Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di... Nietzsche, Friedrich - Di...

26.06.2013 Aufrufe

154. Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. − Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken durch's Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir Anderen! Für uns ist das Leben eine grössere Gefahr: wir sind von Glas − wehe, wenn wir uns stossen! Und Alles ist verloren, wenn wir fallen! 155. Was uns fehlt. − Wir lieben die grosse Natur und haben sie entdeckt: das kommt daher, dass in unserem Kopfe die grossen Menschen fehlen. Umgekehrt die Griechen − ihr Naturgefühl ist ein anderes, als das unsrige. 156. Der Einflussreichste. − Dass ein Mensch seiner ganzen Zeit Widerstand leistet, sie am Thore aufhält und zur Rechenschaft zieht, das muss Einfluss üben! Ob er es will, ist gleichgültig; dass er es kann, ist die Sache. 157. Mentiri. − Gieb Acht! − er sinnt nach: sofort wird er eine Lüge bereit haben. Diess ist eine Stufe der Cultur, auf der ganze Völker gestanden haben. Man erwäge doch, was die Römer mit mentiri ausdrückten! 158. Unbequeme Eigenschaft. − Alle Dinge tief finden − das ist eine unbequeme Eigenschaft: sie macht, dass man beständig seine Augen anstrengt und am Ende immer mehr findet, als man gewünscht hat. 159. Jede Tugend hat ihre Zeit. − Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seine Redlichkeit oft Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugend eines anderen Zeitalters, als: die Redlichkeit. 160. Nietzsche Im Verkehre mit Tugenden. − Man kann auch gegen eine Tugend würdelos und schmeichlerisch sein. 154. 96

161. An die Liebhaber der Zeit. − Der entlaufene Priester und der entlassene Sträfling machen fortwährend Gesichter: was sie wollen, ist ein Gesicht ohne Vergangenheit. − Habt ihr aber schon Menschen gesehen, welche wissen, dass die Zukunft in ihrem Gesichte sich spiegelt, und welche so höflich gegen euch, ihr Liebhaber der "Zeit", sind, dass sie ein Gesicht, ohne Zukunft machen? − 162. Egoismus. − Egoismus ist das perspectivische Gesetz der Empfindung, nach dem das Nächste gross und schwer erscheint: während nach der Ferne zu alle Dinge an Grösse und Gewicht abnehmen. 163. Nach einem grossen Siege. − Das Beste an einem grossen Siege ist, dass er dem Sieger die Furcht vor einer Niederlage nimmt. "Warum nicht auch einmal unterliegen? − sagt er sich: ich bin jetzt reich genug dazu". 164. Die Ruhesuchenden. − Ich erkenne die Geister, welche Ruhe suchen, an den vielen dunklen Gegenständen, welche sie um sich aufstellen: wer schlafen will, macht sein Zimmer dunkel oder kriecht in eine Höhle. − Ein Wink für Die, welche nicht wissen, was sie eigentlich am meisten suchen, und es wissen möchten! 165. Vom Glücke der Entsagenden. − Wer sich Etwas gründlich und auf lange Zeit hin versagt, wird, bei einem zufälligen Wiederantreffen desselben, fast vermeinen, es entdeckt zu haben, − und welches Glück hat jeder Entdecker! Seien wir klüger, als die Schlangen, welche zu lange in der selben Sonne liegen. 166. Nietzsche Immer in unserer Gesellschaft. − Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redet zu mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich −: das Andere höre ich nicht oder vergesse es gleich. Wir sind stets nur in unserer Gesellschaft. 161. 97

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Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. − Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie<br />

betrunken durch's Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer<br />

Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: eure Muskeln sind zu matt und euer<br />

Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir Anderen! Für<br />

uns ist das Leben eine grössere Gefahr: wir sind von Glas − wehe, wenn wir uns stossen!<br />

Und Alles ist verloren, wenn wir fallen!<br />

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Was uns fehlt. − Wir lieben die grosse Natur und haben sie entdeckt: das kommt daher,<br />

dass in unserem Kopfe die grossen Menschen fehlen. Umgekehrt die Griechen − ihr<br />

Naturgefühl ist ein anderes, als das unsrige.<br />

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Der Einflussreichste. − Dass ein Mensch seiner ganzen Zeit Widerstand leistet, sie am<br />

Thore aufhält und zur Rechenschaft zieht, das muss Einfluss üben! Ob er es will, ist<br />

gleichgültig; dass er es kann, ist die Sache.<br />

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Mentiri. − Gieb Acht! − er sinnt nach: sofort wird er eine Lüge bereit haben. <strong>Di</strong>ess ist eine<br />

Stufe der Cultur, auf der ganze Völker gestanden haben. Man erwäge doch, was die Römer<br />

mit mentiri ausdrückten!<br />

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Unbequeme Eigenschaft. − Alle <strong>Di</strong>nge tief finden − das ist eine unbequeme Eigenschaft:<br />

sie macht, dass man beständig seine Augen anstrengt und am Ende immer mehr findet, als<br />

man gewünscht hat.<br />

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Jede Tugend hat ihre Zeit. − Wer jetzt unbeugsam ist, dem macht seine Redlichkeit oft<br />

Gewissensbisse: denn die Unbeugsamkeit ist die Tugend eines anderen Zeitalters, als: die<br />

Redlichkeit.<br />

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<strong>Nietzsche</strong><br />

Im Verkehre mit Tugenden. − Man kann auch gegen eine Tugend würdelos und<br />

schmeichlerisch sein.<br />

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