einigung zwischen dem Patienten<br />

beziehungsweise seinem Betreuer und den Ärzten<br />

erzielt, so entscheidet – wie bisher – das Vormundschaftsgericht<br />

(eingerichtet beim Amtsgericht) über das<br />

weitere Vorgehen.<br />

Eine Patientenverfügung wird am besten selbst handgeschrieben.<br />

Sie kann durchaus einem Formular „nachempfunden“<br />

sein. Doch sollte die Verfügung zumindest<br />

erkennen lassen, dass sich der Verfasser intensiv mit dem<br />

Thema befasst hat, etwa so:<br />

Für den Fall, dass ich zu einer Entscheidung oder einem<br />

Gespräch nicht mehr fähig bin, verfüge ich: Im Fall...<br />

• meiner nicht mehr zu heilenden Bewusstlosigkeit,<br />

• aller Voraussicht nach schwerster Dauerschädigung<br />

meines Gehirns<br />

• des dauernden Ausfalls lebenswichtiger Funktionen<br />

meines Körpers<br />

• oder im Endstadium einer zum Tod führenden Krankheit,<br />

wenn die Behandlung nur noch dazu führen würde,<br />

das Sterben zu verlängern, insbesondere, wenn die<br />

Behandlung mit erheblichen Schmerzen oder Beeinträchtigungen<br />

verbunden wäre, will ich<br />

* keine Intensivbehandlung<br />

* die Einstellung der Ernährung, nur noch Mundpflege<br />

* nur angst- und/oder schmerzlindernde Maßnahmen,<br />

wenn nötig<br />

* keine künstliche Beatmung<br />

* keine Bluttransfusion<br />

* keine Organtransplantation<br />

* keine künstliche Niere<br />

* keinen Anschluss an eine Herz-Lungen-Maschine<br />

* keine Einweisung in ein Heim.<br />

Anzeige<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

recht recht


echt recht<br />

Anzeige<br />

Meine Vertrauensperson(en): Name(n), Adresse(n), Telefon...<br />

Diese Verfügung wurde bei klarem Verstand und in voller<br />

Kenntnis der Rechtslage unterzeichnet.<br />

Ort, Datum, Unterschrift.<br />

Wer sich nicht zutraut, eine solche Verfügung „individuell“<br />

abzufassen, der spricht mit dem Hausarzt oder einem Notar.<br />

Auch Verbraucherberatungsstellen helfen oft weiter.<br />

Natürlich kann die Verfügung jederzeit geändert werden.<br />

Sinnvoll ist es, von der Verfügung Kopien zu ziehen und<br />

eine davon zu Hause aufzubewahren und eine weitere in<br />

der Hand- oder Brieftasche. Stattdessen genügt es auch,<br />

nur einen Hinweis mit sich zu führen, aus dem hervorgeht,<br />

dass eine Patientenverfügung geschrieben wurde und wo<br />

das Original zu finden ist – zum Beispiel bei der Bundesnotarkammer<br />

im Zentralen Vorsorgeregister (mit bereits über<br />

930 000 Eintragungen). Ärzte wie Gerichte haben Zugriff<br />

auf die Datei und machen nach Angaben der Kammer „regen<br />

Gebrauch“ davon.<br />

Was wird, wenn ich persönlich auf die Hilfe anderer angewiesen<br />

bin? Wer handelt und entscheidet für mich?<br />

Wenn zur richtigen Zeit ein Anderer für einen Sterbenskranken<br />

handeln soll, damit der in der Patientenverfügung<br />

niedergelegte Wille auch möglichst umgesetzt wird,<br />

so muss ein weiteres Schriftstück vorhanden sein. Das<br />

geschieht mit einer „Vorsorgevollmacht“. Sie wird zweckmäßig<br />

zeitlich mit der Patientenverfügung geschrieben.<br />

Damit kann ein Ausersehener ermächtigt werden, in Fragen<br />

der Heilbehandlung bis hin zur Entscheidung, wann<br />

sie beendet werden soll, für den Kranken einzutreten.<br />

Können mit der Vorsorgevollmacht auch<br />

geschäftliche Dinge geregelt werden?<br />

Das sollte nicht miteinander vermengt werden. Besser ist<br />

es, dafür – drittens - eine „Betreuungsverfügung“ aufzusetzen.<br />

Das heißt: Wer für den Ernstfall geschäftliche und<br />

persönliche Angelegenheiten keinesfalls durch einen<br />

Fremden erledigt sehen will (was der Fall sein könnte,<br />

wenn nicht rechtzeitig auch für diesen Fall vorgesorgt<br />

wurde), der kann das mit der Betreuungsverfügung regeln.<br />

Darin wird dem Amtsgericht, das gegebenenfalls für<br />

die Bestellung eines offiziellen Betreuers zuständig ist, eine<br />

vertraute Person als Betreuer vorgeschlagen, zum Beispiel<br />

der Ehepartner, eines der Kinder oder ein Freund.<br />

Beispiel: Für den Fall, dass eine gerichtliche Betreuung notwendig<br />

werden sollte, wünsche ich, dass xxx zum Betreuer<br />

bestellt wird, bei seiner Verhinderung yyy. Der Betreuer soll<br />

vor allem mein Aufenthaltsbestimmungsrecht wahrnehmen<br />

(etwa einen Mietvertrag oder die Überweisung in ein<br />

Pflegeheim betreffend) regeln, ferner meine finanziellen<br />

Angelegenheiten, und er soll auch Zugriff auf meine Post<br />

haben. Die Gerichte folgen den Vorschlägen regelmäßig.<br />

Wo erhalte ich weitere Informationen?<br />

• Das Bundesjustizministerium (BJM) informiert auf seiner<br />

Homepage über das neue Gesetz. Die auf der Internetseite<br />

des BJM nachzulesende „Formulierungshilfe Patientenverfügung“<br />

umfasst 14 Seiten und schildert detailliert, wer für<br />

welche Situation Vorsorge treffen kann – mit individuellen<br />

Textvorschlägen.<br />

• Zahlreiche andere Institutionen äußern sich ebenfalls<br />

zum Thema – anzuklicken im Internet unter „Patientenverfügung“.<br />

• Ein Beratungsteam der „Unabhängigen Patientenberatung<br />

– UPD“ steht unter der kostenlosen Rufnummer<br />

0800/117722 täglich von 10 bis 18 Uhr für Fragen zur<br />

Patientenverfügung bereit. Die 22 Beratungsstellen<br />

können auch im Internet unter<br />

www.upd-online.de erreicht werden.<br />

Text: Wolfgang Büser


Behindertengerechtes Wohnen –<br />

Berechnungsmethoden für Schadensersatzforderungen (1)<br />

Kosten für Mehrflächen<br />

bei Umzug oder Neubau<br />

Rollstuhlfahrer haben andere Bedürfnisse an das Wohnumfeld als Fußgänger – das ist klar.<br />

Fraglich ist jedoch immer, in welchem Umfang sich eine Haftpflichtversicherung nach Unfall<br />

oder Kunstfehler an den Umbaukosten zu beteiligen hat.<br />

Z<br />

unächst vorab aber ein Hinweis. Kein Unfallopfer<br />

muss ins Pflegeheim! Nach dem deutschen<br />

Schadenersatzrecht hat jeder behinderte Mensch<br />

das Recht auf behindertengerechte Unterbringung<br />

in den eigenen vier Wänden, es sei denn die Kosten<br />

überstiegen die Kosten einer alternativen Heimunterbringung<br />

derart exorbitant, dass dies völlig<br />

unvertretbar sei. Mir ist kein Fall aus dem letzten<br />

Jahrzehnt bekannt, in dem ein Gericht zu diesem Ergebnis<br />

gekommen wäre. In den meisten Fällen hat<br />

der Geschädigte sogar Anspruch darauf, in unmittelbarer<br />

Umgebung seiner bisherigen Wohnung zu<br />

bleiben, da sich dort meist auch der Lebensmittelpunkt<br />

befindet (z.B. die Kinder in die Schule gehen<br />

oder der Ehepartner in der Nähe arbeitet) und muss<br />

sich nicht in eine billigere Wohngegend verweisen<br />

lassen.<br />

Anzeige<br />

Dennoch sind bei der Wahl der behindertengerechten<br />

Wohnung oder beim Umfang des behindertengerechten<br />

Neubaus die Grundsätze des<br />

Schadenersatzrechts natürlich anzuwenden. Von<br />

besonderer Bedeutung ist hier der Grundsatz, dass<br />

der Geschädigte durch die Schadenersatzleistung<br />

nicht besser gestellt sein darf als vorher. Ersetzt wird<br />

also das notwendige und nützliche, nicht aber der<br />

Luxus.<br />

Grundsätzlich ist die Schadenersatzzahlung am Einzelfall<br />

zu bemessen, jedoch kann man was die notwendige<br />

Mehrfläche anlangt, auch als Einstieg auf<br />

Anlage zu den so genannten „Gemeinsamen Richtlinien<br />

der Verbände der Unfallversicherungsträger<br />

über Wohnungshilfe“ zurückgreifen.<br />

<br />

recht recht


echt recht<br />

64<br />

Einschlägig sind hier folgende Vorschriften:<br />

2.2.1 Behindertenbedingte Mehrfläche<br />

(Grundbedarf)<br />

Beim Wohnungsmehrbedarf ist zur Ermittlung der<br />

behindertenbedingten Mehrwohnflächen (für rollstuhlbedingte<br />

Bewegungsflächen, einschließlich<br />

Sanitätsraum) von folgenden Flächenwerten auszugehen:<br />

Richtgrößen für Wohnungen mit 1 Rollstuhlfahrer<br />

(unter Einbeziehung der DIN 18025 Teil 1)<br />

Wohnflächen in m2 üblich rollstuhl- Mehr- Freisitz/<br />

gerecht fläche Mehrfläche<br />

1 Personenhaushalt 48,50 69,00 20,50 4,50/0,50<br />

2 Personenhaushalt 62,00 80,00 18,00 4,50/0,50<br />

3 Personenhaushalt 76,00 98,00 22,00 6,00/1,00<br />

4 Personenhaushalt 95,00 111,00 16,00 8,00/1,00<br />

5 Personenhaushalt 113,50 136,00 22,50 9,00/1,00<br />

6 Personenhaushalt 124,00 144,50 20,50 11,00/1,00<br />

In 2.2.2 findet sich dann zusammengefasst folgendes:<br />

Ist eine zusätzliche Wohnfläche als Individualraum<br />

aus rehabilitativen Gründen notwendig,<br />

sind weitere 15 m2 anzusetzen. Weiterhin können<br />

Mehrflächen für einen Pkw-Stellplatz von 6 m2 (Differenz<br />

aus der behindertengerechten Abmessung<br />

von 21 m2 zur Standardabmessung von 15 m2) und<br />

als Aufzugsgrundfläche 3,2 m2 je erforderlicher Etage<br />

in Frage kommen. Wenn ein besonderer Raum<br />

als Schlafraum für eine Pflegeperson benötigt wird,<br />

sind weitere bis zu 15 m2 anzusetzen.<br />

Hat man nunmehr auf diese Weise den Mehrflächenbedarf<br />

ermittelt, so ist es relativ einfach, gegenüber<br />

einer Haftpflichtversicherung oder konsequenterweise<br />

auch gegenüber einem Gericht begründen zu<br />

können, weswegen ein Umzug in eine barrierefreie,<br />

aber auch größere Wohnung notwendig ist. Aus der<br />

Notwendigkeit resultiert dann auch logischerweise<br />

die Pflicht der Haftpflichtversicherung die Differenz<br />

zwischen alter und neuer Miete zu übernehmen.<br />

Gleiches gilt auch für den Neuerwerb. Ein guter Architekt<br />

kann stets Auskunft darüber geben, wie teuer<br />

1 m2 bebaute Fläche in der Gegend, in der gebaut<br />

werden soll, kostet.<br />

PARAPLEGIKER 1/10<br />

Alternativ bietet sich für Eigentümer, deren Wohnung/Haus<br />

nicht umbaubar ist und die deswegen<br />

umziehen müssen, auch ganz einfach folgende Berechnung<br />

an:<br />

Kosten behindertengerechter Neubau ./. Wert der<br />

alten Wohnung/des alten Hauses = Mehrbedarf.<br />

Will ein Mieter nunmehr (beispielsweise unter zu<br />

Hilfenahme des Schmerzensgeldes) Wohneigentum<br />

begründen, kann man auch folgendes Berechnungsmodell<br />

wählen:<br />

Kosten behindertengerechter Neubau ./. Kapitalwert<br />

der bisherigen Miete auf Lebenszeit anhand<br />

einschlägiger Kapitalisierungstabellen (zu finden<br />

u.a. in Gerhard Küppersbusch, Ersatzansprüche bei<br />

Personenschaden, 10. Auflage 2009).<br />

Besonders in Fällen, in denen aus einer Mietwohnung<br />

in ein eigenes Haus umgezogen wird, wird<br />

stets erbittert um die Notwendigkeit von Gartenflächen<br />

(welche ja in der Wohnung nicht vorhanden<br />

waren) gestritten. Insoweit kann damit argumentiert<br />

werden, dass es für einen Rollstuhlfahrer wesentlich<br />

aufwändiger ist, einen Ausflug ins Grüne zu<br />

machen als für einen Fußgänger. Der Rollstuhlfahrer<br />

ist also umso mehr auf ein schnell und ohne große<br />

Verladeaktionen zu erreichendes Stück Natur, also<br />

den eigenen Garten angewiesen.<br />

Die Fortsetzung dieses Artikels in der nächsten<br />

PARAplegiker-Ausgabe wird sich mit den Kosten<br />

von Umbauten und deren Geltendmachung beschäftigen.<br />

Anmerkung zum Autor: Der Rechtanwalt und Fachanwalt<br />

für Verkehrsrecht Oliver Negele, Mitarbeiter<br />

der AG-Recht der FGQ, bearbeitet derzeit ca. 30 Fälle<br />

aus dem Bereich Großpersonenschaden im Jahr.<br />

Kontakt:<br />

RA Oliver Negele<br />

Bgm.-Fischer-Str. 12<br />

86150 Augsburg<br />

tel 08 21-32 79 88 10<br />

eMail: kontakt@arge-recht.de


Arbeitsgemeinschaften (AG)<br />

Ambulante Dienste<br />

Milan Kadlec<br />

Bornberg 94<br />

42109 Wuppertal<br />

tel 02 02-45-02 71, Fax: -39 42<br />

eMail: info@isb-ggmbh.de<br />

Bauen & Umwelt<br />

Dipl. Ing. Dirk Michalski<br />

Im Hohnsiefen 1<br />

53819 Neunkirchen-Seelscheid<br />

tel 0 22 47-60 70<br />

eMail: DirkMichalski@t-online.de<br />

Internet: www.DirkMichalski.de<br />

Frank Opper, Architekt<br />

Auf der Wiese 20<br />

41564 Kaarst<br />

tel 0 21 31-51 17 09<br />

eMail: frank@opper-architekten.de<br />

FGQ-Rechtsbeistand im Sozialrecht<br />

Herbert Müller<br />

Freiherr-vom-Stein-Straße 47<br />

56566 Neuwied-Engers<br />

tel 0 26 22-88 96-32; Fax -36<br />

eMail: h.mueller@engers.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Peter Mand<br />

Karlstraße 6<br />

47877 Willich<br />

tel 0 21 51-62 17 000<br />

eMail: peter.mand@t-online.de<br />

Recht / Schadensersatzrecht<br />

Gottfried Weller<br />

Oliver Negele<br />

Dr. Loeffelladstr. 127<br />

86609 Donauwörth<br />

tel 09 06-83 34; Fax: 99 99 715<br />

eMail: gottfriedweller@arcor.de<br />

Schmerz bei Querschnittlähmung<br />

Neue Ansprechpartner gesucht!<br />

Anfragen bitte an<br />

eMail: FGQ-Moelsheim@t-online.de<br />

Schule & Studium<br />

Karen Fischer<br />

Auf der Kuhweide 1<br />

44269 Dortmund<br />

tel 02 31-75 97 55<br />

Urlaub<br />

Johann Kreiter<br />

Laubeweg 1<br />

70565 Stuttgart<br />

tel 07 11 - 7 15 64 90<br />

eMail: jnkreiter@aol.com<br />

Ich spende meinen Jahres- Mitgliedsbeitrag in Höhe<br />

von Euro<br />

(mindestens 30 Euro)<br />

Querschnittgelähmte 15 Euro, je Familienmitglied 15 Euro<br />

Ich zahle per: Abbuchung Rechnung<br />

Buchen Sie von folgendem Konto ab:<br />

Bank<br />

Bankleitzahl Konto-Nr.<br />

Datum Unterschrift<br />

Ich kann diese Anmeldung innerhalb von 10 Tagen bei der Fördergemeinschaft der<br />

Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., Silcherstraße 15, 67591 Mölsheim schriftlich<br />

widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.<br />

Datum Unterschrift<br />

PARAPLEGIKER – Zeitschrift für Menschen<br />

mit Körperbehinderung<br />

Das offizielle Nachrichtenmagazin der Fördergemeinschaft<br />

der Querschnittgelähmten erscheint jetzt im<br />

vereinseigenen HUMANIS Verlag. Menschen mit Körperbehinderung<br />

haben viele gemeinsame Interessen,<br />

deshalb sollte der Blick auch über den Zaun der eigenen<br />

Betroffenheit hinausgehen. Der „Para“ bietet einen<br />

Mix aus Information, Kultur, Politik und Unterhaltung.<br />

Ständige Themen<br />

Werden Sie Mitglied!<br />

Bitte ausschneiden und in einem ausreichend frankierten Umschlag senden an:<br />

Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten<br />

in Deutschland e.V.<br />

Silcherstraße 15<br />

67591 Mölsheim<br />

Hilfsmittel Rollstuhl & Co – Test the Best<br />

Pflege Organisation, Finanzierung und Hilfsmittel<br />

Urlaub In Nah und Fern<br />

Auto Solange es rollt – Vom kleinen Flitzer<br />

bis zum großen Van<br />

Recht Tipps vom Anwalt<br />

Menschen Portraits, Sport und Spiel, Beruf<br />

Planen und<br />

Bauen Barrierefrei und alltagstauglich<br />

Zu unserem Programm gehören auch<br />

»B-kids« für behinderte junge Menschen<br />

»K« - Journal Mensch und Krebs<br />

»FGQ-Info« Informationsbroschüren der<br />

Fördergemeinschaft für Querschnittgelähmte<br />

in Deutschland.<br />

Bei Interesse fordern Sie bitte ein Probeheft an<br />

oder informieren sich telefonisch beim Verlag.<br />

Bestellcoupon rückseitig<br />

28. Jahrgang<br />

Humanis Verlag für Gesundheit GmbH • Silcherstrasse 15 • D-67591 Mölsheim • Deutsche Post AG • Entgelt bezahlt • ZKZ D 05475 • ISSN 0723-5070 1/<strong>2010</strong><br />

Rückseite beachten!<br />

Vereint<br />

mit<br />

Diesen Abschnitt bitte ausfüllen,<br />

ausschneiden, in einen ausreichend<br />

frankierten Umschlag<br />

geben und einsenden an:<br />

Humanis<br />

Verlag für Gesundheit GmbH<br />

Silcher Straße 15<br />

67591 Mölsheim<br />

oder faxen an:<br />

0 62 43 - 90 35 69<br />

Abotelefon:<br />

0 62 43 - 90 07 04


PARAPLEGIKER PARAPLEGIKER PARAPLEGIKER<br />

JA!<br />

Ich möchte »PARAPLEGIKER«, die Zeitschrift für Menschen mit<br />

Körperbehinderung abonnieren,<br />

4 Ausgaben jährlich für 15 € (Ausland 20 €) inkl. Porto & Versand.<br />

Vorname:<br />

Name:<br />

Straße / Hausnummer:<br />

PLZ / Ort:<br />

bargeldlos durch Bankeinzug<br />

Konto-Nr.:<br />

BLZ:<br />

94<br />

Ja!<br />

Name und Sitz der Bank:<br />

gegen Rechnung (bitte Rechnung abwarten)<br />

Unterschrift<br />

94<br />

Ich möchte Mitglied im Freundeskreis der<br />

Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten<br />

in Deutschland e.V. werden.<br />

Ich erhalte 1/4 jährlich eine Informationsschrift, die mich unter anderem auch über alle<br />

laufenden Aktivitäten der Fördergemeinschaft informiert. Falls ich durch einen Unfall<br />

eine Querschnittlähmung erleide, erhalte ich als Soforthilfe 50.000 € mit entsprechender<br />

Abstufung bei Teilinvalidität.<br />

Name, Vorname<br />

Geb.-Datum<br />

Straße<br />

PLZ / Wohnort<br />

Folgende Familienangehörige melde ich für 15 Euro an:<br />

Name, Vorname Straße / Wohnort<br />

Geb.-Datum<br />

Name, Vorname Straße / Wohnort<br />

Geb.-Datum<br />

Ich bin querschnittgelähmt ja nein<br />

Andere Behinderung:<br />

Werden Sie Mitglied!<br />

Spendenkonto 0 179 200, Deutsche Bank Ludwigshafen, BLZ 545 700 94<br />

Ihr Rücktrittsrecht: Diese Bestellung kann innerhalb von 8 Tagen (Poststempel) schriftlich widerufen<br />

werden. Diesen Hinweis habe ich zur Kenntnis genommen und bestätige dies durch meine<br />

2. Unterschrift.<br />

Unterschrift.<br />

Gewünschte Zahlungsweise (bitte ankreuzen)<br />

Beantworten Sie bitte noch diese zwei Fragen bevor Sie die Abo-Karte ausgefüllt<br />

an uns senden:<br />

Wo haben Sie den »<strong>Paraplegiker</strong>« kennengelernt?<br />

Welche Ausgabe des »<strong>Paraplegiker</strong>« liegt Ihnen vor?<br />

Rückseite beachten<br />

Rückseite beachten<br />

I M P R E S S U M<br />

PARAPLEGIKER – Zeitschrift für Menschen mit Körperbehinderung<br />

HUMANIS Verlag GmbH<br />

Silcherstraße 15 · D-67591 Mölsheim<br />

Telefon: 0 62 43-900 704<br />

Telefax: 0 62 43-903 569<br />

info@humanis-verlag.de<br />

www.humanis-verlag.de<br />

ISSN 0723-5070<br />

HERAUSGEBER<br />

Fördergemeinschaft<br />

der Querschnittgelähmten<br />

in Deutschland e.V.<br />

Eingetragen ins Vereinsregister Mannheim Nr. 11844<br />

GESCHÄFTSFÜHRER<br />

Roger Kniel<br />

MARKETINGLEITUNG<br />

Gisela Werner<br />

ANZEIGENBETREUUNG<br />

POINT63 Media- und Verlagsservice<br />

Andreas Stoßberg<br />

Telefon: 02 12-2 33 52 65<br />

Telefax: 02 12-2 33 52 66<br />

a.stossberg@arcor.de<br />

ABOBETREUUNG<br />

Probeheft<br />

Telefon: 0 62 43-900 704<br />

REDAKTIONSLEITUNG<br />

(v.i.S.d.P.) Peter Mand<br />

MITARBEIT AN DIESER AUSGABE<br />

Ralf Kirchhoff, Reinhard Wylegalla, Ruth Auschra, Heike Stüvel,<br />

Johann Kreiter, Raimund Artinger, Barbara Früchtel, Herbert Müller,<br />

Dr. med. Susanne Föllinger, Arndt Krödel, Alexander Epp, Harry Baus,<br />

Wolfgang Büser, RA Oliver Negele.<br />

LAYOUT<br />

Eickhoff – Grafik & Design - Speyer<br />

Telefon: 0 62 32-62 93 20<br />

DRUCK<br />

NINO Druck GmbH<br />

Im Altenschemel 21<br />

67435 Neustadt/Weinstraße<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

vierteljährlich<br />

ANZEIGENSCHLUSS<br />

3 Wochen vor Erscheinen. Anzeigen erscheinen unter Verantwortung<br />

der Auftraggeber.<br />

Es gelten die Mediadaten Nr.9 ab 1. Dezember 2008<br />

BEZUGSBEDINGUNGEN<br />

Inland 15 EURO jährlich, Ausland 20 EURO jährlich, Einzelheft:<br />

Deutschland 4 EURO (jeweils inkl. Versand und Mwst.); Ausland 4<br />

EURO (+Versandkosten). Das Abonnement wird im voraus in Rechnung<br />

gestellt, Bezugszeitraum ist das Kalenderjahr. Das Abonnement<br />

verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn es nicht mindestens 8<br />

Wochen vor Ablauf beim Verlag schriftlich gekündigt wurde.<br />

Der gesamte Inhalt der Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt, jede<br />

unzulässige Verwertung ohne Einwilligung des Verlages wird verfolgt.<br />

Die Autoren erklären sich mit der redaktionellen Bearbeitung ihrer<br />

Beiträge einverstanden. Haftung für zugesandte Texte oder Bilder<br />

wird ausgeschlossen.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen nicht zwangsläufig<br />

mit Meinung des Verlages und der Redaktion überein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!