Paraplegiker 2/2009

Paraplegiker 2/2009 Paraplegiker 2/2009

27.06.2013 Aufrufe

q – querschnitt spezial Das silberne Sparschwein: Erfundene Antwort auf einen echten Bescheid So könnte er aussehen, der Brief an das „Kompetenzzentrum der KKH in Koblenz“: Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr ohne Namen, vielen Dank für Ihren Genehmigungsbescheid. Ich freue mich, dass meine Pfl egeversicherung in Zukunft einmal im Jahr die Kosten für zwei wiederverwendbare Bettschutzeinlagen 80 x 95 cm übernimmt. Das ist für mich eine große Entlastung. Immerhin kostet so ein Tuch fast 30 €. Damit kann ich dann auch etwas gegen die Umweltbelastung tun. Solche billigen Einmaleinlagen wie ich sie bisher verwendet habe verstopfen doch nur die Mülleimer und ich wusste nie, gehören die in die gelbe Tonne (weil viel Plastik dran ist) in die blaue für die Papiersammlung oder doch in die graue Restmülltonne. Das Problem gibt es nicht mehr. Denn weil ich ja die Stoffeinlagen bekomme, übernehmen Sie in Zukunft die Kosten für Einmaleinlagen nicht mehr. Aber ich habe trotzdem noch ein paar Fragen wie ich das zukünftig genau machen soll: Weil ich ja inkontinent bin, kann ich das nicht steuern. Auch nicht, ob etwas vorne raus kommt oder hinten und manchmal habe ich dann auch noch Durchfall. Wenn dann beide Tücher gerade in der Wäsche sind (die dicken Tücher brauchen richtig lange zum Trocknen) bekomme ich dann eine neue Matratze, weil die verdreckt ist und ich ja keine Einmal-Betteinlagen mehr verwenden darf? Gibt es vielleicht Kränchen, mit denen ich den „Pipihahn“ so lange abstellen kann bis ich wieder saubere Einlagen habe? Bitte schicken Sie mir eine Beschreibung zu wie ich da vorgehen soll. Wie oft darf ich mich zukünftig pro Woche / pro Monat beschmutzen? Welcher Zeitabstand in Stunden / Tagen muss eingehalten werden, weil zwischen zwei Wasch- und Trockenvorgängen ja immer Zeit vergeht. Wenn das wirklich so ist wie Sie das geschrieben haben, darf ich in Zukunft auch keine Tempotaschentücher mehr verwenden, weil ich ja Stofftaschentücher im Schrank liegen habe. Aber die Fachleute sagen, Einmaltaschentücher seien gesünder. Wer hat denn jetzt recht? Wie sieht das dann im Haushalt aus? Darf meine Frau noch Papierküchenrollen verwenden? Wir haben nämlich auch ein Putztuch aus Stoff, das immer am Waschbecken liegt. Und Stoffservietten gibt es bei uns in Zukunft jeden Tag und nicht wie bisher nur an Sonn- und Feiertagen. Nur mit dem Toilettenpapier mache ich nicht mit! Wenn man auch da immer nur Stofffetzen verwendet steht die Waschmaschine ja überhaupt nicht mehr still. Sie machen doch so viele Lehrgänge für Pfl egepersonen. Vielleicht könnte man da das Thema in Zukunft auch mit unterbringen. Zum Beispiel wie man die Zeit plant, wann man sein Geschäft erledigt. Das klappt bestimmt. Schließlich hat auch so ein Hund seine festen Zeiten, wann er Gassi gehen muss. Und dann habe ich noch eine Frage: Ich habe gelesen, dass die Krankenkasse bei einem Elektrorollstuhl die Kosten für den Strom bezahlen muss, der verbraucht wird. Bekomme ich dann einen Zuschuss zum Waschpulver für die Waschmaschine oder wird das von einer extra Firma geliefert so wie die Einmalhandschuhe, die mir von der Pfl egeversicherung jeden Monat zugeschickt werden? Es grüßt Sie Ihr verständiger Patient Herbert Müller Herbert Müller Rechtsbeistand im Sozialrecht der Fördergemeinschaft d. Querschnittgelähmten in Deutschland e.V. Freiherr-vom-Stein-Str. 47 56566 Neuwied-Engers tel 02622 - 8896-32; fax -36 h.mueller@engers.de Kriterium für die „Ehrung“ ist die Kreativität der Begründung für eine Ablehnung. Je unsinniger, desto besser sind die Chancen. Ob man darüber eher schmunzelt oder sich mehr über die Ignoranz ärgert, bleibt jedem selbst überlassen. Kandidaten werden in den nächsten Jahren sicher nicht ausgehen, Vorschläge sind willkommen. PARAPLEGIKER 2/09 31

q – querschnitt spezial Damit werde ich auch noch fertig Die Beiträge dieser Serie entstanden aus Gesprächen der Psychotherapeutin Dr. med. Astrid Bühren mit querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten (Namen geändert) sowie deren Angehörigen in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Murnau, Bayern. 32 Stimmungsbilder aus der Unfallklinik: PARAPLEGIKER 2/09 Julia S., Mitte dreißig, ist bei einem Kletterkurs verunglückt und seither Paraplegikerin. Mit ihrer Behinderung kann sie von Anfang an gut umgehen – als Mutter eines schwer behinderten Sohnes ist sie an Schicksalsschläge gewohnt. Ihr Bericht, aufgezeichnet gegen Ende der stationären Rehabilitation, wird ergänzt von einem Kommentar der Psychotherapeutin Dr. med. Astrid Bühren. Julia S. erzählt: „Bei einem Kletterkurs hatte ich einen Unfall, bei dem ich etwa zehn Meter rückwärts abgestürzt bin. Am nächsten Tag bin ich auf der Intensivstation für Wirbelsäulenverletzte der Unfallklinik Murnau wieder aufgewacht. Zunächst hatte ich überhaupt keine Erinnerungen mehr an die Geschehnisse vom Vortag. Ich ertastete meinen Bauch und die Hüfte. Sofort wurde mir klar, dass ich gelähmt bin. Zwei Monate zuvor hatte ich geträumt, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Dieser Traum hat mich sehr belastet. Jetzt, da die Lähmung Wirklichkeit ist, nehme ich es eigentlich nicht so schwer. Ich habe – noch auf zwei Beinen – so vieles Mögliche und Unmögliche geschafft, dass ich es als meine neue Lebensaufgabe ansehe, nun mit meiner Behinderung fertig zu werden. Erfahrungen mit Schicksalsschlägen Mein bisher schwerster Schicksalsschlag war, dass mein Sohn behindert ist. Diese Erfahrungen und der Umgang mit meinem mehrfach behinderten Kind haben mir si- cher sehr geholfen, mit meiner eigenen Behinderung umzugehen. Einer meiner ersten Gedanken war: Ich bin froh, dass es mich getroffen hat und nicht meine Tochter Leonie – und dass ich meine Arme und Hände bewegen kann. Leonie hat meinen Unfall recht gut überwunden. Am schwersten war es für sie, dass ich so lange nicht zu Hause war. Sie hat mit Kreide ‚Mama fehlt mir‘ an die Hauswand geschrieben. Alle anderen aus Familie und Bekanntenkreis hatten viel größere Probleme, meine Behinderung zu akzeptieren. Fast alle Freunde, die mich anrufen oder besuchen, erwarten, dass ich niedergeschlagen bin. Sie sind dann überrascht, mich munter und eigentlich ganz normal, wie vorher auch, anzutreffen. Jetzt, da ich noch so viel lernen muss, möchte ich alles Negative, zum Beispiel Grübeleien über die Zeit vor meinem Unfall, aus meinem Gedächtnis streichen. Ich brauche jetzt alle Energie, um meinen Körper und den Rollstuhl beherrschen zu lernen. Mein Ziel ist es, möglichst viele Dinge ohne fremde Hilfe zu schaffen. Ich möchte genauso selbstständig sein wie vor dem Unfall. Bisher war mein Leben ausgefüllt mit Arbeit; ich hatte keine Zeit für mich selbst. Der Unfall lenkt mein Leben wahrscheinlich in eine ganz andere Richtung. Weil ich vieles nicht mehr tun kann, werde ich mir andere Beschäftigungen suchen, zum Beispiel

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Das silberne Sparschwein:<br />

Erfundene Antwort auf einen<br />

echten Bescheid<br />

So könnte er aussehen,<br />

der Brief an das „Kompetenzzentrum<br />

der KKH in Koblenz“:<br />

Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr ohne Namen, vielen Dank für Ihren Genehmigungsbescheid. Ich<br />

freue mich, dass meine Pfl egeversicherung in Zukunft einmal im Jahr die Kosten für zwei wiederverwendbare<br />

Bettschutzeinlagen 80 x 95 cm übernimmt. Das ist für mich eine große Entlastung. Immerhin<br />

kostet so ein Tuch fast 30 €. Damit kann ich dann auch etwas gegen die Umweltbelastung tun. Solche<br />

billigen Einmaleinlagen wie ich sie bisher verwendet habe verstopfen doch nur die Mülleimer<br />

und ich wusste nie, gehören die in die gelbe Tonne (weil viel Plastik dran ist) in die blaue<br />

für die Papiersammlung oder doch in die graue Restmülltonne. Das Problem gibt es<br />

nicht mehr. Denn weil ich ja die Stoffeinlagen bekomme, übernehmen Sie in Zukunft<br />

die Kosten für Einmaleinlagen nicht mehr.<br />

Aber ich habe trotzdem noch ein paar Fragen wie ich das zukünftig genau machen soll: Weil<br />

ich ja inkontinent bin, kann ich das nicht steuern. Auch nicht, ob etwas vorne raus kommt oder<br />

hinten und manchmal habe ich dann auch noch Durchfall. Wenn dann beide Tücher gerade in der<br />

Wäsche sind (die dicken Tücher brauchen richtig lange zum Trocknen) bekomme ich dann eine<br />

neue Matratze, weil die verdreckt ist und ich ja keine Einmal-Betteinlagen mehr verwenden darf? Gibt es vielleicht<br />

Kränchen, mit denen ich den „Pipihahn“ so lange abstellen kann bis ich wieder saubere Einlagen habe? Bitte schicken<br />

Sie mir eine Beschreibung zu wie ich da vorgehen soll. Wie oft darf ich mich zukünftig pro Woche / pro Monat<br />

beschmutzen? Welcher Zeitabstand in Stunden / Tagen muss eingehalten werden, weil zwischen zwei Wasch- und<br />

Trockenvorgängen ja immer Zeit vergeht.<br />

Wenn das wirklich so ist wie Sie das geschrieben haben, darf ich in Zukunft auch keine Tempotaschentücher mehr<br />

verwenden, weil ich ja Stofftaschentücher im Schrank liegen habe. Aber die Fachleute sagen, Einmaltaschentücher<br />

seien gesünder. Wer hat denn jetzt recht? Wie sieht das dann im Haushalt aus? Darf meine Frau noch Papierküchenrollen<br />

verwenden? Wir haben nämlich auch ein Putztuch aus Stoff, das immer am Waschbecken liegt. Und<br />

Stoffservietten gibt es bei uns in Zukunft jeden Tag und nicht wie bisher nur an Sonn- und Feiertagen. Nur mit dem<br />

Toilettenpapier mache ich nicht mit! Wenn man auch da immer nur Stofffetzen verwendet steht die Waschmaschine<br />

ja überhaupt nicht mehr still.<br />

Sie machen doch so viele Lehrgänge für Pfl egepersonen. Vielleicht könnte man da das Thema in Zukunft auch<br />

mit unterbringen. Zum Beispiel wie man die Zeit plant, wann man sein Geschäft erledigt. Das klappt bestimmt.<br />

Schließlich hat auch so ein Hund seine festen Zeiten, wann er Gassi gehen muss. Und dann habe ich noch eine<br />

Frage: Ich habe gelesen, dass die Krankenkasse bei einem Elektrorollstuhl die Kosten für den Strom bezahlen<br />

muss, der verbraucht wird. Bekomme ich dann einen Zuschuss zum Waschpulver für die Waschmaschine oder<br />

wird das von einer extra Firma geliefert so wie die Einmalhandschuhe, die mir von der Pfl egeversicherung jeden<br />

Monat zugeschickt werden?<br />

Es grüßt Sie Ihr verständiger Patient<br />

Herbert Müller<br />

Herbert Müller<br />

Rechtsbeistand im Sozialrecht<br />

der Fördergemeinschaft d.<br />

Querschnittgelähmten in Deutschland e.V.<br />

Freiherr-vom-Stein-Str. 47<br />

56566 Neuwied-Engers<br />

tel 02622 - 8896-32; fax -36<br />

h.mueller@engers.de<br />

Kriterium für die<br />

„Ehrung“ ist die<br />

Kreativität der<br />

Begründung für<br />

eine Ablehnung.<br />

Je unsinniger,<br />

desto besser sind<br />

die Chancen.<br />

Ob man darüber<br />

eher schmunzelt<br />

oder sich mehr<br />

über die Ignoranz<br />

ärgert, bleibt jedem<br />

selbst überlassen.<br />

Kandidaten<br />

werden in den<br />

nächsten Jahren<br />

sicher nicht ausgehen,<br />

Vorschläge<br />

sind willkommen.<br />

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